Meine ersten 48 Stunden in Freiheit - Umfassende Ansätze zu Interventionen mit Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung von ...

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Meine ersten 48 Stunden in Freiheit - Umfassende Ansätze zu Interventionen mit Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung von ...
Meine ersten
48 Stunden
in Freiheit
Umfassende Ansätze zu Interventionen mit
Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung
von Drogenkonsument*innen aus dem
Strafvollzugssystem
Meine ersten 48 Stunden in Freiheit - Umfassende Ansätze zu Interventionen mit Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung von ...
Impressum

Herausgeberin:

Deutsche Aidshilfe e. V.
Wilhelmstr. 138
10963 Berlin
Tel.: 030 / 69 00 87-0
E-Mail: dah@aidshilfe.de
www.aidshilfe.de

2021

Das englischsprachige Original des Readers wurde von
Kirsten Horsburgh vom Scottish Drugs Forum verfasst und
erschien 2018 unter dem Titel „My first 48 hours out.
Naloxone-on-Release: Guidelines for naloxone provistion
upon release from prison and other custodial settings“.
2019/2020 wurde der Reader übersetzt und an die
Verhältnisse in Deutschland angepasst.

Redaktion: Prof. Dr. Heino Stöver, Holger Sweers

Gestaltung: Carmen Janiesch

Spenden:

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Meine ersten 48 Stunden in Freiheit - Umfassende Ansätze zu Interventionen mit Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung von ...
Inhalt

Vorwort.............................................................................................................................................. 5

     Über diesen Reader..................................................................................................................... 6

An wen richten sich die Empfehlungen? ....................................................................................... 7

Opioid-Überdosierungen................................................................................................................. 8

     Wodurch sind Menschen dem Risiko einer Überdosierung ausgesetzt?............................. 8

     Wie können Überdosierungen verhindert werden?............................................................... 9

     Bei wem ist die Wahrscheinlichkeit, eine Überdosierung (mit-) zu erleben, besonders
     hoch?............................................................................................................................................. 9

     Wie sehen die Anzeichen und Symptome einer Überdosierung aus?.................................. 9

Was ist Naloxon?.............................................................................................................................. 11

     Wie wirkt Naloxon?..................................................................................................................... 11

     Wann sollte Naloxon verabreicht werden?............................................................................. 12

     In welcher Form wird Naloxon verabreicht?........................................................................... 12

     Rechtliche Aspekte..................................................................................................................... 12

     Forschungsübersicht.................................................................................................................. 13

Naloxon-Vergabeprojekte und Naloxon in Haft in der EU (Beispiele)....................................... 14

     Norwegen.................................................................................................................................... 14

     Estland......................................................................................................................................... 14

     Irland............................................................................................................................................ 14

     Dänemark ................................................................................................................................... 15

     Deutschland ............................................................................................................................... 15

     Italien........................................................................................................................................... 16

     Spanien........................................................................................................................................ 17

     Großbritannien........................................................................................................................... 17

          England.......................................................................................................................................... 17

          Wales.............................................................................................................................................. 18

          Schottland...................................................................................................................................... 18

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Meine ersten 48 Stunden in Freiheit - Umfassende Ansätze zu Interventionen mit Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung von ...
Das schottische Modell................................................................................................................... 19
     Kontext: Drogenbedingte Todesfälle in Schottland............................................................... 19
     Das Naloxon-Programm in den schottischen Gefängnissen................................................ 20
       Praktische Schritte........................................................................................................................ 21
     Peer-Education ........................................................................................................................... 24
     Wirksamkeit ................................................................................................................................ 25

Empfehlungen rund um die Einführung von Naloxon-Programmen
für Entscheidungsträger*innen .................................................................................................... 27

Empfehlungen rund um die Einführung von Naloxon-Programmen
für Praktiker*innen ......................................................................................................................... 29

Schulungen für Bedienstete .......................................................................................................... 30
     Naloxon-Schulungen für Trainer*innen (Durchführung durch
     „Master-Trainer*innen“) ........................................................................................................... 30
     Aufklärungs-/Informationsveranstaltungen .......................................................................... 31

Peer-Edukator*innen-Modell ........................................................................................................ 32
     Naloxon-Peer-to-Peer-Schulungsmodell ................................................................................ 32

Schlüsselinformationen für Kurzinterventionen ........................................................................ 34

Zehn Tipps für Naloxon-Schulungen ............................................................................................ 35

Checkliste für die Umsetzung ........................................................................................................ 37
     Entscheidungsträger*innen ..................................................................................................... 37
     Praktiker*innen ......................................................................................................................... 37

Anhänge ........................................................................................................................................... 38
     Anhang 1: Checkliste für Naloxon-Einzelschulungen ............................................................ 38
     Anhang 2: Fragebogen vor der Schulung ............................................................................... 40
     Anhang 3: T
                est zu Überdosisprävention, Erste-Hilfe-Maßnahmen und Naloxon ............. 41
     Anhang 4: Auswertung nach der Schulung ............................................................................ 42
     Anhang 5: Bewertungsbogen Naloxon-Training für Trainer*innen (TfT) ........................... 43
     Anhang 6: Naloxon-Training für Trainer*innen – Teilnahmebescheinigung ..................... 44
     Anhang 7: T
                eilnehmer*innen-Bewertungsbogen für Informationsveranstaltungen ....... 45
     Anhang 8: Leben retten im Drogennotfall: Infos von aidshilfe.de ...................................... 46
     Anhang 9: Naloxon-Nasenspray: Infos und Trainingskarte ................................................. 47
     Anhang 10: Fragebogen/Bericht nach Naloxonanwendung ................................................ 51
     Anhang 11: Naloxontraining.de ............................................................................................... 54

Literatur............................................................................................................................................ 55

                                                                                                                                                           4
Meine ersten 48 Stunden in Freiheit - Umfassende Ansätze zu Interventionen mit Take-Home-Naloxon vor und nach der Entlassung von ...
Vorwort

Dieser Reader ist ein Ergebnis des Pro-      mit Drogenkonsumerfahrung nach
jekts „My first 48 hours out – compre-       ihrer Entlassung aus dem Gefängnis
hensive approaches to pre and post           ausreichend betreut werden. Damit
prison release interventions for drug        Haftentlassene in Freiheit zurechtkom-
users in the criminal justice system“ (auf   men können, ohne erneut in problema-
Deutsch etwa „Meine ersten 48 Stunden        tische Konsummuster zu geraten und
in Freiheit – umfassende Ansätze für In-     sich dem extremen Risiko einer tödli-
terventionen für Drogenkonsument*in-         chen Überdosierung auszusetzen, sind
nen im Justizvollzug vor und nach ihrer      Maßnahmen zur Schadensminderung
Entlassung“).                                erforderlich.

