Lost in Cyberspace? Bildung: medial oder personal vermittelt?

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Aus: Ulrich Papenkort (Hg., 2000): familie@bildung. Neue Medien in Familienbildungsstätten. Eine Arbeits- und Orien-
tierungshilfe. Landesarbeitsgemeinschaft für kath. Erwachsenenbildung in Nordrhein-Westfalen, S. 52 - 59

Ulrich Müller / Ulrich Iberer

Lost in Cyberspace?
Bildung: medial oder personal vermittelt?
Der folgende Beitrag will einige Impulse geben
für die Abwägung der Frage nach medialer oder                  1     Was und wozu sollen Menschen heute
personaler Vermittlung bei Bildungsprozessen in                    lernen?
Familienbildungsstätten. Unsere Überzeugung
dabei ist, das sei schon voraus geschickt, dass                Bevor wir auf unsere zentrale Frage nach der
Familienbildungsstätten - wie der Bildungsbe-                  Art der Vermittlung eingehen, wollen wir zu-
reich insgesamt - gar nicht anders können, als                 nächst den Fokus etwas weiter fassen.
sich intensiv mit den neuen Medien zu befassen
und deren Potenziale für die eigene Arbeit zu                  Die Menschheit steht heute in einer tiefgreifen-
nutzen. Gleichzeitig aber plädieren wir für ein                den Umbruchsituation. Gravierende Verände-
realistisches Verhältnis zu den neuen Medien,                  rungen wie die Globalisierung der Wirtschaft,
insbesondere auch für eine nüchterne Abschät-                  die Einführung immer neuer Technologien, die
zung der Grenzen medialer Vermittlung.                         explosionsartige Vermehrung des Wissens, die
                                                               Bevölkerungsentwicklung, die fortschreitende
Wir wollen des weiteren dazu anstiften, die                    Umweltzerstörung und vieles andere mehr stel-
stürmischen Entwicklungen im Bereich der neu-                  len die Staatengemeinschaft, Unternehmen und
en Medien als Herausforderung zu verstehen,                    Organisationen, aber eben auch Familien und
auch die „klassischen“ Lernformen, den Kurs                    jeden einzelnen Menschen vor große Heraus-
oder das Seminar, so weiter zu entwickeln, dass                forderungen. Zur Bewältigung dieser turbulen-
sie eine attraktive und interessante Alternative               ten Bedingungen und rasanten Veränderungen
zu medial vermitteltem Lernen darstellen Nur                   ist lebenslanges Lernen unabdingbar.
wenn das Wochenende in der Familienbildungs-
stätte ein „Mehr“ zu bieten hat gegenüber dem                  Doch welche Art von Wissen soll, welche Art
Surfen im Netz, nur wenn Menschen sich hier                    von Verhaltens- und Einstellungsänderung ist
wohl fühlen und gut lernen können, sind Famili-                nötig? Geht es wirklich vor allem darum, immer
enbildungsstätten zukunftsfähig.                               wieder das jeweils neueste “Wissens-up-date”
                                                               auf die “mentale Festplatte zu laden”? Was ist
Wir gehen daher im folgenden vier Fragen nach:                 die Aufgabe von Bildung im Wettlauf mit der
                                                               technologischen und gesellschaftlichen Entwick-
1. Was und Wozu sollen Menschen heute ler-                     lung? Dieser Wettlauf ist nicht zu gewinnen. Die
   nen?                                                        unablässig zunehmende Fülle an Möglichkeiten
                                                               zwingt zur Entscheidung.
2. Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich
   durch den Einsatz der neuen Medien?                         Wer sich in dem “permanenten Wildwasser”
3. Welche Rolle kommt dem personal vermittel-                  (VAILL 1998), das uns die Realität in unserer
   ten Lernen in der neuen Bildungslandschaft                  Welt heute zumutet, zurechtfinden will, braucht
   zu?                                                         mehr als nur Wissen. Er benötigt vor allem Ori-
                                                               entierung, um sich beim Navigieren im Strom
4. Wie müssen Kurse und Seminare gestaltet                     der Veränderungen nicht zu verlieren. Er benö-
   sein, um dieser Rolle gerecht zu werden?                    tigt, so meinen wir, Bildung.
Die zweite Frage nach den Möglichkeiten der
neuen Medien greifen wir in einem anderen Bei-                 Bildung, so lässt sich im Anschluss an die bil-
trag noch einmal auf (vgl. „E-Learning in Bil-                 dungstheoretische Diskussion1 festhalten, kann
dungseinrichtungen.              Möglichkeiten                 verstanden werden als ein Entwicklungsprozess,
computerunterstützten                Lernens“                  in dem der einzelne Mensch zu seiner Individua-
IBERER/MÜLLER 2000). Dort geben wir                            lität und Persönlichkeit findet. Sie ist angelegt als
