Migration & Integration Info - Migration & Integration Info - Caritas

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Migration & Integration Info

                                                                                                                           Info 2 / Juni 2019

Migranten­
organisationen
                                               Migration & Integration
Für mehr Partizipation
S. 3
                                                                  Info
Statements
S. 5

Kölner Integrationsagentur
S. 6

Teilnehmende der 2. Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen im Juni 2018 in Berlin symbolisieren die Kraft eines Schwarms
(mehr: www.bundeskonferenz-mo.de).

Liebe Leserinnen und Leser, Migrantenorganisationen                      verbände und die Caritas. Sie treten für eine umfassende Teilhabe von
(MO) nehmen bereits seit längerem eine aktive und selbstbewusste         Migrant(inn)en in allen gesellschaftlichen Bereichen ein und verste-
Rolle in der Gesellschaft ein. Für die Politik sind sie mittlerweile     hen unter Integration einen vielseitigen und vielschichtigen Prozess,
selbstverständliche Ansprechpartner und werden als Expert(inn)en         an dem alle Individuen und Institutionen der Gesellschaft beteiligt
für die Lebenslagen und Bedürfnisse von Migrant(inn)en anerkannt.        sind und in der Verantwortung stehen. Das grenzt sich von einem
In unterschiedlichen Organisationsformen und mit unterschiedli-          nach wie vor anzutreffenden Verständnis ab, das einseitig auf eine
chen Schwerpunktsetzungen treten sie für die Interessen von Einge-       Integrations- oder Anpassungsleistung von Eingewanderten abzielt.
wanderten ein und bringen sich in den gesellschaftlichen Diskurs         Gleichzeitig stehen sie genauso wie die Caritas für eine offene Gesell-
über Integration und Diversität, aber auch darüber hinaus ein.           schaft und die interkulturelle Öffnung ihrer Institutionen. Sie enga-
    Dabei verfolgen Migrantenorganisationen zumeist ganz ähnliche        gieren sich gegen Rassismus und anderweitige Formen gruppenbe-
integrations- und gesellschaftspolitische Ziele wie auch Wohlfahrts-     zogener Menschenfeindlichkeit.                                      »

Migration und Integration-Info 2 / Juni 2019                                                                                                  1
EDITORIAL

    Als selbstverständlich erscheint es vor diesem Hintergrund, dass   Migrantenorganisationen sich
gerade im Bereich der Integrationsarbeit und -politik aktive Migran-   selbst in der Einwanderungsgesell-
tenorganisationen wichtige Kooperationspartner der Caritas sind –      schaft sehen und welche Erwartun-
vor allem im lokalen Kontext und in der Migrationsarbeit vor Ort.      gen sie an die Caritas und die Wohl-
Migrantenorganisationen sind Foren für Selbsthilfe und bürger-         fahrtspflege ins­   gesamt haben,
schaftliches Engagement und an einigen Orten auch Anbieter profes-     formulieren vier Vertreter(innen)
sioneller sozialer Dienstleistungen. Vielerorts findet eine gute und   bundesweit ­tätiger (Dachverbände       Tobias Mohr
intensive Zusammenarbeit der Caritas mit Migrantenorganisationen       von) Migrantenorganisationen, die       Komm. Leiter des Referats Migra-
statt, auch wenn dies beide Seiten immer wieder vor Herausforderun-    wir für den The­menschwerpunkt          tion und Integration, Deutscher
                                                                                                               Caritasverband, Freiburg
gen stellt.                                                            dieses Heftes angefragt hatten.
                                                                                                               E-Mail: tobias.mohr@caritas.de
    Eine Auseinandersetzung mit der Rolle von Migrantenorganisa-           Die wichtige gesellschaftliche
tionen – der sich auch das vorliegende Infoheft Migration und Inte-    Funktion von Migrantenorganisa-
gration widmet – ist komplex. Daher nähern wir uns dem Thema aus       tionen wird durch die Beiträge ein
verschiedenen Blickwinkeln: Eingangs geben Marie Mualem Sultan         weiteres Mal deutlich. Für die ­Caritas und ihre Einrichtungen und
und Nils Friedrichs vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen       Dienste ist also angezeigt, möglicherweise bestehende Vorbehalte
für Integration und Migration (SVR) einen Überblick über die Ent-      weiter abzubauen und die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisa-
wicklung und Vielfalt von Migrantenorganisationen in Deutschland.      tionen auf Augenhöhe zu intensivieren. Dadurch eröffnet sich die
Karin Weiss diskutiert die Frage, inwiefern Migrantenorganisationen    Chance, gemeinsam eine Einwanderungsgesellschaft im Sinne einer
als Schlüssel zur Partizipation betrachtet werden können. Einblicke    teilhabeorientierten Integrationspolitik mitzugestalten. Wir hoffen,
in vielfältige Kooperationen vor Ort erhalten wir durch den Praxis-    durch diese Ausgabe einen Impuls und Ideen dafür geben zu können.
bericht von Dorothee Bodewein vom Caritasverband Köln, die ein-
drücklich aufzeigt, welch unverzichtbare Akteure Migrantenorgani-      Ihr
sationen in der Integrationsarbeit vor Ort sind. In welcher Rolle      Tobias Mohr

