Und Tschüss? Chance zum Durchstarten - nds - die Zeitschrift der GEW NRW

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Und Tschüss? Chance zum Durchstarten - nds - die Zeitschrift der GEW NRW
nds 6/7-2019

                                                                                          Inklusion: Begegnung auf Augenhöhe
                                                                                          KiBiz: Mehr Geld, mehr Qualität?
                                                                                          Lernerfolg durch Direkte Instruktion
                                                                                          Mitglieder aktivieren: Aber wie?
                                                                                          Lehrer*innenhandeln im Visier
                                               DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT   Wie funktioniert Unterricht 4.0?
71. Jahrgang Juni / Juli 2019 ISSN 0720-9673

                                                                                      Und Tschüss?
                                                                           Chance zum Durchstarten
K 5141
Und Tschüss? Chance zum Durchstarten - nds - die Zeitschrift der GEW NRW
Fotos: Wild Bunch Germany, Georges Pauly
Mit der GEW NRW ins Kino

DEUTSCHSTUNDE
Der Film DEUTSCHSTUNDE basiert auf dem gleichnamigen
Roman von Siegfried Lenz und erzählt die Geschichte zweier
Freunde, die zu Feinden werden. Zwischen ihnen steht ein
elfjähriger Junge, der von beiden geliebt werden will.
   Deutschland, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Jugendliche Siggi
Jepsen (Tom Gronau) muss in einer Strafanstalt einen Aufsatz zum Thema
„Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Er findet keinen Anfang, das Blatt
bleibt leer. Als er die Aufgabe am nächsten Tag nachholen muss, diesmal
zur Strafe in einer Zelle, schreibt er wie besessen seine Erinnerungen auf.
Erinnerungen an seinen Vater Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen), der als
Polizist zu den Autoritäten in einem kleinen norddeutschen Dorf zählte
und den Pflichten seines Amtes rückhaltlos ergeben war. Während des
Krieges muss er seinem Jugendfreund, dem expressionistischen Künst-
ler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti), ein Malverbot überbringen, das
die Nationalsozialist*innen gegen ihn verhängt haben. Er überwacht es
penibel, und Siggi (Levi Eisenblätter), elf Jahre alt, soll ihm helfen. Doch
der Maler widersetzt sich – und baut ebenfalls auf die Hilfe des Jungen,
der für ihn wie ein Sohn ist. Der Konflikt zwischen den beiden Männern
spitzt sich immer weiter zu – und Siggi steht zwischen ihnen.
   Vorstellungen für Schulklassen sind ab Kinostart möglich. Der Film eig-
net sich unter anderem für die Fächer Deutsch, Geschichte, Sozialwissen-
schaften, Politikwissenschaft, Philosophie und Religion.

 VORSTELLUNGEN FÜR GEW-MITGLIEDER
 Sonntag, 28. Juli 2019
 Düsseldorf Bambi, Klosterstraße 78, Beginn: 11.00 Uhr
 Essen Lichtburg, Kettwiger Straße 36, Beginn: 11.00 Uhr
 Offizieller Kinostart 3. Oktober 2019
 Filmwebseite www.deutschstunde-der-film.de
 Anmeldung und Infos www.gew-nrw.de/veranstaltungen
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Und Tschüss?
Chance zum Durchstarten
   Kurz bevor die Ferien anfangen, erzählen wir in der nds vom Ende: von den letzten Tagen des
Schul- und Kitajahres, vom Abschied aus dem Berufsleben, vom Auslaufen befristeter Arbeits-
verträge in der Erwachsenenbildung oder an der Hochschule. Und noch etwas endet: Die nds
erscheint mit dieser Ausgabe zum letzten Mal. Klingt traurig? Das wird es nicht – versprochen!
Nachjustieren reicht nicht mehr: Ein neues Magazin für die GEW NRW
   Seit rund 70 Jahren ist die „neue deutsche schule“ die Mitgliederzeitschrift der GEW NRW und
wird von vielen Kolleg*innen geschätzt. Warum ein neues Magazin? War die nds nicht schon eine
gute Mitgliederzeitschrift? Natürlich – das hat auch die Leser*innenbefragung im vergangenen
Jahr gezeigt. Dass die nds gut war, lag aber auch daran, dass sie sich kontinuierlich weiterent-
wickelt hat. Die GEW NRW ist im Laufe der Jahrzehnte vielfältiger geworden, außerschulische
Bildungsbereiche und gesellschaftspolitische Themen haben an Bedeutung gewonnen. Das hat
auch die Inhalte der nds verändert. Auf www.gew-nrw.de kommuniziert die Bildungsgewerkschaft
ihre Themen mittlerweile aktueller und rascher. Auch das hat die Inhalte der nds beeinflusst.
Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem diese Veränderungen nicht mehr länger durch
Nachjustieren aufgefangen werden können. Jetzt brauchen wir einen Neustart.                            Anja Heifel-Rohden und
Geschichten, Perspektiven, Hintergründe: Mehr von allem!                                               Fritz Junkers
   Die Aufgabe bleibt anspruchsvoll: Auch das neue Magazin schafft einen regelmäßigen Berüh-           Redaktion der nds und des
rungspunkt zwischen den Mitgliedern und ihrer GEW NRW und nimmt alle mit – von der Kita                neuen Mitgliedermagazins
bis zur Erwachsenenbildung. Es informiert verständlich über Bildungspolitik, Tarifpolitik und          Fotos: A. Schneider
Beamt*innenrecht, es kommentiert und regt Debatten an, es wirft nützliche Blicke in die Praxis
und es verortet die Bildungsgewerkschaft in aktuellen gesellschaftlichen Fragen.
   Im Mix der Kommunikationskanäle, zu denen zum Beispiel die Webseite, die Newsletter und
die Facebookseite der GEW NRW gehören, muss das Printmedium längerfristig wirken. Das neue
Magazin wird deshalb Themen stärker vertiefen, mehr Perspektiven, mehr Hintergrund liefern. Es
wird anschauliche Geschichten von Menschen aus dem Bildungssektor erzählen, um mehr Praxis zu
vermitteln. Dabei werden die Erfahrungen und das Wissen der ehrenamtlichen GEW-Kolleg*innen
weiterhin ein kostbarer Baustein der Redaktionsarbeit sein.
   Für all das und für ein luftiges, modernes Design nehmen wir uns mehr Platz und erscheinen
künftig mit 52 statt mit 40 Seiten. Apropos Seiten: Das Papier des neuen Magazins ist mit dem
Blauen Engel zertifiziert – für ein Plus an ökologischer Nachhaltigkeit.
Ein echter Neustart – wie aufregend!
   Die GEW NRW ist mit über 48.000 Mitgliedern die größte Organisation der Beschäftigten im
Bildungssektor. Sie braucht ein zeitgemäßes Mitgliedermagazin, das nachhaltig wirkt. Das wird
das neue Magazin leisten. Na klar: Mehr von allem fällt nicht vom Himmel. Um ein gutes Heft zu
machen, das seinen Leser*innen Spaß macht und ihnen nützlich ist, braucht es Zeit. Deshalb wird
das neue Magazin sieben statt zehn Mal im Jahr erscheinen. Und es wird einen neuen Namen
tragen, der nicht nur die Schule adressiert und der vor allem für niemanden ein Rätsel bleibt.
(Fragen Sie doch mal ein neues Mitglied, wofür „nds“ eigentlich steht ...) Ein echter Neustart eben.   Nostalgischer Rückblick:
   Sehen Sie: So traurig ist das alles gar nicht. Am Ende des alten Schuljahres winkt schließlich      70 Jahre nds – Titelseiten
auch schon das nächste und lädt zum Durchstarten ein. Am 24. September 2019 erscheint das              von 1949 bis heute
neue Mitgliedermagazin der GEW NRW zum allerersten Mal. Wir sind ein bisschen aufgeregt und            www.tinyurl.com/nds-
wir freuen uns riesig! //                                                                              nostalgie
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4 INHALT

                    THEMA                                                  BILDUNG

                                                    16                                                      8

                   Und Tschüss?                                Inklusion an der Rosenmaarschule in Köln
              Chance zum Durchstarten                           Die Vielfalt der Menschen einbeziehen –
                                                                      Begegnung auf Augenhöhe
          Ende der Schulform Hauptschule
                                                                                Seite 8
        „Die Hauptschule hat viel geleistet!“
                      Seite 16                                          Entwurf für das KiBiz
                                                                   Mehr Geld gleich mehr Qualität?
               Ende des Schuljahrs
                                                                               Seite 11
        Wie war das Schuljahr 2018 / 2019?
                      Seite 18                                           Direkte Instruktion
                                                                   Kompetenzen wirksam vermitteln
             Bildungsübergang gestalten
                                                                               Seite 12
     Kinderleicht von der Kita in die Grundschule
                      Seite 19                           Bildungsgerechtigkeit an der Matthias-Claudius-Schule
                                                                     Schulen brauchen Vertrauen
              Start in den Ruhestand
                                                                               Seite 14
       „Von 120 auf 0? Das könnte ich nicht!“
                      Seite 22

