Mit Feingefühl und Kompetenz Hilfe für Pferd und Halter - Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V.

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Mit Feingefühl und Kompetenz Hilfe für Pferd und Halter - Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V.
Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V.

Mit Feingefühl und Kompetenz
  Hilfe für Pferd und Halter

                    www.vdtt.org
Mit Feingefühl und Kompetenz Hilfe für Pferd und Halter - Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V.
Inhalt

    Verhaltensprobleme beim Pferd                                           4
    Haltung ist das A und O – Wann
    kommt es zu Verhaltensstörungen?                                        6
    Initialtrauma – Weitere Ursachen
    für Verhaltensstörungen                                                 8
    Hausgemacht – Erziehungs-
    und Ausbildungsfehler                                                   9
    Die Kunst zu lehren –
    Wie Pferde lernen                                                     10
    Reiter und Pferd –
    Die häufigsten Missverständnisse                                      11
    Ventilfunktion oder Schädigung –
    Können psychische Probleme bzw.
    Verhaltensstörungen Erkrankungen auslösen?                            13
    Wann ist professionelle
    Hilfe eines Pferdepsychologen
    unumgänglich?                                                         14

    Bildnachweise:                              Seite 8 - © pictureguy32 - Fotolia.com
                                                Seite 9 - © Christoph Hähnel - Fotolia.com
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    VdTT – Verband der Tierpsychologen und Tiertrainer e.V.
    (Registergericht Amtsgericht Kiel 503 VR 4686 K)
    E-Mail: sekretariat@vdtt.org
    Telefon: 0049 (0) 152 – 546 977 22
    Internet: www.vdtt.org
    Verantwortlich für die Gestaltung: S. Gonscherowski, U.Soetje, H. Dibbern
    Aurorin: Gaby Hermsdorf

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Mit Feingefühl und Kompetenz Hilfe für Pferd und Halter - Verband der Tierpsychologen & Tiertrainer e.V.
Liebe Pferdefreunde,

nach Schätzungen der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) leben derzeit etwa
60.000.000 Pferde und Ponys weltweit, davon 1.200.000 allein in Deutschland. Laut
einer weiteren Studie der FN haben zusätzlich noch einmal eine Million Menschen
Interesse daran, reiten zu lernen. Durch die stark zugenommene Bedeutung der
Pferdehaltung ist auch der Wirtschaftsfaktor enorm.
Anders als in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg handelt es sich bei der Pfer-
dehaltung nicht mehr vor allem um Arbeits- und Turnierpferde. In den vergangenen
Jahrzehnten haben die Freizeitpferde und ihre Reiter in der Statistik die Spitze über-
nommen. Damit sitzen nicht nur Fachleute im Sattel, sondern auch Reiterinnen und
Reiter, die fachkundige Unterstützung benötigen - und es werden immer mehr.
In der Broschüre des VdTT fasst die Autorin die wesentlichen Grundlagen der art-
gerechten Haltung und des sachkundigen Umgangs zusammen und macht auf die
häufigsten Missverständnisse zwischen Pferd und Mensch aufmerksam.

            Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre

                                      Ihr VdTT

  Über die Autorin
  Seid 1985 arbeitet die Sport- und So-
  zialkundelehrerin Gaby Hermsdorf als
  Fachjournalistin und Buchautorin, seit
  1997 mit dem Philippe Verlag auch als
  Verlegerin für Pferdebücher.

  Zu den von ihr geschriebenen Buch-
  titeln gehören z. B. „Zu Pferd durch
  Lappland“ und „Frauen zu Pferde“.
  1996 gründete sie ein Altenheim für
  Pferde, in dem sie den Bedürfnissen der
  Pferde nach ganzjährig freiem Leben
  auf großen Weiden entspricht.                                                          3
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Aufgalopp –
    Was ist eine Verhaltensstörung?