Das von der Frankfurt University of Ap-      Die Zeit unmittelbar nach der Entlas-
plied Sciences durchgeführte Projekt         sung aus dem Gefängnis („Meine ersten
(Leitung: Prof. Dr. Heino Stöver) erhielt    48 Stunden in Freiheit“) ist dabei extrem
für den Zeitraum 2017–2018 eine Fi-          wichtig. Hier kommt es auf die Zusam-
nanzierung der Europäischen Union.           menarbeit zwischen Gefängnissen,
Ziel war und ist, Lücken in der Kontinu-     Gesundheitsdiensten und Nichtregie-
ität der medizinischen Versorgung von        rungsorganisationen an, um die Kon-
Langzeitdrogenkonsument*innen im             tinuität der medizinischen Versorgung
Gefängnis und nach der Entlassung zu         und der Beratung zu gewährleisten,
schließen – durch Unterstützung für le-      durch gezielte Interventionen Überdo-
bensrettende Maßnahmen zur Verhin-           sierungen zu verhindern und Leben zu
derung von Überdosierungen und zur           retten und um den Weg zur weiteren
Reduktion anderer mit dem Drogenkon-         Behandlung und Rehabilitation für Dro-
sum verbundener Risiken sowie für die        genkonsument*innen zu ebnen.
Etablierung eines Behandlungspfads,
der nach der Haftentlassung nicht un-        Das Projekt will deshalb unter anderem
terbrochen wird.                             die Umsetzung lebensrettender Inter-
                                             ventionen im Gefängnis und nach der
Bei Strafgefangenen mit Drogenkon-           Entlassung unter besonderer Berück-
sumerfahrung (insbesondere von               sichtigung der Schadensminderung, der
Opioiden) sind die mit dem Drogenkon-        Prävention von Überdosierungen und
sum verbundenen Risiken, vor allem           des Einsatzes von Naloxon-Program-
Überdosierungen und Todesfälle, un-          men fördern.
mittelbar nach der Haftentlassung auf-
grund der hohen Rückfallquoten und           Dieses Ziel muss sowohl bei Entschei-
der geringeren Opioidtoleranz extrem         dungsträger*innen als auch bei Prakti-
hoch. Es muss noch viel getan werden,        ker*innen in den europäischen Ländern
um zu gewährleisten, dass Menschen           höchste Priorität haben. Der vorliegen-

                                                                                         5
de Reader will Entscheidungsträger*in-       Danksagung der Autorin
nen und Praktiker*innen aus dem              der englischen Ausgabe:
Justizvollzug praktische Leitlinien an die
Hand geben, wie sie Interventionen zur       Die Autorin möchte allen danken, die
Prävention von Überdosierungen durch         diese Arbeit unterstützt und dazu bei-
Naloxon-Programme und entsprechen-           getragen haben, insbesondere: Heino
de Schulungen und Kompetenztrainings         Stöver, Professor an der Frankfurt
fördern, initiieren und steuern können.      University of Applied Sciences, Laurent
                                             Michel vom Centre Pierre Michel des
                                             Französischen Roten Kreuzes, den Kol-
Über diesen Reader                           leg*innen vom Scottish Drugs Forum,
                                             John-Peter Kools und dem Correlation
Der Reader ist im Jahr 2018 unter            Network, Cinzia Brentari für die Koor-
dem Titel „My first 48 hours out. Nal-       dinierung der Arbeit und Milena Naomi
oxone-on-Release: Guidelines for nal-        Kornek (Frankfurt University of Applied
oxone provistion upon release from           Sciences) für technische Unterstützung.
prison and other custodial settings“
erschienen. 2019/2020 wurde er an die        Kontakt
Verhältnisse in Deutschland angepasst.
                                             Prof. Dr. Heino Stöver
Die Verfasserin des englischen Rea-          Frankfurt University of Applied Sciences
ders „My first 48 hours out” ist Kirsten     Nibelungenplatz 1
Horsburgh vom Scottish Drugs Forum.          60318 Frankfurt am Main
                                             hstoever@fb4.fra-uas.de

                                             Kirsten Horsburgh
                                             Scottish Drugs Forum
                                             91 Mitchell Street, G1 3LN Glasgow, UK
                                             kirsten@sdf.org.uk

                                             u   www.harmreduction.eu
                                             u   www.harmreduction.eu/projects/
                                                 
                                                 my1st48h

                                                                                        6
An wen richten sich
die Empfehlungen?

Diese Empfehlungen richten sich an         Um das zu erreichen, werden diese
Ent­scheidungsträger*innen, Anstaltslei-   Empfehlungen
tungen und Praktiker*innen, die mit der    • Entscheidungsträger*innen des Ge-
Versorgung von Drogengebraucher*in-           sundheitswesens im Strafvollzug die
nen und mit Menschen zu tun haben,            Vorteile der Naloxonvergabe bei der
welche mit hoher Wahrscheinlichkeit           Haftentlassung nahebringen,
Überdosierungen (mit)erleben.              • über die nötigen praktischen Schritte
                                              zur Einführung der Naloxonvergabe
Ziel dieser Empfehlungen ist ein Beitrag      bei der Haftentlassung informieren
zur Reduktion opioidbedingter Todes-          sowie
fälle in den ersten Wochen nach der        • Programmverantwortliche über die
Entlassung aus dem Gefängnis. Konkret         Vorteile der Naloxonvergabe bei
sollen sie                                    der Haftentlassung informieren und
• die Verfügbarkeit von Naloxon für          Tipps zur Umsetzung der entspre-
    Personen erhöhen, die nach ihrer          chenden Maßnahmen zur Verfügung
    Entlassung aus dem Gefängnis mit          stellen.
    hoher Wahrscheinlichkeit eine Über-
    dosierung (mit)erleben, und            Diese Empfehlungen sollen einfach und
• das Bewusstsein für die Anzeichen       benutzer*innenfreundlich sein und Or-
    und Symptome einer Überdosierung       ganisationen einen gebrauchsfertigen
    schärfen sowie dazu befähigen, dar-    Projektplan liefern, der an die lokalen
    auf wirksam zu reagieren.              Erfordernisse angepasst werden kann.

                                                                                      7
Opioid-Überdosierungen

Weltweit sind Überdosierungen eine         Atemdepression führen, besonders
Hauptursache vorzeitiger Todesfäl-         dann, wenn sie zusammen mit anderen
le unter Menschen, die Drogen in-          ZNS-dämpfenden Substanzen wie bei-
travenös konsumieren, und an der           spielsweise Benzodiazepinen und Alko-
überwältigenden Mehrheit der To-           hol eingenommen werden.
desfälle nach Überdosierungen sind
Opioide beteiligt.* 2017 starben schät-    Opioide beeinflussen den Teil des Ge-
zungsweise 500.000 Menschen infolge        hirns, der für die Steuerung der Atmung
des Konsums von Drogen, mehr als 70        zuständig ist. Bei einer Überdosis wird
Prozent davon infolge des Konsums          die Atmung reduziert, bis sie schließlich
von Opioiden und mehr als 30 Prozent       ganz stoppt.
davon an einer Überdosierung mit Opi-
oiden (WHO 2020) – das wären mehr als      Auch nicht tödlich verlaufende
100.000 Menschen.                          Überdosierungen sind ein Anlass zur
                                           Besorgnis, da sie zu verheerenden und
In Europa (damals 28 Mitgliedsländer       zuweilen lebensverändernden Folgen
plus Norwegen und Türkei) wurden –         aufgrund von Verletzungen bzw. Beein-
bei allen Unterschieden in Datenerhe-      trächtigungen führen und gleichzeitig
bung, Monitoring und Pathologie – 2016     das Risiko einer künftigen tödlichen
mehr als 9.000 drogeninduzierte To-        Überdosierung erhöhen können. In
desfälle gemeldet (EMCDDA 2018). Die       Europa kommen auf jede tödliche Über-
tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich     dosis schätzungsweise 20 bis 25 nicht
weit höher.                                tödliche Überdosierungen (EMCDDA
                                           2010). Bei 9.000 gemeldeten Todesfäl-
Forschungen zufolge sind die meisten       len infolge von Überdosierungen wären
dieser Todesfälle unbeabsichtigt einge-    das 2016 mehr als 180.000 Überdosie-
treten und wären demnach vermeidbar        rungen gewesen.
gewesen, zumal in einem großen Teil
dieser Fälle andere Personen anwesend
waren.                                     Wodurch sind Menschen dem
                                           Risiko einer Überdosierung aus-
Opioide setzen die Aktivität des zentra­   gesetzt?
len Nervensystems (ZNS) herab und
können zu einer lebensbedrohlichen         Die Hauptrisikofaktoren für Überdosie-
                                           rungen sind

