Muslimische Lebenswelten in England und Wales - Jemenit*innen und die letzten Lascars in Geschichte und Gegenwart - Diplomarbeit

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Muslimische Lebenswelten in England und Wales - Jemenit*innen und die letzten Lascars in Geschichte und Gegenwart - Diplomarbeit
Muslimische Lebenswelten in England
                  und Wales -
  Jemenit*innen und die letzten Lascars in
        Geschichte und Gegenwart

                  Diplomarbeit

          zur Erlangung des akademischen Grades

               einer Magistra der Philosophie

           an der Karl-Franzens-Universität Graz

                        vorgelegt von

           Tamara Antonia BUCHBERGER

           am Institut für Religionswissenschaften

         Begutachterin: Drin. Profin. Ulrike Bechmann

                         Graz, 2021
Muslimische Lebenswelten in England und Wales - Jemenit*innen und die letzten Lascars in Geschichte und Gegenwart - Diplomarbeit
Danksagung                                                                       II

Danksagung

Mein Dank gilt in erster Linie meinem Mann, der mich in den letzten 9 Jahren in
jedweder Hinsicht unterstütz hat.

Vor allem danke ich Frau Drin. Profin. Ulrike Bechmann für ihr Verständnis und die
Bereitschaft, auch in unbequemen Situationen eine essenzielle Stütze zu sein. Trotz
der kilometerweiten Distanz zwischen uns, ist der Kontakt nie abgebrochen. Viel
wichtiger jedoch ist die Tatsache, dass ein großer Teil meiner Arbeit auf die
Inspiration   von   ihr    zurückzuführen   ist.   Mich   mit   den   Jemenit*innen
auseinanderzusetzen, war Produkt eines gemeinsamen Prozesses während eines
Seminars. Ich möchte mich hiermit bei Ihnen für die außerordentliche Unterstützung
recht herzlich bedanken.

Darüber hinaus gilt mein Dank auch meinen Freund*innen. Danke für das
Korrekturlesen und die aufmunternden Worte.

Schlussendlich danke ich meiner ganzen Familie, die nie aufgehört hat an mich zu
glauben.

Tamara Buchberger
Muslimische Lebenswelten in England und Wales - Jemenit*innen und die letzten Lascars in Geschichte und Gegenwart - Diplomarbeit
Kurzfassung                                                                      III

Kurzfassung

Lascars beschreibt eine Gruppe von Männern aus dem afrikanischen und
südasiatischen Raum, die im 16. Jahrhundert auf Segelschiffen und später für die
Ostindien-Kompanie arbeiteten. Mit der Eröffnung des Suezkanals 1869 stieg die
Zahl des Transportschiffhandels um ein Vielfaches. Mit der Ausdehnung des
Empires und der strategischen Notwendigkeit aufgrund der Bedrohungen aus
Ägypten und dem osmanischen Reich suchten die Brit*innen nach einem
geeigneten Stützpunkt zwischen Suez und Indien. Die Hafenstadt Aden im Jemen
war die ideale Anlegestelle für den Kohle- und Trinkwassernachschub, den sie für
die Dampfschiffe benötigten. Durch den stetig wachsenden Handel zwischen der
arabischen Halbinsel und der britischen Insel erreichten Jemenit*innen die
Küstenstädte Englands und Wales. Als Matrosen unter Deck verdienten sie als
„stoker“ und „fireman“ ihren Lohn. 1890 fassten die ersten Jemenit*innen in South
Shields Fuß und errichteten sogenannte „boarding houses“. Die Jemenit*innen sind
die am längsten etablierte muslimische Minderheit in Großbritannien und zählen
heute zirka 70.000 Einwohner*innen. Anfang des 20. Jahrhunderts konvertierten
weiße Britinnen zum Islam und hatten leitende Positionen in den Moscheen von
Woking und Liverpool inne. Muslimische Frauen aus Pakistan, Bangladesch, - die
meisten sind in den 1960ern nach Großbritannien immigriert - oder dem Jemen
müssen sich Herausforderungen stellen, die die Bereiche der Bildung, der
Arbeitslosigkeit und der Islamophobie betreffen. Organisationen wie „TellMama,
„British-Yemeni Society“, „Yemeni Woman Union“ und die „Yemeni Community
Association“ bemühen sich in vielerlei Hinsicht um die Bedürfnisse und Sorgen ihrer
Schwestern und Brüder im Glauben.

Stichwörter:

Britisches Empire

Lascars

Aden

Jemenit*innen

Konvertit*innen

Tamara Buchberger
Abstract                                                                        IV

Abstract

Lascars describes a group of men from South Asia and Africa, working in the 16th
century on ships and later for the East-India Company. Opening the Suez channel
in 1869 increased the number of merchant ships by a multiple. Within the expansion
of the Empire and the need of strategy caused by the threat of Egypt and the
Ottoman Empire, the British seek for a suitable base between Suez and India. The
port of Aden in Yemen was the ideal stage for coal and freshwater replenishment.
Caused by the increasing trade between the Arabian Peninsula and the British Isle,
Yemenis achieved the coastal towns of England and Wales. As a sailor they gained
their salary as stokers and firemen. In 1890 Yemenis settled down in South Shields
and established boarding houses. The Yemenis are the longest established minority
in Britain and count about 70.000 residents. In the beginning of the 20th century
white female Britain’s converted to Islam and occupied leading positions in mosques
like Woking and Liverpool. Muslim women from Pakistan, Bangladesh- mostly
immigrated in the 1960s- or Yemen face obstacles concerning topics like education,
unemployment and Islamophobia. Associations like “TellMama”, „British-Yemeni
Society“, „Yemeni Woman Union“ and the „Yemeni Community Association“ are
concerned in many ways about the needs and sorrows of their sisters and brothers
in faith.

Keywords:

British Empire

Lascars

Aden

Yemenis

Female converts

Tamara Buchberger
Inhaltsverzeichnis                                                                                                        V

Inhaltsverzeichnis

Danksagung ............................................................................................................2

Kurzfassung ............................................................................................................3

Abstract ...................................................................................................................4

Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................5

1.     Einführung ........................................................................................................7

2.     Überblick ..........................................................................................................9

     2.1    Statistische Übersicht .................................................................................9

       2.1.1      Aufbau und Geschichte des Census................................................. 10

       2.1.2      Statistiken im Vergleich von 2001, 2011 und 2016 ........................... 10

     2.2    Arbeitslosigkeit ......................................................................................... 13

     2.3    Einteilung der Kolonien ............................................................................ 14

     2.4    Arten der britischen Staatsangehörigkeit.................................................. 15

     2.5    Sklavenhandel und Sklaverei – Ausbeutung und Arbeitskräfte ................ 18

     2.6    Migration und Flucht - Beweggründe........................................................ 19

3.     Epochaler Überblick ....................................................................................... 21

     3.1    Differenzierter Blick auf die Geschichte.................................................... 21

     3.2    Die ersten Kontakte .................................................................................. 23

       3.2.1      Islamische Expansion im ersten Jahrtausend und wirtschaftliche
       Interessen ..................................................................................................... 23

       3.2.2      Das 18. bis 20. Jahrhundert .............................................................. 29

4.     Lascars – die erste Generation muslimischer Migrant*innen in England und
Wales .................................................................................................................... 31

     4.1    Der Jemen – Ein Überblick ....................................................................... 31

     4.2    Das Zaydī Imāmāt und das britische Protektorat Aden ............................ 32

       4.2.1      Lascars ............................................................................................. 36

Tamara Buchberger
Inhaltsverzeichnis                                                                                                        VI

     4.3     Die Etablierung muslimischer Gemeinden anhand der Jemenit*innen in
     South Shields und Cardiff und der Ahmadiyya-Bewegung in London, Liverpool
     und Woking ........................................................................................................ 37