    Nicht jedes Pferd, das seinem Halter oder     Auch Reiter- oder Ausbildungsfehler,
    Reiter möglicherweise verhaltensgestört       Überforderung, ein nicht stabiles oder
    erscheint, ist dies auch. Wenn ein Pferd      ganz fehlendes Vertrauensverhältnis
    zum Beispiel scheut oder durchgeht, re-       zwischen Mensch und Tier sowie nicht
    agiert das Pferd nur seinem Wesen ent-        artgerechte Haltungs- und Fütterungs-
    sprechend auf Angst mit Flucht. Eine          bedingungen, die zum Beispiel mit Be-
    Verhaltensstörung ist dies nicht. Es liegt    wegungsmangel einhergehen, können
    in der Natur der Pferde, stets fluchtbe-      Hintergrund des Scheuens oder Durch-
                                                  gehens sein.

                                                  Weitere aus Sicht des Menschen uner-
                                                  wünschte Verhaltensweisen sind bei-
                                                  spielsweise Abwehrreaktionen beim
                                                  Führen, Putzen, Anbinden und Verladen
                                                  oder auch Pullen, Scheuen, Bocken,
                                                  Steigen, Sattelzwang oder Zackeln. Bei
                                                  echten Verhaltensstörungen handelt es
                                                  sich dagegen um Verhaltensabläufe, die
                                                  nicht Bestandteil des natürlichen Verhal-
                                                  tensrepertoires der Pferde sind, in freier
                                                  Wildbahn also nicht beobachtet werden
                                                  können, und in Hinblick auf Modali-
                                                  tät, Intensität und Frequenz erheblich
                                                  vom Normalverhalten abweichen. Dazu
                                                  gehören zum Beispiel die Stereotypien
                                                  Koppen und Weben. Auch stereotype
                                                  Laufbewegungen, die quantitativ vom
                                                  Ethogramm, der Darstellung der artty-
                                                  pischen Verhaltensweisen, abweichen
                                                  oder „normale“ Verhaltensweisen, die
                                                  aber in einem veränderten Kontext
    reit zu sein. Dieser Wesenszug allerdings     ausgeführt werden, wie etwa sexuelle
    kann für Mensch und Tier gefährlich           Fehlprägungen, fallen unter Verhaltens-
    sein, so dass es – vor allem, wenn die-       störungen. Klinisch werden dabei symp-
    se Verhaltensweise nicht nur ausnahms-        tomatische und eigenständige Verhal-
    weise auftritt – im Interesse beider liegt,   tensstörungen unterschieden. Im ersten
    durch exakte Ursachenforschung das            Fall sind die Störungen Begleitsymptome
    Problem zu lösen. Möglicherweise sind         oder Folge von Erkrankungen, im zwei-
    körperliche Mängel wie zum Beispiel           ten Fall sind die Störungen nicht auf in-
    eingeschränkte Sehfähigkeit Ursache für       fektiöse oder toxische Agenzien (krank-
    häufiges Erschrecken.                         machende Stoffe), Verletzungen oder

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Organmissbildungen                  störungen ist deshalb von Bedeutung,
                         zurückzuführen,
sondern auf psychische Belastungen. weil sich zum Teil die Genese (Dispositi-
Dabei ist der Übergang zu neurologi-on und Ursachen), die psychischen und
                                    physiologischen Auswirkungen, die Be-
schen Erkrankungen allerdings wie beim
Menschen fließend.                  handlungsmethoden und die Therapie-
                                    chancen unterscheiden. Während viele
Zu den Verhaltensstörungen zählen ne-
ben dem Koppen und Weben, Hyperag-  Verhaltensstörungen      residual-reaktiv
                                    sind, das heißt trotz Beseitigung der
gressivität, Fehlprägung oder Automuti-
lation (Autoaggression).            Mängel bestehen bleiben, lassen sich
                                    unerwünschte Verhaltensweisen in der
Die Unterscheidung zwischen uner- Regel mit entsprechender Fachkenntnis
wünschtem Verhalten und Verhaltens- korrigieren.