*	Die Begriffe „Opioide“ und „Opiate“     • R
                                              eduzierte Toleranz – die Toleranz
   werden in diesem Dokument synonym         gegenüber einer Droge kann schnell
   verwendet.                                sinken (häufig innerhalb weniger

                                                                                       8
Tage), nachdem man den Drogen-          stitutionstherapien mit den optimalen
   konsum eingestellt oder wesentlich      Dosierungen und der optimalen Be-
   reduziert hat. Mit einem hohen          handlungsdauer durchgeführt werden
   Risiko verbunden sind daher unter       (EMCDDA 2016b).
   anderem die Zeiträume nach der
   Entlassung aus dem Gefängnis/der        Informationsmaterialien und Gespräche
   Untersuchungshaft, nach Entlassung      über die Risiken einer Überdosierung
   aus dem Krankenhaus, nach statio-       sind von entscheidender Bedeutung.
   närer Rehabilitation oder nach Been-    Man sollte nicht annehmen, dass alle
   digung einer Substitutionstherapie.     Menschen, die schon lange Drogen
• Mischkonsum von Drogen – der            konsumieren, ausreichend über die
   Konsum einer Kombination ver-           Risiken von und den Umgang mit Über-
   schiedener Drogen (nicht unbedingt      dosierungen informiert sind – diese An-
   zur selben Zeit) und insbesondere       nahme kann dazu führen, dass solche
   mehrerer ZNS-dämpfender Substan-        Gespräche nicht stattfinden.
   zen. Aufgrund der Wirkungsweise
   lang und kurz wirkender Drogen ist
   Mischkonsum in einigen Fällen selbst    Bei wem ist die Wahrscheinlich-
   dann möglich, wenn die Drogen nicht     keit, eine Überdosierung (mit-)
   am selben Tag eingenommen wer-          zu erleben, besonders hoch?
   den: Lang wirkende Drogen können
   mehrere Tage lang im Körper verblei-    Am größten ist die Wahrscheinlichkeit,
   ben.                                    eine Überdosierung (mit-) zu erleben,
• Andere Faktoren wie beispielsweise      bei Drogenkonsument*innen. Weite-
   eine schlechte körperliche oder geis-   re Personen sind Familienmitglieder,
   tige Gesundheit und soziale Faktoren    Freund*innen, Drogenberater*innen,
   können das Risiko einer Überdosie-      Beschäftigte im Bereich der Obdach-
   rung ebenfalls erhöhen.                 losen- und Wohnhilfe, Streetwor-
                                           ker*innen, Mitarbeiter*innen von
                                           Strafverfolgungsbehörden … praktisch
Wie können Überdosierungen                 alle, die mit Drogenkonsument*innen
verhindert werden?                         Kontakt haben – die Liste ist endlos.

Während diese Empfehlungen dar-
auf fokussieren, tödliche Verläufe von     Wie sehen die Anzeichen und
Überdosierungen zu verhindern, gilt        Symptome einer Überdosierung
es generell zu überlegen, wie sich         aus?
Überdosierungen überhaupt vermeiden
lassen.                                    Viele Menschen sterben, weil nicht er-
                                           kannt wird, dass eine Überdosierung
Sehr gut recherchiert und belegt ist,      vorliegt. Notfallmaßnahmen gegen
dass die Opioid-Substitutionsthera-        Überdosierungen aber sind zwecklos,
pie (OST) einen Schutzfaktor darstellt     wenn die Überdosierung nicht erkannt
(Pont et al. 2018). Um drogenbedingte      wird. Häufig nehmen Menschen zum
Todesfälle zu reduzieren, müssen Sub-      Beispiel an, dass eine Person schläft,

                                                                                     9
weil sie „schnarcht“, während in Wahr-     In den meisten Fällen tritt der Tod nicht
heit eine Überdosierung vorliegt. Es ist   sofort ein. Viele Todesfälle treten zwei
daher sehr wichtig, dass die Anzeichen     oder drei Stunden nach dem Drogen-
einer Überdosierung breit bekannt sind:    konsum ein, nur ein Viertel der Todes-
                                           fälle unmittelbar nach dem Konsum.
• Die Person ist nicht ansprechbar.        Dieses Zeitfenster bietet die Gelegen-
• Die Person hat eine langsame/fla-       heit zur Intervention.
   che/rasselnde Atmung (wird häufig
   mit Schnarchen verwechselt).            Die meisten Zeug*innen von Überdo-
• Die Person hat blasse Haut und          sierungen greifen ein, um die Notsi-
   möglicherweise blaue Lippen (Zya-       tuation zu bewältigen, doch viele der
   nose).                                  ergriffenen Maßnahmen (zum Beispiel,
• Die Person hat verengte Pupillen        kollabierten Konsument*innen leicht
   (deutet auf den Konsum von Opiaten      ins Gesicht zu schlagen oder mit ihnen
   hin); auch bei nicht verengten Pupil-   umherzugehen) sind falsch und unwirk-
   len sollte eine Opioid-Überdosierung    sam. In Studien mit Personen, die selbst
   nicht ausgeschlossen werden.            eine Überdosierung erlebt oder miter-
                                           lebt haben, stellte sich heraus, dass nur
                                           die Hälfte einen Krankenwagen gerufen
                                           hatten – hauptsächlich, weil sie Angst
                                           vor der Polizei hatten und glaubten, die
                                           Situation selbst bewältigen zu können
                                           (Wakeman et al. 2009).

                                                                                       10
Was ist Naloxon?

Naloxon ist ein Medikament, das die        Es verursacht selbst keinen „Rauschzu-
Wirkung von Opioiden aufhebt. Bei          stand“ und keine Vergiftung, sondern
einer Überdosierung kann es Leben          hat einzig und allein die Aufgabe, die
retten.                                    Folgen der durch die Opioide verur-
                                           sachten Atemdepression aufzuheben.
Das Medikament gibt es seit mehr
als 50 Jahren; es steht auf der Liste      Zu den Opioiden gehören neben Heroin
der unentbehrlichen Arzneimittel der       unter anderem Methadon (verursacht
Weltgesundheitsorganisation (WHO)          keinen „Kick“), Kodein, Tramadol, Fenta-
und wird in WHO-Leitlinien für den         nyl und Morphin. Naloxon ist also nicht
Umgang mit Opioid-Überdosierungen          nur zur Verwendung bei vermuteten
im Community-Setting empfohlen.            Heroin-Überdosierungen gedacht.
Seit den 1990er-Jahren wird Naloxon
an Personen abgegeben, bei denen           Wenn die Person mit der Überdosis
die Wahrscheinlichkeit hoch ist, eine      körperlich von Opioiden abhängig ist,
Überdosierung (mit-) zu erleben. In        können nach der Naloxongabe akute
Deutschland ist seit Ende 2018 ein ver-    Entzugserscheinungen auftreten – das
schreibungspflichtiges und erstattungs-    Risiko steigt mit der Naloxondosis. Eine
fähiges Naloxon-Nasenspray auf dem         vorsichtige Dosierung kann die Wahr-
Markt (DAH 2018).                          scheinlichkeit von Entzugserscheinun-
                                           gen reduzieren.

