Mit Feingefühl und Kompetenz Hilfe für Pferd und Halter - Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V.
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V. Mit Feingefühl und Kompetenz Hilfe für Pferd und Halter www.vdtt.org
Inhalt Verhaltensprobleme beim Pferd 4 Haltung ist das A und O – Wann kommt es zu Verhaltensstörungen? 6 Initialtrauma – Weitere Ursachen für Verhaltensstörungen 8 Hausgemacht – Erziehungs- und Ausbildungsfehler 9 Die Kunst zu lehren – Wie Pferde lernen 10 Reiter und Pferd – Die häufigsten Missverständnisse 11 Ventilfunktion oder Schädigung – Können psychische Probleme bzw. Verhaltensstörungen Erkrankungen auslösen? 13 Wann ist professionelle Hilfe eines Pferdepsychologen unumgänglich? 14 Bildnachweise: Seite 8 - © pictureguy32 - Fotolia.com Seite 9 - © Christoph Hähnel - Fotolia.com Deckblatt - © Maik Zeuge - Fotolia.com Seite 10 - © Heike von Heymann - Fotolia.com Seite 4 - © The Photos - Fotolia.com Seite 11 - © majtas - Fotolia.com Seite 5 - © Petra Eckerl - Fotolia.com Seite 12 - © majtas - Fotolia.com Seite 6 - © Alexandr Ozerov - Fotolia.com Seite 13 - © Monkey Business - Fotolia.com Seite 7 - © diego cervo - Fotolia.com Seite 15 - © loya_ya - Fotolia.com VdTT – Verband der Tierpsychologen und Tiertrainer e.V. (Registergericht Amtsgericht Kiel 503 VR 4686 K) E-Mail: sekretariat@vdtt.org Telefon: 0049 (0) 152 – 546 977 22 Internet: www.vdtt.org Verantwortlich für die Gestaltung: S. Gonscherowski, U.Soetje, H. Dibbern Aurorin: Gaby Hermsdorf 2
Liebe Pferdefreunde, nach Schätzungen der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) leben derzeit etwa 60.000.000 Pferde und Ponys weltweit, davon 1.200.000 allein in Deutschland. Laut einer weiteren Studie der FN haben zusätzlich noch einmal eine Million Menschen Interesse daran, reiten zu lernen. Durch die stark zugenommene Bedeutung der Pferdehaltung ist auch der Wirtschaftsfaktor enorm. Anders als in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg handelt es sich bei der Pfer- dehaltung nicht mehr vor allem um Arbeits- und Turnierpferde. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Freizeitpferde und ihre Reiter in der Statistik die Spitze über- nommen. Damit sitzen nicht nur Fachleute im Sattel, sondern auch Reiterinnen und Reiter, die fachkundige Unterstützung benötigen - und es werden immer mehr. In der Broschüre des VdTT fasst die Autorin die wesentlichen Grundlagen der art- gerechten Haltung und des sachkundigen Umgangs zusammen und macht auf die häufigsten Missverständnisse zwischen Pferd und Mensch aufmerksam. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre Ihr VdTT Über die Autorin Seid 1985 arbeitet die Sport- und So- zialkundelehrerin Gaby Hermsdorf als Fachjournalistin und Buchautorin, seit 1997 mit dem Philippe Verlag auch als Verlegerin für Pferdebücher. Zu den von ihr geschriebenen Buch- titeln gehören z. B. „Zu Pferd durch Lappland“ und „Frauen zu Pferde“. 1996 gründete sie ein Altenheim für Pferde, in dem sie den Bedürfnissen der Pferde nach ganzjährig freiem Leben auf großen Weiden entspricht. 3
