Melting Point - LUMIX Festival

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Melting Point - LUMIX Festival
Melting Point
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Melting Point - LUMIX Festival
Mitte Juni twitterte der dänische Klima-      schungsschiff Maria S. Merian in Neu-
forscher Steffen Olsen ein Foto von einer     fundland zu einer dreiwöchigen Expediti-
Expedition im Norden Grönlands, das           on entlang der Ostküste Grönlands auf,
tausendfach geteilt wurde. Das Foto zeigt     um die Folgen des Klimawandels zu un-
Schlittenhunde, die unter strahlend blauem    tersuchen. Das Forschungsgebiet erstreckt
Himmel durch knöcheltiefes Schmelzwas-        sich von der Küste Grönlands bis etwa
ser laufen. Olsen war auf dem Meereis         200 Kilometer in den offenen Ozean,
unterwegs, als in Grönland und anderen        vom Süden der Insel bis weit über den
Gegenden der Arktis Rekordtemperaturen        Polarkreis. Die Expedition ist ein größe-
herrschten. Noch nie war die Ausdehnung       res Forschungsprojekt eingebettet, das
des arktischen Meereises im Monat Juni so     unter anderem helfen soll, den Meeres-
gering wie 2019.                              spiegelanstieg genauer vorhersagen zu
                                              können. Auf dieser Ausfahrt soll abge-
Keine Region der Erde heizt sich schneller    schätzt werden, wieviel Schmelzwasser
auf als die Arktis. Die Erwärmung beträgt     von der Unterseite der Küstengletscher
hier das Doppelte, stellenweise das Vier-     in den Ozean gelangt und wieviel da-
fache, des globalen Mittels. Neben dem        von in Richtung der Südspitze Grönlands
schwindenden Meereis sorgen sich Klima-       und der Labradorsee strömt, wo sich ozean-
forscher*innen vor allem um den grönlän-      isches Tiefenwasser bildet.
dischen Eispanzer. In den vergangenen 20
Jahren hat sich der Eisverlust auf Grönland   Dieses Heft soll dazu dienen die Bil-
vervierfacht. Vor allem die Gletscher an      der dieser Ausstellung in einen wis-
der Küste schmelzen immer schneller, weil     senschaftlichen    Kontext   einzubetten,
das sich erwärmende Meerwasser die Un-        der allein über die Bildebene nicht aus-
terseite der Gletscher erodiert. Grönland     reichend vermittelt werden kann. Zudem
trägt zu 25 Prozent zum Meeresspiegel-        soll es der Forschung den Raum geben,
anstieg bei, mehr als jede andere Region      den sie in der medialen Berichterstattung
weltweit. Würde sein Eispanzer vollständig    nur selten bekommt. Dort wird meist nur
schmelzen, stiege der Meeresspiegel welt-     von den wissenschaftlichen Ergebnissen
weit um etwa sieben Meter.                    berichtet, ohne auf die Methodik und die
                                              harte Arbeit der Forscher*innen und See-
Ende Juli 2019 bricht ein Team von Meeres-    leute einzugehen.
forscher*innen mit dem deutschen For-

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Hintergrund und Forschungsgebiet

