US-Migrationspolitik unter Joe Biden - Was Deutschland erwarten kann und tun sollte - DGAP Policy Brief
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Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Nr. 1
Februar 2021
ANALYSE
US-Migrationspolitik
unter Joe Biden
Was Deutschland erwarten kann
und tun sollte
Der neue amerikanische Präsident Joe Biden hat begonnen die
US-Migrationspolitik umfassend neu zu ordnen. Das hat auch
Auswirkungen auf Deutschland.
Victoria Rietig
Leiterin, – Nach der rigorosen Abschottungspolitik der letzten vier
Programm Migration Jahre will Biden die Rolle der USA als Einwanderungsland und
tragende Säule des internationalen Flüchtlingsschutzes stärken.
– Deutschland sollte eine neue Schutzkoalition für Flüchtlinge
mit den USA und anderen Demokratien begründen, um mehr
legale Wege für Flüchtlinge zu schaffen – und um neue Wege
außerhalb der blockierten europäischen Ebene zu gehen.
Constantin Eckner
– Deutsche Politiker sollten aus den Fehlern der USA lernen.
Junge DGAP Fellow
Trumps Bilanz zeigt: Wer Migration sinnvoll steuern will, kann
nicht einseitig auf Abschottung setzen.Nr. 1 | Februar 2021 2
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
Inhalt
Executive Summary 3
I Einführung 5
II Bidens Migrationspläne 5
1. Den Mauerbau beenden 5
2. Undokumentierte Einwanderer vor Abschiebung schützen 5
3. Resettlement-Kontingent auf 125.000 im Jahr erhöhen 8
4. Das Recht auf Asyl stärken 9
5. Legale Migration erleichtern 9
6. Regionale und internationale Zusammenarbeit verbessern 10
III Vier Hindernisse und eine Chance für Biden 11
1. Covid-19 und die Wirtschaftskrise haben höhere Priorität 11
2. Der konservative Supreme Court kann Präsidialerlässe stoppen 11
3. Biden muss den linken Parteiflügel zufrieden stellen 11
4. Die Neuordnung der Migrationspolitik braucht Zeit 12
5. Bidens Chance: Das Patt im Senat 13
IV Was tun? Empfehlungen für die deutsche Regierung 14Nr. 1 | Februar 2021 3
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
Executive 6 Regionale und internationale Zusammenarbeit
verbessern: Biden will die Abkommen über si-
Summary
chere Herkunftsländer mit mehreren mittelameri-
kanischen Staaten aufkündigen, die Asylanträge aus
diesen Ländern erschwert und Abschiebungen er-
leichtert hatten. Zudem werden die USA internatio-
nalen Abkommen wohl wieder offener gegenüberste-
Seit seiner Amtseinführung vor zwei Wochen arbei- hen, etwa den beiden UN-Pakten zu Migration und
tet US-Präsident Joe Biden mit Hochdruck daran, die Flüchtlingen.
Politik der USA neu auszurichten. Besonders aus-
geprägt ist der Bruch mit seinem Vorgänger Donald
Trump in den Bereichen Migration, Asyl und Flucht. BEI DER UMSETZUNG SEINER PLÄNE
WIRD BIDEN JEDOCH AUF VIER
HÜRDEN STOSSEN:
DIE NEUE US-REGIERUNG
VERFOLGT SECHS MIGRATIONS-
POLITISCHE ZIELE: 1 Covid-19 und die Wirtschaftskrise haben höhere
Priorität. Die Zwillingskrise wird so viel Auf-
merksamkeit in Anspruch nehmen, dass Biden zu-
1 Den Mauerbau beenden: Die neue US-Regierung
hat den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko,
das Prestigeprojekt Trumps, gestoppt. Auch Biden will
nächst wenig Zeit und politisches Kapital für Migra-
tion bleiben.
die Grenze sichern, aber mit anderen Mitteln: Statt auf
Zement und Stahl setzt Biden auf Technologie. 2 Der konservative Supreme Court kann Präsidial-
erlässe stoppen: Der Supreme Court mit seiner
klaren konservativen Mehrheit wird zukünftigen Er-
2 Undokumentierte Einwanderer vor Abschiebung
schützen: Biden hat für die ersten 100 Tage sei-
lässen Steine in den Weg legen.
ner Amtszeit alle Abschiebungen ausgesetzt und ei-
nen Vorschlag vorgelegt, um vielen der elf Millionen
Menschen, die bisher ohne gültigen Aufenthaltssta-
3 Biden muss den linken Parteiflügel zufrieden
stellen: Linke Demokraten sehen Biden nach wie
vor abschätzig als Handlanger Obamas an, unter des-
tus in den USA leben, eine legale Perspektive zu er- sen Führung die USA mehrere Millionen Menschen
möglichen, u.a. den sogenannten Dreamern. abschoben. Biden braucht die Unterstützung dieses
Flügels, darf dabei aber nicht die moderateren De-
3 Resettlement-Kontingent auf 125.000 erhöhen:
Biden will mehr Flüchtlingen ermöglichen, auf
mokraten verprellen.
legalem Weg in die USA zu kommen. Die Zahl der
Menschen, die im Rahmen eines „Resettlement“ nach
einer ausführlicher Sicherheitsüberprüfung geordnet
4 Die Neuordnung der Migrationspolitik braucht
Zeit: Einige von Trumps Maßnahmen kann Bi-
den zwar mit einem Federstrich im Rahmen von Prä-
ins Land einreisen dürfen, soll auf 125.000 im Jahr sidialerlässen aufheben, aber viele Änderungen wer-
verachtfacht werden. Das wäre der höchste Stand den Monate brauchen.
seit 30 Jahren.
Trotz dieser Hindernisse kann Biden eine große
4 Das Recht auf Asyl stärken: Biden will viele der
Maßnahmen abschaffen, mit denen die USA in
den letzten Jahren das Recht von Menschen, Asyl zu
Chance ergreifen: Die neu erworbene Kontrolle über
den Senat ermöglicht es den Demokraten, nach Jah-
ren des Stillstands Änderungen der Migrationsge-
beantragen, beschnitten haben, unter anderem das setzgebung in Angriff zu nehmen. Eine umfassende
„Bleib-in-Mexiko“-Programm. Auch will er mehr Per- Migrationsreform wird trotzdem kaum Realität wer-
sonal einstellen lassen, damit Asylanträge schneller den, denn dazu würde Biden auch republikanische
entschieden werden. Unterstützung benötigen.
5 Legale Migration erleichtern: Biden will wieder
mehr Arbeitsmigration ermöglichen. Das umstrit-
tene Einreiseverbot für Bürger mehrerer mehrheitlich
muslimischer Länder („Muslim ban“) hat er bereits an
seinem ersten Tag im Amt außer Kraft gesetzt.Nr. 1 | Februar 2021 4
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
DEUTSCHE POLITIKER UND
ENTSCHEIDER SOLLTEN DIE
ANSTEHENDEN NEUERUNGEN
AUF ZWEI ARTEN NUTZEN
1 Sie sollten die erklärte Priorität des Flüchtlings-
schutzes der Biden-Regierung aufgreifen und
eine neue Schutzkoalition mit den USA und anderen
Demokratien begründen. Mögliche Partner sind Ka-
nada, Frankreich, Spanien, Portugal und die Nieder-
lande. Gemeinsam sollten sich diese Länder zu einer
Trendumkehr bei den seit Jahren fallenden Resettle-
ment-Zahlen verpflichten.
