Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs

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Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs
REVIER BODENSEE | RESTAURATION                                                                                                             RESTAURATION | REVIER BODENSEE

                                                                                               Mariquita, der
                                                                                               Glückskäfer

                                                                                                  Schärenkreuzer segeln vor dem Kap der Guten Hoffnung?
                                                                                                  Im Atlantik, der erst in der Antarktis wieder auf eine Küste
                                                                                                  trifft? Ein frisch restaurierter 30er kann davon berichten.
                                                                                                  Auch wie ihm die Liebe einer Frau das Leben gerettet hat.

                                                                                                                                            Von Anette Bengelsdorf

                                 Obwohl für den Einsatz auf offener See gebaut, ist der
                                 Schärenkreuzer eine elegante Erscheinung. Bild: Bengelsdorf

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Als in den 50er-Jahren das Interesse an den
Schärenkreuzern in Schweden erlahmte, da
sich Segler anderen, seetüchtigeren Klassen
zuwandten und Segler in Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg existentiellere Sor-
gen hatten als teure Holzboote zu bauen,
verlagerte sich die 30er-Szene nach Südaf-
rika. 15 Jahre lang blieb das Land am ande-
ren Ende der Welt die Hochburg der Klasse.
Alle großen Designer dieser Zeit hatten
zumindest eine Yacht, die vor Südafrika
segelte. Bei Knud Reimers waren es gleich
mehrere. Harry Becker war mit zwei Exem-
plaren vertreten darunter die legendäre
„Rapid“ mit 14,60 Metern der längste je-
mals gebaute 30er-Schärenkreuzer. Arvid
Laurin war der Rechenkünstler unter den
Designern, dem es immer gelang bis an die
Grenzen der Klassenvorschrift zu zeichnen,
um sich an das maximale Geschwindigkeits-
potenzial heranzutasten. „Mariquita“, zu
Deutsch „Marienkäfer“, stammt aus seiner
Feder. Sie war die einzige Yacht, die für einen
südafrikanischen Eigner gezeichnet wurde
und bekam deshalb die Segelnummer SA 1.                                                                                              Mit diesem Mast sollte man besser nicht mehr segeln – das untere Ende war komplett verfault.   Bild: Privat   Nächste Katastrophe: Unter den Spanten waren die
Der reiche Geschäftsmann und her-                    Beinahe alle Spanten sind delaminiert und gebrochen.          Bild: Privat                                                                                                                 Planken faul.                           Bild: Privat

Noch in der alten Heimat Kapstadt: Von weitem wirkt die Yacht intakt.                                          Bild: Trevor Wilkin   Stefanie und Michael Baumann freuen sich, dass ihr Schmuckstück wieder wasserdicht ist.                                                         Bild: Bengelsdorf

