MONTFORT Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs - StudienVerlag - Land Vorarlberg

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66. Jahrgang 2014 BAND 1

MONTFORT
             Zeitschrift für
             Geschichte Vorarlbergs

                 Innsbruck
                 Wien
 StudienVerlag   Bozen
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Schriftleitung: ao. Univ.-Prof. Dr. Alois Niederstätter, Vorarlberger Landesarchiv,
Kirchstraße 28, A-6900 Bregenz, Tel.: +43 (0)5574 511 45005,
Fax: +43 (0)5574 511 45095; E-Mail: landesarchiv@vorarlberg.at

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Inhaltsverzeichnis

 5    Ulrich Nachbaur
      Der heilige Bischof Theodul.
      Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung
      1. Bischof von Octodurus, später Patron von Wallis 5 · 1.1. Ein spätantiker Bischof 5 · 1.2. Abgrenzungsprobleme 7 ·
      2. Wein ohne Ende 7 · 3. Im Glanz der Thebäer 8 · 3.1. Offenbarung und Erhebung der Gebeine der Thebäer 8 · 3.2. Im
      Kreis der spätmittelalterlichen Militärheiligen der Eidgenossen 10 · 4. Im Dienst der Fürst­bischöfe von Sitten 12 ·
      4.1. Angebliche karolingische Schenkung 12 · 4.2. Machtkampf mit den Zenden 13 · 4.3. Münzpropaganda und Macht-
      wechsel 14 · 5. Die Glockenlegenden 15 · 5.1. Theodulglocken im 14. Jahrhundert 15 · 5.2. Verbreitung der Glocken-
      legenden im 15. Jahrhundert 16 · 5.3. Fehldeutung bildlicher Darstellungen? 18 · 5.4. Darf sich ein Bischof mit dem
      Teufel einlassen? 18 · 5.5. Bis zum Leuenführer in der Kleinbasler Fasnacht! 20 · 6. Vermehrbare Reliquien 22 · 6.1. Im
      Ringen um die Macht 22 · 6.2. Heiliges Metall 22 · 6.3. Joderkerzen 24 · 7. Glockenreliquien gegen dämonische
      Unwetter 25 · 7.1. Reliquienbewehrte Wetterglocken 25 · 7.2. Im Kampf gegen dämonische Naturgewalten 26 ·
      7.3. Gottes Strafgericht und der 16. August als Bußfeiertag 27 · 7.4. Der Aufklärung zum Trotz 28 · 8. Reliquien mit
      Auflagen: Feiertag zur Unzeit 29 · 8.1. Bittsteller in Sitten 29 · 8.2. Feiertag als Auflage 31 · 8.3. Der lästige Theoduls-
      tag 31 · 8.4. Verwöhnung und Verhöhnung des Heiligen 32 · 9. Theodulglocken: eine unvollständige Bestandsauf-
      nahme 34 · 9.1. Schweiz 34 · 9.2. Frankreich 36 · 9.3. Italien 37 · 9.4. Deutschland 37 · 9.5. Liechtenstein 38 · 9.6. Öster-
      reich 38 · 10. Geographische Abgrenzung der Theodulverehrung 38 · 11. Käserpatron: ein Marketingerfolg 40 · 11.1. „Aria
      di Monti“ 41 · 11.2. Kreierung eines werbewirksamen Schutzpatrons 41 · 11.3. Käserkapellenpatron 42 · 12. Knappen-
      patron: eine folgenreiche Verwechslung 42 · 13. Viehpatron? 44 · 14. Fliegerpatron 44 · 15. Persönlicher Nothelfer 44 ·
      16. Überlagerung durch den hl. Rochus 45 · 17. Ergebnisse 45

83    Klaus Amann
      Das „Spottgedicht auf Kaiser Ludwig den Bayern“.
      Historische Quelle für die Belagerung Feldkirchs 1345?
      Mit einer Edition und Übersetzung
101   Vanessa Hämmerle
      Von Faustschlägen, Drohgebärden, Raufhändeln und Ehebrüchen.
      Alltägliche Konflikte, untersucht anhand der „Frevelbücher“
      der Herrschaft Bludenz (1544–1560)
119   Manfred Tschaikner
      Der Originalbericht über die Felsstürze
      am Breitenberg bei Dornbirn im Frühjahr 1760
127   Helmut Tiefenthaler
      Berge und Alpinismus im kirchlichen Leben Vorarlbergs
151   Rezensionen

163   Autorinnen und Autoren
NACHBAUr Der heilige Bischof Theodul. Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung                    5

      Ulrich Nachbaur                                      Wer war der hl. Bischof Theodul?1 Wann und weshalb
                                                       kam seine Verehrung in Mode? Welche Kreise zog sie?
                                                           Seit Josef Bergmann 1837/44 den hl. Theodul als Kron-
     Der heilige                                       zeugen für die Herkunft der Walser aus Wallis ins Treffen
                                                       führte, verfestigte sich die These zur allgemeinen Gewissheit,

 Bischof Theodul.                                      die Walser hätten „ihren“ hl. Theodul im 13./14. Jahrhundert
                                                       aus Wallis mitgebracht und Theodul sei in Vorarlberg von

Von der Urkunden-
                                                       allen Walsern und nur von den Walsern und verehrt worden.
                                                           Zum hl. Theodul als „Leitfossil“ der Walserforschung soll
                                                       eine zweite Studie folgen. Um diesen Fragenkomplex ein-

 fälschung bis zur                                     ordnen zu können, gilt es zunächst, die vielschichtige und
                                                       weitläufige Theodul-Thematik in einem größeren Rahmen

   Käsewerbung
                                                       abzuklären und etwas zu entflechten. Seltsame Hinweise in
                                                       Fachlexika, in Vorarlberg werde der hl. Theodul auch als
                                                       Knappen- und Viehpatron verehrt, machen stutzig und deu-
                                                       ten an, dass dieser internationale Themenbereich seit Berg-
                                                       mann stark durch die Vorarlberger Forschung mitgestaltet
                                                       und zum Teil fehlgeleitet wurde.

                                                       1. Bischof von Octodurus,
                                                       später Patron von Wallis
                                                       Der Kirchenhistoriker Heinrich Murer (1588 bis 1638),
                                                       Mönch der Kartause Ittingen (Thurgau), zeichnete in seinem
                                                       1648 posthum in Luzern und Wien erschienenen üppigen
                                                       Werk „Helvetia Sancta“ das Leben dreier heiliger Walliser
                                                       Bischöfe mit Namen Theodor nach, wobei für ihn der karo-
                                                       lingische Theodor „Theodulus“ war – Bischof, Beichtiger
                                                       (= Bekenner, confessor) und erster Graf in Wallis.2 Hier saß
                                                       Murer wie noch viele wohlmeinende Geschichtsschreiber
                                                       der Walliser Propaganda auf.

