MIT POSITIVEM DESIGN ZU INDIVIDU-ELLEM UND GESELLSCHAFTLICHEN MEHRWERT? - FHNW
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MIT POSITIVEM DESIGN ZU INDIVIDU- ELLEM UND GESELLSCHAFTLICHEN MEHRWERT? Institut Visuelle Kommunikation Bachelor Thesis 2021 Schriftliche Thesis Arbeit Vorgelegt von: Vaidehi Hofer vaidehi.hofer@bluewin.ch Dalmazirain 32, 3005 Bern © 2021 FHNW / HGK / Vaidehi Hofer Mentorat: Dr. Invar Hollaus
Inhalt MIT POSITIVEM DESIGN ZU INDIVIDU- ELLEM UND GESELLSCHAFTLICHEN MEHRWERT? 1 EINLEITUNG 1.1 Begriffserklärung 1.2 Relevanz 2 POSITIVES DESIGN IM DETAIL 2.1 Theoretische Grundlagen 2.2 Anwendungen 3 KOMMERZIELLES POSITIVES DESIGN 3.1 Likes 3.2 Smiley 4 ALTERNATIVE DESIGNANSÄTZE 4.1 Spekulatives Design 4.2 Zusammenfassung 5 FAZIT 6 ANHANG 6.1 Literatur 6.2 Websites 6.3 Abbildungsnachweis 6.4 Eidesstattliche Erklärung
7 1. EINLEITUNG 1.1 Begriffserklärung der das Delft Institute of Positive Design verfolgt. Andererseits soll Design, das glücklich machen und die Welt verbessern aktives Positive Design als Bestandteil im Designprozess alltägli- kann. Positive Design, ein relativ junger Begriff, der erst in den cher Technologien eingebunden werden, obwohl diese Technologi- letzten Jahren vermehrt Verwendung gefunden hat, verspricht viel; en eine andere Primärfunktion haben. 02 er soll einen positiven Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden von Individuen und Gemeinschaften haben. Das klingt natür- Auch der Begriff Wellbeing, also Wohlbefinden, wird im lich verheissungsvoll. Doch was ist mit positivem Einfluss genau Zusammenhang mit positivem Design genannt. Hier wird Bezug gemeint und wie ist es möglich, subjektives Wohlbefinden zu mes- auf die positive Psychologie genommen. Diese legt die Forschungs- sen? interessen darauf, was Menschen glücklich und zufrieden macht. Der Begriff Positive Psychology wurde im Jahr 1954 erstmals von Eine erste Frage stellt sich bereits bei der Definition von Abraham Maslow verwendet und nach über vierzig Jahren, Ende Positiv. Denn der Begriff suggeriert, dass es ein Gegenstück gibt der 90er Jahre von Martin Seligman in seiner Antrittsrede als neu – das Negative. Sicherlich sollte jedes Design auf die eine oder gewählter Präsident der American Psychological Association (USA) andere Weise eine positive Wirkung haben und nicht zu negativen erneut aufgegriffen. Dabei forderte Seligman eine Umorientierung Konsequenzen führen. der defizitorientierten negativen Psychologie hin zur ressourceno- Pieter M. A. Desmet und Anna E. Pohlmeyer der Delft Uni- rientierten positiven Psychologie. 03 versity of Technology (Niederlande), die hauptsächlich den Bereich Der Ansatz, dass ein Ziel – im Falle von positiver Psycho- von Produkt- und Industriedesigns untersuchen, argumentieren logie Glück – angestrebt wird, ohne dass ein vorgängiges Prob- im Wesentlichen damit, dass beispielsweise in der Forschung der lem – beispielsweise eine Depression – besteht, ist also bereits in Ergonomie schon lange anerkannt ist, dass Komfort nicht lediglich der positiven Psychologie verankert und von dort in das positive die Abwesenheit von Diskomfort bedeutet. Ein problemorientier- Design übertragen worden. tes Design würde also versuchen, Diskomfort zu beheben, wäh- Positive Psychologie nahm ihren Anfang als empirische rend ein möglichkeitsorientiertes Design versuchen würde, den Wissenschaft offiziell im Jahr 1998 mit Seligmans Ansprache. Mit Komfort zu erhöhen. Ebenso wenig ist demnach positives Design ihren Ideen ist sie in der Geschichte der wissenschaftlichen Psy- dazu da, Unglück zu reduzieren, sondern Glück zu fördern. 01 Posi- chologie jedoch nicht neu. Ihre Sichtweisen knüpfen an jene der tives Design soll demnach über die Grenzen von herkömmlichem humanistischen Psychologie an. Diese beruht auf dem Humanis- lösungsorientiertem Design hinausgehen und stattdessen Mög- mus, einer philosophischen Strömung des 18. Jahrhunderts, die lichkeiten schaffen. ihrerseits auf die antiken philosophischen Schriften von Aristote- les über Glück, Sinn, Tugend und Moral zurückgreift. Humanismus Ein weiterer Bereich, in dem sich Positives Design in den hat das Ziel für die Menschheit zu einer optimalen Existenzform letzten fünf Jahren etabliert hat, ist UX-Design, also User Expe- zu finden. Humanismus hat das Ziel eine optimalen Existenzform rience Design. UX-Design hat für Userinnen und User ein posi- für die Menschheit zu finden. 04 Ein wesentlicher Unterschied der tives Erlebnis von Webseiten und modernen Technologien zum positiven Psychologie gegenüber der humanistischen Psychologie Ziel. An dieser Stelle werden bezüglich des positiven Designs zwei stellt jedoch das Bemühen der Ersteren um eine wissenschaftliche Unterscheidungen postuliert: Einerseits bestehe positives Design Fundierung auf breiter Basis dar. 05 darin, Technologien zu entwickeln, deren Hauptaufgabe es sein Dass Begriffe wie Positive Psychology und Positive Design soll, menschliches Wohlbefinden zu fördern. Also derselbe Ansatz, hauptsächlich in Englisch formuliert sind, rührt in erster Linie 0 1 Desmet, Pieter M. A. / Pohlmeyer, Anna. E.: Positive design: An introduction to 02 Webseite: t3n, UX-Design: Glücklichere User durch positives Webdesign (29.03.2021). design for subjective well-being. International Journal of Design, 2013, S. 11. 03 Webseite: Wikipedia, Positive Psychologie (29.03.2021). 04 Webseite: Wikipedia, Humanismus (29.03.2021). 05 Webseite: INNTAL INSTITUT, Positive Psychologie – und warum sie mehr ist als Happyologie (29.03.2021).