                    Kommentar
              Das Ende immer in Sicht
                      Seite 24
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          ARBEITSPL ATZ

                                                    IMMER IM HEFT

                                                    Nachrichten      Seite 6
                                                    Kino             Seite 2
                                                    Buchtipps        Seite 32
                                                    Weiterbildung    Seite 33
                                                    Infothek         Seite 34
                                                    Termine          Seite 38
                                                    Impressum        Seite 39

                                               25

 Mitgliederaktivierung und Willkommenskultur
         Mitgestalter*innen gesucht!
                   Seite 25

      Maßnahmen für besseren Unterricht
       Lehrer*innenhandeln im Visier
                   Seite 28

        Interview mit Benjamin Hadrigan
„Endlich den Schritt ins 21. Jahrhundert wagen!“
                   Seite 30
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6 NACHRICHTEN

Hauptschule – ein Auslaufmodell
                                                                                                         Immer mehr Hauptschulen in NRW schließen – und zwar schnell. Das
   Entwicklung der Zahl der                                                                           geht aus der schulamtlichen Statistik des Ministeriums für Schule und
   Hauptschulen in NRW

                                                                         Illustration: vecteezy.com
                                                                                                      Bildung (MSB) NRW hervor. Im Schuljahr 2018 / 2019 gab es insgesamt
                                                                                                      nur noch 243 Hauptschulen in NRW, 82 davon laufen aus. Demnach
       5
     35

                                                                                                      waren rund vier Prozent aller Schulen in NRW Hauptschulen. Zehn Jahre
  1.

                                                                                                      zuvor waren es 703 Hauptschulen – knapp dreimal so viele – und der
                        9
                      13

                                                                                                      Anteil der Schulform lag bei rund elf Prozent. Passend dazu geht auch
                   1.

                                                                                                      die Zahl der Hauptschüler*innen seit Jahren massiv zurück. 62.995
                                                                                                      Schüler*innen besuchten im Schuljahr 2018 / 2019 eine Hauptschule
                                     0
                                   75

                                                     3                                                in NRW. Gemessen an der Gesamtzahl der Schüler*innen sind das etwa
                                                   70
                                                                                                      drei Prozent. Im Jahr 2008 waren es noch 217.015 Schüler*innen, die an
                                                                                                      dieser Schulform unterrichtet wurden. Ihr Anteil lag bei rund acht Prozent.

                                                                     3
                                                                   24                                 Diese Situation stellt vor allem Beschäftigte auslaufender Schulen vor
                                                                                                      große Herausforderungen. Oft sind ihre Energiereserven am Limit. Durch
                                                                                                      den Schließungsbeschluss und das geringere Personaltableau müssen die
                                                                                                      außerunterrichtlichen Tätigkeiten auf immer weniger Schultern verteilt
   1978            1988            1998           2008            2018
                                                                                                      werden. Mehr zum Thema ab Seite 16.                       MSB NRW / kue
Quelle: MSB NRW: Das Schulwesen aus quantitativer Sicht, 2018 / 2019

                                         Grant-Förderung                                              Zukunftsvertrag nachbessern!
                                            Die Hans-Böckler-Stiftung unter-                              Die GEW NRW hat Bund und Länder zur Nachbesserung des im Mai
            Begreifen                    stützt mit Fördermitteln herausra-                           ausgehandelten „Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken“ aufge-
        zum Eingreifen                   gende junge Wissenschaftler*innen.                           fordert, der ab 2021 den Hochschulpakt ablösen soll. „Gut, dass der
                                         Die Förderung Maria-Weber-Grant                              Zukunftsvertrag entfristet wird und auf unbestimmte Zeit laufen soll.
                                         gibt vier Hochschulbeschäftigten                             Das gibt den Hochschulen Planungssicherheit. Absolut unverständlich
                                         die Möglichkeit, sich für einige                             ist, dass die aus dem Programm finanzierten Wissenschaftler*innen
                               www.
 Ferienjobs                              Zeit stark auf ihre Forschungs-                              weiterhin semesterweise geheuert und gefeuert werden können“, sagt
 Welche Regeln gelten für die            arbeit zu konzentrieren – eine we-                           GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern. Es fehlt eine verbindliche Ver-
 Ferienarbeit? Die DGB-                  sentliche Voraussetzung, um eine                             pflichtung, dass mit den Bund-Länder-Mitteln in Zukunft ausschließlich
 Jugend gibt Tipps, worauf               feste Professur zu erhalten. Die                             unbefristete Beschäftigungsverhältnisse finanziert werden. „Bundeskanz-
 Schüler*innen bei Ferienjobs
 achten sollten.                         Bewerbung erfolgt online und ist                             lerin Angela Merkel und die Regierungschef*innen der Länder sollten
 www.tinyurl.com/ferienjobs              noch bis zum 15. September 2019                              den Zukunftsvertrag daher überarbeiten.“ Sollten sie ihn unterschreiben,
                                         möglich. Mehr unter www.tinyurl.                             ist das Land NRW in der Pflicht, die Vorgaben konkret umzusetzen. Mehr
                               www.
 Datenschutz
                                         com/grant-2020                kue                           unter www. tinyurl.com/zukunftsvertrag                              bp
 Die Datenschutzgrundverord-
 nung betrifft auch die Arbeit
 von Betriebsräten. Arbeits- und
                                         Schultoiletten                                               Inklusionsquote leicht gestiegen
 Sozialforscherin Marita Körner
 erklärt, wie und warum Be-                 Drei Schulen, darunter eine                                   Die Zahl der Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen (ohne
 triebsvereinbarungen überprüft          aus NRW, haben beim „Toiletten                               Freie Waldorfschule, Weiterbildungskolleg und Schule für Kranke) mit
 und möglicherweise angepasst            machen Schule“-Wettbewerb ge-                                sonderpädagogischem Förderbedarf war im Schuljahr 2018 / 2019 mit
 werden müssen.                          wonnen. Die Siegerschulen aus                                132.468 Kindern um rund drei Prozent höher als im Schuljahr 2017 / 2018.
 www.tinyurl.com/dsgvo-
 betriebsrat                             Remscheid, Berlin und Saarbrü-                               An allgemeinbildenden Schulen waren es 57.099 Kinder und an Förder-
                                         cken erhielten für ihr Konzept zur                           schulen 75.369 Kinder. 2018 wurden insgesamt 43,1 Prozent aller Kinder
                               www.
 Keine Kinderarbeit                      Verbesserung der Schultoiletten                              mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen und nicht an
 In Uganda hat die Bildungsge-           jeweils 10.000,- EUR sowie wei-                              Förderschulen unterrichtet. Diese sogenannte Inklusionsquote ist gegen-
 werkschaft UNATU gemeinsam              tere Sachpreise im Wert von rund                             über dem Vorjahr um 0,9 Prozentpunkte gestiegen. Die Vorsitzende der
 mit einem führenden Kaffee-             6.000,- Euro. Mit dem Preisgeld                              GEW NRW, Maike Finnern, sieht die steigende Quote als Alarmzeichen:
 exporteur des Landes und einer
                                         sollen die Schulen ihre Ideen und                            „Wir halten die Eckpunkte zur Neuorientierung der Inklusion für völlig
 lokalen Selbsthilfeorganisation
 zwei „kinderarbeitsfreie Zonen“         Vorstellungen für saubere Toiletten                          unzureichend. Die Landesregierung muss dringend in einem Inklusions-
 organisiert.                            in Zukunft umsetzen können. Mehr                             plan darlegen, in welchen zeitlichen und inhaltlichen Schritten sie eine
 www.tinyurl.com/uganda-fair-            unter www.tinyurl.com/schultoi-                              hochwertige inklusive Bildung quantitativ und qualitativ weiterentwickeln
 childhood
                                         letten                         kue                          will.“                                                     IT.NRW /kue
Und Tschüss? Chance zum Durchstarten - nds - die Zeitschrift der GEW NRW
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Maike Finnern (Mitte) ist die neue Vorsitzende der GEW NRW. Ihre Stellvertreter*innen   Ab in die Tonne!? Vertreter*innen der GEW NRW protestierten in Düsseldorf gegen die
sind Ayla Çelik und Sebastian Krebs.                             Foto: A. Schneider    Abschaffung der Zivilklausel und für Demokratie und Frieden.    Foto: M. Mendyka