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vorragende 30er-Segler Wilfrid Hancock,                                                                                                                   nem Kiel zu segeln. Nach vier, fünf Tagen auf   verspottet – und offensichtlich ungenutzt         Doch schnell folgte auf Freude Ernüchte-
so erzählt die Legende, war so begeistert                                                                                                                 halbem Weg in Port Elizabeth gaben sie auf      im Hafen von Kapstadt lag. Über Michaels          rung.
von Laurins Yacht „Trickson II“, die erfolg-                                                                                                              und verluden die Erik-Nielsson-Konstruktion     Kaufangebot musste Mike Daly lachen. Viel         „Du Papa“, rief sein Sohn, als sie zum ers-
reich vor Kapstadt gesegelt wurde, dass                                                                                                                   auf einen Frachter. Die Crew hatte keine Lust   zu gering schien ihm damals der angebo-           ten Mal auf dem Attersee mit „Mariquita“
er seinen neuen 30er bei dem Schweden                                                                                                                     mehr zu pumpen.                                 tene Preis.                                       segeln waren, „da unten kann ich Fische
in Auftrag gab. Im Jahr 1958 nietete die                                                                                                                  Zwischen 1959 und 1966 kämpften vor             Baumanns verließen Südafrika und lie-             sehen“! Ungeachtet der Löcher in den Plan-
„Kungsörs Båtvarv“ in Schweden Planken                                                                                                                    allem „Rapid“ und „Mariquita“ um den rie-       ßen sich in Österreich nieder. Ein Kurs zum       ken, die sie mit Gewebeband zugeklebt
aus Honduras-Mahagoni auf gedämpfte Ei-                                                                                                                   sigen silbernen Pokal. Dreimal ging er an       Thema Restauration von historischen Yach-         hatten, gebrochenen Spanten und einem
chenspanten und gaben dem 12,40 Meter                                                                                                                     „Rapid“, fünfmal konnte ihn Hancock mit         ten, an dem sie bei Jochen Landolt, damals        „Verband“ um den unteren Teil des Masts,
langen Zahnstocher ein Deck aus Douglasie.                                                                                                                „Mariquita“ erobern. So erfolgreich war kein    Inhaber der Michelsen Werft in Friedrichs-        hatten sie die Yacht eingewassert, der gan-
Alles erstklassige, gut abgelegene Hölzer, ge-                                                                                                            anderer Schärenkreuzer gesegelt worden.         hafen, teilnahmen, weckte bei den beiden          zen Familie Schwimmwesten verpasst und
macht für extreme Witterungsbedingungen.                                                                                                                  Dann wurde sie verkauft und konnte, ob-         schmerzhafte Erinnerungen an die schöne           sich bei lauen Winden der eingeschränkten
                                                                                                                                                          wohl sie noch bis zum letzten Lipton Cup        „Mariquita“, die noch immer in Kapstadt im        Schwimmfähigkeit ihrer Yacht anvertraut.
Der Scherbenhaufen von Port Elizabeth                                                                                                                     segelte – der wurde 1973 zum letzten Mal        Hafen lag und ohne Schlafanzug weiter ver-        Nur ein einziges Mal, so zum Abschied, woll-
Bis zu zwölf 30er starteten beim jährlichen                                                                                                               mit dieser Klasse ausgetragen – nie mehr an     gammelte.                                         ten sie mit ihrer großen Liebe segeln gehen.
Lipton Cup, der von 1953 bis 1973 in dieser                                                                                                               ihre alten Erfolge anknüpfen. Sie endete in     Noch aus der Werft rief Michael wieder            Danach wollte sie Michael zersägen, das Blei
Klasse ausgetragen wurde. Den Cup hatte                                                                                                                   Richards Bay im Zululand Yachtclub, wo sie      Mike Daly an. Der hatte seine Meinung in-         verkaufen und die Affäre ein für alle Mal zu
Sir Thomas Lipton, Teefabrikant und Sham-                                                                                                                 beinahe 20 Jahre, angeblich zum Hausboot        zwischen geändert und war bereit den 30er         den Akten legen.
rock-Segler beim America’s Cup, 1909 dem                                                                                                                  umgebaut, vor sich hindämmerte. Mike Daly       abzugeben. Ein Freund mit Bootsverstand
Table Bay Yacht Club in Kapstadt gestiftet.      „Mariquitas“ Messbrief von 1958         Bild: Privat                                                     nahm sich 1990 ihrer an und ließ die schwer     schaute sich „Mariquita“ an, machte Fotos         Ein neues Leben am Bodensee
Er wurde im warmen Indischen Ozean vor                                                                                                                    heruntergekommene Yacht 1995 restaurie-         und riet Michael dringend von dem Unter-          Er hatte die Rechnung aber ohne seine
Durban und Port Elizabeth sowie im kalten        Heimatrevier des Vorjahressiegers. Als                 Campbell, offizieller Vermesser und späterer      ren.                                            fangen ab. Michael sagt: „Wir waren davon         Frau gemacht. Beim Freundeskreis Klassi-
Atlantik vor Kapstadt ausgetragen. In der        Decksfracht wurden die Yachten rund ums                Eigner von „Hjalmaren“ – ihr erster hatte sie                                                     überzeugt, mit einem Kübel Farbe könne            scher Yachten, an den sie sich hilfesuchend
ruhigsten Jahreszeit, dem Herbst der Süd-        Kap der Guten Hoffnung von einem Ort                   nach der Sturmfahrt für ein Zehntel des ur-       Liebe macht blind                               man „Mariquita“ zu alter Schönheit verhel-        wandte, fand sie Trost. Jochen Landolt wurde
halbkugel.                                       zum anderen verschifft. Für drei bis vier              sprünglichen Preises verkauft – auf die Idee      2005 zogen Stefanie und Michael Baumann         fen“.                                             informiert, er rief an und sagte: „Lass die
Tatsächlich fanden in 70 Prozent der Fälle       Wochen mussten deshalb ihre Eigner aufs                mit zwei Mann Besatzung die etwa 1500 Ki-         nach Kapstadt. Michael war dort Geschäfts-                                                        Säge weg, die Yacht hat eine Geschichte“.
die Wettfahrten bei weniger als zehn Kno-        Segeln verzichten. Das brachte Hamish                  lometer von Durban nach Kapstadt auf eige-        führer von MTU Südafrika. Schnell bekamen       Michael wollte sie zersägen                       Der Fachmann für klassische Yachten reiste
ten statt. Die restlichen 30 Prozent hatten                                                                                                               die beiden Segelflieger Lust aufs Segeln,       Für 5000 Euro ließ er im Mai 2013 die Yacht       an und machte die Restauration zu einem
