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   Antisemitismus als
   biographische Erfahrungskategorie
   Marina Chernivsky

Die Betroffenen sind niemals nur (passive) Opfer – sie sind politische
Subjekte, die sich gegen die andauernde Fremd- und Opfermachung
aktiv einsetzen
Zusammenfassung                                             Antisemitism as a Biographical Category
In den hiesigen Debatten um Antisemitismus spielt           of Experience
die Kontinuität und Wirkung von Antisemitismus als
eine lebensgeschichtliche (biographische) Erfahrungs-
                                                            Summary
kategorie eine eher untergeordnete Rolle. Im Umgang
                                                            The continuity and impact of anti-Semitism as a life-
mit Antisemitismus als biographische Erfahrungska-
                                                            historical (biographical) category of experience plays a
tegorie stellt die Vergangenheit aber einen wichtigen
                                                            rather subordinate role in the debates on anti-Semitism
Bezugspunkt dar. Es ist unbedingt erforderlich, stets
                                                            here. In dealing with anti-Semitism as a biographical
die Expertisen und Erfahrungen von Betroffenen ein-
                                                            category of experience, the past is an important point
zubeziehen und zu würdigen. Die Ausdehnung des
                                                            of reference. It is advisable and absolutely necessary
Aktionsradius und die Schärfung der Wahrnehmbar-
                                                            to always include and acknowledge the expertise and
keit von Antisemitismus als eine real existierende
                                                            experiences of those affected. The expansion of the ra-
Ausgrenzungs- und Gewaltpraxis spielt dabei eine
                                                            dius of action and the sharpening of the perceptibility
zentrale Rolle.
                                                            of anti-Semitism as a real existing practice of exclusion
                                                            and violence thematized plays a central role here.
Schlüsselwörter
Antisemitismus, Diskriminierung, Shoah, Migration,
                                                            Keywords
Trauma
                                                            antisemitism, discrimination, Shoah, migration, trauma

18 | Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen   18 Jg. (2020) Heft 1
Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
                                                                                            Marina Chernivsky

„Und ich glaube, so diese Angst, dass man                 teil gesellschaftlicher Strukturen. Strukturel-
sein Kind erkennbar schon nicht auf die Stra-             le Formen von Antisemitismus äußern sich
ße schickt, da muss man sich schon wirklich               durch Regelungen wie die Forderung nach
überlegen, bin ich eine gute Mutter, wenn ich             Beschneidungsverbot, das Missachten von
mein Kind dieser Gefahr aussetze? Also, ich               jüdischen Feiertagen, Absprache von Rechten
glaube, das hat einfach einen Rieseneffekt,               oder in dem (nicht) gewährten Schutz.4
auch wenn einen das vielleicht im Alltäglichen                Antisemitisch aufgeladene Vorstellungen
selbst noch nicht getroffen hat. Aber diese Vor-          sind der Gesellschaft inhärent und können
fälle haben einfach einen totalen Effekt auf das          zudem ungeachtet der Herkunft, Religion,
eigene Leben. Wie man das gestaltet. Und                  sozialen und politischen Positionierung ein-
wie frei man sich auch fühlt, bestimmte Dinge             genommen und zu jeder Zeit reproduziert
zu machen. Aber ich finde auch, man hat so in             werden. Die gefühlte Distanz, das Schwei-
diesem Mainstream, in der mainstream-deut-                gen in den Familien, die zunehmende Nor-
schen Mehrheitsgesellschaft auch, definitiv               malisierung antisemitischer Argumentation,
ein Antisemitismusproblem“ 1                              die politische und digitale Radikalisierung u.a.
    Antisemitismus ist wider Erwarten nicht               verstärken diese Tendenz.5 In den hiesigen
„nur“ ein historisches und soziales Phä-                  Debatten um Antisemitismus spielt jedoch
nomen, sondern ein strukturelles und ge-                  die Kontinuität und Wirkung von Antisemitis-
waltproduzierendes Machtverhältnis mit                    mus als eine lebensgeschichtliche (biographi-
nachhaltigen Effekten. Das antisemitische                 sche) Erfahrungskategorie eine eher unterge-
Ressentiment strukturiert und reguliert die               ordnete Rolle. Antisemitismus wird oftmals
Wahrnehmung von und die Beziehung zu                      sehr abstrakt, als Einstellung ohne Wirkung
Jüdinnen und Juden und Jüdischem. Anti-                   diskutiert – seine Wirkmächtigkeit als Erfah-
semitische Auffassungen treten in allen ge-               rungskategorie geht in den Diskursen unter,
sellschaftlichen Gruppen in Erscheinung und               oder die Effekte werden überindividualisiert

