Melting Point - LUMIX Festival
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Mitte Juni twitterte der dänische Klima- schungsschiff Maria S. Merian in Neu- forscher Steffen Olsen ein Foto von einer fundland zu einer dreiwöchigen Expediti- Expedition im Norden Grönlands, das on entlang der Ostküste Grönlands auf, tausendfach geteilt wurde. Das Foto zeigt um die Folgen des Klimawandels zu un- Schlittenhunde, die unter strahlend blauem tersuchen. Das Forschungsgebiet erstreckt Himmel durch knöcheltiefes Schmelzwas- sich von der Küste Grönlands bis etwa ser laufen. Olsen war auf dem Meereis 200 Kilometer in den offenen Ozean, unterwegs, als in Grönland und anderen vom Süden der Insel bis weit über den Gegenden der Arktis Rekordtemperaturen Polarkreis. Die Expedition ist ein größe- herrschten. Noch nie war die Ausdehnung res Forschungsprojekt eingebettet, das des arktischen Meereises im Monat Juni so unter anderem helfen soll, den Meeres- gering wie 2019. spiegelanstieg genauer vorhersagen zu können. Auf dieser Ausfahrt soll abge- Keine Region der Erde heizt sich schneller schätzt werden, wieviel Schmelzwasser auf als die Arktis. Die Erwärmung beträgt von der Unterseite der Küstengletscher hier das Doppelte, stellenweise das Vier- in den Ozean gelangt und wieviel da- fache, des globalen Mittels. Neben dem von in Richtung der Südspitze Grönlands schwindenden Meereis sorgen sich Klima- und der Labradorsee strömt, wo sich ozean- forscher*innen vor allem um den grönlän- isches Tiefenwasser bildet. dischen Eispanzer. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Eisverlust auf Grönland Dieses Heft soll dazu dienen die Bil- vervierfacht. Vor allem die Gletscher an der dieser Ausstellung in einen wis- der Küste schmelzen immer schneller, weil senschaftlichen Kontext einzubetten, das sich erwärmende Meerwasser die Un- der allein über die Bildebene nicht aus- terseite der Gletscher erodiert. Grönland reichend vermittelt werden kann. Zudem trägt zu 25 Prozent zum Meeresspiegel- soll es der Forschung den Raum geben, anstieg bei, mehr als jede andere Region den sie in der medialen Berichterstattung weltweit. Würde sein Eispanzer vollständig nur selten bekommt. Dort wird meist nur schmelzen, stiege der Meeresspiegel welt- von den wissenschaftlichen Ergebnissen weit um etwa sieben Meter. berichtet, ohne auf die Methodik und die harte Arbeit der Forscher*innen und See- Ende Juli 2019 bricht ein Team von Meeres- leute einzugehen. forscher*innen mit dem deutschen For- -1-
Hintergrund und Forschungsgebiet Das Forschungsobjekt der Expedition ist Im Rahmen der Expedition und der an- der Ostgrönlandstrom (OGS). Er verläuft schließenden Analyse der gesammelten entlang der Ostküste Grönlands, ehe er an Proben wollen die Forscher*innen berech- der Südspitze in die Labradorsee abbiegt. nen, wie viel Schmelzwasser die grönländ- Während in Teilen der Gesellschaft dar- ischen Fjorde tatsächlich verlässt und über über diskutiert wird, ob der Klimawandel den Ostgrönlandstrom den subpolaren überhaupt existiert, ist er bei dieser For- Atlantik erreicht. Diese Region ist für die schung eine Grundannahme. Es wird nicht Umwälzung des gesamten Atlantiks von untersucht, ob er stattfindet, sondern welche enormer Wichtigkeit. Daten aus den ver- Folgen sich daraus für die Meere und so- gangenen Jahrzehnten zeigen, dass der mit für das gesamte Klimasystem ergeben. Salzgehalt in dieser Region bereits sinkt und die Zirkulation im gesamten Atlantik