2 Sie sollten aus den Fehlern der USA lernen:
Trumps singulärer Fokus auf den Außengrenz-
schutz hat nicht nur menschliches Leid verursacht
und die Reputation der USA schwer beschädigt. Der
frühere Präsident hat auch sein Ziel verfehlt, denn
die illegalen Grenzüberquerungen erreichten kurz
vor der Corona-Pandemie ein Zehnjahreshoch. Da-
mit bestätigt Trumps Bilanz Erfahrungen aus ande-
ren Ländern: Grenzschutzmaßnahmen mögen kurz-
fristig wirken, doch langfristige Erfolge gibt es nicht
ohne gleichzeitige Investitionen in andere Teile des
Migrations- und Asylsystems.Nr. 1 | Februar 2021 5
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
I. EINLEITUNG mokraten wichtig. Biden setzt dabei statt auf eine
Mauer primär auf den Einsatz technologischer Über-
In nur vier Jahren hat die Trump-Regierung die US- wachungssysteme (Smart Border Control), um die
Migrationspolitik von Grund auf verändert. Als Prä- Grenze zu kontrollieren, also sowohl um Migranten
sident setzte Donald Trump konsequent auf Ab- zu überprüfen als auch den Drogenschmuggel zu un-
schottung. Das betraf die legale ebenso wie die terbinden.3 Für Biden wäre es politisch unklug, das
illegale Migration, den Grenzschutz, das Asylsystem, Prestigeprojekt des Vorgängers, das dessen Anhän-
den Flüchtlingsschutz, die Integrationspolitik und gern ein Gefühl von Sicherheit verleiht, zu zerstö-
die Zusammenarbeit auf regionaler und internatio- ren und dabei auch noch weitere finanzielle Kosten
naler Ebene (s. Box 1: Migrationspolitik unter Trump: zu verursachen – denn nicht nur Mauerbau ist teuer,
eine Bilanz). sondern auch Mauerabriss.
Der neue Präsident Joe Biden hat im Wahlkampf für Undokumentierte Einwanderer vor Abschiebung
eine liberalere Migrationspolitik geworben. In wel- schützen
chem Umfang er seine großen Pläne umsetzen kann, Biden stoppte am Tag seiner Amtsübernahme alle
ist allerdings trotz der wiedererrungenen Kontrolle Abschiebungen für 100 Tage, doch eine Bundesrich-
der Demokraten im Kongress ungewiss. terin setzte diese Maßnahme bereits nach wenigen
Tagen wieder aus.4 Bidens Linie in dieser Frage stellt
Das Ziel dieser Analyse ist es aufzuzeigen, welche ein klares Entgegenkommen gegenüber dem linken
Pläne Biden im Bereich Migration, Asyl und Flucht Flügel der demokratischen Partei dar, der unter dem
verfolgt, auf welche Hürden er stoßen wird, und wie Stichwort „Abolish ICE“ die Immigrations- und Zoll-
Deutschland und Europa die Situation nutzen kön- behörde, die seit mehreren Jahren wegen ihrer oft
nen, um den internationalen Flüchtlingsschutz zu ruppigen Abschiebepraxis in der Kritik steht, ganz
stärken. Deutschland hat jetzt die Chance, Migration abschaffen will. Diese Forderung wird Biden zwar
als ein neues Thema zu etablieren, das frischen Wind nicht erfüllen. Doch dürfte er zu den Vollzugsprio-
in das transatlantische Verhältnis bringen kann. ritäten („enforcement priorities“) zurückkehren, die
in der Obama-Ära dafür gesorgt hatten, dass nicht
jeder undokumentierte Migrant abgeschoben wurde,
II. BIDENS MIGRATIONSPLÄNE sondern nur bestimmte Gruppen, insbesondere Kri-
minelle („felons not families“) und Menschen, die erst
Biden will einen grundlegenden Kurswechsel in der seit kurzem im Land lebten. Dieser Ansatz bewahr-
Migrationspolitik. Der neue Präsident will mehr lega- te einen großen Anteil der elf Millionen Menschen,
le Wege für Flüchtlinge, Asylbewerber und Arbeitsmi- die ohne gültige Aufenthaltspapiere in den USA
granten öffnen. Viele der mehr als 400 Präsidialerläs- leben, vor der Abschiebung.
se, die Trump in seiner Amtszeit im Bereich Migration
in rapider Abfolge unterzeichnete, will er aufheben. Biden wird auch das DACA-Programm („Defer-
Biden verfolgt in der Migrationspolitik sechs Ziele:1 red Action for Childhood Arrivals“) wiederauf le-
ben lassen. Präsident Obama hatte dieses Pro-
Mauerbau beenden gramm 2012 gestartet, um die Abschiebung der
Biden hat den Bau von Trumps Mauer an der Grenze sogenannten „Dreamer“ auszusetzen und ihnen ei-
zu Mexiko bereits am ersten Tag seiner Amtszeit über ne befristete Arbeitserlaubnis zu geben. Die Drea-
einen Präsidialerlass pausiert, doch die bereits errich- mer sind Migranten ohne legalen Aufenthalts-
teten Anlagen wird er nicht wieder abreißen lassen.2 status, die bereits als Kinder mit ihren Eltern in
Seit den 1990er Jahren und bis zur Amtszeit von Prä- die USA kamen und dort aufgewachsen sind. Vo-
sident Barack Obama gab es in den USA einen par- raussichtlich wird Biden nicht nur versuchen,
teiübergreifenden Konsens über die Verstärkung des DACA zu verlängern, sondern es zu verstetigen,
Grenzschutzes. Nach wie vor ist er auch vielen De- um den Betroffenen eine Perspektive auf einen
1 Biden campaign: The Biden Plan for Securing Our Values as a Nation of Immigrants, in: https://joebiden.com/immigration (abgerufen am 1.1.2021)
2 Barbara Sprunt: Biden Would End Border Wall Construction, But Wouldn’t Tear Down Trump’s Additions, 5.8.2020, in:
https://www.npr.org/2020/08/05/899266045/biden-would-end-border-wall-construction-but-wont-tear-down-trump-s-additions (abgerufen am
1.1.2021). Muzaffar Chishti und Sarah Pierce, Biden Sets the Stage for a Remarkably Active First 100 Days on Immigration, Policy Beat 27 Januar 2021,
https://www.migrationpolicy.org/article/biden-immigration-reform-agenda (abgerufen am 1.2.2021).
3 Nick Miroff: Trump administration in an all-out push to build border wall before election, 29.9.2020, in: https://www.washingtonpost.com/immigration/
trump-border-wall-push/2020/09/29/689bc740-f8f5-11ea-a510-f57d8ce76e11_story.html (abgerufen am 1.1.2021).
