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Natur und Umwelt

( Schwerpunkt »Welt im Fieber – Klima & Wandel«

Naturschutz und Landwirtschaft in der Klimakrise
Probleme, Herausforderungen und mögliche Synergien

von Jessica Weber und Heinz Klöser

                  Der Naturschutz steht vor der gleichen Herausforderung wie die Landwirtschaft: Unter veränder-
                  ten Umweltbedingungen in der Klimakrise, z. B. längeren Trockenheitsperioden und starken Nie-
                  derschlagsereignissen, stehen Ökosysteme, Böden und Wasserregime langfristig vor einem großen
                  Anpassungsprozess. Die industrielle Landwirtschaft trägt in einem nicht unerheblichen Maß dazu
                  bei, Auswirkungen der Klimakrise zu verstärken, ist aber gleichzeitig genauso abhängig von intak-
                  ten Ökosystemen. Dieser Artikel geht der Frage nach, welchen Beitrag aus Sicht des Naturschutzes
                  die Landwirtschaft leisten muss, um Änderungen der Natur, die durch die Klimakrise bedingt sind,
                  zu bewältigen.

Die Klimakrise und das globale menschengemachte           und Wirtschaftswachstum (Ziel 8), Gesundheit und
Artensterben sind zwei der größten Herausforde-           Wohlergehen der Menschen (Ziel 3).3
rungen des 21. Jahrhunderts. Da ein großer Anteil            Die Klimaveränderungen exakt zu prognostizie-
der Fläche in Deutschland landwirtschaftlich genutzt      ren ist zwar mit Schwierigkeiten behaftet (z. B. exakte
wird (über 50 Prozent), ist das Verhältnis zwischen       Temperaturverläufe).4 Dennoch ist bereits bekannt,
Naturschutz und Landwirtschaft essenziell für ihre        dass sich Änderungen etwa im Niederschlagsregime
jeweilige Resilienz und Anpassungsfähigkeit an die        und in veränderten Feuchte- und Trockenperioden
Auswirkungen der Klimakrise.1 Wie intensiv Flä-           auf die biologische Vielfalt auswirken5 – und so letzt-
chen bewirtschaftet werden und mit welcher Metho-         lich auch der Naturschutz vor neue Herausforderun-
de, hat einerseits Auswirkungen auf die Schutzgüter       gen gestellt wird. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft
in Natur und Landschaft (z. B. auf den Boden, das         ein wichtiger Akteur für das Handlungsfeld Natur-
Grund- und Oberflächenwasser) sowie auf die Le-           schutz, welcher den Zustand von Natur und Land-
bensbereiche von Tierarten. Andererseits profitiert       schaft unter den Bedingungen der Klimakrise maß-
die Landwirtschaft von den Ökosystemleistungen,           geblich beeinflusst (z. B. Ausstoß von Treibhausgasen,
die eine intakte Natur als kostenlose Produktions-        Wasserverbrauch, Entwässerung von Mooren, Verin-
grundlage für Landwirte bereitstellt und die durch        selung von Populationen).6 Durch eine konventionelle
naturschutzfachliche Maßnahmen gestärkt werden.2          Landbewirtschaftung mit dem großflächigen Einsatz
Durch fruchtbare Böden, eine gute Bodenstruktur           von Pestiziden können umweltspezifische Auswirkun-
und -funktion, sauberes Wasser und von Insekten           gen der Klimakrise sogar verstärkt werden (z. B. feh-
bestäubte Kulturpflanzen wird die landwirtschaftli-       lende Bestäuber), mit der Folge, dass die kostenfreien
che Produktion überhaupt möglich bzw. kostengüns-         Leistungen von z. B. Böden und Insekten nicht mehr
tig gestaltet. Das Stockholm Resilience Center geht in    verfügbar werden.
seiner Analyse der nachhaltigen Entwicklungsziele            Daher hat der Naturschutz in der Klimakrise mit
der UN (Sustainable Development Goals) und ihrer          Fokus auf den Agrarbereich eine wichtige Bedeutung,
Beziehungen zueinander noch einen Schritt weiter:         nicht nur um Natur und Landschaft um ihrer selbst
Natur und Umwelt, die unter dem nachhaltigen Ent-         zu schützen (intrinsischer Wert), sondern auch, um
wicklungsziel »Leben an Land« (Ziel 15) adressiert        die Grundlage für wirtschaftliche und gesellschaft-
werden, bilden die Grundlage dafür, auch andere           liche Nachhaltigkeitsziele zu erhalten und diese zu
Nachhaltigkeitsziele überhaupt erreichen zu kön-          erreichen. Auch sind die Inhalte, Ziele und Schwer-
nen, wie z. B. Ernährungssicherheit (Ziel 2), Arbeit      punkte des Naturschutzes selbst anzupassen, um bei