                                                       1.1. Ein spätantiker Bischof

                                                       Theodor (dt. auch Theodul, Joder,3 Jodro, Jodel, Doderes;4
                                                       franz. Théodule, Toudele;5 rätoroman. Gioder,6 ital. Teodulo)
                                                       war der erste bekannte Bischof des spätantiken Bistums
                                                       Oc­todurus (heute Martigny/Martinach).7 381 scheint er als
                                                       episcopus Octodorensis unter den Teilnehmern des vom Mai-
                                                       länder Bischof Ambrosius einberufenen Konzils von Aqui-
                                                       leia auf.8 In mittelalterlichen Quellen und später im Sagen-
                                                       schatz und in der Literatur wird Theodul meist als „Bischof
                                                       von Sitten“ (episcopus Seduensis) bezeichnet. Zum einen
                                                       wohl, weil der Bischofssitz im 6. Jahrhundert nach Sitten/
                                                       Sion verlegt wurde, wobei auch Theoduls Reliquien dorthin
                                                       überführt worden sein sollen. Zum anderen sollte Theodor ja
                                                       ein Zeitgenosse Kaiser Karls des Großen (768 bis 814) gewe-
                                                       sen sein. In jüngeren Lexika wird er inzwischen als „Theo-
                                                       dor von Octodurus“ geführt.9 Sein Hauptgedenktag ist der
                                                       16. August.
                                                           Archäologische Befunde lassen darauf schließen, dass in
                                                       Sitten bereits in karolingischer Zeit ein Sakralbau bestand,
                                                       in dessen Krypta die Überreste des hl. Theodul ruhten. Die
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Reliquien wurden vermutlich Ende des 12. Jahrhunderts                               kaum eine Rolle spielten, in der Diözese Sitten/Sion dem hl.
„erhoben“ (Gedenktag 4. September) und in Reliquiare                                Theodul um 1445 nur ein Altar geweiht gewesen sei.16 Eine
umgebettet.10 Über der ehemaligen Krypta wurde die 1228                             Generation später lässt sich bereits die „Theodulspende“
erstmals erwähnte St. Theodulkirche erbaut und ab 1510                              oder „Joderspende“, eine Abgabe zur Armenunterstützung
durch einen Neubau ersetzt. Bereits 1364 befanden sich fast                         nachweisen, die in den Oberwalliser Gemeinden verbreitet
alle wertvollen Objekte und Reliquiare der Kirche von Sit-                          war (Törbel 1473: honorem Sancti Theoduli pauperibus dis­
ten in der Kirchenburg Valeria,11 wo das Domkapitel seinen                          tribuende).17 Die Gaben wurden am Jodernfest an die Armen
Sitz hatte, während der Bischof auf dem Hügel gegenüber im                          verteilt. Nicht von ungefähr lieferte Brig die Hälfte der Theo-
Schloss Tourbillon residierte.                                                      dulspende an die kirchlichen Behörden in Sitten ab.18 Denn
    In den Synodalstatuten des Bistums Sitten von 1219                              sie überlagerte sich mit einem Bauopfer, das die Bischöfe
wird im Festtagskalender das Fest „unseres Patrons“ Theo-                           zugunsten der St. Theodulkirche in Sitten verlangten. Nach
dul ­(patroni nostri) hervorgehoben, das allgemein besonders                        der Zerstörung der St. Jodernkapelle im Krieg mit Savoyen
feier­lich zu begehen ist.12 In Testamenten, meist von Kleri-                       1475 war unter Kardinal Schiner 1510 in großem Maßstab
kern, wurde er ab 1287 geehrt, angerufen oder bedacht.13                            mit einem Wiederaufbau der Kirche begonnen worden.19
1256 wurde in Visperterminen in Oberwallis eine Kapelle                                 Punktuell genoss der hl. Theodul auch außerhalb von
vermutlich mit einem Theodulpatrozinium gestiftet.14 Es mag                         Wallis bereits im Hochmittelalter Verehrung.20 1202 stiftete
drei, vier weitere Kapellen gegeben haben.15 Davon abgese-                          zum Beispiel Gräfin Margarete von Blois in der Kathedrale
hen dürfte auch in Wallis selbst erst im 15. Jahrhundert eine                       St. Stephan in Besançon (Franche-Comté) einen Theodulal-
breitere Verehrung eingesetzt haben. Eine Auswertung der                            tar mit zwei Kaplänen.21 Für die Ausbreitung des Theodul-
spätmittelalterlichen Visitationsberichte für die Diözesen                          kults in der Innerschweiz mag wieder dessen Verehrung im
im Einflussbereich des Hauses Savoyen hat jüngst ergeben,                           Benediktinerstift Engelberg (Obwalden) eine gewisse Rolle
dass lokale Heilige bei Kirchen- und Altarpatrozinien noch                          gespielt haben. Dort wurde Theodor 1325 unter den Titular-

Abb. 1: Sitten um 1640. Über der Stadt links Tourbillon, rechts Valeria; in der Stadtmitte die Kathedrale, rechts davor St. Theodulkirche (H) (Matthäus Merian,
Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae. Frankfurt 1642).
NACHBAUr Der heilige Bischof Theodul. Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung                                      7

patronen der neuen Kirche aufgeführt, im Jahrzeitbuch aber               Problem ist freilich nicht neu und warf auch in der religiö-
auch erst 1491 rot als Festtag ausgewiesen.22                            sen Praxis Fragen auf. Eine pragmatische Lösung wurde für
     Im 1550 erneuerten Jahrzeitbuch von Sachseln (Obwal-                die Filialkirche Littau bei Luzern getroffen: Bei der Anlegung
den) ist vermerkt, dass die Angehörigen der Pfarre verpflich-            eines Jahrzeitbuches hatte man 1445 nach Prüfung der alten
tet wurden, den 16. August wie einen Sonntag zu feiern und               Bücher festgestellt, dass der hl. Bischof Theodul Patron der
an diesem Tag ein Opfer für eine St. Joderskerze zu leisten. An          Kirche sei. 1509 vertrat aber auch der zuständige Luzerner
diesem Tag, heißt es weiter, sei 1342 ehrwürdige Herr Konrad             Leutpriester die Ansicht, eigentlich sei der hl. Märtyrer Theo-
von Landenberg schwer krank in diese Kirche gekommen,                    dor, der am 9. November gefeiert werde (demnach Theodor
habe St. Joder angerufen und sei sofort gesund geworden.23               Tiro), der richtige Kirchenpatron. Es wurde beschlossen, zur
Aus dieser Eintragung im Jahrzeitbuch ist nicht eindeutig                Sicherheit den Märtyrer zusätzlich als Patron aufzunehmen.30
herauslesen, dass dieser Feiertag 1342 aufgenommen wurde                     Wir werden in der Folgestudie sehen, dass in jüngerer
und/oder das Kirchenpatronat des hl. Theodul bereits auf die             Zeit die Fixierung Theoduls auf einen „Walserheiligen“ zu
Zeit vor 1342 zurückgeht.24 Bereits Kaplan Joachim Eichhorn              Verwechslungen geführt hat. Hier möge als anderes Beispiel
(1578 bis 1658) merkte jedoch zu Beginn des 17. Jahrhun-                 Ottobeuren genügen (vgl. 9.4.).
derts an anderer Stelle dazu an, dass zur selben Zeit, lange
vor Bruder Klausens Geburt, große Wallfahrten nach Sach-
seln unternommen worden seien, auch vil und große Zey­
chen durch Sanct Theodolin Bischof von Wallys geschehen.25               2. Wein ohne Ende
Sachseln war die Heimat des mystischen Einsiedlers Niklaus
von der Flüe (1417 bis 1487), der bereits zu Lebzeiten als               Heinrich Murer stützte sich in seiner „Helvetia Sancta“ auf
Heiliger und Friedenstifter der alten Eidgenossenschaft ver-             eine Heiligenvita, die ein Mönch namens Ruodpert, vermut-
ehrt wurde. Der maßgebende Einfluss der Sachsler Familie                 lich nicht in Wallis, aufgezeichnet hatte, nach derzeitigem
von der Flüe soll dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass
auch die Kapelle im Bergdorf Altzellen (Nidwalden) 1482
St. Joder geweiht wurde, der Bruder Klaus ein Messgewand
stiftete.26 Jedenfalls wird die Wallfahrt zum Grab des seligen
Bruder Klaus in der Pfarrkirche St. Theodul zu Sachseln die
Bekanntheit und wohl auch die Verehrung des Pfarrpatrons
gefördert haben. Ab 1488 sollen Theodul und Klaus gemein-
sam vom Ziffernblatt der Kirchturmuhr gegrüßt haben.27
     Jeannine Fohlen, der wir die bisher umfangreichste
Dokumentation von Theodul-Kultstätten und -Kultobjek-
ten verdanken, zählt bereits für das 12. und 13. Jahrhundert
acht Kirchen außerhalb von Wallis auf.28 Dabei wäre jedoch
im Einzelfall zu prüfen, ab wann ein Theodulpatrozinium
tatsächlich nachweisbar ist. Sehr häufig erfahren wir ver-
hältnismäßig spät, wem die Kirche geweiht bzw. wer gerade
als Kirchenpatron in Mode war. Zu Sachseln heißt zum Bei-
spiel auch in Rekonziliationsurkunde von 1459 nur, dass der
Hauptaltar den Hll. Mauritius und Theodul geweiht wurde.
     Jedenfalls verbreitete sich der Theodulkult vom 15. zum
16. Jahrhundert schwunghaft. Dazu trugen die Bischöfe von
Sitten mit politischem Kalkül gezielt bei.