Neuer Vorsitz der GEW NRW gewählt Petition: Zivilklausel erhalten!
   Maike Finnern tritt als neue Vorsitzende die Nachfolge von Dorothea                     Rund 5.000 Unterschriften gegen die Pläne, im neuen Hochschul-
Schäfer an. Mit 93,7 Prozent haben die Delegierten des Gewerkschafts-                   gesetz die Zivilklausel zu streichen, wurden im Juni unter anderem von
tags die Bielefelderin an die Spitze der Bildungsgewerkschaft gewählt.                  Vertreter*innen der GEW NRW an NRW-Wissenschaftsministerin Isabel
Gesamtschullehrerin Ayla Çelik aus Köln und Berufsschullehrer Sebastian                 Pfeiffer-Poensgen übergeben. Mit einer Aktion vor dem Landtag machten
Krebs aus Düsseldorf sind Stellvertreter*innen. Christian Peters wurde als              die Gewerkschafter*innen auf das Thema aufmerksam. Im Fokus stand
Kassierer bestätigt. Mehr unter www.tinyurl.com/vorsitz-wechsel kue                    die Abschaffung der Zivilklausel. Mehr unter www.zivilklausel.de kue

Hürden für Studis im Ruhrgebiet                                                         Mehr Azubis in dualer Ausbildung
   Der DGB NRW hat einen Studierendenreport vorgestellt, der die                           In NRW waren Ende 2018 insgesamt 299.232 junge Menschen in einer
Studien­situation und die soziale Lage von Studierenden in Deutschland,                 dualen Ausbildung. Das ist ein Plus von 0,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
NRW und im Ruhrgebiet vergleicht. „Die Hürden, das Studium erfolgreich                  Maßgeblich hierfür war der Anstieg der ausländischen Auszubildenden um
zu meistern, liegen für Studierende im Ruhrgebiet höher als in NRW und                  19,3 Prozent. Die Zahl der männlichen Berufsstarter stieg hier um 25,9
bundes­weit“, fasste der Projektleiter, Dr. Ulf Banscherus von der Koopera-             Prozent auf 19.833. Mit insgesamt 106.896 weiblichen Auszubildenden
tionsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der TU Berlin, die Ergebnisse               lag die Zahl um zwei Prozent unter dem Vorjahresniveau und zeigt den
zusammen. Nur 65 Prozent der Studierenden im Ruhrgebiet bewerteten ihre                 bisher niedrigsten Stand seit den Aufzeichnungen 1976. Die Zahl der
Situation positiv. „Dabei haben es diejenigen mit Migrationshintergrund                 192.336 männlichen Azubis lag 2,1 Prozent über der vom Vorjahr. Im
oder niedriger Bildungsherkunft besonders schwer.“ Die Vorsitzende des                  größten Ausbildungsbereich „Industrie, Handel, Banken, Versicherungen,
DGB NRW, Anja Weber, forderte von der Landesregierung: „Gerade für                      Gast- und Verkehrsgewerbe” stieg die Zahl der Auszubildenden um 0,3
die Zukunft des Ruhrgebiets ist es existenziell wichtig, massiv in Bildung              Prozent auf 175.824. Mehr Auszubildende gab es auch im öffentlichen
zu investieren und alle Bevölkerungsgruppen mitzunehmen.“ Mehr unter                    Dienst. In diesem Bereich gab es 8.646 Auszubildende. Die Zahl stieg
www.tinyurl.com/studi-report                                    DGB NRW                um 1,3 Prozent im Vergleich zum Jahr 2017.IT.NRW

                                                                                        DGB-Filmpreis                              Schulfirmen
                                                                                           Das Drama „Systemsprenger“                 Zwei Schüler*innenfirmen aus
                                                                                        hat den diesjährigen DGB-Filmpreis         NRW haben am Bundeswettbe-
                                                                                        gewonnen. Der Film der jungen              werb des Instituts der deutschen
                                                                                        Regisseurin Nora Fingscheidt über          Wirtschaft in Berlin teilgenommen.
                                                                                        engagierte Sozialarbeiter*innen            Die Firmen „Düsselcycle“ aus Düs-
                                                                                        und ein Kind, das Liebe sucht,             seldorf und „Radellos“ aus Essen
                                                                                        wurde am 16. Juni 2019 mit dem             hatten Mitte April bereits den
                                                                                        Publikumspreis beim 30. Interna-           NRW-Landeswettbewerb gewon-
Gewerkschaft trifft Kirche: Die GEW NRW war mit einem eigenen Stand auf dem             tionalen Filmfest Emden-Nordeney           nen. Beide Projekte beschäftigten
deutschen evangelischen Kirchentag in Dortmund vertreten.    Foto: M. Schulte
                                                                                        ausgezeichnet. Der Preis ist mit           sich mit dem Upcycling alter Fahr-
GEW NRW beim Kirchentag                                                                 7.000 Euro dotiert und ehrt Filme,         räder. In Düsseldorf konstruieren
                                                                                        die sich durch ein besonderes ge-          Schüler*innen des Max-Planck-
   Die GEW NRW war vom 19. bis 23. Juni 2019 mit einem Stand beim                       sellschaftliches Engagement aus-           Gymnasiums Lampen und Uhren,
deutschen evangelischen Kirchentag in Dortmund. Dort war Bildung eines                  zeichnen. In diesem Jahr wurde             in Essen-Borbeck stellen Schüle-
der Schwerpunktthemen. Auf dem Podium wurden unter anderem Bildungs-                    der DGB-Filmpreis zum 22. Mal              rinnen des Mädchengymnasiums
gerechtigkeit und Chancengleichheit diskutiert. Mehr ab Seite 14. kue                  vergeben.         DGB NRW/kue             Flaschenöffner her.  WDR/kue
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8 BILDUNG