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Der kritische Agrarbericht 2021

veränderten Umweltbedingungen in der Klimakrise            wiesen dar. Höhere Temperaturen und längere Tro-
wirksam zu sein.7                                          ckenperioden sowie verringerte Wasserspeisung kön-
   Dieser Artikel geht daher der Frage nach, welche        nen beispielsweise die auf Moore spezialisierten Ar-
Veränderungen aus der Sicht des Naturschutzes für          ten einem erhöhten Konkurrenzdruck durch andere
die Landwirtschaft notwendig werden, um Klima-             einwandernde Arten aussetzen. Dies wirkt sich umso
folgen zu minimieren und Anpassungen an die ver-           stärker aus, als die meisten Moore in Deutschland
änderten Bedingungen für Lebensräume und Arten             bereits durch eine Vielzahl von menschengemachten
möglich zu machen. Das Ziel ist es, Maßnahmen für          Faktoren (Entwässerung, Eutrophierung, Flächen­
den ­Arten- und Lebensraumschutz vor dem Hinter-           verlust) sehr stark gefährdet sind.
grund der zusätzlichen Belastung durch die Klima­             Für viele Baum- und Pflanzenarten lässt sich er-
krise auch im Agrarsektor zu stärken.                      kennen, dass die höhere Mittel- und Extremtempe-
                                                           ratur sowie die längere Dauer von Hitzeperioden
Umweltveränderungen durch die Klimakrise                   zu Trockenstress führt. Die relative Luftfeuchte
                                                           wird vermindert, wobei sich die potenzielle Ver-
Die Klimakrise ist längst wissenschaftlich belegt,8 wo-    dunstung (potenzielle Evapotranspiration) und
bei die Auswirkungen in den Regionen sehr unter-           in Zeiten guter Bodenwasserversorgung auch die
schiedlich sein können.9 Seit Ende der 1980er-Jahre        reale Verdunstung (reale Evapotranspiration) der
ist eine Tendenz in Deutschland zu einem wärmeren          Pflanzen erhöht. Dies wiederum führt zu schnelle-
Klima mit trocken-heißen Sommern und ausgiebigen           rer erschöpfter Bodenfeuchte. Abhängig von der im
Regenfällen im Winter erkennbar; zeitweilig unterbro-      Boden verbliebenen Feuchtigkeit kann ebenso die
chen durch eine Serie kühlerer und feuchterer Jahre        Zersetzung von organischem Bestandsabfall (Detri-
(bis 2017). Die danach folgenden Jahre waren gekenn-       tus) wie z. B. Falllaub und Humus beschleunigt oder
zeichnet durch besonders ausgeprägte Sommerdürren          gehemmt werden.13
und Hitzewellen. Gleichzeitig scheinen Extremwetter-          Daneben sind durch die Klimakrise Störungen auf
ereignisse häufiger und stärker zu werden.                die saisonalen Prozesse und die biotischen Interaktio­
    Die Temperaturtrends sind in Deutschland relativ      nen zu erwarten. Ökosysteme bestehen aus Wech-
einheitlich, wobei die Niederschlagsverteilung größe-      selbeziehungen zwischen Tier- und Pflanzenarten,