Thema                                                                      Aber was sind eigentlich Migrantenorganisationen? Eine allseits
                                                                       anerkannte Definition, was genau unter einer MO zu verstehen ist,
Entwicklung und Vielfalt von Migranten­                                existiert weder innerhalb noch außerhalb der Organisationsland-
organisationen in Deutschland                                          schaft. Einigkeit scheint allenfalls darin zu bestehen, dass es sich bei
Nachdem Migrantenorganisationen (MO) lange Zeit politisch kaum         MO um solche Vereine, Gruppen oder Initiativen handelt, die mehr-
beachtet wurden und zugleich wissenschaftliche Grundsatzdiskussi-      heitlich von Menschen mit Migrationshintergrund getragen werden
onen darüber stattfanden, ob sie per se integrativ wirken oder zu      und deren Engagement sich im weitesten Sinne auf eine Migrations-
Abschottung führen, hat sich das Interesse an ihrer Arbeit etwa seit   erfahrung bezieht – gleichviel, ob dies die Pflege einer gemeinsamen
Mitte der 2000er-Jahre massiv gesteigert, und der Fokus der Debat-     Herkunftskultur meint, entwicklungspolitisches Engagement für eine
ten hat sich verlagert. Nunmehr steht die Anerkennung des Exper-       bestimmte Herkunftsregion oder ob sich das Engagement auf das
tenwissens von MO und ihrer Vermittlerrolle bei der Ansprache          Zusammenleben in Deutschland, Empowerment, den Kampf gegen
migrantischer Zielgruppen im Vordergrund.                              Rassismus und das Ziel gleichberechtigter Teilhabe richtet.
    Dahinter stehen die mehrheitliche politische Einsicht, dass            Diese Heterogenität der Aktivitäten und Zielsetzungen von
Deutschland ein Einwanderungsland ist, und der hiermit verbunde-       Migrantenorganisationen ist mit ein Grund dafür, dass das Wissen
ne Kurswechsel hin zu einer aktiven Integrationspolitik. Damit ver-    über sie bis heute bruchstückhaft geblieben ist. Es ist nicht einmal
stärkten sich zugleich die in MO gesetzten Hoffnungen – sei es beim    bekannt, wie viele Organisationen in Deutschland sich ihrem Selbst-
Thema interkulturelle Bildungsarbeit, einer interkulturellen Öffnung   verständnis nach als MO begreifen.
der Wohlfahrtspflege, der Entwicklung politischer Konzepte für             Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Organisationsland-
gleichberechtigte Teilhabe oder auch, vor allem seit dem Jahr 2015,    schaft verdeutlicht ein Vergleich zwischen Ost- und Westdeutsch-
bei der Integration von Geflüchteten.                                  land, wie sich unterschiedliche gesellschaftspolitische Rahmenbedin-

2                                                                                                   Migration und Integration-Info 2 / Juni 2019
THEMA

