Matteo Thun, 59, Memphis Milano

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Matteo Thun, 59, Memphis Milano
Matteo Thun, 59,
Architekt und Designer, wurde 1952 in Bozen geboren,
studierte an der Akademie für Kunst in Salzburg unter
­Oskar Kokoschka und an der Universität von Florenz. Mit
 Ettore Sottsass war er Mitbegründer der „Memphis“-Grup-
 pe in Mailand und Partner der „Sottsass Associati“ von
 1980 bis 1984. Von 1983 bis 2000 dozierte er an der
 Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Von 1990 bis
 1993 fungierte er als Art Director für Swatch. 1984 er-
 öffnete Matteo Thun sein eigenes Studio in Mailand.
                                                           mtb

                                                                 43
Matteo Thun, 59, Memphis Milano
wohnen&design
extra

          „Es war wie bei einer Revolution“
    Interview. Matteo Thun, renommierter Architekt und Mitgründer der legendären Gruppe „Memphis“,
        über Einfluss und Nachhall der vor 30 Jahren etablierten Designerschmiede, die damaligen
        Beschimpfungen als „Harlekins und Idioten“ und seine denkwürdige Begegnung mit Karl Lagerfeld.

                                          p                 rofil: Ihr Name steht heute für umwelt­
                                                            freundliche Architektur, nachhaltiges
                                                            Design sowie naturnahe Baustoffe wie
                                                            Holz und Glas. Können Sie sich mit
                                                            „Memphis“ überhaupt noch identifizie­
                                                            ren?
                                                  Thun: Hier besteht nur scheinbar ein Wider­
                                                  spruch. In Wirklichkeit gibt es keinen Unter­
                                                                                                         profil: Aber es kann ja wohl nicht an der Ethik
                                                                                                         ­gelegen haben, dass Memphis so eine Schockwir­
                                                                                                          kung erzielte.
                                                                                                          Thun: Die Industrie war von dieser Ethik sehr
                                                                                                          wohl geschockt. Und sie ist aufgewacht, weil sie
                                                                                                          mit einem Quantum Sensorialität konfrontiert
                                                                                                          wurde, an das sie nicht gewöhnt war.
                                                                                                          profil: Und der Schock in der kreativen Welt und
                                                 schied zwischen der Berufsethik, die zu Memphis          bei anderen Designern?
                                                                               geführt hat, und den       Thun: Bei den Designern hat es sich zuerst um

          I
                   n der Welt des Designs war es so etwas wie ein kleines      ethischen Prinzipien       ­einen positiven Schock gehandelt. Der hat sich
                   Erdbeben, das sich da an einem Septembertag des Jahres      der Nachhaltigkeit,         aber später umgekehrt und führte, wie bei den
                   1981 in Mailand ereignete. Die alljährliche „Milan          die seit vielen Jahren      meisten Epigonen, zu zahlreichen Missverständ­
          ­Design Week“ war gerade im Gange, als Hunderte Menschen             unsere Arbeit defi­         nissen. Memphis-Kopien sind schon ab 1982 auf
           den Corso Europa stürmten, um bei der Präsentation der ers­         nieren. Hier geht es        den Markt gekommen, mit verheerender Wir­
           ten Kollektion von „Memphis“ im Showroom Arc74 dabei zu             um ein und dieselbe         kung auf Memphis selbst.
           sein. Was sie sahen, waren seltsame, verspielte Objekte in          Denkweise.                  profil: Von welcher Wirkung sprechen Sie?