re regionale Unterschiede aufweist.10 Während ten-         sodass veränderte einzelne Parameter die komplexen
denziell bislang die Jahresgesamtniederschläge leicht      Inter­aktionen gefährden können. Es kann sowohl
ansteigen, wird dennoch die Wasserverfügbarkeit ein-       vorkommen, dass bei warmer Winterwitterung die
geschränkt, und zwar nicht nur wegen konzentrierter        Insekten bereits vor dem Blühbeginn einheimischer
Niederschläge auf das Winterhalbjahr, sondern auch         Flora aktiv sind und dann außer wenigen winterblü-
wegen einer veränderten Niederschlagsdynamik. Re-          henden Exoten in Gärten (Zaubernuss, Winterjasmin
gen fällt im Sommer seltener als ergiebiger Landregen,     oder Ähnlichem) keine Nahrung finden, als auch, dass
sondern häufiger als feiner Nieselregen. Dem stehen        bei anhaltend kühler Witterung im Frühjahr umge-
Starkregenereignisse gegenüber, deren hohe Nieder-         kehrt die Pflanzen bereits blühen, während die In-
schläge zu einem hohen Prozentsatz oberflächlich           sekten noch in ihrer Winterruhe verharren. Deshalb
­abfließen, statt zu versickern.11                         sind nicht ausreichend Bestäuber für die blühenden
    Die Temperatur- und Niederschlagsänderun-              Pflanzen unterwegs. Letzteres kann durchaus auch die
 gen wirken sich unterschiedlich auf die Natur- und        wirtschaftlich wichtige Obstbaumblüte treffen.14
 Schutzgüter aus. Die Klimakrise stellt dabei eine            Auf diese Umweltveränderungen werden Tier- und
 Zusatzbelastung zu vorhandenen Belastungen (z. B.        Pflanzenarten voraussichtlich sehr unterschiedlich
 Landschaftszerschneidung durch Verkehrsinfrastruk-       ­reagieren:
 tur) in einer für viele Arten und Lebensräume bereits
 kritischen ­Situation dar. Wenn Klimaveränderungen       ■   Arten können sich durch verändertes Verhalten
 auftreten, hat dies Auswirkungen auf die Lebensge-           (z. B. frühere Brut, mehrere Generationen pro Jahr)
 meinschaften von Arten und ihre Verbreitungsgebie-           zeitlich anpassen (= phänologische Plastizität).
 te.12 Während für Tierarten vor allem Verhaltensver-     ■   Zu erwarten sind biologische Reaktionen (Erwei-
 änderungen kennzeichnend sind (z. B. Laich-, Zug-,           terung der Standortsamplitude etc.), die es den Ar-
 Überwinterungsverhalten), werden Pflanzenarten vor           ten ermöglichen, bei veränderten Bedingungen am
 allem anfälliger gegenüber Stressoren (z. B. Hitze und       gleichen Ort zu bleiben (= genetische Variabilität,
 Trockenheit) und Krankheitserregern. Auch die Ha-            Selektionsdruck).
 bitate für Arten verändern sich.                         ■   Denkbar sind auch Wanderungsbewegungen zur
    Ein Beispiel für durch die Klimakrise besonders           räumlichen Anpassung an die klimatischen Verän-
 gefährdete Lebensräume stellen Moore und Feucht-             derungen.