einen Überblick über das Spektrum der                          die auf Vernünftigkeit gegründete Fähigkeit des
Möglichkeiten.                                                 Menschen, über die Belange seiner Existenz
selbstbestimmt und in eigener Verantwortung zu            deln bzw. über gemachte Erfahrungen, zum
entscheiden - innerhalb der Grenzen, die durch            anderen die Anbindung an eine übergreifende
das Recht auf Selbstbestimmung der Mitmen-                Sinnhaftigkeit. Das beinhaltet, sich gegenüber
schen gezogen sind. Selbstbestimmung setzt das            der gesellschaftlichen Realität, gegenüber Lern-
Bemühen um Selbst- und Weltverständnis vor-               und Handlungserwartungen, gegenüber vorherr-
aus.                                                      schenden Konventionen auch distanziert kri-
                                                          tisch zu verhalten und sie ggf. utopisch zu über-
Bildung ist eine lebenslange Aufgabe, die dem             schreiten, d. h., über neue Möglichkeiten für die
einzelnen Menschen nicht abgenommen werden                Realisierung eines humanen Lebens und Arbei-
kann, und die daher in erster Linie als Selbstbil-        tens nachzudenken und sie anzustreben.
dung in eigener Verantwortung (“Menschen
bilden sich”, HARTMUT VON HENTIG) zu                      Auch wenn ein Bildungsbegriff heute nicht
verstehen ist. Dieser Prozess kann durch organi-          mehr “verbindlich” formuliert werden kann, so
sierte Bildungsveranstaltungen ermöglicht, ange-          benötigen wir doch ein Kriterium, mit dem sich
regt und unterstützt, nicht aber “gemacht” oder           einzelne Maßnahmen, Handlungen oder indivi-
gar “produziert” werden. Die Fähigkeiten zur              duelle Lernbemühungen bewerten lassen. Im
Selbstbildung sind jedoch durch zunächst                  Bemühen um eine Vorstellung von Bildung
fremdorganisierte Bildungsprozesse zu entwi-              kann ein solches Kriterium gefunden werden.
ckeln, in denen kontinuierlich erweiterte Selbst-
bestimmungsmöglichkeiten eingeräumt (und                  Der Einsatz neuer Medien sollte nicht aus pri-
zugemutet!) werden müssen. Die Auswahl von                mär modischen oder strategischen Gründen
Bildungsinhalten, der Einsatz von Bildungs-               erfolgen - weil das eben heute ein “Muss” ist, an
methoden - und eben auch der Einsatz von Me-              dem man nicht vorbeikommt, sondern vor dem
dien - hat durchgängig unter dem Blickwinkel zu           Hintergrund des Bildungsgedankens. An diesem
erfolgen, inwiefern das lernende Subjekt da-              Kriterium sollte gemessen werden, ob und wie
durch zu künftiger Selbstbildung in eigener Ver-          der Einsatz computerunterstützter Technologien
antwortung befähigt wird.                                 - wie auch der aller anderen Lernformen - Sinn
                                                          macht.
Bildung ist bezogen auf die menschliche Le-
benswelt. Sie soll dem Menschen verhelfen zur
Handlungsfähigkeit in Situationen (KAISER                 2 Welche neuen Möglichkeiten eröffnen
1985). Das Ziel ist nicht in erster Linie die Ver-          sich durch den Einsatz der neuen Me-
mittlung eines Kanons von “Bildungsgütern” -                dien?
zumal in einer Zeit, da dieses Wissen immer
schneller veraltet - sondern die Befähigung zu            Wenn in der aktuellen Diskussion der Begriff
kompetentem, sinnvollem und verantwortlichem              der „Neuen Medien“ erklingt, wird damit in
Handeln. Wolfgang KLAFKI sieht Bildung da-                erster Linie der Heim-Computer assoziiert. Die-
bei als den Zusammenhang der drei Grundfer-               ses mittlerweile weit verbreitete Medium ist si-
tigkeiten Selbstbestimmung, Mitbestimmung                 cherlich das zentrales Gerät für den Gebrauch
und Solidaritätsfähigkeit. Bildung zielt ab auf die       von Internet, CD-ROM, usw.
Entwicklung des einzelnen in der Gemeinschaft
und für die Gemeinschaft.                                 Neue Medien im Bildungssektor jedoch profitie-
                                                          ren vielmehr von der großen technischen Varia-
Die subjektive Entwicklung des Menschen kann              tionsbreite. Einerseits erweitern mobile Geräte
nur in der Auseinandersetzung mit einem objek-            wie Laptop, Digital-Kamera (Foto und Film)
tiven Gegenüber erfolgen. Um sich seine Bil-              oder Projektoren die einst nur statischen
dung zu erarbeiten, ist der Mensch notwendig              Einsatzmöglichkeiten, andererseits bieten eigen-
auf eine ihm entgegenstehende Inhaltlichkeit              ständige und computerunabhängige Geräte wie
angewiesen                                                Mobiltelefon, Internet-TV, Web-Telefon usw.
                                                          noch ungenutzte Potenziale für Lehr-/ Lernpro-
Die dabei anzustrengenden Lernprozesse sind               zesse.
reflexiv anzulegen, umfassen also zum einen die
Reflexion über eigenes Denken, Fühlen, Han-