Der OGS ist Teil der globalen thermohali- schwächeln lässt. Teil des Systems ist auch nen Zirkulation. Sie verteilt Wassermassen der Golfstrom. Ohne diesen, oder bei ei- rund um den Globus und wird von Dichte- nem sinkenden Wärmetransport, würde in unterschieden angetrieben, die durch Europa im Winter die Temperaturen stark unterschiedliche Wassertemperaturen sinken. Der Golfstrom ist allerdings nur ein und Salzgehalte in den Weltmeeren ent- Teilaspekt in der globalen Zirkulation, der stehen. Dabei wird zwischen Tiefen- und insbersondere für Europäer interessant ist. Oberflächenströmungen unterschieden. Der OGS transportiert in diesem Sys- Die Temperaturunterschiede in den Welt- tem an der Oberfläche kaltes, salzarmes meeren haben einen großen Einfluss auf Wasser Richtung Süden, wo es über den das Wetter in den verschiedenen Regionen Labradorstrom wieder Eingang in den der Erde. In anderen Teilen der Welt wer- Nordatlantik findet. Wie auch andere den Wettereignisse wie El Nino oder Hur- Meeresströmungen hat der OGS keine rikanes und Zyklone maßgeblich durch die klar definierten Grenzen, und so ist er auf Wassertemperatur verursacht, welche sich Satellitenbildern vor allem als eine Kette in der Folge saisonal verschieben oder von Wirbeln aus Meereis erkennbar. Die verstärken können. Forscher*innen müssen daher bei ihrer Probenentnahme den groben Verlauf des Die Forscher*innen sammelten ihre Proben Stroms schneiden, um ein möglichst klares auf sieben quer zum Ostgrönlandstrom Bild von der Gesamtzusammensetzung verlaufenden Abschnitten. Dabei wählten des Stromes zu erhalten. Der Anteil an sie relativ enge Abstände zwischen den salzarmem Wasser erhöht sich je mehr einzelnen Stationen, um möglichst hoch Schmelzwasser aus den Fjorden Ost- und aufgelöste Daten zu erhalten. Westgrönlands in die Strömungen eintritt. Diese Änderung in der Zusammensetzung des Wassers kann die gesamte thermoha- line Zirkulation beeinflussen. -4-
GS Ausläufer Golfstrom NAC Nordatlantikstrom WSC West-Spitzbergen-Strom Spitzbergen IC Island-Strom OGS WSC OGS Ostgrönland-Strom WGC Westgrönland-Strom LC Labrador-Strom Grönland warmes Wasser kaltes Wasser Oberflächenströmung reis Polark Tiefenströmung WGC Route Island Lab rad ors Kanada IC ee LC NAC GS -5-
Probenentnahme Das Herzstück der Forschung auf der Maria zum anderen die gesammelten Daten S. Merian ist die CTD-Rosette. Mit ihr wer- der elektronischen Sensoren der Sonde in den Proben aus der Tiefe gesammelt, mit Echtzeit auszulesen. Die Sensoren zeich- denen anschließend gearbeitet wird. nen verschiedene Daten wie Salzgehalt, Wassertemperatur, Tiefe und Fluoreszenz Die CTD-Rosette besteht aus zwei ver- auf. Desweiteren misst ein Sensor die Strö- schiedenen Typen von Geräten. An dem mungsgeschwindigkeit des umgebenden zylinderförmigen Gestell befinden sich ne- Wassers. ben verschiedenen Sensoren vor allem die sehr prägnanten Wasserschöpfer. Diese Nachdem das Gerät wieder an Bord ist, werden vor dem Tauchgang geöffnet und zapfen die Forscher*innen Proben in ver- die Deckel gespannt. Die Rosette wird an schiedenen Behältern zu unterschiedlichen einem mehrere Kilometer langen Drahtseil Zwecken ab. Ein Teil wird direkt an Bord ins Wasser gelassen. Im Innern des Draht- untersucht, der Großteil wird jedoch pro- seils verläuft ein Datenkabel, welches zum tokolliert und fachgerecht eingelagert um einen ermöglicht den gespannten Mecha- nach der Rückkehr nach Deutschland un- nismus der Wasserschöpfer auszulösen, tersucht zu werden. Datenkabel Wasserschöpfer LADCP (Strömungsmessung) Batterie CTD (Messung von Salzgehalt, Temperatur und Tiefe) Ansicht Seite Ansicht Oben -9-
