Mehr als ein kostenloser iTunes-Store - Klangaufnahmen der Schellackära im "Archiv der Stimmen" der SLUB Mediathek
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8 // BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O15] Nr. 1 … mehr als ein kostenloser iTunes-Store Klangaufnahmen der Schellackära im „Archiv der Stimmen“ der SLUB Mediathek von JÜRGEN GRZONDZIEL eit 2007 wird an der Sächsischen Landesbi- der Digitalen Mediathek der SLUB zum kostenlo- S bliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) in großem Umfang Schrift- gut digitalisiert. Neben Manuskripten, Drucken sen Anhören und zum Download bereit. So manche Musikbegeisterte werden sofort hellhö- rig, wenn sie von „freiem Streaming“ und „Down- und Zeitschriften verfügt die SLUB über bedeuten- load-Möglichkeiten“, also Alternativen zu großen de Bestände anderer Sondermaterialien, die sie kommerziellen Anbietern erfahren. Wie kommt es ebenfalls digital bereitstellt, etwa über die Online- aber, dass ausgerechnet eine wissenschaftliche Datenbank der Deutschen Fotothek oder das Vir- Bibliothek eine „Download-Plattform“ für Musik tuelle Kartenforum. Im gerade beendeten DFG- zur Verfügung stellt? Projekt „Archiv der Stimmen“ hat die SLUB nun erstmals auch eine umfangreiche Menge histori- Die historische Tonträgersammlung der SLUB scher Tonträger digitalisiert. Rund 16.000 Aufnah- Mit dem Aufbau eines Tonträgerbestands wurde men, die auf 8.500 Schellackplatten aus der Zeit bereits 1970 in der Musikabteilung der damaligen zwischen 1896 und 1960 enthalten sind, stehen in Sächsischen Landesbibliothek (SLB) begonnen. Im selben Jahr wurde auch die Sammlung des Malers Paul Wilhelm (1886 –1965), die rund 4.000 histori- sche Schellackplatten umfasst, übernommen. In den Folgejahren wurde der Bereich Tonträger systema- tisch ausgebaut, vor allem nachdem die SLB 1983 den Status einer Zentralbibliothek der DDR für Kunst und Musik erhielt – die „Fonothek“ wurde eine eigenständige Abteilung. Neben den aktuellen Medien der jeweiligen Epoche wurden auch immer historische Tonträger und vor allem Schellackplat- ten durch Kauf oder Schenkung in den Bestand auf- genommen. Heute ist diese Tonträger-Sammlung in der Mediathek unter dem Dach der Musikabteilung der SLUB angesiedelt. In einem Gesamtbestand von rund 235.000 AV-Medien sind neben CDs, DVDs, Tonbändern und Vinyl-Schallplatten circa 55.000 Schellacks enthalten.
BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O15] Nr. 1 // 9 Porträtsammlung von Gesangs- solisten der Dresdner Hofoper. Tafel mit Fotografien in Das Dresdner Hoftheater in der Gegenwart von Bodo Wildberg, 1902 (SLUB: Hist.Sax.G.949.d). Neben Irene Abendroth sind auch Irene von Chavanne und Hans Giessen in der Digitalen Mediathek vertreten. Hören Sie Irene Abendroth: Arie der Philine aus Mignon (Thomas), 1902 – scannen Sie dazu den QR-Code. Schellackplatten sind zwar anders als Tonbänder objektbezogenen wissenschaftlichen Sammlungen“ und optische Medien wie CDs, DVDs und Blu-rays der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) relativ lange haltbar, trotzdem gelten viele histori- finanziert, welche sich auf über Schriftgut hinausge- sche Aufnahmen, u.a. auf Grund von Zerstörung in hende nichttextuelle Sonderbestände fokussiert. den Weltkriegen, als verschollen. Eine umfassende Mit dem „Archiv der Stimmen“ entwickelte die Diskografie, also ein zentrales Verzeichnis, der Pro- SLUB in fachlichem Austausch mit der Gesellschaft duktion der Schellackära existiert nicht. für historische Tonträger (GHT) und der Deut- Zum schonenden Abspielen und Digitalisieren der schen Nationalbibliothek (DNB) eine Infrastruktur historischen Scheiben benötigt man nicht nur und einen Workflow zur (Massen-)Digitalisierung besondere Gerätschaften, sondern auch Spezial- von Tonträgern, wodurch das Projekt einen Refe- kenntnisse. Denn anders als bei „modern(er)en“ renzcharakter erhält. Langspielplatten, gab es zum Beispiel lange keine Die 8.500 Schellackplatten des Projekts wurden