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Natur und Umwelt

   Es wird daher unter anderem zu starken Verschie-      damit langfristig nicht nur den Ökosystemen, sondern
bungen von Tier- und Pflanzenarten in den Verbrei-       auch der eigenen Produktion.
tungsgebieten kommen, und zwar entlang der Kli-             Durch die Klimakrise hervorgerufene Artenbewe-
mazonen, Höhen- oder Feuchtegradienten. Pflanzen,        gungen in Richtung des kälteren Nordens werden
die wärmeliebend sind, werden sich z. B. weiter nach     ebenso durch eine monotone Kulturlandschaft ge-
Norden ausbreiten.15 Sich verschiebende Verbrei-         hemmt oder gar verhindert, wie z. B. für die Wild­
tungsgrenzen von Schädlingen sind ebenfalls zu er-       katze, Luchs, aber auch wirbellose Tierarten. Es fehlen
warten. Entscheidend für die Betroffenheit wird eine     in der Landschaft weiterhin Kleinstrukturen wie He-
veränderte Wasserbilanz sein, aber auch, ob und wie      cken, Tümpel, Steinhaufen, die ökologische Nischen
die Landschaft für Ausbreitungsprozesse besonders        bereitstellen und als Trittsteine einen wichtigen Bei-
für wildlebende Tier- und Pflanzenarten geeignet ist     trag zur Biotopvernetzung leisten.
(Zerschneidung, Hindernisse und Isolierung). Po­
sitive Effekte sind zumindest für kontinentale Mager-    Konsequenzen und
und Trockenrasen denkbar.16 Deren Arten wären in         nötige Anpassungsmaßnahmen
einer ursprünglichen Naturlandschaft nicht konkur-
renzfähig und breiten sich in der Kulturlandschaft       Als großflächiger Landnutzer stellt die Landwirtschaft
voraussichtlich auf Kosten der atlantischen Zwerg-       einen der wichtigsten Akteure für den Naturschutz
strauchheiden aus.                                       dar. Die Auswirkungen der Klimaveränderung auf die
                                                         Natur bzw. auf Naturschutzstrategien und -maßnah-
Herausforderungen in der Klimakrise                      men (und umgekehrt) spielen in der gesamten öffent-
                                                         lichen Klima(schutz)diskussion noch eine untergeord-
Da die Landwirtschaft von den Ökosystemleistun-          nete Rolle. Der Landwirtschaft ist daher – zusammen
gen von Umwelt und Natur abhängig ist, wirken sich       mit der Forderung nach einer nachhaltigen Landnut-
durch die Klimakrise bedingte Veränderungen wie          zung – ein höherer Stellenwert beizumessen, als es bis-
Hitzewellen, Starkregen und Wassermangel auch            her im Naturschutz der Fall war. Dabei wird es künftig
direkt auf die landwirtschaftliche Produktion aus.17     nicht nur um Artenverluste oder Bodenerosionsfolgen
Gleichzeitig trägt die konventionelle Wirtschaftsweise   einer industrialisierten Land- und Forstwirtschaft ge-
aus Sicht des Naturschutzes wesentlich dazu bei, ne-     hen, sondern auch darum, ob wir sie uns angesichts
gative Auswirkungen der Klimakrise zu verstärken, in     ­ihrer negativen Klimaeffekte noch leisten können.
dem sie unter anderem durch die Klimakrise bereits        Dies schafft Chancen für einen Durchbruch der es-
geschwächte Populationen und Lebensräume zusätz-          senziellen Naturschutzbelange bei der Landnutzung.
lich schwächt.                                               Als Strategien des Naturschutzes werden sowohl
   In Deutschland gilt die Landwirtschaft als zweit-      Klimaschutzmaßnahmen als auch Anpassungsmaß-
größter Verursacher von Treibhausgasen, wie CO2,          nahmen beschrieben. Während erstere dazu dienen,
Lachgas und Methan. Lachgas und Methan werden             etwa Treibhausgase einzusparen, sodass Klimaände-
etwa ausgestoßen, wenn der ausgebrachte Stickstoff-       rungen möglichst nicht auftreten, reagieren Anpas-
dünger und Ernterückstände umgesetzt werden,              sungsmaßnahmen auf bereits induzierte Änderungen
Wirtschaftsdünger gelagert wird und bei der Tierhal-      (z. B. auf veränderte Wasser- und Temperaturregime).
tung.18 Zudem wird durch trockengelegte Moore und            Der Schutz der Natur ist immer auch ein direkter
intensive Bewirtschaftung mit Großmaschinen der           Beitrag zum Klimaschutz. Das zeigt sich beispielhaft
CO2-Fußabdruck erhöht.19 Obwohl der Anteil von            beim Moorschutz.20 In wachsenden Mooren werden
Mooren nur circa sieben Prozent der Gesamtfläche          z. B. durch Torfbildung bis zu 1.500 Kilogramm Koh-
in Deutschland beträgt, ist die Entwässerung der or-      lenstoffäquivalente pro Hektar und Jahr festgelegt. Die
ganischen Böden für etwa 37 Prozent der Emissionen        Renaturierung und Reaktivierung von Flüssen, Seen,
der Sektoren Landwirtschaft und Landnutzung ver-          Auen und Feuchtgebieten verbessert zudem den Was-
antwortlich. Die künstlichen Entwässerungssysteme         serhaushalt der Landschaft und puffert der Klimakrise
in der Agrarlandschaft, in Wäldern und in Mooren          geschuldete zunehmende Extremniederschläge und
gefährden zudem, dass (Stark-)Niederschläge rückge-       Dürren ab.
halten werden und versickern können. Der notwen-
dige Ausgleich von Wassermangel in Trockenzeiten         Synergien nutzen
und zur Erhöhung der Grundwasserbildung wird er-
schwert. Wenn landwirtschaftliche Betriebe in einem      Neben Schutzmaßnahmen können naturschutzfach-
großen Maße Grundwasser entnehmen, senkt dies            liche Anpassungsmaßnahmen an die Klimakrise auch
den Grundwasserspiegel zusätzlich zu den durch die       zu Synergien sowohl für die Landwirtschaft als auch
Klimakrise bedingten Trockenperioden und schadet         den Naturschutz führen, die beiden gleichermaßen