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Haltung ist das A und O –
    Wie kommt es zu Verhaltensstörungen?

    Heute ist ein Großteil der Verhaltens-      gungen in der Steppe ging und geht
    störungen zweifelsfrei auf nicht artge-     die natürliche Nahrungsaufnahme beim
    rechte Haltungsbedingungen zurückzu-        Pferd in freier Wildbahn mit ständiger
    führen, die pferdespezifische Ansprüche     Fortbewegung, meist im Schritt, einher.
    nur unzureichend berücksichtigen. Das       Die dabei zurückgelegte Strecke liegt laut
    arttypische Verhalten des Pferdes hat       einer mit GPS-Technik an wildlebenden
    sich im Rahmen der Evolution im Laufe       Pferden in Australien durchgeführten
    vieler Millionen Jahre entwickelt und ist   Untersuchung bei 30 Kilometern. Sicher-
    bis heute weitgehend unverändert ge-        heit und Schutz bot dabei dem einzelnen
    blieben. Dazu gehört zum Beispiel das       Pferd die Herde mit festgelegten Regeln,
    Bedürfnis, täglich ca. 16 Stunden lang      Rangordnungen und feinsten, schnel-
    zu fressen, da ursächlich nur so der Be-    len Kommunikationsmitteln. Genetisch
    darf an ausreichend Nährstoffen gedeckt     sind diese natürlichen Verhaltensweisen,
    werden kann. Entsprechend den Bedin-        Bedürfnisse und Strukturen im Pferd

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unverändert vorhanden, verändert aber      möglichkeit überhaupt auf ein Minimum
hat sich die Umwelt des Pferdes. Heu-      heruntergefahren, besonders dann,
te müssen sich Pferde nicht mehr von       wenn die Pferde mindestens 23 Stunden
Steppengras ernähren, sondern erhalten     täglich in der Box verbleiben und maxi-
hochwertiges Weidegras, Kraftfutter-       mal eine Stunde unter dem Reiter be-
mittel und Heu. Auf diese Weise ist der    wegt werden. Gleichzeitig ist ihnen im
Nährstoffbedarf in kurzer Zeit gedeckt,    Boxenstall der beruhigende Schutz der
während das Fressbedürfnis vor allem       Herde genommen, der Sicht-, Geruchs-
für Pferde, die nicht dauerhaft auf Wei-   und Hörkontakt zu Artgenossen ist stark
den untergebracht sind, unbefriedigt       eingeschränkt. Auch die modernsten
bleibt. Bei der heute modernen und im-     Pferdeboxen können den komplexen
mer noch am häufigsten anzutreffenden      kommunikativen Ansprüchen der Pferde
Boxenhaltung kann das Pferd seinen         nicht gerecht werden.
natürlichen Drang, im Schutz der Herde
Bewegung und Fressen zu kombinieren        Die fehlende Möglichkeit, die artur-
im wahrsten Sinne des Wortes, nicht        sprünglichen und immer noch aktuellen
nachgehen. Fressen und Bewegung sind       Bedürfnisse und Verhaltensweisen ausle-
entkoppelt, die Pferde sind in den Bo-     ben zu können, bieten den idealen Nähr-
xen gezwungen, am Platz zu fressen. Bei    boden für Verhaltensprobleme bzw. kön-
dieser Boxenhaltung ist die Bewegungs-     nen Verhaltensstörungen auslösen.

                                                                                     7
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Initialtrauma:
    Weitere Ursachen für Verhaltensstörungen

    Tierärzte und Wissenschaftler gehen       häufig Stresssituationen (Initialtrauma)
    heute davon aus, dass Stereotypien wie    wie zum Beispiel in der Fohlenzeit der –
    das Koppen oder das Weben zumindest       auch nur vorübergehende - Verlust der
    mit einer erblichen Veranlagung einher-   Mutter, zu frühes und abruptes Abset-
    gehen, das Pferd also diese genetische    zen, psychische Überforderung jeglicher
    Disposition in sich trägt.                Art zum Beispiel in der Ausbildung, Stall-
                                              wechsel, Wechsel der Haltungsbedin-
    Hoch im Blut stehende Pferde scheinen     gungen, längere Transporte, aber auch
    diese Veranlagung häufiger in sich zu     das Leben in einer für das Pferd nicht
    tragen als Warm- und Kaltblüter oder      geeigneten Herde oder vorübergehende
    Ponys. Auslöser von Stereotypien sind     Isolation in Einsamkeit und Langeweile.