Aufgalopp – Was ist eine Verhaltensstörung? Nicht jedes Pferd, das seinem Halter oder Auch Reiter- oder Ausbildungsfehler, Reiter möglicherweise verhaltensgestört Überforderung, ein nicht stabiles oder erscheint, ist dies auch. Wenn ein Pferd ganz fehlendes Vertrauensverhältnis zum Beispiel scheut oder durchgeht, re- zwischen Mensch und Tier sowie nicht agiert das Pferd nur seinem Wesen ent- artgerechte Haltungs- und Fütterungs- sprechend auf Angst mit Flucht. Eine bedingungen, die zum Beispiel mit Be- Verhaltensstörung ist dies nicht. Es liegt wegungsmangel einhergehen, können in der Natur der Pferde, stets fluchtbe- Hintergrund des Scheuens oder Durch- gehens sein. Weitere aus Sicht des Menschen uner- wünschte Verhaltensweisen sind bei- spielsweise Abwehrreaktionen beim Führen, Putzen, Anbinden und Verladen oder auch Pullen, Scheuen, Bocken, Steigen, Sattelzwang oder Zackeln. Bei echten Verhaltensstörungen handelt es sich dagegen um Verhaltensabläufe, die nicht Bestandteil des natürlichen Verhal- tensrepertoires der Pferde sind, in freier Wildbahn also nicht beobachtet werden können, und in Hinblick auf Modali- tät, Intensität und Frequenz erheblich vom Normalverhalten abweichen. Dazu gehören zum Beispiel die Stereotypien Koppen und Weben. Auch stereotype Laufbewegungen, die quantitativ vom Ethogramm, der Darstellung der artty- pischen Verhaltensweisen, abweichen oder „normale“ Verhaltensweisen, die aber in einem veränderten Kontext reit zu sein. Dieser Wesenszug allerdings ausgeführt werden, wie etwa sexuelle kann für Mensch und Tier gefährlich Fehlprägungen, fallen unter Verhaltens- sein, so dass es – vor allem, wenn die- störungen. Klinisch werden dabei symp- se Verhaltensweise nicht nur ausnahms- tomatische und eigenständige Verhal- weise auftritt – im Interesse beider liegt, tensstörungen unterschieden. Im ersten durch exakte Ursachenforschung das Fall sind die Störungen Begleitsymptome Problem zu lösen. Möglicherweise sind oder Folge von Erkrankungen, im zwei- körperliche Mängel wie zum Beispiel ten Fall sind die Störungen nicht auf in- eingeschränkte Sehfähigkeit Ursache für fektiöse oder toxische Agenzien (krank- häufiges Erschrecken. machende Stoffe), Verletzungen oder 4
Organmissbildungen störungen ist deshalb von Bedeutung, zurückzuführen, sondern auf psychische Belastungen. weil sich zum Teil die Genese (Dispositi- Dabei ist der Übergang zu neurologi-on und Ursachen), die psychischen und physiologischen Auswirkungen, die Be- schen Erkrankungen allerdings wie beim Menschen fließend. handlungsmethoden und die Therapie- chancen unterscheiden. Während viele Zu den Verhaltensstörungen zählen ne- ben dem Koppen und Weben, Hyperag- Verhaltensstörungen residual-reaktiv sind, das heißt trotz Beseitigung der gressivität, Fehlprägung oder Automuti- lation (Autoaggression). Mängel bestehen bleiben, lassen sich unerwünschte Verhaltensweisen in der Die Unterscheidung zwischen uner- Regel mit entsprechender Fachkenntnis wünschtem Verhalten und Verhaltens- korrigieren. 5
Haltung ist das A und O – Wie kommt es zu Verhaltensstörungen? Heute ist ein Großteil der Verhaltens- gungen in der Steppe ging und geht störungen zweifelsfrei auf nicht artge- die natürliche Nahrungsaufnahme beim rechte Haltungsbedingungen zurückzu- Pferd in freier Wildbahn mit ständiger führen, die pferdespezifische Ansprüche Fortbewegung, meist im Schritt, einher. nur unzureichend berücksichtigen. Das Die dabei zurückgelegte Strecke liegt laut arttypische Verhalten des Pferdes hat einer mit GPS-Technik an wildlebenden sich im Rahmen der Evolution im Laufe Pferden in Australien durchgeführten vieler Millionen Jahre entwickelt und ist Untersuchung bei 30 Kilometern. Sicher- bis heute weitgehend unverändert ge- heit und Schutz bot dabei dem einzelnen blieben. Dazu gehört zum Beispiel das Pferd die Herde mit festgelegten Regeln, Bedürfnis, täglich ca. 16 Stunden lang Rangordnungen und feinsten, schnel- zu fressen, da ursächlich nur so der Be- len Kommunikationsmitteln. Genetisch darf an ausreichend Nährstoffen gedeckt sind diese natürlichen Verhaltensweisen, werden kann. Entsprechend den Bedin- Bedürfnisse und Strukturen im Pferd 6