gungen und Migrationsgeschichten auf die Form und Arbeitsweise               Integrationspolitisches Engagement darf daher diskursiv nicht
von MO auswirken.1 Die ersten ab den späten 1950er-Jahren in West-        zu einer Bedingung für die Legitimation von MO werden. Es ist
deutschland unter Loslösung von den Wohlfahrtsverbänden gegrün-           deshalb wichtig, den Facettenreichtum des Engagements von MO
deten MO waren mehrheitlich zunächst herkunftshomogen aufge-              auch in der öffentlichen Debatte sichtbar zu machen. Andernfalls
stellt; entlang der großen Zuwanderungsgruppen, die sich durch            wird die Grundsatzdiskussion darüber, ob MO gut oder schlecht für
Deutschlands Anwerbeabkommen ergaben. Diese ersten MO dien-               die Integration sind, unbemerkt doch weitergeführt, nur eben ver-
ten mehrheitlich der Pflege einer gemeinsamen Herkunftskultur. Erst       kürzt auf die Formel: Was tun Migrantenorganisationen für die Inte-
im Laufe der Zeit und im Zuge des Familiennachzugs wurde auch die         gration?
politische Interessenvertretung ein größeres Thema. So engagierte                                                          Dr. Marie Mualem Sultan
sich beispielsweise der 1973 gegründete Bund der Spanischen Eltern-                                    Wiss. Projektleiterin des Forschungsbereichs beim
vereine erfolgreich für die Öffnung der deutschen Regelklassen für                                             Sachverständigenrat deutscher Stiftungen
spanische Kinder.                                                                                                   für Integration und Migration (SVR)
    In der DDR hingegen war die Gründung von entsprechenden
Selbstorganisationen verboten. Dazu gab es erst zu Beginn der                                                                          Nils Friedrichs
1980er-Jahre und dann in viel geringerem Umfang überhaupt einen                                      Wiss. Mitarbeiter des Forschungsbereichs beim SVR
nennenswerten Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, vor allem durch
Vertragsarbeiter(innen) aus Vietnam. Insgesamt war und blieb Ost-         Anmerkungen
deutschland eher von Ab- als von Zuwanderung geprägt. Aufgrund            1. Weiss, K.: Engagementförderung im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbe-
der insgesamt geringen Zahl von Zugewanderten waren schon die             dingungen und staatlichen Handelns. Migrantenorganisationen in Ost- und
ersten kurz nach dem Mauerfall gegründeten MO häufiger her-               Westdeutschland. In: Gross, T. et al. (Hrsg.): Engagierte Migranten. Teil-
kunftsheterogen aufgestellt. In Reaktion auf verschiedene Her-            habe in der Bürgergesellschaft. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag, 2017,
kunftsgruppen betreffende Probleme, zum Beispiel ökonomische              S. 211–217.
und aufenthaltsrechtliche Schwierigkeiten oder fremdenfeindliche          2. Priemer, J.; Schmidt, M.: Engagiert und doch unsichtbar? Migrantenorga-
Übergriffe, wurden sie oft dezidiert mit dem Anspruch einer gegen-        nisationen in Deutschland. Policy Paper 02 des Stifterverbands für die Deut-
seitigen Unterstützung und politischen Interessenvertretung               sche Wissenschaft. Essen, 2018.
gegründet. Ein Beispiel hierfür ist der Rostocker Verein „Diên
Hông – Gemeinsam unter einem Dach“, der als direkte Reaktion auf
die fremdenfeindlichen Übergriffe 1992 in Rostock-Lichtenhagen            Migrantenorganisationen als Schlüssel zur
gegründet wurde.                                                          Partizipation?
    Mittlerweile existieren herkunftsheterogene Vereine in der gesam-     Die migrantische Organisationslandschaft hat sich in den letzten Jah-
ten Bundesrepublik, und auch die Gründung von Netzwerken und              ren deutlich weiterentwickelt. Migrantenorganisationen (MO) haben
Dachverbänden zur politischen Interessenvertretung hat erheblich          vielfältige und anerkannte Funktionen in der Zivilgesellschaft über-
zugenommen. Die Zielsetzungen und Aktivitätsfelder von MO diffe-          nommen. Große Dachverbände haben sich gegründet, die ­Ziele von
renzieren sich immer weiter aus, und sie betrachten sich verstärkt als    Vereinen sind noch diverser geworden, und auch die Professionali-
Interessenvertreter und Impulsgeber für Politik und Gesellschaft.2 Es     tät der Vereine hat sich sehr ausdifferenziert. Dabei werfen die brei-
gibt kaum einen Bereich, in dem MO nicht aktiv sind. Das erschwert        te positive Entwicklung und Etablierung von MO aber auch neue Fra-
zum einen wie eingangs erwähnt ihre definitorische Abgrenzung von         gen auf:
nicht migrantischen Vereinen. Zum anderen lenkt diese Vielfalt den
Blick auf ein zu wenig beachtetes Risiko, wenn sich das gesteigerte       1. Ist es angesichts der Vielfalt von MO überhaupt
Interesse an Migrantenorganisationen ausschließlich auf integrati-        sinnvoll, mit diesem Label zu arbeiten?
onspolitische Vorhaben richtet.                                           Migrantenorganisationen sind sehr verschieden. Je nach Ziel, Größe,
    Die Aktivitäten von MO lassen sich nicht auf ihren Beitrag zu inte-   Organisationsform, Professionalität der Aktiven usw. haben sie unter-
grationspolitischen Anliegen reduzieren. Zwar wirken viele von            schiedliche Ziele und Funktionen ebenso wie unterschiedliche orga-
ihnen tatkräftig an dem Anliegen gleichberechtigter Teilhabe für alle     nisatorische und inhaltliche Kompetenzen oder Qualitätsstandards.
hier Lebenden mit. Aber MO sind zugleich auch noch mehr, und ihre            Eine ausschließliche Konzentration auf den Migrationshinter-
eher auf die Anliegen der eigenen Community gerichteten Aktivitä-         grund als entscheidendes Merkmal greift zu kurz. Die Definition von
ten dürfen nicht abgewertet werden – so wie man einem Sportverein         Vereinen als „migrantisch“, deren Ziele sich kaum von denen nicht
nicht verübeln wird, dass er Sport auch dann fördert, wenn er keine       migrantischer Vereine unterscheiden, kann sogar nicht intendierte
integrationspolitischen Effekte verspricht.                               Wirkungen haben: Werden Bildungsvereine nicht primär als

Migration und Integration-Info 2 / Juni 2019                                                                                                             3
THEMA

bildungsbezogene Vereine, sondern als migrationsbezogene gesehen,         sozialer Arbeit oder anderen Institutionen verhindert werden, da
trägt dies zu Abgrenzung bei und gerade nicht zur Gleichstellung.         man jederzeit auf die Arbeit der MO verweisen kann?