Leben und Arbeiten an Bord Das Forschungsgebiet und die grobe Rou- Wasser. Wann das Gerät wieder an Bord te wurden lange im Voraus abgesteckt. ist, hängt von der Wassertiefe ab. Die CTD Eisfelder und schlechtes Wetter können wird zunächst langsam bis wenige Meter die Expedition aber jederzeit zu einer Kurs- über den Grund herabgelassen. Dabei korrektur zwingen. Daher gibt es einen können die Forscher*innen den Verlauf laufenden Austausch zwischen der Brücke von Temperatur und Salzgehalt live ver- und der wissenschaftlichen Leitung. Kapi- folgen. Auf dem Weg zurück zur Oberflä- tän Ralf Schmidt ist für seine Offiziere und che werden die Schöpfer per Mausklick in die Decksmannschaft verantwortlich, Dr. vorher bestimmten Tiefen oder in Tiefen, Christian Mertens für die Forscher*innen. die auf Grundlage der gesammelten Da- Gemeinsam passen sie die Route je nach ten interessant aussehen, geschlossen. Die Wetterlage an. Daraus ergeben sich Stati- gesamte Probennahme kann zwischen 30 onspläne, wie sie auf den nächsten Seiten Minuten und 3 Stunden dauern. Nach- zu sehen sind. Sie weisen die geschätzten dem das Gerät wieder an Bord ist, setzt Ankunftszeiten für die Positionen aus, an das Schiff seinen Weg fort und die Wissen- denen Wasserproben gesammelt werden. schaftler*innen beginnen, das Wasser aus Danach planen sowohl die Wissenschaft- den verschiedenen Tiefen aus den Schöp- ler*innen als auch die Decksmannschaft fern zu zapfen. Proben, die nicht direkt an ihre Arbeit, die rund um die Uhr stattfindet. Bord analysiert werden können, werden luftdicht abgeschlossen, chemisch fixiert Der Tag an Bord ist in einem Schichtbe- oder eingefroren. trieb organisiert. Sowohl die Wissenschaft- ler*innen als auch die Matrosen, die das Auf längeren Transitstrecken zwischen zwei technische Rückgrat der Expedition bilden, Stationen können die Wissenschaftler*in- arbeiten täglich zwei Schichten à 4 Stun- nen auch ein wenig Freizeit genießen. den, unterbrochen von 8 Stunden Pause. Die Maria S. Merian bietet verschiedene Sobald die Maria S. Merian die ange- Möglichkeiten, diese zu gestalten: An Bord peilten Koordinaten erreicht hat, teilt die gibt es einen kleinen Fitnessraum und eine Brücke via Bordfunk mit, dass das Schiff Sauna, zudem kann man sich beim Tisch- nun auf Position und damit bereit zur Pro- tennis oder Kickern duellieren. Die meiste bennahme ist. Die Deckmannschaft lässt Zeit aber verbringen die Forscher*innen dann in Koordination mit den Forscher*in- draußen an Deck und staunen über die nen und der Brücke die CTD-Rosette zu surreal anmutende Welt aus Eis. - 13 -
M ARIA S. M ERIAN MSM 85, S TATIONSPLAN 8 3. AUGUST 2019 Station Zeit (ca.) Breite Länge Tiefe (ca.) Entfernung Station Time Latitude Longitude Depth Distance 03.08.2019 72 16:00 69◦ 07.10’ N 20◦ 13.50’ W 1230 m CTD/ADCP 3 sm 73 17:30 69◦ 09.30’ N 20◦ 18.63’ W 1060 m CTD/ADCP 3 sm 74 18:50 69◦ 11.50’ N 20◦ 23.75’ W 830 m CTD/ADCP 2 sm 75 20:10 69◦ 13.15’ N 20◦ 27.20’ W 560 m CTD/ADCP 4 sm 76 21:20 69◦ 16.35’ N 20◦ 34.10’ W 360 m CTD 3 sm 77 22:20 69◦ 18.63’ N 20◦ 39.25’ W 360 m CTD 3 sm 78 23:30 69◦ 20.90’ N 20◦ 44.40’ W 380 m CTD 6 sm 04.08.2019 79 00:30 69◦ 25.50’ N 20◦ 54.70’ W 410 m CTD 6 sm 80 01:40 69◦ 30.10’ N 21◦ 05.00’ W 430 m CTD 6 sm 81 02:40 69◦ 34.75’ N 21◦ 15.30’ W 420 