Das Forschungsobjekt der Expedition ist         Im Rahmen der Expedition und der an-
der Ostgrönlandstrom (OGS). Er verläuft         schließenden Analyse der gesammelten
entlang der Ostküste Grönlands, ehe er an       Proben wollen die Forscher*innen berech-
der Südspitze in die Labradorsee abbiegt.       nen, wie viel Schmelzwasser die grönländ-
Während in Teilen der Gesellschaft dar-         ischen Fjorde tatsächlich verlässt und über
über diskutiert wird, ob der Klimawandel        den Ostgrönlandstrom den subpolaren
überhaupt existiert, ist er bei dieser For-     Atlantik erreicht. Diese Region ist für die
schung eine Grundannahme. Es wird nicht         Umwälzung des gesamten Atlantiks von
untersucht, ob er stattfindet, sondern welche   enormer Wichtigkeit. Daten aus den ver-
Folgen sich daraus für die Meere und so-        gangenen Jahrzehnten zeigen, dass der
mit für das gesamte Klimasystem ergeben.        Salzgehalt in dieser Region bereits sinkt
                                                und die Zirkulation im gesamten Atlantik
Der OGS ist Teil der globalen thermohali-       schwächeln lässt. Teil des Systems ist auch
nen Zirkulation. Sie verteilt Wassermassen      der Golfstrom. Ohne diesen, oder bei ei-
rund um den Globus und wird von Dichte-         nem sinkenden Wärmetransport, würde in
unterschieden angetrieben, die durch            Europa im Winter die Temperaturen stark
unterschiedliche       Wassertemperaturen       sinken. Der Golfstrom ist allerdings nur ein
und Salzgehalte in den Weltmeeren ent-          Teilaspekt in der globalen Zirkulation, der
stehen. Dabei wird zwischen Tiefen- und         insbersondere für Europäer interessant ist.
Oberflächenströmungen unterschieden.
Der OGS transportiert in diesem Sys-            Die Temperaturunterschiede in den Welt-
tem an der Oberfläche kaltes, salzarmes         meeren haben einen großen Einfluss auf
Wasser Richtung Süden, wo es über den           das Wetter in den verschiedenen Regionen
Labradorstrom wieder Eingang in den             der Erde. In anderen Teilen der Welt wer-
Nordatlantik findet. Wie auch andere            den Wettereignisse wie El Nino oder Hur-
Meeresströmungen hat der OGS keine              rikanes und Zyklone maßgeblich durch die
klar definierten Grenzen, und so ist er auf     Wassertemperatur verursacht, welche sich
Satellitenbildern vor allem als eine Kette      in der Folge saisonal verschieben oder
von Wirbeln aus Meereis erkennbar. Die          verstärken können.
Forscher*innen müssen daher bei ihrer
Probenentnahme den groben Verlauf des           Die Forscher*innen sammelten ihre Proben
Stroms schneiden, um ein möglichst klares       auf sieben quer zum Ostgrönlandstrom
Bild von der Gesamtzusammensetzung              verlaufenden Abschnitten. Dabei wählten
des Stromes zu erhalten. Der Anteil an          sie relativ enge Abstände zwischen den
salzarmem Wasser erhöht sich je mehr            einzelnen Stationen, um möglichst hoch
Schmelzwasser aus den Fjorden Ost- und          aufgelöste Daten zu erhalten.
Westgrönlands in die Strömungen eintritt.
Diese Änderung in der Zusammensetzung
des Wassers kann die gesamte thermoha-
line Zirkulation beeinflussen.

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GS    Ausläufer Golfstrom

NAC   Nordatlantikstrom

WSC   West-Spitzbergen-Strom                                                                  Spitzbergen

IC    Island-Strom                                                OGS
                                                                                 WSC
OGS   Ostgrönland-Strom

WGC   Westgrönland-Strom

LC    Labrador-Strom
                                                  Grönland
      warmes Wasser

      kaltes Wasser

      Oberflächenströmung
                                                                                       reis
                                                                                 Polark
      Tiefenströmung
                                       WGC
      Route
                                                                  Island
                                    Lab
                                       rad
                                          ors

                      Kanada
                                                             IC
                                         ee

                               LC                                          NAC

                                                   GS

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Probenentnahme

Das Herzstück der Forschung auf der Maria      zum anderen die gesammelten Daten
S. Merian ist die CTD-Rosette. Mit ihr wer-    der elektronischen Sensoren der Sonde in
den Proben aus der Tiefe gesammelt, mit        Echtzeit auszulesen. Die Sensoren zeich-
denen anschließend gearbeitet wird.            nen verschiedene Daten wie Salzgehalt,
                                               Wassertemperatur, Tiefe und Fluoreszenz
Die CTD-Rosette besteht aus zwei ver-          auf. Desweiteren misst ein Sensor die Strö-
schiedenen Typen von Geräten. An dem           mungsgeschwindigkeit des umgebenden
zylinderförmigen Gestell befinden sich ne-     Wassers.
ben verschiedenen Sensoren vor allem die
sehr prägnanten Wasserschöpfer. Diese          Nachdem das Gerät wieder an Bord ist,
werden vor dem Tauchgang geöffnet und          zapfen die Forscher*innen Proben in ver-
die Deckel gespannt. Die Rosette wird an       schiedenen Behältern zu unterschiedlichen
einem mehrere Kilometer langen Drahtseil       Zwecken ab. Ein Teil wird direkt an Bord
ins Wasser gelassen. Im Innern des Draht-      untersucht, der Großteil wird jedoch pro-
seils verläuft ein Datenkabel, welches zum     tokolliert und fachgerecht eingelagert um
einen ermöglicht den gespannten Mecha-         nach der Rückkehr nach Deutschland un-
nismus der Wasserschöpfer auszulösen,          tersucht zu werden.