es allerdings in sich. In böigem Wind bis                                                                                                                 fuhren eine Weile auf einer 60-Fuß-Yacht        in Plastikfolie gewickelt und auf einen Win-      Lehrlingsprojekt.
zu acht Beaufort schlugen sich die Yachten                                                                                                                mit und beschlossen, einen Segelkurs zu         terlagerbock geschnallt von Kapstadt nach         Sieben Jahre oder 3500 Stunden später
mit zerfetzten Segeln und Winschen, die                                                                                                                   machen. Dann traten sie in den Royal Cape       Hamburg verschiffen und fuhr sie auf einem        schwamm „Mariquita“ im August vergan-
mehr unter als über Wasser waren, angeb-                                                                                                                  Yacht Club (RCYC) ein. Sie segelten und kauf-   gemieteten Autoanhänger nach Öster-               genen Jahres wieder im Attersee. „Drei oder
lich prächtig. Als „Scherbenhaufen von Port                                                                                                               ten „Zeeslang“, auch sie, eine hölzerne, sehr   reich.                                            vier Teile sind noch original“, sagt Michael
Elizabeth“ ging der Lipton Cup im Jahr 1958                                                                                                               eigenwillige Yacht.                             Pünktlich zu Stefanies Geburtstag kam sie an      schmunzelnd. Alle Spanten waren delami-
in die Annalen ein. Wilfrid Hancock segelte                                                                                                               Stefanie aber war in die eleganten, schlan-     und Michael machte sie ihr zum Geschenk.          niert oder gebrochen, unter ihnen die Plan-
damals noch Knud Reimers „Sunmaid“ von                                                                                                                    ken Linien von „Mariquita“ verliebt, die un-    Sie sei das größte Päckchen gewesen, das sie      ken verfault, das Unterwasserschiff hatte
1938. Mit zwei gerollten Reffs im Groß und                                                                                                                abgedeckt – Persenninge wurden als Pyjama       jemals ausgepackt hat, sagt Stefanie.             einen anderen Aggregatzustand angenom-
einer schweren Sturmfock kämpfte er gegen                                                                                                                                                                                                                   men und hatte sich zu Torfmull zersetzt. Ent-
Böen aus Südwest, die, so wird berichtet,                                                                                                                                                                                                                   gegen erster Sparmaßnahmen wurde nicht,
innerhalb von zehn Minuten zwischen null                                                                                                                                                                                                                    wo noch möglich, gestäbelt und lackiert,
und 60 Knoten schwankten. So sparsam                                                                                                                                                                                                                        sondern edel und neu mit Mahagoni ge-
besegelt riss es ihm die Püttinge der Wan-                                                                                                                                                                                                                  plankt, die Idee eines billigen Sperrholzdecks
ten inklusive Stahlspanten aus den Planken.                                                                                                                                                                                                                 zugunsten eines Teakdecks verworfen. Auch
Die Löcher, in denen zuvor die Nieten saßen,                                                                                                                                                                                                                der Mast war nicht zu retten. Unter dem Ver-
dichtete die Crew während der Fahrt mit Iso-                                                                                                                                                                                                                band kamen faustgroße, faule Löcher hervor,
lierband ab. Hancock und seine „Sunmaid“                                                                                                                                                                                                                    Schrauben konnte man mit den bloßen Fin-
wurden Erste, während „Hjalmaren“, damals                                                                                                                                                                                                                   gern aus dem Holz ziehen.
noch mit ihrem ersten Eigner am Ruder, vor                                                                                                                                                                                                                  Das Ergebnis des Langzeitprojekts kann
Top und Takel – die Baumwollsegel waren                                                                                                                                                                                                                     sich sehen lassen. Heute liegt „Mariquita“
in Fetzen gegangen – Richtung Madagaskar                                                                                                                                                                                                                    als Schmuckstück mit Pyjama im Hafen des
raste. Schneller als der Hafenschlepper von                                                                                                                                                                                                                 Württembergischen Yachtclubs in Fried-
Port Elizabeth.                                                                                                                                                                                                                                             richshafen. Zu erkennen ist sie an den bei-
                                                                                                                                                                                                                                                            den Clubstandern unter der Backbordsaling
„Mariquita“ war die erfolgreichste Yacht                                                                                                                                                                                                                    ihres neuen Masts. Neben dem des UYCAs
Ausgetragen wurde die Regatta immer im           Auch innen glänzt Mariquita nach der Restauration in schwedischem Design.                 Bild: Privat   Die Yacht wird in Südafrika verladen                                               Bild: Privat   flattert der des RCYC im Wind. 

34   IBN | 6 | 2021                                                                                                                                                                                                                                                                     IBN | 6 | 2021   35
Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs Mariquita, der Glückskäfer - UYCAs
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