           ­allen erdenklichen Farben, Materialien und Formen, die             profil: Könnten Sie         Thun: Man hat uns als Kasperltheater, als Harle­
            ­weder sehr gebrauchsfreundlich wirkten noch irgendeiner bis       diese ethische Hal­         kins und Idioten abgestempelt.
             dahin bekannten Stilrichtung oder Linie entsprachen.              tung ein wenig erläu­       profil: Und das lag an den Epigonen?
                  Mit Mut zu Kitsch, Humor und durchaus auch zu schlech­       tern?                       Thun: An den Epigonen und an den gigantischen
             tem Geschmack schockierte eine Gruppe junger Designer um          Thun: Die Situation         Missverständnissen, zu denen es damals auch im
             den älteren und arrivierten Ettore Sottsass, indem sie gegen      des Produktdesigns          schulischen Bereich gekommen ist. An vielen
             alle bis dahin gültigen Prinzipien des „Good Design“ und          in der zweiten Hälfte       ­Designhochschulen dachten plötzlich die so
             ­gegen traditionelle Regeln wie „Form folgt Funktion“ ver­        der siebziger Jahre          ­genannten progressiven Professoren, sie müssten
              stieß – und damit ein mediales Aufsehen erregte, wie es heute    war emotional ver­            das Memphis-Klavier anstimmen.
              kaum noch vorstellbar ist. In die Dekor- und Farblosigkeit der   gleichbar mit einer           profil: Aber bei der Gründung von Memphis wer­
              nüchternen Moderne platzten die bizarren Objekte von Mem­        Tiefkühltruhe. Die            den Sie sich dieser Schockwirkung doch bewusst
              phis wie Wasserbomben aus grellen Plastikfarben. Und pro­        Frustration, die so­          gewesen sein?
              vozierten durch schrille Muster und Elemente von Fünfziger-      wohl Benutzer als             Thun: Nicht im Traum. Wir konnten ja auch nicht
              Jahre-Kitsch, Pop-Art und Micky-Maus-Comics.                     auch Gestalter insbe­         damit rechnen, dass bei der ersten Präsentation
                  Nach wenigen Jahren löste sich die Gruppe wieder auf.        sondere mit dem               im April 1981 die Straße vor dem Showroom im
              Doch ihr Einfluss war so nachhaltig, dass man auch heute         Produktdesign von             Zentrum Mailands innerhalb einer Stunde
              noch immer in Möbel- und Einrichtungshäusern auf Nach­           Konsumgütern er­              ­gesperrt werden musste, weil so viele Leute auf
              ahmungen und Kopien ihrer Designobjekte trifft. Ettore           lebten, hat uns Desi­          der Straße standen. Es war wie bei einer kleinen
              Sottsass verstarb 2007, einer seiner damaligen Schüler und       gner schlicht und              Revolution.
              Mitarbeiter war der Südtiroler Matteo Thun, der heute zu         einfach dazu gezwun­           profil: Das hieße, dass Sie es nicht auf Provokati­
              den bekanntesten Architekten und Designern der Welt zählt.       gen, eine Alternative          on abgesehen hatten. Das ist schwer vorstellbar.
              Ein Gespräch mit dem viele Jahre auch in Wien wirkenden          zu dem zu suchen,              Thun: Wir wollten keineswegs provozieren. Ganz
              Künstler anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von Memphis.       was die Großindus­             im Gegenteil: Wie bei jeder Auflehnung, die von
                                                                               trie in dieser Zeit von        innen kommt, waren wir emotional geladen. Es
                                                 uns wollte. Da wir keinen Kunden gefunden                    war sozusagen Strom in der Leitung.
                                                 ­haben, der unseren Prinzipien von einer verbes­             profil: Aber eine große Portion Humor und Iro­
                                                  serten Sensorialität Rechnung tragen wollte, haben          nie, manche nennen es Zynismus, ist doch in den
                                                  wir uns einfach selbst zum Kunden gemacht und               Memphis-Arbeiten erkennbar.
                                                  Memphis gegründet. Damit sind wir ethischen                 Thun: Von Zynismus kann keine Rede sein. Aber
                                                  Prinzipien treu geblieben.                                  zu jedem sensoriellen Moment, zu jeder emo­ E