m CTD 6 sm 82 03:50 69◦ 39.30’ N 21◦ 25.60’ W 420 m CTD 6 sm 83 04:50 69◦ 43.90’ N 21◦ 35.90’ W 430 m CTD 6 sm 84 06:00 69◦ 48.50’ N 21◦ 46.20’ W 450 m CTD 6 sm 85 07:00 69◦ 53.10’ N 21◦ 56.50’ W 450 m CTD 5 sm 86 08:10 69◦ 56.60’ N 22◦ 05.00’ W 440 m CTD 4 sm 87 09:10 70◦ 00.00’ N 22◦ 13.00’ W 260 m CTD Ende Schnitt D 14 sm 88 11:00 70◦ 10.00’ N 21◦ 45.50’ W 460 m CTD 7 sm 89 12:10 70◦ 15.00’ N 21◦ 31.75’ W 490 m CTD 7 sm 90 13:20 70◦ 20.00’ N 21◦ 18.00’ W 450 m CTD 52 sm 91 18:20 71◦ 09.00’ N 21◦ 36.25’ W 90 m CTD Anfang Schnitt E 5 sm 92 19:20 71◦ 08.85’ N 21◦ 22.00’ W 210 m CTD 6 sm 93 20:20 71◦ 08.65’ N 21◦ 03.00’ W 270 m CTD - 14 -
M ARIA S. M ERIAN MSM 85, S TATIONSPLAN 9 4. AUGUST 2019 Station Zeit (ca.) Breite Länge Tiefe (ca.) Entfernung Station Time Latitude Longitude Depth Distance 04.08.2019 91 22:00 71◦ 09.00’ N 21◦ 36.25’ W 90 m CTD Anfang Schnitt E 5 sm 92 23:00 71◦ 08.85’ N 21◦ 22.00’ W 210 m CTD 6 sm 05.08.2019 93 00:30 71◦ 08.65’ N 21◦ 03.00’ W 270 m CTD 6 sm 94 02:00 71◦ 08.45’ N 20◦ 44.50’ W 300 m CTD 6 sm 95 03:30 71◦ 08.30’ N 20◦ 26.00’ W 400 m CTD 6 sm 96 05:00 71◦ 08.10’ N 20◦ 07.50’ W 370 m CTD 6 sm 97 06:30 71◦ 07.90’ N 19◦ 49.00’ W 390 m CTD 6 sm 98 08:00 71◦ 07.75’ N 19◦ 30.50’ W 440 m CTD 3 sm 99 09:30 71◦ 07.65’ N 19◦ 21.25’ W 480 m CTD 3 sm 100 11:00 71◦ 07.55’ N 19◦ 12.00’ W 650 m CTD/ADCP 3 sm 101 12:30 71◦ 07.45’ N 19◦ 02.75’ W 920 m CTD/ADCP 3 sm 102 14:00 71◦ 07.35’ N 18◦ 53.50’ W 1200 m CTD/ADCP 6 sm 103 15:30 71◦ 07.20’ N 18◦ 35.00’ W 1570 m CTD/ADCP 6 sm 104 17:00 71◦ 07.05’ N 18◦ 16.50’ W 1650 m CTD/ADCP 6 sm 105 18:30 71◦ 06.85’ N 17◦ 58.00’ W 1540 m CTD/ADCP - 15 -
Forschungsmethoden Auf dem Schiff arbeiten einzelne Gruppen der Probe, FCKWs und SF6 über dessen an verschiedenen Projekten. Eine Forsche- Alter. Beide Verfahren sollen hier kurz er- rin nimmt Proben für ihre Masterarbeit, läutert werden. eine weitere forscht als Postdoktorandin. Den Großteil der Arbeit macht jedoch das Da die Gase unterschiedliche physikali- Projekt zur Erforschung der Schmelzwas- sche Eigenschaften haben, müssen die sermenge aus. Während einzelne Grup- Proben auf unterschiedliche Art und Wei- pen bereits erste Daten an Bord erhalten, se genommen werden. Helium ist extrem ist die Analyse des Schmelzwasseranteils in flüchtig, weshalb das Wasser aus den Fla- den Proben technisch sehr aufwendig und schen der CTD-Rosette durch ein Kupfer- wird insgesamt mehrere Monate dauern. rohr geleitet wird, welches an den Enden zugequetscht wird. FCKW- und SF6-Mole- Die Schmelzwasseranalysen sollen helfen, küle sind deutlich größer als Helium-Ato- zu bestimmen, wie stark der grönländi- me. Deshalb können sie in Glasphiolen sche Eisschild schmilzt und wie viel salz- gefüllt werden, ohne dass ihre Konzentra- armes Wasser die Tiefenwasserbildung tion im Wasser nach Wochen oder Mona- im Nordatlantik möglicherweise bremst. ten der Lagerung sinkt. Grundsätzlich ist zu sagen, dass in der Arktis und Antarktis deutlich mehr Eis Un- Helium und Neon sind im Wasser nur terwasser schmilzt als an der Oberfläche schwer löslich und liegen im Ozean da- des Eisschildes. Warme Wassermassen her lediglich in geringen Konzentrationen schieben sich unter die Gletscherzungen vor. Wenn sich durch Schneefälle und an- an der Küste und schmelzen das Eis von schließende Komprimierung der Flocken unten. Dieser Trend wird sich bei stei- auf dem Eisschild neues Eis bildet, werden genden Wassertemperaturen weiter ver- dabei Luftblasen