Antisemitisch aufgeladene Vorstellungen können ungeachtet der
Herkunft, Religion, sozialen und politischen Positionierung einge-
nommen werden und lassen sich zu jeder Zeit reproduzieren
beschränken sich nicht nur auf manifeste Ar-              – nahezu ausschließlich im Zusammenhang
tikulationsformen, sondern treten auch subtil             mit psychologischen Reaktionen der Betroffe-
und zwischen den Zeilen in Erscheinung, wie               nen – quasi ohne die gesellschaftlichen Kau-
etwa im verbreiteten Gebrauch des Wortes                  salitäten – betrachtet.
»Jude« als Schimpfwort.2                                     Grundsätzlich stellt die jahrzehntelange
   Antisemitismus äußert sich zudem in öf-                De-Thematisierung des Post-Shoah-Antise-
fentlichen Entgleisungen und antisemitisch                mitismus ein großes Problem für seine aktu-
aufgeladenen Diskursen sowie Hetzreden bis                elle Rezeption dar. In der Nachkriegszeit und
hin zu tätlichen Übergriffen und terroristischen          auch in den darauffolgenden Jahrzehnten
Anschlägen wie in Halle.3 Ebenso werden in                „verschwand“ Antisemitismus aus dem Be-
den Medien, an (Hoch-)Schulen und anders-                 wusstsein der (nicht jüdischen) Mehrheitsge-
wo „israelkritische“ Positionen vertreten, die            sellschaft, aber er hörte nicht auf zu existie-
jedoch nicht selten antisemitische Ressen-                ren. Die Position der Abwehr war viele Jahre
timents transportieren. Antisemitismus ist                vorherrschend in der Antisemitismusdiskus-
folglich nicht nur auf individueller Ebene – zum          sion und verhinderte eine tiefergehende Aus-
Beispiel in Form von Abwertungen und Über-                einandersetzung mit Motiven derer, die anti-
griffen – virulent, sondern auch als Bestand-             semitisch fühlen, denken und handeln, aber

                      Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen 18 Jg. (2020) Heft 1   | 19
Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
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auch jener, die davon betroffen sind. Das Be-               antisemitische Straftaten in Deutschland.11
dürfnis nach einer konsistenten und vor allem               In 2018 liegt die Zahl bei insgesamt 1.799
„unbeschadeten Identität“ erzeugt offenbar                  Straftaten (überwiegend Propagandadelikte
den Wunsch, Antisemitismus zu verdrängen                    und Sachbeschädigung), die der Gewalttaten
und sich der damit verbundenen Gefühle                      bei 69. Damit wurden in 2018 Höchstwerte
und Implikationen zu entledigen.6 Bis heute                 erreicht, die Zahlen schwanken allerdings
scheint Antisemitismus in der nicht-jüdischen               im Zeitraum der Beobachtung von 2001 bis
Öffentlichkeit als „völlig abstrakt“, „ungreif-             2018, zum Teil ohne klar erkennbaren Trend.12
bar“ und „unwirklich“ zu sein.7
    Dass Antisemitismus existiert und sich als              Viele antisemitische Straftaten – Propaganda-
Gewalt und Diskriminierung ausdrückt, wird                  delikte, Sachbeschädigung, Gewalt – werden
jedoch zunehmend sichtbar sowohl in den                     von den Betroffenen nicht angezeigt
Berichten von Betroffenen8 als auch anhand
jüngster Studien9:                                             Die Einschätzung, inwieweit Antisemi-
• Demnach nehmen rund 90 Prozent der                        tismus verbreitet ist, wo er sich bemerkbar
    in Deutschland lebenden Jüdinnen und                    macht und wie er wirkt, hängt nicht zuletzt
    Juden einen Anstieg von Antisemitismus                  davon ab, welche Indikatoren zu seiner Ein-
    wahr.                                                   schätzung herangezogen werden. Neben
• Rund 30 Prozent wurden selbst Opfer ei-                   den kriminalpolizeilichen Statistiken und Ent-
    ner antisemitischen Belästigung.                        wicklungsbeobachtungen durch RIAS13 gibt
• Jede dritte Person kann bezeugen, wie                     es weitere Erkenntnisquellen, zum Beispiel
    andere Jüdinnen und Juden beleidigt, be-                die Einstellungsstudien.14 Aber auch diese
    drängt oder attackiert wurden.                          Erkenntnisquelle ist nicht umfassend – es
• Rund 90 Prozent halten antisemitische Äu-                 gibt zum Beispiel in Deutschland kein regel-
    ßerungen insbesondere im Internet für ein               mäßiges Monitoring von antisemitischen Ein-
    Problem und 70 Prozent geben an, Antise-                stellungen, das explizit und nicht als Teil einer
    mitismus im öffentlichen Raum und in den                Studie in regelmäßigen Abständen durchge-
    Medien erfahren zu haben.                               führt wird.15 Um sich ein umfassendes Bild
• Rund 80 Prozent der Befragten melden                      über das Ausmaß von Antisemitismus zu ma-
    selbst gravierende Vorfälle nicht der Poli-             chen, ist es jedoch wichtig, die Wechselwir-
    zei, da sie der Meinung sind, die Meldung               kungen zwischen diesen unterschiedlichen
    würde „nichts bewirken.“                                Indikatoren zu verstehen und zu fragen, wie
• Darüber hinaus ist davon auszugehen,                      das Ausmaß des Antisemitismus jenseits der
    dass rund 77 Prozent der Antisemitismus-                Einstellungsmessung bzw. Gewaltstatistiken
    betroffenen in Deutschland keine professi-              erschlossen werden kann. So sind zum Bei-
    onelle Begleitung durch parteiliche Opfer-              spiel die Perspektiven und Erfahrungen von-
    beratungsstellen erhalten.                              seiten der jüdischen Community eine Quelle,
Auch die kriminalpolizeilichen Statistiken und              die nicht länger ausgelassen werden darf.
die Jahresberichte von RIAS10 verzeichnen ei-                  Die Verfolgung, die Bagatellisierung des
nen Anstieg an antisemitischen Gewalttaten.                 Verbrechens, die späte Anerkennung der
Es ist jedoch anzunehmen, dass die Dunkel-                  Shoah, die Gefühlskälte und emotionale Di-
ziffer erheblich höher ausfällt. Eine Ursache               stanz, der geächtete, aber dennoch existen-
ist das sogenannte Underreporting – das be-                 te Antisemitismus waren ein Teil der Realität
deutet, dass viele antisemitische Straftaten                von Jüdinnen und Juden in Deutschland nach
von den Betroffenen oder ZeugInnen nicht                    1945.16 Neben konstanten, schleichenden
angezeigt werden. So erfasst die Polizeista-                Zwischentönen kam es punktuell auch zu
tistik im ersten Halbjahr 2019 bislang 409                  Anschlägen.17 Gleichzeitig gab es auch in den