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Hausgemacht:
Erziehungs- und Ausbildungsfehler

Immer wieder ist zu beobachten, dass Pfer-       und häufig Schwierigkeiten hat, sich in die
dehalter durch laienhafte bzw. falsche Erzie-    Sprache der Pferde einzufühlen. Dennoch
hung Gefahren für Tier und Mensch herauf-        sind Pferde ganz offensichtlich mehr als ge-
beschwören oder unerwünschtes Verhalten          neigt, den Menschen bei entsprechendem
ihres Pferdes selbst hervorrufen und festigen.   Vertrauensverhältnis als Sozialpartner zu
                                                 akzeptieren. Gerade hierin aber verbergen
Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen        sich angesichts des unterschiedlichen Kräfte-
Mensch und Pferd aus Sicht des Pferdes ver-      verhältnisses auch enorme Gefahren, dann
mutlich sehr zwiespältig. Einerseits verhält     nämlich, wenn für das Pferd nicht klar ist,
sich der Mensch wie ein Artgenosse, indem        dass der Mensch als Ranghöherer die Re-
er das Pferd etwa putzt und sich damit als       geln des Umgangs bestimmt oder das Pferd
Partner bei der sozialen Körperpflege positi-    im Rahmen dieses Verhältnisses die Rang-
oniert, andererseits aber die natürliche Ant-    ordnung zu seinen Gunsten zu verändern
wort des Pferdes ablehnt und zum Beispiel        versucht. Es muss immer klar sein, dass der
nicht toleriert, dabei selbst auch „beknab-      Mensch das „Leittier“ ist, Geschehen und
bert“ zu werden, wie es für ein Pferd nor-       Tempo bestimmt. Leittiere wieder sind we-

mal wäre. Zudem verhält der Mensch sich          der ängstliche Typen noch kraftstrotzende
zuweilen wie ein Angreifer, indem er mit         Rowdys, sondern ruhig und besonnen agie-
„ständig angelegten“ Ohren auftritt oder         rende Wesen, die sich den Respekt und das
sich auf den Rücken des Pferdes schwingt.        Vertrauen der Herde erworben haben und
Probleme ergeben sich auch aus dem Um-           konsequent, aber fair mit den Herdenmit-
stand, dass der Mensch sich ganz anderer         gliedern umgehen. Diese Ansprüche muss
Kommunikationsmittel bedient als das Pferd       daher auch der Mensch an sich stellen.

                                                                                                 9
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Die Kunst zu lehren – Wie Pferde lernen

     Eine wesentliche Voraussetzung für den      Strafe wegzulassen, wenn eine Aufgabe
     richtigen Umgang mit dem Pferd ist          vom Pferd gut gelöst wurde. Nur durch
     auch die Kenntnis, wie Pferde lernen.       Lob kann das Pferd verstehen, was man
     Zu kognitivem Lernen sind sie nur aus-      von ihm möchte, nur durch Lob wird
     nahmsweise in der Lage. Sie lernen vor      die Motivation gestärkt und die Pferd-
     allem durch Gewöhnung, operative und        Mensch-Beziehung positiv empfunden.
     klassische Konditionierung, Nachah-         Von Bedeutung für die Lernprozesse ist
     mung und Prägung. Dementsprechend           zudem, dass sich Pferde - wie auch der

     können Pferde in der Regel keine Er-        Mensch - nur eine gewisse Zeit konzen-
     eignisse verknüpfen, die zeitlich ausei-    trieren können. Dies ist individuell un-
     nanderliegen. Lob und Strafe müssen         terschiedlich und hängt unter anderem
     unmittelbar mit der Aktion verknüpft        vom Alter und Charakter ab. Erfahrungs-
     sein, die der Mensch positiv oder negativ   gemäß können sich junge Pferde maxi-
     bewertet. Wichtig ist zudem das „Rich-      mal 10, erwachsene Pferde maximal 20
     tig gemacht“ zu belohnen und nicht nur      Minuten am Stück konzentrieren.