        4.3.1      Einleitung .......................................................................................... 37

        4.3.2      Die ersten Lascars am Beispiel der Jemenit*innen ........................... 40

        4.3.3      Etablierung jemenitischer Gemeinden in South Shields und Cardiff . 42

5.      Die Verbreitung des Islam in den Moscheen .................................................. 47

     5.1     Woking, Liverpool, London und Khwaja Kamal-du-Din ............................ 48

     5.2     Britische Konvertitinnen und Frauen in leitenden Positionen in den
     Gemeinden von Liverpool und Woking .............................................................. 49

     5.3     Der Spagat zwischen den Kulturen .......................................................... 50

     5.4     Frauen in leitenden Positionen ................................................................. 51

6.      Identitätsstiftende Kultur und Religion ............................................................ 53

     6.1     Einführung ................................................................................................ 53

     6.2     Identität .................................................................................................... 53

     6.3     Bildung als Weg zur Stärkung der Identität .............................................. 54

        6.3.1      Einleitung .......................................................................................... 54

        6.3.2      Zwischen Kultur und Glaube – Karriere, Familie und Ehe ................ 56

        6.3.3      Ehe ................................................................................................... 57

        6.3.4      Familiäre Vorbilder und Peer Groups ............................................... 57

        6.3.5      Erfahrungen aus dem Hochschulbereich .......................................... 58

7.      Resümee – Ausblick ...................................................................................... 59

8.      Internetquellen ............................................................................................... 63

9.      Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. 66

10.        Abbildungsverzeichnis ................................................................................ 67

11.        Tabellenverzeichnis .................................................................................... 67

12.        Filmverzeichnis ........................................................................................... 67

13.        Quellen von Abbildungen............................................................................ 68

Tamara Buchberger
Einführung                                                                                    7

1. Einführung

Großbritannien, ein Land, welches aufgrund seiner Geschichte aus einem Pool von
Erfahrung mit Migration und Integration schöpfen kann, steht zurzeit, ebenso wie
ganz Europa, vor großen Herausforderungen in der Causa Asylpolitik und
Islamophobie. Kapitel 2 behandelt daher die Statistik der heterogenen
muslimischen Bevölkerung in England und Wales unter Zuhilfenahme des Census,
um ein differenziertes Bild hinsichtlich der Zusammensetzung der britischen
Bevölkerung im Laufe der letzten Jahrzehnte zu erhalten. Des Weiteren eröffnet
Kapitel 3     einen epochalen          Überblick der muslimischen Migration nach
Großbritannien und beschreibt die ersten Kontakte zwischen Brit*innen und
Muslim*innen. Das British Empire wurde im 19. Jahrhundert durch militärische
Eroberung,      Ausbeutung       und    Sklavenhandel        zu    einer    Weltmacht.      Als
Seefahrernation umkreisten sie den kompletten Globus, errichteten Kolonien und
bedienten sich ihrer Bodenschätze sowie menschlichen und ökonomischen
Ressourcen. Durch Besetzung strategischer Handelswege im Mittleren Osten und
mit der Öffnung des Suezkanals, sowie der fortschreitenden Industrialisierung,
gelang es dem Empire 1919 seine größte Ausdehnung zu erreichen. Die wichtigste
und heute noch begehrte Hafenstadt Aden im Jemen wurde zwischen dem 18. und
19. Jahrhundert zur essenziellsten Anlegestelle für die Schifffahrt. Um das
Mutterland1 mit den nötigen Nahrungsmitteln2 zu versorgen, wurden zuerst via
Segelschiff und danach mittels Dampfschiff die Kolonien angesteuert. Die Britische-
Ost-Indien-Gesellschaft, die 1600 gegründet wurde, diente dem florierenden Handel
zwischen Indien, Asien, Afrika und Europa. Kapitel 4 widmet sich den jemenitischen
Muslim*innen, vor allem aber den Lascars und ihre Beziehung zum British Empire.
Ausgehend von der Geschichte des Zaydī Imāmāts bis zur Etablierung
jemenitischer Gemeinden in South Shields und Cardiff, wird in Kapitel 5 die
Ausbreitung des Islam in den Moscheen von Woking und Liverpool dargestellt.
Jemenitische Muslime wurden Bestandteil einer heute heterogenen Gesellschaft,
die zurzeit nach ihren geschichtlichen Wurzeln forschen. Hinsichtlich der

1LautDuden: Als Mutterland wird das Land bezeichnet, zu dem eine Abhängigkeit oder Zugehörigkeit
eines Gebiets bei räumlicher Trennung besteht.
2 Zucker, Tabak und Kaffee wurden aus den Kolonien zur Versorgung der britischen Bevölkerung

importiert.

Tamara Buchberger
Einführung                                                                             8

Terrorattacken in den USA und Europa geraten Muslim*innen3 immer mehr unter
Generalverdacht      einer    terroristischen,   religiös   motivierten    Gruppierung
anzugehören. Muslimische Brit*innen, Organisationen wie „TellMama“ und die
„British-Yemeni-Society“ versuchen Aufklärung hinsichtlich ihrer Geschichte und
den rassistischen Anfeindungen zu betreiben. Daher wird in Kapitel 5 der
Schwerpunkt auf britische Konvertitinnen gelegt und erörtert die Rolle der Frauen in
Moscheen Ende des 19. Jahrhunderts. Kapitel 6 versucht einen Einblick in die
identitätsstiftende Kultur des Islam zu geben und eröffnet Aspekte für weitere
Forschung im Bereich Identität, Islam, Säkularismus, Feminismus und Religion.

Es wird darauf hingewiesen, dass teilweise auf die gendergerechte Form verzichtet
wird. Diese Form wird nur dann angewendet, wenn davon auszugehen ist, dass es
sich um beide Geschlechter handelt.

3 In Bezug auf Großbritannien, bezieht sich diese Aussage vor allem auf Pakistaner*innen,
Bangladescher*innen, Jemenit*innen und Muslim*innen aus dem afrikanischen Raum.

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                           9

2. Überblick

2.1 Statistische Übersicht

Aufgrund der starken Zuwanderung wurden Volkszählungen in Großbritannien
immer wichtiger. Ab 1991 wuchs der muslimische Anteil der britischen Bevölkerung
und wurde daher auch unter anderem in den Vordergrund des Census gestellt. Der
Census, auf Deutsch Volkszählung, wird seit 1801 durchgeführt und ist die
umfangreichste Informationsquelle über die Bevölkerung in Großbritannien. Diese
Erhebungen erfolgen durch das Office for National Statistics, deren Hauptaufgaben
„die Erhebung, Analyse und Verbreitung statistischer Daten über die Wirtschaft, die
Gesellschaft und die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs“4 sind. In einem
Zehn-Jahres-Intervall erhebt das Office for National Statistics Daten über die
Population, die auch online durchgeführt werden, wobei schätzungsweise ein Drittel
nicht daran teilnehmen kann, da es weder über entsprechenden Zugang noch über
die notwendigen Sprach und-Lesekompetenzen5 verfügt.

In diesem Kapitel werden vor allem die Bevölkerungsdaten aus den Jahren 2001
und 2011 herangezogen, da der Census 2021 noch nicht abgeschlossen ist.
Allerdings gibt es spezifische Daten zur muslimischen Population aus den Jahren
2016 und 2021, die aus Vollständigkeitsgründen miteinfließen werden. Darauf
hinzuweisen ist, dass der Census keine Erhebungen bezüglich der konfessionellen
Religionszugehörigkeit liefert. Es wird also nicht zwischen Herkunftsländern
unterschieden. Pakistaner*innen, Bangladescher*innen, Jemenit*innen sowie
Türk*innen werden unter dem Sammelbegriff Muslim*innen angeführt.

