Lost in Cyberspace? Bildung: medial oder personal vermittelt?
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Aus: Ulrich Papenkort (Hg., 2000): familie@bildung. Neue Medien in Familienbildungsstätten. Eine Arbeits- und Orien- tierungshilfe. Landesarbeitsgemeinschaft für kath. Erwachsenenbildung in Nordrhein-Westfalen, S. 52 - 59 Ulrich Müller / Ulrich Iberer Lost in Cyberspace? Bildung: medial oder personal vermittelt? Der folgende Beitrag will einige Impulse geben für die Abwägung der Frage nach medialer oder 1 Was und wozu sollen Menschen heute personaler Vermittlung bei Bildungsprozessen in lernen? Familienbildungsstätten. Unsere Überzeugung dabei ist, das sei schon voraus geschickt, dass Bevor wir auf unsere zentrale Frage nach der Familienbildungsstätten - wie der Bildungsbe- Art der Vermittlung eingehen, wollen wir zu- reich insgesamt - gar nicht anders können, als nächst den Fokus etwas weiter fassen. sich intensiv mit den neuen Medien zu befassen und deren Potenziale für die eigene Arbeit zu Die Menschheit steht heute in einer tiefgreifen- nutzen. Gleichzeitig aber plädieren wir für ein den Umbruchsituation. Gravierende Verände- realistisches Verhältnis zu den neuen Medien, rungen wie die Globalisierung der Wirtschaft, insbesondere auch für eine nüchterne Abschät- die Einführung immer neuer Technologien, die zung der Grenzen medialer Vermittlung. explosionsartige Vermehrung des Wissens, die Bevölkerungsentwicklung, die fortschreitende Wir wollen des weiteren dazu anstiften, die Umweltzerstörung und vieles andere mehr stel- stürmischen Entwicklungen im Bereich der neu- len die Staatengemeinschaft, Unternehmen und en Medien als Herausforderung zu verstehen, Organisationen, aber eben auch Familien und auch die „klassischen“ Lernformen, den Kurs jeden einzelnen Menschen vor große Heraus- oder das Seminar, so weiter zu entwickeln, dass forderungen. Zur Bewältigung dieser turbulen- sie eine attraktive und interessante Alternative ten Bedingungen und rasanten Veränderungen zu medial vermitteltem Lernen darstellen Nur ist lebenslanges Lernen unabdingbar. wenn das Wochenende in der Familienbildungs- stätte ein „Mehr“ zu bieten hat gegenüber dem Doch welche Art von Wissen soll, welche Art Surfen im Netz, nur wenn Menschen sich hier von Verhaltens- und Einstellungsänderung ist wohl fühlen und gut lernen können, sind Famili- nötig? Geht es wirklich vor allem darum, immer enbildungsstätten zukunftsfähig. wieder das jeweils neueste “Wissens-up-date” auf die “mentale Festplatte zu laden”? Was ist Wir gehen daher im folgenden vier Fragen nach: die Aufgabe von Bildung im Wettlauf mit der technologischen und gesellschaftlichen Entwick- 1. Was und Wozu sollen Menschen heute ler- lung? Dieser Wettlauf ist nicht zu gewinnen. Die nen? unablässig zunehmende Fülle an Möglichkeiten zwingt zur Entscheidung. 2. Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich durch den Einsatz der neuen Medien? Wer sich in dem “permanenten Wildwasser” 3. Welche Rolle kommt dem personal vermittel- (VAILL 1998), das uns die Realität in unserer ten Lernen in der neuen Bildungslandschaft Welt heute zumutet, zurechtfinden will, braucht zu? mehr als nur Wissen. Er benötigt vor allem Ori- entierung, um sich beim Navigieren im Strom 4. Wie müssen Kurse und Seminare gestaltet der Veränderungen nicht zu verlieren. Er benö- sein, um dieser Rolle gerecht zu werden? tigt, so meinen wir, Bildung. Die zweite Frage nach den Möglichkeiten der neuen Medien greifen