4 National Public Radio (NPR), Federal Judge Blocks Biden‘s 100-Day Deportation Moratorium, https://www.npr.org/2021/01/26/960948480/federal-
judge-blocks-bidens-100-day-deportation-moratorium?t=1612177067809 (abgerufen am 1.2.2021)Nr. 1 | Februar 2021 6
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
BOX 1 – MIGRATIONSPOLITIK UNTER anderen Haushaltsstellen entnahm. Anders als von
TRUMP: EINE BILANZ Trump angekündigt waren es also nicht die mexika-
nischen, sondern die amerikanischen Steuerzahler,
Die bekanntesten migrationspolitischen Maßnah- die die Mauer bezahlten.
men der Ära Trump sind:
Einreiseverbot – der „Muslim Ban“
Der Mauerbau an der mexikanischen Grenze als Unmittelbar nach Amtsantritt erließ Trump ein Ein-
zentrale Symbolpolitik reiseverbot für sieben Staaten, in denen die Mehr-
Entlang der insgesamt 2,000 Meilen langen Gren- heit der Bevölkerung muslimischen Glaubens ist. Auf
ze mit Mexiko wurden bis Ende 2020 auf der Län- Urteile von Bundesgerichten hin überarbeitete das
ge von 400 Meilen neue Grenzanlagen fertigge- Weiße Haus den Erlass mehrfach, bis er schlussend-
stellt. Um den Abschreckungscharakter der Mauer lich für rechtens befunden wurde.
zu unterstreichen, bestand Trump vielerorts auf
schwarzer Lackierung. Wenngleich viele der neu er- Nulltoleranzpolitik und Familientrennungen
richteten Anlagen in wenig frequentierten Grenz- Das Weiße Haus veranlasste zahlreiche Maßnahmen,
abschnitten stehen, nutzte Trump erfolgreich ih- um die Zahlen von Asylbewerbern und irregulären
ren Symbolwert, um einen Teil seiner Wählerschaft Migranten an der Südgrenze der Vereinigten Staa-
zufriedenzustellen.5 ten zu senken. Besonders umstritten war die soge-
nannte Nulltoleranzpolitik, die von April bis Juni 2018
Dieser Mauerbau kostete insgesamt rund 15 Milli- in Kraft war. Auf ihrer Grundlage wurden etwa 4.000
arden US-Dollar. Der Kongress hatte jedoch nur 4,5 Kinder von ihren Eltern getrennt.6 Die Eltern von
Milliarden Dollar bewilligt, weshalb die Regierung mehr als 500 dieser Kinder konnten bis heute – fast
die fehlenden Mittel aus dem Verteidigungsetat und drei Jahre später – nicht aufgefunden werden.
1 – FESTNAHMEN NACH ILLEGALEN GRENZÜBERTRITTEN, 2007-2019
ANGABEN IN TSD.
Amteinführung
Trump 20.01.2017
851,5
540,9
479,4
447,7
414,4
408,9
396,6
356,9
331,3
327,6
303,9
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
5 Department of Homeland Security: The Border Wall System Is Deployed, Effective, and Disrupting Criminals and Smugglers, 29.10.2020, in:
https://www.dhs.gov/news/2020/10/29/border-wall-system-deployed-effective-and-disrupting-criminals-and-smugglers (abgerufen am 1.1.2021).
6 Department of Homeland Security, Office of the Inspector General: Special Review: Initial Observations Regarding Family Separation Issues under the
Zero Tolerance Policy, 27.9.2018, in: https://www.oig.dhs.gov/sites/default/files/assets/2018-10/OIG-18-84-Sep18.pdf (abgerufen am 1.1.2021).Nr. 1 | Februar 2021 7
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
Senkung des Resettlement-Kontingents auf histori-
schen Tiefstand
Im Zuge des Resettlement-Programms darf je-
des Jahr eine festgelegte Anzahl von Flüchtlingen
nach einer ausführlichen Sicherheitsüberprüfung
auf legalem und sicherem Wege in die USA einrei-
sen.7 Trump verringerte 2017 dieses Kontingent von
85.000 auf zunächst 50.000 und im Jahr 2020 weiter
auf 15.000. Zum Vergleich: Als das Programm in den
frühen 1980er Jahren geschaffen wurde, durften über
200.000 Flüchtlinge im Jahr einreisen.
Hinzu kamen vielfältige weitere Maßnahmen wie die
Einschränkung der legalen Einwanderung, auch der
von hochqualifizierten Ausländern mit US-Hoch-
schulabschluss. Bei Abschiebungen wurde auf die
Priorisierung von Straftätern verzichtet, um al-
le Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus leich-
ter abschieben zu können. Besonders umstritten war
die zeitweise Pausierung des „Dreamer“-Programms,
das Menschen, die als Kinder mit ihren Eltern illegal
in die USA gekommen waren, vor Abschiebungen ge-
schützt hatte. Hinzu kam die Verschärfung der „Pub-
lic Charge Rule“ zur Abschreckung von Visums- und
Greencard-Bewerber, das „Bleib-in-Mexiko-Pro-
gramm“ für Asylbewerber sowie Vereinbarungen, die
mittelamerikanische Länder zu sicheren Herkunfts-
ländern erklärten.8
All diesen Abschottungsversuchen zum Trotz er-
reichten die illegalen Grenzüberquerungen in die
USA im Jahr 2019 ein Zehnjahreshoch (vgl. Grafik 1: Il-
legale Grenzüberquerungen in die USA, 2007-2019).9
Trumps singulärer Fokus auf Grenzschutz verursach-
te also nicht nur immenses menschliches Leid. Er
stellte sich auch als nur kurzfristig wirksam heraus.
7 Der Begriff Resettlement bezeichnet die dauerhafte Umsiedlung von Flüchtlingen von einem Erstaufnahmeland, in dem sie Schutz gesucht haben, in einen
aufnahmebereiten Drittstaat (Resettlement-Staat). Dieser kann ihnen einen Flüchtlings- oder anderen Schutzstatus gewähren.
8 Für einen umfassenden Überblick über die Änderungen in den ersten drei Jahren der Amtszeit Trumps vgl. Sarah Pierce/Jessica Bolter: Dismantling and
Reconstructing the U.S. Immigration System: A Catalog of Changes under the Trump Presidency, Juli 2020, in:
https://www.migrationpolicy.org/research/us-immigration-system-changes-trump-presidency (abgerufen am 18.10.2020)
9 Die Grafik basiert auf offiziellen Angaben der zuständigen US-Behörde Customs and Border Protection (CPB) und zeigt die von Grenzbeamten
verhinderten illegalen Grenzübertritte pro Fiskaljahr. Das Fiskaljahr wird im Gegensatz zum Kalenderjahr von Oktober des Vorjahres bis zum September des
laufenden Jahres gezählt. Das Fiskaljahr 2019 lief also von Oktober 2018 bis September 2019. Vgl. Customs and Border Protection, United States Border
Patrol, Southwest Border Sectors, Total Illegal Alien Apprehensions By Fiscal Year (Oct. 1st through Sept. 30th),
https://www.cbp.gov/sites/default/files/assets/documents/2020-Jan/U.S.%20Border%20Patrol%20Fiscal%20Year%20Southwest%20Border%20Sector%20
Apprehensions%20%28FY%201960%20-%20FY%202019%29_0.pdf (abgerufen am 1.2.2021)Nr. 1 | Februar 2021 8
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
dauerhaften legalen Status und die amerikanische 2 – US-RESETTLEMENTPLÄTZE
Staatsbürgerschaft zu geben. Trumps Versuche, die- FÜR FLÜCHTLINGE, 2001-2021
ses Programm einzustellen, waren wiederholt vor
Gericht gescheitert. Da DACA auch unter den Repu- GEPLANT 2021
blikanern viele Fürsprecher hat, wird diese Politikän-
derung voraussichtlich sogar bei einigen Republika- JOE BIDEN
nern auf Zustimmung treffen. 125.000
DONALD TRUMP
Resettlement-Kontingent auf 125.000 15 Tsd
im Jahr erhöhen
Biden will das Kontingent von Flüchtlingen, die im
Rahmen des sogenannten Resettlement einreisen
2020–2017 | DONALD TRUMP
dürfen, auf 125.000 im Jahr erhöhen. Dies wäre ei-
ne Verachtfachung der 15.000 Plätze, die Trump für 18 Tsd
das Fiskaljahr 2021 festgelegt hatte (vgl. Grafik 2: 30.000
