Manchmal bin ich auf eine merkwürdige Art kognitiv zu langsam
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INTERVIEW
Manchmal
bin ich auf eine
merkwürdige
Art kognitiv zu
langsam
8 PERSÖNLICHE FRAGEN AN JAN WEILER
Der Bestsellerautor über An�üge von Begri÷sstutzigkeit, die Vorzüge
guten Benehmens, die angespannte Beziehung zu seinem Bauch –
und warum ihn nicht nur auf Lesereisen die Einsamkeit begleitet
PSYCHOLOGIE BRINGT DICH WEITER Nov/Dez 2020 35
INTERVIEW
„Seit meiner Kindheit
begleitet mich eine gewisse
1 Worüber wundern Sie sich?
Dass mein Schraubenschlüssel
Einsamkeit – egal, mit
weg ist! Ich war bis gestern im Urlaub
im italienischen Umbrien. Vor der
wem ich zusammen bin“
Abfahrt habe ich meine Autobatterie
ausgebaut, die neue eingesetzt, alles
gecheckt – und als ich die Schrauben
festdrehen wollte, habe ich den
Schraubenschlüssel nicht mehr wieder-
gefunden. Ich hatte ihn irgendwo ab-
gelegt. Aber wo? Das kann ja nur im
4 Wofür
Umkreis von einem Meter um das
Auto herum gewesen sein. Ich dachte, se, bin ich extrem verbindlich. Für schämen Sie sich
ich werde verrückt, und habe das denjenigen tue ich alles, dem verzeihe am meisten?
Ding mit fatalistischem Ehrgeiz ge- ich alles. Selbst wenn ein Freund et- Das eine ist meine Begriffsstutzigkeit.
sucht. Aber dieser Schraubenschlüssel was Hässliches machen würde, würde Ich bin ja kein Dummkopf, aber
hat sich einfach entmaterialisiert. ich für ihn einstehen. manchmal auf eine merkwürdige Art
2 WoHause?
Wenn ich mich committe, erwarte ich kognitiv zu langsam. Ich schnalle
fühlen Sie sich zu das von anderen auch. Aber ich prüfe manchmal Dinge nicht, gehe deshalb
so intensiv, dass ich nicht enttäuscht nicht richtig auf Menschen und Situa-
Das klingt ein bisschen pathetisch, werde. Ich habe es noch nie erlebt, dass tionen ein. Als Jugendlicher habe
aber: Wo Menschen sind, die mir lieb ich in einer Situation gewesen wäre, ich auch nie begriffen, wenn sich ein
sind. In meinem Elternhaus in Düs- einen Freund zu brauchen, und derje- Mädchen für mich interessiert.
seldorf fühle ich mich immer noch zu nige sagt: Das ist natürlich schwierig, Ich bin außerdem sehr eingefahren
Hause, da checke ich ein und bin aber du, ich melde mich bald mal bei in Konventionen. Meine Frau und
sofort angekommen. dir, ich habe gerade die Kartoffeln auf ich leben seit anderthalb Jahren in ge-
Daheim fühle ich mich auch in meiner dem Herd stehen. trennten Wohnungen. Als mich vor
3 Was
Wohnung in München oder in Italien. vier Monaten plötzlich die Lust auf
Auf Lesereise an einem regnerischen ist Ihre schönste eine Zigarette überkam, bin ich zum
Mittwoch in Itzehoe kann man schon Kindheitserinnerung? Rauchen auf den Balkon gegangen.
das arme Tier kriegen so alleine, wenn Ganz intensive, warme Erinnerungen Bis ich festgestellt habe: Das ist doch
da niemand ist, der einem Zuspruch habe ich an die Familienurlaube meine Wohnung! Wenn ich will,
bietet. Für Groupies bin ich der fal- auf Sylt. Um zum Strand zu kommen, kann ich drinnen rauchen. Ich könnte
sche Adressat. Dafür war ich nie emp- musste man mit dem ganzen Geras- sogar im Bett rauchen oder auf dem
fänglich. Da bin ich null spontan. sel über Holzplanken laufen. Das Klo. Das war für mich eine kleine Re-
Eine Vertrautheit zu anderen Menschen waren vielleicht 300 Meter, aber mir volution, darauf war ich sehr stolz.
aufzubauen ist für mich sehr schwie- schien es wie ein großes Abenteuer. Wenn ich ein Verhalten eingeübt habe,
rig. Ich brauche lange, bis ich jemanden Der Strandhafer kam mir vor wie eine behalte ich das bei, obwohl ich das
einen Freund nenne. Es kommt Wüste. Ich habe sogar noch den gar nicht muss. Nachts mache ich das
vielleicht alle zehn, zwölf Jahre mal Geruch von dem Teer in der Nase, mit Licht nicht an und gehe ganz leise,
jemand dazu. dem die Planken bestrichen waren. um niemanden zu stören. Mein Sohn
Ich habe Männer- und Frauenfreund- Und dieses Sommerlicht! Meine beiden hat sein Zimmer am anderen Ende
schaften. Da mache ich keine Unter- Brüder und ich – ich bin der mittlere – der Wohnung, ich könnte also alle
schiede. Freund ist Freund – da bin ich haben Sandburgen gebaut und waren Lichter anmachen und in Springerstie-
durchgegendert. Freundschaft ist für anschließend mit Sand paniert. feln durch die Wohnung stampfen.