                                          Datenkabel

                                          Wasserschöpfer

                                          LADCP (Strömungsmessung)

                                          Batterie

                                          CTD (Messung von Salzgehalt, Temperatur und Tiefe)

             Ansicht Seite                                    Ansicht Oben

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Leben und Arbeiten an Bord

Das Forschungsgebiet und die grobe Rou-          Wasser. Wann das Gerät wieder an Bord
te wurden lange im Voraus abgesteckt.            ist, hängt von der Wassertiefe ab. Die CTD
Eisfelder und schlechtes Wetter können           wird zunächst langsam bis wenige Meter
die Expedition aber jederzeit zu einer Kurs-     über den Grund herabgelassen. Dabei
korrektur zwingen. Daher gibt es einen           können die Forscher*innen den Verlauf
laufenden Austausch zwischen der Brücke          von Temperatur und Salzgehalt live ver-
und der wissenschaftlichen Leitung. Kapi-        folgen. Auf dem Weg zurück zur Oberflä-
tän Ralf Schmidt ist für seine Offiziere und     che werden die Schöpfer per Mausklick in
die Decksmannschaft verantwortlich, Dr.          vorher bestimmten Tiefen oder in Tiefen,
Christian Mertens für die Forscher*innen.        die auf Grundlage der gesammelten Da-
Gemeinsam passen sie die Route je nach           ten interessant aussehen, geschlossen. Die
Wetterlage an. Daraus ergeben sich Stati-        gesamte Probennahme kann zwischen 30
onspläne, wie sie auf den nächsten Seiten        Minuten und 3 Stunden dauern. Nach-
zu sehen sind. Sie weisen die geschätzten        dem das Gerät wieder an Bord ist, setzt
Ankunftszeiten für die Positionen aus, an        das Schiff seinen Weg fort und die Wissen-
denen Wasserproben gesammelt werden.             schaftler*innen beginnen, das Wasser aus
Danach planen sowohl die Wissenschaft-           den verschiedenen Tiefen aus den Schöp-
ler*innen als auch die Decksmannschaft           fern zu zapfen. Proben, die nicht direkt an
ihre Arbeit, die rund um die Uhr stattfindet.    Bord analysiert werden können, werden
                                                 luftdicht abgeschlossen, chemisch fixiert
Der Tag an Bord ist in einem Schichtbe-          oder eingefroren.
trieb organisiert. Sowohl die Wissenschaft-
ler*innen als auch die Matrosen, die das         Auf längeren Transitstrecken zwischen zwei
technische Rückgrat der Expedition bilden,       Stationen können die Wissenschaftler*in-
arbeiten täglich zwei Schichten à 4 Stun-        nen auch ein wenig Freizeit genießen.
den, unterbrochen von 8 Stunden Pause.           Die Maria S. Merian bietet verschiedene
Sobald die Maria S. Merian die ange-             Möglichkeiten, diese zu gestalten: An Bord
peilten Koordinaten erreicht hat, teilt die      gibt es einen kleinen Fitnessraum und eine
Brücke via Bordfunk mit, dass das Schiff         Sauna, zudem kann man sich beim Tisch-
nun auf Position und damit bereit zur Pro-       tennis oder Kickern duellieren. Die meiste
bennahme ist. Die Deckmannschaft lässt           Zeit aber verbringen die Forscher*innen
dann in Koordination mit den Forscher*in-        draußen an Deck und staunen über die
nen und der Brücke die CTD-Rosette zu            surreal anmutende Welt aus Eis.