2. Bedeutet das Engagement in MO auch eine gleich­                        5. Einmal MO – immer MO?
berechtigte politische Partizipation?                                     Auch MO werden älter – mehr und mehr stellt sich die Frage nach
Migrantenorganisationen sind ein wichtiger und legitimer Ausdruck         einem Generationenwechsel. Dieser Prozess ist zu unterstützen, da er
religiöser, kultureller, sozialer sowie politischer Selbstbestimmung in   Kontinuität schafft und erworbenes Wissen weitergegeben werden
einer pluralen Gesellschaft. Aber genauso muss klargestellt werden:       kann. Auf der anderen Seite muss aber auch die Frage gestellt wer-
Bürgerschaftliches Engagement kann nicht die eigene politische Ver-       den, was es bedeutet, wenn sich auch noch die dritte Generation in
tretung ersetzen. MO haben sehr viel zur Wahrnehmung der Lebens-          „Migranten“-Vereinen engagiert. Dies heißt nicht, dass es in der drit-
situation und der Interessen Zugewanderter in der Gesellschaft bei-       ten Generation nicht möglicherweise spezifische Bedarfe gäbe, die in
getragen, es gibt vielfältige Kooperationen mit staatlichen wie nicht     eigenen organisierten Strukturen besser abgedeckt werden können
staatlichen Akteuren. Die Selbstorganisationen sind ein wichtiger         als in heterogenen. Die Beibehaltung der Überschrift „migrantisch“
Schritt zur Teilhabe an der Gesellschaft. Sie sind jedoch keine politi-   würde jedoch implizieren, dass auch die dritte Generation immer
schen Organisationen. Der politische Einfluss von Migrantenorgani-        noch eine migrantische ist. Die „Vererbung“ des Migrationshinter-
sationen, einschließlich der Beiräte, ist begrenzt.1                      grunds als Label sollte nicht entscheidendes und prägendes Merkmal
                                                                          für die Integration auch der nachfolgenden Generationen sein. Ziele,
3. Erleichtert das Engagement in einer MO den                             Form und das eigene Label des Vereins müssen sich den Bedürfnis-
sozialen Aufstieg?                                                        sen dieser Generationen anpassen.
Uslucan betont neben der Rolle von MO als demokratiebildendes Ele-
ment besonders ihre Funktion als Vehikel der Aufwärtsmobilität.2          6. Sollten MO als MO gefördert werden?
Dies ist richtig und wichtig. Aufwärtsmobilität im Sinne eines sozia-     Nicht zuletzt ist die Frage aufzuwerfen, wie eine staatliche Förderung
len Aufstiegs kann jedoch nur dann funktionieren, wenn die Gesell-        von MO angelegt sein sollte.3 Die Förderung jeder Form einer migran-
schaft sich auch öffnet und entsprechende Aufstiegschancen bereit-        tischen Organisation, ob im Bereich Sport, Kultur, Religion, Bildung
stellt. Es fehlt jedoch nach wie vor an ausreichenden Übergängen zu       und anderem, aus Integrationsmitteln kann zur Folge haben, dass die
den Institutionen der Mehrheitsgesellschaft, und die interkulturelle      jeweils eigentlich für diese Bereiche zuständigen Fördermittelgeber sich
Öffnung unserer Gesellschaft steckt noch immer in den Anfängen.           auf die Förderung von nicht migrantischen Organisationen konzent-
Die Partizipation im Rahmen einer MO ist ein wichtiger Schritt zur        rieren. Dies würde eher eine Abgrenzung denn eine Integration bedeu-
Teilhabe, aber immer noch stößt die Teilhabe zu oft an Grenzen.           ten. Eine Förderung aus Integrationsmitteln ist zwingend und sinnvoll,
                                                                          solange MO noch keinen Zugang zu zielspezifischen Fördermitteln
4. Sind soziale Projekte von Migranten für                                haben, und insbesondere dann, wenn es um eine politische Vertretung
­Migranten dauerhaft eine Lösung?                                         geht. Es sollte jedoch eine Förderung sein, die dazu beiträgt, gleichbe-
Immer mehr MO sind heute unverzichtbare Träger sozialer Projek-           rechtigte Zugänge zu den regulären Fördermitteln zu ermöglichen.
te. Migrantenorganisationen haben einen besseren Zugang zur eige-             MO und andere Integrationsakteure müssen solche Fragen disku-
nen Gruppe, können besser als mehrheitsgesellschaftliche Organisa-        tieren, auch wenn dabei Gewohntes auf den Prüfstand kommt.
tionen die Bedürfnisse der Migrant(inn)en einschätzen und vertreten.                                                 Prof. Dr. Karin Weiss, Berlin
Aber wann ist es richtig, ein eigenes migrantisches soziales Projekt zu                         Erziehungswissenschaftlerin, Ministerialdirigentin a. D.
schaffen? Es kann ja nicht per se das Ziel sein, Projekte wie außer-
schulische Betreuung, Eltern­arbeit oder Jugendhilfe von vornherein       Anmerkungen
und langfristig nach Herkunftsgruppen beziehungsweise nach Migra-         1. Hunger, U.; Candan, M.: Politische Partizipation der Migranten in der
tionshintergrund getrennt zu organisieren.                                Bundesrepublik Deutschland und über die deutschen Grenzen hinweg. Exper-
    Herkunftshomogene Projekte können einen wichtigen Zwischen-           tise im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Münster, 2009,
schritt bedeuten, sie können Hemmschwellen abbauen und Zugänge            S. 5.
verschaffen. Hierin liegt ihre große Stärke. Aber sie können nicht        2. Uslucan, H.-H.: Freiwilliges Engagement von Zuwanderern. Aus Politik
dauerhaft die Lösung sein.                                                und Zeitgeschichte (APuZ 14–15/2015), S. 28–35.
    Wo ist eine Ergänzung bestehender Strukturen sinnvoll und wo          3. Weiss, K.: Migrantenorganisationen und Staat. Anerkennung, Zusammen-
nicht? Bilden MO eventuell eine Parallelstruktur für sozialstaatliche     arbeit, Förderung. In: Friedrich-Ebert-Stiftung, Gesprächskreis Migra-
Aufgaben und tragen so sogar – ungewollt – dazu bei, dass dringend        tion und Integration: Migrantenorganisationen. Engagement, Transnatio-
notwendige Prozesse interkultureller Öffnung in den Regeldiensten         nalität und Integration. Reihe Wiso Diskurs, 6/2013, S. 21–31.