eingeschlossen. Dar- stärken. Es gibt Hochrechnungen zu den in enthalten sind wiederum die Edelgase Mengen, genaue Messungen sind jedoch Helium und Neon, deren Konzentration in schwierig. Eine Methode die geeignet ist, der Atmosphäre über tausende von Jah- um ein genaueres Bild zu bekommen, wird ren praktisch konstant ist. Die gefangenen von den Forscher*innen auf dieser Expedi- Gase werden über die Jahrhunderte lang- tion verwendet. sam durch den Eisschild gereicht, bis es an der Unterseite der Gletscherzungen Die Wasserproben, die in verschiedenen durch das Schmelzen des umgebenden Tiefen an insgesamt 170 Stellen entlang Eises wieder freigesetzt wird. Aufgrund des des Ostgrönlandstroms genommen wur- hohen Drucks in der Tiefe - Gletscherzun- den, untersuchen die Forscher*innen auf gen ragen bis in mehrere hundert Meter ihren Gehalt an den Edelgasen Neon und Wassertiefe - reichern sich die Edelgase Helium sowie an FCKWs und SF6. Die vier im Meerwasser an. Indem die Forscher*in- Gase liefern unterschiedliche Informatio- nen sie extrahieren und messen, können nen: Helium und Neon geben Auskunft sie den Anteil des Schmelzwassers in den über die Menge des Schmelzwassers in Proben recht genau bestimmen. - 18 -
Äußerst schlechte Löslichkeit Feste Konzentration von Helium und Neon in Wasser, daher sehr in der Atmosphäre geringe Konzentration im Meerwasser Neuschnee Firn (offen und porös) Gase werden durch Komprimierung eingeschlossen Eis (mit in Luftblasen eingeschlossenen Gasen) Gletscherzunge Grundgestein einströmendes, warmes Wasser, erodiert den Gletscher von unten kaltes, unterseeisches Schmelzwasser, reich an Helium und Neon - 19 -
FCKW-11 und -12 sowie SF6 sind im Ge- Kombiniert man nun beide Datensätze, gensatz zu den Edelgasen gut in Wasser lässt sich ablesen, dass das abfließende löslich. Alle drei Gase sind anthropoge- Wasser eine deutlich höhere Konzentration nen Ursprungs und wurden erst in den an Edelgasen aufweist als jenes, das zum letzten Jahrzehnten freigesetzt. Sie werden Gletscher hin strömt. Es besteht also zum im Wasser nicht abgebaut. Die Konzentra- Großteil aus Schmelzwasser. Des weiteren tion der einzelnen Gase in der Atmosphä- lässt sich aus der Kombination der Daten- re zu den verschiednen Zeitpunkten der sätze berechnen, wie viel Eis tatsächlich letzten Jahrzehnte ist bekannt, wodurch unter der Wasseroberfläche schmilzt. Die sich das Wasser in den Proben sehr genau Helium- und Neon-Proben geben dabei dem Zeitpunkt zuordnen lässt, an dem es die Menge an, die FCKW‘s bilden die zeit- zuletzt mit der Oberfläche in Kontakt war. liche Komponente. Daraus lässt sich eine Vergleicht man Proben aus verschiedenen Schmelzrate bestimmen. Die bisherigen Tiefen, erhält man in Verbindung mit Strö- Ergebnisse aus anderen Forschungsregi- mungsdaten zum einen eine Fließrichtung onen bestätigen Schätzungen, die etwa der Wassermassen sowie die Zeit, die das mithilfe von Satelittenmessungen vorge- Wasser braucht, um unter den Gletscher nommen wurden. zu strömen und wieder auszufließen. Die unten gezeigte Grafik auf Basis einer ver- Die gesamte Analyse der Proben wird Mo- gangenen Expedition zeigt, dass das Was- nate dauern, da die Extraktion der Gase ser an dieser Stelle im Schnitt ein Jahr lang aus dem Meerwasser sehr aufwendig ist. unter dem Gletscher zirkuliert. Jüngeres Während 3615 Seemeilen wurden auf Wasser (hohe Konzentration) strömt von 170 Stationen jeweils rund 720 Kupfer- unten ein und verlässt das Gebiet weiter rohre und Glasphiolen zur Messung von an der Oberfläche. Schmelzwasser gefüllt. FCKW- Ausstrom ~373 ppt Helium-Anteil: Konzentration älteres Wasser höchste Konzentration unmittelbar vor der Einstrom ~400 ppt Gletscherzunge jüngeres Wasser - 20 -
