Mit.Mut - Politische Forderungen der IG BCE zur Bundestagswahl 2021
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Impressum Herausgeber: IG BCE | Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie | Königsworther Platz 6, 30167 Hannover | igbce.de Stand: Januar/2021 2
Vorwort Die kommende Bundestagswahl findet in bewegten Zeiten statt. Nach fast einem Jahrzehnt stabilen Wirtschaftswachstums befinden sich Deutschland und Europa in einer ökonomischen Krise von erheblichem Ausmaß. Innerhalb weniger Wochen und Monate haben sich im Zuge der Pandemie Arbeit und Leben in unserem Land tiefgreifend verändert. Für die Arbeitneh- mer*innen bedeutet das Sorgen um die eigene Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Fami- lien, verbunden mit Sorgen um die Sicherheit von Arbeitsplätzen, um Ausbildung und Über- nahme, um Einkommen und Wohlstandsperspektiven. Umso wichtiger ist in dieser Zeit der Unsicherheit das Vertrauen in gewerkschaftlichen Schutz und Gestaltungsanspruch sowie in einen aktiven und handlungsfähigen Staat. Die Stärken des deutschen Modells kommen in der Krise besonders offensichtlich zum Tra- gen. Umso wichtiger ist es, jetzt die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Krise trifft uns zu einer Zeit, in der entscheidende Weichen für den klimapolitisch notwendigen Umbau der gesamten Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft gestellt werden. Auf den Transformationsfeldern der Zukunft steht Deutschland vor weiteren, großen Gestaltungsaufgaben. Die Beschäftigten in unseren Branchen arbeiten jeden Tag dafür, dass unser Land auch in der Krise am Laufen bleibt und damit die Kraft erhält, die wir zur Bewältigung dieser großen Herausforderung benötigen. Gleichzeitig kümmern sie sich um ihre Familien und um Mitmen- schen, die Hilfe benötigen. Sie halten unser Land zusammen und auf Kurs. Mit diesem Papier legen wir als IG BCE, im Rahmen der gewerkschaftlichen Positionsbestim- mung zur Bundestagswahl 2021, unsere politischen Schwerpunkte mit Blick auf die spezi- fischen Bedürfnisse unserer Mitglieder, Betriebe und Branchen dar. Mit gewerkschaftlicher Gestaltungskraft – und gemeinsam mit der Politik – wollen wir dafür sorgen, dass die Be- schäftigen Schutz und Unterstützung erfahren, ihre Leistungen honoriert werden und ihre Ansprüche an gute Arbeit und ein gutes Leben respektiert werden. MICHAEL VASSILIADIS Vorsitzender der IG BCE 3
Mit Mut für eine gerechte Transformation der Industrie Das Ziel, bis 2050 möglichst vollständig auf CO2-Emission zu verzichten, verlangt nahezu allen Branchen im Zuständigkeitsbereich der IG BCE einen gewaltigen, grundlegenden Strukturwandel ab: von der Chemie- über die Papier- und Glasindustrie bis zu Kautschuk und Zement, Aluminium und Kupfer sowie Keramik. Gleichzeitig unterliegen Betriebe und Branchen der fortschreitenden Digitalisierung von Produktion, Arbeitsplätzen und Geschäftsmodellen – mit ungewissen Auswir- kungen auf Beschäftigungschancen und Zukunft in Deutschland. Dieser Transformationsprozess verläuft zudem in einer Zeit zunehmender Handelskonflikte und einer machtpolitisch getriebenen Neuverteilung der Weltmärkte. Umso dringender ist es, diese Entwicklung politisch und konzeptionell zu gestalten. Die IG BCE kann und will dazu einen Beitrag leisten, indem wir mit gewerkschaftlicher Kraft das deutsche Erfolgsmodell fortschreiben und auf die künftig zentralen Herausforderungen ausrichten. Politik muss diesen Veränderungsprozess aktiv mitgestalten. Unsere Forderungen: INNOVATIONEN BESCHLEUNIGEN Produktion und Gute Arbeit in Deutschland aufrecht- zuerhalten. In vielen Fällen besteht noch eine Lücke Je früher treibhausgasneutrale Technologien und Ver- zwischen betriebswirtschaftlich rentablen und volks- fahren industriell verfügbar und wirtschaftlich sind, wirtschaftlich bzw. gesellschaftlich wünschenswerten desto schneller entstehen die Arbeitsplätz der Zukunft Investitionen. Wir fordern, Instrumente zu entwickeln in Deutschland und Europa. Anwendungsorientierte und zu implementieren, die diese Lücke schließen. Eine Forschungsprogramme wie Reallabore, steuerliche entscheidende Rolle dabei müssen ‚Carbon Contracts Forschungsförderung, industrielle Großprojekte und for Difference‘ spielen. Differenzverträge zur Schließung von Wirtschaftlich- keitslücken müssen für einen schnellen Markthochlauf EIN UMFASSENDER CARBON LEAKAGE-SCHUTZ ineinandergreifen. Dafür fordern wir eine ressortüber- FÜR DIE INDUSTRIELLE TRANSFORMATION greifende politische Steuerung. Die notwendige Transformation der Industrie darf WIRTSCHAFTSSTABILISIERUNGS- nicht zum Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen FONDS ZU TRANSFORMATIONSFONDS werden. Wir brauchen darum einen wirksamen Car- WEITERENTWICKELN bon Leakage-Schutz für die gesamte Industrie für ein globales Level-Playing-Field. Zum Beispiel mit Hilfe Um die Wirtschaft und Arbeitsplätze in der Coro- eines globalen Index zu Energie- und CO2-Kosten na-Krise zu stützen, um eine große Insolvenzwelle in wichtigen Wettbewerbsregionen. Das wäre eine zu vermeiden und um einen Ausverkauf deutscher Grundlage, um die Differenzkosten für exportierende Firmen zu unterbinden, hat die Bundesregierung den Unternehmen mit Blick auf die europäischen Energie- Wirtschaftsstabilisierungsfonds ins Leben gerufen. Wir und CO2-Kosten zurückzuerstatten. Dadurch würde fordern diesen nun zu einem Transformationsfonds man die Transformation in exportorientierten Indus- weiterzuentwickeln. Er sollte mit einem Finanzvolu- trieunternehmen vorantreiben und gleichzeitig faire men von 120 Milliarden Euro ausgestattet werden, um Wettbewerbsfähigkeit unterstützen. Transformationsprozesse in der Industrie zu fördern. SCHUTZSCHIRM FÜR DIE AUTOMOBIL- ZULIEFERER-INDUSTRIE PRIVATE INVESTITIONEN ANREIZEN Die Automobilindustrie befindet sich in einem tief- Die Politik muss Anreize für private Investitionen greifenden Umbruch. Dort drohen insbesondere die setzen. Mit öffentlichen Investitionen alleine wird die Zulieferer, die zumeist nicht über die finanziellen Res- Transformation der Wirtschaft nicht gelingen. Ins- sourcen wie die Hersteller verfügen, unter die Räder zu besondere bei Investitionen, die einen signifikanten kommen. Wenn Wertschöpfungsketten reißen, geht Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten, muss die nicht nur unschätzbares Know-how verloren, Politik die Unternehmen mit dem Ziel unterstützen, 4