unverändert vorhanden, verändert aber möglichkeit überhaupt auf ein Minimum hat sich die Umwelt des Pferdes. Heu- heruntergefahren, besonders dann, te müssen sich Pferde nicht mehr von wenn die Pferde mindestens 23 Stunden Steppengras ernähren, sondern erhalten täglich in der Box verbleiben und maxi- hochwertiges Weidegras, Kraftfutter- mal eine Stunde unter dem Reiter be- mittel und Heu. Auf diese Weise ist der wegt werden. Gleichzeitig ist ihnen im Nährstoffbedarf in kurzer Zeit gedeckt, Boxenstall der beruhigende Schutz der während das Fressbedürfnis vor allem Herde genommen, der Sicht-, Geruchs- für Pferde, die nicht dauerhaft auf Wei- und Hörkontakt zu Artgenossen ist stark den untergebracht sind, unbefriedigt eingeschränkt. Auch die modernsten bleibt. Bei der heute modernen und im- Pferdeboxen können den komplexen mer noch am häufigsten anzutreffenden kommunikativen Ansprüchen der Pferde Boxenhaltung kann das Pferd seinen nicht gerecht werden. natürlichen Drang, im Schutz der Herde Bewegung und Fressen zu kombinieren Die fehlende Möglichkeit, die artur- im wahrsten Sinne des Wortes, nicht sprünglichen und immer noch aktuellen nachgehen. Fressen und Bewegung sind Bedürfnisse und Verhaltensweisen ausle- entkoppelt, die Pferde sind in den Bo- ben zu können, bieten den idealen Nähr- xen gezwungen, am Platz zu fressen. Bei boden für Verhaltensprobleme bzw. kön- dieser Boxenhaltung ist die Bewegungs- nen Verhaltensstörungen auslösen. 7
Initialtrauma: Weitere Ursachen für Verhaltensstörungen Tierärzte und Wissenschaftler gehen häufig Stresssituationen (Initialtrauma) heute davon aus, dass Stereotypien wie wie zum Beispiel in der Fohlenzeit der – das Koppen oder das Weben zumindest auch nur vorübergehende - Verlust der mit einer erblichen Veranlagung einher- Mutter, zu frühes und abruptes Abset- gehen, das Pferd also diese genetische zen, psychische Überforderung jeglicher Disposition in sich trägt. Art zum Beispiel in der Ausbildung, Stall- wechsel, Wechsel der Haltungsbedin- Hoch im Blut stehende Pferde scheinen gungen, längere Transporte, aber auch diese Veranlagung häufiger in sich zu das Leben in einer für das Pferd nicht tragen als Warm- und Kaltblüter oder geeigneten Herde oder vorübergehende Ponys. Auslöser von Stereotypien sind Isolation in Einsamkeit und Langeweile. 8
Hausgemacht: Erziehungs- und Ausbildungsfehler Immer wieder ist zu beobachten, dass Pfer- und häufig Schwierigkeiten hat, sich in die dehalter durch laienhafte bzw. falsche Erzie- Sprache der Pferde einzufühlen. Dennoch hung Gefahren für Tier und Mensch herauf- sind Pferde ganz offensichtlich mehr als ge- beschwören oder unerwünschtes Verhalten neigt, den Menschen bei entsprechendem ihres Pferdes selbst hervorrufen und festigen. Vertrauensverhältnis als Sozialpartner zu akzeptieren. Gerade hierin aber verbergen Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen sich angesichts des unterschiedlichen Kräfte- Mensch und Pferd aus Sicht des Pferdes ver- verhältnisses auch enorme Gefahren, dann mutlich sehr zwiespältig. Einerseits verhält nämlich, wenn für das Pferd nicht klar ist, sich der Mensch wie ein Artgenosse, indem dass der Mensch als Ranghöherer die Re- er das Pferd etwa putzt und sich damit als geln des Umgangs bestimmt oder das Pferd Partner bei der sozialen Körperpflege positi- im Rahmen dieses Verhältnisses die Rang- oniert, andererseits aber die natürliche Ant- ordnung zu seinen Gunsten zu