Wie wirkt Naloxon?                         Naloxon wirkt nur sehr kurz; die Wir-
                                           kung beginnt nach 20 bis 30 Minuten
Naloxon wirkt, indem es vorüberge-         nachzulassen, sodass dann die Opioi-
hend Opioide von den Rezeptoren im         de wieder an die Rezeptoren binden.
Gehirn verdrängt und so die Atem-          Es ist daher sehr wichtig, dass die be-
schwierigkeiten bei der Person, die        troffenen Personen zwischenzeitlich
eine Überdosis erlitten hat, rückgängig    (während das Naloxon wirkt) keine
macht (EMCDDA 2016a). Bei der na-          weiteren Drogen oder Medikamente
salen Verabreichung von Naloxon tritt      einnehmen, da sie sonst bei Nachlas-
die erwünschte Wirkung (Person atmet       sen der Naloxonwirkung wahrschein-
wieder) nach wenigen Sekunden ein;         lich erneut eine Überdosierung
evtl. muss eine zweite Dosis verabreicht   erleiden. Da die vor dem Notfall ein-
werden (siehe S. 12).                      genommene Dosis ausreichen kann,
                                           um nach 20 bis 30 Minuten erneut zu
Naloxon ist ein „kompetitiver Antago-      einer Atemlähmung zu führen, muss
nist“, das heißt, es „konkurriert“ mit     unbedingt ein Rettungswagen geru-
den Opioiden um die Rezeptoren und         fen werden und die Person unter Be-
blockiert diese dann vorübergehend.        obachtung bleiben.

                                                                                      11
Naloxon ist ein extrem sicheres Medika-     Die Dosierung hängt von der Wahl des
ment.                                       Produkts ab, aber in den meisten Fällen
                                            sind 0,4–0,8 mg eine wirksame Dosis. Es
                                            ist wichtig, ausreichend Naloxon bereitzu-
Wann sollte Naloxon verabreicht             stellen, um ggf. die anfängliche Dosis zu
werden?                                     ergänzen (WHO, 2014).

Naloxon ist für vermutete Opiat-Über-
dosierungen gedacht. Bei Anzeichen          Rechtliche Aspekte
einer Überdosierung ist die Verabrei-
chung von Naloxon vollkommen sicher,        Die rechtliche Situation stellt sich in den
selbst wenn sich herausstellt, dass         europäischen Ländern unterschiedlich
keine Opiate konsumiert worden sind.        dar und ergibt ein unklares Bild. Eine
Die Wirkung anderer Drogen wie Alko-        Übersicht aus dem Jahr 2020 findet
hol, Benzodiazepine oder Kokain, die zu     sich bei der EMCDDA unter https://
einer Überdosierung beitragen können,       www.emcdda.europa.eu/publications/
kann Naloxon nicht aufheben – Naloxon       topic-overviews/take-home-naloxone
hebt nur die Wirkung von Opioiden auf.      (Stand: 31.8.2020; abgerufen am
                                            8.4.2021).

In welcher Form wird Naloxon                In Deutschland gelten für die
verabreicht?                                Verschreibung von Naloxon (das nicht
                                            dem Betäubungsmittelrecht unterliegt)
In Europa war Naloxon bis 2018 nur zur      „die Vorschriften der Arzneimittelver-
intramuskulären, intravenösen oder          schreibungsverordnung sowie die all-
subkutanen Anwendung zugelassen.            gemeinen ärztlichen Sorgfaltspflichten
Mittlerweile ist in der EU eine nasale      bei der Arzneimitteltherapie im Sinne
Applikation zugelassen worden. Es han-      einer individuellen Nutzen-Risiko-Ab-
delt sich um ein Nasenspray (Nyxoid®),      wägung für die einzelne Patientin oder
das in Einzeldosisbehältnissen erhältlich   den einzelnen Patienten“ – so lautet
ist (pro Packung 2 Sprays à 1,8 mg). Die    die Antwort der Bundesregierung auf
empfohlene Dosis ist ein Sprühstoß in       eine Kleine Anfrage der Fraktion „Die
ein Nasenloch. Falls es der Person inner-   Linke“, die wissen wollte, unter welchen
halb von 2–3 Minuten nicht besser geht      Voraussetzungen es Ärztinnen und Ärz-
oder die Symptome der Überdosierung         ten nach Ansicht der Bundesregierung
erneut auftreten, verwendet man ein         erlaubt sei, Menschen mit einer Heroin-
neues Spray im anderen Nasenloch.           oder sonstigen Opioidabhängigkeit
                                            Naloxon zur Anwendung im Notfall zu
Neben dem Nasenspray gibt es auch Am-       verschreiben.1
pullen oder Fläschchen und Fertigspritzen
mit Naloxonhydrochlorid in unterschied-     Ein strafrechtliches Gutachten zur Frage
lichen Konzentrationen: 0,02 mg, 0,4 mg     der einschlägigen Risiken bei der Ver-
und 1 mg pro 1 ml-Fläschchen, 2 mg/1 ml-,   schreibung von Naloxon an opiatkon-
2 mg/2 ml-, 2 mg/5 ml-Fertigspritzen und
4 mg/10 ml-Multidosisampullen.              1   BT-Drucksache 18/10958, S. 5f.

                                                                                          12
sumierende Personen2 kommt zu dem                  Person das Medikament bestimmt ist.
Schluss: „Einen strafrechtlichen Grund,            Dazu, wer die Substanz im Ergebnis
in medizinisch geeigneten Fällen von               verabreicht, enthält das Rezept hin-
der Rezeptierung von Naloxon abzu-                 gegen keine Angaben – wie sollte dies
sehen, gibt es nicht. Wann eine solche             auch zum Zeitpunkt des Rezeptierens
Rezeptierung angezeigt ist, ist eine me-           bestimmt werden können (vgl. Teuter
dizinische und keine (straf-)rechtliche            2017, S. 4)?
Frage“ (S. 9).

Eine Strafbarkeit nach dem Arzneimit-              Forschungsübersicht
telgesetz ist für den verschreibenden
Arzt*die verschreibende Ärztin – bei               Ein Mapping-Review (Horton et al.
Beachtung der arzneimittelrechtlichen              2017) ergab, dass die meisten Studien
Grundsätze sowie spezifischer Beson-               und Berichte über Naloxon nach der
derheiten – ausgeschlossen, da es sich             Haftentlassung aus den USA oder dem
bei Naloxon um ein verschreibungsfä-               Vereinigten Königreich stammen; aus
higes Medikament handelt. In diesem                anderen europäischen Ländern gibt es
Zusammenhang ist es unerheblich, dass              nur wenige veröffentlichte Arbeiten.
die opioidkonsumierende Person das
Naloxon im Ernstfall nicht mehr selbst             Die nachstehenden Informationen
anwenden kann. Diese Tatsache ergibt               stammen hauptsächlich aus diesen we-
sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Arzneimit-           nigen veröffentlichten Arbeiten sowie
telverschreibungsverordnung (AMVV),                aus dem EMCDDA-Bericht (EMCDDA
denn nach dieser Vorschrift muss das               2016a; vgl. auch: Jamin/Stöver 2020).
Rezept Angaben enthalten, für welche

2    euter, L. (2017): Strafrechtliches Gutach-
    T
    ten zur Frage der einschlägigen Risiken bei
    der Verschreibung von Naloxon an opiat-
    konsumierende Personen. Gutachten im
    Auftrag von akzept e.V., online verfügbar
    unter https://www.akzept.org/uploads0517/
    GutachtenNaloxonTeuter2017.pdf (Zugriff:
    8.6.2020).