1.2. Abgrenzungsprobleme

Unabhängig von Theodor von Octodurus muss „Theodul“ eine
verbreitete Form für „Theodor“ gewesen sein. In Zedlers „Uni-
versal-Lexikon (1745) oder in Stadlers „Vollständigem Heili-
gen-Lexikon“ (1882) ist jeder hl. Theodor als „S. Theodulus“
ausgewiesen.29 Insgesamt sind es bei Stadler zwanzig Heilige,
die meisten Märtyrer, nur „unser“ Theodul als „Ep[iscopus]
Conf[essor]“, also Bischof und Bekenner (= Beichtiger).                  Abb. 2: Illustration in Laurenz Burgener, Helvetia Sancta. Einsiedeln 1862. Vor-
    Häufig ist schwer oder nicht zu entscheiden, welcher hl.             bild war eindeutig die Abbildung in Heinrich Murer, Helvetia Sancta. Luzern/
Theodor oder Theodul in den Quellen gemeint ist. Dieses                  Wien 1648, nur wurde die Szene sinnwidrig um Satan mit der Glocke ergänzt.
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                                                                                 von den restlichen Trauben, segnete sie und der Wein ver-
                                                                                 mehrte sich, bis die Fässer voll waren.
                                                                                     Diese Legende entwickelte sich in Wallis zur „St. Jodern-
                                                                                 Kufe“, zu einem Fass, das noch über Theoduls Tod hinaus
                                                                                 Wein gab, bis es Neugierige leichtsinnig öffneten.36 Ähnliche
                                                                                 Geschichten werden auch über den hl. Otmar von St. Gal-
                                                                                 len (um 689 bis 759) erzählt, der mit einem kleinen Weinfass
                                                                                 dargestellt wird. In Wallis wurde diese Legende in verschiede-
                                                                                 nen Versionen überliefert und auch mit dem Brauch verbun-
                                                                                 den, Wöchnerinnen roten Humagne zu trinken zu geben.37
                                                                                 In Siders/Sierre wurden am 16. August in der Kirche die ers-
                                                                                 ten Trauben gesegnet.38 In Visperterminen stand zumindest
                                                                                 in späterer Zeit eine Theodulfigur als Schutzpatron auf einem
                                                                                 Fass im Gemeindekeller.39
                                                                                     Im Berner Oberland kursierte eine Legende über den Stab
                                                                                 des hl. Theodul, der aus einem knorrigen Rebstock bestan-
                                                                                 den und Wurzeln geschlagen habe, wenn ihn der Bischof
                                                                                 bei der Einsegnung einer Kirche in den Boden gesteckt und
                                                                                 beim Aufbruch nicht ausgerissen, sondern abgeschnitten
                                                                                 habe, worauf sich die Rebe zu Weinbergen mehrte.40
                                                                                     In Gemälden und Stichen wurde Bischof Theodul häufig
                                                                                 dargestellt, wie er Weinfässer segnet (vgl. Abb. 2, 4, 5, 9). So
                                                                                 finden wir ihn 1648 auch in Murers „Helvetia Sancta“ abge-
                                                                                 bildet.41 Bei Statuen ist es eine Weintraube, die als Attribut
                                                                                 auf das Weinwunder verweist und Theodul zum Winzer­
                                                                                 heiligen stilisiert.
                                                                                     Im Zusammenhang mit dem Winzerpatronat steht Theo-
                                                                                 duls Schutzfunktion gegen Unwetter aller Art. In einem in
                                                                                 das 14. Jahrhundert zurückreichenden Sittener Brevier wird
                                                                                 Theodul gegen Hagel, Frost und Blitzschlag angerufen.42 Ver-
Abb. 3: Pfarrkirche St. Theodul Sitten, Bischof Theodul mit einer Weintraube.    mutlich ist dieses Wetterpatronat die frühere Schicht, das
Foto: Laurenz Mathei.                                                            Weinwunder eine spätere Ausschmückung.

Forschungsstand im 11./12. Jahrhundert und nicht 1491,
wie Murer schrieb und lange kolportiert wurde.31 Die Vita                        3. Im Glanz der Thebäer
ist in verschiedenen Abschriften überliefert.32 Sie enthielt im
Kern die Karlslegende, das Weinwunder und die Auffindung                         Zu den ikonographischen Seltenheiten zählt die szenische
und Erhebung der Thebäerreliquien; hingegen nicht, wovon                         Darstellung, wie der hl. Theodul die Gebeine der Thebäer
Murer ausging, auch bereits die Glockenlegende.33 – Viel-                        aufsammeln lässt. Sie wurde in Bilderzyklen verewigt (vgl.
leicht vermengte Murer Ruodperts Vita mit Vischers Vita,                         Abb. 8): 1596 auf dem bereits erwähnten Triptychon in Sit-
was auch die Datierung 1491 erklärte (vgl. 5.2.).                                ten (Abb. 5), etwa um dieselbe Zeit im Chor und 1620 auf
     In der Bischofskirche Unserer Lieben Frau in Sitten                         einem Tafelbild in der Joderkapelle in Altzellen (Nidwalden)
(Notre-Dame du Glarier) bot sich den Besuchern im 17. Jahr-                      (Abb. 14),43 1670/72 im Chor der Pfarrkirche Münster (Wal-
hundert auf der Epistelseite ein Wandgemälde mit fünf Mys-                       lis) (Abb. 4) oder 1711 im Gewölbe der Theodulkapelle in
terien des hl. Theodul. Die Verse, die sie beschrieben, waren                    Alpnach-Schoried (Obwalden);44 hingegen nicht 1779 in den
aufgrund ihres Alters nicht mehr alle lesbar.34 Ebenfalls in                     Deckenfresken der Pfarrkirche St. Theodul in Unterschächen
Sitten war ein beeindruckendes, 1596 geschaffenes Trip­                          (Uri).45 Diese Szene ist für die Entstehung und die Verbrei-
tychon mit den drei „Hauptszenen aus dem Legendenkranz“                          tung des Theodulkults von Bedeutung.
zu betrachten: auf der mittleren Tafel Karl der Große, wie er
Theodul die Hoheitsrechte über das Wallis verleiht, links die
Auffindung der Thebäerreliquien, rechts das Weinwunder.35                        3.1. Offenbarung und Erhebung der Gebeine der Thebäer
     Das Weinwunder ist populärsten Abschnitt der von
Ruodpert überlieferten Vita: Als in Wallis einmal kaum mehr                      Um 440 verfasste Bischof Eucherius von Lyon die Leidens-
Trauben wuchsen, kam der Bischof seinen Leuten zu Hilfe.                         geschichte einer von Mauritius geführten, in Ägypten rekru­
Er ließ alle Fässer zusammentragen, presste in jedes etwas                       tierten römischen Legion, der Thebäer, die um 300 bei Acau-
NACHBAUr Der heilige Bischof Theodul. Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung                                     9

