Markt & Meinung Meine Prognosen für 2023 - Postbank

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Markt & Meinung Meine Prognosen für 2023 - Postbank
Markt & Meinung
Märkte und Anlagen im Fokus | 12.12.2022

Meine Prognosen für 2023
Von Dr. Ulrich Stephan, Chefanlagestratege Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank
Markt & Meinung Meine Prognosen für 2023 - Postbank
Markt & Meinung | 12.12.2022    2

Meine Prognosen für 2023
−          Inflation: gekommen, um zu bleiben
−          Aktien: alles teuer außer Aktien
−          Portfolio: wer plant, gewinnt

Zwischen Rezession und Resilienz: Anleger sollten sich im             Anleihen dürften die Renditeanstiege und damit die ho-
neuen Jahr auf weiterhin schwankungsanfällige Kapital-                hen Kursverluste im Jahresverlauf ihr Ende finden: in den
märkte einstellen. Günstig bewertete Aktien vor allem aus             USA etwas früher als in Europa. Voraussetzung dafür ist
Europa könnten dabei eine interessante Investmentoption               allerdings, dass keine größeren Leitzinsschritte als ohne-
in einem aktiv gemanagten, breit aufgestellten Portfolio              hin erwartet nötig werden, um die Inflation einzudäm-
darstellen.                                                           men. Davon wären neben den Anleihe- auch die Aktien-
Von Dr. Ulrich Stephan, Chefanlagestratege Privat- und Firmenkunden   märkte und hier vor allem Technologiewerte negativ
der Deutschen Bank                                                    betroffen.

                                                                      Insgesamt erscheinen Aktien aufgrund niedriger Bewer-
Für Wirtschaft und Kapitalmärkte war 2022 bislang kein                tungen bei stabilen Unternehmensgewinnen für das Jahr
gutes Jahr. Angesichts des Russland-Ukraine-Kriegs, ho-               2023 als eine interessante Anlageoption. Vor allem auch
her Energiepreise und Inflationsraten, der anhaltenden                deshalb, weil sie – anders als Anleihen – in inflationären
Corona-Pandemie und Chinas strauchelndem Immobilien-                  Phasen ihre nominalen Gewinne steigern können. Im Fo-
markt gerieten wichtige Konjunkturdaten sowie die Kurse               kus könnten dabei europäische Märkte stehen, die nicht
von Aktien phasenweise zum Teil deutlich unter Druck. An              nur besonders günstig bewertet sind, sondern aufgrund
den Rentenmärkten kam es zu einem Ausverkauf.                         ihrer internationalen Ausrichtung auch überproportional
                                                                      von der erwarteten konjunkturellen Erholung in China
Hinsichtlich der globalen Wachstumsdynamik dürfte sich                profitieren dürften. Themen wie künstliche Intelligenz,
der negative Trend zumindest zum Jahresanfang 2023                    Elektromobilität, erneuerbare Energien oder Cybersicher-
fortsetzen. Insgesamt blicke ich dennoch verhalten opti-              heit sollten weiter auf der langfristigen Agenda von Anle-
mistisch auf das kommende Jahr. Denn die wahrschein-                  gern stehen.
liche Rezession in den USA und Europa dürfte vergleichs-
weise moderat ausfallen. Die Inflationsraten könnten ihre             Aus Portfoliosicht könnte innerhalb einer breiten Diversifi-
Höchststände bereits überschritten haben (USA) bezie-                 kation eine ESG-Strategie, also die explizite Berücksichti-
hungsweise zeitnah erreichen (Europa), was den Noten-                 gung von Investments mit Fokus auf Umwelt-, Sozial- und
banken etwa ab Sommer den notwendigen Spielraum                       Governance-Aspekte, eine gute Möglichkeit sein, das Risi-
geben würde, auf weitere konjunkturdämpfende Leitzins-                ko-Rendite-Verhältnis zu verbessern. Sie kann darüber hi-
anhebungen zu verzichten. Hinzu kommen umfangreiche                   naus das Risiko von „Stranded Assets“ verringern, also
fiskalische Maßnahmen, die weltweit positive konjunktu-               von Investments in Sektoren oder Unternehmen, deren
relle Impulse geben dürften. Dynamisch wachsende                      Vermögenswerte aufgrund regulatorischer Beschränkun-
Volkswirtschaften sollten sich vor allem in Asien finden,             gen oder einer Umstellung auf neue Technologien deut-
mit Indien und China an der Spitze. Ich rechne für die                lich zurückgehen. Auch Anleihen bleiben 2023 Bestandteil
Weltwirtschaft nach einem Wachstumsplus von 3,2 Pro-                  eines ausgewogenen Depots. Entscheidend dabei ist je-
zent im Jahr 2022 mit einem Zuwachs von 2,8 Prozent im                doch, dass das Rentenportfolio – ebenso wie das Aktien-
kommenden Jahr.                                                       portfolio – aktiv gemanagt wird.