                                                                                           13
Naloxon-Vergabeprojekte
und Naloxon in Haft in der EU
(Beispiele)

Norwegen                                 Estland

Das Programm für intranasales Nalo-      In Estland wurde 2013 ein community­
xon in Oslo und Bergen startete 2014.    basiertes Naloxon-Programm einge-
Es sieht eine Naloxon-Fertigspritze      führt. Ab 2015 wurde Naloxon durch die
(2 mg/2 ml) mit einem Nasalzerstäuber    medizinischen Abteilungen der Haftan-
anstelle von Injektionsnadeln vor.       stalten ausgegeben. Die Justizvollzugs-
                                         anstalten organisieren Schulungen für
In Haftanstalten konnte es nur bedingt   Inhaftierte mit einer Vorgeschichte von
umgesetzt werden, ein Ausbau wird an-    intravenösem Opioid-Konsum, bevor
gestrebt.                                diese aus dem Gefängnis entlassen wer-
                                         den. Bei ihrer Haftentlassung bekom-
Unter Gefangenen in Oslo wurden Kurz-    men sie ein Naloxon-Fertigspritzen-Kit,
schulungen zur Naloxon-Anwendung         das sie mit nach Hause nehmen können.
durchgeführt. Eine Evaluation zeigte,
dass die Teilnehmer*innen schon vor      Von Juni 2015 bis Ende 2016 wurden
der Schulung gute Grundkenntnisse        insgesamt 107 Insassen der Gefängnis-
über Risikofaktoren, Symptome und        se Viru, Harku und Murru sowie Tartu
Umgang mit Opioid-Überdosierungen        geschult; 85 Naloxon-Fertigspritzen
hatten und die Kurzschulungen die-       wurden ausgehändigt.
ses Wissen erheblich erweitern konn-
ten, insbesondere in Bezug auf den
Einsatz von Naloxon (Petterson und       Irland
Madah-Amiri, 2017).
                                         2015 wurden in Irland 31 Personen zu
Daraus wurde gefolgert, dass Program-    Schulungsleiter*innen ausgebildet, an
me zur Prävention von Überdosierun-      übergreifenden Schulungseinheiten für
gen von entscheidender Bedeutung         das Naloxon-Demonstrationsprojekt
sind und dass die in Haftanstalten       nahmen dann fast 600 Personen teil
durchgeführten Naloxon-Schulungen        (Health Service Executive 2016).
den Inhaftierten bei der Erkennung und
Bewältigung von Opioid-Überdosierun-     Im Laufe des Projekts wurden 95 Take-
gen nach ihrer Entlassung helfen kön-    Home-Naloxon-Rezepte (THN) von
nen.                                     sechs Allgemeinmediziner*innen in
                                         Dublin und Limerick ausgestellt.

                                                                                   14
Fünf potenziell tödliche Überdosierun-     Deutschland
gen wurden mit THN verhindert, wobei
das Naloxon in vier Fällen von Mitarbei-   „Fixpunkt“ Berlin begann 1999 mit
ter*innen und in einem Fall von einem      der Abgabe von THN, doch erhielt das
Peer verabreicht wurde.                    Projekt nach Ende der Pilotphase im
                                           Jahr 2002 keine weitere Finanzierung.
Die irische Strafvollzugsbehörde nahm      Trotzdem stellte Fixpunkt auch nach
an der Einführung der Schulungen teil.     der Pilotphase weiterhin THN in gerin-
Hier gab es Verzögerungen bei der Ver-     gen Mengen zur Verfügung und führte
schreibung, die jedoch gegen Ende des      Schulungen durch (Dichtl et al. 2018;
Projekts beseitigt wurden.                 Dichtl und Stöver 2015).

                                           2014 veranstaltete die Deutsche Aidshil-
Dänemark                                   fe ein Konzeptseminar zur Drogennot-
                                           fallschulung und Naloxonvergabe vor
Die Vergabe von intranasalem Naloxon       der Haftentlassung, an dem Mitarbei-
begann 2013 in Kopenhagen, Aarhus,         ter*innen verschiedener Justizvollzugs-
Odense und Glostrup. 2014 hatten 121       anstalten teilnahmen. 2015 erstellte die
Drogenkonsument*innen an Schulun-          Deutsche Aidshilfe ein Konzept zur Dro-
gen zur Verhinderung von Überdosie-        gennotfallschulung und Naloxonverga-
rungen teilgenommen und THN-Kits           be vor der Haftentlassung. Modellhafte
erhalten (EMCDDA 2016a).                   Interventionen sollten sich anschließen,
                                           die Umsetzung scheiterte allerdings an
THN wird Drogenkonsument*innen,            der Rechtsunsicherheit bezüglich der
Familienmitgliedern, Freund*innen          Vergabe und der damaligen Auffassung,
und Mitarbeiter*innen in Gesundheits-      es handele sich ggf. um eine Arzneimit-
diensten zur Verfügung gestellt. Bevor     telstudie.
die THN-Kits ausgegeben werden, wird
eine Schulung zur Prävention von Über-     Anfang 2021 stellten 19 Träger in 18
dosierungen und zum Umgang damit           Städten THN zur Verfügung (Ostermann
durchgeführt.                              2020), wobei es auch Programme mit
                                           Schwerpunkt auf dem Zeitraum nach
Das Kit enthält eine 2 mg/2 ml-Fertig-     der Haftentlassung gab (Condrobs in
spritze mit einem separaten Nasen-         München und MUDRA in Nürnberg;
zerstäuber. Die Spritze ermöglicht         siehe Ostermann 2019).
fünf Dosen à 0,4 mg mit Anleitung zur
nasalen Verabreichung der ersten drei      Laut Rückmeldung von 15 Standorten
Dosen und zur intramuskulären Injekti-     wurden 2019 insgesamt 190 Nalo-
on der restlichen beiden Dosen.            xonschulungen mit rund 800 Teilneh-
                                           mer*innen durchgeführt. 646 Mal
                                           wurde Naloxon ausgegeben und es gab
                                           48 Naloxoneinsätze, 47 davon erfolg-
                                           reich.

                                                                                      15
THN wird in Deutschland breit dis-          Trotz der Tatsache, dass THN in Apothe-
kutiert. Dabei geht es auch um die          ken erhältlich ist, spielen die Apothe-
Ausarbeitung eines Netzwerks zur            ker*innen selbst keine aktive Rolle beim
Verbesserung des THN-Angebots               Verkauf an Drogenkonsument*innen,
­(koordiniert von akzept e.V.; siehe        was als Mangel des Programms gese-
 www.naloxoninfo.de).                       hen wird.

Insgesamt bleibt Naloxon in Deutsch-        Von den 57 niedrigschwelligen Einrich-
land aber weitgehend ungenutzt (vgl.        tungen stellten 55 für das Jahr 2015
Schäffer 2020).                             ihre Daten zur Abgabe von THN an ihre
                                            Kund*innen zur Verfügung. Insgesamt
                                            wurden 14.999 Ampullen abgegeben,
Italien                                     das entspricht einem Durchschnitt von
                                            272 Ampullen pro Jahr und Einrichtung.
In Italien ist THN seit den späten
80er-Jahren in Apotheken frei verkäuf-      In italienischen Gefängnissen werden
lich und wurde bereits 1991 an Drogen-      wenige oder gar keine Schadensminde-
konsument*innen, ihre Familien und          rungs-Programme für Inhaftierte ange-
Freund*innen abgegeben. Seit 1996           boten, obwohl eine Abgabe von THN für
wird Naloxon formell als apotheken-         diese Zielgruppe bedeutsam wäre.
pflichtig eingestuft und darf in Apothe-
ken ohne Rezept abgegeben werden.           Aus der Forschungsarbeit in Italien wur-
                                            den die folgenden Schlussfolgerungen
THN ist ein Bestandteil der Strategie zur   und Empfehlungen abgeleitet:
Prävention von Überdosierungen und
wurde 2015 durch 57 niedrigschwellige       Praxis
Harm-Reduction-Einrichtungen verteilt
(Ronconi et al. 2017). Die Verfügbarkeit    • D er aktuelle rechtliche Rahmen ist
ist allerdings regional unterschiedlich;       klar und ausreichend.
besonders im Süden und auf den Inseln       • Jedes Drogenhilfeangebot kann und
ist das Angebot lückenhaft. Die Versor-        sollte Naloxon ausgeben.
gung mit THN wird größtenteils von den      • Es sollte Anreize für den Peer-Sup-
Drogenberatungsstellen und mobilen             port-Ansatz, d.h. die Zusammenar-
Spritzentausch-Stellen übernommen.             beit mit Peers und die Unterstützung
Die entsprechenden Informationen               von Vereinigungen von Drogenkon-
werden von den Mitarbeiter*innen               sument*innen geben.
dieser Stellen vermittelt; es gibt jedoch   • Einführung von Programmen für Fa-
auch eine gute Peer-to-Peer-Aufklärung         milien
und ein Versorgungsnetz, das Profes-        • Einführung von THN in Gefängnissen
sionelle und Drogengebraucher*innen            und nach der Haftentlassung
umfasst. In 70 Prozent der Überdo-
sis-Fälle leisten Drogengebraucher*in-
nen Erste Hilfe mit Naloxon (Ronconi
2018).