mich ein hohes Gut. Wenn ich jeman-
den in mein Herz und meine Seele las-
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INTERVIEW
„Ich war immer sehr Ingo die Rolltreppe im Berliner KaDe-
We runtergefahren, da haben wir rum-
vorausgesetzt, ich kann die Tür auf-
machen und dann sind da alle.
schüchtern, eher gehampelt, uns mit den Armen auf
dem Handlauf abgestützt. Plötzlich
Schwierig ist es, wenn dann wirklich
niemand da ist.
ein Beobachter, nicht
machte es Peng! – da war das Gummi Auf Lesereise ist man wahnsinnig viel
über dem Handlauf aus der Führung mit sich alleine; ich musste lernen,
gesprungen. Die Rolltreppe hat abrupt damit umzugehen. Beim Soundcheck
so der Tätertyp“ angehalten, und wir sind schnell
verduftet. Aber das war ein Versehen.
auf der Bühne stelle ich manchmal
fest: Das sind jetzt die ersten Sätze,
Was ich als Jugendsünde empfinde: die ich an dem Tag sage. Auch wenn
nicht eingesehen zu haben, dass das viele Menschen um einen herum sind
Erlernen von Fremdsprachen ein Ge- – die Theaterbetreiber, der Veranstal-
schenk der Gesellschaft ist. Mit 14 ter, Taxifahrer, Leute im Hotel, das
fand ich Französisch doof. Ich habe Publikum bei den Lesungen und Sig-
mich geweigert, im Unterricht mitzu- nierstunden: Man ist auf sich selbst
machen, und mir geschworen, nie zurückgeworfen. Das ist eine gute
nach Frankreich zu fahren. Ich kann Übung, dann kann man das im Priva-
Ich nehme oft zu viel Rücksicht. Wenn Mich vorne an die Bühne zu stellen ob ich noch dieses Dessert bestelle gut Englisch, aber jeder kann gut Eng- ten auch aushalten. mir zu Hause nicht machen würde,
ich etwas Leckeres einkaufe, esse ich war mir wegen des Körperlichen im- oder jenes Glas Wein trinke oder nicht. lisch. Je mehr Sprachen man spricht, Ein Beispiel: Ich gehe regelmäßig mit weil es mir zu aufwendig ist. Das führ-
das nicht, weil ich denke, jemand an- mer peinlich. Das ist übrigens auch Also muss ich mit den Konsequenzen desto besser versteht man die Welt, meinem Freund zusammen ins Fuß- te dazu, dass ich im Hotel acht Pfann-
ders will das haben. Dabei macht sich der Grund, warum ich trotz einer be- leben. Ich kann nicht auf der einen das erweitert den Horizont. Das sehe ballstadion. Wenn der spontan absagt, kuchen mit Nutella gegessen habe.
mein Sohn im Zweifelsfall gar nichts ginnenden Karriere im Schultheater Seite mit meinem Bauch hadern und ich als verpasste Gelegenheit an. rufe ich samstags fünf, sechs Leute Oder ich habe mir vorgenommen, wenn
daraus. nicht Schauspieler geworden bin. Mit auf der anderen Seite dreimal Mousse Ich war überhaupt kein Streber, bin an, ob sie Bock haben, mitzukommen. das Frühstück 28 Euro kostete, ich
Die zweite Sache, für die ich mich 18 habe ich mit meiner Freundin in au Chocolat bestellen. Wobei: Kann sogar sitzengeblieben, weil ich an Manche antworten nicht, weil sie aber eigentlich nur Kaffee und Käse-
schäme, fällt in den Bereich Bodysha- Düsseldorf im Schauspielhaus Die ich offensichtlich doch … anderen Dingen interessiert war. Ich wandern sind oder gerade einkaufen. brötchen wollte, Käse im Gegen-
5 Was
ming. Ich habe ein Problem mit mei- Perser von Aischylos gesehen. Da flitz- habe mir als Teenager die Haare ge- Dann zwinge ich mich, alleine ins wert von 20 Euro zu mir zu nehmen.
ist der größte Gegensatz
8 Welche
nem Bauch. Total albern! Am Ende ten lauter Nackte über die Bühne und färbt und hatte – außerhalb des Klas- Stadion zu gehen, mit guter Laune und
empfinde ich nicht meinen Bauch als bewarfen sich mit Farbbeuteln, wäh- in Ihnen? senzimmers – wahnsinnig viel Spaß. positiven Gedanken – und ohne das Note geben Sie Ihrem
Äußeren?
7 Was
allergrößten Makel, sondern meinen rend sie antike Verse deklamierten. Ich Auf der einen Seite bin ich unglaublich Gefühl, verlassen worden zu sein.