Einleitung 9 daher, dass einerseits die positive Psychologie durch Seligman in Zu veranschaulichen ist dies mit dem Beispiel unseres Ver- den USA ihre empirischen Anfänge nahm, sowie beispielsweise die langens nach Fett und Zucker. Einst waren diese bei Nahrungs- Visuelle Kommunikation als Forschungsgebiet im deutschsprachi- knappheit wichtige Energiequellen. Heute jedoch, wo wir vor allem gen Raum jünger ist als im anglo-amerikanischen. 06 in der westlichen Welt praktisch uneingeschränkten Zugang zu Fett und Zucker haben, führt dies zum momentan weltweit gröss- 1.2 Relevanz ten gesundheitlichen Problem – der Fettleibigkeit. Positives Design soll also zu mehr Wohlbefinden führen, So waren einst auch dramatische Geschichten und Klatsch doch weshalb ist das überhaupt nötig? Design hat ja ohnehin die einzigen Quellen von Nachrichten. In der digital vernetzten bereits einen generellen Anspruch an Qualität und dies setzt im und globalisierten Welt der heutigen Zeit hat ein grosser Teil der weitesten Sinne ja auch etwas Positives voraus. Weltbevölkerung rund um die Uhr freien Zugang zu jeglicher Art von Informationen und Nachrichten. Dieser Überfluss an Nach- Im Buch Factfulness von Hans, Anna und Ola Rosling wird richten und der Hang des Gehirns dazu, sich hauptsächlich die dargelegt, dass die meisten Menschen glauben, die Welt sei, was negativen einzuprägen und als wichtig zu erachten, führt zu einer beispielsweise Gewalt, Ungerechtigkeit, Bildung, Gesundheit und verfälschten, zu negativen Weltsicht. 11 Armut betrifft, in einem weitaus dramatischeren Zustand, als sie Eine Schwierigkeit, die sich hier sicherlich ergibt, ist die es tatsächlich ist. 07 Balance zwischen Belanglosem und Positivem zu finden. Es liegt Einerseits liegt dies an der Art, wie Medien funktionieren, durchaus auf der Hand, dass Missstände eher kommuniziert wer- das heisst, an der Notwendigkeit ein möglichst grosses Ausmass den sollten, da eine gewisse Dringlichkeit darin besteht, diese zu an Aufmerksamkeit zu erzeugen, was eine Fokussierung auf nega- beheben. tive Meldungen bewirkt. Darüber hinaus besteht ein Trend, nach dem Medien in den letzten Jahren die negativen Ereignisse auf der Doch was hat das nun mit Design und insbesondere mit Welt vermehrt hervorgehoben haben. 08 Obwohl die Medien für die positivem Design zu tun? Design hat vermutlich nicht die Kraft, Ansicht, wie wir die Welt wahrnehmen eine Rolle spielen, sind sie die grundlegende Weltsicht von Menschen zu ändern. Jedoch sind aber nicht allein dafür verantwortlich zu machen. wir trotzdem – ob bewusst oder unbewusst – geprägt von visuellen Eine Erklärung für die, gemessen an den Fakten, zu nega- Eindrücken, die uns im Alltag umgeben. Wie das Zitat von Victor tive Wahrnehmung liegt in der Funktionsweise des menschlichen Papanek, der als Pionier des sozialen Designs gilt, zudem besagt: Gehirns. Denn dieses neigt dazu, auf negative Eindrücke stärker « Design ist nie neutral ». Design ist demnach immer unvermeidlich zu reagieren als auf positive. 09 politisch, da es unsere materielle und visuelle Welt beeinflusst. 12 Die Entwicklung des menschlichen Gehirns verläuft in Das Wissen darüber, dass das menschliche Gehirn für sehr langen Zeiträumen. Das heisst, wir sind immer noch geprägt Negatives empfänglicher ist als für Positives, ist natürlich für die von Instinkten, die unseren Vorfahren vor Tausenden von Jahren Welt der Gestaltung ein wichtiger Faktor. Nicht zuletzt, da Emoti- halfen zu überleben, indem das Gehirn als Gefahrensensor funkti- onen häufig visuell vermittelt werden und Bilder somit emotionale onierte. Wir besitzen demzufolge ein katastrophisches Gehirn, es Reaktionen auslösen können. Emotionen sowie Bilder unterschei- ist stets auf das Schlimmste gefasst. Nun leben wir aber in einer den sich insofern von textueller Kommunikation, als dass sie einer anderen Wirklichkeit und das, was für die Menschen im Pleisto- assoziativen Logik zugrunde liegen. Das heisst, dass Gefühle und zän überlebenswichtig war, funktioniert in unserer heutigen Welt Emotionen visuell einfacher kommuniziert werden können, als nicht mehr gleich. 10 dies in sprachlicher Form möglich wäre. Die Reflexion über den 0 6 Kappas, Arvid / Müller, Marion G.: Schwerpunkt »Emotionalisierung 11 Rosling, Hans / Rosling, Anna / Rosling, Ola: Factfulness, Wie wir lernen, die Welt durch Bilder«. Publizistik, 2006, S. 3. so zu sehen, wie sie wirklich ist. Ullstein, 2019, S. 27. 07 Rosling, Hans / Rosling, Anna / Rosling, Ola: Factfulness, Wie wir lernen, die Welt 12 Webseite: Vitra Design Museum, « Design ist nie neutral » (29.03.2021). so zu sehen, wie sie wirklich ist. Ullstein, 2019, S. 20. 08 Lengauer, Günther / Esser, Frank / Berganza , Rosa: Negativity in political news: A review of concepts, operationalizations and key findings. Sage Journals, 2011 S. 181 – 202. 09 Webseite: Der Tagesspiegel, Menschen reagieren stärker auf schlechte Nachrichten als auf gute (29.03.2021). 10 Ernst, Heiko: Psychologie heute, Warum positive Gefühle so wichtig sind. Verlagsgruppe Beltz, 2006, S. 1.
Einleitung 11 Prozess, bei dem Bilder Emotionen auslösen können, geschieht in der westlichen Kultur nur selten. 13 Die Visuelle Kommunikation könnte hier also im Zusam- menhang mit positivem Design insofern einen Einfluss haben, als dass eine Reflexion darüber stattfinden kann, wie sich die Gestal- tung in der Welt positioniert und welche Wirkung sie auf Betrach- tende ausüben kann. 13 Kappas, Arvid / Müller, Marion G.: Schwerpunkt »Emotionalisierung durch Bilder«. Publizistik, 2006, S. 3.