                                                                                       16
Politik                                      Anfangs gab es für Drogenkonsumen­-
                                             t*­innen einen finanziellen Anreiz zur
• D ie Drogenpolitik und die dazugehö-      Teilnahme an Schulungen. Bis Dezem-
   rigen Aktionspläne sollten auf einem      ber 2013 wurden 5.830 THN-Kits aus-
   aktuellen Stand sein.                     gegeben, 40 % der Teilnehmer*innen
• Es müssen Richtlinien zur Schadens-       gaben an, ein Kit bei Überdosierungen
   minimierung herausgegeben wer-            eingesetzt zu haben.
   den.
• THN ist in die Livelli Essenziali di      Die Koordinator*innen des Programms
   ­Assistenza (LEA) aufzunehmen, also       beschrieben folgende Herausforderun­
    die für alle Bürger*innen garantierte    gen und Probleme: Einstellungsbezo-
    Mindestbetreuung, zu der u.a. Prä-       gene Hindernisse bei abstinenzorien-
    ventionsmaßnahmen und die medi-          tierten Einrichtungen, eingeschränkte
    zinische Grundversorgung gehören.        Abgabe von Naloxon-Kits und mangeln-
                                             de Bereitstellung über den Gefängnis-
Forschung                                    dienst (EMCDDA 2016a).

• A ufnahme von THN in das institutio-
   nelle Monitoringsystem                    Großbritannien
• Entwicklung qualitativer Forschung,
   Änderung der Haltung gegenüber            England
   Drogenkonsument*innen
• Entwicklung von Evaluationsstudien        2008 gewährte der UK Medical Research
   für die Prozesse und Ergebnisse von       Council die Finanzierung für die Pilot-
   THN                                       studie „N-ALIVE“. Die Teilnahmevoraus-
• Höhere Synergie zwischen Informa-         setzungen erfüllten alle Inhaftierten
   tionssystemen und Registern für           im Alter von mindestens 18 Jahren mit
   Sterbefälle, um die Zahl von Über-        einer Freiheitsstrafe von mindestens
   dosierungen besser überwachen zu          sieben Tagen und einer Vorgeschichte
   können.                                   mit intravenösem Heroinkonsum. Die
                                             Studie startete im Mai 2012, es nahmen
                                             Inhaftierte aus 16 Haftanstalten teil.
Spanien
                                             Die für den Studienarm mit Take-Home-
In Barcelona begann die THN-Vergabe          Naloxon randomisierten Teilnehmer*in-
offiziell im Jahr 2008, obwohl sie Berich-   nen erhielten nach ihrer Haftentlassung
ten zufolge bereits seit 2001 inoffiziell    ein N-ALIVE-Kit mit einer Naloxon-Fer-
praktiziert wurde. THN wird mittler-         tigspritze und einem Beipackzettel
weile von einem breiten Spektrum von         sowie einer DVD mit Video-Anleitung
Dienstleister*innen an Drogenkon-            zum Umgang mit Überdosierungen und
sument*innen ausgegeben, darunter            zur Verabreichung von Naloxon.
Drogentherapie-Einrichtungen, Drogen-
konsumräume und Entgiftungszentren.

                                                                                       17
Die Studienteilnehmer*innen in der         • w urden landesweit durchschnittlich
Kontrollgruppe erfuhren zum Zeitpunkt         12 Take-Home-Naloxon-Kits auf 100
ihrer Haftentlassung, dass ihr N-ALIVE-       Opioidkonsument*innen ausgege-
Kit kein Naloxon enthält.                     ben (entspricht 12 % Abdeckung)
                                           • lag die Abdeckung in 18 Gebieten bei
Die Randomisierung für die N-ALIVE-           0 % (darunter die 13 Gebiete, die kein
Studie endete am 8. Dezember 2014             Take-Home-Naloxon zur Verfügung
(d.h., die Studie wurde geöffnet, alle        stellten),
Teilnehmer*innen bekamen Naloxon),         • lag die Abdeckung in 72 Gebieten
teilweise aufgrund der positiven Ergeb-       zwischen 1 % und 20 %,
nisse aus dem schottischen nationalen      • lag die Abdeckung in 26 Gebieten
Naloxon-Programm (EMCDDA 2016a).              zwischen 20 % und 49 %.

Gezeigt werden konnte, dass die Nalo-
xon-Vergabe vor Haftentlassung eine        Wales
lebensrettende Maßnahme für Opioid­
abhängige sein kann (Parmar et al.         Wales hat ein eigenes nationales Pro-
2017).                                     gramm, das im Jahr 2009 (als Pilot-
                                           programm) startete. Bis einschließlich
Die Verfügbarkeit von Naloxon in Eng-      März 2017 wurden 15.037 Kits an 6.302
land verbessert sich und war 2017          Einzelpersonen verteilt. Naloxon wurde
in 138 von den damals 152 lokalen/         nach Angaben der Teilnehmer*innen
regionalen Verwaltungseinheiten des        1.654 Mal bei einer Überdosierung ein-
Nationalen Gesundheitsdienstes NHS         gesetzt (Morgan und Smith 2017).
gewährleistet. Laut einem Bericht aus
dem Jahr 2017 (Release 2017) fiel die      Es gibt sechs Männergefängnisse in
Verfügbarkeit von THN je nach Ort aller-   Wales, von denen drei THN an Perso-
dings unterschiedlich aus.                 nen ausgeben, die bei ihrer Entlassung
                                           als gefährdet eingestuft werden. Von
Von 152 Lokalbehörden machten 117          2016 bis 2017 wurde die THN-Verga-
Angaben zur Anzahl von Take-Home-          be erfolgreich im Gefängnis Eastwood
Naloxon-Kits, die im Wirtschaftsjahr       Park in Gloucestershire (das Wales am
2016/17 ausgegeben wurden. In diesen       nächsten gelegene Frauengefängnis)
Gebieten                                   und in Arrestzellen in Wales eingeführt.

                                           Schottland

                                           Das schottische Modell wird auf den fol-
                                           genden Seiten ausführlich beschrieben.