                                                      2
2.1       Medien ermöglichen differenziertes               Die neuen Medien unterstützen auf wirkungs-
          Lernen (Hilfsmittel für den einzelnen            volle Weise solche raum-/zeitübergreifende
          Lerner)                                          Formen der Kooperation zwischen Lernpart-
                                                           nern:
Bildung muss sich jeder einzelne Mensch selbst
erarbeiten. Unser Bildungswesen nimmt jedoch                  -   Wenn Kommunikation in personalen
immer noch zu wenig Rücksicht darauf, dass                        Lernprozessen nicht (mehr) möglich ist
Lernen ein höchst individueller und subjektiver                   (z. B. aus Zeitmangel);
Prozess ist. Computergestütztes Lernen erlaubt
es dagegen, hochgradig zu differenzieren. Jeder               -   Wenn die Lernpartner dauerhaft räumlich
einzelne Lerner kann sich in einem vielfältigen                   und/oder zeitlich getrennt sind;
Menü selbst bedienen. Differenziertes Lernen ist
möglich hinsichtlich                                          -   wenn das Medium als gemeinsame Ar-
                                                                  beitsplattform dient (“virtueller Arbeits-
      -   individueller Lernwege: Hypertextstruktu-               raum”)
          ren bieten im Gegensatz zu einem linearen
          Ablauf interessenorientierte Lernwege;              -   wenn Arbeits- oder Diskussionsergebnisse
                                                                  über einen längeren Zeitraum hin konser-
      -   individueller Lerntempi: Bei singulären                 viert werden sollen;
          Methoden (z. B. CD-ROM) bestimmt der
          Lerner das Lerntempo, nicht der Lehren-             -   wenn Lernende in Neuen Medien einen
          de;                                                     alternativen Zugang zu (kooperativen)
                                                                  Lernen finden, vor allem dann, wenn sie
      -   verschiedener Lernstrategien: Übungs-                   personale Lernprozesse aus subjektiven
          Sequenzen können beliebig oft wiederholt                Gründen scheuen (z. B. wegen Behinde-
          oder unterbrochen werden;                               rung, Schüchternheit).

      -   Lernzeiten außerhalb klassischer Lernpro-        2.3    Medien eröffnen Chancen für neue
          zesse, z. B. zur Vor- oder Nachbereitung                Zugänge zu Themen (Hilfsmittel für
          von Seminaren;                                          Lernende und Lehrende)
      -   Lernzeiten außerhalb klassischer Lernpro-        Unterschiedliche Medien können Inhalte in
          zesse, sowohl in Bildungsinstitutionen als       Lern-/Lehrprozessen unterschiedlich repräsen-
          auch zu Hause, an öffentlichen Orten             tieren – dieses altbekannte Prinzip erfährt durch
          (Bibliothek, Internet-Café) und am Ar-           Neue Medien eine erweiterte Bedeutung. Im
          beitsplatz.                                      Vergleich zu klassischen Medien (z. B. Bücher)
                                                           sprechen die multimedialen und vernetzten E-
2.2       Medien ermöglichen neue Formen                   lemente Neuer Medien bei Lernenden (wie auch
          kooperativen Lernens (Hilfsmittel für            bei Lehrenden!) unterschiedliche Sinnesmodali-
          mehrere Lernpartner)                             täten an und bieten Zugriff zu sonst nur schwer
                                                           zugänglichen Informationen.
Bildung zielt auf die Entwicklung von Subjekti-
vität im verantworteten Zusammenhang mit
Anderen und dem Gemeinwesen, in dem wir                    • Neue Zugänge durch Repräsentation von
leben. Die eingangs aufgeführten gravierenden                Wirklichkeit
Problemlagen, denen die Menschen heute gege-                  -   Multimediale Elemente wie bewegte Bil-
nüberstehen, lassen sich nicht durch Einzel-                      der, Töne oder Animationen können abs-
kämpfer lösen. Sie erfordern das solidarische                     trakte Darstellungsformen ersetzen und
Zusammenwirken von Menschen über die                              erweitern die Repräsentationsmöglichkei-
Grenzen von Familien, Teams, Organisationen,                      ten geraden dann, wenn die Inhalte mul-
Staaten, ja Kontinenten hinweg.                                   timedialer Natur sind (z. B. Akustik, Be-
                                                                  wegung). Vor allem bei jungen Lernern

