NERVVERLAGERUNG IM UNTERKIEFER - Implantation geht nicht immer minimalinvasiv - Zeitschrift für ...
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I FALLBERICHT I NERVVERLAGERUNG IM UNTERKIEFER Implantation geht nicht immer minimalinvasiv Dr. Mathias Plöger, Dr. Volker Opitz Zusammenfassung: Es werden alternati- nicht immer minimalinvasiv. Z Zahnärztl ve Behandlungsmöglichkeiten zu etablier- Implantaol 2021; 37: 36−43 ten Verfahren des atrophischen Unterkie- DOI.org/3238/ZZI.2021.0036−0043 fer-Seitenzahngebiets vorgestellt. Dabei werden die Vorteile der neuen Generation → Warum Sie diesen von Piezosurgery-Geräten, die vor allem EINLEITUNG Beitrag lesen sollten? in der deutlichen Reduktion der postope- Strebt man im zweidimensional atrophier- Der vorliegende Beitrag soll rativen Hypästhesien bestehen, heraus- ten Unterkiefer-Seitenzahngebiet eine im- den chirurgisch tätigen gearbeitet. Aber auch für die im Anschluss plantologische festsitzende Versorgung an, Kollegen eine alternative Implantat-prothetisch tätigen Kollegen ist ist oftmals der Einsatz von z.B. autologen Behandlungsmöglichkeit zu es wichtig, über die Grundprinzipen dieser bzw. allogenen Knochenblocktransplanta- den etablierten Verfahren (z.B. Operationstechnik und die damit verbun- ten, die Augmentation mittels Schalentech- Schalentechniken, denen Risiken und Begleiterscheinungen nik nach Khoury [9] oder seit Neusten auch autologe/allogene informiert zu sein. Die Operation selbst die Augmentation mit Titanmesh [16] das Blockaugmentationen, Bone sollte jedoch von hochspezialisierten und Mittel der Wahl. Aufgrund der teilweise pu- Splitting, individuell gefertigte chirurgisch erfahrenen Kollegen durchge- blizierten Nachteile der oben aufgeführten Titanmeshs, kurze bzw. führt werden. Verfahren (z.B. zweizeitige Vorgehenswei- ultrakurze Implantate, In einer Falldarstellung wird detailliert die se, Resorptionen des Augmentats, Durch- Distraktionstechniken, Nervverlagerung einschließlich der an- blutungsstörungen des Augmentats, Tent-Pole-Technik, etc.) des schließenden Versorgung in regio 45 bis Schleimhautperforationen und postoperati- atrophischen Unterkiefer- 47 bei einer 26-jährigen Patientin be- ve Infektionen etc.) kann man auf ein alter- Seitenzahngebiets vorstellen. schrieben. natives Verfahren zurückgreifen, das durch die Weiterentwicklung der Piezosurgery Schlüsselwörter: Implantation; minimal- praxisreifer (Reduktion der Nebenwirkun- invasiv; Nervverlagerung; Anästhesie; Pa- gen) geworden ist – die laterale Nervtrans- rästhesie; Hypästhsie position des N. alveolaris inferior. Erstmals berichteten Jensen und Nock Zitierweise: Plöger M, Opitz V: Nervverla- 1987 von einer Technik zur Verlagerung gerung im Unterkiefer. Implantation geht des Foramen mentale [5]. In den 1990er- - 36 - Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01
I FALLBERICHT I Jahren wurde dieses Verfahren von Kan, Peleg und Ferrigno aufgegriffen und eine alternative Methode zur Nervverlagerung beschrieben [1, 8, 11]. Zum damaligen Zeitpunkt erfolgte die Präparation des Nervkanals meist mittels traumatischer Kugelfräsen oder Diamantkugeln mit der Folge, dass über längere Zeiträume bzw. sogar permanent Anästhesien, Parästhe- sien und Hypästhesien zurückbleiben Fotos: Dr. Mathias Plöger konnten. Von diesen Nebenwirkungen wurden zum Teil in über 30 % der Fälle in der Literatur berichtet. Mit Aufkommen der neuen Generation der Piezosurgery-Geräte (z.B. von Acte- on, W&H, Mectron