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Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
                                                                                            Marina Chernivsky

Jahrzehnten nach dem Kriegsende spürbare                  Beziehungen weiterentwickeln kommt es
Verbesserungen und ein bewusst gewähltes                  gleichzeitig zu Bruchstellen – zu öffentlichen
Arrangement. Bis vor wenigen Jahren hatten                (antisemitisch aufgeladenen) Debatten oder
viele in der Bundesrepublik lebenden Jüdin-               gewaltförmigen Vorfällen an Schulen. Auch
nen und Juden vielleicht doch keinen Zweifel              die öffentliche Reaktion auf den Gaza-Krieg
daran gelassen, dass sie sich zwar als (jüdi-             2014 war von hasserfüllten Attacken gegen
sche) Minderheit, aber zugleich als Teil der              Jüdinnen und Juden und Israel gekennzeich-
politisch stabilen, demokratischen Gesell-                net. Mit dem Aufstieg einer rechtsextremen
schaft sehen.                                             Partei und nach den jüngsten terroristischen
    Die Studie von Ben-Rafael, Sternberg und              Anschlägen steigt die Verunsicherung der
Glöckner spiegelt zum Beispiel eine durch-                jüdischen Gemeinschaft zunehmend. Mit
weg positive Wahrnehmung der deutschen                    jedem antisemitischen Vorfall werden Erin-
Gesellschaft und Politik wider. Demnach                   nerungen wach und scheinbar überwunden
sehen viele jüdische Repräsentanten18 die                 geglaubte Ängste drängen sich wieder ins
Aufgeschlossenheit der deutschen Politik ge-              Bewusstsein.19
genüber den Gemeinden und Organisationen                     Antisemitismuserfahrungen als lebensge-
als ein positives Kontinuum: „Im Großen und               schichtliche Kategorie stehen bei Menschen
Ganzen ist die Zusammenarbeit sehr produk-                mit jüdischen Biografien grundsätzlich im
tiv. Staat, Bundesregierung, aber auch regio-             engen Zusammenhang mit transgenerati-
nale und kommunale Instanzen [zeigen] eine                ven Folgen der Entrechtung und Verfolgung,
Menge Aufgeschlossenheit. Ablehnende Hal-                 mit Flucht- und Migrationsbiografien, mit
tungen sind kaum anzutreffen.“ Gleichwohl                 erfahrenen und antizipierten Bedrohungssi-
bestätigten einige InterviewpartnerInnen,                 tuationen.20 Jenseits der extremen Gewalt
dass es Unterschiede oder auch gänzlich                   bedeutet es für viele Jüdinnen und Juden
andere Erfahrungen/Einschätzungen geben                   mit Mikroagressionen21, Fremdmachung und
kann: „Keine deutsche Institution oder Behör-             Exotisierungen in ihrem Alltag konfrontiert
de möchte sich nachsagen lassen, dass ihr                 zu werden.22 Antisemitische Diskriminierung
die noch verletzliche, zarte Pflanze des jüdi-            beschränkt sich außerdem nicht allein auf
schen Neuanfangs in Deutschland egal wäre.                das Merkmal Jüdisch-sein, sondern sie ver-
Es mag vorkommen, dass Juden individuell                  mengt sich mit weiteren identitätsstiftenden
schlecht behandelt werden, niemals aber de-               Merkmalen wie Geschlecht, Alter, körperli-
ren offizielle Repräsentanten.“                           che und gesundheitliche Verfassung, Sprache