Inklusion an der Rosenmaarschule in Köln

Die Vielfalt der Menschen einbeziehen –
Begegnung auf Augenhöhe
Blauer Himmel, Bierzeltgarnituren. Junge Leute sitzen zusammen. Es wirkt wie                              Nicht, wenn ich ein Kind im Rolli durch die Schule
eine große Familie oder eine Gartenparty für Freund*innen. Ein Bild, als ge-                              schiebe“, betont Marietta Gawert.
hörten alle irgendwie dazu – zur Rosenmaarschule im Kölner Stadtteil Höhen-                               Inklusion heißt Mitwirkung für alle –
haus. Es ist Schnuppertag für die künftigen Erstklässler*innen und ihre Eltern.                           Beschäftigte, Eltern und Schüler*innen
Die Atmosphäre: freundlich, harmonisch, ein „Wir“ der Individuen. Oder das, was
                                                                                                             100 Menschen mit einer Vielzahl von Beru-
die Schule unter Inklusion versteht.
                                                                                                          fen und unterschiedlichen Arbeitgebern muss
   Schulleiterin Marietta Gawert schlendert grü-      Für die Schulleiterin ist Inklusion Ausdruck        die Schulleitung koordinieren. Bereitschaft zur
ßend durch die Reihen zum Feierraum. Manche        eines Menschenbilds. Eine inklusive Schule             Teamarbeit und diverse Kooperationsmodelle
Eltern kennt sie schon. Der Schnuppertag ist       setze eine besondere Haltung allen Menschen            sind die Grundlage für eine gute Zusammenar-
nach Infoabend, Hospitation der Eltern, Schul-     gegenüber voraus. An der Schule sind 100               beit. Für Teamsitzungen oder Konferenzen gibt
fest und Anmeldung für viele schon der fünfte      Mitarbeiter*innen beschäftigt: Voll- und Teil-         es feste Termine. Inklusion heißt hier auch Mit-
Kontakt mit der Schule. Einige Eltern kennen       zeitkräfte, Reinigungspersonal, technisches Per-       wirkung. Ein Mitarbeiter*innenrat, in dem alle
die Rosenmaarschule bereits länger, weil sie       sonal, Therapeut*innen, Praktikant*innen. Dazu         Berufsgruppen vertreten sind, entscheidet und
schon Kinder hier hatten.                          kommen Besucher*innen, Eltern, Schüler*innen           berät nach vorheriger Absprache im eigenen
Inklusion ist kein Gutmenschentum,                 sowieso. Sie alle prägen die Schule mit. Es geht       Team über alle organisatorischen und pädago-
sondern eine professionelle Haltung                darum, „die Vielfalt der Menschen einzubezie-          gischen Punkte. „Inklusion heißt auch, voneinan-
   „Inklusion ist nicht die Beschulung behinder-   hen – auf Augenhöhe,“ sagt Marietta Gawert.            der zu lernen. Wir beteiligen alle Menschen, die
ter Kinder“, erklärt Marietta Gawert auf dem Weg   Das habe nichts mit Gutmenschentum zu tun,             etwas beitragen können,“ erklärt die Schullei-
zum Infostand des Fördervereins. Kurzer Plausch    sondern sei vielmehr „Teil unserer Professionali-      terin. Das Protokoll des Mitarbeiter*innenrats
mit den ehrenamtlichen Unterstützer*innen,         sierung“. Ein Beispiel liefert sie gleich mit: Statt   wird nach den Sitzungen allen zugänglich ge-
dann geht es weiter. Eltern werden eingebun-       Lehrer*innenausflug gibt es an der Rosen-maar-         macht. Das sorgt für Transparenz und fördert
den. Inklusion wird an der Schule deutlich wei-    schule einen Betriebsausflug und eine Weih-            die Bereitschaft, Dinge mitzutragen.
ter gefasst als die Abkehr von der Förderschule    nachtsfeier – für alle. Hospitant*innen oder              Statt eines Lehrer*innenzimmers für „Aus-
und der Praxis, behinderte Kinder in der Regel-    Reinigungskräfte sind dabei, und zwar kosten-          erwählte“ gibt es einen Pausenraum für alle
schule mit nicht Behinderten gemeinsam zu un-      los. Deren Anteil tragen die mit, die an der           Mitarbeiter*innen, Küchenecke, Kaffee und Sitz-
terrichten.                                        Schule mehr verdienen. „Da fängt Inklusion an!         gelegenheiten inklusive. Auch der Arbeitsraum
Und Tschüss? Chance zum Durchstarten - nds - die Zeitschrift der GEW NRW
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nebenan mit Lese- und Infomaterial samt PC-Sta-      Außentüren. Das freut nicht nur Kinder oder
tionen kann von allen genutzt werden.                Besucher*innen, die motorisch eingeschränkt
   Eingebunden werden auch die Lernenden,            sind. Das hilft auch Kindern, die manchmal nicht
die in einer Art Schüler*innenparlament Pro-         die Kraft haben, die Türen aufzudrücken, weiß
zesse beeinflussen können. Zur gelebten Inklu-       die Schulleiterin. Barrierefreiheit ist selbstver-
sion gehöre auch, Verantwortung abzugeben            ständlich.
und zu teilen. Alle sollen erkennen, „dass sie ein      Leichter erreichbar wird auch der Schulgar-
Teil des Gelingens sind und sich dafür gegensei-     ten. Mithilfe der Eltern und des Fördervereins
tig wertschätzen“. So hat Marietta Gawert es in      werden Wege und Flächen im Garten plattiert.
einem Vortrag über das Schulkonzept formuliert.      Indem sie Beete zum Beispiel mit dem Rolli
   Der große, asphaltierte Schulhof bietet viel      leichter erreichen können, gewinnen auch Kin-
Platz. Wer auch bei Regen gerne frische Luft tan-    der, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind,
ken möchte, kann das in einem überdachten Un-        neue Aktionsräume.
terstand tun – ausgestattet mit urigen Tischen
                                                     Die enge Zusammenarbeit mit den
und Bänken. Ein Wunsch der Schüler*innen, der
                                                     Eltern hat Tradition
mit Unterstützung der Eltern umgesetzt wurde.
                                                        Eltern und Förderverein spielen seit jeher eine
Ein Rahmen für alle – menschlich,                    besondere Rolle an der Rosenmaarschule. Die
pädagogisch, sozial und baulich                      Eltern werden als Erziehungspartner*innen
   Die Rosenmaarschule unterscheidet sich in ei-     einbezogen. Es gibt drei Elternsprechtage im
nigen Punkten von herkömmlichen Grundschulen:        Jahr. Jeweils zwei Fachkräfte – Lehrkräfte,
◆◆ Die Schule arbeitet mit altersgemischten          Erzieher*innen oder Therapeuten*innen, die
   Klassen, in denen Kinder des ersten bis vierten   direkt mit dem Kind zu tun haben – führen die
   Schuljahrs gemeinsam lernen.                      Entwicklungsgespräche mit den Eltern.
◆◆ Im Zuge des gemeinsamen Unterrichts werden           Die intensive Elternbeteiligung hat Tradi-
   Kinder verschiedener Förderbedarfe wie auch       tion. „Die Schule war Modellschule“, erinnert
   besonders Begabte in einem differenzierten        Marietta Gawert an eine Vorreiterrolle. Schon        Vorbild für gelebte Inklusion? „Einige Dinge machen wir viel-
   Unterrichtsangebot beschult. Etwa 20 Prozent      in den 1950er-Jahren wurden altersgemischte          leicht nur anders“, meint Marietta Gawert, Schulleiterin der
   der 420 Kinder haben sonderpädagogischen          Stammgruppen eingeführt. In den 1970er-Jahren        Rosenmaarschule in Köln (oben).              Fotos: A. Etges

   Förderbedarf.                                     engagierten sich Schule und Eltern in Diskussi-
◆◆ Am komplexen Ganztagsangebot von 7.30             onsrunden und pädagogischen Wochenenden.
   bis 16.30 Uhr nehmen alle Kinder teil. Ihnen      „Die Leute hier waren sehr engagiert. Eine Ini-
   stehen 40 AGs, vielfältige Förderangebote –       tiative hat den Ganztag gestemmt“, verweist
   unter anderem therapeutisches Reiten –            die Schulleiterin auf ein für damalige Verhält-
   und umfangreiche Ferienmaßnahmen zur              nisse beispielhaftes Angebot, das für Attrakti-
   Verfügung.                                        vität sorgte. Das sei von den Eltern honoriert
Diesen Rahmen zu schaffen, ist das Ergebnis          worden. Sie tragen das Konzept mit. Die Begeg-
multiprofessioneller Teamarbeit. Es geht darum,      nung auf Augenhöhe sieht Marietta Gawert als
Kinder zwischen fünf und elf Jahren, Kinder mit      „Anreiz, sich einzubringen“. Elternbeteiligung
unterschiedlichen Behinderungen und Hochbe-          sei mehr als bei Festen Kuchen zu backen. Als
gabte, Kinder mit Migrationshintergrund, solche      es zum Beispiel darum ging, den Namen der
mit autistischen oder andere mit egoistischen        Schule zu ändern, weil der frühere Namensgeber
Zügen zu unterrichten. Unter einem Dach ler-         in der NS-Zeit eine fragwürdige Rolle gespielt
nen hier „Kinder, die nicht wussten, wie viele       hatte, entschied sich die versammelte Schul-
Finger an ihrer Hand waren, und Kinder, die          gemeinde für „Rosenmaarschule“ – auch die
die Wurzel aus 890 zogen“, schildert Marietta        Eltern. Früher schickten Eltern aus ganz Köln
Gawert die Herausforderung, der sie sich nach        die Kinder nach Höhenhaus. Immer noch wer-
dem Wechsel an die Rosenmaarschule stellen           den deutlich mehr Kinder angemeldet als auf-
musste. Das gehe „jedenfalls nicht allein und        genommen werden können.
nicht ohne Hilfe von anderen“, war ihr Fazit.           Gesellschaftliche und berufliche Verände-
   Die Lösung: Inklusion. Die geht über den          rungen wirken sich auch beim Einsatz für die
menschlichen, pädagogischen und sozialen As-         Schule aus. Ein Phänomen, das auch Vereine
pekt hinaus. Alle Klassenräume sind ebenerdig        oder Parteien kennen. „Trotzdem gelingt es, noch
erreichbar. Das gilt auch für den Tobe-Raum und      30 bis 50 Prozent der Eltern einzubinden“, freut
die Fahrradwerkstatt in einem Pavillon. Für leich-   sich Marietta Gawert. Sie helfen, das 28.000
ten Zugang sorgen elektrische Öffner an den          Quadratmeter große Areal der Schule zu pflegen,
Und Tschüss? Chance zum Durchstarten - nds - die Zeitschrift der GEW NRW
10 BILDUNG