oder EMS) können nun Abb. 1: Präoperatives DVT mit deutlich reduzierter Kammbreite (vor allem Regio 45) und Kamm- gezielt weichgewebige Strukturen ge- höhe (minimal 4 mm Abstand zum N. alveolaris inferior) im 4. Quadranten schont werden, da durch die Schwingung im Ultraschallbereich die betreffende Kno- chenstruktur im Prinzip verdrängt wird führte 3D-DVT-Diagnostik (Abb. 1) zeigte chen Patienten, wenn diese möglicherwei- statt gesägt [3]. Mithilfe dieser Methode ist eine für eine Implantation im Bereich 47 se über 60 Jahren im Kiefer verbleiben eine deutlich reduzierte Rate an Nervirrita- noch suffiziente und im Bereich 45 eine in- sollten, als äußert kritisch zu bewerten. tionen von < 15 % erzielbar. Diese gingen suffiziente Kammbreite. Allerdings wird Daher entschied sie sich für die im An- aber in den vom Autor durchgeführten Ein- das Knochenlager in der vertikalen Di- schluss erörterte Verlagerung des Nervus griffen nach maximal 4 Wochen vollstän- mension durch den Nervus alveolaris infe- alveolaris inferior, um apical des Nervka- dig zurück. Meist handelte es sich auch le- rior begrenzt, d.h. in der Höhe sind nur ca. nals das Knochenlager nutzen zu können. diglich um ein Areal von ca. 5–10 mm 4–5 mm Abstand zum Nervkanal vorhan- Dabei wurde auf die Erläuterung mögli- Durchmesser im Mundwinkelbereich. den. cher Risiken des Eingriffs besonderer Der Patientin wurden im Anschluss al- Wert gelegt, die vor allem in möglichen Pa- FALLDARSTELLUNG le Behandlungsalternativen erläutert. Auf- rästhesien, Hypästhesien oder Anästhe- Im beschriebenen Fall wurde die 26-jähri- grund der Größe der Schaltlücke scheidet sien bestehen. ge Patientin vom Hauszahnarzt in unsere eine Brückenversorgung (Überspannung Wichtig an dieser Stelle ist selbstver- Praxis überwiesen. Die Patientin litt unter und reduzierte statische Wertigkeit des ständlich neben den unterschriebenen keinen relevanten Vorerkrankungen (Dia- distalen Pfeilerzahns mit Kippung und ver- Formblättern (z.B. Zahnärztekammer, betes mellitus, systemische Knochener- kürzten Wurzeln) aus, sodass nur eine he- DGI, BDZI etc.) die individuelle schriftliche krankungen, Bisphosphonattherapie, Ni- rausnehmbare Variante oder die Implan- Aufklärung und Einwilligung des Patienten kotinabusus). tatinsertion als mögliche Behandlungsal- zu dem Eingriff. Klinisch zeigte sich im IV. Quadranten ternativen in Frage kommen. eine Schaltlücke von regio 45 bis 47, bei Da für die Patientin eine herausnehm- OPERATIVES VORGEHEN einem ausgeheilten, ansonsten hoch atro- bare Versorgung nicht in Frage kam, er- Der Eingriff wurde unter antibiotischer Ab- phischen Alveolarfortsatz. Die Lückensi- folgte die Aufklärung über Alternativen der schirmung mit Cefuroxim 500 mg 2× täg- tuation besteht bei der noch jungen Pa- Implantatversorgung. Dabei wurde so- lich und Arilin 500 mg 2× täglich (entspre- tientin jedoch bereits seit ca. 10 Jahren. wohl über den horizontalen wie auch verti- chend Körpergewicht) durchgeführt. Nach Der fortgeschrittene Knochenabbau lässt kalen Kieferkammaufbau durch Blockaug- auf Patientenwunsch durchgeführter Intu- sich u.a. durch das erhöhte Remodelling mentation inklusive aller Vor- und Nachtei- bationsnarkose wurde zusätzlich das des Knochens beim jüngeren Patienten le als auch über den Einsatz längenredu- Operationsgebiet mit Infiltrationsanästhe- erklären. Nach heutigem zahnmedizini- zierter Implantate („Shortys“ und „Ultra- sie vestibulär anästhesiert zur Reduktion schem Stand