verändern wort des Pferdes ablehnt und zum Beispiel versucht. Es muss immer klar sein, dass der nicht toleriert, dabei selbst auch „beknab- Mensch das „Leittier“ ist, Geschehen und bert“ zu werden, wie es für ein Pferd nor- Tempo bestimmt. Leittiere wieder sind we- mal wäre. Zudem verhält der Mensch sich der ängstliche Typen noch kraftstrotzende zuweilen wie ein Angreifer, indem er mit Rowdys, sondern ruhig und besonnen agie- „ständig angelegten“ Ohren auftritt oder rende Wesen, die sich den Respekt und das sich auf den Rücken des Pferdes schwingt. Vertrauen der Herde erworben haben und Probleme ergeben sich auch aus dem Um- konsequent, aber fair mit den Herdenmit- stand, dass der Mensch sich ganz anderer gliedern umgehen. Diese Ansprüche muss Kommunikationsmittel bedient als das Pferd daher auch der Mensch an sich stellen. 9
Die Kunst zu lehren – Wie Pferde lernen Eine wesentliche Voraussetzung für den Strafe wegzulassen, wenn eine Aufgabe richtigen Umgang mit dem Pferd ist vom Pferd gut gelöst wurde. Nur durch auch die Kenntnis, wie Pferde lernen. Lob kann das Pferd verstehen, was man Zu kognitivem Lernen sind sie nur aus- von ihm möchte, nur durch Lob wird nahmsweise in der Lage. Sie lernen vor die Motivation gestärkt und die Pferd- allem durch Gewöhnung, operative und Mensch-Beziehung positiv empfunden. klassische Konditionierung, Nachah- Von Bedeutung für die Lernprozesse ist mung und Prägung. Dementsprechend zudem, dass sich Pferde - wie auch der können Pferde in der Regel keine Er- Mensch - nur eine gewisse Zeit konzen- eignisse verknüpfen, die zeitlich ausei- trieren können. Dies ist individuell un- nanderliegen. Lob und Strafe müssen terschiedlich und hängt unter anderem unmittelbar mit der Aktion verknüpft vom Alter und Charakter ab. Erfahrungs- sein, die der Mensch positiv oder negativ gemäß können sich junge Pferde maxi- bewertet. Wichtig ist zudem das „Rich- mal 10, erwachsene Pferde maximal 20 tig gemacht“ zu belohnen und nicht nur Minuten am Stück konzentrieren. 10
Reiter und Pferd – die häufigsten Missverständnisse Als über die Evolution in seiner Struk- ängstliche Pferde. Die Bereitwilligkeit tur und Natur erfahrenes Herdentier zur Zusammenarbeit sollte jede Reiterin weiß das Pferd in der Regel besser als und jeder Reiter grundsätzlich im Kopf der Mensch Bescheid, wie man zusam- haben und nicht bei schon leichtesten menarbeitet und wie man miteinander Unstimmigkeiten davon ausgehen, dass auskommt. Pferde sind normalerweise das Pferd sich absichtlich widersetzt, die keine dominanten oder aggressiven Le- Rangordnung in Frage stellen will oder bewesen, die ständig darum kämpfen sich dumm anstellt. Die Verantwortung wollen, in der Hierarchie aufzusteigen. für Missverständnisse, Unstimmigkeiten Von wenigen Ausnahmen ausgenom- und Verhaltensprobleme liegt meist beim men fühlen sie sich am wohlsten und am Menschen. Beispiele: ➜D as Buckeln des Pferdes kann Aus- druck für Schmerz durch den Reiter oder die Ausrüstung, Erschrecken oder Widersetzlichkeit sein, in den meisten Fällen aber ist es zunächst nichts weiter als ein „pferdischer“ Ausdruck für Lebensfreude oder für Bewegungsmangel. Dies nicht er- kennend reagieren die meisten Reiter nicht gelassen, indem sie das Buckeln aussitzen und ruhig korrigieren, son- dern greifen sofort zu harten Maß- nahmen etwa mit der Zügelhand oder der Gerte, die wiederum beim Pferd zu Verspannung und Gegenaufleh- nung führen und das aktuelle Problem zu einem dauerhaften machen kön- nen. ➜W er ein feinfühliges Pferd möch- te, muss selbst sensibel agieren. Die meisten Reiterinnen und Reiter aber tun sich mit einer feinfühligen Hand- einwirkung schwer. Im Wissen darum sichersten, wenn sie klar gefasste Regeln reiten vor allem viele Anfänger mit haben, nach denen sie leben können, extrem langem Zügel, ohne dies auch und wenn sie eine deutliche, zuverläs- nur ansatzweise über die anderen Hil- sige und vertrauenswürdige Führung fen ausgleichen zu können, und glau- haben. Das gilt besonders für junge und ben, dem Pferd damit Gutes zu tun 11