Mit jedem antisemitischen Vorfall werden Erinnerungen wach
und scheinbar überwunden geglaubte Ängste drängen sich
wieder ins Bewusstsein
   Vielleicht war das alles in einem eine schüt-          oder Herkunft. Auf diese Weise stellt Antise-
zende und stabilisierende Wahrnehmung,                    mitismus für viele Jüdinnen und Juden eine
Ausdruck eines dualen Verständnisses – ein                historische und auch eine mehrdimensionale
geschichtsbewusster Staat auf der einen und               Erfahrung dar, die von manchen als biogra-
eine latent antisemitische Gesellschaft auf               fisch widerkehrend, kontinuierlich und mehr-
der anderen Seite.                                        dimensional beschrieben wird.23 Eine Studie
   Selbstverständlich wussten und wissen in               aus den 1980er-Jahren in den USA stellt
Deutschland lebende Jüdinnen und Juden,                   die These auf, dass die „jüdische Wahrneh-
wie dünn das Eis der Erkenntnis ist. Während              mung“ des Antisemitismus – historisch be-
sich die gesellschaftlichen und kulturellen               dingt – immer ziemlich genau ausfällt.24 Dabei

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Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
Marina Chernivsky

sind die meisten Jüdinnen und Juden weder                   nahmen nach sich: Bestimmte Orte können
übermäßig betroffen noch selbstgefällig im                  gemieden, jüdische Symbole versteckt, jüdi-
Hinblick auf Antisemitismus. Während einige                 sche Zugehörigkeit(en) verschwiegen werden.
eher ängstliche Haltungen vertreten, zögern                 Gleichwohl zeigt sich eine steigende Politisie-
zum Beispiel die anderen, Antisemitismus                    rung in der jüdischen Community. Sowohl die
überhaupt als Problem anzuerkennen.                         erhöhte Sensibilität als auch eine zunehmen-
   Aus der Traumaforschung wissen wir, dass                 de Widerstandsfähigkeit sind mögliche Folgen
die Überlebenden das Trauma der Verfolgung                  einer langanhaltenden Bedrohung. Strategien
an ihre Kinder und Enkelkinder übertragen                   wie aktives Meldeverhalten, intensivere Be-
haben. Nach dem Konzept von Postmemo-                       schäftigung mit der eigenen jüdischen Identi-
ry25 bleiben zum Beispiel die Erinnerungen                  tät, die Hinwendung zu Religion und Gemein-
der ersten Generation quasi „lebendig“ und                  schaft, Einsatz für Demokratie und gegen
dringen in die Gegenwart derer ein, die diese               Diskriminierung sind wichtige Sinn- und Kraft-
Ereignisse lediglich aus Erzählungen, Auslas-               quellen im Umgang damit.
sungen oder auch Andeutungen kennen und                        Ein antisemitismuskritischer Umgang mit
imaginieren. In Form von „haunting postme-                  Antisemitismus setzt zunächst voraus, dass
mories“26 können zeitgeschichtliche Ereignis-               die eigenen Ambivalenzen, Widersprüche
se inmitten der Nachfolgegeneration durch                   und Distanzierungswünsche sowie struktu-
Imagination, Projektion und nachempfinden-                  rellen Leerstellen reflektiert, durchleuchtet
de Konstruktion implementiert und übernom-                  und bewusst gemacht werden. Die Schär-
men werden. Durch die starke Identifikation                 fung der eigenen Wahrnehmung von und die
beziehen die Nachkommen der Überleben-                      Positionierung zu aktuellem Antisemitismus
den die Verfolgungsgeschichte ihrer Eltern                  mit all seinen historischen und gegenwärti-
und Großeltern auf sich und durchleben ihre                 gen Verwobenheiten ist zum Beispiel bei der
Verfolgung stellvertretend. So gesehen verfü-               Beratung und Begleitung Antisemitismusbe-
gen die Nachkommen, deren Vorfahren ver-                    troffener ein zentraler Aspekt. Für die Betrof-
folgt wurden, über ein anderes Gedächtnis                   fenenberatung sind zudem die Sensibilität
als Nachkommen, deren Vorfahren verfolgt                    für und das Wissen um die unterschiedlichen
haben. Die psychologisch orientierte For-                   Gedächtnisse sowie die Relevanz von aktuel-
schung spricht hier von transgenerationaler                 lem Antisemitismus eine weitere Vorausset-
Traumatisierung und vom transgenerationa-                   zung. Es ist nahezu charakteristisch für die
len Fortwirken der Shoah.27                                 antisemitische Kommunikation, dass sie über

