Mixtape Südafrika - Norient

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Mixtape Südafrika | norient.com                                          3 Feb 2022 11:47:48

    Mixtape Südafrika
    P O D C A S T by Thomas Burkhalter

    Südafrika ist nicht nur ein Land der Gegensätze von Arm und
    Reich, von Drogenkriminalität, AIDS und 2010 von der
    Fussball-WM. Südafrika kennt auch eine schier
    unermessliche musikalische Produktion und Vielfalt. Thomas
    Burkhalter beginnt seine kommentierte Hörreise durch
    Südafrika mit traditionellen Gesängen und Rhythmen der
    Zulu, Xhosa und Venda, lässt die Populärmusik der 1950er
    und 60er Jahre anklingen, horcht den historischen Reden von
    Nelson Mandela nach und lässt sie schliesslich in den
    aggressiven Kwaito-Beats der 1990er Jahre und im
    südafrikanischen Club-House von heute münden.

    Der Podcast «Mixtape Südafrika» (von Thomas Burkhalter, produziert für
    Radio DRS2 und SWR2 Dschungel) startet in den 1930er Jahren mit den
    Gesängen und Rhythmen der Zulu, Xhosa und Venda. Die San-Buschmänner
    überraschen mit ihrem typischen Jodelgesang. Wir hören ihre Maultrommeln,
    Hörner und Signalpfeifen. Die Venda aus dem Nordosten Südafrikas lassen
    ein komplexes Zusammenspiel erklingen: Sie singen typische Frage- und
    Antwort-Phrasen, und begleiten sich mit sehr großen und auch kleinen
    Trommeln, Rasseln, Bambus-Pfeifen und Hörnern. Die Sothos schliesslich
    improvisieren nicht, sondern singen komponierte Lieder. Man hört den
    Einfluss der europäischen Kirchmusik, von Chorälen und amerikanischen
    Gospels.

    Der Einfluss der Kolonialstaaten und Missionare

    Die Musik fast aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas ist schon früh von
    fremden musikalischen Stilen beeinflusst worden. 1652 richteten die
    Holländer in Kapstadt eine Proviantstation ein. Mit ihren Schiffen kamen
    auch Instrumente und Sklaven an den südlichsten Zipfel Südafrikas. Schon
    bald begleiteten etwa die Khoi, die Viehzüchter der Gegend, ihre Lieder mit
    europäischen Gitarren und asiatischen Saiteninstrumenten. Die Sklaven
    stammten nämlich aus Java, Sri Lanka, Malaysia und Madagaskar. In der
    Musik Südafrikas hören wir diese verschiedensten Einflüsse immer wieder: In
    der Country-Musik der holländischen Buren zum Beispiel oder in den Jazz-
    Balladen von den Beam Brothers. Oder bei Willie Gumeda mit seiner

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    Concertina Band 1945. Die Konzertina – ein kleines Akkordeon – war mit
    schottischen Missionaren nach Südafrika gekommen. Europäische
    Missionare veränderten das Musizieren grundlegend. Vorher war meist
    gemeinsam improvisiert worden. Jetzt bildeten die Missionare an ihren
    Schulen Komponisten aus. Diese arrangierten die Gesänge der verschiedenen
    Volksgruppen neu und durchsetzten sie mit Harmonien: Wir hören die neue
    südafrikanische Chor Musik zum Beispiel von der Mhluzi Choral Society. Oder
    in der Originalaufnahme von Mbube (der Löwe) von 1939. Hier war der
    Einfluss der vielen nordamerikanischen Minstrel-Sänger, Gospel-Gruppen
    und Ragtime Pianisten prägend, die schon damals durch Kapstadt,
    Johannesburg und Durban tourten. «Dieses Lied kommt aus Südafrika»,
    erklärt der amerikanische Folk-Sänger Pete Seeger seinem Publikum in einer
    Konzertaufnahme. Er nahm Mbube 1950 auf. Nach der Version von Pete
    Seeger wurde Mbube noch rund 200 mal gecovert. Erst 2006 haben es die
    Kinder des verstorbenen Sängers des Originals, Solomon Linda, geschafft,
    ihre Urheberrechte geltend zu machen. Sie gewannen einen Rechtsstreit mit
    dem Walt Disney Konzern, der Mbube im Film Der König der Löwen
    verwendet hatte.