4                                                                                                         Migration und Integration-Info 2 / Juni 2019
THEMA

   Statements von vier Migrantenorganisationen

   Gemeinsame Fragestellung: „Wie schätzen Sie Ihre Rolle in der Einwanderungsgesellschaft ein,
   und was erwarten Sie von den Wohlfahrtsverbänden?“

                                                                            schaft. Wir verfügen über Expertise in Fragen der Gender- und
   1. Zentralrat der afrikanischen Gemeinde
                                                                            Migrationspolitik und fordern tagtäglich gleichberechtigte politi-
   Der Zentralrat der afrikanischen Gemeinde in Deutschland                 sche, ökonomische, soziale und kulturelle Teilhabe der Migrantin-
   (ZAGD), 2012 gegründet, versteht sich als Interessenzusammen-            nen ein.
   schluss, Netzwerk und Bundesdachverband von Organisationen                   Von den Wohlfahrtsverbänden erwarten wir vor allem interkul-
   und Einzelpersonen der afrikanischen Diaspora in Deutschland.            turelle Öffnung und Schaffung diskriminierungsfreier und diversi-
   Seine Ziele: die Interessen der Diaspora auf Bundesebene zu vertre-      tätsorientierter (Schutz-)Räume für Migrantinnenorganisationen,
   ten und eine Lobby zu schaffen. Zwecks Professionalisierung erhält       denn: Teilhabe und interkulturelle Öffnung – das sind zwei Seiten
   der ZAGD seit 2017 eine Strukturförderung vom Bundesamt für              einer Medaille. Zum einen ist die interkulturelle Öffnung der Gesell-
   Migration und Flüchtlinge und wird dabei mit professioneller Bera-       schaft und ihrer Institutionen, Organisationen etc. eine wichtige
   tung unterstützt. Die damit entstandene hauptamtliche Struktur           Voraussetzung für mehr Teilhabe von Migrantinnen. Zum anderen
   ermöglicht dem ZAGD, stärker als gesellschaftspolitischer Akteur         macht ein Mehr an Teilhabe automatisch ein Mehr an inter­
   aufzutreten und sich als Sachverständiger für soziale und integra­       kultureller Öffnung aus. Teilhabe ist für uns die Einbeziehung von
   tionspolitische Fragestellungen zu etablieren.                           Individuen, Bevölkerungsgruppen und ihren
       Der ZAGD ist Gründungsmitglied des Verbands für interkultu-          Organisationen in Entscheidungs- und Willens-
   relle Wohlfahrtspflege, Empowerment und Diversity. Dessen Ziel           bildungsprozesse; die Teilhabe am Haben, Sagen
   ist es, die interkulturelle Öffnung in der Wohlfahrtspflege voranzu-     und Machen in einer Einwanderungsgesell-
   treiben und eine bedarfsorientierte Versorgung aller Menschen mit        schaft!
   Migrationsgeschichte sicherzustellen.                                                                   Dr. Delal Atmaca
       Unser Beweggrund als Migrantenselbstorganisation ist es vor             Geschäftsführerin
   allem, die soziale Integration von Afrikaner(inne)n in Deutschland
   zu realisieren. Dazu brauchen wir starke Partner. Gestern Migrant(inn)
   en – heute Bürger(innen), so könnte man plakativ das Leben unse-
                                                                            3. Türkische Gemeinde in Deutschland
   rer afrikanischen Gemeinde in Deutschland darstellen. Als Bür-           Als eine der strukturstärksten MO hierzulande hat die Türkische
   ger(innen) von heute oder von morgen kommt                               Gemeinde in Deutschland (TGD) es sich seit einigen Jahren
   uns die Aufgabe des freiwilligen Engagements                             zur Aufgaben gemacht, andere MO bei ihrem Strukturaufbau
   und der Freiwilligenarbeit zu. Somit erwarten                            zu unterstützen. Daraus ergeben sich für die TGD zwei Hand-
   wir von den Wohlfahrtsverbänden starke Part-                             lungsstränge: auf der einen Seite, MO beim Empowerment zu
   nerschaft für soziale Teilhabe und Teilnahme.                           unterstützen, und auf der anderen Seite die Diversitätssensibilisie-
                                      Aliou Sangare                        rung bei Politik, Verwaltung und anderen zivilgesellschaftlichen
   Generalsekretär                                                         Akteuren.
                                                                                Zentrale Elemente dieser Empowerment-Arbeit sind das Ermög-
                                                                            lichen und die Koordination der Bundeskonferenz der MO. Hier
   2. DaMigra
                                                                            kommen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik MO selbst-
   Die Rolle des bundesweiten herkunftsunabhängigen und frauen­             bestimmt und selbstorganisiert zusammen. Ziel der Bundeskonfe-
   spezifischen Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen –              renz ist es, eigene teilhabeorientierte Handlungsempfehlungen in
   DaMigra – in der Einwanderungsgesellschaft ist essenziell. Wir ver-      den Diskurs einzubringen.
   stehen uns als Sprachrohr für rund 70 Migrantinnenorganisationen             Von der Wohlfahrtspflege erhoffe ich mir eine Diversitätsorien-
   bundesweit und setzen uns für die Interessen der Migrantinnen in         tierung, die nicht nur bei der Gestaltung von Angeboten und Dienst-
   Deutschland ein. Wir arbeiten mit Migrantinnen für Migrantinnen.         leistungen ansetzt, sondern auch die Strukturen innerhalb der
   Durch Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt sind wir gute             Wohlfahrtpflege entsprechend weiterentwickelt. Ziel sollte es sein,
   Ansprechpartnerinnen für Migrantinnen, Politik und Zivilgesell-          dass alle Menschen in Deutschland, unabhängig von ihrer Herkunft