                                                                                       18
Das schottische Modell

Kontext: Drogenbedingte                     Schottland hatte 2019 laut Eurostat
Todesfälle in Schottland                    etwa 5,45 Millionen Einwohner*innen,
                                            14 Health Boards (regionale Gesund-
                                            heitsbehörden), 15 Gefängnisse und 30
Die Zahlen drogenbedingter Todesfälle       Alkohol- und Drogenberatungsstellen.
in Schottland gehören zu den höchsten       Alle 14 Health Boards nehmen am Take-­
Europas. 2018 starben 1.187 Personen        Home-Naloxon-Programm teil und alle
einen vermeidbaren Tod, von denen die       15 Gefängnisse stellen Inhaftierten bei
meisten versehentlich eintraten. Damit      ihrer Entlassung Naloxon zur Verfügung.
hat sich die Zahl der drogenbedingten
Todesfälle von 1996 bis 2018 etwa ver-      Eine Schätzung aus dem Jahr 2019
fünffacht (National Records of Scotland,    ging davon aus, dass es 2015/2016 in
2019). 2019 lag die Zahl der drogen-        Schottland rund 57.000 Menschen mit
bedingten Todesfälle in Schottland bei      problematischem Drogenkonsum gab.
1.264 (National Records of Scotland,        2017/2018 erhielten mindestens 25.906
2020).                                      Personen in Schottland Methadon (Scot-
                                            tish Public Health Observatory 2018).
Als Reaktion auf die steigende Anzahl
opioidbedingter Todesfälle stellte die      2017/2018 wurden in Schottland 8.397
schottische Regierung 2010 ein Natio-       Take-Home-Naloxon-Kits ausgegeben,
nales Naloxon-Programm vor, das ab          664 davon bei Haftentlassung. Etwas
2011 umgesetzt wurde.                       mehr als die Hälfte der Kits gingen an
                                            Personen, die bereits zuvor Naloxon
Im Juli 2019 richtete die schottische Re-   bekommen hatten, und wiederum die
gierung angesichts der kontinuierlich       Hälfte davon an Personen, die Naloxon
steigenden Todesfallzahlen eine „Drug       zur Verhinderung einer Überdosis ein-
Deaths Taskforce“ ein, die bewährte         gesetzt hatten. Zwischen 2011/12 und
Gegenmaßnahmen zusammentragen               2017/18 wurden in Schottland insge-
und Barrieren für eine Senkung der          samt 46.037 Take-Home-Naloxon-Kits
Zahlen identifizieren sowie aus Pub-        ausgegeben (Information Services Di-
lic-Health-Perspektive Vorschläge für       vision Scotland 2018b). Jedes Jahr im
einen anderen Umgang mit Drogen(ge-         August wird der National-Records-of-
braucher*innen) im Gesundheits-, Sozi-      Scotland-Bericht veröffentlicht. Er ent-
al- und Justizwesen vorlegen soll (siehe    hält Angaben zur Zahl der drogenbe-
https://drugdeathstaskforce.scot/).         dingten Todesfälle im Vorjahr sowie
Ihren Plan für die Jahre 2021 bis 2022      zum Alter der Verstorbenen, demogra­
legte die Taskforce im Dezember 2020        fische Daten sowie Angaben zu den
vor (https://drugdeathstaskforce.scot/      Drogen, die bei den Todesfällen eine
about-the-taskforce/forward-plan/).         Rolle gespielt haben.

                                                                                       19
Die wichtigsten Drogen bei diesen           • D
                                               ie Person war aktuell nicht in Be-
Todes­fällen sind durchgehend Heroin,         handlung, hatte sich jedoch in einer
Methadon, Benzodiazepine und Alkohol.         großen Anzahl von Fällen in den
2018 waren Opiate bei 86 Prozent der          sechs Monaten vor ihrem Tod einer
drogenbedingten Todesfälle beteiligt          Behandlung unterzogen.
oder haben potenziell dazu beigetragen
(National Records of Scotland 2019).        Angesichts der Tatsache, dass es sich
                                            bei zwei der hauptsächlich involvierten
2017 betrafen 4,4 Prozent (31) der opi-     Drogen um Opioide handelt und dass in
oidbedingten Todesfälle Personen, die       den meisten Fällen Zeug*innen anwe-
in den vier Wochen zuvor aus der Haft       send sind, ist es sinnvoll, jenen Perso-
entlassen worden waren – signifikant        nen Naloxon zur Verfügung zu stellen,
weniger als die 9,8 Prozent in den fünf     die am ehesten eine Überdosierung
Jahren (2006–2010) vor Einführung des       (mit)erleben werden.
schottischen Naloxon-Programms (In-
formation Services Division Scotland
2018b).                                     Das Naloxon-Programm in den
                                            schottischen Gefängnissen
Die Information Services Division (ISD)
Scotland veröffentlicht den Drug-           Ein Hauptschwerpunkt des landeswei-
Deaths-Database-Bericht, der weitere        ten Programms war die Sicherstellung
Einzelheiten zu den Umständen der           der Naloxonvergabe bei der Haftent-
einzelnen Todesfälle enthält (siehe z. B.   lassung, weil Gefangene in den ersten
Information Services Division 2018 für      Wochen in Freiheit ein erhöhtes Risiko
die drogenbezogenen Todesfälle der          einer Überdosierung und eines dro-
Jahre 2015 und 2016 sowie Information       genbedingten Todesfalls haben (Bird
Services Division 2016a für die drogen-     und Hutchison 2003).
bezogenen Todesfälle des Jahres 2014).
                                            Die Gefängnispopulation in Schottland
Hierbei lassen sich viele Gemeinsamkei-     betrug 2015 durchschnittlich etwa 7.800
ten erkennen:                               Personen (Scottish Government 2015),
                                            ein Drittel dieser Personen wurden bei
• H äufig vergehen mehrere Stunden         ihrer Aufnahme positiv auf Opiate ge-
   zwischen der Überdosierung und           testet (Scottish Prison Service 2014).
   dem Eintritt des Todes.
• Viele Betroffene hatten bereits ein-     Personen mit Opiatkonsumgeschichte
   mal eine nicht tödlich verlaufene        erhalten während ihres Gefängnis-
   Überdosierung erlebt.                    aufenthalts ein Schulungsangebot durch
• Mehrere Drogen wurden zusammen           NHS-Mitarbeiter*innen, oft in den letz-
   konsumiert (Mischkonsum).                ten sechs Wochen vor ihrer Entlassung.
• Zeug*innen waren anwesend.                Nach der Schulung wird ihren persönli-
• Die betroffene Person war ein*e älte­    chen Gegenständen ein Naloxon-Kit hin-
   re*r Drogenkonsument*in (35 bis 44       zugefügt, das ihnen bei der Entlassung
   Jahre) mit einer langen Geschichte       aus dem Gefängnis ausgehändigt wird
   problematischen Drogenkonsums.           (Horsburgh und McAuley 2017).