An den Kapitalmärkten könnte die expansive Fiskalpolitik              1. Politik: die Vereinigten Staaten von Europa
vieler Regierungen durch eine Stabilisierung der Nachfra-             Die Vereinigten Staaten von Amerika sind die globale Su-
ge zu einer gewissen Beruhigung führen. Hinzu kommt,                  permacht – mit China als ihrem mittlerweile größten Kon-
dass eine anhaltend restriktive Geldpolitik zum großen Teil           kurrenten. Dazwischen versucht Europa, sich als dritte
bereits in den Kursen berücksichtigt zu sein scheint und              Kraft zu etablieren. Das ist teilweise gelungen. Doch um
daher zu keinen neuen Verwerfungen führen sollte. Bei                 auf Augenhöhe mit den USA und China zu agie-           >>
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ren, bedarf es weiterer Anstrengungen, vor allem mit Blick                             samtjahr. Höher dürfte die konjunkturelle Dynamik in In-
auf die Integration innerhalb der Europäischen Union (EU)                              dien und China mit Wachstumsraten zwischen 5 und 6
– einer Art „Vereinigte Staaten von Europa“. In der Ver-                               Prozent ausfallen. Während kurzfristige konjunkturelle
gangenheit waren es immer wieder Krisen, auf die Europa                                Entwicklungen durch fiskal- oder geldpolitische Maßnah-
mit einem engeren Zusammenschluss reagiert hat. Heute                                  men beeinflusst werden können, wird das langfristige
steht der Kontinent wieder vor großen Herausforde-                                     Wachstumspotenzial hauptsächlich durch technologische
rungen, etwa im Kampf gegen den Klimawandel oder im                                    Produktivitätssteigerungen getrieben. Vor allem in den
Umgang mit dem Russland-Ukraine-Krieg. Und wieder                                      Industrieländern liegt der Fokus dabei auf Technologien
scheint es, als würde Europa dadurch in eine tiefere Inte-                             wie Cloud-Diensten oder künstlicher Intelligenz, die er-
grationsphase eintreten. Dafür stehen beispielhaft der Eu-                             schwinglich geworden sind und ohne deren Einsatz Unter-
ropean Green Deal, das Transmission Protection Instru-                                 nehmen zunehmend ihre Geschäftsmodelle gefährden
ment oder ganz aktuell die Diskussionen um eine                                        würden – Stichwort Facharbeitermangel. Wie sich die
europäische Energieunion und eine engere militärische                                  Wirtschaft über das Jahr 2023 hinaus entwickelt, hängt
Kooperation der Länder. Für die „Vereinigten Staaten von                               also auch davon ab, wie erfolgreich neue Technologien in
Europa“ bedarf es zwar weiterer Integrationsschritte, wo-                              den Wirtschaftskreislauf integriert werden können. Die
bei einfache Erfolge nicht zu erwarten sind. Doch scheint                              hohen Investitionen in Digitalisierung und die grüne
ein vereinigtes Europa auf dem Weg, seinen Platz in der                                Transformation geben Anlass zur Hoffnung, dass das
Welt zu finden, weiter voranzukommen.                                                  Wachstumspotenzial wieder steigen könnte.

2. Wachstum: Technik macht den Unterschied                                             3. Inflation: gekommen, um zu bleiben
Die Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik dürfte                                   Auch das kommende Jahr dürfte von hohen Teuerungs-
sich zunächst fortsetzen. Insgesamt erwarte ich in der                                 raten geprägt bleiben. Während der Inflationshöhepunkt
Eurozone über den Jahreswechsel hinweg eine milde Re-                                  in den USA bereits überschritten scheint, könnte er in
zession und für das Gesamtjahr 2023 ein Wirtschafts-                                   Deutschland im Februar oder März 2023 erreicht werden.
wachstum von 0,3 Prozent. Hauptrisikofaktor bleibt die                                 Auf Jahressicht 2023 erwarte ich für Deutschland eine
Energiekrise mit einer möglichen Gasmangellage im Win-                                 Teuerung von 7,0 Prozent und für die USA von 4,1 Pro-
ter 2023/2024. Auch in den USA könnte die Wirtschaft,                                  zent. Die Phase erhöhter Inflationsraten dürfte über das
sofern der Trend bei den Teuerungsraten weiter abnimmt                                 Jahr 2023 hinaus anhalten. Inflationsdämpfend könnten
und die Angebotsseite sich normalisiert, im zweiten Halb-                              sich eine abnehmende Rohstoffpreisdynamik, eine Nor-
jahr wieder wachsen, mit dann 0,4 Prozent über das Ge-                                 malisierung der Lieferketten und die Geldpolitik      >>