US-Resettlement für Flüchtlinge).10 Dieser gewaltige
Sprung auf den höchsten Stand seit knapp 30 Jah- 45.000
ren wäre ein starkes Signal an die Weltgemeinschaft, 50.000
dass die USA wieder eine tragende Rolle im interna-
tionalen Flüchtlingsschutz spielen wollen. 2016–2009 | BARACK OBAMA
85.000
Bei der Umsetzung dieses Vorhabens dürfte es al-
lerdings zu Verzögerungen kommen, denn die Infra- 70.000
struktur der USA zur Integration von Flüchtlingen
70.000
hat in Trumps Amtszeit starken Schaden genom-
men. Viele der zivilgesellschaftlichen Organisatio- 70.000
nen, die im Auftrag der Regierung für die Integration
76.000
der neuankommenden Flüchtlinge in Arbeitsmarkt
und Schulen zuständig sind, mussten schließen. Ei- 80.000
ner Studie des pro-demokratischen Think Tanks
80.000
„Center of American Progress“ in Washington ist die
Resettlement-Kapazität der USA seit 2017 um knapp 80.000
40 Prozent gesunken. Mehr als 130 lokale Büros zur
Flüchtlingsintegration mussten schließen.11 2 0 0 8 – 2 0 0 1 | G E O R G E W. B U S H
80.000
Obwohl also Startschwierigkeiten zu erwarten sind,
ist davon auszugehen, dass Biden die Flüchtlings- 70.000
aufnahme in seiner Amtszeit priorisieren wird und 70.000
die USA wieder deutlich mehr Menschen in Not auf-
nehmen werden. Das ist angesichts der mehr als 80 70.000
Millionen Menschen, die laut UNHCR weltweit auf 70.000
der Flucht sind, nicht nur humanitär geboten. 12 Bi-
den kann auf diese Weise auch das politische Signal 70.000
senden, dass sich sein Weißes Haus im Gegensatz zu 70.000
Trumps Amtszeit um die Nöte von Geflüchteten und
80.000
10 Die Grafik basiert auf offiziellen Angaben des zuständigen State Department Bureau of Population, Refugees, and Migration und zeigt das jährlich vom
Präsidenten festgesetzte Kontingent pro Fiskaljahr. Das Fiskaljahr wird im Gegensatz zum Kalenderjahr von Oktober des Vorjahres bis zum September des
laufenden Jahres gezählt. Das Fiskaljahr 2021 geht also von Oktober 2010 bis September 2021. Vgl. Migration Policy Insitute Data Hub, US annual refugee
resettlement ceilings and numbers of refugees admitted, https://www.migrationpolicy.org/programs/data-hub/charts/us-annual-refugee-resettlement-
ceilings-and-number-refugees-admitted-united (abgerufen am 1.2.2021)
11 Silva Mathema/Sofia Carratala: Rebuilding the U.S. Refugee Program for the 21st Century, Oktober 2020, in:
https://cdn.americanprogress.org/content/uploads/2020/10/23132117/RefugeeResettlement-report.pdf?_ga=2.67766033.1001446612.1603718793-
536687804.1603718793 (abgerufen am 1.1.2021).
12 UNHCR, Forced displacement passes 80 million by mid-2020 as COVID-19 tests refugee protection globally,
https://www.unhcr.org/news/press/2020/12/5fcf94a04/forced-displacement-passes-80-million-mid-2020-covid-19-tests-refugee-protection.html,
(abgerufen am 1.1.2021).Nr. 1 | Februar 2021 9
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
um die internationalen Schutzverpflichtungen der sierung“ („metering“) genannt, wieder abschaffen.
USA kümmert.
Damit Asylanträge in Zukunft schneller bearbei-
Recht auf Asyl stärken tet werden können, will Biden die Zahl der Einwan-
Auch in der Asylpolitik hat Biden versprochen, viele derungsrichter verdoppeln. Zudem sollen Beamte
von Trumps Maßnahmen aufzuheben, insbesondere der Einwanderungsbehörde USCIS die Einwande-
die sogenannten Migrantenschutzprotokolle (MPP), rungsgerichte durch schnellere Entscheidungen
die Trump im Januar 2019 eingeführt hatte. Besser an der Grenze entlasten. 15 Die auf US-Territori-
bekannt sind sie unter dem von Kritikern benutzten um praktizierte Inhaftnahme von Asylbewerbern
Namen „Bleib in Mexiko“. Auf Grundlage dieses Pro- für den Zeitraum der Bearbeitung ihrer Anträge
gramms ließ die Trump-Regierung fast 70.000 Asyl- will Biden abschaffen. Stattdessen soll es mehr Fall-
suchende in Mexiko auf den Abschluss ihrer teils management („Case Management“) geben, wobei
jahrelangen Asylverfahren in den USA warten. Viele Asylbewerber sich unter Melde– und Beratungsauf-
Asylbewerber harrten unter miserablen Bedingun- lagen in den USA bewegen und einer Arbeit nach-
gen in inoffiziellen Flüchtlingscamps auf der mexika- gehen können, während ihr Fall behandelt wird. 16
nischen Seite der Grenze aus; Ende November 2020
waren es noch rund 27.000 Menschen. In weniger als Nicht zuletzt will Biden die Familien zusammenfüh-
einem Prozent der MPP-Fälle gewährten die USA am ren, die auf Grundlage von Trumps Nulltoleranzpo-
Ende Asyl – was auch daran liegen mag, dass nur ein litik im Jahr 2018 getrennt wurden. Noch immer le-
kleiner Teil der Antragsteller (weniger als acht Pro- ben mehr als 500 Kinder in den USA, deren Eltern
zent) juristischen Beistand hat. 13 Aus den Medien, unauffindbar sind. Viele dieser Eltern waren ohne ih-
der Gesellschaft und selbst von Regierungsbeamten, re Kinder abgeschoben worden und gelten nun als
die für die Umsetzung des Programms verantwort- verschollen. Eine Task Force soll nun versuchen, die-
lich sind, gab es harsche Kritik an der „Bleib-in-Me- se Eltern ausfindig zu machen und die Familien nach
xiko“-Regelung. Der Oberste Gerichtshof bestätig- jahrelanger Trennung wieder zusammenzuführen,
te allerdings im März 2020 die Rechtmäßigkeit des auch wenn das angesichts der Bedingungen in Mit-
Programms.14 telamerika in vielen Fällen schwierig werden kann.17
Biden hat angekündigt, MPP in den ersten 100 Ta- Mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen
gen seiner Amtszeit zu überprüfen. Neu eintref- Nachdem Trump selbst die legale Arbeitseinwan-
fende Asyl bewerber sollen nicht mehr an der derung sukzessive erschwert hatte, will Biden die-
Grenze zurückgewiesen werden. Es ist aller- se wieder erleichtern. Das Reiseverbot für Men-
dings noch völlig unklar, wie die Regierung mit schen aus mehrheitlich muslimischen Ländern hat
den Zehntausenden Menschen umgehen wird, der neue Präsident bereits abgeschafft. Zudem will
die schon früher registriert wurden und noch in er saisonalen Arbeitsmigranten die Einreise erleich-
den Camps in Mexiko warten oder deren Asylan- tern und die „ Public Charge Rule“ aufheben, auf-
trag auf Basis von MPP bereits abgelehnt wurde. grund derer die US-Behörden Anträge für Visa oder
Green Cards leichter ablehnen konnten. Interessan-
Biden will auch die Deckelung der täglich entgegen- terweise hat Biden auch angekündigt, seine Regie-
genommenen Asylanträge an US-amerikanischen rung wolle unter Umständen Städten erlauben, Mig-
Grenzübergangsstellen beenden. Die Trump-Admi- ranten direkt ins Land zu holen. Dies ist ein Vorrecht,
nistration hatte nur eine geringe Anzahl von Asyl- das Städte auch in Deutschland seit einigen Jahren
anträgen am Tag annehmen lassen, um die Antrag- vermehrt fordern, zuletzt vor einigen Monaten, als
stellung zu verzögern und zu erschweren. Biden wird sie Menschen aus dem abgebrannten Lager Moria
vermutlich auch diese Regelung, euphemistisch „Do- auf den griechischen Inseln aufnehmen wollten.