packen an, wenn es gilt, den Schafstall auszu-               Der Förderverein springt ein,                        entworfen – bezahlt vom Förderverein. Neben
misten, Fenster zu putzen oder Reparaturen vor-              wo öffentliche Unterstützung fehlt                   verschiedenen Ebenen gibt es hier auch eine
zunehmen. Solche Aktionstage starten morgens                    Und wo Eltern nicht direkt selbst Hand anle-      Kletterwand. Das Equipment im Feierraum
mit einem gemeinsamem Frühstück. Mittags                     gen, ist der Förderverein die helfende Hand. Ein     kommt, richtig, vom Förderverein.
bekochen die Kinder die Eltern – für Marietta                Mini-Jobber repariert Fahrräder und leiht sie aus.      „Wenn ich eine Steckerleiste brauche, gehe
Gawert ein Zeichen der Wertschätzung.                        Der Verein hat Handwerker beauftragt, einen          ich in den Baumarkt und kaufe die“, sagt die
   In den Fluren der Rosenmaarschule stehen                  gemütlichen Leseraum einzurichten. Eine Bibli-       Schulleiterin. Da brauche es keine Förderanträge
kleine Versuchsstationen. Kinder können hier ex-             othekarin „hat alles auf Vordermann gebracht“.       an die Stadt und fünf Wochen Wartezeit. Der
perimentieren, physikalische Gesetzmäßigkeiten               Sie hat die Bücher professionell eingebunden         Förderverein springt ein, um Probleme sofort zu
erkennen und ausprobieren. Gebaut haben die                  und katalogisiert. Den Bewegungsraum, in dem         lösen. „Der Schulbetrieb profitiert vom Material,
Mini-Phänomenta die Eltern.                                  Kinder toben können, hat eine Raumgestalterin        das der Förderverein kauft“, weiß Marietta Ga-
                                                                                                                  wert die Spielräume zu schätzen.
                                                                                                                     Heile Welt also? „Den Standard halten zu
                                                                                                                  können, ist ein großes Problem“, bilanziert die
                                                                                                                  Schulleiterin. Es fängt beim Personal, bei Lehr-
                                                                                                                  oder Fachkräften an, geht über die Ausstattung
                                                                                                                  bis zu den administrativen Hemmnissen. „Eine
                                                                                                                  Entmüllung von Verwaltung und Statistiken“,
                                                                                                                  steht auf der Wunschliste der Rosenmaarschule
                                                                                                                  ganz oben – wohl nicht nur dort. „Ein Mensch,
                                                                                                                  der die Nebenaufgaben erfüllen kann“, wäre
                                                                                                                  hilfreich. Die Eltern haben einen Studenten als
                                                                                                                  Mini-Jobber angestellt, der die Computer warten
                                                                                                                  kann. „Ich kann das nicht“, sagt die Schulleiterin.
                                                                                                                     Fast jeder an der Schule habe zwei, drei
                                                                                                                  Aufgaben, neben dem Unterricht etwas zu orga-
Räume zum Lesen, Klettern, Toben und Spielen: Eltern und Förderverein
haben einen großen Anteil daran, dass es an der Rosenmaarschule                                                   nisieren. Inzwischen gibt es 40 Tablets für die
anders zugeht als an vielen anderen Schulen.         Fotos: A. Etges                                             Schüler*innen. Aber morgens muss die Schullei-
                                                                                                                  tung die Geräte zum Laden einstöpseln. Es fehlt
                                                                                                                  ein Schrank, in den die Geräte eingestellt und
                                                                                                                  geladen werden könnten. Pädagogische Fach-
                                                                                                                  kräfte, die das Material warten und verwalten
                                                                                                                  müssen? „Unsäglich“, findet Marietta Gawert.
                                                                                                                  Und setzt auf das Prinzip Hoffnung.
                                                                                                                  Dinge anders machen:
                                                                                                                  Ein Rezept für Inklusion?
                                                                                                                     Dennoch: Die Schulphilosophie weckt
                                                                                                                  Interesse. Hospitant*innenen, Studierende,
                                                                                                                  Referendar*innen, Kolleg*innen und Aus-
                                                                                                                  bilder*innen wollen wissen, wie Inklusion und
                                                                                                                  Elternbeteiligung an der Rosenmaarschule
                                                                                                                  funktionieren oder erhoffen sich Rezepte für
                                                                                                                  ihren beruflichen Alltag. Die gibt es nicht. Die
                                                                                                                  Schule hat auch nicht den Anspruch, Vorbild zu
                                                                                                                  sein. „Einige Dinge machen wir vielleicht nur
                                                                                                                  anders“, sagt Marietta Gawert. //

                                                                                                                  www.     Rosenmaarschule Köln-Höhenhaus: Aktu-
                                                                                                                           elles und Hinterwissen zum Schulkonzept
                                                                                                                           www.rosenmaarschule.de

                                                                                                                                 Rüdiger Kahlke
                                                                                                                                 freier Journalist
nds 6/7-2019 11

Entwurf für das KiBiz

Mehr Geld gleich mehr Qualität?
Der Entwurf für das Kinderbildungs-                    Die Landesregierung hat es zu lange verschla-    Gleichung geht nicht auf
gesetz (KiBiz) sieht insgesamt 1,3 Mil-             fen, den Erzieher*innenberuf frühzeitig durch          Auch wenn der Entwurf eine seit Langem
liarden Euro mehr vor. Aber mehr Geld               bessere Rahmenbedingungen attraktiver zu ge-        geforderte finanzielle Verbesserung des Kita-
bedeutet nicht automatisch eine bessere             stalten, sodass nun ein dramatischer Fachkräfte-    systems vorsieht, werden eklatante Forderungen
frühkindliche Bildung.                              mangel herrscht. Eine Fachkräfteoffensive soll      der Gewerkschaften nicht wahrgenommen. Mehr
                                                    dem nun Rechnung tragen. Für ausbildende            Geld im System bedeutet nicht gleichzeitig
    Nachdem das bundesweite „Gute-Kita-             Kitas sind zusätzliche Mittel vorgesehen.           bessere Bildung und Arbeitsbedingungen. Um
Gesetz“, das 5,5 Milliarden Euro für die Bun-                                                           diese zu erreichen, braucht es in erster Linie
                                                    Kostenfreies zweites Kindergartenjahr
desländer zur Verbesserung der Kitaqualität                                                             den ernsthaften Dialog mit den Fachkräften,
vorsieht, zum 1. Januar 2019 in Kraft getreten         Grundsätzlich fordert die GEW, dass alle         von deren Arbeit ein Gelingen des angestrebten
ist, zieht NRW mit einem Referentenentwurf für      Bildungsinstitutionen, von der Kita bis zur Hoch-   Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrags
ein neues Kinderbildungsgesetz (KiBiz) nach         schule, kostenfrei und damit für alle Menschen      maßgeblich abhängt.
und will 1,3 Milliarden Euro jährlich mehr inves-   gleich zugänglich sind. Das muss das Ideal einer       Die GEW wird den Gesetzgebungsprozess
tieren. Davon sollen für das Kindergartenjahr       Gesellschaft sein, für die Chancengleichheit        weiter begleiten und klarmachen: Mehr Geld
2020 / 2021 rund 750 Millionen vom Land und         keine Option, sondern eine Notwendigkeit ist.       für die Kitas ist grundsätzlich gut, aber auf die
den Kommunen bezahlt werden. Der Entwurf            Die Landesregierung plant nun ein zusätzliches      Umsetzung kommt es an! //
wurde am 7. Mai 2019 im Landtag beschlossen –       kostenfreies Jahr, sodass die letzten beiden
seitdem häufen sich Diskussionen bei Trägern,       Kitajahre nicht mehr bezahlt werden müssen.
Eltern und vor allem bei Beschäftigten und ihrer    Ist das nicht ein sehr hoher Preis dafür, dass               Referentenentwurf zum KiBiz
Interessenvertretungen.                             die Kitafinanzierung auch mit den KiBiz-Plänen      PDF      www.tinyurl.com/referentenentwurf-kibiz
                                                                                                        www.     Stefan Raffelsieper: Gute-Kita-Gesetz
Finanzierungslöcher sinnvoll stopfen                noch nicht auskömmlich gedeckt ist? Das Geld                 greift zu kurz
   Die GEW fordert schon seit Jahren eine grund-    könnte an anderer Stelle erst einmal besser                  www.tinyurl.com/gute-kita-gesetz
legende Reform des KiBiz, die sich am Wohl          verwendet werden. Ein erster, weniger kosten-
der Kinder, Eltern und gleichermaßen am Wohl        intensiver Schritt hätte eine landeseinheitliche                   Joyce Abebrese
der Erzieher*innen und weiteren sozialpädago-       Elternbeitragstabelle sein können, die Eltern in                   Referentin für Jugendhilfe und Sozial-
                                                    finanzschwächeren Kommunen nicht gegenüber                         arbeit der GEW NRW
gischen Fachkräfte in den Kitas orientieren muss.
Dafür ist eine finanzielle Stärkung des Systems     Eltern in finanziell besser gestellten Kommunen
begrüßenswert. Leider ändert der Entwurf aber       benachteiligt.
nichts an der bisherigen Berechnung: Die Kitas
sollen, entgegen der GEW-Forderung, weiter nach
Kindpauschalen finanziert werden. Diese sollen
zwar jährlich unter Berücksichtigung der tatsäch-
lichen Kostenentwicklungen angepasst werden,
allerdings könnte die für die Eltern geplante
Flexibilisierung der Buchungszeiten dazu führen,
dass sich die Pauschalen verringern und keine
finanzielle Planungssicherheit besteht. Dieser
Entwicklung muss entgegengesteuert werden,
denn nur eine solide Finanzierung kann auch
für gute Arbeit in den Einrichtungen sorgen.
Mehr Zeit für gute Arbeit
  Erzieher*innen benötigen ausreichend Zeit,
                                                                                                                                                                Foto: onemorenametoremember / photocase.de

um den Anforderungen, wie der individuellen
Vor- und Nachbereitung, einschließlich Bildungs-
und Entwicklungsdokumentation, gerecht zu
werden. Der Referentenentwurf sieht dazu eine
Verfügungszeit von zehn Prozent vor – zu wenig,
wissen die sozialpädagogischen Fachkräfte.
Deswegen fordert die GEW 30 Prozent der
Arbeitszeit.
12 BILDUNG