                                                       3
animieren multimediale Lernangebote und           3 Welche Rolle kommt dem personal ver-
      fördern damit die intrinsische Motivation.          mittelten Lernen in der neuen Bildungs-
                                                          landschaft zu?
  -   Interaktive Medien ermöglichen Lernen-
      den und Lehrenden, Wirkungszusammen-              3.1       Individuelles Lernen begleiten,
      hänge durch direkte Manipulation zu er-
                                                                  orientieren und unterstützen
      fahren. Simulationen und Planspiele er-
      lauben es verschiedene Verhaltensweisen           Das individuelle, in der Regel weitgehend selbst-
      zu zeigen, ohne etwaige negative Konse-           organisierte Lernen mit Medien eröffnet viele
      quenzen befürchten zu müssen (z. B. Si-           Chancen, es stellt jedoch auch hohe
      mulationen oder Planspiele)                       Anforderungen an die Lerner. Sie müssen
  -   Durch die digitale und mediale Darstel-                 -   selbst die Initiative ergreifen,
      lung von Inhalten können virtuelle und
      imaginäre Welten geschaffen werden. Das                 -   ihre eigenen Lernbedürfnisse diagnostizie-
      Agieren in solchen Szenarien ermöglicht                     ren,
      innovative und visionäre Ideenentwick-
      lung.                                                   -   ihre Lernziele formulieren,

                                                              -   Ressourcen organisieren,
• Neue Zugänge durch erweitertes Angebot
  von Informationen und Bildungsinhalten                      -   Lernstrategien kennen und die passenden
  -   Auch in unmittelbar personalen Lernpro-                     auswählen,
      zessen verhelfen Neue Medien dazu,
      Fachinformationen aktuell und einfach                   -   die Motivation, Konzentration und Ar-
      aus einer Quelle zu beziehen (z. B. durch                   beitsdisziplin entwickeln und aufrechter-
      Internet-Recherche).                                        halten.

  -   Bildungsinhalte von personalen Lernpro-           Nicht alle Erwachsenen können diese hohen
      zessen können durch den Einsatz von               Anforderungen erfüllen. Viele sind systemati-
      Neuen Medien als Informations- und                sches Lernen nicht mehr gewohnt, seit sie Schu-
      Kommunikationsplattform       langfristig         le und Ausbildung abgeschlossen haben. Sie
      konserviert und außerhalb der Präsenz-            wissen wenig über ihr eigenes Lernen, sind sich
      phasen diskutiert werden.                         ihrer Stärken und Schwächen nicht bewusst und
                                                        verfügen nicht über geeignete Lernstrategien.
  -   Als Hilfsmittel am Arbeitsplatz und als In-       Ihr Selbstbild hinsichtlich des Lernens ist nega-
      formationsquelle für Haushalt und Frei-           tiv geprägt, sie trauen sich nichts mehr zu. Die
      zeit ermöglichen Neue Medien den                  hohe Eigenverantwortung kann überfordern. In
      Zugriff von Bildungsinhalten in situati-          vielen selbstorganisierten Lernprojekten kommt
      onsnahen und lebensweltorientierten Situ-         es daher zu Krisensituationen, für deren Bewäl-
      ationen.                                          tigung die Lernenden selbst nicht über die nöti-
                                                        gen Ressourcen oder Kompetenzen verfügen.
Letztlich gewinnen auch die Lehrenden „Neue             Oft besteht auch die Gefahr der Isolation der
Zugänge“: Neue Medien entlasten den Lehren-             Lernenden, was sich negativ auf die Lernmotiva-
den von der traditionellen Lehr-Tätigkeiten und         tion und den Lernerfolg auswirken kann.
ermöglichen ihm verstärkt als Lernberater und
-begleiter zu fungieren und damit den Lernen-           Das selbstorganisierte Lernen mit Medien
den individuell besser zu unterstützen.                 muss also selbst erst gelernt werden. Die
                                                        meisten Erwachsenen benötigen hierfür eine
                                                        geeignete Form der Hinführung. Auch wenn
                                                        Lernmedien vielfältige Hilfen dazu bieten, alle
                                                        Erfahrungen zeigen: Je weniger Menschen das
                                                        Lernen gewohnt sind, umso mehr Unterstüt-