Migration und Integration-Info 2 / Juni 2019                                                                                                   5
THEMA

    oder gemachten Rassismuserfahrungen, Dienstleistungen entspre-           mitreden, wenn es um die Zukunft der deutschen Gesellschaft geht
    chend ihrer Bedarfe in Anspruch nehmen können. Um die Struk-             – nicht nur in Sachen Integration und Migration.
    turen und Angebote der Wohlfahrtspflege weiterzuentwickeln, ist               Für mehr Mitsprache und Teilhabe gibt es viele gute Gründe.
    es notwendig, dass von Diskriminierung betroffene Menschen an            Zum Beispiel diese:
    den Gestaltungsprozessen von Angeboten betei-                            ◆ Menschen mit Migrationsbezügen und Minderheitenmerkmalen
    ligt sind. Bis dies in ausreichendem Maße sicher-                           sind insgesamt längst keine kleine Minderheit mehr. Jedes dritte
    gestellt werden kann, sind Koopera­tionen mit                               Kind hat einen sogenannten Migrationshintergrund, in manchen
    oder eigene Angebote von MO ein wichtiger                                   Regionen sogar die Mehrheit der Schulkinder. Und auch ohne
    Zwischenschritt.                                                            eigenen Migrationshintergrund sind viele Menschen familiär
                                Susanna Steinbach                               oder freundschaftlich involviert.
                                Bundesgeschäftsführerin                      ◆ Teilhabe ist es eine zutiefst demokratische Frage: Die Qualität
                                                                                einer Demokratie spiegelt sich am deutlichsten in ihrem Umgang
                                                                                mit Minderheiten. Denn sie bedeutet, dass allen das Recht zusteht,
    4. neue deutsche organisationen (ndo)                                       Politik und Gesellschaft mitzugestalten.
    Wir leben in einer spannenden Zeit: Wir verhandeln gerade, wer in        ◆ Es geht um nichts Geringeres als Menschenrechte: Minderheiten
    Deutschland dazugehört und wer nicht. Dabei ist zu beobachten,              haben ein Recht darauf, nicht benachteiligt (diskriminiert) oder
    dass es immer mehr Initiativen gibt, die sich gegen Rassismus enga-         rassistisch herabgewürdigt zu werden.
    gieren und klarstellen, dass Deutschsein heute mehr ist, als deutsche    Wir glauben daran, dass bessere Teilhabe machbar ist. Etablierte
    Vorfahren zu haben. Manche der Engagierten nennen sich People            Organisationen wie Wohlfahrtsverbände sehen wir als wichtige
    of Color, Sinti, Roma, Schwarze Deutsche oder Bindestrich-Deut-          Allianzpartner(innen), die Zugänge schaffen und sich neben sozia-
    sche (Türkei-Deutsche, Asien-Deutsche etc.). Sie sind jüdisch, mus-      len Themen auch für menschenrechtliche The-
    limisch, christlich oder nichtkonfessionell, viele sind Nachkommen       men starkmachen können – und sollen.
    von Arbeitsmigrant(inn)en oder Geflüchteten.                                                                    Ferda Ataman
       Seit 2015 treffen sich rund 100 postmigrantische Initiativen im                                                ndo-Sprecherin
    Netzwerk der „neuen deutschen organisationen“. Unsere Gemein-              Von ihr erschien kürzlich: „Hört auf zu fragen. Ich bin
    samkeit: Wir verstehen uns als Teil dieser Gesellschaft und als           von hier“, was eine Debatte über Zugehörigkeit anstieß
    Gegenbewegung zum erstarkenden Rechtspopulismus. Wir wollen                                                           (#vonhier).

Praxisbericht                                                               modernen Stadtgesellschaften deutlich. Zudem sind sie Interessen-
                                                                            vertreter ihrer Communitys.
Wegweiser, Brückenbauer, Lückenschließer
                                                                            Anerkennung als selbstverständliche Partner
MO haben viele Aufgaben und sind unverzichtbare                             Das Land Nordrhein-Westfalen erkennt die Bedeutung von MO mit
Akteure der Integrationsarbeit vor Ort                                      dem seit 2012 bestehenden Gesetz zur Förderung der gesellschaftli-
In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für MO               chen Teilhabe und Integration an. Einen Schwerpunkt stellt die Qua-
verändert. Sie werden zunehmend als Gesprächspartner, als bedeut-           lifizierung und Vernetzung von MO dar.
samer Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft sowie als Akteu-            Auch die Arbeit der seit 2007 ebenfalls vom Land unterstützten
re in der Integrationsarbeit angesehen. Selbstorganisationen und Ini-       Integrationsagenturen steht für eine praktische Verbesserung der
tiativen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind vielfach              gesellschaftlichen Teilhabe von Zugewanderten in Kommunen,
erste Anlaufstellen für Neuzugewanderte, Informationsbörsen und             Stadtteilen und Quartieren und bildet einen wichtigen Baustein.
Wegweiser im Einwanderungsland sowie Übersetzer nicht nur in                     Integrationsagenturen erkunden systematisch Einsatzfelder für
sprachlicher Hinsicht. Sie unterstützen, sind Vermittler von Sprache        Ehrenamtliche und Multiplikator(inn)en, sie erschließen Potenziale
und Kultur, sind Multiplikatoren und bilden eine Brücke zwischen            von Migrantenselbstorganisationen und motivieren, aktivieren und
Herkunftsland und Einwanderungsgesellschaft.                                qualifizieren Ehrenamtliche, Multiplikator(inn)en und Migranten-
    Häufig beteiligen sie sich an sozialen und kulturellen Aktivitäten      selbstorganisationen für die Integrationsarbeit. Integrationsagenturen
in ihrem Wohnumfeld und machen die bestehende Vielfalt von                  organisieren und begleiten zudem den Einsatz von Ehrenamtlichen.