Abb. 4: Pfarrkirche Münster U.L.F. 1670/72. Links oben: Der triwe Diener und Gottesfrind / St. Jodere Gott das Opfer bringt / Dem Kaiser er Bekehrung fand /
Verzeichnus Gnad für Sünden Schand. Rechts oben: Ohn Weyn daß Fasß im Keller ruht / St. Jodere drein ein Träublein thuth / Der fromme Segen christlich sein /
Bringt lange Jahre köstlich Weyn. Links unten: St. Jodere ward allein bekannt / Der Thebaier Schut im Wallis Land / Er grub am Ort Agaun genanndt / Undt deren
Leiber er dort fandt. Rechts unten: St. Jodere gar viel Wunder tat / Eim todten er das Leben gab / Sein tröstlich fürbidt thut bestehn / Wan uns die Sonn will
untergehn. Foto: Laurenz Mathei, 2013.
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num/Agaunum im späteren Unterwallis glaubenstreu den                  sie den Bodenseeraum bereits intensiv erfasst.52 Vorarlberg
Märtyrertod gestorben sein sollen.46 Damit begründete Eu-             reiht sich mit dem Mauritiuspatrozinium der Pfarrkirche
cherius auch den Ruhm und das Ansehen seines Bischofs-                Nenzing in diesen Kreis ein.53 Mauritius war ein weithin
kollegen Theodor in Octodurus. Denn seinen Erkundigun-                berühmter Heiliger, der schon lange vor dem Auftreten von
gen nach soll Theodor die Gebeine der Märtyrer dank einer             „Walsern“ Verehrung fand. Vielleicht erlangte sein „Ent­
übernatürlichen Offenbarung (Revelation) gefunden und                 decker“ Theodor, bereits vor Ruodpert seine Vita verfasste,
in einer Grabkapelle beisetzen lassen haben,47 wo 515 Sigis-          über den Thebäer­kult da und dort eine gewisse Bekanntheit
mund, der spätere hl. Burgunderkönig, die Abtei Saint-Mau-            als Randfigur im Passionsbericht.54
rice stiftete.                                                            In Sitten und Saint-Maurice, aber auch in Zürich, wur-
    Die Historizität der Thebäischen Legion und ihres Mar-            den im 13. Jahrhundert die Thebäer, Theodul und Karl der
tyriums wird angezweifelt. Eine These geht sogar dahin, dass          Große liturgisch miteinander verknüpft und werbewirk-
Bischof Theodor sie erfunden habe, um die bei Octodurus               sam instrumentalisiert.55 1225 wurden in der Abtei Saint-
stationierten ägyptischen Truppen in einem Bürgerkrieg auf            Maurice die Reliquien des Mauritius und seiner Gefährten
die Seite Kaiser Theodosius I. zu ziehen.48 Nach einer ande-          aus ihrem bisherigen Grab erhoben (Gedenktag 26. Okto-
ren These könnte Theodorus selbst aus der römisch-ägypti-             ber). Das trug wesentlich zum mächtigen Aufschwung bei,
schen Provinz Thebais, der Gegend um Theben, gestammt                 den die Thebäerverehrung nun nahm. Davon profitierte
haben, zwischen 365 und 370 nach Octodurus gekommen                   Theodor, jedenfalls im eidgenössischen Raum. Er galt als
sein und die beispiellose Hingabe der Märtyrer für seine              „Begründer des Märtyrerkultes von Agaunum“56 und damit
Bekehrungsstrategie instrumentalisiert haben, ja es könnte            der Wallfahrt nach Saint-Maurice, das für Pilger­reisende
sogar Theodor gewesen sein, der durch seine Initiative sei-           günstig lag, die auf einer Nord-Süd-Reise die Alpen über-
nen Kollegen Ambrosius zur bahnbrechenden Auffindung                  querten. Das mag später wieder auch die Wallfahrt zu
von Märtyrer inspirierte, und nicht umgekehrt.49 386 fand             Theoduls Grab in Sitten etwas gefördert haben.57 So erfah-
oder „erfand“ Bischof Ambrosius in Mailand die unbekann-              ren wir über Nürnberger Patrizier, die 1462 auf einem Um-
ten Märtyrer Gervasius und Protasius. Nichts nützte ihm               weg über Mailand nach Santiago de Compostela pilgerten
mehr im Wettstreit mit den Arianern. Jedenfalls dürfen wir            und zunächst Sitten, dann Saint-Maurice d’Agaune besuch-
vermuten, dass auch Bischof Theodors Vision nicht ganz                ten.58 Das Heiligen- und Reliquienwesen boomte, gleich-
zweckfrei war. Durch solche bischöflichen Offenbarungen               zeitig nahm aber auch die Kritik daran zu und wurde eine
wurden Reliquien kirchlich autorisiert. Die Erhebung von              vorwissenschaftliche Plausibilität eingefordert. Damit kam
Märtyrergräbern, die nun rasch in Mode kamen, entsprach               Boden- und Grabfunden „als Mittel der Verifizierung des
dem Wunsch der Gläubigen, das Zeugnis der Überlieferung               heiligen Geschehens“ eine verstärkte Bedeutung zu.59 Gezielt
sicherzustellen.                                                      wurden gerade im eidgenössischen Bereich an verschiedenen
    Erst mit der Erhebung der Knochen kam den Märty-                  Orten Gebeine vermeintliche Thebäer gesucht und gefun-
rern die ihnen von Gott gegeben Vorrechte und Befugnisse              den, 1473 in Solothurn, das die Reliquien propagandistisch
zu, lebte ihre (Rechts-)Persönlichkeit wieder auf, wurden             weit streute, nicht zuletzt im politischen Wettstreit mit Bern,
die Heiligen gegenwärtiger, verbindender und solidarisie-             das den Kult der Zehntausend Ritter favorisierte.60 Die alten
render Teil einer stolzen, von ihnen beschützten Gemeinde,            und neuen Thebäer wurden lokal und funktional ausdiffe-
die ihnen nicht nur eine individuell verinnerlichte, sondern          renziert.61
gemeinsam eine tätige Verehrung schuldeten.50 Dieses per-                 Wenn es aber zunehmend wichtig wurde, mit der Auf-
sönliche und gegenwärtige Verständnis von Reliquien und               findung von Gebeinen den Kult zu verifizieren, dann dürfte
Heiligen ist auch noch im Mittelalter und darüber hinaus zu           damit auch der Stellenwert des hl. Theodor gestiegen sein,
beachten, auch bei der Übertragung (Translation) von „Heil-           von dem doch verbürgt war, dass er einst Mauritius und seine
tümern“, selbst wenn sie auf Raub oder Diebstahl beruhte:             Gefährten, gewissermaßen die „Urthebäer“, gefunden habe.
Erwarb eine Gemeinde eine Reliquie des hl. Theodul, dann              Als funktionales Moment kommt hinzu, dass er den fern der
lebte der Heilige fortan vor Ort mit ihr. Weihte sie ihm eine         Heimat heldenhaft gestorbenen und verscharrten Soldaten
Kirche, wurde der Heilige nicht nur himmlischer Schirm-               eine christliche Beisetzung und Erinnerung ermöglicht hatte.
vogt, sondern rechtmäßig Inhaber und wahrer Eigentümer
des Gotteshauses.
    In den Legendenkreis der Thebäischen Legion wurden im             3.2. Im Kreis der spätmittelalterlichen
Lauf der Zeit immer mehr Heilige eingeflochten, im eidge-             Militärheiligen der Eidgenossen
nössischen Einflussbereich besonders Urs und ­Viktor, Verena
(Vreni) sowie Felix und Regula, idealtypisch in Murers „Hel-          Durch die Zuweisung lokaler Heiliger stiegen die Thebäer
vetia Sancta“;51 aber auch Achatius und die Zehntausend               im 15. Jahrhundert zu „Schweizer Nationalheiligen“ auf.
Ritter, die mit den Gefährten des Mauritius gleichgesetzt             „Zusammenhalt und nationales Bewußtsein der Eidgenos-
wurden. Diese „Thebäisierung“ war typisch für den süd-                senschaft sind im ausgehenden Mittelalter wesentlich von der
deutsch-rätischen Raum, in dem sich die Thebäer­verehrung             sakralen Gemeinschaft des Thebäerkults getragen worden.“62
ab dem 7. Jahrhundert ausbreitete. Im 9. Jahrhundert hatte            Dabei stand nicht mehr so sehr das Martyrium im Vorder-
NACHBAUr Der heilige Bischof Theodul. Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung                     11