Details zum Census sowie dessen Aufbau werden in dieser Arbeit nur marginal
beschrieben, da es den Umfang sprengen würde. Ebenfalls wird auf Schottland und
Nordirland nicht eingegangen, da der Bereich für diese Arbeit nicht relevant ist und
der überwiegende Teil der Muslim*innen in England (vor allem London) beheimatet

4 Vgl. Office for National Statistics, in: https://www.ons.gov.uk/aboutus/whatwedo [abgerufen am:
07.06.2021].
5 Vgl. Hussain, Serena / Sherif, Jamil: Minority religions in the census. The case of British Muslims,

in: Religion 44 / 3 (2014) 428-429.

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                            10

ist.6 Es wird speziell auf Grafiken und Tabellen eingegangen, die einen Überblick
der Konfessionen in England und Wales geben.

2.1.1 Aufbau und Geschichte des Census

Der Census von 2001 stellt seit 150 Jahren wieder die Gretchen Frage: „Nun sag´
wie hast du´s mit der Religion? […]“, die Goethe in seinem Werk Faust I Faust an
Margarete stellen ließ.7 Anders als heute, konzentrierte sich der Census 1851 an
der    christlichen     Bevölkerung.        Dies     reflektiert    die    neue        Pluralität   der
Glaubensgemeinschaften innerhalb Großbritanniens. Der Census von 2001 listet
Christen, Muslime, Hindus, Sikhs, Buddhisten und Juden sowie „andere Religionen“
und diejenigen ohne Bekenntnis auf, jedoch basiert die Beantwortung auf
Freiwilligkeit. Im Laufe der letzten 50 Jahre hat die Diskussion über die Bezeichnung
von Minderheiten einen Wandel durchlebt. Von „colour“ in den 1950er und 1960er,
zu „race“ in den 70er bis 80er, zu „ethnicity“ in den 90er Jahren bis hin zu „religion“
und „Islamophobia“ in der Gegenwart.8

Das      Sichtbarmachen         der     muslimischen        Bevölkerung,        ermöglichte         den
Muslim*innen das Recht auf Selbstdefinition und förderte die soziale Eingliederung.
Zusätzlich wurde dadurch die Regierung dazu verpflichtet, auf zuvor unsichtbare
lokale    Probleme,        zu    reagieren.      Besonders         negativ     fällt     hierbei    die
Arbeitslosenstatistik muslimischer Frauen aus, auf die in Punkt 2.2.1 näher
eingegangen wird.

2.1.2 Statistiken im Vergleich von 2001, 2011 und 2016

Statistiken sind eine Hilfestellung, wenn es um die Verdeutlichung und
Veranschaulichung von Daten geht. In einem Diagramm können zahlreiche
Informationen abgelesen und interpretiert werden. Im folgenden Kapitel werden drei
Diagramme aufgezeigt, die Informationen bezüglich der Bevölkerungszahl von
Muslimen, Christen, Buddhisten, Hindus, Sikhs und Juden sowie anderer
Religionen      in   England      und     Wales     aufzeigen.      Im    Vergleich        dient    das

6 Vgl. Ansari, Humayun: Muslims in Britain, in: https://minorityrights.org/wp-content/uploads/old-site-
downloads/download-129-Muslims-in-Britain.pdf [abgerufen am: 26.07.2021], 7.
7   Vgl. Goethe, Johann Wolfgang: Faust I. Vers 3415. Textauszug entnommen in:
http://www.faustedition.net/print/faust.19#scene_1.1.16 [abgerufen am: 08.06.2021].
8 Vgl. Peach, Ceri: Muslims in the 2001 Census of England and Wales. Gender and economic

disadvantage, in: Ethnic and Racial Studies, 29 / 4 (2006) 631.

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                    11

Gesamtbevölkerungsdiagramm von England und Wales als Verhältnismaß.
Statistiken können Daten zwar verdeutlichen, aber sie sind auch manipulativ und
subjektiv, je nach Darstellung. Betrachtet man das Balkendiagramm in Abbildung 2,
so erscheint der Balken für Muslim*innen deutlich länger als jener der
Buddhist*innen. Die Daten diesbezüglich sind korrekt, aber es impliziert ein falsches
Verhältnis. Diese Abbildung soll veranschaulichen, wie bedeutend die muslimische
Bevölkerung in den letzten zwei Jahrzehnten gewachsen ist.

In Abbildung 1 ist der Anstieg der britischen Bevölkerung seit 1801 deutlich zu
erkennen, wobei 1941 aufgrund des Zweiten Weltkrieges keine Zählung erfolgte.
Angesichts der Migration aus dem ehemaligen Empire gewann die statistische
Erhebung der Einwohner*innen für die Regierung an Bedeutung. 2011 lag die
Gesamtbevölkerungsanzahl von England und Wales bei 56,1 Millionen. 2001
hingegen bei 52,4 Millionen. Seit 1801 ist das der höchste Einwohnerzahlanstieg
innerhalb eines Zehn-Jahres-Intervalls, der erhoben wurde.

Abbildung 1: Gesamtbevölkerungszahl von England und Wales 1801-2011

Eine 2018 veröffentliche Metastudie zeigt einen weiteren Anstieg der britischen
Bevölkerung in England und Wales um 1,7 Millionen Menschen.9 Die für diese
Arbeit aber wesentlich wichtigere Statistik ist diejenige, die sich auf den
muslimischen Anteil der Bevölkerung bezieht. In Abbildung 2 sind die drei größten
Minderheiten in England und Wales auf einem Balkendiagramm dargestellt. Mit
4,8% stellen Muslim*innen 2011 die größte Gruppe dar. 2001 waren es 2,7% und
in der veröffentlichten Metastudie 2018 ergaben die Erhebungen für 2016 5,8% in
England und 1,6% in Wales. Diese Abbildung zeigt aber nur einen Ausschnitt und

9    Vgl.   Muslimische   Einwohner     in    England    und   Wales        2017   Excel-Tabelle
https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/culturalidentity/religion/adhocs/008332pop
ulationofenglandwalesandselectedlocalauthoritiesagainstnumbersandpercentofmuslims201516201
7 [abgerufen am 15.05.2021].

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                               12

vermittelt den Eindruck einer überaus präsenten muslimischen Bevölkerung.
Abbildung           3       zeigt     eine       deutlich        objektivere         Darstellung    der
Bevölkerungszusammensetzung.

Abbildung 2: Religiöse Minderheiten in England und Wales: Stand 2011

Jedoch ist aus diesen Daten ersichtlich, dass Muslim*innen immer mehr an
Bedeutung gewinnen, und daher auch an den ökonomischen und sozialen
Bedingungen im Land beteiligt sind. Wie bereits oben erwähnt, veranschaulicht die
Abbildung 2 nur das prozentuelle Verhältnis der religiösen Minderheiten in England
und Wales. Betrachtet man aber das folgende Balkendiagramm in Abbildung 3, so
ergibt sich ein durchaus breiteres Spektrum der Religionszugehörigkeit in England
und Wales.

                        Religionszugehörigkeit Census 2011

  andere Religion   0,40%
      Buddhisten    0,40%
           Juden    0,50%
            Sikhs   0,80%
          Hindus    1,50%
        Muslime     4,80%
    keine Angabe    7,20%
    ohne Religion                       25,10%
        Christen                                                                 59,30%

                0,00%        10,00%    20,00%      30,00%      40,00%       50,00%    60,00%   70,00%

                                       Religionszugehörigkeit Census 2011

Abbildung 3: Religionszugehörigkeit laut Census 2011

In Abbildung 3 sind die Auswahlmöglichkeiten des Census von 2011 für die
Religionszugehörigkeit aufgelistet. Dabei ist ersichtlich, dass ein großer Anteil

Tamara Buchberger
Überblick                                                                     13

angibt, keiner Religion anzugehören. Beinahe 60% und damit der größte Teil der
britischen Bevölkerung bezeichneten sich als Christ*innen.