würde trotz des damaligen shortys“) aufgeklärt. Im ersten Fall waren der Blutungsneigung (Abb. 2). Die Inzision Patientenalters von ca. 16 Jahren die Si- der Patientin der zeitliche und operative erfolgte auf dem Kieferkamm mit Entlas- tuation nicht mehr so lange Implantat-pro- Aufwand zu hoch, und im zweiten Fall wür- tung am Zahn 43 (Abb. 3). Da der Nervus thetisch unversorgt bleiben (Implantate = de die Kieferkammhöhe für diese längen- alveolaris inferior verlagert werden soll, ist Resorptionsprotektoren). Der Patienten- reduzierten Implantate mit Längen von die vollständige Darstellung des Foramen wunsch im beschriebenen Fall bestand 5–6 mm nicht ausreichen (Sicherheitsab- mentale unumgänglich (Abb. 4). In der eindeutig in festsitzenden Zahnersatz, wo- stand zum Nervkanal ca. 2 mm). Außer- Regel befindet sich das Foramen mentale bei sie die Situation relativ zeitnah gelöst dem ist der Einsatz solcher längenredu- apical des 2. Unterkieferprämolaren [2], haben wollte. Die anschließend durchge- zierten Implantate beim fast noch jugendli- was durch präoperative DVT-Diagnostik in Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01 - 37 -
I FALLBERICHT I Abb. 2: Präoperative Ausgangssituation Abb. 3: Schnittführung – Kammschnitt mit Abb. 4: Darstellung des Foramen mentale in- vestibulärer Entlastung regio 43 tra operationem diesem Fall bestätigt werden konnte. Für rechter Heilung kann nach ca. 4–6 Mona- den, bevor man auf den Nerven in seinem solche Eingriffe ist eine Lupenbrille mit ten Einheilzeit die definitive prothetische Verlauf stößt. Hier ist ein genaues und dreifacher Vergrößerung zu empfehlen, Versorgung erfolgen. Als problematisch langsames Vorgehen mit Lupenbrille und um Irritationen am Nerv zu vermeiden. bei dieser Vorgehensweise ist die Tatsa- Piezosurgery unumgänglich. Prinzipiell kann man 2 operative Vor- che einzuschätzen, dass während der ge- Außerdem ist zu beachten, dass in vie- gehensweisen zur Nervverlagerung unter- samten Implantatbettaufbereitung und der len Fällen der Nerv einen durchschnittlich scheiden. Im Verfahren nach Kan, Peleg Implantatinsertion der Nerv abgehalten 3–4 mm langen Loop nach mesiolingual und Ferrigno bleibt das Foramen mentale werden muss, sodass eine hohe Zugspan- machen kann, bevor er die Richtung nach unangetastet, und die Präparation des distal ändert. Ebenso werden häufig me- Nervkanals beginnt ca. 3–4 mm distal des diale Ausläufer von ca. 6 mm beobachtet Foramens. Dabei kann mithilfe der Piezo- (im DVT sichtbar), deren Durchtrennen surgery ein Knochendeckel bis zum Nerv- möglicherweise zu marginalen Anästhe- kanal herausgesägt und geborgen wer- sien führen kann. Um solche anatomi- Eine 3D-Diagnostik ist für den. Der darunter liegende Nerv wird mit schen Besonderheiten zu erkennen, ist ei- Ethiloop-Zügeln (Fa. Ethicon) aus dem die Vorbereitung einer Nerv- ne 3D-Diagnostik mithilfe eines DVT un- Kanal gezogen. Während der Nerv von verlagerung unumgänglich, umgänglich. Ein möglicher Loop muss der Assistenz weggezogen wird, legt der um anatomische Besonder- dann mit der feinen Piezosurgery-Kugel Behandler den Implantatstollen an, wel- freipräperiert werden, um den Nerv aus heiten zu erkennen. cher sich nach apikal über den Nervkanal dem knöchernen Kanal ausschälen zu hinaus erstreckt. Anschließend wird das können. In den meisten Fällen lässt sich Implantat inseriert, bevor der Zug vom der Nerv bis Mitte/distal regio 6 gut freiprä- Nerven gelockert werden kann, sodass