und es „nicht zu stören“. Tatsächlich umgesetzt werden. So ist aber auch aber fehlt dem Pferd so jede Orientie- erklärlich, dass ungewollte Muskelan- rung und die Sprache des Reiters wird spannungen des Reiters, die er selbst für das Pferd unverständ- lich und diffus, so dass es unweigerlich zu Missver- ständnissen kommt. Das Gegenteil, die zu harte Handeinwirkung, bewirkt Gegendruck und kann un- erwünschte Verhaltenswei- sen und Abwehrmaßnah- men des Pferdes wie Stei- gen, Pullen oder Buckeln hervorrufen. Auch das Headshaking ist zuweilen ursächlich auf eine harte Hand des Reiters zurückzu- führen. ➜D ie Sensibilität des Pferdes ist enorm und dement- sprechend auch seine Fähigkeit, selbst kleinste Körperver- vielleicht nicht einmal wahrnimmt, spannungen des Reiters auf seinem vom Pferd umgesetzt und dann vom Rücken wahrzunehmen. Nur so ist es unsensiblen Reiter abgestraft werden. möglich, dass feinste Signale eines Missverständnisse dieser Art beruhen Reiters, die für das menschliche Auge dann schlicht auf der unterschied- nicht sichtbar sind, vom Pferd in Ak- lichen Sensibilität und Körperwahr- tionen wie Piaffen und Traversalen nehmung. 12
Ventilfunktion oder Schädigung: Können psychische Probleme bzw. Verhaltensstörungen Erkrankungen auslösen? Einige Verhaltensstörungen haben für bestehen. So weisen Aufsetzkopper zum das Pferd durchaus eine positive Wir- Beispiel nach Jahren einen erheblichen kung, indem sie eine Bewältigungsstra- Abrieb der Zähne auf. Stereotypes, ex- tegie oder Ventilfunktion darstellen, die zessives Scharren wiederum kann bei dem Pferd hilft, mit Umweltbedingun- einigen Pferden in Extremfällen zu Infek- gen fertig zu werden, die sein Anpas- tionen im Hufbereich oder bei mangeln- sungsvermögen überfordern. Laut ei- der Korrektur über Fehlstellungen auch ner Umfrage unter den Mitgliedern der zu sekundären orthopädischen Schäden britischen National Racehorse Trainers` führen. Auch bei Automutilationsverhal- Federation sind Galopprennpferde mit ten (Autoaggression) können erhebliche Stereotypien (Koppen, Weben, Boxen- Schäden als Folge auftreten, dann etwa, laufen und Holzkauen) weder häufiger wenn es zu Infektionen der durch das krank noch weniger leistungsfähig als Pferd selbst verletzten Bereiche kommt. Pferde ohne stereotype Verhaltensstö- Stereotypien wie das Koppen können zu rungen. Dies bestätigt auch eine an der Veränderungen der Neurotransmitter- Universitätstierklinik Zürich durchgeführ- systeme (Botenstoffe) im Gehirn führen, te Untersuchung, laut der nur 7 Prozent womit eine Erkrankung eines Organs der dort operierten Kopper vorher unter vorliegt. Dadurch treten Stereotypien Gesundheitsproblemen wie rezidivie- auch dann noch auf, wenn die Ursachen render (in Abständen wiederkehrender) längst beseitigt sind. Dies unterstreicht, Kolik oder Abmagerung litten. Dennoch dass eine Verhaltensstörung wie jede kann im Einzelfall durchaus ein Zusam- andere Erkrankung eine sorgsame, fach- menhang zwischen einer Verhaltensstö- gerechte und umfassende Behandlung rung und gesundheitlichen Problemen erfordert. 13