grund. Das macht ein ikonographischer Relaunch deutlich:                 In dieses Jahresgedächtnis wurden später noch die 1513 in
Nicht mehr abgeschlachtete Märtyrer waren gefragt, nun                   der verlustreichen Schlacht bei Novara (Mailänderkriege)
wurden vitale Krieger in zeitgenössischer Rüstung als Leit­              umgekommenen Soldaten einbezogen.71 Vermutlich ließen
figuren ins Bild gerückt.                                                sich noch ähnliche Beispiele dieser Memorialkultur finden,
    Von dieser Reaktivierung und Revitalisierung der The-                so vielleicht in Baden (Aargau).72
bäer profitierte der Theodulkult, besonders auffällig am                     Wer war besser geeignet, das Andenken an Gefallene,
Zürichsee. Um diese Region trug die eidgenössische Stadt                 zumal fern der Heimat gefallener Väter, Brüder und Söhne
Zürich zwischen 1436 und 1450 mit Schwyz und den übri-                   zu wahren, als der hl. Theodul, der einst die Gebeine der The-
gen Eidgenossen einen blutigen Konflikt aus, den „Alten                  bäer fand und sie würdig bestattete?
Zürichkrieg“, in den Österreich an Zürichs Seite eingriff.                   Jenen „Walsern“ im heutigen Vorarlberg,73 die 1499 für
In Albisrieden gedachte man am Theodulstag ausdrücklich                  ihre bei Frastanz so zahlreich Gefallenen einen Jahrtag in
der Gefallenen in der Schlacht bei St. Jakob an der Sihl von             Sonntag stifteten, lag dieser Gedanke offenbar nicht nahe.
1443.63 Von Bubikon heißt es ebenfalls, der Theodulstag sei              Sie entschieden sich für den Mittwoch in der Osterwoche.
seit dem Zürichkrieg gehalten worden.64 In weiteren Pfarren              Die Namen der Gefallenen werden heute noch am „Krieger­
am See dürfte er um jene Zeit, vielleicht im selben Zusam-               sonntag“ verlesen.74
menhang, angenommen worden sein (Rapperswil, Buss-                           Die im Schwabenkrieg siegreichen Appenzeller inves-
kirch).65 An mehreren Orten wurden ihm Altäre geweiht,66                 tierten die Kriegsbeute nicht zuletzt in den Neuaufbau ihrer
so 1444 in Freienbach. Dort war es im Vorjahr zum Gefecht                Hauptkirche, die erneut ihrem Landespatron Mauritius
gekommen, auf dem Friedhof lagen Gefallene beider Seiten.                geweiht werden sollte, mit Theodul als Nebenpatron von
Hauptsächlich „zum Troste dieser Toten“ wurde an diesem                  Altären.75 In diesem Zusammenhang sollen die Appen­
Theodulaltar eine Kaplanei gestiftet. Der Abt von Einsiedeln             zeller von den Walliser Behörden Theodulreliquien erbeten
gab den Sammlern 1450 ein Bittschreiben an die Stände und                haben.76 Dass der Bischof von Sitten 1501 von den Bernern
Städte Bern, Solothurn, Thun, Schwyz, Uri, Unterwalden,                  „gemahnt“ worden sei, den Appenzellern „Heiltum von Sant
Luzern, Glarus, Zug und Appenzell mit, worin er die verbün-              Joder“ abzugeben, beruht aber auf der Fehlinterpretation
deten Eidgenossen beschwor, seine Hofleute zu unterstützen,              einer Eintragung im Berner Ratsmanual. Daraus geht nur
„gereichten ja die Gaben zu Hilf und Trost allen denen, die              hervor, dass sich umgekehrt Sitten von des heltums wegen, so
in den Kriegen zu Freienbach umkamen und dort begraben                   die begern gan Appenzell, an Bern wandte. Wallis und Bern
sind.“67 Ab 1471 hatte diese „Jodelspfrund“ übrigens ein                 hatten ihr engeres Bündnis im Vorjahr erneuert.77 Wessen
Johannes Werder aus Götzis inne.68                                       Reliquien gemeint waren, geht aus der zitierten Stelle nicht
    1443, als die Eidgenossen die Stadt bedrohten, erreich-              hervor.78
ten die Zürcher beim Bischof von Konstanz die Bewilligung,                   Der reformierte Zürcher Theologe Johann Jakob Hottin-
künftig in der Stadt und Umgebung auch das Fest der Zehn-                ger (1652 bis 1735) berichtete 1707 über die „Zuständigkeit“
tausend Ritter (22. Juni) feiern zu dürfen,69 die seit dem Sieg          des „S. Theodulus als ein Nothelfer zur Zeit des Ungewitters,
bei Laupen 1339, am Vorabend ihres Gedenktags, bei den                   und um Sieg.“79 – Wurde er tatsächlich auch als Schlachten-
Eidgenossen hoch im Kurs standen.                                        lenker angerufen? Auf die Walliser traf das zu.
    Die glaubenstreuen und opferbereiten Militärheiligen                     Es war allgemein üblich, mit seinen Heiligen in den Krieg
dienten seit dem Hochmittelalter als Leitfiguren in Gemein-              zu ziehen.
schaften, die mit Krieg leben mussten oder als Söldner ihren
Unterhalt verdienten, ihr Vorbild war tröstend und sinnstif-                  „Durch Gebete und Anrufung der eigenen Heiligen, etwa
tend für die Überlebenden.                                                    der Landespatrone, versuchte man, das Kriegsglück zu
    Zürichs Stadtpatrone Felix und Regula, zudem Exupe­                       erzwingen. […] Mit dem rituellen Schlachtgebet – ­kniend
rantius, galten als Thebäer, deren Anführer Mauritius im                      mit erhobenen Armen – rief man Gott, die Jungfrau
Zürcher Großmünster ebenfalls verehrt wurde, ­inzwischen                      Maria, die Landespatrone an und führte auch in den Eck-
auch Karl der Große. Nach dem Schwabenkrieg von 1499                          quartieren der Fahnen oder als Bannerzeichen ihre Bilder
wurde schließlich in Zürich ebenfalls beschlossen, im                         oder Attribute in den Kampf.“80
Gedenken an die Gefallenen den Theodulstag jährlich zu
feiern. Drei Ämtern folgte eine Pfarrmesse zu Ehren des                  Die Berner riefen 1339 bei Laupen besonders die Zehntau-
hl. Theodul mit Einbeziehung der Märtyrer Johannes und                   send Ritter an, gelobten aber auch dem hl. Ursus eine Kerze,
Paul und der Schutzheiligen Felix, Regula und Exuperantius               die sie bis zur Reformation jährlich nach Solothurn schick-
ausklang, damit durch ihre Fürbitte                                      ten. „Sie sahen es also für wahrscheinlich an, dass auch dieser
                                                                         Thebäer bei Laupen für sie gestritten habe; oder sie fürchte-
   der Herr uns und unser Land vor der Bosheit des Geistes               ten zum mindesten, den Thebäer durch Zweifel zu beleidi-
   und jeglichem Einfall der Feinde bewahren und Frieden                 gen.“81 In Erinnerung an Laupen legten die Berner 1476 den
   und Eintracht gewähren möge und in seiner Barmherzig­                 22. Juni als Termin der Schlacht bei Murten fest. An den Sieg
   keit uns die Gunst der Witterung und die Fruchtbarkeit des            an diesem Tag, aber auch an die Gefallenen, sollten Schlacht-
   Bodens zu unserm Heil und Unterhalt schenke.70                        jahrzeiten eidgenössischer Orte noch lange erinnern.82 Diese
12                                     montfort Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs Band 1 / 2014

liturgische Erinnerungsform war im Übrigen mit „die frü-               4. Im Dienst der Fürstbischöfe von Sitten
heste Form volkstümlicher Geschichtsvermittlung“.83
    Der aus Wallis stammende Kapuziner Laurenz Burgener                Das Schwert als Heiligenattribut erinnert an die zentrale
(1810 bis 1880) wusste in seiner „Helvetia Sancta“ eine ent-           Karlslegende, als Sinnbild der den Bischöfen von Sitten
sprechende Geschichte über die Schlacht auf der Planta von             angeblich durch Karl dem Großen verliehenen weltlichen
1475 zu berichten, als eine savoyische Streitmacht mit 10.000          Hoheitsrechte.90
Mann Sitten angriff:

     „Die Truppen [der Oberwalliser], klein an der Zahl, waren         4.1. Angebliche karolingische Schenkung
     im Begriffe zu weichen; da flößte der Bischof Walther
     Supersaxo ihnen Muth ein, mahnte sie, die Schutzheili­            999 hatte König Rudolf III. von Burgund Bischof Hugo von
     gen des Landes anzurufen und im nämlichen Augen­                  Sitten und dessen Nachfolgern die Grafenrechte in der Graf-
     blicke sahen sie die Himmelskönigin, die heilige Catha-           schaft Wallis geschenkt. Diese Schenkung bildet den histori-
     rina und den heiligen Theodul mit dem Schwert in den              schen Kern der Legende oder Fälschung. Der Schenkungs-
     Lüften schweben, welche sie zur Fortsetzung des Kampfes           vertrag blieb nur in Abschriften überliefert, in die später
     anfeuer­ten. Der Kampf begann auf ’s Neue und es ward             eingefügt wurde, die Grafenrechte seien schon früher durch
     ein herrlicher Sieg erfochten. Mgr. Walther Supersaxo sah         das Bemühen des hl. Theodul der Kirche überlassen wor-
     nebst vielen Andern die Erscheinung mit eigenen Augen             den.91 Diese Interpolation und die Erhebung der Gebeine des
     und zeichnete mit seiner Hand die Worte in sein Bre-              hl. Theoduls könnten in einem Zusammenhang stehen. Ab
     vier: ‚So lange unsere Kräfte hinreichen, dürfen wir nicht        1293 wird in Urkunden erwähnt, Kaiser Karl der Große (gest.
     schweigen und nicht aufhören, die glorreiche Jungfrau             814) habe Bischof Theodul die Grafschaft geschenkt.
     Maria, die Hll. Theodul und Catharina, unsere Schutzhei-               Als weltliche Nebenfigur der Theodulvita fand Karl
     ligen, zu loben, wegen der außerordentlichen Gnade und            bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts Eingang in die Sit-
     dem glänzenden Schutze und Siege, welcher dieser unserer          tener Liturgie, und dann entsprechend früh auch als Heili-
     Kirche von Sitten nicht durch menschliche, sondern durch          ger.92 Wie es die Vita will, dankte Karl dem Sittener Bischof
     menschliche Kraft auf die Fürbitte der heiligen Patrone zu        damit für ein Gebet, mit dem er den Kaiser von einer Schuld
     Theil ward und wovon wir Augenzeugen waren.“84                    erlöste. Als Vorbild mag dem Vitenschreiber Ruodpert die-
                                                                       selbe Geschichte von einem geheimen Vergehen gedient
Der Sieg wurde jedenfalls tatsächlich der Fürbitte der Hei-            haben, die zuvor bereits dem hl. Ägidius von Saint-Gilles
ligen zugeschrieben, weshalb Bischof Walter Supersaxo das              (gest. um 720/725) angedichtet worden war.93
Fest der Sieben Freuden Mariä aufgenommen hat, das in                       In dieser Rolle kam Ägidius in der „Aachener Vita“ Karls
Wallis bis 1914 am Jahrestag der Schlacht (13. November)               des Großen vor, die das Zürcher Großmünster 1233 samt
als offizieller Feiertag begangen werden sollte.85 Noch länger         Reliquien erhalten hatte. Mit der Translation seiner Gebeine
erinnerte in Sitten ein großes Bild, wie die Jungfrau Maria            1215 hatte die Verehrung des 1165 heiliggesprochenen Herr-
Wallis mit dem Schwert schützte; zunächst am Haupttor der              schers einen Höhepunkt erreicht. Die heutige Schweiz zählte
Stadt (Gundistor), nach dessen Schleifung 1838 über dem                zu den Zentren dieses neuen Kults, im Kern Wallis mit Saint-
Portal der Theodulkirche.86 Gesiegt hatten die Oberwalliser            Maurice und Sitten, Zürich und das Kloster St. Johann im
mit Unterstützung aus Bern, Freiburg und Solothurn. Als es             Münstertal/Val Müstair (Graubünden).94 Wohl in den 1270er
1476 darum ging, das angeblich dem hl. Theodul geschenkte              Jahren wurde die Aachener Vita in Zürich zu einer Lebens-
Unterwallis zurückzuerobern, zog das Aufgebot der Zenden               beschreibung mit Lokalkolorit umgebaut.95 In Sitten war
als „Miliz des hl. Theodul“ zu Felde.87                                Karl der Große bereits zuvor mit der Carolina als Stifter des
     Wenn sich Datierungen eidgenössischer Abschiede im                Fürstbistums vereinnahmt worden, in Zürich galt er nun als
späten 15. Jahrhundert vereinzelt nicht auf den prominente             Gründer des Großmünsters (Chorherrenstift), nachdem er,
Frauentag (Mariä Himmelfahrt, 15. August), sondern auf                 auch hier eine Parallele zu Theodul, die Gebeine der The-
St. Joderstag (16. August) beziehen, könnte das die Bekannt-           bäer Felix, Regula und Exuperantius aufgespürt haben soll.
heit und den Stellenwert bezeugen, den der Heilige um jene             Im Anschluss an Ägidius, der für Karl Vergebung für einen
Zeit im Kreis der Eidgenossenschaft und ihrer Verbündeten              „fleischlichen Fehltritt“ (lapsus carnis) erreichte, finden wir
genoss. Allerdings fanden besagte Tagsatzungen in Luzern               in der „Zürcher Vita“ die Nachricht, wie Theodul gleichfalls
statt,88 wo St. Theodul schon länger und wohl auch besonders           die Vergebung einer schweren Sünde bewirkte und dafür
verehrt wurde.                                                         vom Kaiser die Grafenrechte in Wallis geschenkt erhielt. Die
     Der Theodulkult profitierte in der Eidgenossenschaft              älteste und einzig vollständige Fassung dieser „Zürcher Vita“
also von einer spätmittelalterlichen Thebäerrenaissance. Es            ist allerdings als Anhang in einem Sittener Legendar überlie-
bliebe zu prüfen, ob in anderen Regionen Ähnliches der Fall            fert. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass diese
war. Für Savoyen konnte Alfred van Gennep keine Verbin-                Stelle erst in Sitten eingebaut wurde.96 Gesichert ist, dass
dung zwischen dem älteren Mauritius- und dem jüngeren                  Theodul später in Zürich mit Ägidius in Brevierlesungen
Theodul­kult feststellen.89                                            zum Karlsfest und in einem Volksroman des 15. Jahrhun-
NACHBAUr Der heilige Bischof Theodul. Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung                                13