       Durch die starke Identifikation beziehen die Nachkommen der
       Überlebenden die Verfolgungsgeschichte ihrer Eltern und Groß-
       eltern auf sich und durchleben ihre Verfolgung stellvertretend
   Die Vergangenheit stellt also einen wichti-              Andeutungen, Identitätsordnungen, Platzzu-
gen Bezugspunkt bei der Analyse und Bearbei-                weisungen, Kontaktvermeidung, Fremdma-
tung gegenwärtiger Erfahrungen mit Antisemi-                chung sowie Auf- und Abwertungen, diffus
tismus dar. In einigen Studien beschreiben die              und über Umwege verläuft und manchmal
InterviewpartnerInnen ein hohes Ausmaß an                   auch nur subtil in Erscheinung tritt. Umso
Belastung, Verunsicherung und Angst vor neu-                wichtiger erscheint es, mit einem offenen Ge-
en Übergriffen, aber auch das Vorhandensein                 waltbegriff zu arbeiten, der alle Formen und
eines Überlebenswissens, welches (auch)                     Artikulationen des Antisemitismus mitein-
als Ressource beschrieben wird. Ein solches                 schließt. Es soll grundsätzlich mehr Angebote
Erleben zieht zwangsläufig Vorsichtsmaß-                    geben, die der Spezifika von Antisemitismus

22 | Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen   18 Jg. (2020) Heft 1
Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
                                                                                           Marina Chernivsky

Rechnung tragen – z.B. Antisemitismus nicht                  verhältnisse verstanden werden. Die
ausschließlich unter Rassismus oder Rechter                  Ausblendung dieser Aspekte trägt dazu
Gewalt einordnen, Zugang zu Gemeinden                        bei, dass die Ursache bei den Betroffenen
und anderen jüdischen Gruppen erschließen,                   selbst gesucht wird.
Antisemitismus nicht zwingend unter der                  •   Das Wahrnehmen und Erleben von Anti-
AGG-Kategorie Religion verbuchen.28                          semitismus beschränkt sich nicht allein
    Oft wird das subjektive Erleben von Anti-                auf das Jüdisch-Sein, sondern ist mehrdi-
semitismus und Diskriminierung individuali-                  mensional und vermischt sich mit weite-
sierend betrachtet. Der biographische Zugang                 ren identitätsstiftenden Merkmalen und
zu Gewalterfahrungen bedeutet jedoch nicht                   Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter,
zwangsläufig deren Individualisierung. Eine                  körperliche und gesundheitliche Verfas-
individualisierende Perspektive auf die Ge-                  sung und insbesondere auch Herkunft und
walt hat weitreichende Konsequenzen, wie                     Sprache.
zum Beispiel der sich wiederholende Vorwurf              •   Antisemitische Erfahrungen stehen in
„übersensibel“ zu sein. Eine biographisch                    Deutschland im engen Zusammenhang
sensible Betrachtung einer Gewaltpraxis be-                  mit den Folgen der nationalsozialistischen
rücksichtigt hingegen die Biographie bei einer               Verfolgung und Ermordung der Juden in
gleichzeitigen historischen und gesellschaft-                Europa. Traumatische Erfahrungen, die auf-
lichen Kontextualisierung. So wird nicht den                 grund ihres extremen Ausmaßes nicht ver-
Betroffenen, sondern dem gewaltproduzie-                     arbeitet werden konnten, bleiben nicht nur
renden System Rechnung getragen. Bei der                     für direkt Betroffene, sondern auch für die
Analyse des Antisemitismus aus der Sicht                     nachfolgenden Generationen eine spürba-
von Menschen mit Antisemitismuserfahrun-                     re Belastung.30
gen sind daher zusammenfassend folgende                  •   Auch die hiesigen Migrationserfahrungen
Aspekte besonders wichtig29:                                 sollten berücksichtigt werden. Aus Inter-
• Reaktionen auf Diskriminierung dürfen                      views mit Jüdinnen und Juden aus der
    nicht ausschließlich durch individual-bio-               ehemaligen Sowjetunion zeigt sich, dass
    grafische Faktoren, psychische Verfas-                   gegenwärtige Erfahrungen mit Antisemi-
    sung, Persönlichkeitsstruktur oder sons-                 tismus durch Ausschluss- und Antisemi-
    tige individual-psychologische Faktoren                  tismuserfahrungen ihrer Familien im Her-
    erklärt werden.                                          kunftsland verstärkt werden (können).31
• Antisemitismuserfahrung ist niemals ein                •   Bei mehrfachen und wiederkehrenden
    Einzelfall, sondern eine Kontinuität von                 Antisemitismuserfahrungen       entstehen
    wiederkehrenden Dispositionen. In die-                   existenzielle Fragen der Identität und Zu-
    sem Sinne ist jede Erfahrung mit Antise-                 gehörigkeit. Die Häufigkeit, das Ausmaß
    mitismus eine politische Angelegenheit                   und die Schwere antisemitischer Konfron-
    – sie kommt als Gewalteinwirkung von                     tationen bestimmen an vielen Stellen den
    außen und wirft (existenzielle) Fragen auf,              Umgang damit. Derzeit fragen sich einige,
    die individuell nicht beantwortet werden                 ob sie in Deutschland noch (sicher) leben
    können. Vor diesem Hintergrund bedarf es                 können.32
    einer genaueren Analyse situativer Fakto-            •   Es gibt dennoch keine einheitlichen Er-
    ren und einer gesellschaftlichen Kontextu-               fahrungen mit Diskriminierung und Ge-
    alisierung. Dies setzt gleichzeitig voraus,              walt. Jüdinnen und Juden in Deutschland
    dass die Stimmen der Betroffenen Gehör                   empfinden und erleben Antisemitismus
    finden und Solidarität erfahren.                         sehr unterschiedlich. Die jüdische Ge-
• Antisemitismus sollte als soziale Exklusi-                 meinschaft zeichnet sich durch hohe Bin-
    on und als Teil gesellschaftlicher Macht-                nendifferenzen, Mehrdimensionalität und