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M ARIA S. M ERIAN MSM 85, S TATIONSPLAN 8                                        3. AUGUST 2019

Station   Zeit (ca.)     Breite            Länge        Tiefe (ca.)   Entfernung
Station     Time        Latitude         Longitude         Depth        Distance

          03.08.2019
  72        16:00      69◦ 07.10’ N     20◦ 13.50’ W      1230 m                    CTD/ADCP
                                                                          3 sm
  73        17:30      69◦   09.30’ N   20◦   18.63’ W    1060 m                    CTD/ADCP
                                                                          3 sm
  74        18:50      69◦ 11.50’ N     20◦ 23.75’ W       830 m                    CTD/ADCP
                                                                          2 sm
  75        20:10      69◦ 13.15’ N     20◦ 27.20’ W       560 m                    CTD/ADCP
                                                                          4 sm
  76        21:20      69◦ 16.35’ N     20◦ 34.10’ W       360 m                    CTD
                                                                          3 sm
  77        22:20      69◦ 18.63’ N     20◦ 39.25’ W       360 m                    CTD
                                                                          3 sm
  78        23:30      69◦ 20.90’ N     20◦ 44.40’ W       380 m                    CTD
                                                                          6 sm
          04.08.2019
  79        00:30      69◦ 25.50’ N     20◦ 54.70’ W       410 m                    CTD
                                                                          6 sm
  80        01:40      69◦ 30.10’ N     21◦ 05.00’ W       430 m                    CTD
                                                                          6 sm
  81        02:40      69◦   34.75’ N   21◦   15.30’ W     420 m                    CTD
                                                                          6 sm
  82        03:50      69◦ 39.30’ N     21◦ 25.60’ W       420 m                    CTD
                                                                          6 sm
  83        04:50      69◦ 43.90’ N     21◦ 35.90’ W       430 m                    CTD
                                                                          6 sm
  84        06:00      69◦ 48.50’ N     21◦ 46.20’ W       450 m                    CTD
                                                                          6 sm
  85        07:00      69◦ 53.10’ N     21◦ 56.50’ W       450 m                    CTD
                                                                          5 sm
  86        08:10      69◦   56.60’ N   22◦   05.00’ W     440 m                    CTD
                                                                          4 sm
  87        09:10      70◦ 00.00’ N     22◦ 13.00’ W       260 m                    CTD Ende Schnitt D
                                                                         14 sm
  88        11:00      70◦ 10.00’ N     21◦ 45.50’ W       460 m                    CTD
                                                                          7 sm
  89        12:10      70◦ 15.00’ N     21◦ 31.75’ W       490 m                    CTD
                                                                          7 sm
  90        13:20      70◦ 20.00’ N     21◦ 18.00’ W       450 m                    CTD
                                                                         52 sm
  91        18:20      71◦ 09.00’ N     21◦ 36.25’ W       90 m                     CTD Anfang Schnitt E
                                                                          5 sm
  92        19:20      71◦ 08.85’ N     21◦ 22.00’ W       210 m                    CTD
                                                                          6 sm
  93        20:20      71◦ 08.65’ N     21◦ 03.00’ W       270 m                    CTD

                                                     - 14 -
M ARIA S. M ERIAN MSM 85, S TATIONSPLAN 9                                        4. AUGUST 2019

Station   Zeit (ca.)     Breite            Länge        Tiefe (ca.)   Entfernung
Station     Time        Latitude         Longitude         Depth        Distance

          04.08.2019
  91        22:00      71◦ 09.00’ N     21◦ 36.25’ W       90 m                     CTD Anfang Schnitt E
                                                                          5 sm
  92        23:00      71◦   08.85’ N   21◦   22.00’ W     210 m                    CTD
                                                                          6 sm
          05.08.2019
  93        00:30      71◦ 08.65’ N     21◦ 03.00’ W       270 m                    CTD
                                                                          6 sm
  94        02:00      71◦ 08.45’ N     20◦ 44.50’ W       300 m                    CTD
                                                                          6 sm
  95        03:30      71◦ 08.30’ N     20◦ 26.00’ W       400 m                    CTD
                                                                          6 sm
  96        05:00      71◦ 08.10’ N     20◦ 07.50’ W       370 m                    CTD
                                                                          6 sm
  97        06:30      71◦ 07.90’ N     19◦ 49.00’ W       390 m                    CTD
                                                                          6 sm
  98        08:00      71◦ 07.75’ N     19◦ 30.50’ W       440 m                    CTD
                                                                          3 sm
  99        09:30      71◦ 07.65’ N     19◦ 21.25’ W       480 m                    CTD
                                                                          3 sm
  100       11:00      71◦   07.55’ N   19◦   12.00’ W     650 m                    CTD/ADCP
                                                                          3 sm
  101       12:30      71◦ 07.45’ N     19◦ 02.75’ W       920 m                    CTD/ADCP
                                                                          3 sm
  102       14:00      71◦ 07.35’ N     18◦ 53.50’ W      1200 m                    CTD/ADCP
                                                                          6 sm
  103       15:30      71◦ 07.20’ N     18◦ 35.00’ W      1570 m                    CTD/ADCP
                                                                          6 sm
  104       17:00      71◦ 07.05’ N     18◦ 16.50’ W      1650 m                    CTD/ADCP
                                                                          6 sm
  105       18:30      71◦   06.85’ N   17◦   58.00’ W    1540 m                    CTD/ADCP