Abbildung 4: Muslimische Gruppierungen Ende der 90er Jahre

Abbildung 4 zeigt Schätzungen der vorherrschenden muslimischen Gruppen in
Großbritannien Ende der 1990er. Ausgehend von rund 2 Millionen Muslim*innen im
Jahre 2001 kommt der Großteil aus Pakistan und Bangladesch. Dies ist auch
diejenige Gruppe, die das stärkste Bevölkerungswachstum innerhalb der
Muslim*innen aufweist. Waren es im Jahr 1991 640.000, so stieg die Anzahl 2001
auf rund 1 Million. Andere kleinere muslimische Nationalitäten immigrierten aus
Algerien, Bosnien, Jordanien, Kurdistan, dem Libanon, Mauretanien und den Golf-
Staaten, sowie Nigeria, Palästina, dem Sudan, Syrien und Tunesien. Schätzungen
zufolge konvertierten 5.000 Menschen, die vor allem aus dem afrikanisch-
karibischen Raum stammten, zum Islam. Weiße Brit*innen hingegen konvertierten
eher zum sufistischen Islam. Wie in der oben gezeigten Abbildung ersichtlich ist,
zählt die jemenitische Gemeinschaft nur wenige tausend Mitglieder im Vergleich zu
den Pakistaner*innen.10

2.2 Arbeitslosigkeit

Neben den Erhebungen zur Einwohnerzahl von England und Wales werden auch
Altersprofile und Beschäftigungsausmaße bestimmter Bevölkerungsschichten
erstellt. Hierzu zählen unter anderem der Altersdurchschnitt von Muslim*innen und

10   Vgl. Ansari, Humayun, Muslims in Britain, 7.

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                       14

die am dichtesten von Muslim*innen bewohnten Bezirke Englands. 60% aller
Muslim*innen in Großbritannien sind unter 30 Jahre11 alt, wohingegen 22% der
Christ*innen über 65 Jahre12 alt sind. Ein weiteres Detail aus der Erhebung ist die
starke Zuwanderung in die Bezirke Manchester, Birmingham, Bradford, Newham,
Tower Hamlets und Haringey. Darüber hinaus sind Muslim*innen im Vergleich zu
den anderen religiösen Minderheiten diejenigen mit der größten Arbeitslosigkeit.
Geht man noch einen Schritt weiter und teilt Menschen ohne Beschäftigung in ihre
Geschlechter auf, dann ist das Ausmaß noch deutlicher. Nur 37% der
Pakistanerinnen, 37% der Bangladescherinnen und 35% der arabischen Frauen
sind am Arbeitsmarkt aktiv. Im Vergleich zu den 62% der Inderinnen und 57% der
übrigen weiblichen Bevölkerung, sind gerade einmal ein Drittel der muslimischen
Frauen in Beschäftigung. Dies lässt darauf schließen, dass der Großteil der
muslimischen Frauen verheiratet ist und sich um ihre Familie kümmert. Die meisten
muslimischen Haushalte sind kinderreich und finanzieren sich vom Gehalt des
Familienvaters. Das wiederum bedeutet, dass sie in ärmeren Verhältnissen leben
und sie unmittelbar in die Armut schlittern.

Mit dem Race Relations Act 2000, den Employment Equality Act Regulations 2003
und dem Equality Act 2010 versuchte die britische Regierung der religiösen und
genderspezifischen Diskriminierung auch am Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. 2010
wurde die Religion explizit als ein „zu schützendes Merkmal“ verankert.13

2.3 Einteilung der Kolonien

Das Empire kannte vier Abstufungen hinsichtlich der eroberten Gebiete, die Hugo
Preller wie folgt definiert: Die Kronkolonie14 untersteht nur einer ernannten
Regierung und hegt eine enge Verbundenheit zum Mutterland. Die Kolonien im
engeren Sinn bestehen aus ernannten Personen und örtlich gewählten Personen,
die eine Regierung unter einem vom Souverän gesandten Gouverneur bildeten. Der
Begriff Dominion wurde 1867 eingeführt, das vor allem Kanada, Australien,
Neuseeland, Südafrika, Irland und Neufundland betraf und die autonomsten

11 Vgl. Hussain / Sherif, Minority religions in the census, 420.
12   Vgl. OFN: What does the Census tell us about religion in 2011? in:
https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/culturalidentity/religion/articles/fullstorywha
tdoesthecensustellusaboutreligionin2011/2013-05-16 [abgerufen am 08.06.2021].
13 Vgl. Hussain / Sherif, Minority religions in the census, 422-423.
14 Unter anderem: Indien und später Pakistan, Bangladesch, Nepal, Bhutan, Myanmar, Kaschmir,

Hongkong

Tamara Buchberger
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Strukturen bildete. Dabei wurde ein Gouverneur vom König/der Königin ernannt,
der/die mit einem Parlament vor Ort und mit diesem dafür zuständigen Ministerium
zusammenarbeitete.15 Das bedeutet, dass sich diese Länder selbst verwalteten,
aber unter dem Schutz der Krone standen und damit allen Pflichten, die damit
verbunden waren, nachkommen mussten. Die Protektorate16, wie zum Beispiel
Aden im Jemen sicherte den Brit*innen einen idealen Anlegehafen, um Waren vice
versa zu verschiffen. Unter einem Protektorat versteht man ein Gebiete, das unter
dem Vorwand des Schutzes vor anderen feindseligen Besatzungsmächten erobert
wurde und den Eigeninteressen der besetzenden imperialen Macht dient. Die
Verwaltungsformen änderten sich zum Teil im Laufe der Geschichte und so wurde
zum Beispiel British Indien 1947 von einer Kronkolonie in die Dominions Pakistan
und Indien aufgeteilt.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde im Versailler Friedensabkommen 1919 im Artikel
22 die Regierungsform des Mandats festgelegt. Preller interpretiert den Artikel wie
folgt: „All den Abstufungen lag der Gedanke einer Erziehung der Welt zur
europäischen Zivilisation zugrunde (vgl. Art. 22 des Versailler Vertrages).“17 Mit
anderen Worten diente die Besetzung der einzelnen Kolonien, der Anpassung an
europäische Werte und Strukturen, die zugunsten der wirtschaftlichen Interessen
des Empires eingeführt wurden.

2.4 Arten der britischen Staatsangehörigkeit

Rechte und Pflichten der britischen Staatsbürger*innen werden seit 1949 durch
sechs Klassen definiert. Diese Einteilung trifft auch den muslimischen Anteil der
britischen Bevölkerung. Um das differenzierte Bild der Identitätszugehörigkeit der
heterogenen muslimischen Bevölkerung in Großbritannien zu beschreiben, ist es
notwendig diese Klassifizierungen aufzuzeigen. Nachfolgend werden in historischer
Reihenfolge die Vereinigungen von Irland und Schottland mit England und Wales,
sowie die Staatsangehörigkeitsbezeichnungen in der Tabelle 1 aufgelistet.

15 Vgl. Preller, Hugo: Geschichte Englands. II von 1815 bis 1910, Berlin: De Gruyter 21954, 57-58.
16 Schutzherrschaften des britischen Empires wie zum Beispiel Bahrain, Uganda, Nigeria und
Ägypten.
17 Vgl. Preller, Geschichte Englands, 58.