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THEMA

                                                                               Das ist kein neuer Weg. Seit Jahren engagiert sich die Kölner Cari-
Integrationsagentur der Caritas sieht Fortschritte                         tas-Integrationsagentur in der Förderung und Kooperation von und
und weiteren Handlungsbedarf für mehr Teilhabe                             mit MO und blickt erfolgreich auf verschiedene Projekte mit Quali-
Diesen Aufgabenkanon erfüllt auch die Integrationsagentur des Cari-        fizierungs- und Vernetzungsschwerpunkten zurück. In deren Folge
tasverbandes Köln. Sie fördert und initiiert Angebote für eine wirk-       hat sich ein Netzwerk aus etwa 15 MO etablieren können. Austausch,
same Integration in den Stadtteilen, arbeitet eng mit Institutionen,       Diskurs und Vernetzung der Organisationen und Initiativen unter-
Vereinen, Initiativen und Aktiven zusammen. Die Integrationsagen-          einander werden gefördert. Auch ein Pool an Sprach- und Kultur-
tur der Caritas unterstützt Einrichtungen und Institutionen dabei,         mittler(inne)n, die fachlich begleitet und qualifiziert werden und bei
zugewanderte Menschen zu erreichen, sie zu informieren und zu ver-         Bedarf von Einrichtungen und Institutionen angefragt werden kön-
sorgen. Sie qualifiziert und entwickelt zudem das bürgerschaftliche        nen, ist aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangen.
Engagement von Zugewanderten für Zugewanderte und hilft dort,
wo es im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft             Gemeinsam Zukunft gestalten
zu Problemen kommt. Sie fördert und unterstützt die Eigeninitiative        Im Projekt bilden die Vertretung der Interessen von Zugewanderten
von MO, informiert und sensibilisiert zum Thema Diskriminierung.           auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, die Beteiligungsmöglich-
Schließlich führt sie Bildungs- und Gruppenangebote zu verschiede-         keiten, sozialen Strukturen sowie die Vernetzung in der Kommune, die
nen Schwerpunkten durch und arbeitet in enger Kooperation mit den          Zuwanderungs- und Asylpolitik in Deutschland und in Europa, Dis-
vielfältigen sozialen Akteuren. Zielstellung ist die Förderung des         kriminierung, Antidiskriminierungsrecht und Interventionsmöglich-
­gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen verschiedener              keiten die thematische Klammer – verbunden mit der Offenheit, je
 Nationalitäten, Kulturen, Ethnien und Religionen im kommunalen            nach den Bedarfen der MO und Multiplikator(inn)en auf aktuelle poli-
 Kontext.                                                                  tisch und sozial bedeutsame Entwicklungen einzugehen.
     Trotz ihrer komplementären Strukturen und Kompetenzen sind                Der erste Workshop fand in diesem Jahr im April unter großem
 MO bislang nicht durchgängig in politische Entscheidungsprozesse          Interesse statt. Die SPD-Kandidatin vom Mittelrhein für die Europa-
 auf kommunaler sowie Landes- und Bundesebene eingebunden.                 wahl, Claudia Walther, referierte zu dieser entscheidenden politi-
 Hier besteht trotz eindeutiger Fortschritte weiterhin Handlungsbe-        schen Weichenstellung am 26. Mai. Mitte Mai gab es den nächsten
 darf. In einer Demokratie ist es wichtig, dass allen gesellschaftlichen   Workshop zur Fluchtpolitik, eingeladen war (zum Zeitpunkt des
 Gruppen die Möglichkeit geboten wird, ihre Sichtweisen in den poli-       Redaktionsschlusses dieses Heftes) der Geschäftsführer der
 tischen Diskurs einzubringen und dafür zu sorgen, dass ihre Interes-      UNO-Flüchtlingshilfe, Peter Ruhenstroth-Bauer.
 sen Berücksichtigung finden.                                                                                                    Dorothee Bodewein
     Problematisch wird es, wenn breite Bevölkerungsschichten vom                                      Leitung Leistungsbereich Integration und Beratung
 politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen bleiben, be­stimm-                                              Caritasverband für die Stadt Köln e. V.
 ten Gruppen der formale Zugang zur politischen Ebene verwehrt ist,
                                                                           Bild Integrationsagentur Caritas Köln / S. Tafaj
 da sie bestimmte rechtliche Voraussetzungen nicht erfüllen.
     Ein weiterer Grund für geringere Teilhabemöglichkeiten liegt dar-
 in, dass Gruppen oder Personen nicht ausreichend über Wissen und
 Erfahrungen verfügen, um sich in den politischen Diskurs angemes-
 sen einbringen zu können.