sondern auch das stärkste Argument für Automobil- EEG-UMLAGE ABSCHAFFEN bau in Deutschland. Deshalb muss die Bundesregie- rung einen Schutzschirm für Zulieferer aufbauen, der Stromsteuer auf Minimum senken: Die Stromkos- neben finanziellen Hilfen auch die zeitweise staatliche ten sind für die Unternehmen ein wichtiger Stand- Beteiligung an klein- und mittelständischen Zuliefer- ortfaktor. Im internationalen Vergleich sind diese firmen ermöglicht. in Deutschland besonders hoch. Die Deckelung der EEG-Umlage für die Jahre 2021 und 2022 war ein erster WASSERSTOFFINFRASTRUKTUR ZÜGIG richtiger Schritt. Dieser Weg sollte konsequent weiter BEREITSTELLEN beschritten werden und die EEG-Umlage komplett abgeschafft, die anfallenden Mehrkosten aus dem Bundeshaushalt finanziert. Damit würde auch der Wasserstoff wird in vielen Bereichen, insbesondere in gesamtgesellschaftlichen Tragweite der Energiewende der Industrie und im Verkehr, eine Schlüsselrolle für Rechnung getragen und ein großer Teil ihrer Kosten das Erreichen der Klimaziele einnehmen. Überall dort, sozial gerechter verteil. Eine Abschaffung der EEG-Um- wo eine Umstellung vom Einsatz fossiler Brennstoffe lage würde auch den privaten Haushalten nutzen, auf reine strombasierte Verfahren nicht möglich oder da deren Energiekosten sinken und das verfügbare nicht rentabel ist, wie etwa in der Chemikalienproduk- Einkommen somit steigen würde. Außerdem sollte zur tion oder in der Stahlerzeugung, in Langstrecken- und weiteren Entlastung die Stromsteuer auf das notwen- Nutzfahrzeugen, Flugzeugen und Schifffahrt, wird dige Minimum gesenkt und dies mit den Einnahmen Wasserstoff eine entscheidende Rolle in der Trans- aus der eingeführten CO2-Bepreisung ausgeglichen formation einnehmen. Deshalb erwarten wir, dass die werden. Wasserstoffstrategie entsprechend den Empfehlungen des Deutschen Wasserstoffrates ambitionierter ver- folgt wird. Dazu muss auch die zügige Bereitstellung ÖFFENTLICHES INVESTITIONSPROGRAMM einer Wasserstoffinfrastruktur gehören, die in- und DURCHSETZEN, UM WETTBEWERBSPOSITION ausländisch erzeugten Wasserstoff zu den Verbrau- ZU VERBESSERN cher*innen transportiert. Die Politik der „Schwarzen Null“ hat dazu geführt, dass es in Deutschland einen Investitionsstau gibt. ERHALT DER INDUSTRIEKERNE IN DEN Die fehlenden Investitionen in Infrastruktur und KOHLEREVIEREN Bildungssystem belasten die Wettbewerbsposition des Wirtschaftsstandorts Deutschland im internatio- Aus Kohleregionen Wasserstoff-Valleys entwickeln: In nalen Vergleich. Der Investitionsbedarf am Standort Zukunft wird die Wasserstoffproduktion auf Grund- Deutschland beläuft sich auf rund 450 Milliarden lage erneuerbarer Energien oder mittels CO2-Ab- Euro für die kommenden 10 Jahre. Wir fordern von der scheidung klimaneutral erfolgen. Abgeschiedenes Politik eine verbindliche Festlegung auf ein öffentli- CO2 kann als kostbarer Rohstoff Anwendung in der ches Investitionsprogramm, das diesem Bedarf ge- Chemie als Ausgangsstoff für viele Produkte finden recht wird. Ein mittelfristiges Investitionsprogramm (Carbon2Chem). Hierfür braucht es eine Wasserstoff- mit einem jährlichen Volumen von 45 Milliarden Euro infrastruktur und -wertschöpfungskette, die so nur in würde die Erwartungen der privaten Haushalte und den Revieren vorzufinden sind. Gezielte Förderungen der Unternehmen stabilisieren. Außerdem würde ein von „Wasserstoffvalleys“ in den Revieren und eine öffentliches Investitionsprogramm auch private In- systematische Verlinkung untereinander mit einer vestitionen nach sich ziehen und so einen Beitrag zur transeuropäischen Wasserstoffautobahn können dabei Konjunkturstabilisierung leisten. Deshalb darf nach die Bildung einer europäischen Wasserstoffunion (ver- dem Ende der Corona-Krise und der laufenden Kon- gleichbar der Montanunion) bilden, somit gute Indust- junkturpakete nicht überhastet zu einer Politik ausge- riearbeit sichern und den Weg der Klimaneutralität für glichener Haushalte zurückgekehrt werden. die Industrie ebnen. AMBITIONIERTER AUSBAU DER STROMNETZE Mit der Transformation der Industrie wird der Strom- verbrauch in Deutschland deutlich ansteigen. Dies macht in klimapolitischer Hinsicht dann Sinn, wenn der Großteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt. Damit die erneuerbaren Energien ihren notwendigen Beitrag leisten können, benötigen wir einen raschen und ambitionierten Ausbau der Strom- netze, Speicher und EE-Erzeugungskapazitäten. Anders wird es nur schwer gelingen, die Industrieregionen in Deutschland beispielsweise mit Windstrom aus der Nord- und Ostsee zu versorgen. 5