13 Transactional Records Access Clearinghouse: Details on MPP (Remain in Mexico) Deportation Proceedings, in: https://trac.syr.edu/phptools/immigration/
mpp (abgerufen am 10.1.2021).
14 This American Life, The Out Crowd, https://www.thisamericanlife.org/688/the-out-crowd (abgerufen am 1.2.2021), Vanessa Romo: U.S. Supreme Court
Allows ‘Remain In Mexico’ Program To Continue, 11.3.2020, in: https://www.npr.org/2020/03/11/814582798/u-s-supreme-court-allows-remain-in-mexico-
program-to-continue?t=1602950849833 (abgerufen am 1.1.2021).
15 In den USA entscheiden sogenannte „Einwanderungsrichter“ (Immigration judges) über Asylanträge. Diese Richter sind jedoch – anders als in
Deutschland, wo das BAMF die Asylentscheidungen trifft und unabhängige Gerichte die Entscheidungen überprüfen – nicht Teil der unabhängigen
Judikative, sondern Teil des Department of Justice, also der Exekutive.
16 John Burnett: Biden Pledges To Dismantle Trump’s Sweeping Immigration Changes — But Can He Do That?, 14.9.2020, in https://www.npr.
org/2020/09/14/912060869/biden-pledges-to-dismantle-trumps-sweeping-immigration-changes-but-can-he-do-tha (abgerufen am 1.1.2021).
17 Brett Samuels Biden to announce task force on migrant family reunification next week, in: The Hill, https://thehill.com/homenews/
administration/536467-biden-to-announce-task-force-on-migrant-family-reunification-next (abgerufen am 1.2.2021).Nr. 1 | Februar 2021 10
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
Regionale und internationale Zusammenarbeit
verbessern BOX 2 – WIE WICHTIG IST
Biden will Trumps Vereinbarungen auf kündigen, MIGRATION FÜR AMERIKANER?
durch die El Salvador, Guatemala und Honduras trotz WAS MEINUNGSUMFRAGEN
ihrer großen internen Sicherheitsprobleme zu si- VERRATEN.
cheren Herkunftsländern erklärt wurden.18 Die neue
US-Regierung will stattdessen das bilaterale Grenz- Das Politikfeld Migration hat in den Augen der
management mit Mexiko verbessern und Fluchtur- amerikanischen Öffentlichkeit im Vergleich
sachen in den Ländern Mittelamerikas bekämpfen, zum Wahlkampf vor vier Jahren etwas an
insbesondere Armut, Bandenkriminalität und Nah- Bedeutung eingebüßt. Trotzdem hielt laut einer
rungsmittelunsicherheit. Letztere hat sich durch Umfrage des unabhängigen Pew Research
den Klimawandel im sogenannten trockenen Korri- Center vom August 2020 eine Mehrheit der
dor Mittelamerikas in den letzten Jahren verschärft. Wähler (52 Prozent) das Thema Einwanderung
nach wie vor für sehr relevant.
Auch auf internationaler Ebene könnten Änderungen
anstehen. Zwar hat sich die Regierung Biden noch Wie bei vielen politischen Fragen gehen
nicht dazu geäußert, ob die USA nun dem von Trump die Meinungen zwischen Demokraten und
vehement abgelehnten UN-Migrationspakt beitre- Republikanern deutlich auseinander: 46 Pro-
ten werden. Doch ist es wahrscheinlich, dass die USA zent der Biden-Anhänger werten Migration als
im Bereich Migration und Flucht wieder mehr auf besonders wichtig im Vergleich zu 61 Prozent
internationale Partner zugehen werden – auch auf der Trump-Wähler. Für Trump-Befürworter
Deutschland. rangiert Einwanderung in ihrer politischen
Prioritätensetzung sogar knapp vor der
Viele dieser Ziele will Biden auch durch eine umfas- Waffengesetzgebung (60 Prozent) und weit vor
sende Gesetzesinitiative vorantreiben, die er unmit- dem Coronavirus (39 Prozent) und dem Klima-
telbar nach seiner Amtseinführung ankündigte. Der wandel, den lediglich 11 Prozent als sehr wichtig
Gesamttext des „US Citizenship Act“ ist noch nicht bewerten. 21
öffentlich, aber der Ankündigung des Weißen Hau-
ses zufolge soll das Gesetz drei Bereiche abdecken:19 Bemerkenswert ist, dass während Trumps
Neben Investitionen in Fluchtursachenbekämpfung Amtszeit in der Bevölkerung der Zuspruch für
und Grenzschutz hat die Legalisierung von Mig- Einwanderung zunahm. Bei einer Umfrage des
ranten ohne legalen Status Priorität. Die „Dreamer“ Instituts Gallup im Jahr 2020 unterstützte
sollen sofort eine Green Card bekommen, ebenso bei einer Umfrage ein Drittel (34 Prozent)
Menschen mit einem befristeten Schutzstatus (Tem- der Befragten „mehr Einwanderung“ in die
porary Protected Status, TPS, den u.a. viele Haitia- USA – der höchste Stand seit Beginn der Erhe-
ner und Mittelamerikaner innehaben) und essenzi- bungen im Jahr 1965. “Weniger Einwanderung“
elle Arbeiter im Bereich der Landwirtschaft.20 Solche favorisierten 28 Prozent, während 36 Prozent
Legalisierungen wurden in den USA zuletzt in den das derzeitige Niveau von Einwanderung bei-
1980er Jahren vorgenommen; viele Konservative leh- behalten wollten. 22
nen sie als „Amnestie“ ab.
18 Sarah Pierce/Jessica Bolter: Dismantling and Reconstructing the U.S. Immigration System: A Catalog of Changes under the Trump Presidency, Juli 2020,
in: https://www.migrationpolicy.org/research/us-immigration-system-changes-trump-presidency (abgerufen am 1.1.2021).
19 White House, Fact Sheet: President Biden Sends Immigration Bill to Congress as Part of His Commitment to Modernize our Immigration System,
20.1.2021, https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2021/01/20/fact-sheet-president-biden-sends-immigration-bill-to-
congress-as-part-of-his-commitment-to-modernize-our-immigration-system/ (abgerufen am 1.2.2021).
20 Doris Meissner/Michelle Mittelstadt: At the Starting Gate: The Incoming Biden Administration’s Immigration Plans, Nov. 2020, in: https://www.
migrationpolicy.org/research/starting-gate-biden-administration-immigration-plans (abgerufen am 1.1.2021).
21 Pew Research Center: 2016 Campaign: Strong Interest, Widespread Dissatisfaction, 7.6.2016, in: https://www.pewresearch.org/
politics/2016/07/07/2016-campaign-strong-interest-widespread-dissatisfaction ; Pew Research Center: Important Issues in the 2020 Elections,
13.8.2020, in: https://www.pewresearch.org/politics/2020/08/13/important-issues-in-the-2020-election (abgerufen am 18.10.2020).