                                                     - 15 -
Forschungsmethoden

Auf dem Schiff arbeiten einzelne Gruppen       der Probe, FCKWs und SF6 über dessen
an verschiedenen Projekten. Eine Forsche-      Alter. Beide Verfahren sollen hier kurz er-
rin nimmt Proben für ihre Masterarbeit,        läutert werden.
eine weitere forscht als Postdoktorandin.
Den Großteil der Arbeit macht jedoch das       Da die Gase unterschiedliche physikali-
Projekt zur Erforschung der Schmelzwas-        sche Eigenschaften haben, müssen die
sermenge aus. Während einzelne Grup-           Proben auf unterschiedliche Art und Wei-
pen bereits erste Daten an Bord erhalten,      se genommen werden. Helium ist extrem
ist die Analyse des Schmelzwasseranteils in    flüchtig, weshalb das Wasser aus den Fla-
den Proben technisch sehr aufwendig und        schen der CTD-Rosette durch ein Kupfer-
wird insgesamt mehrere Monate dauern.          rohr geleitet wird, welches an den Enden
                                               zugequetscht wird. FCKW- und SF6-Mole-
Die Schmelzwasseranalysen sollen helfen,       küle sind deutlich größer als Helium-Ato-
zu bestimmen, wie stark der grönländi-         me. Deshalb können sie in Glasphiolen
sche Eisschild schmilzt und wie viel salz-     gefüllt werden, ohne dass ihre Konzentra-
armes Wasser die Tiefenwasserbildung           tion im Wasser nach Wochen oder Mona-
im Nordatlantik möglicherweise bremst.         ten der Lagerung sinkt.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass in der
Arktis und Antarktis deutlich mehr Eis Un-     Helium und Neon sind im Wasser nur
terwasser schmilzt als an der Oberfläche       schwer löslich und liegen im Ozean da-
des Eisschildes. Warme Wassermassen            her lediglich in geringen Konzentrationen
schieben sich unter die Gletscherzungen        vor. Wenn sich durch Schneefälle und an-
an der Küste und schmelzen das Eis von         schließende Komprimierung der Flocken
unten. Dieser Trend wird sich bei stei-        auf dem Eisschild neues Eis bildet, werden
genden Wassertemperaturen weiter ver-          dabei Luftblasen eingeschlossen. Dar-
stärken. Es gibt Hochrechnungen zu den         in enthalten sind wiederum die Edelgase
Mengen, genaue Messungen sind jedoch           Helium und Neon, deren Konzentration in
schwierig. Eine Methode die geeignet ist,      der Atmosphäre über tausende von Jah-
um ein genaueres Bild zu bekommen, wird        ren praktisch konstant ist. Die gefangenen
von den Forscher*innen auf dieser Expedi-      Gase werden über die Jahrhunderte lang-
tion verwendet.                                sam durch den Eisschild gereicht, bis es
                                               an der Unterseite der Gletscherzungen
Die Wasserproben, die in verschiedenen         durch das Schmelzen des umgebenden
Tiefen an insgesamt 170 Stellen entlang        Eises wieder freigesetzt wird. Aufgrund des
des Ostgrönlandstroms genommen wur-            hohen Drucks in der Tiefe - Gletscherzun-
den, untersuchen die Forscher*innen auf        gen ragen bis in mehrere hundert Meter
ihren Gehalt an den Edelgasen Neon und         Wassertiefe - reichern sich die Edelgase
Helium sowie an FCKWs und SF6. Die vier        im Meerwasser an. Indem die Forscher*in-
Gase liefern unterschiedliche Informatio-      nen sie extrahieren und messen, können
nen: Helium und Neon geben Auskunft            sie den Anteil des Schmelzwassers in den
über die Menge des Schmelzwassers in           Proben recht genau bestimmen.