 Langfristig erhöhte Inflationsraten erwartet
 Entwicklung der Verbraucherpreisindizes in den USA und Deutschland in den 1970er-Jahren und heute.
 Monatliche Werte im Vergleich zum jeweiligen Vorjahreswert.
 14%                                                                        USA 1970er         USA 2020er         Deutschland 1970er          Deutschland 2020er

 12%

 10%

  8%

  6%

  4%

  2%

  0%

 -2%
             1971 /          1972 /            1973             1974            1975             1976             1977            1978                1979
             2021            2022
 Quelle: Refinitiv, Stand: 11. November 2022. Wertentwicklungen in der Vergangenheit und Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige
 Wertentwicklungen.
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der Notenbanken auswirken. Risiken für eine höher als er-     schen der US-Notenbank bei den Leitzinsanhebungen –
wartete Inflation sind ein zu frühes Abweichen der Zen-       und in der beherrschenden Funktion des US-Dollar als
tralbanken von ihren restriktiven Maßnahmen, die zum          „sicherer Hafen“. Mit Blick darauf, dass der US-Zinszyklus
Teil expansive Fiskalpolitik und mögliche Zweitrunden-        im Frühjahr 2023 seinen Höhepunkt erreichen, die Euro-
effekte, etwa weil die Energiepreissteigerungen auf ande-     päische Zentralbank aufgrund möglicherweise anhaltend
re Güter durchschlagen. Damit bleibt ein gewisser Grad        hohen Inflationsdrucks die Zinsen dagegen weiter anhe-
an Unsicherheit hinsichtlich eines Überschießens der Infla-   ben könnte, sollte die Renditedifferenz zwischen den USA
tion bestehen.                                                und der Eurozone abschmelzen – und die Dollar-Domi-
                                                              nanz abnehmen. Zudem könnte nach einem schwächeren
4. Renten: auf dem Weg zum Gleichgewicht                      Winterquartal das Wachstum in der Eurozone wieder an-
2022 war für den Anleihemarkt ein bewegtes Jahr: Dyna-        ziehen – nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Erho-
misch steigende Inflationsraten und eine zunehmend re-        lung in China. Zulegen zum US-Dollar dürften auch der
striktive Geldpolitik vieler Notenbanken trieben die Zins-    chinesische Renminbi und der japanische Yen. „Rohstoff-
niveaus deutlich nach oben. Aus meiner Sicht könnte sich      währungen“ etwa aus Brasilien, Chile und Peru könnten
2022 nach dem großen Ausverkauf als Übergangsjahr in          zwischenzeitlich unter Druck geraten – im Zuge der er-
eine Phase erhöhter Stabilität am Anleihemarkt erweisen       warteten weltwirtschaftlichen Erholung dann jedoch wie-
– und 2023 wieder interessantere Anlagemöglichkeiten          der aufwerten. Über (Aufhol-)Potenzial verfügen auch die
bieten. Grundlage für ein neues Gleichgewicht ist die Er-     Währungen weiterer Rohstoffexporteure wie Australien,
wartung, dass es nicht zu einem Inflationsregime mit lang     Kanada oder Norwegen.
anhaltenden, sehr hohen Teuerungsraten wie in den
1970er-Jahren kommt. Wahrscheinlicher dürfte eine Ent-        6. Aktien: alles teuer außer Aktien
wicklung mit mittelhohen Inflationsraten wie in den Jah-      Der Druck auf die Aktienmärkte in diesem Jahr führte auf
ren von 1998 bis 2014 sein. Trotzdem dürften die Wert-        Indexebene zu starken Bewertungsabschlägen. Die Anla-
entwicklungen von Rentenpapieren weiterhin stark              geklasse Aktien erscheint damit aktuell eher günstig
schwanken. Daher könnten sich für Anleger in den kom-         bewertet. Für das Jahr 2023 rechne ich mit realen Unter-
menden Monaten, trotz der inzwischen wieder attraktiv         nehmensgewinnen auf dem Niveau vom Vorjahr. Gewinn-
erscheinenden Verzinsungen in den meisten Rentenbe-           verluste von durchschnittlich 15 Prozent in den USA und
reichen, vor allem liquide Investments und solche mit         30 Prozent in Europa, wie es sie in vorangegangenen Re-
guter Bonität (Investment Grade) aus den USA und Europa       zessionsphasen gegeben hat, sind unter anderem dank
anbieten – Rendite und Qualität schließen sich mittlerwei-    starker Arbeitsmärkte und der erwarteten Wiedereröff-
le nicht mehr aus. Einen näheren Blick wert erscheinen        nung der chinesischen Wirtschaft nicht zu erwarten. Das
etwa Papiere europäischer Banken. Bei Staatsanleihen          sind zwar keine Voraussetzungen für ein „großes“ Aktien-
dürften sich aufgrund der erwarteten Zinsentwicklungen        jahr 2023, insgesamt rechne ich jedoch mit soliden Kurs-
eher US-Papiere anbieten als beispielsweise ihre deut-        gewinnen im einstelligen Prozentbereich. Dabei kann es
schen Pendants. Mit Blick auf die Anleihemärkte der           aufgrund der möglicherweise noch immer zu hohen Ge-
Schwellenländer und deren hohe Zinskupons bin ich posi-       winnschätzung der Analystengemeinde und der vielfäl-
tiv gestimmt. Insgesamt bleibt ein aktives Management         tigen politischen und wirtschaftlichen Risikofaktoren im