Abb. 5: Das Triptychon von 1596 war 2013 in Sitten/Sion in der Ausstellung „Geheiligte Macht“ zu sehen: Links die Auffindung der Thebäer, in der Mitte
­Belehnung durch Karl den Großen, rechts das Weinwunder. Foto: Laurenz Mathei.

derts Erwähnung fand.97 Auch in Zürich schloss sich wer-                          der Oberwalliser Zenden die Inkorporation des Unterwallis
bewirksam ein Kreis zwischen Thebäern, Karl und Theodul.                          als Untertanenland.
    Mit dem Hinweis auf Theodul als Erwerber und ersten                               Diese Instrumentalisierung des hl. Theodul für politische
Inhaber der Grafenwürde erfuhr die Herrschaft des Sittener                        Zwecke wurde durch die Ikonographie verdeutlicht, durch das
Bischofs „eine Heroisierung im Sinne einer Heiligung.“98 Die                      Schwert als Zeichen der weltlichen Macht des hl. Theodul und
so genannte „Donatio Carolina“ oder „Carolina“ sollte den                         seiner Nachfolger als Fürstbischöfe. Fraglich ist, ob sich bereits
Herrschaftsansprüchen eine höhere Rechtfertigung verlei-                          Jost von Silenen (1482 bis 1496) ein eigenes Hoheitsschwert
hen, durchaus mit Erfolg. Das Bistum Sitten vermochte sich                        schmieden und vorantragen ließ.103 Gesichert ist dieses Sym-
aus der Abhängigkeit der Grafen von Savoyen zu lösen, 1333                        bolik 1513 für Matthäus Schiner.104 Es war ein zweischneidiges
wurde Sitten auch offiziell als Reichsbistum aufgeführt;99 als                    Schwert, das auch gegen die Zenden gerichtet war.
ein Hochstift, in dem der Bischof zugleich die geistlichen
und die weltlichen Rechte ausübte und als Landesfürst direkt
dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs unterstand. Ent-                         4.2. Machtkampf mit den Zenden
sprechend führten die Fürstbischöfe von Sitten nun den Titel
„Graf und Präfekt von Wallis“. Für Philippe de Chamberlac                         Die sieben Zenden des Oberwallis waren Kommunalver-
(1338 bis 1342) ist erstmals ein Schwert im Siegel nachgewie-                     bände.105 Sie, oder eigentlich ihre Vertreter, bildeten die
sen, ein Bischof mit Schwert und Krummstab.100                                    Stände, die Landschaft Wallis, aus der sie den Bischof von Sit-
    Unter Bischof Walter Supersaxo (1457 bis 1482) gelang                         ten und sein Domkapitel schrittweise ausgrenzten. Die Zen-
es den Oberwallisern, die savoyischen Gebiete bis Saint-                          den waren ab dem Spätmittelalter „mächtigste Verbündete
Maurice zu erobern und sich aus dem faktischen Protekto-                          und grösste innenpolitische Rivalen der Fürstbischöfe“.106
rat Savoyens zu befreien (vgl. 3.2). Diese „Rückeroberung“                            Der hl. Theodul als Erwerber, Garant und Symbol fürst-
des Unterwallis wurde nicht zuletzt mit Rückgriff auf den                         bischöflicher Macht musste den nach Autonomie, ja „Sou-
hl. Theodul legitimiert.101 1477 ließ Bischof Walter im Archiv                    veränität“ strebenden Zenden und Gemeinden ein Dorn im
nach Rechtstitel suchen, vermutlich nach der Carolina, um                         Auge sein. Längst machten sie den Bischöfen die weltliche
seine Herrschaftsansprüche zu bekräftigen – nach außen,                           Macht streitig.
aber auch nach innen. Zum Vorschein kamen die Legende                                 Der Machtkampf musste der Popularität des Heiligen
Karls des Großen, die Legende des hl. Theodul und die inter-                      dennoch keinen Abbruch tun. Es spricht einiges dafür, dass
polierte Schenkung Rudolfs III. Der Bischof ließ von allen                        im Gegenteil der Theodulkult in Wallis gerade durch die
drei Dokumenten notariell beglaubigte Transsumpte herstel-                        innenpolitischen Auseinandersetzungen im 15. Jahrhundert
len,102 um ihre Rechtskraft nochmals zu bestätigen. Auf dem                       zur Blüte gelangte und von einer mit dem Bischof verknüpf-
Weihnachtslandrat beschlossen der Bischof und die Vertreter                       ten herrschaftspolitischen Instrumentalisierung in eine mehr
14                                     montfort Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs Band 1 / 2014