Mit Mut mehr Tarif und Mitbestimmung als Referenz für die Wirtschaft Eine gesamtgesellschaftlich wie wirtschaftlich erfolgreiche Gestaltung der Transformation braucht die Beteiligung der Arbeitnehmer*innen sowie ihrer Gewerkschaften, in der Arbeitswelt wie in der Politik. Das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine wesentliche Grundlage für den wirtschaftlichen und sozialen Erfolg unseres Lan- des. Auch und gerade in der Corona-Pandemie hat die deutsche Sozialpartnerschaft ihren Wert erneut bewiesen. Um die Stärken des deutschen Modells zu erhalten, muss es jedoch fit gemacht werden für neue Anforderungen. Die Tarifautonomie ist ein zentraler Pfeiler einer sozialen Wirtschaft. Mit Tarifverträgen sind die Entgelte regelmäßig höher, die Arbeitszeiten kürzer, die Arbeitsplätze sicherer, die Arbeits- bedingungen gesünder und die Entwicklungschancen der Beschäftigten wie der Betriebe besser. Wir wollen unser Modell von Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung der Arbeit- nehmer*innen zukunftsfest machen. In der Vergangenheit hat die betriebliche und auch die Unternehmensmitbestimmung gewährleistet, dass solche strategischen Neuausrichtungen von Unternehmen sozial verträglicher und mit größerem Erfolg für Wirtschaft und auch Gesellschaft gestaltet werden konnten. Dieses Modell wollen wir in das neue Gestaltungsumfeld transformie- ren. Unsere Forderungen: Tarifbindung GESETZLICHE PRIVILEGIERUNG VON TARIFGE- KOLLEKTIVE FORTGELTUNG DES TARIFVERTRAGES BUNDENEN UNTERNEHMEN BEI ABSPALTUNGEN/BETRIEBSÜBERGÄNGEN Die Schaffung von gesetzlichen Privilegierungen bzw. Im Falle einer Aufspaltung, Abspaltung oder sonstigen Öffnungsklauseln, die nur von tarifgebundenen Unter- Änderung im Rahmen des Umwandlungsrechtes oder nehmen genutzt werden können, wenn dabei das eines Betriebsüberganges im Sinne des § 613a BGB gesetzliche Mindestschutzniveau für die Beschäftigten müssen Tarifverträge kollektiv fortgelten. Ketten-Be- nicht unterschritten wird. Steuerliche Förderung (z.B. triebsübergänge können zur Aushebelung und Umge- im Rahmen von Entgeltumwandlung, Sachwertbezug) hung der Tarifgeltung führen. nur für Leistungen aufgrund eines Tarifvertrags. KOLLEKTIVE WEITERGELTUNG BEI NACHBINDUNG TARIFVERHANDLUNGSPFLICHT UND NACHWIRKUNG BESSER SICHERSTELLEN Die gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeber zu Die Nachbindung eines Tarifvertrages trotz Verbands- Tarifverhandlungen, wenn mindestens die Hälfte der flucht sollte anders als bisher nicht bereits bei ledig- Beschäftigten und eine zuständige Gewerkschaft dies lich redaktionellen und klarstellenden Änderungen des verlangen. Wird kein Tarifvertrag abgeschlossen, soll- Tarifvertrages entfallen. Sie sollte auch nicht bereits ten die Arbeitnehmer*innen Anspruch auf branchen- dann für den gesamten Tarifvertrag entfallen, wenn übliche Entlohnung haben. nur Teile des Tarifvertrages geändert werden, die nicht geänderten allein aber noch sinnvoll erhalten bleiben können. Darüber hinaus muss sich die Nachwirkung MITGLIEDERVORTEILE auch auf neueingestellte Beschäftigte (Gewerkschafts- mitglieder, analog pers. Geltungsbereich) beziehen. Tarifverträge können unter bestimmten Voraussetzun- gen tarifvertragliche Regelungen mit Begünstigungen nur für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen. Der Ge- setzgeber sollte die in der Rechtsprechung ausdrück- lich zulässigen Differenzierungsklauseln für Gewerk- schaftsmitglieder gesetzlich klarstellen. Zudem sind tarifliche Spannenklauseln zuzulassen. 6
EINSCHRÄNKUNG VON OT-MITGLIEDSCHAFTEN Betriebliche Deutliche Einschränkungen der Zulässigkeit von Mitbestimmung OT-Mitgliedschaften, z. B. im Hinblick auf Blitzwech- sel von Arbeitgebern in eine OT-Mitgliedschaft, sind deshalb erforderlich. Dazu gehört auch die gesetzliche Offenlegungspflicht der Arbeitgeber bezüglich einer NACHHALTIGKEIT GEHT NUR MITBESTIMMT Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband mit oder ohne Tarifbindung. Um die Transformation wirksamer gestalten zu können muss Nachhaltigkeit, wie z.B. Umwelt und VERBANDSKLAGERECHT Ressourceneffizienz, als Aufgabe für Betriebsräte fest definiert werden. Dafür sind entsprechende Mitbe- Manche Arbeitgeber wenden Tarifverträge trotz Ver- stimmungsrechte im Betriebsverfassungsgesetz neu bandsmitgliedschaft systematisch in einigen Punkten zu implementieren, wie beispielsweise für die Berei- nicht oder anders an. Die bestehende Möglichkeit der che Nachhaltigkeit, Umwelt und Ressourceneffizienz, Einwirkungsklage gegenüber dem Arbeitgeberverband digitale Arbeit, Weiterbildung und Qualifizierung. Nur bleibt in solchen Fällen ohne echte Unterbindungswir- so kann sichergestellt werden, dass alle Unternehmen kung. Für diese Fälle des systematischen und kollektiv sich diesem Thema mit der gebotenen Ernsthaftigkeit wirkenden Verstoßes ist die Einführung eines Ver- widmen und die Arbeitsfähigkeit unserer Betriebs- bandsklagerechtes für zuständige, im Betrieb vertre- rät*innen als gestaltende Kraft in der sozial-ökologi- tene Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gegen schen Transformation zur Geltung kommt. Tarifbruch und Verstöße gegen gesetzliche Mindest- vorschriften gesetzlich zu ermöglichen. MITBESTIMMUNG BEI PERSONALPLANUNG UND -BEMESSUNG DIE REFORM DER ALLGEMEINVERBINDLICHKEITS- ERKLÄRUNG Überlastung und Arbeitsverdichtung nehmen in vielen Unternehmen zu. Die Digitalisierung und nicht zuletzt Der Abstimmungsmodus muss so verändert werden, die Corona-Krise haben in vielen Unternehmen zu dass im Tarifausschuss ein Antrag, der gemeinsam weiterem Druck auf die Beschäftigten geführt. Um die von den zuständigen Tarifvertragsparteien aus der Belastungssituation für Beschäftigte handhabbar zu betroffenen Branche eingebracht wird, dort nur mit machen, muss ein Mitbestimmungsrecht bei Personal- Mehrheit abgelehnt werden kann. Alternativ könnten planung und -bemessung eingeführt werden. auch Vertreter*innen der Tarifvertragsparteien, deren Tarifvertrag Gegenstand des jeweiligen Antrages ist, KONZERNMITBESTIMMUNG GEWÄHRLEISTEN fallweise als stimmberechtigte Mitglieder hinzugezo- gen werden. Öffentliches Interesse für eine Allgemein- Immer mehr Unternehmen versuchen, den in Deutsch- verbindlichkeitserklärung muss auch dann gelten, land etablierten Strukturen der