parieren, bevor er dann ca. 3 mm tiefer in der Nerv spannungsfrei vestibulär vor dem den Unterkiefer zieht. Diesen Punkt kann Implantat zum Liegen kommt. Aufgrund nung entsteht, die Irritationen des Nervs man ebenfalls sehr gut in der 3D-Diagnos- der Implantatbettpräperation apikal über zur Folge haben kann. Genauso kommt tik des DVTs bestimmen, sodass ein wei- den Nervkanal hinaus sollte das Implantat der Nerv auf den rauen metallischen Im- teres Freilegen sehr erschwert ist auf- mit hoher Primärstabilität einsetzbar sein. plantatwindungen dauerhaft zu liegen, grund schlechterer Sicht und stärkerer zu Nun kann der gewonnene Knochendeckel was wiederum Ursache für Irritationen erwartenden Blutungen. Wichtig ist in die- entweder mit innerer Ausdünnung repo- sein kann [14]. sem Falle, intraoperativ adrenalingetränk- niert oder in einer Knochenmühle (z.B. Deshalb favorisiert der Autor eher das te Tupfer zur Verfügung zu haben, um eine Quetin) zerkleinert und als Granulat mit alternative Vorgehen nach Jensen und stärkere Blutung aus dem Kanal zu redu- zusätzlichem Resorptionsschutz (bovin, Nock [5]. Dieses Vorgehen wurde auch im zieren für eine bessere Sicht bei der Prä- porcin, xenogen) über dem Defekt verteilt hier beschriebenen Fall angewendet. paration. Nachdem der Nerv dargestellt werden. Anschließend erfolgt eine Mem- Nach Darstellung des Foramen mentale wurde, wird er vorsichtig mit dem Instru- branabdeckung mit Titanpins sowie mögli- wird beginnend am Foramen nach distal ment PH12 (Firma Hu-Friedy) nach Prof. cherweise Applikation von PRGF. Nach eine Rinne präpariert (Abb. 5, 6, 7). Meist Hürzeler gelöst, ins Vestibulum verlagert dichtem Wundverschluss und regelge- muss diese ca. 5–7 mm tief angelegt wer- und mit einem Gilles-Häkchen gesichert - 38 - Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01
I FALLBERICHT I Abb. 5: Präparation des N. alveolaris inferior Abb. 6: Abschluss der Präparation des Nerv- Abb. 7: Freipräparieren des Nervs aus sei- mittels Piezosurgery kanals nem Bett (Abb. 8, hier in Zusammenhang mit einem darüber aufgeklärt werden, dass der Nerv sien vor Einführung der Piezosurgery in anderen OP-Fall bei gleichzeitiger Block- nun distal der Implantate austritt und im der Praxis des Autors häufiger auftraten augmentation in der UK-Front). Weichgewebe des Vestibulums verläuft. und bis zu 6 Monaten andauerten. Außer- Nun können die Implantatbohrung so- Dabei ist eine gute intraoperative Fotodo- dem kommt natürlich die wachsende indi- wie -insertion erfolgen, im beschriebenen kumentation der Nerv-Transposition eine viduelle Lernkurve des Operateurs dazu. Beispiel wurden 2 Implantate der Firma Conditio sine qua non, auch für mögliche Als Hypästhesie zählt in diesem Falle, Argon (K3Pro Rapid 3,5×13 mm und Jahre/Jahrzehnte später stattfindende wenn der Patient eine reduzierte Reakti- 5,5×13 mm) primärstabil inseriert (Abb. 9, chirurgische Interventionen (Periimplanti- on auf Sensibilitätsprüfungen wie leichte 10). Dazu ist es wichtig, das Implantat im tis etc.) [13]. Berührung, Pinselstrich oder Zweipunkt- Knochen apical des Nervkanals zu veran- In diesem Fall wurde auf eine proviso- Diskriminierung zeigt [2]. Diese Prüfun- kern, um die nötige Primärstabilität zu ge- rische Versorgung in der Einheilphase gen werden immer im Vergleich zur Ge- winnen – vor allem wenn wie im aktuellen verzichtet, da die Patientin auf der linken genseite durchgeführt. Meist zeigt der Fall in regio 45 der vestibuläre Knochen