                                                                                                                                              beim Bearbeiten der Aufgaben selbst aneignen.
                                                                                                                                              Damit sind sie aber nicht selten überfordert. Sie
                                                                                                                                              sollen etwas machen, wissen aber noch nicht,
                                                                                                                                              wie es geht. Dann bekommen die einen Hilfe
                                                                                                                                              der Eltern oder Nachhilfe – und die anderen
                                                                                                                                              bleiben zurück.
                                                                                                                                                 Dabei ist unstrittig, dass Selbstständigkeit
                                                                                                                                              das Ziel von Unterricht ist. Bis die Schüler*innen
                                                                                                                                              diese aber erreicht haben, ist es ein langer
                                                                                                                                              Weg; auf diesem brauchen sie genügend Er-
                                                                                                                                              klärung, Anleitung und Hilfe. Werden sie beim
                                                                                                                                              Lernen zu früh alleingelassen, wird der Weg
                                                                                                                                              mit dem Ziel der Selbstständigkeit verwechselt.
                                                                                                                                              Verschärft wird die Problematik, da Schulbücher
                                                                                                                                              und Lernmaterialien in der Regel keine Erklä-
                                                                                                                                              rungen enthalten, mit denen Schüler*innen sich
Fotos: iStock.com / SolStock, jacoblund

                                                                                                                                              selbstständig eine Kompetenz aneignen können.
                                                                                                                                              Direkte Instruktion:
                                                                                                                                              Alle mitnehmen in drei Phasen
                                                                                                                                                 Die Schule soll kein Kind zurücklassen und
                                                                                                                                              zu früh mit Anforderungen konfrontieren, die
                                                                                                                                              es nicht bewältigen kann. Aus dieser Forde-
                                                                                                                                              rung leiten sich alle Elemente der Direkten
                                                                                                                                              Instruktion ab: Der Unterrichtende erklärt den
                                                                                                                                              Schüler*innen in der ersten Phase das, was sie
                                                                                                                                              später allein können sollen. Diese Präsentation
                                                                                                                                              darf nicht einfach mit einem herkömmlichen
                                                                                                                                              Lehrer*innenvortrag verwechselt werden. Denn
                                          Direkte Instruktion
                                                                                                                                              die Lehrkraft erklärt klar, strukturiert, anschau-

                                          Kompetenzen                                                                                         lich, lebendig, mit Mustern und Modellen, in-
                                                                                                                                              dem sie etwas demonstriert und indem sie laut