Mitbestimmung durch wenn diese der Stabilisierung der Funktion der Tarifau- Verlagerungen von Konzernspitzen ins Ausland auszu- tonomie und des Tarifvertragssystems, der Erreichung weichen. Konzernmitbestimmung muss auch dann ge- angemessener Entgelt- und Arbeitsbedingungen oder währleistet werden, wenn sich die Konzernspitze nicht als Mittel zur Sicherung sozialer Standards und zur in Deutschland befindet. Dafür wird z.B. ein Informa- Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen dient. tionsdurchgriffsmöglichkeit für solche Fälle benötigt. STÄRKUNG UND ERHALT VON TARIF TREUEREGE- INITIATIVRECHT BEI DATENSCHUTZ UND BEWEISVER- LUNGEN/TARIFTREUEGESETZE WERTUNGSRECHT BEI VERLETZUNG VON MITBESTIM- MUNGSRECHTEN Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie staatlicher Ein Initiativrecht des Betriebsrats bei dem Thema Fördermittel und Krisenhilfen sind der Bund und die Datenverarbeitung sowie ein Beweisverwertungsver- Länder an die tariflichen Entgeltsätze der einschlägi- bot bei der Verletzung von Mitbestimmungsrechten gen Tarifverträge zu binden. Ohne Tarifvertrag darf ein und datenschutzrechtlichen Regelungen ist dringend Unternehmen zukünftig keinen öffentlichen Auftrag geboten, damit Arbeitnehmervertreter*innen mit den mehr erhalten und auch keine staatlichen Förder- aktuellen Veränderungen im Arbeitsrecht sowie der mittel oder Krisenhilfen bekommen. Wir fordern die Arbeitspraxis Schritt halten können. Einführung eines entsprechenden Tariftreuegesetz auf Bundesebene, welches sich sowohl auf die Vergaben des Bundes bezieht und gleichzeitig Mindeststandards für die Länder und Kommunen setzt. 7
ZWINGENDE MITBESTIMMUNG BEI MOBILER ARBEIT unternehmens- Mitbestimmung Je nach Ausgestaltung (zu Hause, Café, Hotel etc.), Ausstattung und Handhabung im Betrieb kann mobile Arbeit Arbeitsortsouveränität für Beschäftigte ermög- REFORM DES DOPPELSTIMMRECHTES lichen. Sie kann aber auch eine Belastung sein. Für Die Unternehmensmitbestimmung kann einen eine selbstbestimmte gesunde mobile Arbeit müssen wichtigen Beitrag leisten, um in der notwendigen die häuslichen/mobilen Voraussetzungen und eine Transformation der Industrie die Verbundenheit der entsprechende Ausstattung des Arbeitsplatzes ge- Unternehmen mit Standorten und Beschäftigten zu geben sein. Deswegen müssen Betriebsräte bei der stärken, soziale Verantwortung und den gesellschaft- Einführung und Ausgestaltung mobiler Arbeit mitbe- lichen Zusammenhalt zu fördern. Es ist nicht nur für stimmen, da sich durch Einführung und Ausweitung die Arbeitnehmer*innen, sondern auch für Unterneh- mobiler Arbeit das soziale Gefüge und die Arbeitsab- men und die staatlichen Institutionen von Vorteil, der läufe im Betrieb ändern. Kompetenz der Sozialpartner in der Transformation größtmöglichen Raum in der Arbeitswelt zu sichern. ZWINGENDE MITBESTIMMUNG BEI WEITERBIL- Aktuell kommt bei strittigen Entscheidungen das DUNG Doppelstimmrecht der*des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Tragen. Damit wird eine Mitbestimmung der Beim Thema Weiterbildung muss eine zwingende Beschäftigten auf Augenhöhe ausgehebelt. Hier be- Mitbestimmung durch die Betriebsräte eingeführt darf es einer Reform. Das Doppelstimmrecht der*des werden. Nur so kann den Anforderungen in einer Aufsichtsratsvorsitzenden soll bei zentralen Unter- sozial-ökologischen Transformation Rechnung getra- nehmensentscheidungen, wie Massenentlassungen, gen werden. Die Erfahrungen aus der Ausweitung des Werksschließungen bzw. Teilstillegungen, Unterneh- Kurzarbeitergeldes in Verbindung mit betrieblicher mensverkäufen und Sitzverlagerungen ins Ausland, Weiterbildung haben gezeigt, dass Betriebsrät*innen nicht mehr unmittelbar zur Anwendung kommen die richtigen Ansprechpartner*innen sind, um Weiter- dürfen. An die Stelle einer unmittelbaren Mehrheits- bildungsbedarfe in den Betrieben adäquat umzuset- entscheidung sollte zukünftig ein Schiedsverfahren zen. treten. BETRIEBSRATSWAHLEN VEREINFACHEN UND SCHLIESSUNG DER LÜCKEN IN DER MITBESTIM- SCHUTZ BEI WAHLEN ERHÖHEN MUNG Wir benötigen eine Ausweitung des vereinfachten Lücken in der Unternehmensmitbestimmung, z.B. im Wahlverfahrens mit einer tatsächlichen Vereinfachung Bereich der Drittelbeteiligung, müssen endlich ge- des Wahlverfahrens auch in Betrieben mit 50 -100 schlossen werden. Wir brauchen einen einheitlichen Wahlberechtigten, nach Vereinbarung auch bei 101- Konzernbegriff, um aktuellen Herausforderungen be- 200 Wahlberechtigten sowie eine Verbesserung des gegnen zu können. Kündigungsschutzes für Initiatoren im Wahlverfahren. Vereinfacht werden sollte der Wechsel von einem BETRIEBLICHE EBENE Wahlverfahren in das andere, ohne den Wahlvorstand neu zu bestimmen. Gleichzeitig muss der Kündigungs- Unternehmen, die Europäische Richtlinien nutzen, schutz früher ansetzen und Anfechtungen auf das um ihre Unternehmensverfassung zu ändern, müssen Erforderliche begrenzt werden. verpflichtet werden, Verhandlungen zu einem Euro- päischen Gremium der betrieblichen Interessenvertre- BETRIEBSRATSBEHINDERUNG EINDÄMMEN tung, bzw. mit allen Belegschaften zu führen. Zur Eindämmung von Betriebsratsbehinderungen kön- nen Schwerpunktstaatsanwaltschaften unterstützen. Außerdem müssen die Sanktionen abschreckend sein. 8