                                                    4
zung benötigen sie. Und es reicht längst nicht,        3.3   Ganzheitliche Zugänge zu Inhalten
diese Unterstützung nur über die Medien ver-                 eröffnen
mittelt anzubieten, z. B. über eine “Hotline”.
                                                       Durch Medien können Lerngegenstände anders,
Präsenzveranstaltungen können der Ort und die          vielfältiger in Lernangeboten repräsentiert wer-
Zeit sein, in denen Lerner zum selbstorganisier-       den, als dies in der Bildungsarbeit bisher mög-
ten Lernen hingeführt werden, wo sie Unter-            lich war. Dennoch ist das multimedial unter-
stützung und Begleitung erfahren, wo sie sich          stützte Lernen einseitig und spricht keineswegs
mit anderen treffen können und so ein Forum            den ganzen Menschen an:
für den Erfahrungsaustausch finden.
                                                         -   es dominiert der Gesichtssinn, trotz Ein-
Dazu ist nicht nur bei den Lernenden, sondern                bindung von Sprache, Geräuschen und
auch bei den Pädagogen eine grundlegende Um-                 Musik. Tasten, riechen, schmecken sowie
orientierung nötig. Deren Selbstdefinition als               der kinästhetische Sinn bleiben außen vor.
Experten für Inhalte muss sich wandeln zu ei-
nem Selbstverständnis als Lernhelfer und Lern-           -   die Menschen werden vor dem Bildschirm
begleiter, der Lernprozesse moderiert, unter-                fixiert, ihre Bewegungsmöglichkeiten auf
stützt und die Lernenden berät. Medien können                Tastatureingaben und Mausklicks be-
das Seminar von der Wissensvermittlung entlas-               schränkt. Beides, die starke Beanspru-
ten, dadurch erweitern sich für Erwachsenenbil-              chung der Augen und die Bewegungsar-
der die Möglichkeiten, für ihre Teilnehmen als               mut vor dem Bildschirm führt zur Ermü-
kooperative Lernpartner zu agieren.                          dung und stellt eine nicht zu unterschät-
                                                             zende gesundheitliche Belastung dar.

                                                         -   Bildungsinhalte können durch mediale
3.2   Kooperatives Lernen durch personale                    Bilder ikonisch repräsentiert werden (vgl.
      Begegnung vertiefen                                    MÜLLER/PAPENKORT 1998), doch
                                                             ein Lernen unmittelbar an der Wirklichkeit
Durch die Vernetzung von Computern über das
                                                             ist ganz überwiegend ausgeschlossen.
Internet wir im wahrsten Sinne des Wortes gren-
zenlose Kommunikation möglich. Doch die                Personal vermitteltes Lernen in Präsentveran-
Nutzung von Lernarrangements, die auf dem              staltungen kann demgegenüber handelndes
Kommunikationspotenzial der neuen Technolo-            Lernen ermöglichen, das tatsächlich alle Sinne
gien aufbauen, ist nicht voraussetzungslos –           des Menschen anspricht und ganzheitliche, auch
weder in technischer noch in sozialer Hinsicht.        körperlich akzentuierte Lernerfahrungen bieten.
Vielen Lernern gelingt es (noch) nicht, sich an        Es kann durch “originale Begegnung” ein Ler-
diesen Formen der Kommunikation gelingend              nen an der Wirklichkeit eröffnen, z. B. indem
zu beteiligen. Auch hier ist Hinführung, Beglei-       Familien gemeinsam einen biologisch bewirt-
tung und Unterstützung nötig.                          schafteten Bauernhof besuchen, mit dem Land-
                                                       wirt sprechen, den Stall und die Felder erkunden
Zudem ist über Computernetze vermittelte               und schließlich bei einer gemeinsamen Brotzeit
Kommunikation – trotz aller Möglichkeiten –
                                                       eine Kostprobe biologisch erzeugter Produkte
auch in gewisser Weise eingeschränkt, daran            genießen.
ändert auch die Technologie der Videoübertra-
gung wenig. In Kursen und Seminaren mit Prä-
senzcharakter können Menschen im persönli-
chen Gespräch einander ganzheitlich begegnen
– wenn denn diese Chance durch geeignete
Formen auch tatsächlich genutzt wird.