13 2. POSITIVES DESIGN IM DETAIL 2.1 Theoretische Grundlagen Fünf Merkmale werden genannt, die eine Unterscheidung Positives Design soll also das subjektive Wohlbefinden stei- von positivem Design zu bestehenden Designansätzen ermöglicht. gern. Doch wie ist dieses messbar? Grundsätzlich unterscheiden Positives Design sollte demnach auf Möglichkeiten ausgerichtet sich Vorlieben, Werte und Bestrebungen von Mensch zu Mensch. sein, nach Ausgewogenheit streben, eine persönliche Anpassung Trotzdem identifiziert die positive Psychologie Muster, die allge- ermöglichen, die aktive Beteiligung von Benutzerinnen und Benut- mein anwendbar sind. 14 zern fordern und die Mittel für eine langfristige und nachhaltige Veränderung bieten. Nach Dr. Martin Seligman gibt es fünf messbare Faktoren, Das Delft Institute of Positive Design erachtet es als wich- die das menschliche Wohlbefinden ausmachen: 15 tig, dass Design eingeordnet werden kann. Denn, obwohl der Begriff Positve Design relativ jung ist, unterscheidet es sich nicht 1. Positive Emotionen (wie man sich gut fühlt) zwingend von bereits bestehenden Gestaltungsergebnissen. Ziel 2. Engagement (wie man vollständig in Aktivitäten aufgeht, auch des Instituts ist es jedoch, dass eine Unterscheidung in Bezug auf bekannt als sogenannten Flow-Zustand) den Prozess gemacht wird, die eine Einordnung des Gestaltungs- 3. Beziehungen (wie man mit anderen verbunden ist) ansatzes ermöglicht. Dies soll jenen eine Hilfestellung bieten, die 4. Sinn (wie man eine zielgerichtete Existenz führt) explizit für das subjektive Wohlbefinden gestalten oder die Aus- 5. Erreichen (wie Ziele erreicht werden) wirkungen von Design auf das Glück der Menschen untersuchen möchten. Mit diesen Rahmenwerten aus der positiven Psychologie Das Bedürfnis nach solch neuen Perspektiven zeigen eine als Grundlage, liegen dem positiven Design drei Hauptbestandtei- wachsende Anzahl von Design-Initiativen, wie beispielsweise der le zugrunde, die auf philosophischen und psychologischen Klassi- INDEX Design Award, der Event What Design Can Do und das fikationen beruhen. Das Delft Institute of Positive Design aus den The Designers Accord Project. Ebenso gibt es in der Designfor- Niederlanden fasst die Hauptkomponenten des subjektiven Wohl- schung aufkommende Ansätze zu diesem Thema. Einer davon befindens in drei Begriffen zusammen: Vergnügen, persönliche ist die Publikation Designing for wellbeing der Aalto Universität Bedeutung und Tugend. Design, welches diese drei Komponenten aus Finland. 17 Die Publikation ist einerseits ein Bericht über die enthält, entspricht demnach positivem Design. Somit geht positi- sogenannten 365 Wellbeing-Projekte, die Teil des Helsinki World ves Design über das reine kurzfristige Vergnügen hinaus. 16 Die ers- Design Capital 2012 Programms waren, schildert zudem Gedan- te Komponente, das Vergnügen, unterscheidet vier verschiedene ken von Forschenden über das zunehmende Interesse von Design Arten in Bezug auf Mensch und Design: physisches, soziales, psy- an öffentlichen Wohlfühlleistungen und ist ausserdem eine Samm- chologisches und ideologisches Vergnügen. Bei der persönlichen lung von Vorschlägen von Studierenden für neue Dienstleistungen Bedeutung, der zweiten Komponente des subjektiven Wohlbefin- und Lösungen im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden. In der dens, liegt der Fokus auf persönlichen Zielen und Bestrebungen, Publikation wird beschrieben, wie Design für das Wohlbefinden seien diese lang- oder kurzfristig. Und die Tugend, die dritte Kom- als ein breites Spektrum von Aktivitäten gesehen werden kann, ponente, basiert auf der Annahme, dass es eine ideale Verhaltens- welches Probleme in Systemen identifiziert und technische Lösun- weise gibt, nach der die Menschen streben sollten, damit dies zu gen und Praktiken für diese findet, um auf diese Weise eine Ver- einem tugendhaften Leben von einzelnen Individuen oder Gesell- besserung des menschlichen Lebens zu erreichen. 18 Der Ansatz schaften führen kann. Design kann demgemäss die Bemühungen ist hier also darauf ausgerichtet, Probleme zu beheben, anstatt – der Menschen, ein tugendhaftes Leben zu führen, unterstützen. unabhängig von Missständen – nach Möglichkeiten zu suchen. 14 Desmet, Pieter M. A., / Pohlmeyer, Anna. E.: Positive design: An introduction to 17 Desmet, Pieter M. A. / Pohlmeyer, Anna. E.: Positive design: An introduction to design for subjective well-being. International Journal of Design, 2013, S. 12. design for subjective well-being. International Journal of Design, 2013, S. 6, 8, 11. 15 Webseite: Positive by Design, What is Positive Design? (29.03.2021). 18 Keinonen, Turkka / Vaajakallio, Kirsikka / Honkonen, Janos: Designing for well- 16 Desmet, Pieter M. A. / Pohlmeyer, Anna. E.: Positive design: An introduction to being. Aalto University, Helsinki, 2013, S. 6, 9. design for subjective well-being. International Journal of Design, 2013, S. 5.
Positives Design im Detail 15 Weitere Publikationen im Bereich der Designforschung, an ein positiver Einfluss auf Routinen genommen werden kann. Die denen sich positives Design orientiert, beziehen sich beispielswei- Publikation geht also davon aus, dass unser Wohlbefinden bis zu se auf sozial nachhaltige Innovationen oder auf Design für sozi- 40 % von Design beeinflusst werden kann. 21 al verantwortliches Verhalten. So wird unter anderem das Thema Eine andere Meinung vertritt das Delft Institute of Positi- angesprochen, dass Designerinnen und Designer in den letzten ve Design, das sich ebenfalls auf die Grundlage von Sonja Lyubo- hundert Jahren aktiv an einem System beteiligt waren, das mög- mirsky bezieht. Das Institut ist der Meinung, dass das Potential lichst den Konsum fördern sollte, und so Teil der Wegwerfgesell- des Positiven Designs im Punkt Lebensumstände liegt und Design schaft waren und somit zum drohenden Klimawandel beitrugen. 