Mit Mut für Gute Arbeit und Qualifizierung In der Arbeitswelt stehen wir inmitten tiefgreifender Veränderungsprozesse. Die Digitalisierung wird die Komplexität der Produktionsprozesse weiter erhöhen, neue und steigende Anforderun- gen an Qualifizierung hervorbringen, Arbeitsabläufe stark beeinflussen sowie neue Geschäftsmo- delle hervorbringen. Zu befürchten ist, dass die Dynamik der Transformation in einer weiter gespaltenen Arbeitswelt (tariflich, prekär, randständig, scheinselbständig, außertariflich) die bisherige Diskriminierung ver- tieft und neue Tatbestände sozialer Ungerechtigkeit schafft – bei Bildungs- und Weiterbildungs- chancen, in der Freiheit der Arbeitszeitwahl und in dem individuellen Einfluss auf die Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung, aber auch in der Bezahlung, in der Mobilität und im Gesundheitsschutz. Einer solchen Entwicklung muss mit einer Politik für Ordnung auf dem Arbeitsmarkt entgegenge- wirkt werden. Unsere Forderungen: ARBEITSZEIT MITBESTIMMT HÖHERE ERWERBSBETEILIGUNG VON FRAUEN Das Arbeitszeitgesetz ist einer Vielzahl von Angriffen Gerechte Teilhabe bedeutet auch Teilhabe an ausgesetzt. Wenn einzelne Arbeitgeber- und Wirt- gesellschaftlichem Wohlstand. Dazu ist die Betei- schaftsverbände beispielsweise Corona-bedingte, lung von Frauen an sozialversicherungspflichtiger befristete Eingriffe in das Arbeitszeitgesetz zum neu- Erwerbsarbeit zu steigern. Gerade in der aktuellen en, dauerhaften Standard hierzulande machen wollen, Pandemiesituation erleben wir, dass Mütter zugunsten dann ist das nichts anderes als der Versuch, die politi- der Care-Arbeit ihre Arbeitszeit reduzieren bzw. ihre sche Richtungsentscheidung zu Beginn der Krisen-Be- Erwerbstätigkeit aufgeben und somit in eine mögliche kämpfung grundsätzlich umzukehren. Zumal es keine (Alters)Armutsfalle tappen. Familien muss es noch sachlich begründete und empirische belegte Notwen- besser ermöglicht werden, Sorgearbeit partnerschaft- digkeit gab und gibt, das Niveau an sozialem Schutz lich aufzuteilen und gemeinsam Verantwortung bei der Arbeitszeit zu verringern, sondern lediglich füreinander zu übernehmen. Dazu gehört auch eine eine ideologisch motivierte Forderung einiger Arbeit- partnerschaftliche Aufteilung der Elternzeit und ein geberverbände nach Deregulierung. Wir verhandeln im legalisiertes Modell haushaltsnaher Dienstleistun- Rahmen der Sozialpartnerschaft moderne Arbeitszeit- gen. Damit die zunehmend digitalisierte Arbeitswelt modelle. Eine Öffnung des Arbeitszeitgesetzes lehnen beiden Geschlechter gleiche berufliche Entwicklungs- wir strikt ab. chancen bietet, sind mehr Frauen in technischen und MINT-Berufen erforderlich. Die vorliegenden Konzepte, GLEICHE TEILHABE VON FRAUEN wie z. B. der Zukunftstag, führten bisher nicht zum ge- IN WIRTSCHAFT UND POLITIK wünschten Ergebnis. Wir brauchen die Überwindung veralteter Rollenstereotype, positive Vorbilder und Die Gleichstellung der Geschlechter ist eine Quer- eine gezielte Förderung zum Beispiel über Programme schnittsaufgabe und muss sich wie ein roter Faden an Unis und Schulen. Das gilt sowohl für akademische durch alle relevanten politischen Bereiche ziehen. als auch für nicht-akademische Berufe. Frauen muss in gleicher Weise der Zugang zu Gremien und Führungsaufgaben in Politik, Wirtschaft und VERBESSERTES ZUTRITTSRECHT VON Gesellschaft sichergestellt werden. Dafür brauchen GEWERKSCHAFTEN wir ein verfassungskonformes Paritätsgesetz für alle politischen Ebenen. Führungsaufgaben in den Unter- Die Verbesserung der Zugangsrechte von Gewerk- nehmen müssen so gestaltet werden, dass sie einen schaften in die Betriebe zur Mitgliedergewinnung ist chancengerechten Zugang für beide Geschlechter aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung er- bieten. Die verbindliche Quote für Vorstände und Auf- forderlich. Bisher ist grundsätzlich der Zutritt zu Wer- sichtsräte muss konsequent umgesetzt und bei Nicht- bezwecken nur halbjährlich zulässig; das ist deutlich einhaltung mit harten Sanktionen versehen werden. zu wenig. Diese gewerkschaftlichen Rechte sind auch in der revidierten Europäischen Sozialcharta verbrieft, die von Deutschland endlich ratifiziert werden muss. 9
Darüber hinaus muss das verbriefte Zugangsrecht der werden. Die Zahl der Ausbildungsplätze muss daher Gewerkschaften angesichts von Digitalisierung und erhalten bleiben und die Ausbildung zukunftsfähig wachsender mobiler Arbeit um ein virtuelles Zugangs- werden. Daher brauchen wir eine Ausbildungshilfe für recht erweitert werden, etwa durch Zugang und Dar- all die KMUs, die während und nach der Corona-Krise stellungsmöglichkeiten im betrieblichen Intranet. keine Ausbildungsplätze mehr gewährleisten können. Ausbildungsverbünde müssen gestärkt werden, damit MOBILE ARBEIT NICHT ZULASTEN VON jeder junge Mensch die Perspektive für einen direkten SCHUTZRECHTEN Anschluss nach der Schulzeit hat. Mobiles Arbeiten darf nicht zur Entgrenzung von BILDUNGSJOURNAL FÜR ALLE ERWERBSTÄTIGEN Arbeit und dem Verschwimmen von Arbeit und Leben führen (z.B. durch Ausweitung von Arbeitszeit und Die Qualifikationen, Fähigkeiten und Kompetenzen Nichteinhaltung von Ruhephasen), weshalb Beschäf- müssen heute über mehrere Ausbildungsstationen tigte ein durchsetzbares Recht auf Nichterreichbarkeit und über die gesamte Erwerbs- und Bildungsbiografie brauchen. Mobiles Arbeiten hat viele Formen, daher vorgehalten werden. Um Chancengleichheit im Bil- fordern wir bei Regelungen für Mobile Arbeit alle dungssystem sowie die Durchlässigkeit zwischen den Stufen der industriellen Wertschöpfungskette mitzu- Bildungswegen zu fördern, muss auf die individuelle denken von der Produktion über den Büroarbeitsplatz Situation der Menschen eingegangen werden. Tech- bis hin zum Außendienst. Die Einhaltung geltender nologien wie Blockchain ermöglichen die Etablierung Arbeits- und Gesundheitsschutznormen müssen eines solchen Systems, das dabei helfen kann, Erwerbs- stärker überwacht und die Nichteinhaltung wirksamer biografien lückenlos abzubilden und dadurch Fähig- sanktioniert werden. Dauerhafte mobile Arbeit von zu keits- und Kompetenzprofile darzustellen. Hause muss den ergonomischen Standards entspre- chen. Gleichzeitig bedarf es einer fachlichen Unter- ARBEITSVERSICHERUNG stützungsleistung