Tamara Buchberger
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Im Act of Union 1707 wurde das Königreich Schottland mit dem Königreich England
zu Großbritannien vereint.18 Im Act of Union 180119 wurde Großbritannien und Irland
zum Vereinten Königreich. Diese beiden Bündnisse waren eine der ersten, die
andere Staaten mit dem Mutterland England verbanden. Durch die Kolonialisierung
und die Ausdehnung des Imperiums wurden Staatsangehörigkeitsklassen
eingeführt. Diese dienten dazu, die Bürger*innen des Empires mit unterschiedlichen
Rechten und Pflichten zu versehen und ihnen im Zuge der Dekolonialisierung eine
bestehende Zugehörigkeit anzuerkennen. Vor 1949 wurden pauschal alle
Bürger*innen des Commonwealth als „British subject“ deklariert. Das waren jene
Bürger*innen, die in irgendeiner Form mit Großbritannien in Verbindung standen.
„British citizen“ betrifft nur diejenigen, die in Großbritannien geboren wurden oder
die britische Staatsbürgerschaft innehaben. Mittlerweile gilt in Großbritannien das
Geburtsortsprinzip ius soli.20 Im Laufe der Dekolonialisierung von 1949-1997
wurden Einteilungen der Staatsangehörigkeit eingeführt, um die Bürger*innen in
den ehemaligen Kolonien zu unterscheiden.

Bedeutend für diese Arbeit sind die Bezeichnungen der Staatsangehörigkeit der
weißen      britischen     Bevölkerung21        (british    citizenship),     der    jemenitischen
Migrant*innen (british overseas territories citizen / british overseas citizen) und die
der aus Pakistan und Bangladesch (british overseas territories citizen / british
overseas citizen) stammenden muslimischen Migrant*innen.

Die britische Regierung kennt sechs Typen der Staatsangehörigkeit und den damit
verbundenen Rechten und Pflichten, die in der untenstehenden Tabelle 1 aufgelistet
sind.

18    Vgl.   The      Editors    of      Encyclopaedia:     Britannica.     Act    of     Union,    in:
https://www.britannica.com/event/Act-of-Union-Great-Britain-1707 [abgerufen am: 20.07.2021].
19    Vgl.   The      Editors    of      Encyclopaedia:     Britannica.     Act    of     Union,    in:
https://www.britannica.com/event/Act-of-Union-United-Kingdom-1801 [abgerufen am 20.07.2021].
20 Vgl. Types of British nationality: in http://www.gov.uk/types-of-british-nationality [abgerufen am

19.07.2021].
21 Die in Großbritannien geborene Bevölkerung ohne Migrationshintergrund aus den ehemaligen

Kolonien. Diese Bezeichnung dient der Unterscheidung hinsichtlich der Klassifikation der
Staatsangehörigkeit.

Tamara Buchberger
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 BEZEICHNUNG        BEDINGUNGEN               RECHTE / PFLICHTEN
                      • geb. im UK               • Britischer Pass,
 BRITISH                                         • Keine Einreisekontrollen,
 CITIZENSHIP                                        Arbeits- und
                                                    Aufenthaltsberechtigung
                       •   geb. vor Jänner       • Britischer Pass
                           1983 im UK            • Konsulatsbetreuung und
                       •   Bürger*in des            Schutz
                           CUKC*                 • Einreisekontrollen
                       •   Verwandtschaft        • Keine automatische
 BRITISH
                           geboren in               Arbeits- und
 OVERSEAS
                           Überseegebieten          Aufenthaltsberechtigung
 TERRITORIES
 CITIZEN               •   Mit einem             • Gilt nicht für die
                           Bürger** der             Europäische Union als
                           Überseegebiete           britische/r Bürger*in
                           verheiratet        BRITISH CITIZENSHIP
                                              automatisch seit 21.05.2002 aus
                                              ausgewählten Gebieten***
                       • geb. vor                • Britischer Pass
                         Dezember 1982           • Konsulatsbetreuung und
                         im UK                      Schutz
                    Ansuchen:                    • Einreisekontrollen
 BRITISH               • Kinder unter 18         • Keine automatische
 OVERSEAS              • Staatenlose                Arbeits- und
 CITIZEN                                            Aufenthaltsberechtigung
                                                 • Gilt nicht für die
                                                    Europäische Union als
                                                    britische/r Bürger*in

                    bis 1949:                    •   Britischer Pass
                        • fast alle              •   Konsulatsbetreuung und
                           Bürger*innen des          Schutz
                           Empires               •   Einreisekontrollen
                                                 •   Keine automatische
                    nach 1949:                       Arbeits- und
 BRITISH               • Kinder                      Aufenthaltsberechtigung
 SUBJECT                  staatenloser           •   Gilt nicht für die
                          Eltern                     Europäische Union als
                       • Staatenlose                 britische/r Bürger*in
                       • geb. außerhalb
                          des UK oder der
                          Überseegebiete

                       • registriert vor         •   Britischer Pass
                         1997;                   •   Konsulatsbetreuung und
 BRITISH               • betrifft nur Hong           Schutz
 NATIONAL                Kong                    •   Einreisekontrollen
 (OVERSEAS)         Ansuchen:                    •   Keine automatische
                                                     Arbeits- und
                                                     Aufenthaltsberechtigung

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                                     18

                                 •    Arbeits-                         •    Gilt nicht für die
                                      Aufenthalts- und                      Europäische Union als
                                      Studienerlaubnis                      britische/r Bürger*in

                            Betrifft:                                  •    Britischer Pass
                               • Geschützte                            •    Konsulatsbetreuung und
                                    Personen aus                            Schutz
                                    Burnei                             •    Einreisekontrollen
                                    Darussalam                         •    Keine automatische
                               • Staatenlose                                Arbeits- und
                                    Personen                                Aufenthaltsberechtigung
                               • Status der                            •    Gilt nicht für die
                                    geschützten                             Europäische Union als
                                    Person bereits vor                      britische/r Bürger*in
 BRITISH
                                    Jänner 1983
 PROTECTED
                            Ansuchen wenn:
 PERSON
                               • Dauerhaft
                                    staatenlos
                               • In der UK oder
                                    den
                                    Überseegebieten
                                    geboren
                               • Eltern des Kindes
                                    waren bereits
                                    geschützte
                                    Personen
Tabelle 1: Typen der Staatsangehörigkeit

* Citizen of the United Kingdom and Colonies

** Gilt nur für Frauen, welche mit einem Mann, der den Status eines britischen Übersehgebietseinwohners
innehat, verheiratet sind, nicht umgekehrt.

*** Anguilla, Bermuda, British Antarctic Territory, British Indian Ocean Territory, British Virgin Islands, Cayman
Islands, Falkland Islands, Gibraltar, Montserrat, Pitcairn Islands, Saint Helena, Ascension and Tristan da Cunha,
South Georgia and the South Sandwich Islands, Turks, and Caicos Islands

Heute gilt für alle in Großbritannien lebenden Personen das Geburtsortsprinzip ius
soli.

2.5 Sklavenhandel und Sklaverei – Ausbeutung und Arbeitskräfte

Der Sklavenhandel und die Sklaverei selbst, waren für das British Empire von
großer Bedeutung in wirtschaftlicher Hinsicht. Vor allem, um den Bedarf an Kaffee,
Tabak und Zucker zu decken. Herangezogen wurden zuallererst irische Sträflinge,
die auf den Plantagen in Amerika arbeiteten. Nach Aufständen der irischen Häftlinge
bedienten sich die Brit*innen der Sklav*innen aus den afrikanischen Kolonien22, die

22Vgl. Craig, Gary: The UK´s Modern Slavery Legislation. An Early Assessment of Progress, in:
Cogitatio 5 / 2 (2017) 17.