oder weniger volkstümliche Verehrung umschlug. Wir ken-                nach der Normalfall gewesen. Doch er war darüber hinaus
nen solche Prozesse von mittelalterlichen Stadtpatrozinien,            mehr noch das Symbol der fürstbischöflichen Machtpolitik.
dass die neuen Schichten dort,                                             Zur Demonstration seiner neu errungenen Rechtsstel-
                                                                       lung ließ Bischof Walter Supersaxo anstelle der üblichen
     „wo sie gegen die alten herrschenden antraten, gern unter         savoyischen um 1481 erstmals eigene Münzen schlagen.115
     dem Banner des lokalen Schutzheiligen an[traten], um              Mit der Prägung von Reichstalern unterstrichen die Sittener
     so ihren Willen zu bekunden, die wahren Interessen der            Bischöfe nicht nur ihren Anspruch auf Reichsunmittelbar-
     Stadt zu vertreten und das Neue an ihren Forderungen              keit, über die Gestaltung der Münzen lieferten sie gleich noch
     unter dem Mantel der Anrufung der traditionellen Not-             den legendären Rechtstitel mit, brachten sie zur Bekräftigung
     helfer zu verbergen.“107                                          der Carolina die Theodullegende in Umlauf. Von 1497 bis
                                                                       1627 bestimmte bei den größeren Münzen der hl. Theodul
Als Gesandte des römischen Königs Maximilian I. 1501 die               die Ikonographie der Rückseite in unterschiedlicher Gestal-
vielen Freiheiten anerkannten, die aufgrund großer Ver-                tung, durchwegs aber mit dem Regalienschwert als Symbol
dienste des h. himmelfürsten S. Jodren der hl. Kaiser Karl Wal-        der weltlichen Macht des Bischofs.
lis verliehen habe, ist dabei ausdrücklich auch von der Land-              Bischof Niklaus Schiner (1496 bis 1499) ließ bereits
schaft Wallis die Rede.108 Und nicht von ungefähr sollte es            1496/97 eine spektakuläre Münze prägen, auf der Bischof
1518/19 darum gehen, wer zum Schutz der Theodulreliquien               Theodul mit Krummstab und Schwert schreitet, hinter ihm
berufen ist (vgl. 6.1.), als die „Patrioten“ mit dem Bischof           Satan, der eine Glocke schultert.116 1498 folgte ein Taler, der
einen beinharten Kampf austrugen.                                      den hl. Theodul zeigt, wie er vor Kaiser Karl kniet, mit der
     Bischof Matthäus Schiner (1499 bis 1522) stieg als Kardi-         Linken das Reichsschwert berührt und mit der Rechten auf
nal und Diplomat zu einem der einflussreichsten Mitspieler im          das Evangelium schwört.117
europäischen Machtgefüge auf.109 1510 brachte er einen Sold-               Neffe und Nachfolger von Niklaus Schiner war der bereits
vertrag der Eidgenossenschaft und ihr zugewandter Orte mit             erwähnte Matthäus Schiner. Um seinem Förderer und Bera-
Papst Julius II. (1503 bis 1513) zustande, der gegen Frankreich        ter eine Rückkehr nach Sitten zu ermöglichen, bestätigte
gerichtet war (Mailänder Kriege).110 Der Papst bedachte seine          1521 Kaiser Karl V. (1519 bis 1556) ausdrücklich die Caro-
Verbündeten mit Ehrentiteln und Wappenprivilegien, die in              lina.118 Schiner nützte das nichts mehr. Er starb 1522 in Rom
kostbaren Bannern zum Ausdruck kamen, die Schiner nach                 an der Pest. Die Bischöfe von Sitten wurden nun offiziell den
dem Pavierzug 1512 als päpstlicher Legat den verschiedenen             Reichsfürsten zugezählt.119
Orten als Ehrengeschenke vermittelte. Das weiß-rote „Julius-               Das Bildprogramm dafür hatte Schiner ebenfalls auf
banner“ der Walliser zeigte das Bild Jesu Christi, angebetet           Münzen prägen lassen: Ein Taler und ein Doppeltaler („Mess­-
vom hl. Theodul, unter den päpstlichen Schlüsseln.111 In der           taler“) von 1501 zeigen auf der Rückseite den vor einem Altar
Schlacht von Novara erreichte 1513 die militärische Macht der          knienden hl. Bischof Theodul, in der Rechten den Bischofs-
Eidgenossen ihren Höhepunkt, die vernichtende Niederlage               stab, in der Linken ein Schwert, über ihm schwebend ein
bei Marignano 1515 unter Schiners Befehls­gewalt dämpfte
ihre Kriegsbegeisterung und ihren Expansionsdrang nachhal-
tig, in Wallis gewannen Schiners Gegner die Überhand.
     In einem an den Herzog von Savoyen gerichteten Ab-
schied berief sich der Landrat 1568 auf die karolingische
Schenkung an Bischof Theodul, welchen man halt für ein pat­
ron der landschaft.112 Nach außen vereinnahmten die Zenden
den hl. Theodul nun selbst als „Souveränität“ stiftenden Pat-
ron, gleichzeitig lehnten sie ihn im Verhältnis zum Bischof
als Symbol der Carolina ab, die sie nun bald als Fälschung
bekämpften.113 Diese Auseinandersetzung lässt sich in der
Münzsymbolik verfolgen.

4.3. Münzpropaganda und Machtwechsel

Mit ihrem Bildprogramm dienten Münzen schon seit der
Antike der Propaganda. Die meisten mittelalterlichen Münz-
stätten gaben auf den Münzen den Schutzheiligen der Stadt
oder des Landes wieder. Neben der Schutzfunktion und der
Verbreitung des Glaubens ist zu beachten, dass der Heilige
symbolisch Stadt- und Landesherr und damit auch Münz-
herr war.114 Der hl. Theodul auf Walliser Münzen wäre dem-             Abb. 6: „Messtaler“ 1501, Revers. CARLEN 1981.
NACHBAUr Der heilige Bischof Theodul. Von der Urkundenfälschung bis zur Käsewerbung                                  15

Engel mit der Parole AUDITA EST (kurz für: Exaudita oratio               geschenkt bekommen und einen Teufel gezwungen oder
tua – Dein Gebet ist erhört), hinter ihm schwebend ein Teufel            überlistet haben soll, die Glocke von Rom nach Sitten zu
mit einer geschulterten Glocke, und die Umschrift: PRECI-                transportieren.
BUS S. THEODOLI DIMISSA EST CULPA CAROLI (Durch                              Führte die Weihe von Theodulglocken zur Glocken-
das Gebet des hl. Theodul ist Karls Schuld erlassen).120                 legende oder eher umgekehrt? – Die bekannten Belege für
    Ein Jahrhundert später symbolisierte die Münzprägung                 Glocken dürften jedenfalls älter sein als jene für die Legende.
den Machtwechsel in Wallis.121 Den Bischof wählte nun die
Landschaft aus einer Kandidatenliste des Domkapitels.122 Der
Landeshauptmann übergab dem Gewählten Schwert und                        5.1. Theodulglocken im 14. Jahrhundert
Schlüssel,123 der dann versprach, die Rechte der Republik zu
achten. Vor der Bischofswahl 1613 zwangen Vertreter der                  Für 1334 haben wir eine erste Nachricht über eine Theodul-
Zenden das Domkapitel zum Verzicht auf die Carolina. Die                 glocke auf Valeria; 1339 soll die Pfarre Vevey (Waadt) erste
Wahl fiel auf Hildebrand Jost, der die Verträge unterzeich-              Partikel von ihr erhalten haben.132
nete, jedoch 1627 von Kaiser Ferdinand II. (1619 bis 1637)                   Eine Verbindung von Wetterpatron und Glocke ist nahe-
eine neuerliche Bestätigung der karolingischen Schenkung                 liegend. Für die Zeit um 1400 mehren sich die Belege, dass
erwirkte. Als dann ein Jesuitenoberer über das weltliche                 Theodulreliquien in Wetterglocken eingegossen wurden,
Schwert des hl. Theodul predigte, waren die Tage der Jesuiten            auch weitab von Wallis. Ein schönes Beispiel dafür bietet
in Wallis vorerst gezählt.124 1628 musste auch der Bischof das           Ulm. In einer Handschrift, die zwischen 1400 und 1405/12 in
Land verlassen und die Landschaft ließ als „Republik Wallis“             der Reichsstadt entstand, wird berichtet, dass sich die Bürger
demonstrativ selbst Münzen prägen.125 Die Vorderseite zeigte             „Heiltum“ von St. Joder besorgten, vom Bischof zu Konstanz
das Wappen der Republik mit einem Stern für jeden Zen-                   authentifizieren und in eine Monstranz und in eine Glocke
den, die Rückseite ein Kreuz beim Kreuzer und Halb­batzen,               verarbeiten ließen:
den Reichsadler beim Dicken, jeweils mit der Umschrift
SANCTUS THEODOLVS.126 Als Abdruck ist ein Batzen mit                          … mercken von aim hailgen, der ist ain hailger bischof
der Büste des segnenden hl. Theodul auf der Rückseite über-                   gewesen in dem bistum Sedun, der hailge bischoff sant
liefert, nur noch mit dem Bischofsstab. Diese provokante                      Theodulos, den hät man uffgerueffen in Konstenzer bistum
Münze dürfte nicht geprägt worden sein.127                                    und sunderlich die herren von Ulm,133 die händ näch dem
    1634 musste Hildebrand seinen Verzicht auf die Carolina                   hailtum gestelt und händ ess an irem bischoff bracht von
und damit auf die Landeshoheit schriftlich bekräftigen. Sei-                  Konstecz Markwarden [Marquard von Randegg (1398
nen Nachfolgern sollten die Zenden und Gemeinden nicht                        bis 1406)] und der hat sin hilf dar zuo tuon und hat dar
mehr als Landesherrn huldigen. Der Kaiser wiederrief seine                    uff gestudieret in den buochen und hät darzuo geholffen
Bestätigung der Carolina. „Aus einem Hochstift des Heili-                     mit aim gueten brieff und ynsigel, und diz hailtum haet
gen Römischen Reiches deutscher Nation war eine Republik                      man gemachet in ain monstrancz und hat es in die grosen
geworden.“128 Auch wenn sie noch bis 1798 den Titel eines                     glocken verfecht, asel [als?] verhilt, do schlecht der hagel
Reichsfürsten führen sollten, blieben den Bischöfen im welt-                  nit. […]134
lichen Machtbereich nur noch Ehrenrechte.
    Mit Bischof Adrian III. von Riedmatten (1640 bis 1646)               Im Anschluss wird Theodul als Wetterpatron propagiert und
einigten sich die Zenden darauf, dass künftig die Vorderseite            das Weinwunder mitgeteilt, aber noch keine Glockenlegende.
der Münzen das Bischofswappen, die Rückseite das Wap-                    Beim Heiltum ist auch nicht von Glockenpartikeln die Rede.
pen der Zendenrepublik Wallis mit dem Reichsadler zei-
gen solle. Darin kam das neue Machtgefüge zum Ausdruck.
                                                                           Elemente der Viten des hl. Theodul
„Jede Anspielung auf den heiligen Theodul, und damit auf
die berüchtigte Karolina, bleibt weg.“129                                  Ruodpert,                 Heinrich Vischer,        Heinrich Murer,
    Davon abgesehen war er freilich in Sitten weiterhin prä-               1070/1165                 1482/1496                posthum 1648
sent, auch als Werbeträger. In der St. Theodulkirche wurden                Karlslegende              Karlslegende             Karlslegende
im 19. Jahrhundert Skulpturen angeboten, die vier Episoden
der Reise des Bischofs mit dem Teufel darstellten.130                      Weinwunder                Weinwunder               Weinwunder
                                                                           Thebäer                                            Thebäer
                                                                                                     Glockenlegende           Glockenlegende als
                                                                                                                              unwahrscheinlich
5. Die Glockenlegenden                                                                                                        nur angedeutet