22 Mohamed Younis: Americans Want More, Not Less, Immigration for First Time, 1.7.2020, in: https://news.gallup.com/poll/313106/americans-not-less-
immigration-first-time.aspx (abgerufen am 1.1.2021).Nr. 1 | Februar 2021 11
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
III. VIER HINDERNISSE UND kein Novum der Amtszeit Trumps, sondern eine seit
EINE CHANCE FÜR BIDEN Jahren immer mehr zunehmende Praktik. Auch Obama
nutzte Präsidialerlässe regelmäßig für die Migrations-
Präsident Biden wird sicherlich einen Teil seiner politik und führte auf diesem Weg etwa das oben be-
hochgesteckten Ziele in der Migrations-, Asyl- und sprochene DACA-Programm ein.
Flüchtlingspolitik erreichen können. Doch vier große
Hindernisse erschweren die Umsetzung seiner Pläne:
3 Biden muss den linken Flügel seiner Partei
zufrieden stellen. Bei Anhängern des linken
1 Covid-19 und die Wirtschaftskrise sind drin-
gendere Probleme. Biden übernimmt ein Land
in einer Doppelkrise. Bis Januar 2021 hat die Co-
Flügels der Demokraten gilt Biden nach wie vor als
Handlanger Obamas, den sie seinerzeit als „Obers-
ten Abschieber“ (Deporter-in-Chief) kritisierten.
vid-19-Pandemie in den USA bereits 400.000 Men- Zur Erinnerung: In Obamas erster Amtszeit schob
schen das Leben gekostet. Zudem herrscht durch die die Regierung mehr als drei Millionen Menschen ab
pandemiebedingten Einschränkungen die schwers- oder nach Mexiko zurück; in seiner zweiten waren
te Wirtschaftskrise seit der Great Depression. Auch es mehr als zwei Millionen Menschen. Unter Trump
wenn Biden in den ersten zwei Wochen seiner Prä- fielen diese Zahlen dann merklich: In den ersten drei
sidentschaft bereits viele Änderungen der Migrati- Amtsjahren schob die Regierung 1,4 Millionen Men-
onspolitik vorgenommen hat, so wird ihm trotzdem schen ab bzw. zurück (vgl. Grafik 3: Abschiebungen
durch die beiden akuten Krisen wenig Zeit bleiben, und Zurückschiebungen, 2009-2019.23)
sich dem Thema Migration zu widmen
Trumps bescheidenere Abschiebebilanz hatte mehre-
2 Der konservative Supreme Court kann Präsidial-
erlässe stoppen. Durch die Ernennung von Amy
Coney Barrett vor wenigen Monaten wird der Su-
re Gründe: Erstens sank in seinem ersten Amtsjahr tat-
sächlich auch die illegale Migration – und wo weniger
Menschen ankommen, werden oft auch weniger abge-
preme Court mit einer Mehrheit von sechs zu drei schoben. Zweitens waren unter Obama mehr Mexika-
Richtern von Konservativen dominiert. Er kann Er- ner als Mittelamerikaner angekommen, deren Abschie-
lässe Bidens, die auf eine Liberalisierung der Einwan- bung aufgrund eines Abkommens zwischen den USA
derungspolitik abzielen, blockieren – und wird dies und Mexiko schneller möglich ist. Drittens weiger-
voraussichtlich auch tun. ten sich viele Städte, die sogenannten „sanctuary ci-
ties“, immer öfter, wegen Bagatelldelikten festgenom-
Der oberste Gerichtshof der USA hat in den vergange- mene Menschen (beispielsweise wegen geringfügigen
nen Jahren erheblich an Macht gewonnen. Dies ist ei- Verkehrsdelikten), die sich dann als irreguläre Migran-
ne Folge der Tatsache, dass die Gewaltenteilung in den ten herausstellten, aus der Haft an die ICE-Beamten
USA immer weniger funktioniert. Wegen des Streits zu übergeben. Der vierte und vielleicht umstrittenste
der beiden Parteien im Kongress wird die US-Mig- Grund ist, dass Trumps viele neue Politiken die zustän-
rationspolitik immer weniger von der Legislative be- digen Agenturen schlicht überforderten und sie we-
stimmt, wie es eigentlich vorgesehen und sinnvoll niger Kapazitäten für Abschiebungen hatten, weil sie
ist. Stattdessen wird sie von der Exekutive beschlos- zeitgleich so viele Neuerungen umsetzten mussten.
sen und dann von der Judikative abgesegnet oder blo-
ckiert. Alle relevanten Änderungen der Migrationspoli- Obama hatte in seiner Amtszeit zwar auch liberale
tik der letzten Jahrzehnte waren nicht primär auf neue Migrationspolitiken eingeführt, wie das DACA-Pro-
Gesetze zurückzuführen, sondern auf Präsidialerläs- gramm für Dreamer sowie einige Jahre später ein
se (Executive Orders) sowie auf Anweisungen (Regula- ähnliches Programm für deren Eltern (das, unter dem
tions) der Ministerien, die dann für alle Beamten bin- Namen DAPA bekannt, allerdings von Gerichten ge-
dend sind. Trump hatte mehr als 400 Präsidialerlässe stoppt wurde). Aber das vorherrschende Narrativ von
im Bereich der Einwanderungspolitik unterzeichnet. Obamas restriktiver Einwanderungspolitik veränder-
Die häufige Anwendung dieses Mittels ist allerdings te sich dadurch kaum.
23 In den USA setzen sich Abschiebungen zusammen aus „removals“ und „returns“. Removal ist vergleichbar der deutschen Abschiebung, die nach einer
Abschiebungsanordnung durchgeführt wird und oft Menschen betrifft, die längere Zeit im Land verbracht haben, während Returns vergleichbar sind mit
der deutschen Zurückschiebung, die nicht auf einer Abschiebungsanordnung beruht und oft Menschen betrifft, die in Grenznähe aufgegriffen werden und
erst kurze Zeit im Land waren. Die Grafik basiert auf offiziellen Angaben der zuständigen US-Department of Homeland Security und zeigt die Removals
und Returns pro Fiskaljahr. Vgl. Department of Homeland Security, Yearbook of Immigration Statistics, https://www.dhs.gov/immigration-statistics/
yearbook/2019/table39
Abigail Hauslohner: The Trump administration’s immigration jails are packed, but deportations are lower than in Obama era, 18.11.2019, in: https://
www.washingtonpost.com/immigration/the-trump-administrations-immigration-jails-are-packed-but-deportations-are-lower-than-in-obama-
era/2019/11/17/27ad0e44-f057-11e9-89eb-ec56cd414732_story.html (abgerufen am 1.1.2021).Nr. 1 | Februar 2021 12
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
3 – ABSCHIEBUNGEN UND ZURÜCKSCHIEBUNGEN, 2007-2019
891.390 AMTEINFÜHRUNG
TRUMP 20.01.2017
in Mio. 319.282
1,2
0,9
171.445
Zurück- 359.885
schiebungen
0,6
0,3
Abschiebungen
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
Biden hat bereits versucht, sich von diesem Erbe Andere Reformen können nicht vom Präsidenten,
Obamas loszusagen, als er die hohe Anzahl an Ab- sondern nur von seinen Kabinettsmitgliedern auf
schiebungen als „großen Fehler“ bezeichnete. 24 Es den Weg gebracht werden. Beispielsweise kann nur
könnte sein, dass Biden in dem Versuch, aus dem Bidens neuer Generalbundesanwalt Merrick Gar-
langen Schatten der Obama-Einwanderungspoli- land die Entscheidung seines Vorgängers Jeff Sessi-
tik hervorzutreten, weiter auf den linken Parteiflü- ons umkehren, der 2018 die Verfolgung durch krimi-
gel zugeht. Dabei darf er allerdings den moderaten nelle Banden oder häusliche Gewalt als Asylgründe
Teil seiner Partei nicht verprellen. Seine Personal- abschaffte. 26 Nur der neue Heimatschutzminis-
entscheidungen deuten darauf hin, dass Biden insge- ter Alejandro Mayorkas, der unter Obama als stell-
samt eher auf die Mitte zielt. vertretender Direktor des Ministeriums und Direk-
tor der US-Einwanderungsbehörde USCIS (United
4 Die Neuordnung der Migrationspolitik braucht
Zeit. Biden wird einige von Trumps Beschlüs-
sen in der Migrationspolitik recht leicht aufheben
States Citizenship and Immigration Services) diente,
kann von seinem Vorgänger erlassene Anweisungen
und Richtlinien an die ICE-Beamten, etwa zur Prio-
können. Dazu gehören viele der Präsidialerlässe, et- risierung von Abschiebungen, per Dienstanweisung
wa das Einreiseverbot für die Bürger einiger afri- außer Kraft setzen. Dass es zu diesen Änderungen
kanischer und asiatischer Staaten, das mit einem kommt, ist aus politischen Gründen wahrscheinlich,
simplen Federstrich außer Kraft zu setzen war. An- doch die Umsetzung wird Zeit brauchen.