Umgang damit. musste mir eingestehen: Zu dieser Ent- liberal und halte mich für einen tole- ist Ihr größter Wenn Bands auf Tournee sind, reisen Eine 2-. Ich habe hohe ästhetische An-
Wenn man öffentlich auftritt, muss äußerung bist du überhaupt nicht in ranten Menschen: Ich bin sehr dafür, Schmerz? sie wie eine Familie gemeinsam in sprüche an mich selbst und meine Um-
man sich irgendwie mit seinem Körper der Lage, aber als Schauspieler musst dass jeder so leben kann, wie er möch- Das beständige Gefühl, am Ende doch einem Bus. Ich sitze im Zug und muss gebung. Ich würde niemals ¾-Hosen
arrangieren. Ich sitze bei Lesungen an du so was bringen. te. Und auf der anderen Seite bin ich alleine zu sein. Seit meiner Kindheit alles mit mir selber ausmachen. oder Sandalen tragen – barfuß herum-
einem schwarz verhängten Tisch, trage Deshalb habe ich auch Angebote ab- unheimlich wertkonservativ und mag begleitet mich eine gewisse Einsamkeit Man wird auch schrullig dadurch. Ich zulaufen ist hingegen etwas Schönes.
ein schwarzes Hemd. Man sieht prak- gelehnt, ein Comedy-Programm zu gutes Benehmen. Wenn Leute sehr an- – egal, in welchen Lebenszusammen- frühstücke nicht mehr, weil ich Inter- Seit ein paar Jahren neige ich dazu,
tisch nur meinen Kopf, damit fühle ich machen. Denn dabei muss man über ständig sind und höflich, nimmt mich hängen ich bin, mit wem ich zusammen vallfasten mache. Aber ich schaue mir so komische drahtige, dicke Haare in
mich gut. Ich mag es nicht, wenn man die Bühne laufen und setzt sich den das extrem für sie ein. Ich kann es bin. Ich habe das auch in Gesellschaft: im Hotel trotzdem immer das Früh- den Ohren zu bekommen, die mir
mir von der zweiten Reihe aus zwi- Blicken aus. Wenn man im Publikum nicht ausstehen, wenn jemand schlech- als würde ich nicht dazugehören. In- stücksbüfett an und empfinde eine übrigens morgen um 12 Uhr von der
schen die Beine gucken kann. Außer- sitzt, kann man gar nicht verhindern, te Umgangsformen hat. Da kann ich klusive des seltsamen Gefühls, dass gewisse Genugtuung, das alles nicht Friseurin entfernt werden. Wenn ich
dem bewege ich den unteren Teil sich Gedanken zu machen wie: Finde sehr streng werden. mich keiner hört, wenn ich etwas sage. gegessen zu haben. Früher habe ich nichts dagegen unternehmen würde,
6 Was
meines Körpers Joe-Cocker-mäßig so ich die Dame da oben attraktiv? Ich bin an und für sich gern für mich – dazu geneigt, all das zu essen, was ich würden mir wahrscheinlich die Ohren
viel. Und was ich mit dem Tuch vor Meinen Bauch finde ich definitiv nicht ist Ihre größte Jugend- zuwachsen.
sünde?
Text: Ulrike Bremm // Fotos: Thomas Leidig
dem Tisch auch verhülle: den Bauch! attraktiv, da sehe ich Verbesserungs- Ich will mich nicht anpreisen, aber
Es gibt immer zwei Momente, in de- potenzial. Aber den kriege ich nicht An Jugendsünden habe ich nicht ich habe durchaus auch körperliche
nen ich mich auf der Bühne unwohl mehr weg. Ich gehe zum Sport und er- wahnsinnig viel zu bekennen, aber die Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, besuchte die Deutsche Jour- Vorzüge: Ich habe richtig schöne
fühle: wenn ich an den Tisch gehe und nähre mich eigentlich ganz gut. Aber kleinen erfordern Bekennermut, denn nalistenschule und arbeitete lange als Chefredakteur des Süddeutsche Füße, schöne Hände, und ich denke,
beim Verbeugen. In den ersten Jahren um meine Figur auf Unterwäschemo- es sind verhältnismäßig langweilige. Zeitung Magazin. Seit 2005 ist er freier Schriftsteller, verfasst vor ich habe ein okayes Gesicht, da bin
bin ich deshalb einfach von der Bühne del zu bringen, müsste ich wahnsinnig Ich war sehr schüchtern, immer eher allem Romane, Kolumnen, Hörspiele und Drehbücher. Sein erstes Buch ich irgendwie ganz zufrieden.
abgegangen, aber das empfinden die asketisch leben. Ich möchte aber nicht ein Beobachter, nicht so ein Tätertyp. Maria, ihm schmeckt’s nicht! gehört zu den erfolgreichsten Büchern Worauf ich echt stolz bin: Ich habe
Leute als unhöflich. mein Leben lang darüber nachdenken, Einmal bin ich mit meinem Freund der vergangenen Jahrzehnte. 2014 erschien Das Pubertier, gerade sein zum Beispiel überhaupt keine Krampf-
Klar habe ich gerne Applaus, aber ich 19. Buch Die Ältern (Piper). Er lebt in München und Umbrien. adern – das finde ich schon einen
konnte den lange nicht genießen. starken Wettbewerbsvorteil. //
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