des Rentenportfolios oberstes Gebot – mit einer dyna-         Jahresverlauf jederzeit zu kurzfristigen, auch stärkeren
mischen Steuerung der Laufzeiten, der Liquidität der          Kursschwankungen kommen. Insgesamt bleiben Aktien
Papiere und der Qualität der Schuldner (Investment Grade      aus meiner Sicht aber eine besonders interessante Anlage-
präferiert).                                                  klasse und unverzichtbar in einem breit aufgestellten Port-
                                                              folio. Auf Sektorebene könnten günstige eher zyklische
5. Dollar: unsere Währung, euer Problem                       Sektoren in den Fokus rücken. Das betrifft etwa Werte aus
Vor mehr als 50 Jahren prägte der damalige US-Finanz-         den Bereichen Finanzen, Grundstoffe (ausgenommen
minister John Connally mit dem Satz „Der Dollar ist unsere    Chemie) und Energie. Der Finanzsektor dürfte von den er-
Währung, aber euer Problem“ den Leitgedanken der ame-         höhten Zinsniveaus profitieren. Regional könnte der Anle-
rikanischen Währungspolitik. Connallys Aussage war pro-       gerfokus 2023 unter anderem auf Europa gelegt werden –
vokant formuliert, hat aber bis heute Gültigkeit. Das         die jüngsten Bewertungsabschläge waren hier besonders
zeigte sich zuletzt, als der Greenback im Jahresverlauf von   hoch. Der US-Aktienmarkt bleibt allein aufgrund seiner
starken Mittelzuflüssen profitieren konnte. Die Gründe        globalen Dominanz ein wichtiges Anlageziel. Der zins-
dafür lagen im Renditevorsprung der USA gegenüber an-         sensible Technologiebereich könnte von einem Ende der
deren Währungsräumen – bedingt durch das Voranpre-            Leitzinsanhebungen der Fed überproportional             >>
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stark profitieren. Aus der Gruppe der Schwellenländer er-       reichen wie dem Bau und Betrieb von Straßen über den
scheinen asiatische Märkte wie Südkorea, Taiwan, China          Auf- und Ausbau einer sicheren Trinkwasserversorgung
und Indien am interessantesten.                                 bis zu Datennetzen, Bildung sowie Forschung und Ent-
                                                                wicklung. Zu den beteiligten Unternehmen gehören so-
7. Immobilien: alternativlos teuer                              wohl die Betreiber entsprechender Infrastrukturen als
Die lange Zeit steigender Preise am Wohnimmobilien-             auch deren Planer und Hersteller. Weltweit wollen Regie-
markt ist 2022 vielerorts abrupt zu einem Stillstand ge-        rungen den Ausbau ihrer Infrastrukturen mit hohen Inves-
kommen und hat sich teilweise sogar umgekehrt. Der              titionen vorantreiben, etwa in die Produktion von Halblei-
Grund dafür liegt vor allem in den stark gestiegenen Fi-        tern. Das Beste in Sachen Infrastruktur dürfte also noch
nanzierungskosten als Folge der Leitzinserhöhungen der          kommen – auch für Anleger. Allein der Markt für börsen-
Notenbanken. Demgegenüber steht eine anhaltend hohe             notierte Infrastrukturinvestitionen beträgt nach unseren
Wohnraumnachfrage, die in den nächsten Jahren noch              Schätzungen rund 7 Billionen US-Dollar. Interessant für
anziehen könnte: Für Deutschland beispielsweise erwarte         Anleger ist unter anderem, dass die Erträge aus großen In-
ich bis 2030 eine Nettozuwanderung von rund zwei Milli-         frastrukturinvestitionen häufig auf regelmäßigen Einnah-
onen Menschen. Bremsend auf potenzielle Neubaupro-              men basieren. „Grüne“ Infrastrukturprojekte zur Dekar-
jekte dürften sich neben gestiegenen Finanzierungskosten        bonisierung und Digitalisierung sind zudem oft besonders
vor allem die massiv gestiegenen Baukosten auswirken.           innovativ und verfügen über ein langfristiges Wachstums-
Damit dürften die Preise für neu gebaute Wohnimmobili-          potenzial der Kapitalflüsse.
en in nächster Zeit kaum sinken. Grundsätzlich bleibe ich
für die Anlageklasse positiv gestimmt. Immobilien gehö-         9. Risiko: beunruhigende Bekannte
ren insgesamt betrachtet, insbesondere im Hinblick auf          Auf den ersten Blick scheinen die größten Risiken für Wirt-
bestehende Inflationsrisiken, weiterhin in jedes breit diver-   schaft und Kapitalmärkte im Jahr 2023 alte Bekannte aus
sifizierte Portfolio. Dabei könnte ein besonderes Augen-        den Vorjahren zu sein: die Geopolitik, der Kampf um die
merk auf energieeffiziente „grüne“ Immobilien gelegt            globale Technologieführerschaft, die Corona-Pandemie,
werden.                                                         Chinas Immobilienmarkt und ein möglicher Ausverkauf
                                                                am Anleihemarkt. Bei näherem Hinsehen werden jedoch
8. Infrastruktur: Grundlage für nachhaltiges                    Unterschiede erkennbar. In Ostasien verschärfen sich die
Wachstum                                                        Spannungen mit Nordkorea, das seinen Status als Atom-