für die Entscheidungsträger. In der Arbeitslosenversicherung müssen präventive ABSCHAFFUNG SACHGRUNDLOSER Elemente ausgebaut werden. Hierzu gehören eine BEFRISTUNGEN lebensbegleitende Berufsberatung sowie eine indi- viduelle Förderung, die die Anpassungsfortbildung Es bleibt dabei: Die grundlose Verweigerung von Bere- genauso erfassen wie die Aufstiegsfortbildung. Die chenbarkeit und Stabilität im Arbeitsverhältnis ist mit Förderung muss eine lebensstandardsichernde Ent- einer sozialen Wirtschaft und fairen Arbeitsbeziehun- geltersatzleistung beinhalten und mit einem Frei- gen nicht vereinbar. Darum fordern wir die Abschaf- stellungsanspruch ergänzt werden. Die heutige fung sachgrundloser Befristungen. Fokussierung der Weiterbildungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit auf die betrieblich veranlass- ZUKUNFTSFÄHIGE BERUFSSCHULE te Weiterbildung greift zu kurz. Individuelle Perspekti- ven müssen eröffnet werden. Dabei dürfen die Betrie- Gerade in der Coronakrise werden die Schwächen in be grundsätzlich nicht aus der Verantwortung für die der technischen Ausstattung der Berufsschulen und Qualifizierung ihrer Beschäftigten entlassen werden. des Berufsschulunterrichts besonders deutlich. Um die Ausbildung zukunftsfähig zu machen, müssen die KURZARBEITERGELD FÜR DIE TRANSFORMATION Mittel des DigitalPakts endlich auch bei den Auszubil- denden ankommen und alle Schulen an einen Breit- Das arbeitsmarktpolitische Instrument der Kurzarbeit bandabschluss angeschlossen werden. Die gezielte hat sich bewährt. Die Sonderregelungen, die in der Vorbereitung auf die Nutzung digitaler Technologien Corona-Regelungen befristet geschaffen wurden, muss Priorität in der Ausbildung bekommen – sowohl müssen fortgeführt werden. Die Verordnungsermäch- in der Berufsschule als auch im Betrieb. Nicht zu- tigung des Bundesarbeitsministeriums sollte um diese letzt müssen auch die Lehrkräfte nachhaltig geschult Regelungen unbefristet ausgeweitet werden. Durch werden und tragfähige Konzepte zur Vermittlung an die Transformation werden sich Geschäftsprozes- die Seite gestellt bekommen. Die Digitalisierung darf se verändern. Dies kann zu überdurchschnittlichen keine zusätzliche Hürde für junge Auszubildende dar- Qualifikationsbedarfen führen, die die Unternehmen stellen, sondern muss allen jungen Menschen einen überfordern würden. In diesem Fall sollten die Weiter- gleichwertigen Zugang ermöglichen. bildungsanstrengungen der Betriebe bei umfangrei- cheren, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwert- baren Qualifizierungen durch die Gewährung von EINBRUCH NACH CORONA ZUVORKOMMEN – Kurzarbeit unterstützt werden. Für die Leistungen der WIR FORDERN EINE AUSBILDUNGSHILFE Arbeitslosenversicherung muss weiter das Äquivalenz- prinzip gelten. Dieses Prinzip beruht auf dem Grund- Im Jahr 2020 kam es alleine in unseren Branchen zu satz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegen- einem Rückgang um 700 Ausbildungsplätze und auch leistung. Für das Kurzarbeitergeld muss weiterhin der Ausblick für 2021 ist negativ. Es ist davon auszuge- die Gegenleistung das sozialversicherungspflichtige hen, dass die negativen Auswirkungen des pandemie- Einkommen darstellen. bedingten Lockdowns erst mit Verzögerung sichtbar 10
Mit Mut für Gerechtigkeit und soziale Sicherheit Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie gut unser soziales Sicherungssystem funktioniert. Dennoch gibt es Herausforderungen für den Sozialstaat, die weitere Reformen erforderlich machen. Als zentrale Herausforderungen sind die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, der demo- grafische Wandel und die Internationalisierung zu nennen. Sie alle haben Folgen für unser hoch- spezialisiertes und gegliedertes System der sozialen Sicherheit. Unsere Forderungen: STABILISIERUNG DES GESETZLICHEN RENTEN- u.a. eine Teilrente vor dem 63. Lebensjahr und einen NIVEAUS verbesserten Rechtsanspruch auf sozialversiche- rungspflichtige Teilzeitarbeit. Außerdem fordern wir Wir brauchen auch über den 31.12.2025 hinaus eine die Abschaffung der Hinzuverdienstgrenzen bei der Haltelinie für das gesetzliche Rentenniveau. Maßstab Flexi-Rente. ist für uns das gegenwärtige Sicherungsniveau von 48 Prozent. Dies gilt es langfristig zu stabilisieren, ohne GUTE ARBEIT FÜR GUTE RENTE dass dies zu einer Anhebung des Renteneintrittsalters führt. Darüber hinaus fordern wir die Schaffung von Das wichtigste für eine gute Rente ist die Stärkung Bedingungen, die es ermöglichen, das gesetzliche Ren- der Erwerbsverläufe durch kontinuierliche sozialver- tenniveau auf 50 Prozent anzuheben. Diese Option ist sicherungspflichtige Beschäftigung. Langfristig sollte beispielsweise bei zusätzlicher Beschäftigung und zu- die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbs- sätzlichen Beiträgen in die Rentenkasse realistisch. Sie tätigenversicherung unter Einbeziehung von (Solo-) bedingt u.a. Investitionen in Qualifikation und Gesund- Selbstständigen weiterentwickelt werden. heitsschutz sowie die volle Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt. GESETZLICHE FÖRDERUNG TARIFLICHER ABSI- CHERUNG GEGEN ELEMENTARE LEBENSRISIKEN AUSWEITUNG DER BETRIEBLICHEN ALTERSVOR- SORGE Die gesetzlichen Versicherungen sind heute so konzi- piert, dass regelmäßig eine Ergänzung durch weitere Die betriebliche Altersversorgung (bAV) ist das zweite Säulen erforderlich ist. Teilweise sind sie – wie z.B. die Standbein einer stabilen Alterssicherung. Bislang Pflegeversicherung – ausdrücklich als Teilleistungs- kann trotz der Beseitigung vieler rechtlicher und versicherung ausgestaltet und bedürfen unbedingt finanzieller Hürden keine nennenswerte Ausweitung einer Ergänzung. Die Tarifvertragsparteien haben hier der bAV festgestellt werden. In hohem Maße