 42 profil extra • Februar 2011
Matteo Thun, 59, Memphis Milano
extra
     wohnen&design

                                                                                                                  Aldo Ballo Courtesy memphis
        MTB (2)

                                                Memphis-Objekte „Dazu gehören das Spiel, die Freude und viel Selbstironie“

                  tionalen Aussage gehören das Spiel, die        Karl, kaufen Sie doch einfach alles. Das                                       Thun: Natürlich gab und gibt es Kritiker
                  Freude und viel Selbstironie.                  ist ein gutes Geschäft für Sie. Er hat ge­                                     und Kunsthistoriker, die a posteriori Ana­
                  profil: Ettore Sottsass sagte einmal, dass     sagt: Gut, schicken Sie es mir nach Monte                                      logien finden, die jedoch von den Ent­
                  es ihn beleidige, wenn man sage, er spiele,    Carlo. Ein paar Jahre später hat er alles                                      werfenden nie so angedacht oder als
                  wenn er für Memphis designe. Und dass          mit großem Gewinn wieder verkauft.                                             ­Referenz gebraucht wurden.
                  er eher spiele, wenn er Maschinen für          profil: Und warum das plötzliche Ende?                                          profil: Was hat Memphis bewirkt? Wie
                  Olivetti entwerfe.                             Thun: Das war von uns allen gewollt. Wir                                        sehen Sie den Einfluss heute?
                  Thun: Ich deute seine Aussage so, dass         sagten uns damals, dass man, wenn man                                           Thun: Memphis hatte positive und nega­
                  eine scheinbar hohe Entwurfsfreiheit           in der Nacht arbeitet und am Tag einem                                          tive Auswirkungen. Nach 30 Jahren ist
                  enorme Disziplin braucht. Die vermeint­        Brotberuf nachgeht, ein Manifest braucht.                                       die positivste Auswirkung ein Beschleu­
                  liche Freiheit im Entwerfen und Gestal­        Und ein Manifest hat immer nur dann                                             nigungsprozess im Finden einer senso­
                  ten von Memphis-Objekten fordert eine          Durchhaltekraft und Nachhaltigkeit,                                             riellen Linguistik.
                  höhere Disziplin als der Entwurf einer         wenn es zeitlich definiert und in sich                                          profil: Könnten Sie das etwas konkreter
                  Schreibmaschine für Olivetti.                  ­abgeschlossen ist. Die Oktoberrevolution                                       ausdrücken?
                  profil: Wie konnte es überhaupt zu einem        in Moskau war kurz und bündig und                                              Thun: Natürlich. Sie kennen diesen
                  Stil kommen, wenn der so frei war? Hat          ­damit durchsetzungsfähig.                                                     ­berühmten Wecker der Firma Braun,
                  man sich untereinander abgesprochen?             profil: Es war also von vornherein klar,                                       ­diesen würfelförmigen?
                  Thun: Wenn Sie genau hinsehen, geht es           dass alles nur sehr kurz dauern würde?                                          profil: Ja. Den von Dieter Rams.
                  viel mehr um individuelle Interpretatio­         Thun: Sottsass selbst hat gesagt, er mache                                      Thun: Meine emotionale Bindung zu mei­
                  nen einer gemeinsamen Strategie. Ich             das maximal zwei Jahre. Dann hat er sich                                        nem Braun-Wecker ist ähnlich einer, die
                  würde nicht von einem Stildiktat bei             ein wenig verliebt in die Sache und noch                                        ich mit einer toten grauen Maus haben
                  Memphis sprechen, sondern von einer              vier, fünf Jahre weitergemacht. Ich selbst                                      würde, die mich jeden Morgen um 6.45
                  sehr starken und klaren Strategie, die vom       bin aber nach zwei Jahren ausgestiegen,                                         Uhr aus dem Schlaf schreckt. Ich denke,
                  Meister, Ettore Sottsass,                                          wie wir es beschlossen                                        dass es durch Memphis gelungen ist, die
                  vorgegeben war.                   „Mit dem Mut der Ver-            hatten.                                                       Sinne anzuregen und die Industrie in
                  profil: Es heißt, dass Karl      zweiflung habe ich dann           profil: Diese Idee vom                                        ­einen langsamen Prozess des Umdenkens
                  Lagerfeld die ganze Kol­        zu Karl Lagerfeld gesagt:          Manifest hat in Italien                                        zu führen. Das Ganze hat je nach Pro­
                  lektion kaufte.                   Karl, kaufen Sie doch            lange Tradition. Es fällt                                      duktkategorie zwischen zehn und dreißig
                  Thun: Lagerfeld wollte ei­             einfach alles“              einem jenes des Futuris­                                       Jahre gedauert. Vielleicht finden wir jetzt
                  gentlich nur, dass ich ihm                                         mus ein, einer Stilrich­                                       endlich zu einer Freiheit in der Sprache
                  die Objekte zeige. Das war unglaublich           tung aus den zwanziger Jahren, an die                                            des Designs, die Memphis 1980 vorweg­
                  spannend, denn ich musste so tun, als            viele Ihrer Arbeiten auch erinnern.                                              genommen hat. Ich bin nicht sicher, ob
                  würde ich ihm in totaler Gelassenheit            Thun: Das kann ich überhaupt nicht                                               dieser Prozess der Befreiung von der
                  zeigen, was gemacht wurde. Doch in               ­bestätigen. Die Futuristen hatten zwar                                          ­toten Maus schon abgeschlossen ist.
                  Wirklichkeit haben mir die Knie ge­               ein Manifest, aber auch eine Bildsprache,                                        profil: Gibt es im Design von heute etwas,
                  schlottert. Wir hatten alles selbst finan­        die durchaus für eine Verwandtschaft mit                                         das Sie an Memphis erinnert?
                  ziert und zum Teil selbst produziert.             ihren Kollegen in Paris stand. Bei uns                                           Thun: Ich denke, dass es auch Steve Jobs
                  profil: Und waren somit bankrott.                 hingegen war es, und darauf bin ich wirk­                                        zusammen mit seinem Chefdesigner
                  Thun: Bankrott ist kein Ausdruck. Wir             lich stolz, ein authentischer Versuch, eine                                      ­Jonathan Ive, natürlich unter ganz anderen
                  hatten kaum genug Geld, um uns Essen              neue Sprachregelung zu finden. Es gab                                             Prämissen, auf gesünderen Beinen ste­
                  zu kaufen. Die „Operation Lagerfeld“ hat          für uns keine Referenzpunkte in der                                               hend und mit einem sehr starken ökono­
                  aber dazu geführt, dass wir „Memphis              ­Geschichte. Wir waren einfach wütend                                             mischen Background, gelungen ist, mit
                  zwei“ durchführen konnten. Denn ir­                auf den Zustand im Produktdesign. Wir                                            iPhone, iPod und iPad eine weltweite
                  gendwann, während wir da durchgegan­               waren stinksauer.                                                                ­Revolution durchzuführen. Und die Men­
                  gen sind, hat Lagerfeld gesagt: Soll ich           profil: Aber was ist mit den ganzen Refe­                                         schen auf der ganzen Welt sensoriell zu
                  etwas kaufen? Und dann habe ich mit                renzen? Man spricht doch ständig von                                              vereinen.
                  dem Mut der Verzweiflung geantwortet:              Art déco oder von Comic-Art?                                                                     Interview: Georges Desrues

 44 profil extra • Februar 2011
Matteo Thun, 59, Memphis Milano
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