Politische Bildung als Ausdruck politischer Teilhabe
Mit dem Projekt „Gemeinsam Zukunft gestalten“ schafft die Kölner
Caritas-Integrationsagentur Voraussetzungen, MO im politischen
Diskurs und im politischen Handeln zu stärken, Kontakte zu lokalen
politischen Interessenvertreter(inne)n zu knüpfen und Vernetzun-
gen aufzubauen. Dazu führt die Integrationsagentur MO, Initiativen
und Multiplikator(inn)en in insgesamt zehn Workshops an eine akti-
ve politische Teilhabe heran und macht ihre Selbstkompetenz, Poten-
ziale und Interessen im politischen Kontext sichtbar. Dabei wird poli-
tische Bildung nicht ausschließlich als Vermittlung politischen
Sachwissens verstanden. Vielmehr ist sie auch Auftakt zu einer akti-       Bei ihrem ersten Workshop 2019 hatte die Kölner Integrations-
ven politischen Beteiligung und zur Äußerung politischer Interessen.       agentur der Caritas zu Infos über die Europawahl eingeladen.

Migration und Integration-Info 2 / Juni 2019                                                                                                            7
NACHGEDACHT

Projektvorstellung: Migrantenorganisationen                                                               aller MO in Berlin, Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen.
als Partner von Politik und Zivilgesellschaft                                                                 Ziel ist dabei, Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung
Der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftun-                                         und für die MO selbst zu entwickeln, besonders zur Optimierung von
gen für Integration und Migration (SVR) untersucht im Rahmen des                                          Förder- und Kooperationsstrukturen.
Forschungsprojekts „Migrantenorganisationen als Partner von Poli-                                             Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium des Innern,
tik und Zivilgesellschaft“ derzeit das Selbstverständnis und die Viel-                                    für Bau und Heimat. Die Veröffentlichung der Studienergebnisse ist
falt von MO in Deutschland. Ein Fokus liegt auf ihrer Bedeutung als                                       für Ende 2020 vorgesehen.
Interessenvertreter, Dienstleister im Wohlfahrtsstaat und integrati-                                          Für weitere Informationen zur geplanten Befragung können
onspolitische Akteure. Geplant ist eine möglichst vollständige                                            Migrantenorganisationen sich auch via E-Mail an folgende Adresse
Bestandsaufnahme durch eine Vollerhebung und Onlinebefragung                                              wenden: mo@svr-migration.de

NACHGEDACHT
                          Lea-Friederike                    Gesellschaft gestalten. Ein Plädoyer für konstruktive Kooperation
                          Neubert
                          Stabsstelle Interkul­
                                          Migrantenorganisationen
                          turelle Orientierung
                                                                                                          und diversitätssensibel weiterentwickeln? Wie kann Diakonie
                                          sind Akteure der Bürgerge-
                          und Öffnung Diako-                                                              migrantischen und postmigrantischen Interessen in diakoni-
                          nie Deutschland sellschaft. Sie bündeln                                         schen Arbeitsfeldern Gehör verschaffen?
                          E-Mail: lea-friederike.
                                          migrantische und post-                                          Zur Beantwortung dieser Fragen sind Migrantenorganisationen
                          neubert@diakonie.de
                                          migrantische Erfahrungen                                        unabdingbare Partner. Sie bündeln Kenntnisse der Bedürfnisse
    und geben ihnen eine Stimme. Als solche haben sie eine wichtige                                       ihrer Communitys und Kompetenzen, die in der Einwande-
    gesellschaftliche Brückenfunktion, auch für die freie Wohlfahrts-                                     rungsgesellschaft wichtig sind. Deswegen kooperieren diakoni-
   pflege.                                                                                                sche Träger, vor allem in niedrigschwelligen Angeboten, bundes-
   Die Initiative zur Selbsthilfe und Selbstorganisation zu ergreifen,                                    weit bereits mit Migrantenorganisationen auf lokaler Ebene.
   entspricht dem Subsidiaritätsprinzip. Netzwerke und Koopera-                                           Es ist Aufgabe der Wohlfahrtspflege, selbstkritisch zu überprü-
   tionen zwischen „frischen“ und etablierten Akteuren stärken den                                        fen, ob die Angebote tatsächlich offen und an den Bedürfnissen
   Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.                                                                  der Menschen ausgerichtet sind. In der Einwanderungsgesell-
   Migrantenorganisationen sind auf Wachstumskurs. In keinem                                              schaft gilt es, grundsätzlich (post-)migrantische Stimmen in
   zivilgesellschaftlichen Bereich wächst das ehrenamtliche Engage-                                       Wohlfahrts­verbänden zu stärken. Dazu gehört, Kooperationen
   ment derart stark. Migrantenorganisationen sind in der Regel                                           zwischen Migrantenorganisationen und diakonischen Einrich-
   jung, klein, kreativ und heterogen. Es gibt herkunftsbezogene                                          tungen auf lokaler Ebene in Netzwerken zu stärken. Zudem ist es
   und herkunftsunabhängige Organisationen, Einzelkämpfer und                                             an der Zeit, auszuloten, wie gezielte Kooperationen und Konsul-
   Verbünde. Manche verstehen sich als postmigrantische Organi-                                           tationsprozesse mit Migrantenorganisationen die bedürfnisori-
   sationen, andere als Migrant(inn)enselbstorganisationen und                                            entierte Qualität sozialer Dienstleistungen systematisch weiter-
   wieder andere als neue deutsche Organisationen.                                                        entwickeln können. Diversität wird erst dann zur Stärke, wenn
   Wichtige Fragestellungen für die Diakonie sind: Wie können                                             wir inklusiv handeln.
   ­diakonische Einrichtungen ihre Angebote bedürfnisorientiert                                                                                  Lea-Friederike Neubert

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