wir in einem anderen Bei- Bildung, so lässt sich im Anschluss an die bil- trag noch einmal auf (vgl. „E-Learning in Bil- dungstheoretische Diskussion1 festhalten, kann dungseinrichtungen. Möglichkeiten verstanden werden als ein Entwicklungsprozess, computerunterstützten Lernens“ in dem der einzelne Mensch zu seiner Individua- IBERER/MÜLLER 2000). Dort geben wir lität und Persönlichkeit findet. Sie ist angelegt als einen Überblick über das Spektrum der die auf Vernünftigkeit gegründete Fähigkeit des Möglichkeiten. Menschen, über die Belange seiner Existenz
selbstbestimmt und in eigener Verantwortung zu deln bzw. über gemachte Erfahrungen, zum entscheiden - innerhalb der Grenzen, die durch anderen die Anbindung an eine übergreifende das Recht auf Selbstbestimmung der Mitmen- Sinnhaftigkeit. Das beinhaltet, sich gegenüber schen gezogen sind. Selbstbestimmung setzt das der gesellschaftlichen Realität, gegenüber Lern- Bemühen um Selbst- und Weltverständnis vor- und Handlungserwartungen, gegenüber vorherr- aus. schenden Konventionen auch distanziert kri- tisch zu verhalten und sie ggf. utopisch zu über- Bildung ist eine lebenslange Aufgabe, die dem schreiten, d. h., über neue Möglichkeiten für die einzelnen Menschen nicht abgenommen werden Realisierung eines humanen Lebens und Arbei- kann, und die daher in erster Linie als Selbstbil- tens nachzudenken und sie anzustreben. dung in eigener Verantwortung (“Menschen bilden sich”, HARTMUT VON HENTIG) zu Auch wenn ein Bildungsbegriff heute nicht verstehen ist. Dieser Prozess kann durch organi- mehr “verbindlich” formuliert werden kann, so sierte Bildungsveranstaltungen ermöglicht, ange- benötigen wir doch ein Kriterium, mit dem sich regt und unterstützt, nicht aber “gemacht” oder einzelne Maßnahmen, Handlungen oder indivi- gar “produziert” werden. Die Fähigkeiten zur duelle Lernbemühungen bewerten lassen. Im Selbstbildung sind jedoch durch zunächst Bemühen um eine Vorstellung von Bildung fremdorganisierte Bildungsprozesse zu entwi- kann ein solches Kriterium gefunden werden. ckeln, in denen kontinuierlich erweiterte Selbst- bestimmungsmöglichkeiten eingeräumt (und Der Einsatz neuer Medien sollte nicht aus pri- zugemutet!) werden müssen. Die Auswahl von mär modischen oder strategischen Gründen Bildungsinhalten, der Einsatz von Bildungs- erfolgen - weil das eben heute ein “Muss” ist, an methoden - und eben auch der Einsatz von Me- dem man nicht vorbeikommt, sondern vor dem dien - hat durchgängig unter dem Blickwinkel zu Hintergrund des Bildungsgedankens. An diesem erfolgen, inwiefern das lernende Subjekt da- Kriterium sollte gemessen werden, ob und wie durch zu künftiger Selbstbildung in eigener Ver- der Einsatz computerunterstützter Technologien antwortung befähigt wird. - wie auch der aller anderen Lernformen - Sinn macht. Bildung ist bezogen auf die menschliche Le- benswelt. Sie soll dem Menschen verhelfen zur Handlungsfähigkeit in Situationen (KAISER 2 Welche neuen Möglichkeiten eröffnen 1985). Das Ziel ist nicht in erster Linie die Ver- sich durch den Einsatz der neuen Me- mittlung eines Kanons von “Bildungsgütern” - dien? zumal in einer Zeit, da dieses Wissen immer schneller veraltet - sondern die Befähigung zu Wenn in der aktuellen Diskussion der Begriff kompetentem, sinnvollem und verantwortlichem der „Neuen Medien“ erklingt, wird damit in Handeln. Wolfgang KLAFKI sieht Bildung da- erster Linie der Heim-Computer assoziiert. Die- bei als den Zusammenhang der drei Grundfer- ses