19 somit lediglich bei 10 % des subjektiven Wohlbefindens angesiedelt Designerinnen und Designer sehen es deshalb zunehmend als Auf- ist. Studien haben gezeigt, dass das subjektive Wohlbefinden der gabe ihrer Arbeit, Gutes für die Gesellschaft zu tun. Dies scheint Menschen mit der Zunahme von Produkten, die den Alltag verein- sich in zwei Arten zu manifestieren. Einerseits setzen Gestalten- fachen (wie beispielsweise Geschirrspüler und Smartphones), nicht de ihren Fokus bei der Produktentwicklung vermehrt auf soziale nachhaltig gestiegen ist. Das heisst, der Einfluss von (Produkt-) Aspekte und andererseits werden zunehmend gestalterische Res- Design auf das Wohlbefinden scheint eher gering zu sein. 22 sourcen darauf verwendet, soziale Missstände anzugehen. Konven- Das Handbuch Design for Wellbeing, Ein neues Denken für tionelle Methoden, wie Design Thinking werden auf soziale Prob- Innovation beschreibt eine eher oberflächliche Herangehensweise, lemstellungen angewendet. 20 die sich an Ideen von Design Thinking anlehnt, für das Entwerfen Diese Grundgedanken spielen für das positive Design eine von kommerziellen Produkten. wichtige Rolle. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass die Idee von positivem Design über das Verständnis von Design als 2.2 Anwendungen problemsolving, also problemlösend, hinausgehen soll. Konkrete Anwendung der deutschen Literatur zu Positive Design lassen sich momentan noch selten finden. Anwendungen Ansätze zu positivem Design, die nicht nur durch das Delft der Theorien des Delft Institute of Positive Design finden sich Institute of Positive Design festgelegt wurden, stellt beispielsweise hauptsächlich in kommerziellen Bereichen. So werden beispiels- das Handbuch Design for Wellbeing, Ein neues Denken für Innova- weise Unternehmensberatungen und individuelle psychologische tion dar. Es ist eine Publikation aus dem deutschsprachigen Raum Coachings sowie Dienstleistungen im Bereich von Produktdesign und entstand aus einer gemeinsamen Initiative der Universität Sie- angeboten. gen, der Happiness Research Organisation und den Designbüros Ausserdem finden die Ansätze des Delft Institute of Posi- Noto und ixdp. Das Handbuch beschreibt, dass die Voraussetzun- tive Design Anklang beim UX-Design und es hat sich der Begriff gen für Wohlbefinden gemäss der Psychologin Sonja Lyubomirsky Positive-UX-Design etabliert. 23 unterschiedlich stark durch verschiedene Aspekte geprägt sind: Die Datenanalyse über die Nutzung von Technologien und sozialen Medien und somit der Verkauf dieser Daten für die Nut- • 50 % Gene zung zugeschnittener Werbung ist inzwischen zu einem riesigen • 40 % Aktivitäten Markt herangewachsen. So werden Menschen mit subtilen psy- • 10 % Lebensumstände chologischen Tricks dazu gebracht, Gewohnheiten zu entwickeln, die sie dazu bringen, gewisse Technologien möglichst oft zu nut- Ziel soll es gemäss dem Handbuch sein, beim Punkt Akti- zen. Aus diesem Grund ist es für den Bereich des User Experience vitäten anzusetzen, indem durch die Gestaltung von Aktivitäten Designs hoch interessant, was Nutzerinnen und Nutzer als 19 Manzini, Ezio: Design Research for Sustainable Social Innovation. Michel R. (eds) 21 Becker, Melanie / Cürlis, Diana / Erdtmann, Stephan / Frackenpohl, Thorsten / Design Research Now, Board of International Research in Design, Birkhäuser Basel, Hassenzahl, Marc / Klapperich, Holger / Köhler, Henning / Ludwigs, Kai / Quednau, Jan / 2007, S. 233. Quednau, Jan / Stier, David / Tippkämper, Marius: Design for Wellbeing, Ein neues Denken 20 Tromp, Nynke / Hekkert, Paul / Verbeek, Pieter P.: Design for Socially Responsible für Innovation. Förderprojekt CreateMedia.NRW, 2018, S. 9. Behavior: A Classification of Influence Based on Intended User Experience. Design 22 Desmet, Pieter M. A. / Pohlmeyer, Anna. E.: Positive design: An introduction to Issues, The MIT Press, 2011, S. 3 design for subjective well-being. International Journal of Design, 2013, S. 5. 23 Webseite: t3n, UX-Design: Glücklichere User durch positives Webdesign (29.03.2021).
Positives Design im Detail 17 positives Designerlebnis betrachten. Die Motivation dahinter ist also nicht mehr, Menschen lediglich glücklich zu machen. Es geht dabei hauptsächlich um wirtschaftliche Interessen.
19 3. KOMMERZIELLES POSITIVES DESIGN 3.1 Likes Ein Beispiel dafür ist der Like-Button, der von Justin Rosen- stein im Jahr 2007 für Facebook entwickelt wurde. Ein Jahrzehnt später hält sich die Begeisterung von Rosenstein für seine Erfin- dung in Grenzen. Die ursprüngliche Idee sei es gewesen, kleine Stü- cke von Positivität über die Plattform zu senden. Das Engagement auf Facebook stieg sprunghaft an, da die Menschen offenbar das Geben und Empfangen kurzfristiger sozialer Bestätigung genos- sen. Facebook sammelte währenddessen wertvolle Daten über die Vorlieben der Nutzerinnen und Nutzer und verkaufte diese Daten wiederum an Werbeunternehmen. Die Idee wurde bald von ande- ren sozialen Netzwerken wie Twitter oder Instagram kopiert. Tristan Harris, ein Absolvent der Stanford University stu- dierte bei BJ Fogg, einem Verhaltenspsychologen, der in Tech-Krei- sen dafür verehrt wird, wie man technisches Design nutzen kann, um Menschen zu beeinflussen. Harris erklärt, dass das verfüh- rerische Design der Gefällt-mir-Funktion dieselbe psychologische Anfälligkeit ausnutzt, wie diejenige, die Glücksspiele so zwanghaft macht; die potentielle Belohnung, die jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen eintrifft. Chris Marcellino war Anfang zwanzig, als er für Apple an der Entwicklung der Push-Benachrichtigungstechnologie arbei- tete, die 2009 eingeführt wurde. Ihm sei es von Anfang an um das Positive gegangen und darum Apps zu entwickeln, die einen gewinnbringenden Nutzen haben. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, Menschen mit den Applikationen süchtig zu machen. Heute jedoch weiss er, dass diese Technologien die glei- chen neurologischen Bahnen beeinflussen können, wie Glücks- spiel und Drogenkonsum. Weshalb Tech-Firmen also trotzdem keinen Skrupel besitzen, ihre Produkte auf manipulative Weise an die Menschen zu bringen, erklärt sich Chris Marcellino folgender- massen: «It is not inherently evil to bring people back to your pro- duct, it’s capitalism». 24 Auch Roger McNamee, ein Risikokapitalgeber, der von seinen Investitionen in Google und Facebook enorm profitierte, schliesst sich weitgehend dieser Meinung an und ist dennoch ent- täuscht von den beiden Unternehmen. Er argumentiert, dass die 24 Webseite: The Guardian, Our minds can be hijacked: the tech insiders who fear a Abbildung 0 1 Facebook’s Hauptsitz in Menlo Park, California smartphone dystopia (29.03.2021).