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Reiter und Pferd – die häufigsten Missverständnisse

Als über die Evolution in seiner Struk-   ängstliche Pferde. Die Bereitwilligkeit
tur und Natur erfahrenes Herdentier       zur Zusammenarbeit sollte jede Reiterin
weiß das Pferd in der Regel besser als    und jeder Reiter grundsätzlich im Kopf
der Mensch Bescheid, wie man zusam-       haben und nicht bei schon leichtesten
menarbeitet und wie man miteinander       Unstimmigkeiten davon ausgehen, dass
auskommt. Pferde sind normalerweise       das Pferd sich absichtlich widersetzt, die
keine dominanten oder aggressiven Le-     Rangordnung in Frage stellen will oder
bewesen, die ständig darum kämpfen        sich dumm anstellt. Die Verantwortung
wollen, in der Hierarchie aufzusteigen.   für Missverständnisse, Unstimmigkeiten
Von wenigen Ausnahmen ausgenom-           und Verhaltensprobleme liegt meist beim
men fühlen sie sich am wohlsten und am    Menschen. Beispiele:

                                          ➜D
                                            as Buckeln des Pferdes kann Aus-
                                           druck für Schmerz durch den Reiter
                                           oder die Ausrüstung, Erschrecken
                                           oder Widersetzlichkeit sein, in den
                                           meisten Fällen aber ist es zunächst
                                           nichts weiter als ein „pferdischer“
                                           Ausdruck für Lebensfreude oder für
                                           Bewegungsmangel. Dies nicht er-
                                           kennend reagieren die meisten Reiter
                                           nicht gelassen, indem sie das Buckeln
                                           aussitzen und ruhig korrigieren, son-
                                           dern greifen sofort zu harten Maß-
                                           nahmen etwa mit der Zügelhand oder
                                           der Gerte, die wiederum beim Pferd
                                           zu Verspannung und Gegenaufleh-
                                           nung führen und das aktuelle Problem
                                           zu einem dauerhaften machen kön-
                                           nen.

                                          ➜W
                                            er ein feinfühliges Pferd möch-
                                           te, muss selbst sensibel agieren. Die
                                           meisten Reiterinnen und Reiter aber
                                           tun sich mit einer feinfühligen Hand-
                                           einwirkung schwer. Im Wissen darum
sichersten, wenn sie klar gefasste Regeln  reiten vor allem viele Anfänger mit
haben, nach denen sie leben können,        extrem langem Zügel, ohne dies auch
und wenn sie eine deutliche, zuverläs-     nur ansatzweise über die anderen Hil-
sige und vertrauenswürdige Führung         fen ausgleichen zu können, und glau-
haben. Das gilt besonders für junge und    ben, dem Pferd damit Gutes zu tun

                                                                                       11
und es „nicht zu stören“. Tatsächlich    umgesetzt werden. So ist aber auch
       aber fehlt dem Pferd so jede Orientie-   erklärlich, dass ungewollte Muskelan-
       rung und die Sprache des Reiters wird    spannungen des Reiters, die er selbst
       für das Pferd unverständ-
       lich und diffus, so dass es
       unweigerlich zu Missver-
       ständnissen kommt. Das
       Gegenteil, die zu harte
       Handeinwirkung, bewirkt
       Gegendruck und kann un-
       erwünschte Verhaltenswei-
       sen und Abwehrmaßnah-
       men des Pferdes wie Stei-
       gen, Pullen oder Buckeln
       hervorrufen. Auch das
       Headshaking ist zuweilen
       ursächlich auf eine harte
       Hand des Reiters zurückzu-
       führen.