Infrastruktur ist die Basis der Wirtschaft und wahrschein-      macht weiter ausbauen will, sowie hinsichtlich des von
lich der wichtigste Standortfaktor überhaupt – vielerorts       chinesischer Seite artikulierten Anspruchs auf Taiwan. Lö-
aber nicht mehr zukunftsfähig. Volkswirtschaften müssen         sungen zur Beendigung des russischen Angriffskriegs auf
daher nicht nur ihre bestehende Infrastruktur modernisie-       die Ukraine sind nach wie vor nicht absehbar. Im Kampf
ren, sondern sie zudem digitalisieren und grün transfor-        um die globale Technologieführerschaft zwischen den
mieren – ein Dreiklang, der bei jedem Infrastrukturprojekt      USA und China könnten sich die Fronten weiter verhärten.
berücksichtigt werden sollte. Dabei ist das Thema Infra-        Dabei wird die Tragweite des „Tech War“ immer offen-
struktur ein weites Feld: Es reicht von klassischen Be-         sichtlicher: Gestartet als vermeintlicher Handels-      >>
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konflikt geht es nun vielmehr darum, die langfristig gül-                               tierte man am Anleihemarkt. Zwar war das Investieren
tigen Standards in so wichtigen Bereichen wie 5G und                                    auch früher so einfach nicht. Zumindest die Mischung aus
Halbleiter zu setzen – und damit die jeweilige Machtbasis                               Aktien und Anleihen hatte aus Portfoliosicht aber oft ihre
langfristig auszubauen. Mit Blick auf die Corona-Pande-                                 Berechtigung. Mit der halbwegs verlässlichen inversen Be-
mie wird es 2023 darum gehen, ob die erreichten Ein-                                    ziehung zwischen den beiden Hauptanlageklassen ist es
dämmungserfolge Bestand haben und ausgeweitet wer-                                      jedoch vorbei. Die natürliche Absicherungsfunktion von
den können. Das betrifft vor allem China, wo es aufgrund                                Renten entfällt dadurch. Hinzu kommt aktuell die Heraus-
ausgedehnter Lockdowns noch zuletzt zu massiven                                         forderung, die hohe Inflation zu schlagen, also überhaupt
Störungen der Wirtschaftstätigkeit gekommen ist. Hin-                                   noch positive reale Renditen zu erzielen. Anleger stellt das
sichtlich des seit Jahren kriselnden chinesischen Immobili-                             vor die Frage, wie sie ihr Portfolio unter diesen Rahmenbe-
enmarkts erwarte ich, dass es der chinesischen Regierung                                dingungen erfolgreich aufstellen können. Ich setze dabei
gelingt, diesen weiter zu stabilisieren. Negative Nachrich-                             vor allem auf reale Anlageklassen wie Rohstoffe, Immobi-
ten könnten hier jedoch immer wieder zu entsprechenden                                  lien und insbesondere Aktien. Letztere auch deshalb, weil
Reaktionen an den internationalen Kapitalmärkten füh-                                   sie – anders als Anleihen – in inflationären Phasen ihre no-
ren. Nach dem Ausverkauf an den globalen Rentenmärk-                                    minalen Gewinne steigern können. Dennoch bleiben auch
ten im Jahr 2022 erwarte ich für 2023 grundsätzlich keine                               Anleihen Bestandteil eines ausgewogenen Portfolios – zu-
Wiederholung dieses Szenarios. Sollten sich die hohen In-                               mal es mittlerweile wieder interessante Zinskupons gibt.
flationsraten vor allem in den USA und Europa jedoch                                    Sollten die Inflationsraten zurückgehen, könnte das Anlei-
hartnäckiger halten als erwartet oder sogar weiter anzie-                               hen stärker in den Fokus rücken. Entscheidend ist, dass
hen, könnte das die Anleiherenditen im schlimmsten Fall                                 das Portfolio aktiv gemanagt wird. Insgesamt könnte sich
wieder nach oben treiben und Druck auf die Kurse ausü-                                  innerhalb einer breiten Diversifikation des Portfolios auch
ben. Das hätte deutlich negative Auswirkungen nicht nur                                 eine ESG-Strategie anbieten, die unter bestimmten Um-
auf die Anleihemärkte selbst, sondern auch auf die                                      ständen zu einem verbesserten Risiko-Rendite-Verhältnis
Aktienmärkte, allen voran auf zinssensitive Titel, etwa aus                             im Portfolio beitragen kann. Gold bleibt als Beimischung
dem Technologiesektor.                                                                  und Absicherung relevant, sollte jedoch nicht als klas-
                                                                                        sische Geldanlage betrachtet werden.
10. Portfolio: wer plant, gewinnt
In den „guten alten Zeiten“ schien das Anlegerleben ein-
fach: Man kaufte Aktien, handelte hin und wieder mit ih-
nen und strich die Gewinne ein. Zur Absicherung inves-