mittlerweile weit verbreitete Medium ist si- tigkeiten Selbstbestimmung, Mitbestimmung cherlich das zentrales Gerät für den Gebrauch und Solidaritätsfähigkeit. Bildung zielt ab auf die von Internet, CD-ROM, usw. Entwicklung des einzelnen in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft. Neue Medien im Bildungssektor jedoch profitie- ren vielmehr von der großen technischen Varia- Die subjektive Entwicklung des Menschen kann tionsbreite. Einerseits erweitern mobile Geräte nur in der Auseinandersetzung mit einem objek- wie Laptop, Digital-Kamera (Foto und Film) tiven Gegenüber erfolgen. Um sich seine Bil- oder Projektoren die einst nur statischen dung zu erarbeiten, ist der Mensch notwendig Einsatzmöglichkeiten, andererseits bieten eigen- auf eine ihm entgegenstehende Inhaltlichkeit ständige und computerunabhängige Geräte wie angewiesen Mobiltelefon, Internet-TV, Web-Telefon usw. noch ungenutzte Potenziale für Lehr-/ Lernpro- Die dabei anzustrengenden Lernprozesse sind zesse. reflexiv anzulegen, umfassen also zum einen die Reflexion über eigenes Denken, Fühlen, Han- 2
2.1 Medien ermöglichen differenziertes Die neuen Medien unterstützen auf wirkungs- Lernen (Hilfsmittel für den einzelnen volle Weise solche raum-/zeitübergreifende Lerner) Formen der Kooperation zwischen Lernpart- nern: Bildung muss sich jeder einzelne Mensch selbst erarbeiten. Unser Bildungswesen nimmt jedoch - Wenn Kommunikation in personalen immer noch zu wenig Rücksicht darauf, dass Lernprozessen nicht (mehr) möglich ist Lernen ein höchst individueller und subjektiver (z. B. aus Zeitmangel); Prozess ist. Computergestütztes Lernen erlaubt es dagegen, hochgradig zu differenzieren. Jeder - Wenn die Lernpartner dauerhaft räumlich einzelne Lerner kann sich in einem vielfältigen und/oder zeitlich getrennt sind; Menü selbst bedienen. Differenziertes Lernen ist möglich hinsichtlich - wenn das Medium als gemeinsame Ar- beitsplattform dient (“virtueller Arbeits- - individueller Lernwege: Hypertextstruktu- raum”) ren bieten im Gegensatz zu einem linearen Ablauf interessenorientierte Lernwege; - wenn Arbeits- oder Diskussionsergebnisse über einen längeren Zeitraum hin konser- - individueller Lerntempi: Bei singulären viert werden sollen; Methoden (z. B. CD-ROM) bestimmt der Lerner das Lerntempo, nicht der Lehren- - wenn Lernende in Neuen Medien einen de; alternativen Zugang zu (kooperativen) Lernen finden, vor allem dann, wenn sie - verschiedener Lernstrategien: Übungs- personale Lernprozesse aus subjektiven Sequenzen können beliebig oft wiederholt Gründen scheuen (z. B. wegen Behinde- oder unterbrochen werden; rung, Schüchternheit). - Lernzeiten außerhalb klassischer Lernpro- 2.3 Medien eröffnen Chancen für neue zesse, z. B. zur Vor- oder Nachbereitung Zugänge zu Themen (Hilfsmittel für von Seminaren; Lernende und Lehrende) - Lernzeiten außerhalb klassischer Lernpro- Unterschiedliche Medien können Inhalte in zesse, sowohl in Bildungsinstitutionen als Lern-/Lehrprozessen unterschiedlich repräsen- auch zu Hause, an öffentlichen Orten tieren – dieses altbekannte Prinzip erfährt durch (Bibliothek, Internet-Café) und am Ar- Neue Medien eine erweiterte Bedeutung. Im beitsplatz. Vergleich zu klassischen Medien (z. B. Bücher) sprechen die multimedialen und vernetzten E- 2.2 Medien ermöglichen neue Formen lemente Neuer Medien bei Lernenden (wie auch kooperativen Lernens (Hilfsmittel für bei Lehrenden!) unterschiedliche Sinnesmodali- mehrere Lernpartner) täten an und bieten