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zugutekommen. Dies betrifft etwa den Schutz von           sodass die Mehrkosten dadurch teilweise kompensiert
Bodenerosionen, wenn eine größere Fruchtartenviel-        werden könnten.24
falt hergestellt, der Humusaufbau gewährleistet und          Akteure im Naturschutz sind dabei selbst gefordert,
die Strukturvielfalt in der Landschaft erhöht wird,       die Klimakrise als Variable intensiver zu berücksich-
wie durch die Förderung des Ökologischen Land-            tigen. Wenn der Zustand der Natur bestimmt und
baus. Strukturreichere Agrarräume bieten Trittstei-       bewertet werden soll, erfordert es, neue Leitbilder
ne für wildlebende Tier- und Pflanzenarten, sodass        zu entwickeln.25 Instrumente des Naturschutzes, wie
diese in den jeweils für sie günstigeren Lebensraum       die Ausweisung von Schutzgebieten und die Durch-
wandern können.21 Gleichzeitig schaffen Gehölzstrei-      setzung von angepassten Landnutzungen, müssen
fen an Ackerrändern ein feuchteres und kühleres           konsequenter und großflächiger umgesetzt werden,
Kleinklima auf den Feldern, sodass dürrebedingte          um neben den »normalen« Gefährdungsfaktoren für
Ertragseinbußen reduziert werden. Ein Biotopver-          Lebensräume und Arten auch Auswirkungen durch
bundsystem mit den zentralen Bausteinen wie Korri-        die Klimakrise zu reduzieren.
dorflächen, Leitstrukturen wie Hecken und Wander-
korridore sind artenspezifisch auszurichten (z. B. für    Fazit
Wildkatze, Rothirsch, Luchs).22 Auch Kleingewässer
 müssen besser geschützt und – auch in landwirt-          Naturschutzfachliche Anpassungen an die Klimakrise
schaftlichen Flächen – in der breiten Fläche neu an-      müssen mit Blick auf den Agrarsektor nicht immer
gelegt werden. Dies dient nicht nur der Biodiversität,    Zielkonflikte schaffen, sondern können auch zu Syn-
sondern solche Gewässer können auch das Wasser            ergien führen. Unter den Bedingungen des Klimawan-
aus Starkregenereignissen zusammen mit eventuell          dels wird aus Sicht des Naturschutzes eine ressour-
abgespültem Boden auffangen. Dabei sind kleinräu-         censchonende Landwirtschaft wichtiger als je zuvor.
mig strukturierte Agrarlandschaften, in denen Felder      Maßnahmen wie ein gestärkter Biotopverbund in der
mit Holz- und Wildobstnutzung (als Wallhecken,            Agrarlandschaft, eine ökologischere, strukturreichere
Knicks, Baumreihen für den Windschutz) eng ver-           Landwirtschaft und ein sensibler Umgang mit Was-
zahnt werden, eine Anpassungsmaßnahme, die drin-          serressourcen und Kleinstgewässern sind wichtig, um
gend geboten ist. Solche Mischkultursysteme weiter-       auf klimawandelbedingte Veränderungen der Umwelt
zuentwickeln entspricht bereits der Grundidee der         zu reagieren. Sie sind im Agrarsektor daher konse-
Agroforstwirtschaft.23                                    quenter umzusetzen, etwa indem Klimaschutz nicht
    Anstatt Agrarflächen großflächig für den Betrieb      zulasten von Naturschutz betrieben wird (z. B. durch
von Biogasanlagen zu bewirtschaften (z. B. Maisan-        den Anbau von Energiepflanzen für Biogasanlagen
bau), ergibt sich weiterhin das Potenzial aus Sicht des   wie Mais) und Gentechnik als Mittel zur Anpassung
Naturschutzes, durch umgewandelte Flächen in Wald         an den Klimawandel ausgeschlossen bleibt.
die Waldfläche um mindestens drei Prozent der Lan-           Als Reaktion auf klimawandelbedingte Umwelt-
desfläche Deutschlands zu vergrößern, mit entspre-        veränderungen, wie beispielsweise häufigere Starkre-
chend positiver Bilanz für das Klima. Ebenso sollten      genereignisse und ebenso Trockenheitsperioden, kön-
ehemalige Agrarflächen für Biogasanlagen dazu ge-         nen konsequent umgesetzte und politisch unterstützte
nutzt werden, den Bedarf an Futtermitteln für einen
(deutlich zu verringernden) Viehbestand auf Flächen
im eigenen Land zu decken. Dadurch entfallen nicht          Folgerungen     & Forderungen
nur klimaschädliche Transporte. Auch können so
­eigene Forderungen nach dem Schutz tropischer Wäl-         ■   Verstärkte Einbindung des Naturschutzes in die
 der erfüllt werden, die zurzeit durch den Import von           Anpassungsstrategien der Landwirtschaft an die
 Futtermitteln weiterhin gerodet werden.                        ­K limakrise, um mögliche Synergien zu nutzen
    Um diese Maßnahmen durchzusetzen, ist es not-                (nature based solutions).
 wendig, die Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik            ■    Verknüpfung der für die GAP geforderten mindes­
 (GAP) der EU mit Naturschutzmaßnahmen des                       tens zehn Prozent naturschutzfachlich hochwertiger
 Landwirts zu verbinden und die derzeitige Flächenge-            Lebensräume zur Stärkung des Biotopverbunds.
 staltung in der Klimakrise naturschutzgerecht weiter-      ■    Stärkung des Biotopverbunds im Planungsrecht.
 zuentwickeln. Landwirtschaftliche Produkte müssen          ■    Konsequente Umsetzung der neuen EU Biodiver­
 dazu einen angemessenen Preis erhalten, um Klima-               sitätsstrategie, um die Resilienz von Arten und
 schutz und -anpassung auch EU-weit für ein nach-                Lebensräumen grundsätzlich zu stärken.
 haltigkeitsgerechtes Landmanagement etablieren zu          ■    Keine Förderung von Klimaschutzmaßnahmen ohne
 können. Auch dieser Naturschutznutzen sollte bei der            Biodiversitätscheck.
 Ausschüttung der GAP-Mittel berücksichtigt werden,