Kieferseite vollbezahnt ist und kein verti- Patient in den ersten 2–4 Wochen nach bereits vollständig atrophiert ist. Von Vor- kaler Knochenaufbau durch eine proviso- OP ein seitenungleiches Empfinden auf teil sind dabei Implantate mit aggressiven rische Brücke geschützt werden muss. Pinselstrich, nimmt aber die spitze Son- Gewindegängen, z.B. das K3Pro Rapid im Die Abbildungen 16 bis 18 zeigen die defi- de, welche die Haut tiefer eindrücken beschriebenen Fall. nitive Implantat-prothetische Versorgung kann, wahr. Der Nervkanal wird anschließend mit mittels Implantat-getragener Brücke. Ähnliche Zahlen ergab auch die Lite- Knochengranult (autolog/allogen mit xe- raturrecherche (Tab. 1). Rosenquist be- nogenen Resorptionsschutz) verfüllt, mit KOMPLIKATIONEN schrieb in seiner Studie von 1992 keine resorbierbarer Kollagenmembran (kreuz- Das Hauptrisiko bei dem beschriebenen sensorischen Störungen bei 10 Fällen vernetzt, lange Resorptionszeit, z.B. Os- Eingriff besteht in einer temporären oder und 26 inserierten Implantaten im Unter- six Plus, Firma Regident) und Pins ver- permanenten Irritation/Schädigung des suchungszeitraum von 12 Monaten [15]. sorgt und mit z.B. A- und I-PRF (nach N. alveolaris inferior. In der Praxis des Zum gleichen Ergebnis kam auch Peleg Choukroun und Ghanaati, Firma Mectron) Autors wurden keine permanenten Irrita- 2002, er untersuchte ebenfalls 10 Fälle bedeckt (Abb. 11, 12, 13). Wichtig ist der tionen des Nervs beobachtet. Es lagen mit 23 inserierten Implantaten über 6 Wo- anschließende spannungsfreie Wundver- lediglich Hypästhesien von < 15 % der chen und stellte keine dauerhaften Stö- schluss. Abbildung 14 und 15 zeigen das Fälle vor bei 100 durchgeführten Nerv- rungen fest [11]. Auch Jensen 1994 und postoperative DVT, vor allem im Cross verlagerungen in den letzten 25 Jahren, Ferringno 2005 konnten lediglich 10 % Sectional sind die Bereiche der Nervverla- wobei ausschließlich die Methode der sensorische Störungen nach 12 Monaten gerung und Augmentation zu erkennen. In Präparation des Foramens angewendet feststellen [1, 4]. In der retrospektiven Un- der Einheilphase sollte kein Kaudruck auf wurde. Diese Hypästhesien dauerten tersuchung von Kan 1997 verglich dieser das Operationsgebiet ausgeübt werden. i.d.R. nicht länger als 4 Wochen an und die beiden Operationsmethoden, d.h. Auch bei diesem Vorgehen erfolgt die de- konzentrierten sich meist auf einen Verlagerung am Foramen und Herauslö- finitive prothetische Versorgung nach 4–6 Mundwinkelbereich von ca. 5–10 mm sen von Knochendeckel, wobei dieser bei Monaten Einheilzeit. Es muss unbedingt Durchmesser (Abb. 19). An dieser Stelle zweiterem Verfahren signifikant geringe- dokumentiert und auch der Patient muss soll angemerkt sein, dass die Hypästhe- re sensorische Störungen über einen län- Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01 - 39 -
I FALLBERICHT I Abb. 8: Gilles-Häkchen zum sicheren Ab- Abb. 9: Implantatinsertion in regio 45 und 47 Abb. 10: Implantatinsertion halten des Nervs (hier in Zusammenhang mit mit Verlust der vestibulären Lamelle regio 45 einem anderen Eingriff) Abb. 11: Laterale Augmentation des ehe- Abb. 12: Schutz des Augmentats mittels resor- Abb. 13: Applikation von A-PRF nach maligen Canalis mandibulae bierbarer kreuzvernetzter Kollagenmembran Augmentation (nach Chouroun) geren Untersuchungszeitraum feststellen mieden werden. Außerdem sind keine Un- ten gewährt werden. Zudem sollte dies al- konnte [8]. terschiede in