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                        19

zuverlässiger und weniger anfällig für Tropenkrankheiten waren.23 Die Abschaffung
des Sklavenhandels und der Sklaverei per se erfolgte in zwei Stufen in den Jahren
180724 und 183325. Auch innerhalb der Kolonien wurden Menschen in die
Leibeigenschaft der Großgrundbesitzer gedrängt oder als billige Arbeitskräfte in der
Marine beziehungsweis den Fabriken eingesetzt. Darunter befanden sich auch
Muslim*innen aus Pakistan, Bangladesch und dem Jemen. Zwischen dem 18. und
19. Jahrhundert und dem Beginn der Industriellen Revolution in Großbritannien
eröffnete sich mit der Entwicklung der Dampfschiffe ein Arbeitsmarkt für viele
jemenitische Muslime. Die Arbeit der männlichen jemenitischen Bevölkerung
beschränkte sich vorwiegend auf den Bereich der Schifffahrt. 2015 veröffentlichte
der unabhängige Nachrichtensender Al Jazeera (English) eine Dokumentation26
über die ersten Jemeniten in Großbritannien. Zeitzeugen, die 1950 über den
Seeweg an die Küsten Großbritanniens kamen, erzählen von ihren Erfahrungen als
älteste muslimische Gemeinde. Jemenitische Muslime arbeiteten unter Deck auf
den Dampfschiffen der britischen Marine und befeuerten die Öfen mit Kohle. Aus
den Gesprächen mit den Zeitzeugen ging unter anderem hervor, dass Jemeniten
nur ein Drittel von dem Lohn bekamen, den die weiße britische Besatzung erhielt.

2.6 Migration und Flucht - Beweggründe

Migrationsbewegungen und Völkerwanderungen sind kein Phänomen des 21.
Jahrhunderts, sondern ein Teil des stetigen Wandels der politischen, ökonomischen
und militärischen Gegebenheiten. Aber die Frage nach den unterschiedlichen
Beweggründen der Menschen bleibt. 2016 erreichte Europa eine Flüchtlingswelle,
verschuldet von einem Krieg im mittleren Osten27, der tausende Menschen in die
Armut trieb. Migrationsbewegungen werden von Forschungsgruppen wie Globale

23 Vgl. Osterhammel, Sklaverei und die Zivilisation des Westens, 49.
24 Vgl. Farrell, Stephen: Contrary to the Principles of Justice, Humanity and Sound Policy. The Slave
Trade, Parliamentary Politics and the Abolition Act, 1807*, in: Parliamentary History 26 / S1 (2007)
142.
25 Vgl. Slavery Abolition Act, in: https://www.pdavis.nl/Legis_07.htm [abgerufen am 16.07.2021].
26 BRITAIN´S FIRST YEMENIS (Regie: Alsaedi, Mohammed, England 2015).
27 Die Bezeichnung Mittlerer Osten umfasst laut Wissenschaftlern Libyen, Saudi-Arabien, Jemen,

Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Kuwait, Katar, Bahrain, Israel, Palästinensische
Autonomiegebiete (Palästina), Jordanien, Libanon, Syrien, Irak und Iran.
Siehe hierzu: Klingholz, Reiner / Müller, Ruth / Sievert, Stephan: Krisenregion Mena. Wie
demografische Veränderungen die Entwicklung im Nahen Osten und Nordafrika beeinflussen und
was             das        für         Europa          bedeutet,         in:      https://www.berlin-
institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/aeltere_Studien/Krisenregion_Mena/Mena_RZ_NEU
_online.pdf [abgerufen am 21.07.2021].

Tamara Buchberger
Überblick                                                                                      20

Fragen der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik), die von Steffen Angenendt28
geleitet wird, der UNHCR, UNICEF, IOM und der EU-Kommission analysiert. Unter
anderem sind Steffen Angenendt und Muhammad Anwar29 der Überzeugung, dass
die sogenannten Push- und Pull-Faktoren (Druck- und Sogfaktoren) nicht
voneinander zu trennen sind, sondern gemeinsam wirken. Aus heutiger
europäischer Sicht, so meint Angenendt, sind die stärksten Triebkräfte für Migration
Bürgerkriege und Kriege. Global und epochal gesehen, spielen ökonomische
Gründe eine weitaus bedeutendere Rolle. Von geschätzten 250 Millionen
Menschen weltweit (diese Angaben beziehen sich auf das 21. Jahrhundert)
wandern nur etwa 65 Millionen aufgrund von Terror oder Krieg aus ihren
Heimatländern aus. Die Gründe, warum sich Menschen dazu entscheiden, in ein
fremdes     Land     zu   flüchten,      sind   vielfältig.   Neben    einem     exponentiellen
Bevölkerungswachstum30             und      den      damit      entstehenden        sekundären
Folgeerscheinungen         wie    Nahrungsmittelknappheit,          marginale      medizinische
Versorgung und hohe Arbeitslosigkeit, sind Terror und Kriege eher die Ausnahme,
die zu Migration beziehungsweise einem demografischen Wandel31 führen.32 Dies
wird auch in der Migration der Muslim*innen aus dem Jemen, Pakistan und
Bangladesch im nachfolgenden Kapitel erläutert.

28 Vgl. Reitan, Klaus: Die neuen Völkerwanderung. Ursachen der Migration, in: Reitan, Klaus (Hg.):
Die vielen Gründe der Migration. Interview mit Steffen Angnendt, Wien: Edition Steinbauer 2016, 63.
29 Vgl. Anwar, Muhammad: Muslims in Western States. The British Experience and the Way Forward,

in: Journal of Muslim Minority Affaires 28 / 1 (2008) 129.
30 Der demografische Wandel findet global statt. Pauschalierungen wonach Afrika zu den fertilsten

Kontinenten zählt müssen verneint werden. Teile Afrikas wie Nigeria, Mali, Niger und Tschad haben
verzeichnen eine hohe Fertilität, wobei Tunesien und andere Länder Nordafrikas auf europäischem
Niveau gelandet sind.
31 Unter demografischem Wandel versteht man den Zusammenhang der Faktoren der Zu- und

Abwanderung sowie der Geburten- und Sterblichkeitsrate.
32 Vgl. Reitan, Die neuen Völkerwanderungen, 63-64.

Tamara Buchberger
Epochaler Überblick                                                                           21

3. Epochaler Überblick

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wann, in welcher Form und warum
die Islamische Welt33 mit der britischen Bevölkerung in Kontakt kam und inwieweit
sich diese Beziehung auf das Zusammenleben bis in die Gegenwart auswirkte. Im
Kapitel 1.3 wird erläutert, wie sich die einseitige literarische Berichterstattung auf
die Beziehung zwischen Muslim*innen und Brit*innen im 7. Jahrhundert auswirkte.
Die Berichte von Bede sollen als negatives Beispiel zeitgenössischer Historik
dienen und die/den Leser*in dazu animieren, das Berichtete objektiv und kritisch zu
hinterfragen. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf dem Bereich der
immigrierten Jemenit*innen, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Großbritannien
kamen. Aus diesem Grund wird auch in den folgenden Kapiteln immer wieder darauf
Bezug genommen und detailliert beschrieben.

3.1 Differenzierter Blick auf die Geschichte

Voraussetzung für eine objektive Darstellung der Geschichte der Muslim*innen in
Großbritannien,      insbesondere       der    jemenitischen,      ist   das    Wissen     über
unterschiedliche epochale, religiöse, ethnische und kulturelle Hintergründe der
Autor*innen, die von Muslim*innen berichteten. Denn die Daten, die im Laufe der
Geschichte über die Islamische Welt in Großbritannien gesammelt und danach
aufgeschrieben wurden, führten nach Gilliat-Ray oft zu Missverständnissen, wie sie
es in ihrem Buch Muslims in Britain folgend beschrieb:

“It is important at the outset to consider where information about Islam and Muslims
in Britain has come from over the course of history, and the limitations and biases
of difference sources. Any understanding of the relationship between Islam and
Britain is inevitably shaped by the available evidence, so whether we are examining
Christian ecclesiastical texts, travel diaries, captivity narratives, parliamentary
papers, literary fiction, or stage plays, there are inevitably inherent limitations and

33Die Kurzformulierungen wie „islamische Welt“ oder „muslimische Welt“ werden bewusst von mir
gewählt. Ich weiß, dass diese Bezeichnungen der Vielfalt im sprachlichen, kulturellen, ethnischen
und religiösen Bereich der Muslim*innen nicht gerecht werden, benutze diese Sätze aber im
Bewusstsein dieser Vielfalt.