                                                                                       20
Darüber hinaus hat das Scottish Drugs      Gefangene haben während ihrer Haft-
Forum zahlreiche Gruppen von Ge-           zeit an vielen Punkten Gelegenheiten
fangenen in ganz Schottland in einer       zur Teilnahme an Schulungen. Die fol-
Peer-Education-Schulung ausgebildet,       genden Schritte beschreiben einige po-
damit diese anschließend andere Ge-        tenzielle Hindernisse in den einzelnen
fangene schulen können. Diese Metho-       Phasen und mögliche Lösungen.
de hat Berichten zufolge die Akzeptanz
von Naloxon in schottischen Gefängnis-     Aufnahme („Zugang“)
sen erhöht und dazu beigetragen, dass
die Mitarbeiter*innen mehr Kits ausge-     Bei der Aufnahme werden die Gefange-
geben haben.                               nen dem medizinischen Personal vorge-
                                           stellt, das auch Drogentests durchführt.
Laut dem landesweiten Naloxon-             Bei einem positiven Test auf Opiate
Bericht 2016 wurden in Schottland          sollen die Gefangenen über das Nalo-
zwischen 2011/12 und 2015/16 insge-        xon-Programm informiert werden; falls
samt 4.343 THN-Kits in Gefängnissen        sie Interesse äußern, wird das in den
ausgegeben (Information Services           Akten notiert. Falls sie die Teilnahme
Division 2016b).                           an dem Programm ablehnen, wird zu
                                           einem späteren Zeitpunkt noch einmal
Außerdem wurden fast 300 im Nacht-         nachgefragt.
dienst eingesetzte Vollzugsbedienstete
darin geschult, Überdosierungen zu         Hindernisse:
erkennen und Naloxon dagegen zu
verabreichen, weil in schottischen Ge-     Die Aufnahme ist nicht unbedingt der
fängnissen nachts keine medizinischen      beste Zeitpunkt für das Ansprechen
Fachkräfte verfügbar sind. Die Verabrei-   einer Maßnahme, die erst bei der Haft­
chung von Naloxon durch Bedienstete        entlassung verfügbar sein wird. Neu-
spart daher wertvolle Zeit, während der    zugänge müssen sich zu Haftbeginn
Krankenwagen unterwegs ist.                zweifellos mit anderen Dingen beschäf-
                                           tigen.

Praktische Schritte                        Möglich ist, dass nicht alle Gefangenen
                                           über das Programm informiert werden,
Das Naloxon-Programm für Gefäng-           dass das Gespräch nicht dokumentiert
nisse soll die Inhaftierten über die       wird oder dass die Gefangenen nicht
Prävention von/Maßnahmen gegen             erneut auf die Angebote angesprochen
Überdosierungen sowie über Naloxon         werden.
aufklären und ihnen bei ihrer Entlas-
sung Naloxon zur Verfügung stellen. Es     Lösung:
wird durch NHS-Mitarbeiter*innen um-
gesetzt und durch den Scottish Prison      Während ihrer Haftzeit müssen Gefan-
Service ermöglicht.                        gene mehrere Gelegenheiten zur Teil-
                                           nahme an der Schulung bekommen.

                                                                                      21
Einführungsveranstaltung                  Lösung:

Allen Inhaftierten wird in den ersten
                                          Es muss dafür gesorgt werden, dass es
Hafttagen ein Einführungsprogramm
                                          während der Haft mehrere Gelegen-
angeboten. In einigen Einrichtungen
                                          heiten für die Schulung gibt (die Länge
übernehmen Mitgefangene die Ein-
                                          der Zeit vor der Entlassung ist nicht der
führung, in der häufig auch das Nalo-
                                          wichtigste Faktor).
xon-Programm vorgestellt wird. Auch
bei dieser Gelegenheit dokumentieren
                                          Anmeldung zur Teilnahme auf eigene Ini-
Mitarbeiter*innen oder Mitgefangene
                                          tiative
wieder, welche Gefangenen Interesse
haben.                                    Inhaftierte können sich während ihrer
                                          Haft auch jederzeit selbst zu einer Schu-
                                          lung anmelden – vielleicht, nachdem
Hindernisse:                              sie ein Poster oder einen Aushang ge-
                                          sehen, eine Broschüre gelesen haben
Die Einführung ist nicht verpflichtend,   oder von Mitgefangenen, Familienmit-
daher nehmen viele Gefangene mög-         gliedern oder Freund*innen bei einem
licherweise nicht teil und können ihr     Besuch darüber informiert wurden.
Interesse an der Schulung nicht bekun-
den.                                      Durchführung der Schulung

                                          Ursprünglich war vorgesehen, dass die
Lösung:                                   Schulung von zwei Mitarbeiter*innen
                                          in einem Gruppensetting durchgeführt
Während ihrer Haftzeit müssen Gefan-      wird.
gene mehrere Gelegenheiten zur Teil-
nahme an der Schulung bekommen.
                                          Hindernisse:
Naloxon-Schulung
                                          •	Es war schwierig, Schulungsleiter*in-
Die Naloxon-Schulung findet häufig –         nen und Teilnehmer*innen zur
zusammen mit anderen Maßnahmen               selben Zeit an denselben Ort zu brin-
zur Entlassungsvorbereitung – sechs          gen.
Wochen vor der Haftentlassung statt.
                                          •	Die Gefangenen hatten oft andere
                                             Prioritäten wie Arbeit, Fitness, Besu-
Hindernisse:                                 che usw.

Diese Programme sind nicht verpflich-     •	Die Bediensteten mussten die Teil-
tend, daher kann es passieren, dass          nehmer*innen zur Schulung be-
viele Inhaftierte nicht teilnehmen. Ge-      gleiten, doch manche Gefangene
fangene könnten außerdem vorzeitig           verweigerten am Schulungstag die
entlassen werden und diese Gelegen-          Teilnahme.
heit verpassen.

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•	Personalengpässe oder mangelnde         Die Mitarbeiter*innen im Empfangs-
   Verfügbarkeit stellten ebenfalls ein    bereich wissen allerdings nicht immer,
   Problem dar.                            was Naloxon ist, und können daher
                                           möglicherweise nicht einschätzen, wie
Gruppen sind in einer Gefängnisum-         wichtig es ist, das Kit den Wertgegen-
gebung nicht immer angemessen,             ständen hinzuzufügen.
insbesondere bei einem potenziell emo-
tionalen Thema wie Überdosierung,
und die Umgebung kann einschüch-           Lösung:
ternd wirken.
                                           Bedienstete müssen zu Naloxon ge-
                                           schult werden, damit sie selbst darüber
Lösung:                                    Bescheid wissen, Fragen von Inhaftier-
                                           ten beantworten und sie dazu ermuti-
Die Schulung wird mittlerweile meis-       gen können, das Kit bei ihrer Entlassung
tens als Kurzintervention von 10 bis 15    mitzunehmen.
Minuten Dauer von einem*r Schulungs-
leiter*in oder Mitgefangenen durchge-      Außerdem ist zu gewährleisten, dass
führt.                                     das Kit rechtzeitig vor Gerichtsterminen
                                           oder vorzeitiger Entlassung usw. zu den
Dies kann auf der Krankenstation, als      Wertgegenständen hinzugefügt wird.
Bestandteil anderer Termine oder auch
in den Gängen stattfinden.                 Tag der Entlassung

Anschließend bringt das Pflegepersonal     Die gefangene Person holt ihre Wertge-
das Naloxon-Kit in den Empfangsbe-         genstände ab, bevor sie das Gefängnis
reich, wo es den Wertgegenständen der      verlässt.
Häftlinge (Mobiltelefon usw.) hinzuge-
fügt wird („Kammer“).
                                           Hindernisse:

Hindernisse:                               Das Kit ist nicht zu den Wertgegenstän-
                                           den hinzugefügt worden und es ist un-
Der Zeitpunkt für diese Schulung kann      wahrscheinlich, dass die Person bis zu
problematisch sein – wenn eine Person      einer Aushändigung wartet.
ein Jahr vor der Haftentlassung geschult
wird, muss das Kit etwa zu diesem          Die Mitarbeiter*innen lenken unnötig
Zeitpunkt ihren Wertgegenständen hin-      viel Aufmerksamkeit auf das Kit und
zugefügt werden. Gefangene werden          die Gefangenen weigern sich, es mitzu-
nämlich häufig durch eine gerichtliche     nehmen – zum Beispiel, weil sie ange-
Verfügung vorzeitig entlassen, bevor       kündigt haben, keine Drogen mehr zu
das Kit ihren Wertgegenständen hinzu-      nehmen und die Mitnahme von Nalo-
gefügt werden konnte.                      xon als Widerspruch dazu gesehen wer-
                                           den könnte, oder weil sie sich vor den

                                                                                      23
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