    Der Mbaqanga-Jive der 1950er Jahre
    In den 1950er Jahren wurde die städtische Musik immer populärer und
    breitete sich im ganzen Land aus. Aus dem Township Soweto bei
    Johannesburg klang der Mbaqanga-Jive. Diese Musik brachte Jazz, Soul, Funk
    und Rumba scheinbar mühelos zusammen. Bald entstand daraus der
    berühmte Saxofon-Jive Südafrikas. Er wurde in den Kneippen der Townships
    gespielt – abseits von der weissen Gesellschaft.

    Proteste gegen das Apartheid-Regime
    Ab den späten 1960er Jahren wurde die Protestbewegung der unterdrückten
    Schwarzen gegen das Apartheid-Regime immer stärker. Die Regierung schlug
    mit blinder Gewalt zurück. Berühmte Musikerinnen und Musiker flohen ins
    Exil oder kehrten von Ausland-Tourneen nicht mehr zurück: So die Sängerin
    Miriam Makeba, der Trompeter Hugh Masekela und der Pianist Abdullah
    Ibrahim. Im Podcast «Mixtape Südafrika» hören wir die Rede, die Nelson
    Mandela 1964 vor Gericht gehalten hatte, bevor er für 27 Jahre ins Gefängnis
    gesteckt wurde: «Ich habe sowohl gegen die weiße als auch gegen die
    schwarze Dominanz gekämpft. Eine freie demokratische Gesellschaft, das ist
    das Ideal, für das ich zu leben wünschte. Ich bin auch bereit, für dieses Ideal
    zu sterben.» Aber auch Teile der weißen Minderheit protestierten: Die Gruppe
    «Illegal Gathering» sang ihre kritischen Lieder in Afrikaans, der Sprache der
    herrschenden Buren, wurde aber vom nationalen Radio boykottiert. Der
    Liedtext hinterlässt allerdings zwiespältige Gefühle: «Ich bin total verloren.
    Ich verschwende meine Jugend mit Krieg» heisst es dort. Dann aber gibt der
    Sänger zu, dass er den Befehlen seines Korporals gehorchen werde. Das sei
    allerdings seine Pflicht, nicht seine Wahl. Am 2 Februar 1990 schliesslich hob

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    der weisse Präsident De Klerk in einer historischen Rede das Verbot des ANC
    und anderer politischer Parteien auf und kündigte an, er werde politische
    Gefangene freilassen.

    Die Post-Apartheid Ära
    Nach dem Ende der Apartheid sprossen schwarze Radiostationen und
    Plattenlabels wie Pilze aus dem kulturell fruchtbaren Boden Südafrikas.
    Kwaito wurde zur Musik, die den schwarzen Lebensstil in den Townships am
    besten verkörperte. Kwaito basiert meistens auf verlangsamten House-Beats
    und auf Rap in verschiedenen schwarzen südafrikanischen Sprachen und dem
    Slang der Townships – Englisch wird nur ganz selten verwendet. Dazwischen
    geflochten sind immer wieder südafrikanische Melodien und
    Schlagzeugpartien. Musiker und Fans betonen die Eigenständigkeit des
    Genres und sehen die Wurzeln des Kwaito in der schwarzen populären Musik
    der 1950er Jahre – so wie wir sie gehört haben. Einer der Stars des Kwaito
    war und ist Mandoza: Dank seiner aggressiven Stimme und seinen
    knüppelharten Beats! Andere Stars sind Zola, Mzekezeke und DJ Cleo.

    Heute argumentieren die Kritiker, Kwaito sei heute von der Werbeindustrie
    vereinnahmt worden und darum bloß noch kommerziell. Die Anti-Apartheid-
    Kämpfer der 1970er und 80er Jahren vermissen oft die politische Botschaft.
    Die Jugend aber sieht das anders: Jahrelang war man von Reichtum und
    Entwicklung ausgeschlossen, jetzt will man möglichst schnell möglichst viel
    Geld verdienen und der Armut entfliehen. Es gibt noch einen weiteren Streit:
    Ist Kwaito eine eigenständige südafrikanische Musik oder bloss eine Variante
    des globalen Rap? Für die Kwaito-Musiker ist klar: Kwaito ist Südafrika pur,
    mit all den Einflüssen aus der Musik Südafrikas der 1950er bis 80er Jahre.