Normierung der Abspielgeschwindigkeit. Sie konnte innerhalb von zwei Jahren digitalisiert und in der durchaus mehr oder minder von den häufig auf den Datenbank APS katalogisiert, auf der die Online- Etiketten vermerkten 78 Umdrehungen pro Minute Präsentation der Digitalen Mediathek direkt auf- abweichen. Auch die nötigen Verstärkungseigen- baut. Hier können die Aufnahmen angehört und schaften (Frequenzkennlinien) konnten von Her- heruntergeladen werden. Auch Fotos der Etiketten steller zu Hersteller unterschiedlich sein. (Labels) können angesehen werden und stehen zum Ein Umstand, der der freien Bereitstellung von Download bereit. Darüber hinaus sind die Platten Schellackplatten im Internet entgegen kommt, ist mit für die Tonträgerforschung wichtigen Meta- die urheber- und leistungsschutzrechtliche Lage. daten versehen. Neben Urheberinnen und Urhe- Viele Aufnahmen, gerade im Bereich der Klassi- bern, Künstlerinnen und Künstlern sind das etwa schen Musik, sind so alt, dass sie als gemeinfrei gel- die Bestell- und Katalognummern, vor allem aber ten können. die Matrizen-Nummern, welche Aufschluss über Aufnahmeort und -datum geben. Die Digitale Das „Archiv der Stimmen“ – ein Referenzprojekt Mediathek bietet verschiedene Facetten an: Die Mit dem Projekt „Archiv der Stimmen“ wurde ein Suchergebnisse können etwa nach Komponist, erster Schritt unternommen, alle gemeinfreien Interpret oder Ort gefiltert werden, durch eine Klangaufnahmen im Bestand der SLUB online zur Zeitleiste lassen sich die Treffer auf wenige Jahre Verfügung zu stellen. Es wurde im Rahmen der För- beschränken. Personen- und Körperschaftssätze der derlinie zur „Erschließung und Digitalisierung von Gemeinsamen Normdatei (GND) sind mit den
10 // BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O15] Nr. 1 Oben: Postkarte mit der Datensätzen der Digitalen Mediathek verlinkt. Die Sängerin Emma Baumann Platten sind auch in der Deutschen Digitalen und dem Neuen Stadttheater Bibliothek (DDB, www.deutsche-digitale-biblio- Leipzig (Foto: Stadtge- thek.de) und der Europeana (www.europeana.eu) schichtliches Museum recherchierbar. Die Erschließungsdaten werden in Leipzig). den Katalog des Südwestdeutschen Bibliotheksver- bunds (SWB) eingespielt und stehen dort anderen Scannen Sie diesen QR-Code Bibliotheken zur kostenfreien Nachnutzung zur und Sie hören Emma Verfügung. Baumann: Arie der Philine aus Mignon (Thomas), 1899. Die Auswahl Im Projekt „Archiv der Stimmen“ wurden gemein- freie Vokalaufnahmen digitalisiert, so etwa Auszüge aus Opern, Oratorien oder Liedersammlungen. Damit bezieht sich das Projekt thematisch auf den Kern des Schellackbestands der SLUB, die bereits erwähnte Sammlung des Malers Paul Wilhelm. Neben seinem künstlerischen Beruf sammelte Wil- helm leidenschaftlich Gesangsaufnahmen, gestaltete mit seinen Platten Rundfunksendungen, tauschte sich mit Gleichgesinnten aus aller Welt aus und lud Musikstudentinnen und -studenten ein, um ihnen die Aufnahmen vorzuspielen. Seine rund 4.000 Scheiben umfassende Sammlung enthält viele der bekanntesten Stimmen des ausgehenden 19. Jahr- hunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Neben Maria Callas (1923 –1977) und Enrico Caruso (1873 –1921), die auch heute jedem ein Begriff sind, finden sich etwa die Sopranistinnen Marcella Sembrich (1858–1935) und Luisa Tetrazzini (1871–1940), der Tenor Richard Tauber (1891–1948)
BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O15] Nr. 1 // 11 mediathek.slub-dresden.de oder der Bariton Mattia Battistini (1856 –1928). jeweils in der Interpretation der oben erwähnten Neben Wilhelms Sammlung wurden circa 4.500 Sängerinnen Irene Abendroth und Emma Baumann weitere Schellackplatten aus den Bereichen der vor, und lädt somit zum vergleichenden Hören ein. Vokalmusik, vorrangig der Oper ausgewählt. Ein besonderer Schwerpunkt wurde dabei entsprechend Das etwas andere iTunes oder Historische Auf- des Sammlungsgebiets der SLUB auf Aufnahmen nahmepraxis live? sächsischer Musikerinnen und Musiker