dere Änderungen müssen aber einen längeren bü-
rokratischen Prozess durchlaufen. Beispielswei- Die Abkommen, mit denen mehrere mittelamerika-
se bedarf es einer längeren Prozedur inklusive nische Länder zu sicheren Herkunftsländern erklärt
einer öffentlichen Kommentierung, die Monate in wurden, können wieder aufgehoben werden. Doch
Anspruch nehmen kann, um die „Public Charge bedarf es dafür erneuter bilateraler und möglicher-
Rule“ für neue Migranten rückgängig zu machen.25 weise auch regionaler Verhandlungen. Da nicht alle
24 Camilo Montoya-Galvez: Biden touts proposed deportations freeze while Sanders calls for ending ICE raids, 15.3.2020, in: https://www.cbsnews.com/
news/debate-joe-biden-touts-proposed-deportations-freeze-while-bernie-sanders-calls-for-end-to-ice-raids-2020-03-15 (abgerufen am 1.1.2021).
25 Stef W. Kight: DHS resumes “public charge” wealth test for green card applicants, 22.9.2020, in: https://www.axios.com/public-charge-immigrants-
trump-administration-f47c1a15-4583-4d93-8220-6e5b3bdc2840.html (abgerufen am 1.1.2021).
26 U.S. Department of Justice Office of the Attorney General: Interim Decision #3929, 11. Juni 2018, in: https://www.justice.gov/eoir/page/file/1070866/
download (abgerufen am 1.1.2021). Tobias Hoonhout: Biden Promises Zero Deportations in First 100 Days of Office, 16.3.2020, in: https://www.
nationalreview.com/news/biden-promises-zero-deportations-in-first-100-days-of-office (abgerufen am 1.1.2021).Nr. 1 | Februar 2021 13
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
Details der Vereinbarungen öffentlich waren, könn-
te sich auch diese Aufgabe als schwieriger oder zu- BOX 3 – AUSWIRKUNGEN
mindest langwieriger herausstellen als zunächst DER PANDEMIE: DIE GROSSE
angenommen. UNBEKANNTE
5 Bidens Chance: Das Patt im Senat: Diese vier
Hürden sollten jedoch nicht davon ablen-
ken, dass sich durch die Senatswahlen in Geor-
Eine große Unbekannte für Bidens Amtszeit
stellt die Corona-Pandemie dar. Mit ihr hatte
Trump weitere restriktive Maßnahmen begrün-
gia im Januar 2021 die Machtverhältnisse zu Guns- det. Das Weiße Haus erließ beispielsweise im
ten von Joe Biden verschoben haben: Durch den März 2020 eine Anordnung über das Center for
Doppelsieg der Demokraten Raphael Warnock Disease Control and Prevention (CDC), nach der
und Jon Ossoff in Georgia besteht nun ein Patt an der Grenze ankommende Menschen un-
im Senat, das die Vizepräsidentin mit ihrer Stim- mittelbar zurückgewiesen werden können, wenn
me zugunsten der Demokaten auf lösen kann. die Gefahr besteht, dass sie eine Krankheit wie
Covid-19 verbreiten könnten. Dies führte dazu,
Einige Beobachter frohlocken (und andere fürch- dass die USA bis September mehr als 150.000
ten) nun, Biden könne „durchregieren“, also Geset- Menschen, unter ihnen etwa 9.000 Kindern, das
ze ohne jegliche republikanische Unterstützung ver- Recht auf Asylantragstellung verwehrten.
abschieden. Im Migrationsbereich gibt es zwar eine
Reihe kleinerer Gesetzesänderungen, die die Demo- Auch auf die bereits in den Vereinigten Staaten
kraten nun relativ leicht vorantreiben können, bei- lebenden undokumentierten Einwanderer hat
spielsweise die Überführung einiger undokumen- die Pandemie einen erheblichen Einfluss. Sie
tierter Migranten in einen legalen Status (ähnlich der sind vergleichsweise großen gesundheitlichen
deutschen Debatte um den Spurwechsel von Asyl- Gefahren ausgesetzt, weil sie oft in der Land-
bewerbern in einen anderen Aufenthaltstitel), ei- wirtschaft, der industriellen Produktion oder
ne Reform des Programms für temporäre Arbeitsvi- im Dienstleistungsgewerbe tätig sind, wo der
sa sowie eine Erhöhung der seit langem als zu gering direkte Kontakt zu anderen Menschen unver-
bewerteten Obergrenze von 140.000 berufsbezo- meidbar ist. Zudem ist es für sie schwieriger,
genen Green Cards pro Jahr in Verbindung mit ei- Krankenversicherungen abzuschließen.
nem regulativen Mechanismus, der diese Obergren-
ze stets an die wirtschaftliche Lage anpassen soll.27 Die Abschiebungen aus den USA belasten
Diese Änderungen würden sicherlich einige dringen- zudem die Gesundheitssysteme der Herkunfts-
de Probleme lösen. länder. Insbesondere Guatemala monierte
bereits in der Anfangsphase der Pandemie, dass
Doch eine umfassende Reform, die das völlig veral- die Vereinigten Staaten viele infizierte Personen
tete Gesetz von 1965 ersetzen würde, bleibt trotz Bi- abschieben würden. Nach Gesprächen zwischen
dens umfassendem Vorschlag für einen „US Citizen den Regierungen beider Länder erklärte sich das
Act“ unwahrscheinlich. Denn die Republikaner im US-Heimatschutzministerium zwar bereit, nur
Senat können Gesetzesvorschläge mit dem Instru- Personen abzuschieben, die negativ getestet
ment des Filibusters blockieren. Um das zu verhin- worden waren. Allerdings testeten mehrere
dern, ist eine Dreifünftel-Mehrheit nötig (also 60 von Abgeschobene trotz dieses Versprechens posi-
100 Senatoren). Die 50 Demokraten im Senat brau- tiv, als sie bei der Ankunft in Guatemala noch
chen also die Unterstützung von mindestens zehn einmal untersucht wurden. 28
republikanischen Senatoren, sonst bleibt der Vor-
schlag unverwirklicht. Da aber bereits in zwei Jahren
die Midterm-Wahlen anstehen, bei denen die Wähler
Republikaner abstrafen können, hat die Suche nach
zehn Unterstützern wenig Aussicht auf Erfolg.