Auf der Vorhand kehrt: Wann braucht man die professionelle Hilfe eines Pferdepsychologen oder -ethologen? Vorbeugen ist besser als heilen: Vor al- gilt nicht nur bezüglich der Diagnose, lem im Umgang mit Pferden noch uner- sondern auch für die Durchführung der fahrene Menschen sollten sich anfangs Therapie. von Fachleuten wie Pferdepsychologen oder -ethologen begleiten lassen, um Je nach Fall und Pferd werden die Fach- sicher die Psyche des Pferdes, seine leute unterschiedliche Therapien em- Ausdrucksformen und seine Bedürfnis- pfehlen. Insbesondere bei der Behand- se verstehen zu lernen und mit stabilen lung unerwünschter Verhaltensweisen Grundkenntnissen eine sichere Vertrau- kommt häufig die Lerntherapie zum Ein- ensbasis zwischen sich und dem Pferd satz, die auf dem natürlichen Lernverhal- aufbauen zu können. ten der Pferde basiert. Bei der Gegen- konditionierung wird eine unerwünschte Spätestens dann aber, wenn sich uner- Verhaltensweise durch den Aufbau einer wünschtes Verhalten zu festigen scheint erwünschten Verhaltensweise allmählich oder der Verdacht besteht, dass sich abgebaut. Sie lässt sich gut bei Ängsten, eine Verhaltensstörung zu manifestie- Phobien, Rangordnungsproblemen oder ren beginnt, sollten Fachleute um Hilfe erlerntem Verhalten anwenden. Die De- gebeten werden. Je früher fachgerecht sensibilisierung stellt eine allmähliche gegengesteuert wird, desto besser sind Gewöhnung an einen Reiz in Verbin- die „Heilungschancen“. dung mit einer Gegenkonditionierung dar. Ein belastender Reiz wird zunächst Ob unerwünschtes Verhalten oder Ver- in stark abgeschwächter Intensität dar- haltensstörung – eine genaue ganzheit- geboten und dann allmählich gesteigert. liche Diagnose ist immer Voraussetzung Die Desensibilisierung ist der Methode für eine erfolgreiche Verhaltenstherapie. der Reizüberflutung, die ebenfalls bei Hierfür sind eine gründliche Anamne- Ängsten und Phobien eingesetzt werden se, eine allgemeine Untersuchung des kann, vorzuziehen, da letztgenannte für Gesundheitsstatus und ein möglichst Mensch und Tier überaus gefährlich wer- genaues Bild des Verhaltensproblems den kann, wenn es zu Panikreaktionen nötig. Dies bedeutet, dass Tierarzt, The- des Pferdes kommt. Gänzlich abzuleh- rapeut und Halter eng und vertrauens- nen sind Zwangsmaßnahmen insbeson- voll miteinander agieren müssen. Dies dere dann, wenn sie nur die Symptome 14
behandeln wie etwa der Kopperriemen eines Problems, so lange dauert in der oder pendelnde Sandsäcke bei Webern. Regel auch die Lösung. Geduld, Auf- In Zusammenarbeit mit einem Tierarzt merksamkeit und genaue Beobachtung kann in einigen Fällen zeitweise auch die des Pferdes sind in der Regel die wich- Gabe von Medikamenten unterstützend tigsten Zauberworte der Lösung. Sie hilfreich sein. bieten die Chance, dem Pferd näher zu Jede Verhaltensstörung und jedes Pro- kommen und dazuzulernen, vielleicht zu blem zwischen Mensch und Pferd hat lernen, nicht nur zu sehen und zu hö- seine Entstehungsgeschichte. So lang ren wie ein Pferd, sondern auch so zu wie das Entstehen und der Werdegang fühlen. 15
Im VdTT sind Tierpsychologen und Tiertrainer für die Tierarten Hund, Katze, Pferd organisiert, die an einem zertifizierten Institut mit entsprechendem Abschluss eine Ausbildung absolviert haben. Die Mitglieder des Berufsverbandes sind verpflichtet, sich kontinuierlich weiterzubilden und sich strikt an das Leitbild und die Ethik des Verbandes zu halten. Damit garantiert der VdTT einen hohen Qualitätsstandard seiner Mitglieder. Praxisstempel 16
Sie können auch lesen