der Implantatüberlebensrate les schriftlich fixiert werden. In Bezug auf die Implantat-Überle- im Vergleich zu einer Standardimplantati- Derzeit gibt es, abgesehen von einer bensrate konnten von allen Autoren keine on festzustellen. herausnehmbaren Prothese, zwei mögli- Unterschiede zu einer Implantation ohne Dem gegenüber stehen die hohen che etablierte Alternativbehandlungen zur Nervverlagerung festgestellt werden. Eine operativen Anforderungen des Verfahrens Nervverlagerung: Knochenblockaugmen- in Einzelfällen beschriebene Spontanfrak- an den Operateur. Eine Nervpräparation tation oder der Einsatz längenreduzierter tur des Unterkiefers konnte weder beim mithilfe einer Lupenbrille ist unumgänglich Implantate. Neuste Untersuchungen von Autor noch bei der Literaturrecherche fest- und meist muss mit einer entsprechenden Schiegnitz und Sagheb bescheinigen gestellt werden. Operationszeit gerechnet werden. Das Ri- auch dem Einsatz individuell CAD/CAM- siko einer Nervirritation wird durch Einsatz hergestellter Titanmeshs sehr gute Ergeb- DISKUSSION der Piezosurgery deutlich reduziert, kann nisse in puncto Knochengewinn und Kom- Mithilfe einer Nervverlagerung ist es mög- aber nicht vollkommen ausgeschlossen plikationsrate [16]. lich, bei einer reduzierten Restknochen- werden. Dem Patienten wird üblicherwei- Zum einen kann mithilfe einer Kno- substanz, vor allem in der vertikalen Di- se mitgeteilt, dass meist 6–8 Wochen mit chenblockaugmentation der Kieferkamm mension, eine Freiendsituation mit zeitlich reversiblen Parästhesien gerechnet wer- in Höhe und Breite zur Aufnahme von Im- reduziertem, d.h. einzeitigen Vorgehen den muss, aber auch eine permanente Pa- plantaten aufgebaut werden. Dies kann (Augmentation und Implantation in einer rästhesie/Hypästhesie nicht komplett aus- sowohl über allogene Knochenblöcke (ei- Sitzung), zu lösen. So können möglicher- geschlossen werden kann. Eine ausführli- ne Methode, die in der Praxis des Autors weise Komplikationen bei zweizeitigen che Aufklärung darüber, Aufzeigen von Al- bei fachgerechter Indikationsstellung fa- Vorgehensweisen, z.B. vertikale/horizon- ternativbehandlungen und eine entspre- vourisiert wird) als auch über autologe tale Resorptionen von Augmentaten ver- chende Bedenkzeit müssen dem Patien- Transplantate erfolgen. Hier sind z.B. - 40 - Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01
I FALLBERICHT I störungen des Augmentats, Schleimhaut- perforationen und postoperative Infektio- nen sind nicht auszuschließen. Zudem hat der Autor in der Nachbeobachtung der ei- genen Fälle, zu der mittlerweile Blockaug- mentationen in 784 Fällen (Stand Dez. 2020, siehe Tab. 2) gehören, festgestellt, dass aufgrund der starken Corticalis (zu 45 % D2-Knochen und zu 55 % D3 nach Misch) vor allem im Unterkieferseiten- zahnbereich, die Einheilrate von vertika- len Knochenblöcken im Vergleich zum Oberkiefer signifikant unterlegen ist. Grund dafür ist die minderdurchblutete Abb. 14: Postoperatives DVT Corticalis des Unterkiefers, welche durch großflächiges Dekortikalisieren abgetra- gen werden müsste, mit der Folge, dass dann ein mittels DVT-Diagnostik gefräster Block nicht mehr spaltfrei anliegen würde. Auch ist in der Regel die vertikale Dimensi- on nicht stärker als 3–5 mm aufbaubar, da sonst die Nutrition des Augmentats nicht gewährleistet ist und zusätzlich die Ge- genbezahnung Druck auf das Augmentat ausüben kann. Besonders kritisch sind da- bei antagonistische Brücken- oder