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Natur und Umwelt

Anpassungsmaßnahmen des Naturschutzes auch der                       12 Siehe Anm. 5.
Landwirtschaft gleichermaßen zugutekommen. Ei-                       13 Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Land­
                                                                        wirtschaft in der Klimakrise. Berlin 2020 [noch unveröffentlicht].
nerseits wird so das globale Nachhaltigkeitsziel um-
                                                                     14 Ebd.
gesetzt, die Ökosysteme als eigene Lebensgrundlage                   15 H. M. Paulsen: Impulse zur Landwirtschaft im Klimawandel.
zu erhalten. Dies ist andererseits die Voraussetzung                    In: Naturschutz im Klimawandel: Tagungsdokumentation
dafür, auch andere Nachhaltigkeitsziele langfristig                     28. April 2009 (www.muk.uni-frankfurt.de/38673515/Binder_
und für spätere Generationen umzusetzen – und stellt                    Abstract1.pdf).
                                                                     16 Siehe Anm. 5.
neben der Klimakrise und dem Artensterben eine der                   17 Umweltbundesamt: Klimafolgen – Handlungsfeld Landwirt­
größten Herausforderungen des 21. Jahrhundert dar.                      schaft (veröffentlicht am 4. September 2013) (www.umwelt­
Denn je intakter die Natur, desto flexibler und dyna-                   bundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/
mischer kann sie auf Änderungen reagieren. Umso                         folgen-des-klimawandels/klimafolgen-deutschland/
                                                                        klimafolgen-handlungsfeld-landwirtschaft#niederschlag).
besser kann sie die negativen Folgen der Klimaverän-
                                                                     18 Siehe Anm. 5.
derung abpuffern – auch zum Nutzen des Menschen.                     19 F. M. Chmielewski: Der Einfluss des Klimawandels auf den Wirt­
Die beste Versicherung gegen die Folgen des Klima-                      schaftssektor Landwirtschaft. In: Klimabericht für die Metro­
wandels ist eine hohe natürliche Vielfalt an Arten und                  pol­r egion Hamburg. Heidelberg 2011, S. 211–227 (https://link.
Lebensräumen, auf die der Mensch angesichts zuneh-                      springer.com/chapter/10.1007/978-3-642-16035-6_9)
                                                                     20 M. Pirc: Naturschutz ist Klimaschutz. Klimarelevante Natur­
mender Katastrophen mehr denn je angewiesen ist.                        schutzmaßnahmen im Alpenraum. In: Naturschutz und Land­
                                                                        schaftsplanung 42/12 (2010), S. 383 f.
                                                                     21 Umweltbundesamt: Anpassung: Handlungsfeld Biologische
Anmerkungen                                                             ­V ielfalt (veröffentlicht am 4. September 2013) (www.umwelt­
 1 J. Schuler (Hrsg.): Instrumente zur Stärkung von Synergien zwi­       bundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/
   schen Natur- und Klimaschutz im Bereich Landbewirtschaf­              anpassung-an-den-klimawandel/anpassung-auf-laenderebe­