                     Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen 18 Jg. (2020) Heft 1   | 23
Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
Marina Chernivsky

   Mehrsprachigkeit aus. Auch der Umgang                             8 Vgl. Antisemitismusbericht 2017; Siehe hierzu auch die Jah-
                                                                       resberichte von RIAS
   mit Antisemitismus sollte daher nicht ho-
                                                                     9 Vgl. Bernstein (2018): „Mach mal keine Judenaktion“; Fun-
   mogenisiert und vereinheitlicht werden.                             damental Rights Agency (FRA): Erfahrungen und Wahrneh-
Die Diskriminierungsforschung belegt vielfach,                         mungen in Zusammenhang mit Antisemitismus. Zweite Er-
                                                                       hebung zu Diskriminierung und Hasskriminalität gegenüber
dass das Erleben von Diskriminierung das psy-                          Jüdinnen und Juden in der EU, Wien 2018: https://fra.euro-
chische und physische Wohlbefinden nachhal-                            pa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2018-experiences-
                                                                       and-perceptions-of-antisemitism-survey-summary_de.pdf;
tig beeinträchtigt. Gleichzeitig gelingt es vielen                     Zick, Andreas/Bernstein, Julia et al.: Antisemitismus aus
Betroffenen, durch vielfältige Strategien, wozu                        jüdischer Perspektive. Studie über die Wahrnehmungen, Er-
u.a. die Suche nach sozialer Unterstützung                             fahrungen und Einschätzungen von Jüdinnen und Juden in
                                                                       Deutschland; Expertise für den 2. Unabhängigen Experten-
in der eigenen Community, aber auch die Bil-                           kreis Antisemitismus: Bericht zum Aktuellen Antisemitis-
dung von Koalitionen gehört, die Belastung                             mus in Deutschland, Berlin 2017: https://www.annefrank.
                                                                       de/fileadmin/Redaktion/Bilder_grosseDateien/Dokumente/
abzufedern. Die Betroffenen sind niemals nur                           Expertenbericht_Antisemitismus_in_Deutschland.pdf (zu-
(passive) Opfer – sie sind politische Subjekte,                        letzt aufgerufen: 20.1.2020).
die sich gegen die andauernde Fremd- und Op-                         10 RIAS – Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus:
                                                                        https://report-antisemitism.de
fermachung aktiv einsetzen. Die Ausdehnung
                                                                     11 Rückmeldung der Bundesregierung auf die regelmäßige
des Aktionsradius und die Schärfung der Wahr-                           Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau von der
nehmbarkeit von Antisemitismus als eine real                            Partei Die Linke (Januar – Juni 2019); https://petrapau.
                                                                        de/19_bundestag/dok/down/2019_zf-rechtsextreme-straf-
existierende Gewaltpraxis – thematisiert und                            taten.pdf. (zuletzt aufgerufen: 16.12.2019).
problematisiert aus der Binnenperspektive von                        12 Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. Über-
Jüdinnen und Juden – ist ein wichtiges Ziel.                            sicht „Hasskriminalität“ – Entwicklung der Fallzahlen 2001-
                                                                        2018; https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/
                                                                        DE/veroeffentlichungen/2019/pmk-2018-hasskriminalitaet
Anmerkungen                                                             -2001-2018.pdf;jsessionid=9CD55037D369EE4D5C0080
1 Chernivsky, Marina / Lorenz, Frederike (2020): „Antisemitis-          3AF188B9E2.2_cid287?__blob=publicationFile&v=5. (zu-
  mus an der Schule“ – Veröffentlichung des Studienberichts             letzt aufgerufen: 16.12.2019).
  im März 2020
                                                                     13 RIAS – Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus:
2 Vgl. Bernstein, Julia (2018): „Mach mal keine Judenaktion!“: He-      https://report-antisemitism.de
  rausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bil-
                                                                     14 Dazu gehören zum Beispiel die FES-Mitte-Studie und die
  dungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus (2017-2018), htt-
                                                                        Leipziger Autoritarismusstudie – beide Studien untersu-
  ps://www.handlungskofferantisemitismus.org/. Rensmann, Lars
                                                                        chen Antisemitismus als Subdimension rechtsextremer
  (2013): »Die Ausgrenzung des Eigenen und die Exklusion derBei
                                                                        Einstellungen bzw. als Teil eines Syndroms Gruppenbe-
  der Betrachtung der „Umstände der Tat“ und der „Einstellung
                                                                        zogener Menschenfeindlichkeit und in Fortführung der
  des Täters“ ist für die Beratungsstellen die Wahrnehmung der
                                                                        gleichnamigen Langzeitstudie
  Betroffenen, also die Opferperspektive, ausschlaggebendAnde-
  ren‹. Zur politischen Psychologie des Antisemitismus heute«, in:   15 Vgl. Antisemitismusbericht 2017
  Psychoanalyse – Texte zur Sozialforschung, 17 (2013) 2, S. 171     16 Chernivsky, Marina / Wiegemann, Romina (2020): Quali-
3 Mehr Infos zum Anschlag in Halle u.a. hier: https://www.              tätsstandards antisemitismuskritischer Beratung (Veröf-
  zeit.de/thema/halle-an-der-saale                                      fentlichung im Herbst 2020). Danach abrufbar unter www.
                                                                        zwst-kompetenzzentrum.de
4 In einer 2006 durchgeführten (repräsentativen) Umfrage ver-
  neinte noch ein Viertel der Befragten, dass Juden die glei-        17 Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat es in Deutschland
  chen Rechte wie die Mehrheitsgesellschaft haben sollten               viele antisemitische Anschläge und Angriffe auf Juden
  (vgl. Werner Bergmann, Expertenkreis Antisemitismus beim              oder jüdische Einrichtungen gegeben. Allein die „Antise-
  BMI, Vortrag zu Ergebnissen der Einstellungsforschung zum:            mitische Schmierwelle“ im Jahre 1959 ist ein markantes
  »Antisemitismus in Deutschland« am 15.2.2010/Aktualisierte            Beispiel antisemitischer Gewalt – die Chronologie schwe-
  Fassung Juni 2011, S. 6, http://www.bagkr.de/wp-content/              rer antisemitischer Vorfälle hier: https://www.migazin.
  uploads/bergmann_antisemitismus-in-dt.pdf (Letzter Zugriff            de/2020/02/13/chronologie-antisemitischer-anschlaege-in-
  am 13.02.2020); Trotz mehrmaliger Anfragen wurde der Syn-             deutschland/ (letzter Zugriff am 13.02.2020)
  agoge in Halle kein polizeilicher Schutz angeboten.                18 Ben-Rafael, Eliezer / Sternberg, Yitzhak / Glöckner, Olaf
5 Vgl. Antisemitismusbericht (2017): http://www.bmi.                    (2010): Juden und jüdische Bildung im heutigen Deutsch-
  bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/                        land, Studie im Auftrag des L.A. Pincus Funds for Jewish
  themen/heimat-integration/expertenkreis-antisemitismus/               Education in the Diaspora, o.O. 2010 sowie Erfahrungsbe-
  expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland.pdf?__                  richte der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutsch-
  blob=publicationFile&v=4 (Letzter Zugriff am 13.02.2020)              land und anderer Bildungsträger/Projekte, S. 43.
6 Chernivsky, Marina (2017): Biografische Perspektiven auf           19 Vgl. Chernivsky, Marina / Kiesel, Doron (2018): Müssen wir
  Antisemitismus, In: Fragiler Konsens, Mendel, Meron/                  wieder Angst haben? Antisemitismus in Deutschland. In:
  Messerschmidt, S. 274                                                 Tanzende Verhältnisse – zur Soziologie politischer Krisen.
                                                                        S. 236-253
7 Chernivsky / Lorenz (2020): Studie „Antisemitismus an der
  Schule“

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Antisemitismus als biographische Erfahrungskategorie
                                                                                                      Marina Chernivsky