                                          wirksam vermitteln
                                                                                                                                              denkend zeigt, was in ihrem Kopf vorgeht. So
                                                                                                                                              bekommen die Schüler*innen ein lebendiges
                                                                                                                                              Bild dessen, was sie lernen sollen, und können
                                          Wer die Schüler*innen zu früh in die Selbstständigkeit entlässt, lässt sie allein.                  sich an diesen Modellen orientieren. Dabei
                                          Nur wer klar erklärt, geduldig fördert und zum Üben anhält, schafft die Basis für                   beachtet der Unterrichtende die begrenzte Auf-
                                          eigenverantwortliches Lernen. Für diesen Weg ist die Direkte Instruktion ideal.                     merksamkeitsspanne der Schüler*innen und
                                                                                                                                              legt immer wieder Phasen der Verarbeitung
                                          Denn wenn es gilt, neue Kompetenzen einzuführen, ist diese Unterrichtsform
                                                                                                                                              ein. Anschließend prüft die Lehrkraft, ob die
                                          das Mittel der Wahl.
                                                                                                                                              Schüler*innen verstanden haben, was sie erklärt
                                             In Deutschland hängt der Bildungserfolg         Selbstständiges Lernen braucht                   hat und wiederholt es – wenn nötig – gedul-
                                          immer noch in hohem Maße vom Elternhaus            Anleitung und Hilfe                              dig. Wie auch andere Didaktiker*innen betont
                                          ab. Es gelingt also nicht, im Unterricht die un-      Aber auch in einem Unterricht, der Kon-       Hilbert Meyer die Bedeutung des Vormachens
                                          terschiedlichen Voraussetzungen auszugleichen,     zepte des selbstständigen Lernens umsetzt,       durch Lehrer*innen: „Eigentlich handelt es sich
                                          die die Schüler*innen mitbringen. Im fragend-      werden vorhandene Unterschiede zwischen den      um das ,natürlichste‘ methodische Gestaltungs-
                                          entwickelnden Unterricht werden die vorhan-        Schüler*innen häufig vergrößert. Der Unter-      mittel, das man sich denken kann. Die Schüler
                                          denen Unterschiede sogar oft noch verstärkt.       richtende gibt den Lernenden – nach einer        sollen etwas Neues lernen – also macht ihnen
                                          Denn in der Regel arbeitet die Lehrkraft im        Einstiegsphase – Material mit Aufgaben, die      der Lehrer vor, wie‘s geht.“
                                          Unterrichtsgespräch vor allem mit denen, die       sie bearbeiten und später präsentieren sollen.      Nach der Einführung der neuen Kompetenzen
                                          sich melden, ihre Ergebnisse vorstellen und den    Dabei sollen sich die Schüler*innen möglichst    arbeiten die Schüler*innen noch nicht selbst-
                                          Unterricht voranbringen. Die anderen bleiben       alles selbst erarbeiten. Dies führt dazu, dass   ständig. Sie bekommen in der zweiten Phase
                                          zurück – was häufig erst bei der Klassenarbeit     sie häufig Aufgaben allein bewältigen müssen,    zunächst Lernaufgaben, die sie Schritt für Schritt
                                          deutlich wird. Im Verlauf von vielen Schuljahren   für die viele Schüler*innen einer Klasse noch    dahin führen, die Kompetenzen selbstständig
                                          ergeben sich so innerhalb einer Klasse divergie-   nicht die Kompetenzen besitzen. Begründet        anwenden zu können. Zu den Lernaufgaben
                                          rende Lernverläufe.                                wird dies damit, dass sie sich die Kompetenzen   gehören viele Hilfen. Diese werden in dem Maße
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weniger, in dem es den Lernenden gelingt, die         alle empirischen Studien unisono bestätigt.
Kompetenzen anzuwenden. Hier wird differen-           Und doch wird das Konzept in der Praxis selten          Zum Weiterlesen
ziert, weil die Schüler*innen in unterschiedlichem    angewandt. Hier muss ein Umdenken erfolgen.
                                                                                                              Ludger Brüning, Tobias Saum:
Maße Hilfe brauchen und für leistungsstärkere         Nicht umsonst schreibt der Unterrichtsforscher
Kinder auch Herausforderungen bereitgestellt          Andreas Helmke: „Es gibt wenige Konzepte, bei           Direkte Instruktion. Kom-
werden müssen.                                        denen der Kontrast zwischen nachweislicher              petenzen wirksam vermitteln.
   Erst danach arbeiten die Schüler*innen             Wirksamkeit in der Schulpraxis und Berücksichti-
selbstständig – wenn sichergestellt ist, dass         gung in der Lehreraus- und -fortbildung so groß
sie die Kompetenzen auch wirklich selbststän-         ist wie bei der Direkten Instruktion.“
dig anwenden können. Die Lehrkraft tritt in               Und die Schüler*innen lernen nicht nur sehr
den Hintergrund, steht aber immer für Hilfe           viel, sondern sie sind unserer Erfahrung nach                                   NDS Verlag, 2019
zur Verfügung. Die Grundstruktur der Direkten         auch sehr gerne in einem so gestalteten Unter-                                  ISBN: 978-3-87964-324-0
                                                                                                                                      150 Seiten
Instruktion besteht also aus drei Phasen:             richt. Wenn sie Analysen schreiben sollen, sind                                 27,90 Euro
                                                      sie dankbar, wenn sie einen von der Lehrkraft                                   www.nds-verlag.de
           01 V E R M I T T L U N G                   geschriebenen Modelltext bekommen, anstatt              Ludger Brüning und Tobias Saum stellen „Direkte
   Präsentation des neuen Inhalts                     immer nur im Unterrichtsgespräch Analysen               Instruktion“ praxisnah und anschaulich dar. Sie
                                                      durchzuführen, bei denen viele etwas beitragen,         zeigen, wie sie mit dem Kooperativen Lernen zu
                                                                                                              einem wirksamen, schüler*innenaktivierenden
                                                      aber man nicht lernt, eine vollständige Analyse
                                                                                                              Arrangement verbunden werden kann. Nur wer
                                                      zu schreiben. Und wenn Unterrichtende laut              klar erklärt, geduldig fördert und zum Üben an-
     02 ANGELEITETES ÜBEN                             denkend zeigen, was ihnen durch den Kopf                hält, schafft die Basis für eigenverantwortliches
           Anwenden mit Hilfen                        geht, wenn sie eine Aufgabe lösen, ist die Auf-         Lernen. Für diesen Weg ist die Direkte Instruktion
                                                                                                              ideal. Ein Buch gleichermaßen für Routiniers wie
                                                      merksamkeit der Schüler*innen gebannt nach              für Newcomer.
                                                      vorne gerichtet.
                                                      Die Grenzen von Direkter Instruktion –                Lernens ist die Direkte Instruktion.“ Wir möch-
  03 SELBSTSTÄNDIGES ÜBEN
                                                      und warum sie sich trotzdem lohnt                     ten Lehrkräfte dazu ermutigen, die Direkte
            Arbeit ohne Hilfe
                                                         Direkte Instruktion ist sehr wirksam – aber        Instruktion ausprobieren und anschließend Ihre
                                                      nicht bei jedem Lernziel. Sie eignet sich sehr        Schüler*innen zu befragen, ob sie auf diesem
Kooperatives Lernen ist die
                                                      gut, wenn Schüler*innen Kompetenzen erwer-            Wege gut lernen können. Wir haben die Erfah-
ideale Ergänzung
                                                      ben sollen. Sprachliche Kompetenzen lassen            rung gemacht: Es lohnt sich. //
    Direkte Instruktion ist nicht der altbekannte
                                                      sich zum Beispiel sehr gut über Modelle und
Frontalunterricht in neuem Gewand. Im Gegen-
                                                      anschließende Übung vermitteln. Wenn die
teil: Es handelt es sich um eine ausgefeilte Unter-                                                                        Ludger Brüning
                                                      Schüler*innen die entsprechenden Kompetenzen                         Lehrer für Deutsch, Geschichte
richtskonzeption, in der ganz unterschiedliche
                                                      erworben haben, sollten sie in der Lage sein,                        und Sozialwissenschaften an der
Lehr-Lern-Methoden miteinander verbunden
                                                      sich selbstständig Wissen anzueignen.                                Gesamtschule Haspe in Hagen und
werden.                                                                                                                    Lehrer*innenfortbildner
                                                         Wenn sie jedoch Probleme lösen und etwas
    Und um die Schüler*innen in möglichst
                                                      selbst entdecken sollen, stellen sie Hypothesen
hohem Maße zu aktivieren, ist es optimal,                                                                                  Tobias Saum
                                                      auf und prüfen diese selbstständig. Hierfür eig-
die Direkte Instruktion konsequent mit dem                                                                                 Lehrer für Deutsch und Philosophie
                                                      net sich nicht die Direkte Instruktion – auch wenn                   an der Gesamtschule Haspe in Hagen
Kooperativen Lernen zu kombinieren. John Hattie
                                                      es sehr hilfreich ist, mittels Direkter Instruktion                  und Fachleiter am ZfsL Hagen
und Klaus Zierer betonen, dass gerade diese                                                                                (Gymnasium / Gesamtschule)
                                                      vorzumachen und einzuüben, wie man gute
Kombination enorm lernwirksam ist. Deshalb
                                                      Hypothesen aufstellt. Wenn es um allgemeine
wird in unserem Konzept der Direkten Instruktion
                                                      Bildungsziele wie den Aufbau der Kompetenz zur
in allen Phasen die kooperative Grundstruktur
                                                      Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft
„Denken – Austauschen – Vorstellen“ angewen-
                                                      geht, wenn es um die Entwicklung von an der
det. Das regt die Schüler*innen noch stärker zur
                                                      Vernunft orientierter Autonomie geht, wenn es
Verarbeitung des Gelernten an und es öffnet sich
                                                      um Werteerziehung oder Identitätsentwicklung
ein Raum für die soziale Dimension des Lernens.
                                                      geht, dann werden nur andere Unterrichtsformen
Und in der zweiten und dritten Phase bieten
                                                      den Raum öffnen, in dem diese Ziele angestrebt
sich auch andere Methoden des Kooperativen
                                                      werden können. Das aber ist kein Grund, die
Lernens wie das Lerntempoduett an.
                                                      Direkte Instruktion nicht dann anzuwenden,
Erwiesene Wirksamkeit                                 wenn sie den größten Erfolg verspricht und
und Lernfreude                                        allen Schüler*innen entgegenkommt.
   Die Direkte Instruktion ist eine Unterrichtskon-      Schon der bedeutende Unterrichtsforscher
zeption, mit der Lehrer*innen sehr wirksamen          Franz E. Weinert stellte fest: „Die zweckmäßigste
Unterricht durchführen können – das haben             Lehrstrategie zur Steuerung des systematischen
Fotos: iStock.com / PeopleImages, jacoblund
14 BILDUNG

Bildungsgerechtigkeit an der Matthias-Claudius-Schule

Schulen brauchen Vertrauen
Bildungsgerechtigkeit war eine der großen Schwerpunkte auf dem
evangelischen Kirchentag 2019, bei dem auch die GEW NRW vertreten war.
An einer Podiumsdiskussion zum Thema nahmen Vertreter*innen der
evangelischen Gesamtschule in Bochum teil, die sich seit Jahren stark macht
für mehr Chancengleichheit. Ein Schulporträt.

   Individuelle Förderung, Heterogenität als Nor-   Oftmals hängt sogar der Familienfrieden von        gemeinsam mit den begleitenden Lehrkräften
malfall, echte Integration, gemeinsames Lernen      der Schulkultur ab. Die Atmosphäre, in der         individuelle Ziele setzen und Verantwortung
und Leben im Klassenverband, Pädagog*innen,         Schüler*innen die meisten Stunden des Tages        übernehmen. Die Angebote berücksichtigen
die sich als Lernbegleiter*innen verstehen,         verbringen, wirkt demzufolge persönlichkeits-      verschiedene Niveaustufen und ermöglichen
und intensive Förderung von Selbsttätigkeit,        bildend und nachhaltig.                            durch Wechsel die Durchlässigkeit des Systems.
Selbstständigkeit und Selbstverantwortung              Im integrativen Manifest der Matthias-Clau-     Im gemeinsamen Unterricht nach dem Zwei-
der Schüler*innen. Diese Liste liest sich wie       dius-Schule (MCS) in Bochum heißt es deshalb:      Lehrer*innen-Prinzip mit Fachlehrer*in und
ein Wunschzettel von Eltern und Lehrer*innen        „Eine solidarische Gesellschaft braucht das        Sonderpädagog*in lernen Kinder mit und ohne
zu Weihnachten. Und ebenso wie der Weih-            solidarische Miteinander schon in der Schule.“     Handicap in ihrem eigenen Tempo an frei ge-
nachtsmann am Ende nur die Idee einer klugen        Nicht zuletzt zieht sich das Prinzip „Bildung      wählten Unterrichtsinhalten in sogenannten
Werbekampagne ist, scheinen auch die päda-          für alle“ wie ein roter Faden für Schüler*innen,   Lernbüros. Klassenarbeiten finden zu individu-
gogischen Kernthemen wenig mit der Realität         Lehrer*innen und Eltern, Kooperationspart-         ellen Zeitpunkten statt, differenzierte Aufgaben
zu tun zu haben. Die Abhängigkeit des Schul-        ner aus Wirtschaft, Wissenschaft und sozialen      zur individuellen Förderung werden vergeben,
erfolgs von der sozialen Herkunft, scheinbar        Kontexten, Ehemalige sowie Aktive durch das        Formate ermöglicht, mit denen Schüler*innen
unerlässliche Nachhilfe, Klassenwiederholungen,     gesamte Schulleben.                                sich untereinander helfen oder sogar an Semi-
hohe Schulabbrecher*innenquoten, schlechte                                                             naren verschiedener Hochschulen teilnehmen.
                                                    Das Konzept: Eine Schule für alle
Integrationsergebnisse für Behinderte und
                                                        Das Miteinander von Kindern und Jugend-           In Lerngruppen von circa 26 Schüler*innen
Schüler*innen mit Migrationshintergrund sowie
                                                    lichen mit und ohne Förderbedarf ist der Normal-   werden in der Regel sechs zieldifferent unterrich-
Jungen als sogenannte Bildungsverlierer – nach
                                                    fall, sie leben und lernen gemeinsam in einer      tet und können die Abschlüsse der jeweiligen För-
Bildungsgerechtigkeit klingt das alles nicht.
                                                    Klasse und können nach ihren Möglichkeiten         derschule erreichen. Besonders für Schüler*innen
Bildung als Grundlage für ein                       Fortschritte machen. So werden Schüler*innen       mit dem Förderbedarf geistige Entwicklung
selbstbestimmtes Leben                              mit den Förderschwerpunkten körperliche und        wurde die an die Klasse 10 anschließende
   Lernen und Wissen sind zwar bedeutsame           motorische Entwicklung, Hören, Sehen, Sprache      Berufspraxisstufe entwickelt, die theoretische
Aspekte von Bildung, aber Persönlichkeitsent-       und Kommunikation, emotionale und soziale          und praktische Lernbausteine sowie Tagesprak-
faltung, Charakterbildung und gesellschaft-         Entwicklung, Lernen und geistige Entwicklung       tika umfasst. Zum Kollegium gehören auch
liche Teilhabe gehören ebenso dazu. Bildung         inklusiv unterrichtet.                             Integrationshelfer*innen, Lernbegleiter*innen
entscheidet über Lebenschancen und befähigt             Diese Grundhaltung erfordert einen indivi-     und ein Heilpädagoge, sodass im Schultag
Menschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.     duellen Lernplan, in dem sich Schüler*innen        zusätzliche Förderung möglich ist.
nds 6/7-2019 15