                                          - 18 -
Äußerst schlechte Löslichkeit
Feste Konzentration von Helium und Neon
                                                                in Wasser, daher sehr
           in der Atmosphäre
                                                               geringe Konzentration
                                                                   im Meerwasser

                                    Neuschnee

                               Firn (offen und porös)

                                Gase werden durch
                                 Komprimierung
                                 eingeschlossen

                                         Eis
                                 (mit in Luftblasen
                             eingeschlossenen Gasen)

    Gletscherzunge

     Grundgestein

                     einströmendes, warmes Wasser,
                     erodiert den Gletscher von unten

                     kaltes, unterseeisches Schmelzwasser,
                     reich an Helium und Neon

                                      - 19 -
FCKW-11 und -12 sowie SF6 sind im Ge-             Kombiniert man nun beide Datensätze,
gensatz zu den Edelgasen gut in Wasser            lässt sich ablesen, dass das abfließende
löslich. Alle drei Gase sind anthropoge-          Wasser eine deutlich höhere Konzentration
nen Ursprungs und wurden erst in den              an Edelgasen aufweist als jenes, das zum
letzten Jahrzehnten freigesetzt. Sie werden       Gletscher hin strömt. Es besteht also zum
im Wasser nicht abgebaut. Die Konzentra-          Großteil aus Schmelzwasser. Des weiteren
tion der einzelnen Gase in der Atmosphä-          lässt sich aus der Kombination der Daten-
re zu den verschiednen Zeitpunkten der            sätze berechnen, wie viel Eis tatsächlich
letzten Jahrzehnte ist bekannt, wodurch           unter der Wasseroberfläche schmilzt. Die
sich das Wasser in den Proben sehr genau          Helium- und Neon-Proben geben dabei
dem Zeitpunkt zuordnen lässt, an dem es           die Menge an, die FCKW‘s bilden die zeit-
zuletzt mit der Oberfläche in Kontakt war.        liche Komponente. Daraus lässt sich eine
Vergleicht man Proben aus verschiedenen           Schmelzrate bestimmen. Die bisherigen
Tiefen, erhält man in Verbindung mit Strö-        Ergebnisse aus anderen Forschungsregi-
mungsdaten zum einen eine Fließrichtung           onen bestätigen Schätzungen, die etwa
der Wassermassen sowie die Zeit, die das          mithilfe von Satelittenmessungen vorge-
Wasser braucht, um unter den Gletscher            nommen wurden.
zu strömen und wieder auszufließen. Die
unten gezeigte Grafik auf Basis einer ver-        Die gesamte Analyse der Proben wird Mo-
gangenen Expedition zeigt, dass das Was-          nate dauern, da die Extraktion der Gase
ser an dieser Stelle im Schnitt ein Jahr lang     aus dem Meerwasser sehr aufwendig ist.
unter dem Gletscher zirkuliert. Jüngeres          Während 3615 Seemeilen wurden auf
Wasser (hohe Konzentration) strömt von            170 Stationen jeweils rund 720 Kupfer-
unten ein und verlässt das Gebiet weiter          rohre und Glasphiolen zur Messung von
an der Oberfläche.                                Schmelzwasser gefüllt.

   FCKW-               Ausstrom ~373 ppt                            Helium-Anteil:
   Konzentration                älteres Wasser                      höchste Konzentration
                                                                    unmittelbar vor der
                             Einstrom ~400 ppt                      Gletscherzunge
                                       jüngeres Wasser

                                             - 20 -
C
700                ppt-
             parts per trillion                                                                   C
                                                                                                           Cl
                                                                                                   F

600                                                                                           F
                        FCKW-12
                                                                                                  F
500
                        FCKW-11
                                                                                                CCl2F2
                                                                                              (FCKW-12)
                        SF6 x 100
400

300                                                                                               Cl

                                                                                                  C
200                                                                                                        Cl
                                                                                                   F