 Geopolitische Risiken bleiben bestehen
 Entwicklung des Weltunsicherheitsindex (World Uncertainty Index, WUI). Je höher der Indexwert, desto höher die Unsicherheit über die weiteren
 Entwicklungen weltweit.
 60.000                                                                                                                                         Coronavirus
                                                                     US-Fiskalklippe und Staats-                                 US-China-Handels-
                                                                     schuldenkrise in Europa                                     konflikt und Brexit
 50.000
                                                                                                                                US-Präsidentschafts-
                                                                                                                                wahlen                        Ukraine-
 40.000                                            Irakkrieg und                               Staatsschulden-
                                                                                               krise in Europa                                                Invasion
                                                   SARS-Ausbruch                                                               Brexit

 30.000                                 US-Rezession und
                                        11. September                                    Kreditkrise

 20.000        1. Golfkrieg

  10.000                                                                                                                       Fed-Straffung und politische
                                                                                                                               Risiken in Griechenland
                                                                                                                               und der Ukraine
        0
            1990              1994               1998              2002               2006               2010              2014               2018                 2022

  Quelle: IWF, Ahir, Bloom, Furceri, Stand: 21. November 2022. Wertentwicklungen in der Vergangenheit und Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige
  Wertentwicklungen.
Markt & Meinung | 12.12.2022            7

Wichtige Hinweise

Redaktionsschluss: 01.12.2022 / 12:00 Uhr

Herausgeber: Deutsche Bank Chefanlagestratege Privat- und Firmenkunden

Fotohinweis zum Titelmotiv: moofushi / Adobe Stock

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