Kommerzielles positives Design 21 ursprüngliche Vision der Unternehmen getrübt wurde durch das massnahmen und damit zusammenhängenden Entlassungen. Vermögen, das sie durch Werbung generieren konnten. Aus diesem Grund beauftrage das Unternehmen Harvey Ball, der Das Prinzip hinter der Gefällt-mir-Funktion ist nicht nur eine kleine Werbeagentur besass, damit, Ansteckbuttons zu gestal- in psychologischer Hinsicht kritisch zu betrachten. Es führt nicht ten, die die Arbeitsmoral der Angestellten steigern sollte. Auf den nur dazu, dass es Menschen von sozialen Medien abhängig macht, Ansteckbuttons sollte etwas drauf sein, das die Mitarbeitenden sondern erzeugt durch absurde Schönheitsideale oder unrealisti- zum Lachen bringen würde. So entwarf Harvey Ball das lachende sches Streben nach sozialem Status enormen sozialen Druck. Gesicht auf gelbem Hintergrund. Zudem führt das Prinzip zu einer wachsenden Polarisierung von Wenngleich es sich dabei um ein so anspruchsloses Design Meinungen. Ein politischer Tweet, der rational und faktisch argu- handelt, funktionierte die Idee und fand Anklang bei den Ange- mentiert, wird in der Regel nicht annähernd so oft geliked, wie stellten. So grossen Anklang, dass innerhalb kurzer Zeit Tausende extreme und polarisierende Aussagen, besonders zu politisch auf- von Bestellungen für die Ansteckbuttons eingingen. geladenen Themen, wie Migrations- oder Klimapolitik. 25 In den USA tauchten weitere Smiley-Designs auf, wie bei- spielsweise von David Stern oder den Brüdern Bernard und Mur- So ist unsere Meinungsbildung nicht nur insofern beein- ray Spain. Der Smiley wurde kurzum zur Modeerscheinung und flusst, als dass wir uns negative Nachrichten eher einprägen als traf die Stimmung einer amerikanischen Öffentlichkeit, die sich positive, sondern auch durch eine falsche Repräsentation von nach den 1960er Jahren nach einem Wohlfühl-Symbol sehnte. 27 Likes auf sozialen Medien. Obwohl Gefällt mir an sich ja eine posi- Auch in Europa waren Anfang der 1970er Jahre fröhliche- tive Botschaft ist, hat sie erhebliche negative Konsequenzen her- re Töne gefragt. In Frankreich wollte der Besitzer der Zeitung vorgebracht. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass der Idee France-Soir auf positive Nachrichten aufmerksam machen. So kein sozialer und selbstloser Ursprung zugrunde liegt. Von Anfang hatte der Unternehmensberater Franklin Loufrani die Idee, neben an sollte es ein Mittel sein, um das eigene Produkt populärer zu den erfreulichen Berichten ein Smiley-Gesicht zu setzen. Der dar- machen und zu fördern. aufhin gestaltete Smiley glich dem von Harvey Ball stark, unter- schied sich jedoch gerade genug, um sich rechtlich von der Version von Ball abzugrenzen. Da die Kampagne ein grosser Erfolg war, 3.2 Smiley gründete Loufrani die Firma Smiley Licensing Corporation und Ein weiteres kommerzielles Design, das grundsätzlich einen war damit die erste Person, die die Marke für die kommerzielle positiven Inhalt hat und dennoch inzwischen wie eine Floskel Nutzung registrierte. Bald meldeten sich viele Lizenznehmende wirkt, stellt der Smiley dar. und der Smiley wurde für Loufrani zu einer äusserst lukrativen Einnahmequelle. Owohl erste grafische Beispiele des heute bekannten Smi- Die Acid-House-Kultur der späten 1980er Jahre machte leys beispielsweise schon in den frühen 1950er Jahren auf Werbe- den Smiley zu ihrem Symbol. Dies führte aufgrund der Verbin- kampagnen für die Filme Lili und Gigi verwendet wurde, entstand dung der Musikbewegung mit Drogen zu einer negativen Konnota- das ursprüngliche Design vermutlich im Jahr 1963. 26 Die ameri- tion des Smileys und viele Läden boykottierten jegliche Produkte kanische Versicherungsgesellschaft State Mutual Life Assurance mit dem Symbol darauf. So erlebte Loufranis Unternehmen eine Company aus Worcester, Massachusetts, hatte mit dem Miss- kurzzeitige Geschäftsflaute. Nach dem Abflauen der Acid-House- mut von Mitarbeitenden einer kürzlich übernommenen Firma zu Kultur erholte sich das Unternehmen schnell wieder. kämpfen. Die Angestellten fürchteten sich vor Rationalisierungs- Nicolas Loufrani, der Sohn von Franklin Loufrani, über- 25 Webseite: Frankfurter Allgemeine, Leiden, Liebe, Likes (29.03.2021). 27 Webseite: The Guardian, A design for life (29.03.2021). 26 Webseite: Paul Hillary, Smiley – A brief history (29.03.2021).
Kommerzielles positives Design 23 nahm Ende der 1990 Jahre das Unternehmen und machte es zum Geschäftsmodell, jegliche Verwendung des Smileys vor Gericht zu bringen. Das Imperium versuchte, alles unter Copyright zu stellen, was möglich war. Die Rechte an Smileys wurden sogar an Produk- ten wie Tiersperma beantragt. Loufranis Unternehmen, das mitt- lerweile SmileyWorld heisst, machte im Jahr 2011 mit Lizenzpro- dukten Umsätze in der Höhe von etwa 100 Millionen US-Dollar. Da die Intuition, mit dem Smiley-Symbol möglichst viel Geld zu verdienen, nicht der ursprünglichen Idee von Harvey Ball entsprach, gründete dieser als Gegenmodell die «World Smile Cor- poration», deren Einnahmen aus Grusskarten und Ansteckbuttons für wohltätige Zwecke gestiftet wurden. 28 Der Smiley ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Symbol, das ursprünglich eine positive Intention beinhaltete, für einen rein kommerziellen Zweck genutzt werden kann. Dies führt dazu, dass das Produkt nicht mehr nur dort eingesetzt wird, wo es sinnvoll wäre und eine echte Nachfrage besteht, sondern es wird versucht, eine künstliche Nachfrage zu erzeugen und das Produkt ungefragt zu bewerben. Der Smiley ist mittlerweile bis in unser alltägliches Leben als Emoticon in Textnachrichten vorgedrungen. Wir sind uns das gelbe, grinsende Gesicht schon derart gewöhnt, dass es abgedroschen und belanglos wirkt. Und trotzdem ist etwas, das so simpel ist – ein einfaches grinsendes Gesicht aus zwei Punkten und einer Linie – immer noch ein allgegenwärtiges Zeichen, das eingesetzt wird, um positi- ve Emotionen zu kommunizieren. Ein Beispiel dafür ist die Aktion von Sabine Leu, der Initiantin der sogenannten Kreide-Aktion in gewissen Ortschaften in der Schweiz, die mit dem Aufmalen von Smileys mit Strassenkreide auf Vorplätzen von Altersheimen und einem Bahnübergang eine positive und aufmunternde Botschaft vermitteln will. 29 Die Beispiele der Gefällt-mir-Funktion und des Smileys zeigen, dass Designs mit der Zeit abgedroschen wirken oder sogar eine positive Wirkung völlig verfehlen können, wenn sie mit kommerziellen Zwecken und wirtschaftlichen Interessen ver- Abbildung 02 Paul Connors: Harvey Ball, 1998 (oben) 28 Webseite: Der Spiegel, Millionen für ein Lächeln (29.03.2021). Abbildung 03 Zeitung France Soir (unten) 29 Webseite: SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Mit Kreide gegen den Corona-Blues (29.03.2021).