C 700 ppt- parts per trillion C Cl F 600 F FCKW-12 F 500 FCKW-11 CCl2F2 (FCKW-12) SF6 x 100 400 300 Cl C 200 Cl F F F 100 CCl3F (FCKW-11) 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 F Aus dem Gehalt an FCKW-11 und -12 lässt sich der Zeitpunkt des letzten Kontaktes mit der Wasseroberfläche ablesen. Da die FCKW-Konzentration in der Atmosphäre nach F F den Verboten in den 90er Jahren abnahm dient das SF6 als Kontollmolekül, um den S F F F Zeitpunkt des Oberflächenkontaktes genau zu bestimmen. Da die Konzentration an SF6 in der Atmosphäre noch geringer ist als die an FCKW‘s, sind die Konzetrationen des SF6-Graph hier um den Faktor 100 erhöht. F SF6 - 21 -
Ausblick Diese Expedition ist nur ein kleiner Baustein, der hilft die globalen Veränderungen abzuschätzen. Egal wel- ches Klimamodell man sich anschaut: Alle zeichnen ein düsteres Bild für den arktischen und antarktischen Eis- schild. Es gibt keine Anzeichen für eine Verlangsamung der Erderwärmung. Die Atmosphäre und der Ozean heizen sich weiter auf und lassen die Pole schmelzen - sowohl die Gletscher an Land als auch das Meereis. Die Eisschilde und die atlantische Umwälzzirkulation gelten als wichtige Kippelemente im globalen Klima- system. Übersteigt die Erderwärmung ein gewisses Maß, werden sich bestimmte Effekte auch ohne Zutun des Menschen selbst verstärken. Das wird den Kollaps der Eisschilde und das Überschreiten anderer Kipp- punkte beschleunigen. Die Folgen sind nur schwer abzusehen, aber sie werden das Leben auf der Erde maßgeblich verändern. Daraus ergeben sich wiederum drei Optionen: Zivil- gesellschaft, Politik sowie die Industrie müssen unver- züglich in hohem Maße gegensteuern, um die Erder- wärmung so gering wie möglich zu halten. Angesichts der politischen und industriellen Entscheidungen rund um die Welt erscheint dieses Szenario äußerst unwahr- scheinlich. Die zweite Möglichkeit ist sich das Scheitern bei der Bewältigung dieser globalen Herausforderung einzugestehen und Strategien für das Leben einer sich massiv verändernden Welt zu entwickeln. Die dritte Option wäre ein Ausblenden der Realität und ein „wei- ter wie bisher“. Welchen Weg die Menschheit schlus- sendlich einschlagen wird, bleibt abzuwarten. - 22 -
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Danksagung Die Ausstellung, sowie dieses Heft, sind Alba, Insa, Karl, Wolfgang, Julian, Yannik das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, und Natalia, sowie der Mannschaft unter der für mich mit dem Studienbeginn 2015 Leitung von Kapitän Ralf Schmidt ganz be- in Hannover begann. Die Liste der Leute, sonders danken. die mich bei diesem Prozess begleitet ha- ben und denen ich für ihre Unterstützung Dem ganzen GoetheExil bin ich sehr unfassbar dankbar bin, ist länger als es dankbar für all ihre Unterstützung und al- hier Platz gibt. Daher seht mir bitte nach, les drumherum über die letzten drei Jahre wenn nicht alle namentlich genannt wer- - Felix, Malte, Rafael, Elias, Daniel, Mo- den. ritz, Chantal, Viola, Anna, Andreas, Michi, Moritz, Roman, Kai, Mario und alle ande- Dieses spezielle Projekt wäre nicht ohne ren die mit assoziiert sind oder waren. die Unterstützung von Dr. Christian Mer- tens und Dr. Oliver