Implan- tatkonstruktionen, da diese im Vergleich zu natürlichen Zähnen keine sensorische Rückkopplung haben. Verbessert werden Abb. 15: Cross Sectional des postoperativen DVT kann diese Problematik u.a. durch prä- oder intraoperative Verdickung der Unter- kiefer-Schleimhaut mittels freiem Binde- gewebstransplantat aus dem Gaumen Blocktransplantate aus dem Kieferwinkel- blöcken, wie in der Praxis des Autors, ent- und z.B. einem festsitzenden Langzeitpro- bereich (J-Graft) oder dem Beckenkamm fällt die Entnahmemorbidität. Trotzdem visorium (Schwebebrücke), um das Block- zu erwähnen, wobei in diesen Fällen stets sind in allen Fällen 2 Operationen notwen- augmentat zu schonen. eine Entnahmemorbidität anfällt. Auch die dig, d.h. neben der Augmentation dann Auch sind in der Mehrzahl der Fälle zu- Schalentechnik nach Prof. Khoury fällt in nach 4–6 Monaten die Implantation. Damit züglich zur Blockaugmentation und Im- dieses Behandlungsspektrum und wird er- erstreckt sich der Behandlungszeitraum plantation häufig Folgeeingriffe zur Weich- folgreich zum Knochenaufbau verwendet deutlich länger als mit Nervverlagerung. gewebemodellation aufgrund der verän- [9]. Beim Einsatz von allogenen Knochen- Auch Resorptionen und Durchblutungs- derten mukogingivalen Grenzlinie und da- Inserierte Implantat- Sensorische Zeitraum Autor Jahr OP-Zahl OP-Technik Implantate Überlebensrate Störungen Nachuntersuchung Rosenquist 1992 10 26 96 % 0% 12 Monate Jensen 1994 10 Verlagerung Foramen 21 100 % 50 % 3 Monate 10 % 12 Monate Kan 1997 9 Verlagerung Foramen 29 93,8 % 66,7 % 10–67 Monate 12 Transposition 35 33,7 % 10–67 Monate Peleg 2002 10 Transposition 23 100 % 10 % 1,5 Monate Ferrigno 2005 19 Transposition 46 96 % 10 % 12 Monate Tab. 1: Sensorische Störung nach Nervverlagerung in Abhängigkeit des Nachuntersuchungszeitraums [13] Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01 - 41 -
I FALLBERICHT I Abb. 16: Implantat-prothetische Versorgung: Frontansicht Abb. 17: Implantat-prothetische Versorgung: Okklusalansicht Abb. 18: Implantat-prothetische Versorgung: Seitenansicht Abb. 19: Typisches Areal von Hyp- und Parästhesien im Mundwinkel- bereich post operationem mit resultierenden fehlenden keratinisier- reduziert. Deshalb geht die Empfehlung handen sein, wenn man auf diese Be- ten Attached-Gingiva notwendig (Tab. 2) bei solchen kurzen Implantaten eher da- handlungsstrategie zurückgreifen möchte. [12]. hin, Durchmesser von mehr als 5 mm zu Das Verhältnis von Krone zu Implantat, Die zweite mögliche Alternativbehand- verwenden, um die BIC-Rate zu erhöhen. das unter statischen bzw. mechanischen lung besteht im Einsatz längenreduzierter Daher wird der Einsatz dieser kurzen Im- Gesichtspunkten etwa 1:1 sein sollte, Implantate (sog. Shortys von 8 mm Länge plantate sowohl durch die vertikale als kann i.d.R. bei atrophierter Kieferrelation bzw. Ultrashortys von 5–6 mm Länge). Bei auch durch die horizontale Dimension des nicht eingehalten werden. Daher besteht dieser Variante entfallen sowohl die Nerv- Unterkiefers begrenzt. Es sollten dem- auch die Empfehlung, möglichst mehrere präparation als auch ein zusätzlicher Ein- nach eine Restknochenhöhe von 6–7 mm solcher kurzen Implantate prothetisch zu griff durch Blockaugmentation. Gleich- und eine Knochenbreite von 7–8 mm vor- verblocken, um eine hohe Sekundärstabi- wohl sind nicht alle Fälle für den Einsatz dieser Shortys bzw. Ultrashortys geeignet, weil auch bei Ultrashortys aufgrund des Oberkiefer Unterkiefer