Tamara Buchberger
Epochaler Überblick                                                                              22

biases. Misunderstandings of Islam and Muslims in one genre are often reproduced
in another.” 34

Die Bedeutung eines historischen Verständnisses ist ebenso wichtig, wie das eines
religiösen. Die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen und die kulturellen Ideen,
die durch die Migration nach Großbritannien eingeflossen sind, trugen wesentlich
zur Entwicklung der heterogenen muslimischen Bevölkerung wie auch der
britischen bei.35 Wenn hier von unterschiedlichen religiösen Vorstellungen
geschrieben wird, dann deswegen, weil es die einheitliche Geschichte des Islam
oder der Muslim*innen nicht gibt. Ein Blick in die Geschichte und die Archäologie,
sowie die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit historischen Texten
der jeweiligen Epochen zeigen, dass es einen differenzierteren Blick darauf braucht.
Liest man zum Beispiel die Zeilen von Bede (673 -735), einem englischen Mönch,
Gelehrten und Schriftsteller, der in einem Kloster in Northumberland den Versuch
wagte, die Muslime seiner Zeit zu beschreiben, so bestätigt sich die oben erwähnte
Dringlichkeit der objektiven Forschung. Er studierte die Schriften des Hl.
Hieronymus (342-420), in denen eine düstere Stimmung hinsichtlich Arabiens
gezeichnet wurde. Diese mit Vorurteilen behafteten Eindrücke übernahm Bede und
ließ sie in seine Beschreibungen über die Muslim*innen in England einfließen.
Obwohl zu Zeiten Hieronymus der Islam des Propheten Mohammed noch gar nicht
„geboren“ war, so kam es dem christlich geprägten Mönch gelegen, diese Vorurteile
auf die fremde Bedrohung zu übertragen und die als „Sarazene“ zu titulieren. Gilliat-
Ray fasst die Aussagen des Kirchenvaters wie folgt zusammen:

“For Jerome, there was a direct connection between the desert-dwelling ‘Saracens’
and all that was ‘dark’ or within ‘shadows’. He defined Arabia as ‘evening’, the

34 Vgl. Gilliat-Ray, Sophie: Muslims in Britain. An Introduction, Cambridge: Cambridge University
Press 2010, 3.
35 Ich führe hier drei Artikel als Beispiele auf, die sich mit aktuellen Themen, welche die Migration

und Integration betreffen, auseinandersetzen. Diese Beispiele versuchen nicht die Fülle der Diskurse
zu decken, sondern einen Einblick in die diversen Konfliktthemen zu geben. Siehe dazu:
Bärthlein, Thomas: Tief gespalten. Britisch-asiatische Wähler und der Brexit, in:
https://de.qantara.de/inhalt/britisch-asiatische-waehler-und-der-brexit-tief-gespalten [abgerufen am
21.07.2021].
Tellmama: Islamophobia and Anti-Muslim Hatred in North East England, in:
https://tellmamauk.org/islamophobia-and-anti-muslim-hatred-in-north-east-england-2/        [abgerufen
am 21.07.2021].
Borger, Sebastian: Erzbischof von Canterbury für Duldung von Teilen der Scharia, in:
https://www.derstandard.at/story/3216635/erzbischof-von-canterbury-fuer-duldung-von-teilen-der-
scharia [abgerufen am 21.07.2021].

Tamara Buchberger
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beginning of night and sin, and he contrasted this spiritual darkness with ‘the light
of scriptural knowledge’.”36

In den vergangen Jahrzehnten leisteten und leisten Wissenschaftler*innen einen
essenziellen Beitrag zur objektiven Darstellung der Geschichte des Islam und der
Muslim*innen in Großbritannien.37 Die Aufarbeitung der eigenen imperialen
Geschichte und die Erörterung von Diskrepanzen in einer multireligiösen
Bevölkerung sind Ziel der wissenschaftlichen Forschung und religiösen38
beziehungsweise genderaffinen Organisationen39 im Commonwealth. Angetrieben
von den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn 2017 und der Flüchtlingswelle
2015/16 eröffneten sich Diskurse zwischen Vertreter*innen der muslimischen
Glaubensgemeinschaften und der Politik, die bis in die Gegenwart aktuell sind.

3.2 Die ersten Kontakte

3.2.1 Islamische Expansion im ersten Jahrtausend und wirtschaftliche
      Interessen

Die folgenden Kapitel beschreiben epochenartig die ersten Kontakte der weißen
britischen Bevölkerung mit der muslimischen Welt ab dem 8. Jahrhundert und
enden mit der Migration jemenitischer Muslim*innen nach Großbritannien im 20.
Jahrhundert.

Im 7. Jahrhundert etablierten sich zwei Weltreligionen, zum einen in Mekka und zum
anderen in Kent. Mohammeds Ruf zum Prophetentum im Jahre 610 und Augustinus
christlich, missionarische Tätigkeit in Kent im Jahre 597 verhalfen beiden Religionen
zu Bekehrungen und der Ausbreitung ihrer Theologien.40 Nach Mohammeds Tod

36 Vgl. Gilliat-Ray, Muslims in Britain, 5.
37   Beispiele von Islamwissenschaftler*innen, die sich mit unterschiedlichen Bereichen
auseinandersetzten und dazu publizierten.
Cook, Michael: Commanding Right and Forbidding Wrong in Islamic Thought, Cambridge University
Press 2000.
Rohe, Mathias: Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, München: 32011.
Gilliat-Ray, Sophie: Muslims in Britain. An introduction, Cambridge: Cambridge University Press
2010.
Anwar, Muhammad: Between Two Cultures. Study in the Relationships Between Generations in the
Asian Community in Britain, London: Commission for Racial Equality 1976.
38 The British-Yemeni Society, British Muslim Forum, UK Islamic Mission, Muslim Council of Britain
39 Tell Mama (Measuring Anti-Muslim Attacks)
40 Ich begrenze bewusst die Fakten über die Ausbreitung des Christentums und weiß über dessen

vielfältige Geschichte Bescheid, jedoch bezieht sich dieser Bereich nur auf England. Damit soll
festgehalten werden, dass das Christentum beinahe gleichzeitig mit dem Islam missioniert hat und,
um die Vormachtstellung in Europa konkurriert hat.