Zugriff zu sonst nur schwer zugänglichen Informationen. Bildung zielt auf die Entwicklung von Subjekti- vität im verantworteten Zusammenhang mit Anderen und dem Gemeinwesen, in dem wir • Neue Zugänge durch Repräsentation von leben. Die eingangs aufgeführten gravierenden Wirklichkeit Problemlagen, denen die Menschen heute gege- - Multimediale Elemente wie bewegte Bil- nüberstehen, lassen sich nicht durch Einzel- der, Töne oder Animationen können abs- kämpfer lösen. Sie erfordern das solidarische trakte Darstellungsformen ersetzen und Zusammenwirken von Menschen über die erweitern die Repräsentationsmöglichkei- Grenzen von Familien, Teams, Organisationen, ten geraden dann, wenn die Inhalte mul- Staaten, ja Kontinenten hinweg. timedialer Natur sind (z. B. Akustik, Be- wegung). Vor allem bei jungen Lernern 3
animieren multimediale Lernangebote und 3 Welche Rolle kommt dem personal ver- fördern damit die intrinsische Motivation. mittelten Lernen in der neuen Bildungs- landschaft zu? - Interaktive Medien ermöglichen Lernen- den und Lehrenden, Wirkungszusammen- 3.1 Individuelles Lernen begleiten, hänge durch direkte Manipulation zu er- orientieren und unterstützen fahren. Simulationen und Planspiele er- lauben es verschiedene Verhaltensweisen Das individuelle, in der Regel weitgehend selbst- zu zeigen, ohne etwaige negative Konse- organisierte Lernen mit Medien eröffnet viele quenzen befürchten zu müssen (z. B. Si- Chancen, es stellt jedoch auch hohe mulationen oder Planspiele) Anforderungen an die Lerner. Sie müssen - Durch die digitale und mediale Darstel- - selbst die Initiative ergreifen, lung von Inhalten können virtuelle und imaginäre Welten geschaffen werden. Das - ihre eigenen Lernbedürfnisse diagnostizie- Agieren in solchen Szenarien ermöglicht ren, innovative und visionäre Ideenentwick- lung. - ihre Lernziele formulieren, - Ressourcen organisieren, • Neue Zugänge durch erweitertes Angebot von Informationen und Bildungsinhalten - Lernstrategien kennen und die passenden - Auch in unmittelbar personalen Lernpro- auswählen, zessen verhelfen Neue Medien dazu, Fachinformationen aktuell und einfach - die Motivation, Konzentration und Ar- aus einer Quelle zu beziehen (z. B. durch beitsdisziplin entwickeln und aufrechter- Internet-Recherche). halten. - Bildungsinhalte von personalen Lernpro- Nicht alle Erwachsenen können diese hohen zessen können durch den Einsatz von Anforderungen erfüllen. Viele sind systemati- Neuen Medien als Informations- und sches Lernen nicht mehr gewohnt, seit sie Schu- Kommunikationsplattform langfristig le und Ausbildung abgeschlossen haben. Sie konserviert und außerhalb der Präsenz- wissen wenig über ihr eigenes Lernen, sind sich phasen diskutiert werden. ihrer Stärken und Schwächen nicht bewusst und verfügen nicht über geeignete Lernstrategien. - Als Hilfsmittel am Arbeitsplatz und als In- Ihr Selbstbild hinsichtlich des Lernens ist nega- formationsquelle für Haushalt und Frei- tiv geprägt, sie trauen sich nichts mehr zu. Die zeit ermöglichen Neue Medien den hohe Eigenverantwortung kann überfordern. In Zugriff von Bildungsinhalten in situati- vielen selbstorganisierten Lernprojekten kommt onsnahen und lebensweltorientierten Situ- es daher zu Krisensituationen, für deren Bewäl- ationen. tigung die Lernenden selbst nicht über die nöti- gen Ressourcen oder Kompetenzen verfügen. Letztlich gewinnen auch die Lehrenden „Neue Oft besteht auch die Gefahr der Isolation der Zugänge“: Neue Medien entlasten den