Unsere These: durch Medien können Kommu-
nikation und Kooperation breiter werden,
durch personale Begegnung tiefer.

                                                   5
und Bearbeitung individueller Lernprojek-
4 Wie müssen Kurse und Seminare gestal-                          te anbieten,
 tet sein, um dieser Rolle gerecht zu wer-
                                                             -   Phasen der Lernbegleitung und -beratung
 den?
                                                                 enthalten.
Lernen      braucht     Vielfalt.   Wegen     der
Unterschiedlichkeit      der      Vorerfahrungen,
                                                         1
Motivationen und Interessen der Menschen,                 vgl. dazu KLAFKI 1991, S. 15 - 82, von
wegen        der     Verschiedenartigkeit     der        HENTIG 1996, MÜLLER 1998, S. x-x.
Kompetenzen und Wissensgebiete und wegen
der Unterschiede der situativen Kontexte in
denen gelernt wird, muss das Bildungswesen
eine große Vielfalt an Wegen anbieten, denen             Literatur
die Menschen beim Lernen folgen können. Die
neuen Medien erweitern die Bandbreite dieser             KAISER, Arnim (1985): Sinn und Situation.
Wege ganz erheblich. Bildungsarbeit sollte diese         Grundlinien einer Didaktik der Erwachsenen-
Möglichkeiten nutzen, dabei aber nicht                   bildung. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt
übersehen, welche Potenziale auch die
                                                         KLAFKI, Wolfgang (1991): Neue Studien zur
“traditionellen” Lernformen wie Kurs und
                                                         Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim und
Seminar bieten. Personal oder medial, das ist
                                                         Basel: Beltz
nicht die Frage, vielmehr geht es darum, alle
Möglichkeiten zu lernen sinnvoll zu nutzen. Im           MÜLLER, Ulrich (1998): Professionalisierung
Konzert der Lernformen werden dabei präsenz-             der beruflichen Weiterbildung durch pädagogi-
orientierte Phasen dann ihre besonderen Stärken          sche Qualifizierung der Mitarbeiter. Bildungs-
entfalten können, wenn sie                               theoretische und konzeptionelle Grundlagen.
   - die Chance zur personalen Begegnung
                                                         Habilitationsschrift, Kath. Uni Eichstätt 1998.
       entfalten durch den bewussten und wohl-
       überlegten Einsatz der ganzen Vielfalt ge-        MÜLLER, Ulrich /PAPENKORT, Ulrich
       sprächsorientierter Methoden der Er-              (1998): Methoden der Weiterbildung – ein sys-
       wachsenenbildung,                                 tematischer Überblick. In: Grundlagen der Wei-
   -   Ausgleich bieten zur überwiegend sitzen-          terbildung – Praxishilfen, Loseblattsammlung,
       den Tätigkeit am Schreibtisch, vor dem            Systemstelle 7.40.11, Neuwied: Luchterhand
       Bildschirm, in Lehrsälen: bewegtes Ler-
       nen, bewegte Pausen ...,                          VAILL, Peter B (1998): Lernen als Lebensform.
                                                         Ein Manifest wider die Hüter der richtigen Ant-
   -   Phasen “ganzheitliches Lernens” ermögli-          worten. Stuttgart: Klett-Cotta
       chen, das tatsächlich alle Sinne anspricht,
       z. B. Naturerfahrung, erlebnispädagogi-           VON HENTIG, Hartmut (1996): Bildung. Ein
       sche Methoden,                                    Essay. München: Hanser
   -   Ein „Lernen an der Wirklichkeit“ möglich
       machen, z. B. durch Methoden wie Er-
       kundung, Demonstration, Experimente
       oder Projekte,
   -   „übendes“ Lernen ermöglichen durch die
       Erprobung von Verhaltensalternativen,
       z. B. in Rollenspielen und verwandten Me-
       thoden,
   -   spielerische Elemente einbeziehen,
   -   zu selbstorganisiertem Lernen hinführen
       und dabei Gelegenheit zur Entwicklung

                                                     6
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