aner- teilweise schon vor Jahrzehnten im Bereich der Alters- kannte Modelle wie der ChemiePensionsfonds zeigen, vorsorge und der Vorsorge gegen Berufsunfähigkeit dass bAV ein wesentlicher und flächendeckender Bau- beispielhafte Lösungen entwickelt und tragen so auch stein sein kann. Daher sind noch weitere Anreize für zur Entlastung der staatlichen Vorsorgesysteme bei. eine Ausweitung der bAV zu schaffen. Dazu gehört Der Erfolg dieser tariflichen Regelungen ist auch durch die Möglichkeit, leichter Tarifverträge zur bAV als die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Son- allgemein verbindlich zu erklären. Außerdem ist ein derregeln, namentlich die steuer- und beitragsfreie obligatorischer Mindestbeitrag des Arbeitgebers von Entgeltumwandlung bedingt. Diese Sonderregeln sind bspw. ¼ der monatlichen Bezugsgröße (ca. 800 Euro) auch auf den jüngsten Baustein der tarifvertraglichen für die betriebliche Altersvorsorge für alle Beschäf- Absicherung, die tarifliche Pflegeversicherung auszu- tigten einzuführen. Ausschließlich tarifgebundene weiten. Wie die tarifliche Altersversorgung dient sie Arbeitgeber bekommen die Hälfte dieses Betrages als der finanziellen Absicherung im Alter und vermeidet zusätzlichen Förderbetrag im Sinne des §100 EstG aus die Inanspruchnahme staatlicher Sicherungssysteme. Steuermitteln erstattet. SOZIALE GESUNDHEITSWIRTSCHAFT FLEXIBLE UND SICHERE ÜBERGÄNGE IN DIE RENTE SCHAFFEN Dem bisher dominierenden Leitbild einer anbieter- orientierten Gesundheitswirtschaft wird ein neues, Viele Beschäftigte sind durch ihren Beruf sowohl phy- bedarfs- und versichertenorientiertes Leitbild ent- sisch als psychisch stark negativ beansprucht. Starre gegengestellt. Zentrale Punkte sind der Ausbau der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand helfen integrierten Versorgung und Prävention sowie eine hier kaum weiter. Wir benötigen flexible Lösungen solide Finanzierung der Leistungen durch alle, gerecht für den Übergang in die Rente. Dafür brauchen wir verteilt (solidarische Bürgerversicherung). 11
GUTE PFLEGE FÜR ALLE Wir wollen einen Pflegebürgervollversicherung, die die pflegebedingten Kosten vollständig absichert und Eigenanteile ausschließt - durch Ausweitung der Finanzierungsseite auf alle Bürgerinnen und Bürger. Mit Mut ein gerechteres Besteuerungssystem schaffen In der Arbeitswelt stehen wir inmitten tiefgreifender Veränderungsprozesse. Die kommenden Herausforderungen und die nötigen Investitionen erfordern finanzielle Ressourcen. Wenngleich zukunftsweisende Investitionen kreditfinanziert werden müssen, ist für die allgemeine Daseins- vorsorge auch eine ausreichende Steuerbasis notwendig, damit der Staat seine Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger erfüllen kann. Das Steuersystem muss gerechter ausgestaltet werden und dem Prinzip der Leistungsfähigkeit gerecht werden. Das bedeutet, dass die Bürgerinnen und Bürger mit hohen Einkommen und großen Vermögen einen größeren Anteil zum Steueraufkommen beitragen müssen. Gleichzeitig müssen Arbeitnehmer*innen mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden. Gleiches gilt für Familien mit Kindern. Unsere Forderungen: GERECHTERE EINKOMMENSBESTEUERUNG PENDLERPAUSCHALE ZUM MOBILITÄTSGELD WEITERENTWICKELN Gerade Normalverdiener-Haushalte leiden unter der Belastung der stark ansteigenden Steuerprogression. In ihrer jetzigen Form nützt die Pendlerpauschale Wir fordern eine Abschaffung des Mittelstandsbauchs, insbesondere Gutverdienenden mit weiten Wegstre- eine Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen cken. Um diese Ungerechtigkeit zu vermeiden, soll durch geringere Steuersätze und eine Glättung des künftig je gefahrenem Kilometer der gleiche Betrag Tarifverlaufs. Gleichzeitig fordern wir einen höheren von der Steuerschuld abgezogen werden, unabhängig Spitzensteuersatz, um Haushalte mit hohen Einkom- vom Einkommen und unabhängig vom gewählten men stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens Verkehrsmittel. In seiner Höhe muss das neue Mobili- zu beteiligen. Dieser gestiegene Spitzensteuersatz soll tätsgeld mindestens einer Anhebung der bisherigen dann erst bei höheren Einkommen fällig werden als Pendlerpauschale von 30 auf 40 Cent je Kilometer bisher. entsprechen. Um Menschen nicht zu benachteiligen, die aufgrund ihres geringen Einkommens keine oder WIEDERERHEBUNG DER VERMÖGENSTEUER, GE- nur wenig Einkommensteuer zahlen, muss das Mobili- RECHTE BESTEUERUNG VON ERBSCHAFTEN tätsgeld gutgeschrieben und ggf. als negative Steuer- zahlung ausgezahlt werden. Um die vermögendsten Bürger*innen an der Finanzie- rung des Gemeinwesens gemäß ihrer Leistungsfähig- ABSCHAFFUNG DES EHEGATTENSPLITTINGS, keit zu beteiligen, fordern wir, die Vermögensteuer ABER MIT BESTANDSSCHUTZ wieder zu erheben. Mit ausreichenden Freibeträgen wird sichergestellt, dass nur große Vermögen der Be- Von der Besteuerung nach dem Ehegattensplittingtarif steuerung unterliegen. Außerdem fordern wir eine ver- profitieren insbesondere Ehen, bei denen das Einkom- fassungskonforme Reform der Erbschaftsteuer, die auf men ungleich zwischen den Ehepartnern verteilt ist. eine Ungleichbehandlung von Vermögen verzichtet. 12