Lehren- Lernenden, was sich negativ auf die Lernmotiva- den von der traditionellen Lehr-Tätigkeiten und tion und den Lernerfolg auswirken kann. ermöglichen ihm verstärkt als Lernberater und -begleiter zu fungieren und damit den Lernen- Das selbstorganisierte Lernen mit Medien den individuell besser zu unterstützen. muss also selbst erst gelernt werden. Die meisten Erwachsenen benötigen hierfür eine geeignete Form der Hinführung. Auch wenn Lernmedien vielfältige Hilfen dazu bieten, alle Erfahrungen zeigen: Je weniger Menschen das Lernen gewohnt sind, umso mehr Unterstüt- 4
zung benötigen sie. Und es reicht längst nicht, 3.3 Ganzheitliche Zugänge zu Inhalten diese Unterstützung nur über die Medien ver- eröffnen mittelt anzubieten, z. B. über eine “Hotline”. Durch Medien können Lerngegenstände anders, Präsenzveranstaltungen können der Ort und die vielfältiger in Lernangeboten repräsentiert wer- Zeit sein, in denen Lerner zum selbstorganisier- den, als dies in der Bildungsarbeit bisher mög- ten Lernen hingeführt werden, wo sie Unter- lich war. Dennoch ist das multimedial unter- stützung und Begleitung erfahren, wo sie sich stützte Lernen einseitig und spricht keineswegs mit anderen treffen können und so ein Forum den ganzen Menschen an: für den Erfahrungsaustausch finden. - es dominiert der Gesichtssinn, trotz Ein- Dazu ist nicht nur bei den Lernenden, sondern bindung von Sprache, Geräuschen und auch bei den Pädagogen eine grundlegende Um- Musik. Tasten, riechen, schmecken sowie orientierung nötig. Deren Selbstdefinition als der kinästhetische Sinn bleiben außen vor. Experten für Inhalte muss sich wandeln zu ei- nem Selbstverständnis als Lernhelfer und Lern- - die Menschen werden vor dem Bildschirm begleiter, der Lernprozesse moderiert, unter- fixiert, ihre Bewegungsmöglichkeiten auf stützt und die Lernenden berät. Medien können Tastatureingaben und Mausklicks be- das Seminar von der Wissensvermittlung entlas- schränkt. Beides, die starke Beanspru- ten, dadurch erweitern sich für Erwachsenenbil- chung der Augen und die Bewegungsar- der die Möglichkeiten, für ihre Teilnehmen als mut vor dem Bildschirm führt zur Ermü- kooperative Lernpartner zu agieren. dung und stellt eine nicht zu unterschät- zende gesundheitliche Belastung dar. - Bildungsinhalte können durch mediale 3.2 Kooperatives Lernen durch personale Bilder ikonisch repräsentiert werden (vgl. Begegnung vertiefen MÜLLER/PAPENKORT 1998), doch ein Lernen unmittelbar an der Wirklichkeit Durch die Vernetzung von Computern über das ist ganz überwiegend ausgeschlossen. Internet wir im wahrsten Sinne des Wortes gren- zenlose Kommunikation möglich. Doch die Personal vermitteltes Lernen in Präsentveran- Nutzung von Lernarrangements, die auf dem staltungen kann demgegenüber handelndes Kommunikationspotenzial der neuen Technolo- Lernen ermöglichen, das tatsächlich alle Sinne gien aufbauen, ist nicht voraussetzungslos – des Menschen anspricht und ganzheitliche, auch weder in technischer noch in sozialer Hinsicht. körperlich akzentuierte Lernerfahrungen bieten. Vielen Lernern gelingt es (noch) nicht, sich an Es kann durch “originale Begegnung” ein Ler- diesen Formen der Kommunikation gelingend nen an der Wirklichkeit eröffnen, z. B. indem zu beteiligen. Auch hier ist Hinführung, Beglei- Familien gemeinsam einen biologisch bewirt- tung und Unterstützung nötig. schafteten Bauernhof besuchen, mit dem Land- wirt sprechen, den Stall und die Felder erkunden Zudem ist über Computernetze