Kommerzielles positives Design 25 bunden werden. Da die bisher genannten Designansätze zu posi- tiven Design sich ebenfalls eher im Spektrum des kommerziellen Gestaltens bewegen, stellt sich die Frage, ob positives Design nur eine leere Floskel bleibt.
27 4. ALTERNATIVE DESIGNANSÄTZE 4.1 Spekulatives Design Was wäre also die Alternative zu einem kapitalistischen, gewinnorientierten Design und ist es überhaupt möglich, sich in der Welt des Designs durchzusetzen, ohne ein ökonomisches Ziel zu verfolgen? Im Buch Speculative Everything werden zwei Designansät- ze unterschieden. Einerseits der, der Design als funktionale Prob- lemlösung betrachtet. Andererseits wird der Ansatz genannt, dass Design auch kritisch und hinterfragend sein kann. Der Ansatz dieses spekulativen Designs stellt eine wichtige Alternative zu bestehenden Normen dar. Es geht darum, anhand von Spekulation alternative Weltansichten aufzuzeigen und spekulative Szenarien zu erforschen. 30 In den 1970 Jahren galt Victor Papanek als Pionier des alter- nativen Designs und Vermittler eines neuen, kritischen Designver- ständnisses. Er hinterfragte die Vorstellung, dass Design lediglich ein Mittel zum Nutzen der kapitalistischen Konsumkultur sei. Er war der Überzeugung, dass Designerinnen und Designer die Welt verändern können, indem diese sozial integrativer gestaltet wird. Victor Papanek erkannte, dass durch Design gewisse Menschen einbezogen und andere ausgeschlossen werden, sei es durch den Preis, die Funktion oder die Zugänglichkeit. Mit Werken wie How Things Don’t Work, Design for Human Scale oder beispielswei- se der Arbeit We are all handicapped definierte er neue soziale Ansätze. 31 In den 1980er Jahren wurde Design jedoch in einem so grossen Ausmass kommerzialisiert, dass sozial orientierte Desig- ner wie Victor Papanek nicht mehr als interessant angesehen wur- den. Design wurde einzig und allein dem Potential untergeordnet, Wohlstand zu generieren. Design hielt somit Einzug in den Main- stream und alle anderen Möglichkeiten des Designs, die nicht gewinnbringend waren, wurden als irrelevant abgetan. Zudem siegte nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 der marktgesteuerte Kapita- lismus. Alternative Gesellschaftsmodelle kollabierten und es exis- tierten keine anderen sozialen oder politischen Modelle mehr, an denen sich Design hätte orientieren können. 30 Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social Abbildung 0 4 Victor Papanek: We are all handicapped, 1973 dreaming, The MIT Press, 2013, Acknowledgments. 31 Webseite: Vitra Design Museum, Victor Papanek, The Politics of Desig (29.03.2021).
Alternative Designansätze 29 Ein weiterer Aspekt ist die starke Zunahme der Individua- lisierung. Dies schafft auf der einen Seite mehr Freiheiten, doch überträgt es andererseits auch mehr Verantwortung das Individu- um und impliziert das Aufheben von Regulationen, die schwäche- re Menschen der Gesellschaft schützen. Auch das Aufkommen des Internets, das ein gezieltes und grossflächiges Vernetzen ermög- licht und existierende Grenzen auflöst, spielt hierbei eine Rolle. Ausgelöst durch die Finanzkrise im Jahr 2008 entstand wieder ein Interesse an Alternativen zum bestehenden System. Der Wunsch nach alternativen Lebensweisen für unser wirtschaft- liches Modell und die Beziehung zwischen der Regierung, dem Markt, der Bevölkerung und Konsumierenden wächst. Die Methodiken von visionären Designern wie Victor Papa- nek, können unmöglich unverändert in unsere heutige Zeit über- nommen werden, da wir inzwischen in einer ganz anderen Welt leben. Jedoch können wir auf den Ideen und Ansätzen aus diesem Bereich anknüpfen, was aber eine neue Interpretation von Design in Bezug auf Ideologie und Werte verlangt. Dies stellt eine beson- dere Herausforderung dar, denn normalerweise arbeiten Designe- rinnen und Designer für eine Kundschaft, die zum Ziel hat, die Menschen zu mehr Konsum zu ermutigen. Obwohl es auf einer systemischen Ebene operiert, unter- scheidet sich Speculative Thinking von Design Thinging und Social Design. Design Thinking befasst sich mit dem Lösen von bestehenden Problemen und obwohl sich Social Design von einer rein kommerziellen Motivation entfernt, liegt sein Fokus ebenfalls darin, bestehende Probleme zu beheben. Sobald sich Design vom Grundsatz, ein Problem lösen zu müssen, entfernt, begibt man sich es in den Bereich des Unwirk- lichen, Fiktiven oder des konzeptionellen Designs, also Design über Ideen. Der Grundsatz des konzeptionellen Designs ist es, einen alternativen Kontext zu bieten zu Design, das vollständig von Marktkräften angetrieben ist. Beispiele dafür ist die Arbeit The Quantum Parallelograph von Patrick Stevenson-Keating oder MTKS-3/The Meta-territorial Kitchen, System-3 von Marti Guixé. 32 Grafikdesign hat eine lange Tradition des Experimen- tierens mit Ideen und dem Schaffen von kritischen Kontexten. 32 Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social Abbildung 05 Patrick Stevenson-Keating: The Quantum Parallelograph, 2011 (oben) dreaming, The MIT Press, 2013, S. 8, 9, 11, 12, 14, 159, 160. Abbildung 06 Martí Guixé, MTKS-3: The Meta-territorial Kitchen, System-3, 2003. Foto: Imagekontainer/Inga Knölke (unten)
Alternative Designansätze 31 Studios und Designer wie Abäke, Metahaven und Daniel Eatock arbeiten beispielsweise stark konzeptionell. In der Arbeit Facesta- te kritisiert das Studio Metahaven die verschwimmenden Grenzen zwischen Konsum und Staatsbürgerschaft, insbesondere in Bezug auf durch Regierungen eingesetzte soziale Software für stärkere Transparenz und Interaktion. Die Kritik zeigt Metahaven in einer Form visualisiert, die einer kommerziellen Corporate-Identity gleicht. Um Ansätzen des spekulativen Designs eine Plattform zu ermöglichen, arbeitet beispielsweise die Galerie Kreo in Paris mit Designerinnen und Designern und bietet Grundlagen für ein ästhetisches Labor, in dem Experimente und die Entwicklung von Ideen realisiert werden, die in einem industriellen Kontext nicht möglich gewesen wären. 33 Eine weitere Möglichkeit, unsere Weltsicht mit spekulati- vem Design zu hinterfragen, ist die Form der Kritik. Eine der Auf- gaben von kritischem Design ist es, die emotionalen und psycholo- gischen Erfahrungen, die durch Design hervorgerufen werden, zu hinterfragen. Design wird darauf ausgelegt, möglichst ästhetisch zu sein. In manchen Bereichen führt dies jedoch zu einer gewissen Oberflächlichkeit, da mit einem zu bestimmenden Fokus auf die Ästhetik zu wenig auf die Komplexität der menschlichen Natur eingegangen wird. Das führt dazu, dass negative, komplexe Emo- tionen im Design in der Regel ignoriert werden. Negativität sollte deshalb nicht von Design ausgeschlossen werden, nicht um ihrer selbst willen, sondern um die Negativität positiv zu nutzen. Das heisst, anhand von Negativität auf beängstigende Möglichkeiten hinzuweisen und sie als warnende Eigenschaft zu nutzen. Ein Bei- spiel dafür ist die Arbeit Belief Systems von Bernd Hopfengaertner. Darin entwickelte er Szenarien, die verschiedene Aspekte einer Welt erforschen, in der Technologien uns jegliche Interaktion derart erleichtern sollen, dass beispielsweise Neurotechnologien unsere Gedanken präzise vermuten und darauf reagieren können. Negativität in Form von Kritik sollte also nicht pessimistisch oder menschenfeindlich sein, sondern ein Kontrast zu einer Form von Design darstellen, die mit Ignoranz versucht, positiv zu sein. Kriti- 33 Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social Abbildung 07 Metahaven: Facestate, 2011. Foto: Gene Pittman dreaming, The MIT Press, 2013, S. 15, 20.