Huhn von der Uni- Einfach, weil sie da sind: Henrik, Till, Volker, versität Bremen möglich gewesen, die die Camila, Paul, Paul, Tim und Xenia. Expedition leiteten und geduldig sämtliche meiner Fragen beantwortet haben. Das Mario Wezel, Malte Radtki, Sophia Greiff gleiche gilt für Dr. Tim Kalvelage, meinen und Karen Fromm möchte ich für die Un- schreibenden Kollege, durch dessen Re- terstützung bei der Ausstellungskonzipie- cherche und Einsatz die ganze Geschichte rung und der Hilfe beim editieren danken. erst entstehen konnte. Und der größte Dank geht zuletzt selbst- Für ihre Geduld und ihre Offenheit möch- verständlich an meine Familie, die immer te ich auch den beteiligten Forschern, na- an mich geglaubt und mich immer unter- mentlich Rike, Jan, Bastian, Carolyne, Ju- stützt haben. Danke! lius, Julia, Gregor, Lea, Katharina, Daniel, Kontakt Jan Richard Heinicke E-Mail: mail@jr-heinicke.de Website: www.jr-heinicke.de Telefon: +49 157-56260359 - 24 -
Über den Autor Jan Richard Heinicke wurde 1991 im Ruhr- er für mehrere Monate nach Südamerika. gebiet geboren. Nach einer deutsch-fran- Während dieser Zeit bestärkte die foto- zösischen Schulausbildung studierte er für grafische Auseinandersetzung mit seinem fünf Jahre an der Technischen Universität Umfeld seinen Wunsch Fotojournalismus Dortmund Stadt- und Regionalplanung. zu studieren. Seit 2015 tut er dies an Das Studium ermöglichte ihm Zeit im der Hochschule Hannover. Sein Arbeits- Ausland zu verbringen. Neben Projekten schwerpunkt sind Themen rund um die in Kambodscha und Vietnam studierte er Landwirtschaft, Urbanität und neue Tech- auch für längere Zeit in Paris. Nach dem nologien. Jan Richard Heinicke lebt und erfolgreichen Abschluss des Studiums ging arbeitet in Hannover. Abbildungen Alle Photos: Jan Richard Heinicke Seite 2-3: Generalplan Maria S. Merian: Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe: https://www.ldf. uni-hamburg.de/merian/technisches.html Seite 5: Karte Nordatlantik: eigene Darstellung auf Grundlage von: Perner et al. (2017). Subar- ctic Front migration at the Reykjanes Ridge during the mid- to late Holocene: Evidence from planktic foraminifera. Boreas. 10.1111/bor.12263. Seite 5: Satellitenbild: Zoom Earth 3. August, 2019: Region um den Scorseby Sund. 71° 28‘ 44“N, 19° 31‘ 52“W. Zoom Earth, NASA/GSFC/EOSDIS, Terra MODIS. https://zoom. earth/#view=71.479,-19.531,6z/date=2019-08-03,am/ Seite 9: CTD-Modell: Till Achteresch Seite 13: Schichtplan: eigene Darstellung Seite 19: Eigene Darstellung auf Grundlage von Vortrag Huhn et al.: Submarine melting at the 79 North Glacier (Nioghalvfjerdsbrae), northeast Greenland. Link: https://asof.awi.de/ fileadmin/user_upload/asof.awi.de/Copenhagen_2019/Huhn_ASOF_2019.pdf und University of Copenhagen - Centre for Ice and Climate: The firn zone: Transforming snow to ice. Link: http://www.iceandclimate.nbi.ku.dk/images/images_research_ sep_09/Firn_popular.jpg Seite 20: Eigene Darstellung auf Grundlage von Vortrag Huhn et al.: Submarine melting at the 79 North Glacier (Nioghalvfjerdsbrae), northeast Greenland. Link: https://asof.awi.de/ fileadmin/user_upload/asof.awi.de/Copenhagen_2019/Huhn_ASOF_2019.pdf Seite 21: Eigene Darstellung auf Grundlage von Vortrag Huhn et al.: Submarine melting at the 79 North Glacier (Nioghalvfjerdsbrae), northeast Greenland. Link: https://asof.awi.de/ fileadmin/user_upload/asof.awi.de/Copenhagen_2019/Huhn_ASOF_2019.pdf
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