                                                                                              F
                                                                                                  F
100
                                                                                                CCl3F
                                                                                              (FCKW-11)

      1940        1950            1960   1970   1980     1990     2000        2010

                                                                                                  F
       Aus dem Gehalt an FCKW-11 und -12 lässt sich der Zeitpunkt des letzten Kontaktes mit
       der Wasseroberfläche ablesen. Da die FCKW-Konzentration in der Atmosphäre nach         F            F
       den Verboten in den 90er Jahren abnahm dient das SF6 als Kontollmolekül, um den            S
                                                                                              F            F
                                                                                                       F

       Zeitpunkt des Oberflächenkontaktes genau zu bestimmen. Da die Konzentration an SF6
       in der Atmosphäre noch geringer ist als die an FCKW‘s, sind die Konzetrationen des
       SF6-Graph hier um den Faktor 100 erhöht.                                                   F
                                                                                                  SF6

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Ausblick

Diese Expedition ist nur ein kleiner Baustein, der hilft
die globalen Veränderungen abzuschätzen. Egal wel-
ches Klimamodell man sich anschaut: Alle zeichnen ein
düsteres Bild für den arktischen und antarktischen Eis-
schild. Es gibt keine Anzeichen für eine Verlangsamung
der Erderwärmung. Die Atmosphäre und der Ozean
heizen sich weiter auf und lassen die Pole schmelzen
- sowohl die Gletscher an Land als auch das Meereis.

Die Eisschilde und die atlantische Umwälzzirkulation
gelten als wichtige Kippelemente im globalen Klima-
system. Übersteigt die Erderwärmung ein gewisses
Maß, werden sich bestimmte Effekte auch ohne Zutun
des Menschen selbst verstärken. Das wird den Kollaps
der Eisschilde und das Überschreiten anderer Kipp-
punkte beschleunigen. Die Folgen sind nur schwer
abzusehen, aber sie werden das Leben auf der Erde
maßgeblich verändern.

Daraus ergeben sich wiederum drei Optionen: Zivil-
gesellschaft, Politik sowie die Industrie müssen unver-
züglich in hohem Maße gegensteuern, um die Erder-
wärmung so gering wie möglich zu halten. Angesichts
der politischen und industriellen Entscheidungen rund
um die Welt erscheint dieses Szenario äußerst unwahr-
scheinlich. Die zweite Möglichkeit ist sich das Scheitern
bei der Bewältigung dieser globalen Herausforderung
einzugestehen und Strategien für das Leben einer sich
massiv verändernden Welt zu entwickeln. Die dritte
Option wäre ein Ausblenden der Realität und ein „wei-
ter wie bisher“. Welchen Weg die Menschheit schlus-
sendlich einschlagen wird, bleibt abzuwarten.

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- 23 -
Danksagung
Die Ausstellung, sowie dieses Heft, sind        Alba, Insa, Karl, Wolfgang, Julian, Yannik
das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses,       und Natalia, sowie der Mannschaft unter
der für mich mit dem Studienbeginn 2015         Leitung von Kapitän Ralf Schmidt ganz be-
in Hannover begann. Die Liste der Leute,        sonders danken.
die mich bei diesem Prozess begleitet ha-
ben und denen ich für ihre Unterstützung        Dem ganzen GoetheExil bin ich sehr
unfassbar dankbar bin, ist länger als es        dankbar für all ihre Unterstützung und al-
hier Platz gibt. Daher seht mir bitte nach,     les drumherum über die letzten drei Jahre
wenn nicht alle namentlich genannt wer-         - Felix, Malte, Rafael, Elias, Daniel, Mo-
den.                                            ritz, Chantal, Viola, Anna, Andreas, Michi,
                                                Moritz, Roman, Kai, Mario und alle ande-
Dieses spezielle Projekt wäre nicht ohne        ren die mit assoziiert sind oder waren.
die Unterstützung von Dr. Christian Mer-
tens und Dr. Oliver Huhn von der Uni-           Einfach, weil sie da sind: Henrik, Till, Volker,
versität Bremen möglich gewesen, die die        Camila, Paul, Paul, Tim und Xenia.
Expedition leiteten und geduldig sämtliche
meiner Fragen beantwortet haben. Das            Mario Wezel, Malte Radtki, Sophia Greiff
gleiche gilt für Dr. Tim Kalvelage, meinen      und Karen Fromm möchte ich für die Un-
schreibenden Kollege, durch dessen Re-          terstützung bei der Ausstellungskonzipie-
cherche und Einsatz die ganze Geschichte        rung und der Hilfe beim editieren danken.
erst entstehen konnte.
                                                Und der größte Dank geht zuletzt selbst-
Für ihre Geduld und ihre Offenheit möch-        verständlich an meine Familie, die immer
te ich auch den beteiligten Forschern, na-      an mich geglaubt und mich immer unter-
mentlich Rike, Jan, Bastian, Carolyne, Ju-      stützt haben. Danke!
lius, Julia, Gregor, Lea, Katharina, Daniel,