Alternative Designansätze 33 sches Design hat bezüglich der Methoden und Ansätze Ähnlichkei- ten mit der Kunst, jedoch liegt die Kraft zu stören bei kritischem Design darin, nah am Alltag zu sein. Kritisches Design sollte die vorherrschenden Werte und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen in Frage stellen und so neben kommerziellem Design existieren, ohne dies zu ersetzen. So kann Kritisches Design eine Art Kompass bieten, anstatt eine konkrete Karte für die Navigation in neue Wertesysteme darzu- stellen. Möglicherweise ist ein Grund dafür, dass die entwickelten Methoden des Delft Institute of Positive Design hauptsächlich kommerziell angewandt werden, dass diese noch zu stark einer Karte gleichen, die konkrete Wertsysteme herbeiführen möch- te. Auf diese Weise wird die spezifische Methode sehr konkret und das Delft Institute of Positive Design erhebt den Anspruch, die «richtigen» Wertsysteme zu kennen. Obwohl die Ansätze im Grundsatz wichtig und bedeutend sind, wird Positives Design als Methodik auf einer sehr moralisierenden Ebene vermittelt. Aus- serdem bleibt die Frage, inwiefern Design uns im Hinblick auf unsere Weltsicht verändern kann. Trotz des wachsenden Drangs von Designerinnen und Designern, Missständen auf der Welt, wie beispielsweise Überbe- völkerung und Klimawandel, entgegenzuwirken, ist es nicht mög- lich, diese Herausforderung allein mit Design zu bewältigen. Der einzige Weg sie zu überwinden, besteht darin, unsere Werte, Über- zeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu ändern. Diese Veränderungen können auf verschiedene Arten geschehen, zum Beispiel durch Propaganda, semiotische Kom- munikation, Kunst, sozialen Druck, Gesetzgebungen oder sozia- le Medien. Design kann mit jedem dieser Elemente kombiniert werden und somit zu einer anderen Wahrnehmung beitragen. Das Wichtigste ist jedoch, dass Veränderungen beim Individuum begin- nen und deshalb möglichst viele Möglichkeiten geboten werden sollten, damit eine Meinungsbildung ermöglicht werden kann. 34 Abbildung 08 Bernd Hopfengaertner: Belief Systems, 2009 34 Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social dreaming, The MIT Press, 2013, S. 2, 20, 43, 44, 160.
Alternative Designansätze 35 4.2 Zusammenfassung Der Smiley und der Like-Button sind natürlich extreme Beispiele von kommerziellen Designs. Dennoch sind sie beispiel- haft dafür, wie eine Gestaltung, auch wenn diese in der Grundidee eine soziale und positive Intention hatte, belanglos und abgedro- schen werden kann, wenn sie wirtschaftlich motiviert ist. Alternativen, die sich im nicht kommerziellen Bereich bewegen, sind deshalb dringender. Jedoch anzunehmen, dass nun nur noch alternatives Design umgesetzt werden sollte, das sich völlig losgelöst von unserer Marktwirtschaft bewegt, wäre wieder- um idealistisch und realitätsfern. Hervorzuheben ist ausserdem, dass Design nur einen begrenzten Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Welt und unser Wohlbefinden hat. Das bedeutet nicht, dass diesem Einfluss gene- rell keine Beachtung geschenkt werden sollte, es ist jedoch wichtig, Menschen ihre Souveränität über ihr Denken und Handeln nicht abzusprechen.
37 5. FAZIT Es hat sich also gezeigt, dass Ansätze von Positivem Design in der heutigen Zeit wichtig und relevant sind. Die Auffassung, dass Design über einen rein lösungsorientierten Ansatz hinaus- gehen sollte, ist jedoch nicht neu. Viele Aspekte, wie sie im positi- ven Design genannt werden, haben in der Designgeschichte auch bereits in der Vergangenheit eine Rolle gespielt und werden im Allgemeinen mit dem noch relativ jungen Begriff Positive Design eingeordnet. Die Notwendigkeit dieses Einordnens lässt sich natürlich hinterfragen. Es ist jedoch wichtig, dass die Ansätze eines möglichkeits- orientierten Designs heute neu diskutiert werden, auch wenn dem heutigen Verständnis von Design immer noch stark die kommer- zielle Nutzung zu Grunde liegt. Als Designerin und Designer hat man nicht die Superkraft, ein bestehendes gesellschaftliches oder politisches System von Grund auf zu revolutionieren und deshalb wäre eine solche Erwartungshaltung auch völlig falsch, Gestal- tende sollten sich in erster Linie auf das Entwerfen alternativer Gestaltung konzentrieren. Schlussendlich sind wir alle eingebun- den in das System, das uns umgibt. Die Verantwortung, wie wir unsere Welt wahrnehmen und somit auch beeinflussen, liegt zu einem grossen Teil bei Indivi- duen. Gestalterinnen und Gestalter haben die Möglichkeit, einen grossen Teil zur Meinungsbildung beizutragen. Besonders spielt die Visuelle Kommunikation hierbei eine wichtige Rolle, der bis- lang von Pionieren des Begriffs Positve Design noch zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Die Visuelle Kommunikation hat die Möglichkeit, unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen, auf Miss- stände hinzuweisen und so Werte und Verhaltensweisen zu beein- flussen. Ich erachte es als wichtig, dass sich Visuelle Gestalterin- nen und Gestalter bewusst sind, auf welche Weise unser Gehirn Informationen verarbeitet, um so einen bewussten Umgang mit den Aussagen herzustellen, die wir treffen.