Das Ehegattensplitting reduziert den Anreiz für die KINDERFREIBETRAG ABSCHAFFEN, KINDERGELD Ehepartner dem mit geringeren Einkommen, eine FÜR ALLE ERHÖHEN Erwerbsarbeit aufzunehmen oder diese auszuwei- ten. Das betrifft in der Realität in den meisten Fällen Der Kinderfreibetrag bewirkt, dass Kinder im aktuell Frauen. Wir fordern eine Abschaffung des Ehegatten- geltenden Steuerrecht in Abhängigkeit vom Einkom- splittings und den Übergang zu einer Individualbe- men der Eltern unterschiedlich steuerlich berücksich- steuerung. Dabei muss der Grundfreibetrag eines tigt werden. Familien mit hinreichend hohen Einkom- Ehepartners auf das Einkommen des anderen Partners men profitieren vom Kinderfreibetrag, der dann höher übertragbar sein. Für Ehen, die vor einem Stichtag ausfällt als das Kindergeld. Um diese eklatante Un- geschlossen worden sind und die sich bereits in der gerechtigkeit zu beheben, fordern wir, den Kinderfrei- Vergangenheit für die gemeinsame Veranlagung ent- betrag abzuschaffen. Gleichzeitig muss das Kindergeld schieden haben, fordern wir einen Bestandsschutz. für alle erhöht werden. Das heißt, dass diese Ehepaare auch weiterhin die Be- steuerung nach dem Splittingtarif wählen können. Alle später geschlossenen Ehen sollen dann automatisch der Individualbesteuerung mit übertragbarem Grund- freibetrag unterliegen. Mit Mut für ein modernes Europa Mit der Corona-Krise hat die Europäische Union nochmals eine Begründung erfahren. Ein Virus, das keine Grenzen kennt, lässt sich eben nicht rein national bekämpfen. Das gilt für die Vorbeu- gung gesundheitlicher Pandemie-Folgen genauso wie für die wirtschaftlichen und sozialen Fol- gen. Unsere Forderungen: EINSATZ FÜR EIN WIRKLICH SOZIALES EUROPA von Informationsrechten für Europäische Betriebsräte. Konzerne sollen Maßnahmen zukünftig nicht umset- Wir setzen uns für die Umsetzung der 20 Grund- zen dürfen, bis der Europäische Betriebsrat seine Be- sätze der europäischen Säule sozialer Rechte in ganz ratungen abgeschlossen hat (Unterlassungsanspruch). Europa ein. Wir brauchen faire Arbeitsbedingungen, Es braucht zur Stärkung der Gremien außerdem ein Sozialschutz und soziale Inklusion. Wir brauchen eine gestärktes Hinzuziehungsrecht für Gewerkschaften. Arbeitslosenrückversicherung zur Stützung von Mit- gliedsstaaten in wirtschaftlichen Krisenzeiten und EINSATZ FÜR EIN VERANTWORTLICHES EUROPA Programme zur Finanzierung von Kurzarbeitergeld. IN DER WELT Instrumente wie SURE sind gute Ansätze für eine ge- lebte europäische Solidarität und müssen weiter aus- Wir wollen ein europäisches Lieferkettengesetzes, das gebaut werden. Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette mit muss wirkungsvoll bekämpft werden. Sanktionen belegt, sofern keine Abhilfe geleistet wird. Zukünftige Freihandelsverträge der EU müssen auch EINSATZ FÜR EIN MITBESTIMMTES EUROPA soziale, umweltpolitische und menschenrechtliche Schutzmechanismen beinhalten. Wir brauchen eine Stärkung der Mitbestimmung durch wirksame Umsetzung des Company Law Package. EINSATZ FÜR EINE NACHHALTIGE INDUSTRIE- Zwar wurde die grenzüberschreitende Mitbestimmung POLITIK, DIE WOHLSTAND UND ARBEITSPLÄTZE durch das Paket gestärkt, aber noch immer gibt es zu SCHAFFT viele Schlupflöcher bei der Umwandlung von Unter- nehmen oder dem zeitlich begrenzten Schutz von Beim Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Coro- Mitbestimmung bei Abwanderung in einen anderen na-Pandemie im Rahmen von „Next Generation EU“ EU-Mitgliedstaat. Ausnahmen der Mitbestimmung wie muss die angestrebte Resilienz auch zukunftsfähige bei der Umwandlung in Europäischen Aktiengesell- Arbeitsplätze beinhalten. schaften müssen verhindert werden. Wir brauchen au- ßerdem ein verbessertes Recht bei der Durchsetzung 13
Wir wollen eine europäische Industriepolitik, die den NOVELLIERUNG DES EU-BEIHILFERECHTS Klimawandel und gute Arbeitsplätze in gleicher Weise im Auge hat. Green Deal und Just Transition sind zwei Das europäische Beihilferecht muss so novelliert wer- Seiten derselben Medaille, eines funktioniert ohne das den, dass es nationale und europäische Ambitionen im andere nicht. CO2 und Klimaziele sowie alternative Strukturwandel unterstützt statt be- oder verhindert. Stoffeinsätze oder Änderungen an der Chemikalien- Etwa beim Umbau der deutschen Energiewirtschaft verordnung REACH müssen sich an wissenschaftlichen und dem Ausstieg aus der Kohleverstromung. Erkenntnissen und Machbarkeiten messen lassen. Es braucht einen klaren Maßnahmenpfad mit enger Begleitung aller zivilgesellschaftlichen Akteure und insbesondere der Gewerkschaften. Die Herausforde- rungen des Green Deals zum Umbau der europäischen Industrie müssen als Chance einer sozial-ökologischen Transformation gesehen werden und zugleich auch Motor für Innovationen sein. EUROPÄISCHE RESILIENZSTRATEGIE Europa muss Schlussfolgerungen aus der Corona-Pan- demie ziehen. Wir sind in wichtigen Kompetenzfeldern zu abhängig von außereuropäischen Playern. Dafür brauchen wir europäische Lösungen – bei der Herstel- lung von Gesundheitsprodukten genauso wie bei der Vorsorge gegen künftige Pandemien. Und wir brau- chen mehr Ehrlichkeit: Es wird uns buchstäblich etwas kosten – genauso, wie die „große Transformation“ von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft insgesamt. Hier gehören alle Interessengruppen der Gesundheitswirt- schaft, Politik und Sozialpartner an einen Tisch, um langfristig tragfähige Forschungs-, Versorgungs- und nicht zuletzt Finanzierungskonzepte zu entwickeln. MIT MUT AUS DER KRISE Die Corona-Pandemie hat vieles in Frage gestellt, was zuvor gesichert und selbstverständlich schien. Aber eines hat erneut Bestätigung gefunden. Das ist die gewerkschaftliche Idee von einer solidari- schen Gestaltung von Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer Gerechtigkeit. Gerade in dieser Krise ist der Wert gewerkschaftlicher Gestaltungs- und Durchsetzungskraft – im Zusammenspiel mit staat- licher Handlungsfähigkeit – noch einmal augenscheinlich dokumentiert. Im Geist der Solidarität wollen und können wir aber nicht nur die Krise bewältigen. Im Geist der Solidarität wollen und können wir auch die großen Aufgaben der Transformation bestehen. Wir wollen mit Mut aus der Krise. Wir wollen mit Mut in eine gute Zukunft. WIR WOLLEN MIT.MUT.MACHEN.
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