Kontakt
Jan Richard Heinicke

E-Mail: mail@jr-heinicke.de
Website: www.jr-heinicke.de
Telefon: +49 157-56260359

                                           - 24 -
Über den Autor
Jan Richard Heinicke wurde 1991 im Ruhr-           er für mehrere Monate nach Südamerika.
gebiet geboren. Nach einer deutsch-fran-           Während dieser Zeit bestärkte die foto-
zösischen Schulausbildung studierte er für         grafische Auseinandersetzung mit seinem
fünf Jahre an der Technischen Universität          Umfeld seinen Wunsch Fotojournalismus
Dortmund Stadt- und Regionalplanung.               zu studieren. Seit 2015 tut er dies an
Das Studium ermöglichte ihm Zeit im                der Hochschule Hannover. Sein Arbeits-
Ausland zu verbringen. Neben Projekten             schwerpunkt sind Themen rund um die
in Kambodscha und Vietnam studierte er             Landwirtschaft, Urbanität und neue Tech-
auch für längere Zeit in Paris. Nach dem           nologien. Jan Richard Heinicke lebt und
erfolgreichen Abschluss des Studiums ging          arbeitet in Hannover.

                                                                        Abbildungen
Alle Photos:    Jan Richard Heinicke
Seite 2-3:      Generalplan Maria S. Merian: Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe: https://www.ldf.
                uni-hamburg.de/merian/technisches.html
Seite 5:        Karte Nordatlantik: eigene Darstellung auf Grundlage von: Perner et al. (2017). Subar-
                ctic Front migration at the Reykjanes Ridge during the mid- to late Holocene: Evidence
                from planktic foraminifera. Boreas. 10.1111/bor.12263.
Seite 5:        Satellitenbild: Zoom Earth 3. August, 2019: Region um den Scorseby Sund. 71° 28‘
                44“N, 19° 31‘ 52“W. Zoom Earth, NASA/GSFC/EOSDIS, Terra MODIS. https://zoom.
                earth/#view=71.479,-19.531,6z/date=2019-08-03,am/
Seite 9:        CTD-Modell: Till Achteresch
Seite 13:       Schichtplan: eigene Darstellung
Seite 19:       Eigene Darstellung auf Grundlage von Vortrag Huhn et al.: Submarine melting at the
                79 North Glacier (Nioghalvfjerdsbrae), northeast Greenland. Link: https://asof.awi.de/
                fileadmin/user_upload/asof.awi.de/Copenhagen_2019/Huhn_ASOF_2019.pdf und
                University of Copenhagen - Centre for Ice and Climate: The firn zone: Transforming
                snow to ice. Link: http://www.iceandclimate.nbi.ku.dk/images/images_research_
                sep_09/Firn_popular.jpg
Seite 20:       Eigene Darstellung auf Grundlage von Vortrag Huhn et al.: Submarine melting at the
                79 North Glacier (Nioghalvfjerdsbrae), northeast Greenland. Link: https://asof.awi.de/
                fileadmin/user_upload/asof.awi.de/Copenhagen_2019/Huhn_ASOF_2019.pdf
Seite 21:       Eigene Darstellung auf Grundlage von Vortrag Huhn et al.: Submarine melting at the
                79 North Glacier (Nioghalvfjerdsbrae), northeast Greenland. Link: https://asof.awi.de/
                fileadmin/user_upload/asof.awi.de/Copenhagen_2019/Huhn_ASOF_2019.pdf
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