Die Darstellungen mit dem glockentragenden Teufel waren                                                                       Strafen: Kapelle,
aufsehenerregend und populär. Die ihr zugrunde liegende                                                                       Priester,
Erzählung uferte in mehrere Varianten aus.131 Im Kern geht                                                                    Heuwunder
es darum, dass Bischof Theodul vom Papst eine Glocke                     Abb. 7: Quellen: HUOT 2005; DUBUIS 1981, S. 140–142; MURER 1648, S. 133–136.
16                                                montfort Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs Band 1 / 2014

 Elemente der Bilderzyklen zur Vita des hl. Theodul
 Sitten VS,                   Kapelle Altzellen NW,        Pfarrkirche Münster         Kapelle Schoried OW,       Pfarrkirche Unterschächen UR,
 Triptychon 1596              vor 1601/1620                VS, 1670/72                 1711                       1779
 Abb. 5                       Abb. 13                      Abb. 4                      Abb. 12
 Karlslegende                 Karlslegende                 Karlslegende                Karlslegende               Karlslegende
 Weinwunder                                                Weinwunder                  Weinwunder                 Weinwunder
 Thebäer                      Thebäer                      Thebäer                     Thebäer
                              Glockenlegende                                           Zerschlagung
                                                                                       der Theodulglocke
                              Strafen: Kapelle,
                              Priester
                                                           Totenerweckung
                                                                                                                  Biographie: Geburt, Vorstellung beim
                                                                                                                  Priester, Seminarist, Prediger, Bischofs-
                                                                                                                  weihe, Tod, Aufnahme in den Himmel
Abb. 8: Quellen: MORAND 2013, S. 173–178; KDS UW, S. 26–27, 1090, Taf. XC; KDS UW, S. 734, WYRSCH 2011, S. 6–7; STADLER-PFLANZER 1998, S. 12.

5.2. Verbreitung der Glockenlegenden im 15. Jahrhundert                            Elsass und damit „im Einflussbereich der Theodul-Vereh-
                                                                                   rung“ aufgehalten habe,142 scheint mir fraglich. Dann hätte
Es heißt, Theoduls Glockenlegende sei erst im 15. Jahrhun-                         die Glockenlegende bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts
dert aufgetaucht,135 vielleicht schon etwas früher.136 Mög­                        im Elsass im Umlauf gewesen sein müssen. Zudem gab es
licherweise wurde die Gewohnheit oder Mode, beim Guss                              Nider wohl näher liegende Vorbilder, wie jenes des Domini-
von Wetterglocken Theodulreliquien beizugeben, mit Legen-                          kaners Albertus Magnus, oder des hl. Antidius, der im Elsass
den verknüpft, die bereits früher über andere Heilige erzählt                      schon früh als Glaubensbote verehrt worden sei.143
wurden. So war über den hl. Antidius (gest. um 411) schon                              Bei Theodul kamen als neue, ergänzende Bestandteile
seit dem 11. Jahrhundert eine auffallend ähnliche Legende im                       das päpstliche Glockengeschenk und der teuflische Glocken-
Umlauf.137 Iselins Lexikon von 1742 wusste über den Bischof                        transport hinzu.
von Besançon zu berichten:                                                             Es wird angenommen, die Glockenlegende sei zunächst
                                                                                   im Volk aufgekommen. Jedenfalls verbreitete das Sittener
     „Es sollen ihm einstmals, welches aber eine unstreitige                       Domkapitel die Wundergeschichte spätestens 1446 im Ein-
     fabel zu seyn scheinet, viele teufel begegnet, und zu ihm                     verständnis mit Bischof Wilhelm III. von Raron (um 1407
     gesagt haben, was massen sie den Papst zu der hurerey                         bis 1451) auch offiziell, zumindest mit einer Andeutung: Um
     verleitet hätten, worauf sich Antidius von ihnen nach                         die Heilswirkung der neuen Glocke zu verstärken, heißt es
     Rom tragen, und, nachdem er den Papst dieses verbre-                          in einer der Stadt Olten (Solothurn) ausgestellten Urkunde,
     chens halber zur busse bewogen, wieder nach Besançon                          habe man deren Boten als Reliquien des hl. Bekenners und
     zurück bringen lassen.“138                                                    Bischofs Theodor zwei Stücke jener Glocke gegeben, die der
                                                                                   Heilige auf wundersame Weise (miraculose) aus der Stadt
Die Vorstellung einer körperlichen Entrückung, eines Luft-                         Rom nach Sitten herbeigebracht habe.144 Nicht viel später war
transports von Menschen durch Teufel, war durchaus ver-                           auch Theoduls teuflischer Glockentransport bereits Gegen-
breitet und Gegenstand theologischer Erörterungen.139 So                          stand theologischer Auseinandersetzungen.
sagte der Dominikaner Vinzenz von Beauvais in seinem um                                Schließlich wurde das ikonographische Repertoire des
1247/60 verfassten „Speculum maius“ auch dem hl. Alber-                           hl. Theodul um die Glocke bzw. um den Teufel mit Glocke
tus Magnus (um 1200 bis 1280) bereits zu dessen Lebzeiten                         ergänzt und mit der Walliser Münzprägung offiziell und wer-
nach, er sei auf dem Rücken eines Teufels nach Rom geritten,                      bewirksam. Ab 1480/1490 sind uns bildliche Darstellungen
um den Papst von einer Sünde abzuhalten.140                                       im Bereich der Bildhauerei, Malerei oder ­Glockengießerei
    Das berichtete der aus Isny stammende Dominikaner                             überliefert, die den hl. Bischof mit dem Teufel und der
Johannes Nider (vor 1385 bis 1438) auch über den hl. Bischof                      ­Glocke zeigen, von Wallis bis nach Vorarlberg und in großer
Ulrich von Augsburg (890 bis 973), der den Teufel zur Preis-                       Zahl.145 Das deutet darauf hin, dass sich die Glockenlegende
gabe der Sünde gezwungen habe, zu der dieser den Papst ver-                        gegen 1500 rasant verbreitete.
führen wollte.141 Dass Nider in seinem vor 1428 verfassten                             Um diese Zeit, wohl während der im Text gelobten Bi-
Werk eine Anleihe bei der Theodulvita genommen haben                               schof Jost von Silenen (1482 bis 1496) amtierte, „erneuerte“
soll, nachdem er sich vor seiner Nürnberger Zeit lange im                          ein Heinrich Vischer/Fischer146 die Heiligenvita in Gedicht-
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