Individuelle Unterstützung                              Mit einem knappen Budget probieren sich           titutionen außerhalb der Schule zugutekommen.
im Schulalltag                                       Schüler*innen in inklusiven Gruppen aus, neh-        Sie engagieren sich als Schulsanitäter*innen und
   Auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit         men sich ökologische, diakonische oder soziale       Sporthelfer*innen in den Pausenzeiten und bei
gehört neben dem durchgängig inklusiven Schul-       Projekte an fremden Orten vor, gehen Risiken ein,    Veranstaltungen, als Streitschlichter*innen und
system und der selbstverständlichen Aufnahme         erleben Scheitern und auch das Überwinden von        Klassenpat*innen für jüngere Schüler*innen,
von Geflüchteten durch den Solidarfonds auch         Schwierigkeiten. Auch für die begleitenden Stu-      als Lernbegleiter*innen oder als Mitglieder der
die Möglichkeiten der beruflichen Weiterbeschäf-     dierenden der benachbarten evangelischen Fach-       „Bildungsbande“. Während der Unterrichtszeit
tigung für Menschen mit Handicap im schulei-         hochschule ist damit ein Vertrauensvorschuss         besuchen sie zum Beispiel alte Menschen oder
genen Hotel, Restaurant oder Cateringbetrieb         verbunden, der sich einer Bewährungsprobe            betreuen in Grundschulen Kinder, die besondere
dazu, um einen Berufseinstieg zu fördern.            stellen muss. Durch diese „Intensiverfahrung“        Unterstützung benötigen. Die Grundhaltung,
   Den konkreten Schulalltag begleitet ein Log-      lernen Schüler*innen Vertrauen in die eigenen        Menschen mit ihren Stärken und Schwächen
                                                     Möglichkeiten, die Lösbarkeit schwieriger Situa-     wahrzunehmen und sie individuell zu fördern,
buch als Kommunikationshilfe zwischen Eltern
                                                     tionen gemeinsam mit anderen Menschen und            hat die MCS seit ihrer Gründung im Jahr 1986
und Schule. Darin wird von den Schüler*innen
                                                     die Sinnhaftigkeit der Welt und das eigene           zu dem entwickelt, was sie heute ist.
der persönliche Lernweg dokumentiert und
                                                     Geborgen- und Gehaltensein in der Welt.                  Schule gemeinsam gestalten bedeutet regel-
die eigene Lebenssituation in den Blick ge-
                                                                                                          mäßige Verständigung in einer vertrauensvollen
nommen. In regelmäßig stattfindenden Tuto-           Besondere Kommunikationskultur
                                                                                                          Beziehungsstruktur, die notwendige Unterstüt-
r*innengesprächen erleben sie eine persönliche
                                                        2018 war die Bochumer Schule eine von sechs       zung für individuelle Lernprozesse in koopera-
Begleitung bezüglich ihrer fachlichen Entwick-
                                                     Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises.       tiven und solidarischen Arrangements bietet.
lung und anderer Lebens- und Lernfaktoren.
                                                     Die Juror*innen erwähnten unter anderem              Das stetige Bemühen aller Beteiligten um eine
Bildungsgerechtigkeit heißt auch, Raum für Lob
                                                     die „auffallend achtsame, wertschätzende und         vertrauensvolle Kommunikationskultur und eine
und Wertschätzung zu bekommen und Probleme
                                                     anerkennende Kommunikationskultur dieser             konsequente Potenzialorientierung statt einer
in vertrauensvoller Atmosphäre thematisieren         Schule“ in ihrer Begründung. Kritiker*innen,         Defizitorientierung überzeugt. Bildungsgerech-
zu können.                                           die meinen, allein ein finanzieller Elternbeitrag    tigkeit und Vertrauen bedingen einander! //
Persönlichkeitsentwicklung im Fokus                  an einer Schule schaffe ungeahnte Freiräume,
    Ein wichtiges Fundament für das Schulleben       die vieles für einige Wenige ermöglichen, aber
ist sicher das christliche Ethos „Jeder Mensch       Bildungsgerechtigkeit im umfassenden Sinn            www.    Gesamtschule MCS Bochum
ist ein von Gott geliebtes Geschöpf und gleich       ausschließen, übersehen leicht, welche Bedeut-               www.gesamtschule.mcs-bochum.de

wertvoll“, das sich in pädagogischen wie organi-     samkeit identitätsstiftende Angebote haben.          www.    GEW NRW: Themenseite „Bildungs-
                                                     Klassengruppen werden möglichst heterogen                    gerechtigkeit“
satorischen Entscheidungen widerspiegelt. Der                                                                     www.gew-nrw.de/bildungsgerechtigkeit
Träger der Schule ist ein eingetragener Verein,      zusammengesetzt. Solidarfond und Förderverein
                                                                                                          www.    Deutscher evangelischer Kirchentag 2019
der Mitglied im evangelischen Schulbund Nord         gleichen soziale Bedürftigkeit aus.                          www.kirchentag.de
e. V. ist. „Wir glauben daran, dass Gott jeden       Menschen mit Stärken und
Menschen einzigartig und wertvoll geschaffen         Schwächen wahrnehmen                                               Dr. Elke Jüngling
und in die Gemeinschaft mit anderen Menschen            Zur Bildungsgerechtigkeit gehört aber auch                      Gymnasiallehrerin für Evange-
gestellt hat.“ Dieses Leitbild soll den Lebensraum   der Blick über den Tellerrand. In der MCS überneh-                 lische Religionslehre und Deutsch,
MCS gestalten.                                                                                                          Dozentin in der Lehrer*innenfort-
                                                     men Schüler*innen von Anfang an Aufgaben, die                      und weiterbildung
    Das zeigt sich zum Beispiel auch in einer        der Schulgemeinschaft sowie Menschen und Ins-
dreiwöchigen Praxisphase für Schüler*innen der
neunten Jahrgangsstufe, die sich während des
Schuljahrs einer persönlichen Herausforderung
stellen, um sich selbst besser kennenzulernen
und in ihrer Persönlichkeit zu wachsen. Im
Hinblick auf positive Ausgangsbedingungen
von Lernprozessen formuliert der Hirnforscher
Gerald Hüther: „Vertrauen ist das Fundament,
auf dem alle unsere Entwicklungs-, Bildungs- und
Sozialisierungsprozesse aufgebaut werden.“ In
diesem Projekt „Herausspaziert“ wird offen-
sichtlich, dass die Schule ihren Schüler*innen
Organisationsvermögen und Evaluationsfähig-
keit zutraut und Eltern auf der anderen Seite
ebenfalls darauf vertrauen, dass die Schule das
notwendige Verhältnis von gesichertem Rahmen
und notwendiger Freiheit bereithält.
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