20 Chernivsky, Marina (2018): Zwischen den Generationen.           30 Die Auswirkungen der Verfolgungserfahrungen können
   In: 4. Heft (Gegenwartsbewältigung) Jalta – Positionen zur         auch als Überlebenden-Syndrom bezeichnet werden. Pri-
   jüdischen Gegenwart (Hrsg.)                                        märe Erkenntnisquellen sind die psychotherapeutische
21 „Mikroaggression“ ist ein sozialpsychologischer Begriff,           Arbeit mit Überlebenden der Shoah sowie ihren Kindern
   der 1970 von Chester Pierce geprägt wurde, um kleine,              und Enkeln, andererseits die später einsetzenden Therapi-
   als übergriffig wahrgenommene Äußerungen in der alltäg-            en und Untersuchungen von Kindern und Enkeln der Täter.
   lichen Kommunikation zwischen Weißen und Schwarzen                 Vgl. auch Gabriele Rosenthal (Hrsg.), Der Holocaust im
   zu beschreiben. Darunter werden alltägliche Äußerungen             Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden
   verstanden, die abwertende Botschaften senden, die sich            der Shoah und von Nazi-Tätern, Gießen 1997.
   auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen. Von Mikroag-           31 Bernstein, Julia: (2010): Wollen Sie uns etwa über Holo-
   gression betroffen sind oft Angehörige marginalisierter ge-        caust erzählen? In: Trauma und Intervention. Zum profes-
   sellschaftlicher Gruppen: People of Color, Menschen mit            sionellen Umgang mit Überlebenden der Shoah und ihren
   Migrationshintergrund, Homosexuelle oder Menschen mit              Familienangehörigen, Frankfurt a.M. S. 76, http://zwst.org/
   Behinderungen.                                                     cms/documents/347/de_DE/pflegebuch-trauma-interven-
22 Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen,            tion-rz-web.pdf (eingesehen 8.12.2016).
   Kap. „Antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung“
                                                        , S.       32 Vgl. Antisemitismusbericht 2017
   53–90.                                                          33 Vgl. Hansen, Nicole: Die Verarbeitung von Diskriminierung,
23 Bernstein, Julia (2010): Food for Thought. Transnational Con-      In: Andreas Beelmann/Kai Jonas (Hrsg.), Diskriminierung
   tested Identities and Food Practices of Russian-Speaking           und Toleranz. Psychologische Grundlagen und Anwen-
   Jewish Migrants in Israel and Germany. Frankfurt/New York;         dungsperspektiven, Wiesbaden 2009, S. 155-170.
   Bernstein (2018): „Mach mal keine Judenaktion“
24 Eine ältere Studie aus den USA von Gary A. Tobin/Sharon
   L. Sassler, Jewish Perception of Antisemitism, New York                                  Marina Chernivsky
   1988;
25 Der Begriff geht auf die Kulturwissenschaftlerin Marian-                              Psychologin und Verhaltens-
   ne Hirsch und dient der Beschreibung der Übernahme                                    wissenschaftlerin, Leiterin
   traumatischer Inhalte durch die Kinder von Shoah-Überle-                              des Kompetenzzentrums für
   benden. Hirsch entwickelt das Konzept anhand eigener Er-                              Prävention und Empowerment
   fahrungen sowie unter Auswertung literarischer und künst-
                                                                                         (ZWST) sowie Mitbegründerin
   lerischer Darstellungen des Phänomens der „fremden
   Erinnerung“ . Sie beobachtet eine derart intensive Weiter-
                                                                                         und Geschäftsführerin von
   gabe dieser Erlebensinhalte, dass Kinder und Kindeskinder                             OFEK e.V. Beratungsstelle bei
   sie als eigene Erinnerungen wahrnehmen. Vgl. Marianne                                 antisemitischer Gewalt und
   Hirsch: The Generation of Postmemory. Writing and Visual                              Diskriminierung; Sie war Mit-
   Culture after the Holocaust. New York: Columbia UP 2012.        glied im Zweiten Unabhängigen Expertenkreis Anti-
26 häufig heimsuchend, herumgeisternd, intrusiv.                   semitismus des Deutschen Bundestages (2015-2017)
27 Vgl. Moré, Angela (2016): Im Schatten der Schuld. Psychi-       und ist 2019. Mitglied im neuen Beratungsgremium
   sche Belastungen bei den Nachkommen von Tätern und              des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches
   Täterinnen (Psychoanalytische Herbstakademie der DPG            Leben und den Kampf gegen Antisemitismus.
   Hamburg); Kellermann, Natan: (2009): Holocaust Trauma.
   Psychological Effects and Treatment. New York                   Kompetenzzentrum für Prävention und Empower-
28 Chernivsky / Wiegemann (2020): Qualitätsstandards anti-         ment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in
   semitismuskritischer Beratung                                   Deutschland (ZWST)
29 Vgl. Antisemitismusbericht 2017                                 Tel.: 030 513 039 88
                                                                   E-Mail: chernivsky@zwst-kompetenzzentrum.de
                                                                   Web: www.zwst-kompetenzzentrum.de

                             Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen 18 Jg. (2020) Heft 1      | 25
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