27 Doris Meissner/Michelle Mittelstadt: At the Starting Gate: The Incoming Biden Administration’s Immigration Plans, Nov. 2020, in: https://www.
migrationpolicy.org/research/starting-gate-biden-administration-immigration-plans (abgerufen am 1.2.2021).
28 Lucas Guttentag/Stefano M. Bertozzi: Trump Is Using the Pandemic to Flout Immigration Laws, 11.5.2020, in: https://www.nytimes.com/2020/05/11/
opinion/trump-coronavirus-immigration.html; Camilo Montoya-Galvez: Nearly 9,000 migrant children have been expelled under pandemic border policy,
court documents say, 11.9.2020, in: https://www.cbsnews.com/news/8800-migrant-children-have-been-expelled-under-pandemic-border-policy-per-
court-documents (abgerufen am 1.1.2021). Jorge Loweree/Aaron Reichlin-Melnick/Walter Ewing: The Impact of COVID-19 on Noncitizens and Across the
U.S. Immigration System, 30.9.2020, in: https://www.americanimmigrationcouncil.org/research/impact-covid-19-us-immigration-system#.X4wFFq3J2Cs
(abgerufen am 1.1.2021).Nr. 1 | Februar 2021 14
ANALYSE US-Migrationspolitik unter Joe Biden – Was Deutschland erwarten kann und tun sollte
Eine zweite Hürde besteht bei den Demokraten darauf aufmerksam machen, dass andere mächti-
selbst. Denn nicht nur zwischen den beiden Partei- ge Länder wie China und Russland ihre Verantwor-
en, sondern auch zwischen den Flügeln der demo- tung für den Flüchtlingsschutz seit Jahren weitge-
kratischen Partei sind die Gräben tief. Auch in frü- hend ignorieren.
heren Einwanderungsdebatten konnten sich die
Fraktionen innerhalb der Partei nicht darauf einigen, Der Einwand, dass Deutschland gerade in einem
welche Parameter bei der Steuerung von Einwande- Wahljahr vermutlich kein Interesse an der Aufnah-
rung zu priorisieren sind. me weiterer Flüchtlinge hat, mag berechtigt sein.
Er verkennt aber die Dringlichkeit der Probleme.
In den letzten 15 Jahren ist eine Reform wie der „US Der Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria,
Citizens Act“ bereits zweimal trotz parteiübergrei- die illegalen Zurückweisungen an Europas Außen-
fender Versuche gescheitert (2007 und 2013). Daher grenzen, die menschenunwürdige Behandlung von
gilt eine umfassende und überparteilich unterstützte Migranten auf dem Balkan –diese dramatischen Er-
Migrationsreform in den USA mittlerweile als heili- eignisse gibt es auch deshalb, weil legale Wege nach
ger Gral: begehrenswert und Erlösung versprechend, Europa fehlen.
aber leider unauffindbar. Auf lange Sicht braucht es
aber eine solche Reform, um die Einwanderungsge- Resettlement ist das, was deutsche Politiker regel-
setzgebung so zu verändern, dass sie die Realitäten mäßig fordern: Ein legaler Weg für Flüchtlinge, über
und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reflek- den eine geordnete und sichere Ausreise aus Flücht-
tiert – und nicht mehr die der 1960er Jahre. Ohne lingscamps möglich ist. Solange Deutschland die-
sie werden Bidens Versuche, den Trumpschen Fuß- se legalen Wege aber nur rhetorisch beschwört und
abdruck in der US-Migrationspolitik zu löschen, nur nicht aktiv und in einem relevanten Umfang schafft,
teilweise gelingen. wird sich an der verzweifelten Situation in den La-
gern kaum etwas ändern. Wenn Deutschland jedoch
willige und ausreichend große Partner gewinnt, kann
IV. WAS TUN? EMPFEHLUNGEN FÜR eine solche Koalition dazu beitragen, dass Resettle-
DIE DEUTSCHE REGIERUNG ment nicht länger ein eher theoretisches Verspre-
chen ist, sondern wieder ein tatsächlich nutzbarer
Bisher spielte Einwanderungspolitik im deutsch- Ausweg für Flüchtlinge.
amerikanischen Verhältnis keine nennenswerte Rol-
le. Das sollte sich ändern. Denn bei allen Hürden, die Zweitens sollten deutsche Politiker aus den Fehlern
Joe Biden bei der Umsetzung seiner Migrationsagen- der USA lernen. Trump Migrationspolitik war unaus-
da bewältigen muss, bietet seine Präsidentschaft für gewogen. Er ließ den Außengrenzschutz verstärken,
Deutschland auch eine große Chance: Gemeinsam ohne in die Fluchtursachenbekämpfung zu investie-
können beide Länder versuchen, den kaputten in- ren und ohne für ein besseres Funktionieren des ge-
ternationalen Flüchtlingsschutz wiederherzustellen. samten Migrations- und Asylsystems zu sorgen, etwa
Das liegt offensichtlich auch im deutschen Interesse. durch Verstärkung und Unterstützung der Asylent-
scheider und vielen anderen Beamten, die die kom-
Statt sich nur auf eine „europäische Lösung“ zu kon- plexen und teils widersprüchlichen Regeln umsetzen
zentrieren (die ohne massive Machtverschiebun- müssen. Damit verursachte Trump nicht nur immen-
gen in vielen EU-Ländern wenig realistisch ist), soll- ses menschliches Leid und beschädigte die inter-
te Deutschland neue Koalitionen schmieden, um die nationale Reputation der USA, sondern er verfehlte
Herausforderungen bei der Bewältigung von Flucht auch sein Ziel: Statt dauerhaft abzunehmen, stiegen
und Vertreibung auf mehr – und vor allem auch brei- die illegalen Grenzüberquerungen in die USA wäh-
tere – Schultern zu verteilen. rend Trumps Amtszeit auf den höchsten Stand seit
zehn Jahren.
Konkret ergeben sich für deutsche Politiker zwei
Konsequenzen: Erstens sollten sie die Amtszeit von Die Lektion für Deutschland und Europa aus Trumps
Biden nutzen, um eine Flüchtlingskoalition mit den Bilanz lautet: Wer Migration sinnvoll steuern will,
USA und anderen Demokratien wie Kanada, Frank- kann nicht einseitig auf Abschottung setzen.
reich, Spanien, Portugal und den Niederlanden zu
begründen. Gemeinsam sollten diese Länder sich zu
einer Trendumkehr bei den seit Jahren fallenden Re-
settlement-Zahlen verpflichten. Zudem sollten sieRauchstraße 17/18 10787 Berlin Tel. +49 30 254231-0 info@dgap.org www.dgap.org @dgapev Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) forscht und berät zu aktuellen Themen der deutschen und euro- päischen Außenpolitik. Dieser Text spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren wider, nicht die der DGAP. Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. ISSN 1611-7034 Redaktion Bettina Vestring Layout und Grafiken Luise Rombach Design Konzept: WeDo Fotos Autorinnen und Autoren © DGAP Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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