    Fazit
    Die neue Musik Südafrikas greift vielfältig auf das kulturelle Erbe zurück und
    die Szene kann sich auf eine breite lokale Musikindustrie stützen – anders als
    in anderen afrikanischen Ländern. Natürlich gibt es da viel Kommerz, aber es
    existieren auch viele kleine Labels, freie Radio- und TV-Stationen sowie
    unabhängige Medien und Internet-Plattformen. Gerade wenn man
    befürchtet, das Land ersticke seine traumatischen Erinnerungen und seine
    Zukunftssorgen nun endgültig in übertriebenem Kaufrausch und
    kommerzieller Musik, taucht immer wieder eine neue Stimme auf. Zum
    Beispiel die Gruppe Die Antwoord oder viele andere.

    → Playlist
    1. La Mouche
        Bushmen Juóansi From Namibia
        CD: Bushmen Juóansi

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    2. Zulu Songs Accompanied By The Musical Bow «Ugubhu»
        Sung And Played By Princess
        CD: Music! 100 Years Of The Berlin Phonogramm-Archiv (Disc 2)
    3. Zone Conservaroire
        Bushmen Juóansi From Namibia
        CD: Bushmen Juóansi
    4. Venda Horn Song
        CD: Ancient Civilisations Of Southern Africa 2:
        Tribal Drums Of The Venda People
    5. Tlholwe Le Mutle
        Serankure Music Arts (Tswana)
        CD: Ancient Civilisations Of Southern Africa
    6. Umgoboti
        Gumede, Willie Concertina Band
        CD: Echoes Of Africa: Early Recordings
    7. Hoe Ry Die Boere
        Shimon Ash
        CD: Songs Of South Africa – Sung In Afrikaans
    8. Thina Laphe Emzini
        Mhluzi Choral Society
        CD: African Renaissance – Volume 05 –
        Ndebele (Disc 1)
    9. Mbube
        Solomon Linda And Evening Birds
        CD: Zulu Choral Music
    10. Ngaleyo Mini
        Beam Brothers
        CD: African Renaissance – Volume 01 –
        Zulu (Disc 2)
    11. Setimela
        Basadi Ba Thabakgolo
        CD: African Renaissance – Volume 03 –
        Ndebele (Disc 2)
    12. Reasonable Men
        Kalahari Surfers
        CD: Shotdown: Resistance Music
        From Apartheid South Afrika
    13. WOZA ANC
        Freedom Choir (Acfc)
        CD: The Winds of Change
    14. Hou My Vas Korporaal
        Illegal Gathering
        CD: Shotdown: Resistance Music
        From Apartheid South Afrika
    15. Nkosi Sikelel’ iAfrika
        Tumela Maloi
        CD: The Winds Of Change
    16. Unbanning Speech
        F.W. De Klerk
        CD: The Winds Of Change
    17. Inauguration Speech
        Nelson Mandela
        CD: The Winds Of Change

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    18. Masadzi Wa Tshikuma
        Chicco
        CD: South Afrika Rhythm Riot
    19. Phunyuka Bamphethe
        Mandoza
        CD: Phunyuka Bamphethe
    20. Xhikwembo
        Gurash
        CD: DaladalaSoundz Uptown Joji
    21. Emgungundlovu
        Zulu Boy
        CD: Masihambisane
    22. Mugwanti
        Mujava
        CD: Ayobaness! The Sound Of South African House

    Diese Sendung wurde ausgestrahlt auf SWR2 Dschungel, am 11.6.2010.

    → Published on June 10, 2010

    → Last updated on October 08, 2020

    Thomas Burkhalter is an anthropologist/ethnomusicologist (PhD), AV-artist, and
    writer from Bern (Switzerland). He is the founder and director of Norient, the Norient
    Space (Norient.com), and the founder and strategic director of the Norient Film
    Festival (NFF). He co-directed documentary films (e.g. “Contradict”, Berner
    Filmpreis 2020 + Al-Jazeera Witness) and AV/theatre/dance performances, is the
    author and co-editor of several books, teaches regularly at universities, and runs
    workshops for arts institutions. His experimental radio feature, «Gqom Edits – A
    Durban Visit», was nominated for Prix Europa in 2017. Currently, he is working on a
    new music project, and on the experimental podcast series’ Timezones and South
    Asian Sound Stories with musicians from the UK, Bangladesh, India, and Pakistan.

    → Topics

                 Tradition
                 Violence
                 All Topics

    → Special
    Countries: South
    Africa

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