   tung. Bundesamt für Naturschutz (BfN-Skripten 382). Bonn              ne/handlungsfeld-biologische-vielfalt).
   2014 (www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/        22 Ebd.
   skript382.pdf).                                                   23 Siehe hierzu auch den Beitrag von Rico Hübner in diesem
 2 Unter dem Begriff Ökosystemleistungen werden solche Vorteile          ­K ritischen Agrarbericht (S. 241–246):
   und Nutzenleistungen für den Menschen verstanden, welche          24 Siehe hierzu den Beitrag von Christian Rehmer und Phillip
   aus Ökosystemen entstehen.                                             Brändle in diesem K­ ritischen Agrarbericht (S. 43–47).
 3 Stockholm Resilience Center: How food connects all the SDGs       25 C. Beierkuhnlein: Auswirkungen des Klimawandels auf Fauna,
   [veröffentlicht 2016] (www.stockholmresilience.org/research/           Flora und Lebensräume sowie Anpassungsstrategien des
   research-news/2016-06-14-how-food-connects-all-the-sdgs.html).         Naturschutzes. Präsentation. Bonn 1. bis 3. März 2010 (https://
 4 E. Schnug et al.: Mögliche Synergie-Effekte zwischen Landwirt­         pdfs.semanticscholar.org/6c2c/797bdb36f7148b9dc72d0f7dcff9
   schaft und Naturschutz unter den Bedingungen des Klimawan­             7851265b.pdf).
   dels. In: Agriculture and Forestry Research. 4/2008.
 5 Umweltbundesamt: Klimafolgen - Handlungsfeld Biologische
   Vielfalt (veröffentlicht am 4. September 2013) (www.umwelt­
   bundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/
   folgen-des-klimawandels/klimafolgen-deutschland/klimafolgen-
   handlungsfeld-biologische-vielfalt).
 6 Siehe Anm. 2.                                                                         Jessica Weber
 7 S. Heiland et al.: Der Klimawandel als Herausforderung für die                        Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Natur­
   Landschaftsplanung. In: Naturschutz und Landschaftsplanung                            schutzpolitik beim BUND e.V. mit u.a. dem
   40/2 (2008), S. 37–41.                                                                Schwerpunkt Naturschutz im Klimawandel
 8 Siehe hierzu die diversen Berichte des Weltklimarats (IPCC).                          sowie Naturschutz und Erneuerbare Energien.
 9 Umweltbundesamt: Klimafolgen Deutschland (www.umwelt­
   bundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/                              jessica.weber@bund.net
   folgen-des-klimawandels/klimafolgen-deutschland).
10 C. Leuschner et al.: Klimawandel und Naturschutz in Deutsch­
   land: Vorstudie. Bundesamt für Naturschutz (BfN-Skripten 115).
   Bonn 2004. – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
   (BUND): Handbuch Biotopverbund Deutschland. Berlin 2018
   (www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/                               Heinz Klöser
   naturschutz/naturschutz_handbuch_biotopverbund_deutsch­                               Stellvertretender Sprecher des Bundesarbeits­
   land.pdf).                                                                            kreises Naturschutz des BUND e.V.
11 D. Jacob: Regionalisierte Szenarien des Klimawandels. In: Raum­
   forschung und Raumordnung 67 (2009), S. 89–96.                                        nugrade@gmx.net

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