     ➜D
       ie Sensibilität des Pferdes
      ist enorm und dement-
      sprechend auch seine
      Fähigkeit, selbst kleinste Körperver-     vielleicht nicht einmal wahrnimmt,
      spannungen des Reiters auf seinem         vom Pferd umgesetzt und dann vom
      Rücken wahrzunehmen. Nur so ist es        unsensiblen Reiter abgestraft werden.
      möglich, dass feinste Signale eines       Missverständnisse dieser Art beruhen
      Reiters, die für das menschliche Auge     dann schlicht auf der unterschied-
      nicht sichtbar sind, vom Pferd in Ak-     lichen Sensibilität und Körperwahr-
      tionen wie Piaffen und Traversalen        nehmung.

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Ventilfunktion oder Schädigung: Können psychische
Probleme bzw. Verhaltensstörungen Erkrankungen auslösen?

Einige Verhaltensstörungen haben für         bestehen. So weisen Aufsetzkopper zum
das Pferd durchaus eine positive Wir-        Beispiel nach Jahren einen erheblichen
kung, indem sie eine Bewältigungsstra-       Abrieb der Zähne auf. Stereotypes, ex-
tegie oder Ventilfunktion darstellen, die    zessives Scharren wiederum kann bei
dem Pferd hilft, mit Umweltbedingun-         einigen Pferden in Extremfällen zu Infek-
gen fertig zu werden, die sein Anpas-        tionen im Hufbereich oder bei mangeln-
sungsvermögen überfordern. Laut ei-          der Korrektur über Fehlstellungen auch
ner Umfrage unter den Mitgliedern der        zu sekundären orthopädischen Schäden
britischen National Racehorse Trainers`      führen. Auch bei Automutilationsverhal-
Federation sind Galopprennpferde mit         ten (Autoaggression) können erhebliche
Stereotypien (Koppen, Weben, Boxen-          Schäden als Folge auftreten, dann etwa,
laufen und Holzkauen) weder häufiger         wenn es zu Infektionen der durch das
krank noch weniger leistungsfähig als        Pferd selbst verletzten Bereiche kommt.
Pferde ohne stereotype Verhaltensstö-        Stereotypien wie das Koppen können zu
rungen. Dies bestätigt auch eine an der      Veränderungen der Neurotransmitter-
Universitätstierklinik Zürich durchgeführ-   systeme (Botenstoffe) im Gehirn führen,
te Untersuchung, laut der nur 7 Prozent      womit eine Erkrankung eines Organs
der dort operierten Kopper vorher unter      vorliegt. Dadurch treten Stereotypien
Gesundheitsproblemen wie rezidivie-          auch dann noch auf, wenn die Ursachen
render (in Abständen wiederkehrender)        längst beseitigt sind. Dies unterstreicht,
Kolik oder Abmagerung litten. Dennoch        dass eine Verhaltensstörung wie jede
kann im Einzelfall durchaus ein Zusam-       andere Erkrankung eine sorgsame, fach-
menhang zwischen einer Verhaltensstö-        gerechte und umfassende Behandlung
rung und gesundheitlichen Problemen          erfordert.