gelegt. Dar- Das „Archiv der Stimmen“ ist keine beliebige Zusam- unter finden sich zum Beispiel seltene Einspielungen menstellung von Musikaufnahmen, vielmehr wird der der am Stadttheater in Leipzig engagierten Emma Öffentlichkeit und der Forschung erstmals eine große Baumann (1855 –1925) oder der am Königlichen Datenmenge zur Verfügung gestellt, die in vielerlei Hoftheater in Dresden tätigen und heute wesent- Hinsicht Rückschlüsse auf die Musikkultur der Schel- lich bekannteren Sopranistin Irene Abendroth lackära (circa 1890 –1960) zulässt. Vor allem für die (1872–1932). Von letzterer kann man mit Sicher- Interpretations- und Tonträgerforschung erscheint heit sagen, dass weniger als ein Dutzend verschiede- dies interessant. Die Aufnahmen bilden einen wichti- ne Aufnahmen überliefert sind. gen Fundus für Untersuchungen zur Aufführungs- und Gesangspraxis der Zeit: Wie Sängerinnen und Interessante Entdeckungen und Erkenntnisse Sänger des 19. Jahrhunderts Opernarien gestalteten, ist In der sukzessiv anwachsenden Menge digitalisierter in der Digitalen Mediathek erlebbar. Und die Tatsa- Schellackplatten ließen sich rare Aufnahmen ent- che, dass heute fast in Vergessenheit geratene Werke in decken und im Überblick ergab sich so manch neue der Schellackära häufig aufgenommen wurden, zeigt, interessante Perspektive. dass durch die Betrachtung der Gesamtheit der Auf- Die Oper Mignon des französischen Komponisten nahmen Aussagen zu Popularität, Repertoirebildung Ambroise Thomas (1811–1896) ist etwa auf aktuel- und über eine mögliche Kanonisierung getroffen wer- len Spielplänen kaum zu finden, im Handel sind den können. momentan gerade einmal zwei oder drei Aufnahmen Das Projekt versteht sich aber vor allem auch als Bau- verfügbar, die nach 1960 entstanden. In der Digita- stein für eine bis heute fehlende euro- len Mediathek hingegen enthalten 157 Aufnahmen päische Diskografie historischer JÜRGEN Stücke aus diesem Werk. Die Komposition erfreute Musikaufnahmen und stellt somit GRZONDZIEL sich in der Schellackära offensichtlich einer deutlich einen wesentlichen Beitrag zur Siche- größeren Popularität, als es heute der Fall ist. Ein rung des audiovisuellen Kulturerbes Stück aus dieser Oper, die „Arie der Philine“, liegt dar.
BIS BIS BIS BIS BIS Bibliotheken in Sachsen // 1 Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen // Nr. O1 // März 2OO8 // // Nr. O2 // Juni 2OO8 // // Nr. O3 // September 2OO8 // // Nr. 04 // Dezember 2OO8 // Jg. 2 // Nr. O1 // März 2OO9 // Gemeinschaft macht stark Bibliotheksentwicklung mit EFRE Moderne Managementmethoden in Öffentlichen Bibliotheken Convenient Service. Die SLUB als Universitätsbibliothek Die Welt erlesen. Leseförderung in Sachsen Großstadtbibliotheken im 21. Jahrhundert Bücher, Marmor und RFID Historische Landtagsprotokolle digital Lesestark! Dresden blättert die Welt auf Die Universitätsbibliothek Leipzig im Jubiläumsjahr 2009 Der Leser in der Bibliothek oder: Das Runde und das Eckige Liszt-Fund in der Leipziger Universitätsbibliothek Kartenforum Sachsen Der Bibliothekar als Herr seiner selbst Kreative Reorganisation? Outsourcing an der SLUB Bifosa - Das Fortbildungsportal der Bibliotheken in Sachsen Und sonntags in die SLUB! Codex Sinaiticus im Internet Databases on Demand (DBoD). Neuer Service für Sachsen Sachsen in Europa. Die Europäische Digitale Bibliothek BIS S BIS Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Jg. 2 // Nr. O3 // September 2OO9 // Jg. 2 // Nr. O2 // Juni 2OO9 // Die SLUB bloggt und twittert Infor rmationsportal Wissenschaftskultur Ein „Palast“ wird saniert Die E Ehe von Wissenschaft und Bibliothek Wenn der Buchhändler katalogisiert Sachs sen auf dem Bibliothekartag Ein neues Buchmuseum für die Bibliotheca Albertina Buchm museen im Google-Zeitalter *'1 **./101!.($."%,0&0/1./1)*#,'0/ C 2C0!3!C>> /%.%%'00101/0:0/160.(001!.($."%,0&'.0&%"./ 80.%10,1*$'10./1"%(0,0$91 *'1,0/*%1./101) ! / Dieser Text (nicht die Bilder) steht unter der 8
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