Tamara Buchberger
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im Jahre 632 übernahmen vier seiner engsten Vertrauten die Herrschaft: Abū Bakr,
Umar, Uthmān und Alī. Mu´āwiya gründete nach Uthmans und Alīs´ Tod das
Umayyaden-Kalifat, welches 750 vom Kalifat der Abbāsiden abgelöst wurde. Der
sunnitische Islam der shāfi´tischen Rechtsschule breitete sich entlang der Küste
aus, wohingegen sich der zaydītische Islam der shīitischen Rechtsschule im Norden
ausbreitete.41 Arabische Eroberer (Umayyaden) fielen zu Beginn des 8. Jahrhundert
an der Küste Afrikas ein und teilten Nordafrika in zwei Regionen auf: Ifrīqiya42 und
in die Maghreb43-Staaten. Über die Straße von Gibraltar versuchten die arabischen
Truppen gemeinsam mit den Berbern44 Gebiete Spaniens zu erobern. Das nach der
Eroberung multireligiöse45 Al-Andalus (der arabische Name für das islamische
Gebiet der Iberischen Halbinsel) wurde zuerst von umayyadischen Statthaltern und
später von abbāsidischen regiert.46

Die ersten Kontakte zu umayyadischen Muslim*innen führen demnach bis in das 8.
Jahrhundert zurück. Großbritannien, als eine Seefahrernation, betrieb vor allem
Handel mit Mittelmeerländern wie Spanien und begegnete auf diese Weise
umayyadischen Eroberern. Aus Bredes Schriften geht hervor, dass er Pfeffer und
Weihrauch besaß, die Archäologie entdeckte koptische Bronzeschüsseln und
byzantinisches Silber, die eine aufrechte Handelsbeziehung zu Muslim*innen im
mediterranen Raum bestätigen.47 Im 9. Jahrhundert wurde im Jemen die Rassid-
Dynastie von einem Zaydī Imām gegründet, der über Jemen herrschte.48

Aus dieser Zeit stammen auch zwei nennenswerte Funde, die den Kontakt zwischen
Brit*innen und Muslim*innen noch untermauern. Um 900 entstammt das Ballycottin-
Kreuz, welches in der Grafschaft von Cork in Irland gefunden wurde und auf dem
sich eine arabische Inschrift befindet. Ein weiterer Hinweis auf die ersten Kontakte
zu Muslim*innen ist eine der drei Goldmünzen, die aus der Regierungszeit des

41 Vgl. Siddique Seddon, Mohammad: The Last of The Lascars. Yemeni Muslims in Britain, 1836-
2012, Istanbul: IMAK 2014, x.
42 Ost-Tunesien, Ost-Algerien und Tripolitanien (heute Libyen)
43 Teile der Sahara, Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen
44 Berber bezeichnet eine nicht genauer definierte Bevölkerungsgruppe in Nordafrika. Sie waren

Anfang des 8. Jahrhunderts den arabischen Inquisitoren ausgeliefert und eroberten gemeinsam
Spanien innerhalb von zwei Jahren.
45 Christen, Juden, nicht konvertierte Berber und umayyadische Muslime
46 Vgl. Scarfe Beckett, Katharine: Anglo-Saxon Perceptions of the Islamic World, Cambridge:

Cambridge University Press 2003 28-34.
47 Vgl. Scarfe Beckett, Anglo-Saxon Perceptions of the Islamic World, 61-62.
48 Vgl. Siddique Seddon, The Last of The Lascars, x.

Tamara Buchberger
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Königs Offa von Mercia49 (757-796) in England erhalten sind. Sie stellen eine Kopie
eines Golddinars der Abbasiden-Dynastie dar und wurden auf der einen Seite mit
der arabischen Formel der Shahāda, dem islamischen Glaubensbekenntnis, und
auf der anderen mit den Worten Offa Rex geprägt.50          51   Diese Inschrift lässt darauf
schließen, dass König Offa einer der ersten britischen Konvertiten war, allerdings
stellt Sophie Gilliat-Ray in ihrem Buch Muslims in Britain – An Introduction52 fest,
dass diese Münzen kein Beweis dafür sind. Anhand der Inschriften sei demnach zu
erkennen, dass weder Offa noch seine Geldgeber, die Bedeutung des Arabischen
erfassen konnten. Darüber hinaus hält sie fest, dass Offa in ein neues Erzbistum
investieren wollte, was die oben erwähnte Aussage wiederum unglaubwürdig
machen würde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese Münze als eine Art Abgabe
an den Heiligen Stuhl in Rom gedacht war, da auch dort dieselben Münzen entdeckt
wurden.

Abbildung 5: Offas Golddinar

Die Abbāsiden erlangten nach einem erfolgreichen Machtwechsel die Oberhand in
der muslimischen Welt, verloren aber in Afrika, an die ägyptischen Fātimiden, an
Einfluss. Der Großteil Spaniens, Al-Andalus, wurde zu einem eigenständigen

49 Das Königreich Mercia der Anglo-Sachsen bestand zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert und war
eines der mächtigsten in England.
50 Vgl. Hannon, Paul: Muslime in Grossbritannien. Integrationsprozesse in Geschichte und

Gegenwart in: Religionen unterwegs, 21 / 3 (2015) 16.
51 Vergleiche auch hierzu die englische Version von Hellyer, Hisham A.: British Muslims. Past,

Present and Future in: The Muslim World 97 (2007) 227.
52 Vgl. Gilliat-Ray, Muslims in Britain, 6-7.

Tamara Buchberger
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umayyadischen Emirat von Abd ar-Rahmān I erklärt und war zahlreichen
Auseinandersetzungen zwischen Christen, Berbern, Arabern und Neo-Muslimen
ausgesetzt. Im 11. Jahrhundert gewannen die Almoraviden an Macht in Spanien,
darunter gehörten Marokko, Algerien, Portugal sowie Mauretanien und Westsahara
zu ihren Herrschaftsgebieten. Die Ayyūbīden herrschten im 12. Jahrhundert von
Ägypten aus über die Küste Nordafrikas bis in den Jemen. Vor 1173 waren Nord-
und Südjemen von zahlreichen sunnitischen sowie ismailitischen Dynastien
beherrscht, bis sich im 9. Jahrhundert das Zaydī Imāmāt etablierte und fast 1000
Jahre den Jemen regierte. Das byzantinische Reich gewann und verlor in den
darauffolgenden Jahrhunderten immer wieder an Landmasse und Einfluss, bis es
im 15. Jahrhundert von den Osmanen erobert wurde.53

Im 13. Jahrhundert unter der Regentschaft von König John I. waren die
Beziehungen zur muslimischen Welt so gefestigt, dass der König in Betracht zog
die Tochter des Sharif von Marokko54 zu ehelichen und zum Islam zu konvertieren.
Dieses Angebot wurde aber vom Sharif abgelehnt, da er die Aufrichtigkeit der
königlichen     Absichten       nicht    erkennen      konnte.      Trotz    der    Reconquista
(Rückeroberung Spaniens bis ins 15. Jahrhundert) und der anhaltenden Kreuzzüge
gegen die muslimischen Eroberer gab es erste Mischehen zwischen spanischen
Muslim*innen und den Brit*innen.55

Im 16. und 17. Jahrhundert erreichten die ersten Reisenden den Nahen Osten und
berichteten über Muslim*innen. Aus Tagebüchern und Reiseberichten, die
überliefert wurden und erhalten blieben, geht hervor, dass die Informationen, die die
Reisenden über die „Anderen“ aufzeichneten, nicht über die stereotypen
Vorstellungen hinausgingen. Jones beschreibt dies mit folgenden Worten:

“Most travelers were too isolated to observe and understand more than the
externals. Legally subject to the millet system, which placed them under the rule of
their ambassadors, they lived around the embassies and seldom learned enough of
the language or customs to penetrate the stereotypes. Their knowledge of the Turks
was gleaned from books they had read, rumors they heard from other Europeans or

53 Vgl. Scarfe Beckett, Anglo-Saxon Perceptions of the Islamic World, 36-38.
54 Scharif (arab. sharīf, «edel, erhaben»), wird allgemein für Personen von besonderem Status in
der islamischen Gesellschaft verwendet, im Besonderen für die Sippe und Nachkommen des
Propheten Muḥammad. siehe: Bundeszentrale für politische Bildung Kleines Islam-Lexikon online
55 Vgl. Hellyer, Hisham A.: British Muslims. Past, Present and Future in: The Muslim World 97 (2007)

227.

Tamara Buchberger
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