vermittelte und schließlich bei einer gemeinsamen Brotzeit Kommunikation – trotz aller Möglichkeiten – eine Kostprobe biologisch erzeugter Produkte auch in gewisser Weise eingeschränkt, daran genießen. ändert auch die Technologie der Videoübertra- gung wenig. In Kursen und Seminaren mit Prä- senzcharakter können Menschen im persönli- chen Gespräch einander ganzheitlich begegnen – wenn denn diese Chance durch geeignete Formen auch tatsächlich genutzt wird. Unsere These: durch Medien können Kommu- nikation und Kooperation breiter werden, durch personale Begegnung tiefer. 5
und Bearbeitung individueller Lernprojek- 4 Wie müssen Kurse und Seminare gestal- te anbieten, tet sein, um dieser Rolle gerecht zu wer- - Phasen der Lernbegleitung und -beratung den? enthalten. Lernen braucht Vielfalt. Wegen der Unterschiedlichkeit der Vorerfahrungen, 1 Motivationen und Interessen der Menschen, vgl. dazu KLAFKI 1991, S. 15 - 82, von wegen der Verschiedenartigkeit der HENTIG 1996, MÜLLER 1998, S. x-x. Kompetenzen und Wissensgebiete und wegen der Unterschiede der situativen Kontexte in denen gelernt wird, muss das Bildungswesen eine große Vielfalt an Wegen anbieten, denen Literatur die Menschen beim Lernen folgen können. Die neuen Medien erweitern die Bandbreite dieser KAISER, Arnim (1985): Sinn und Situation. Wege ganz erheblich. Bildungsarbeit sollte diese Grundlinien einer Didaktik der Erwachsenen- Möglichkeiten nutzen, dabei aber nicht bildung. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt übersehen, welche Potenziale auch die KLAFKI, Wolfgang (1991): Neue Studien zur “traditionellen” Lernformen wie Kurs und Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim und Seminar bieten. Personal oder medial, das ist Basel: Beltz nicht die Frage, vielmehr geht es darum, alle Möglichkeiten zu lernen sinnvoll zu nutzen. Im MÜLLER, Ulrich (1998): Professionalisierung Konzert der Lernformen werden dabei präsenz- der beruflichen Weiterbildung durch pädagogi- orientierte Phasen dann ihre besonderen Stärken sche Qualifizierung der Mitarbeiter. Bildungs- entfalten können, wenn sie theoretische und konzeptionelle Grundlagen. - die Chance zur personalen Begegnung Habilitationsschrift, Kath. Uni Eichstätt 1998. entfalten durch den bewussten und wohl- überlegten Einsatz der ganzen Vielfalt ge- MÜLLER, Ulrich /PAPENKORT, Ulrich sprächsorientierter Methoden der Er- (1998): Methoden der Weiterbildung – ein sys- wachsenenbildung, tematischer Überblick. In: Grundlagen der Wei- - Ausgleich bieten zur überwiegend sitzen- terbildung – Praxishilfen, Loseblattsammlung, den Tätigkeit am Schreibtisch, vor dem Systemstelle 7.40.11, Neuwied: Luchterhand Bildschirm, in Lehrsälen: bewegtes Ler- nen, bewegte Pausen ..., VAILL, Peter B (1998): Lernen als Lebensform. Ein Manifest wider die Hüter der richtigen Ant- - Phasen “ganzheitliches Lernens” ermögli- worten. Stuttgart: Klett-Cotta chen, das tatsächlich alle Sinne anspricht, z. B. Naturerfahrung, erlebnispädagogi- VON HENTIG, Hartmut (1996): Bildung. Ein sche Methoden, Essay. München: Hanser - Ein „Lernen an der Wirklichkeit“ möglich machen, z. B. durch Methoden wie Er- kundung, Demonstration, Experimente oder Projekte, - „übendes“ Lernen ermöglichen durch die Erprobung von Verhaltensalternativen, z. B. in Rollenspielen und verwandten Me- thoden, - spielerische Elemente einbeziehen, - zu selbstorganisiertem Lernen hinführen und dabei Gelegenheit zur Entwicklung 6
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