                                                                                          13
Auf der Vorhand kehrt: Wann braucht man die
     professionelle Hilfe eines Pferdepsychologen oder -ethologen?

     Vorbeugen ist besser als heilen: Vor al-   gilt nicht nur bezüglich der Diagnose,
     lem im Umgang mit Pferden noch uner-       sondern auch für die Durchführung der
     fahrene Menschen sollten sich anfangs      Therapie.
     von Fachleuten wie Pferdepsychologen
     oder -ethologen begleiten lassen, um      Je nach Fall und Pferd werden die Fach-
     sicher die Psyche des Pferdes, seine      leute unterschiedliche Therapien em-
     Ausdrucksformen und seine Bedürfnis-      pfehlen. Insbesondere bei der Behand-
     se verstehen zu lernen und mit stabilen   lung unerwünschter Verhaltensweisen
     Grundkenntnissen eine sichere Vertrau-    kommt häufig die Lerntherapie zum Ein-
     ensbasis zwischen sich und dem Pferd      satz, die auf dem natürlichen Lernverhal-
     aufbauen zu können.                       ten der Pferde basiert. Bei der Gegen-
                                               konditionierung wird eine unerwünschte
     Spätestens dann aber, wenn sich uner- Verhaltensweise durch den Aufbau einer
     wünschtes Verhalten zu festigen scheint erwünschten Verhaltensweise allmählich
     oder der Verdacht besteht, dass sich abgebaut. Sie lässt sich gut bei Ängsten,
     eine Verhaltensstörung zu manifestie- Phobien, Rangordnungsproblemen oder
     ren beginnt, sollten Fachleute um Hilfe erlerntem Verhalten anwenden. Die De-
     gebeten werden. Je früher fachgerecht sensibilisierung stellt eine allmähliche
     gegengesteuert wird, desto besser sind Gewöhnung an einen Reiz in Verbin-
     die „Heilungschancen“.                    dung mit einer Gegenkonditionierung
                                               dar. Ein belastender Reiz wird zunächst
     Ob unerwünschtes Verhalten oder Ver- in stark abgeschwächter Intensität dar-
     haltensstörung – eine genaue ganzheit- geboten und dann allmählich gesteigert.
     liche Diagnose ist immer Voraussetzung Die Desensibilisierung ist der Methode
     für eine erfolgreiche Verhaltenstherapie. der Reizüberflutung, die ebenfalls bei
     Hierfür sind eine gründliche Anamne- Ängsten und Phobien eingesetzt werden
     se, eine allgemeine Untersuchung des kann, vorzuziehen, da letztgenannte für
     Gesundheitsstatus und ein möglichst Mensch und Tier überaus gefährlich wer-
     genaues Bild des Verhaltensproblems den kann, wenn es zu Panikreaktionen
     nötig. Dies bedeutet, dass Tierarzt, The- des Pferdes kommt. Gänzlich abzuleh-
     rapeut und Halter eng und vertrauens- nen sind Zwangsmaßnahmen insbeson-
     voll miteinander agieren müssen. Dies dere dann, wenn sie nur die Symptome

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behandeln wie etwa der Kopperriemen         eines Problems, so lange dauert in der
oder pendelnde Sandsäcke bei Webern.        Regel auch die Lösung. Geduld, Auf-
In Zusammenarbeit mit einem Tierarzt        merksamkeit und genaue Beobachtung
kann in einigen Fällen zeitweise auch die   des Pferdes sind in der Regel die wich-
Gabe von Medikamenten unterstützend         tigsten Zauberworte der Lösung. Sie
hilfreich sein.                             bieten die Chance, dem Pferd näher zu
Jede Verhaltensstörung und jedes Pro-       kommen und dazuzulernen, vielleicht zu
blem zwischen Mensch und Pferd hat          lernen, nicht nur zu sehen und zu hö-
seine Entstehungsgeschichte. So lang        ren wie ein Pferd, sondern auch so zu
wie das Entstehen und der Werdegang         fühlen.

                                                                                      15
Im VdTT sind Tierpsychologen und Tiertrainer für die
     Tierarten Hund, Katze, Pferd organisiert, die an einem
     zertifizierten Institut mit entsprechendem Abschluss
     eine Ausbildung absolviert haben. Die Mitglieder des
     Berufsverbandes sind verpflichtet, sich kontinuierlich
     weiterzubilden und sich strikt an das Leitbild und die
     Ethik des Verbandes zu halten. Damit garantiert der
     VdTT einen hohen Qualitätsstandard seiner Mitglieder.

                           Praxisstempel

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