39 6. ANHANG 6.1 Literatur 6.2 Websites Becker, Melanie / Cürlis, Diana / Erdtmann, Stephan / Fracken- Der Spiegel, Millionen für ein Lächeln, 11.04.2011 The Guardian, A design for life, 21.02.2009 pohl, Thorsten / Hassenzahl, Marc / Klapperich, Holger / Köhler, https://www.spiegel.de/geschichte/smiley-erfinder-millionen- https://www.theguardian.com/artanddesign/2009/feb/21/smiley- Henning / Ludwigs, Kai / Quednau, Jan / Quednau, Jan / Stier, fuer-ein-laecheln-a-947164.html face-design-history David / Tippkämper, Marius (29.03.2021) (29.03.2021) Design for Wellbeing, Ein neues Denken für Innovation. Förder- projekt CreateMedia.NRW, 2018, S. 9. Der Tagesspiegel, Menschen reagieren stärker auf schlechte Nach- The Guardian, Our minds can be hijacked: the tech insiders who richten als auf gute, 02.09.2019 fear a smartphone dystopia, 12.12.2017 Desmet, Pieter. M. A. / Pohlmeyer, Anna. E. https://www.tagesspiegel.de/wissen/aufmerksamer-und-erregter- https://www.theguardian.com/technology/2017/oct/05/smart- Positive design: An introduction to design for subjective well- menschen-reagieren-staerker-auf-schlechte-nachrichten-als- phone-addiction-silicon-valley-dystopia being. International Journal of Design, 2013, S. 5 – 19. auf-gute/24971938.html (29.03.2021) (29.03.2021) Dunne, Anthony / Raby, Fiona Wikipedia, Humanismus, 03. 03.2021 Speculative Everything, Design, Fiction, and social dreaming, Frankfurter Allgemeine, Leiden, Liebe, Likes , 01.11.2019 https://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus The MIT Press, 2013, S. 2 – 160. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/warum-der-gefa- (29.03.2021) ellt-mir-button-abgeschafft-werden-sollte-16463359.html Ernst, Heiko (29.03.2021) Wikipedia, Positive Psychologie, 27. 03.2021 Psychologie heute, Warum positive Gefühle so wichtig sind. https://de.wikipedia.org/wiki/Positive_Psychologie Verlagsgruppe Beltz, 2006, S. 1. INNTAL INSTITUT, Positive Psychologie – und warum sie mehr (29.03.2021) ist als Happyologie Kappas, Arvid / Müller, Marion G. https://www.inntal-institut.de/blog/positive-psychologie-und- Vitra Design Museum, « Design ist nie neutral » Schwerpunkt »Emotionalisierung durch Bilder«. Publizistik, warum-sie-mehr-ist-als-happyologie https://www.design-museum.de/de/ueber-design/interviews/de- 2006, S. 3. (29.03.2021) tailseiten/interview-alison-j-clarke.html (29.03.2021) Keinonen, Turkka / Vaajakallio, Kirsikka / Honkonen, Janos Paul Hillary, Smiley – A brief history, 06.07.2018 Designing for wellbeing. Aalto University, Helsinki, 2013, S. 6, 9. https://paulhillery.co.uk/smiley-a-brief-history/ Vitra Design Museum, Victor Papanek, The Politics of Desig (29.03.2021) https://www.design-museum.de/de/ausstellungen/detailseiten/ Lengauer, Günther / Esser, Frank / Berganza , Rosa victor-papanek-the-politics-of-design.html Negativity in political news: A review of concepts, operationali- Positive by Design, What is Positive Design? (29.03.2021) zations and key findings. Sage Journals, 2011, S. 181 – 202. https://www.posbydesign.com/positive-design (29.03.2021) Manzini, Ezio Design Research for Sustainable Social Innovation. Michel R. SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Mit Kreide gegen den (eds), Design Research Now, Board of International Research in Corona-Blues, 24.03.2021 Design, Birkhäuser Basel, 2007, S. 233. https://www.srf.ch/play/tv/srf-news/video/mit-kreide-gegen- den-corona-blues?urn=urn:srf:video:33beab0c-1d37-47b3-94bf- Rosling, Hans / Rosling, Anna / Rosling, Ola da256306af8f Factfulness, Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirk- (29.03.2021). lich ist. Ullstein, 2019, S. 20 – 27. t3n, UX-Design: Glücklichere User durch positives Webdesign, Tromp, Nynke / Hekkert, Paul / Verbeek, Pieter P. 09.03.2021 Design for Socially Responsible Behavior: A Classification of https://t3n.de/magazin/ux-design-gluecklichere-user-248877/2/ Influence Based on Intended User Experience. Design Issues, (29.03.2021) The MIT Press, 2011, S. 3
Anhang 41 6.3 Abbildungsnachweis Abbildung 0 1 Facebook’s Hauptsitz in Menlo Park, California https://www.theguardian.com/technology/2017/oct/05/smart- phone-addiction-silicon-valley-dystopia (29.03.2021) Abbildung 02 Paul Connors: Harvey Ball, 1998 https://www.spiegel.de/geschichte/smiley-erfinder-millionen- fuer-ein-laecheln-a-947164.html (29.03.2021) Abbildung 03 Zeitung France Soir https://paulhillery.co.uk/smiley-a-brief-history/ (29.03.2021) Abbildung 04 Victor Papanek: We are all handicapped, 1973 https://www.miradorarts.com/papanek-disseny-politica-i-el- bricolatge-militant/ (29.03.2021) Abbildung 05 Patrick Stevenson-Keating: The Quantum Parallelograph, 2011 Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social dreaming, The MIT Press, 2013, S. 13. Abbildung 06 Marti Guixé, MTKS-3: The Meta-territorial Kitchen, System-3, 2003. Foto: Imagekontainer/Inga Knölke Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social dreaming, The MIT Press, 2013, S. 13. Abbildung 07 Metahaven: Facestate, 2011. Foto: Gene Pittman Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social dreaming, The MIT Press, 2013, S. 15. Abbildung 08 Bernd Hopfengaertner: Belief Systems, 2009 Dunne, Anthony / Raby, Fiona: Speculative Everything, Design, Fiction, and social dreaming, The MIT Press, 2013, S. 39.
Anhang 6.4 Eidesstattliche Erklärung Die/der Autor/in dieser Arbeit bestätigt hiermit, alle Inhalte soweit nicht anders vermerkt, eigenständig erarbeitet zu haben. Zitate und Literaturnachweise sind dementsprechend ausgewiesen. Die abgedruckten Bilder stammen, falls nicht anders angegeben von dem/r Autor/in selbst. Ort, Datum Unterschrift
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