Gesamt Sicherheitsabstandes trotzdem eine Rest- Anzahl inserierter Blöcke 480 222 702 knochenhöhe von ca. 6–7 mm vorhanden sein muss, da die Implantate in Größen Verluste 22 24 46 von 5,2–6 mm Länge erhältlich sind. Erfolgsrate 95,42 % 89,19 % 93,45 % Wenn die Längenreduktion der Implantate dann auch noch zulasten des Implantat- Notwendigkeit von FST, BGT usw. 338 185 523 70,42 % 83,33 % 74,50 % durchmessers (< 5 mm) erfolgt, ist die Knochenanlagerungsrate (BIC) drastisch Tab. 2: Ergebnisse der DIZ-Studie – Erfolgsrate von humanen Knochenblöcken 2006–2018 - 42 - Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01
I FALLBERICHT I 7 _ Jung R, Al-Nawas B, Araujo M et al.: Group 1 ITI lität zu erzielen. Über die langfristigen Fol- Consensus Report: The influence of implant gen dieser auf den ersten Blick ungünsti- length and design and medications on clinical and gen Belastungsverhältnisse liegen mo- FAZIT FÜR DEN patient-reported outcomes. Clin Oral Impl Res 2018; 29 Suppl 16: 69–77 mentan nur wenige Langzeitdaten vor, 8 _ Kan J Y: Endosseous implant placement in con- deshalb muss bei Ultrashortys eine ge- PRAKTIKER junction with inferior alveolar nerve transposition: an evaluation of neurosensory disturbance. Int J sonderte Patienten- und Risikoaufklärung – Durch Nervverlagerung ist es mög- Oral Maxillofac Implants 1997; 12: 463–471 9 _ Khoury F: Augmentative Verfahren in der Implan- erfolgen. Deshalb wurde von Al-Nawas lich, Blockaugmentationen im Un- tologie. Quintessenz, Berlin 2009 und Jung im Konsensusbericht von 2018 terkiefer-Seitenzahnbereich, wel- 10 _Morgan V, Marincola M: Klinisch bewährte Lang- zeiterfahrungen mit Kurzimplantaten. Implantolo- nur ca. 87 % Erfolgsquote (im Vgl. zu che eine reduzierte Einheilrate zei- gie Journal 2020, 03 Standartimplantaten mit 95 %) angege- gen, zu umgehen. 11 _Peleg M, Mazor Z, Chaushu G, Garg A: Laterali- ben [6, 7, 10]. – Eine Implantat-prothetische Ver- zation of the inferior alveolar nerve with simultane- ous implant placement: a modified technique. Int J In einer kürzlichen Veröffentlichung sorgung ist nach 4–6 Monaten Ein- Oral Maxillofac Implants 2002; 17: 101–106 von Schiegnitz und Sagheb [16], basie- heilzeit (wie bei konventionellen 12 _Plöger M, Schau I: Allogene Knochenblöcke in der zahnärztlichen Implantologie. Spitta-Verlag 2010 rend auf einem systematischen Review Implantationen) durchführbar. 13 _Plöger M: Laterale Nervverlagerung und Implan- von Urban et al. [17], welche die Komplika- – Auch die statischen Probleme von tation im atrophierten Unterkiefer. DZW – orale Implantologie 2006; 2: 33–36 tionsraten unterschiedlicher Augmentatio- kurzen bzw. ultrakurzen Implanta- 14 _Quantius B: Die Nervverlagerung in der Implanto- nen untersuchten, wurden die individuell ten werden vermieden. logie. Implantologie Journal 2010, 05 15 _Rosenquist B: Fixture placement posterior to the CAD/CAM-gefrästen Titanmeshs anhand – Seit Einführung der Piezosurgery mental foramen with transpositioning of the infe- mehrerer Fallbeispiele in einer prospekti- werden die Nebenwirkungen die- rior alveolar nerve. Int J Oral Maxillofac Implants ven Studie dargestellt. Trotz Dehiszenzen ses Verfahrens (Anästhesien, Pa- Spring 1992; 7: 45–50 16 _Schiegnitz E, Sagheb K: Patientenspezifische von 20–30 % kam es zu keinem Totalver- rästhesien, Hypästhesien) in Dau- Knochenaugmentationen – Individualisierte CAD/ lust des Augmentats, sondern in allen Fäl- er und Intensität deutlich reduziert. CAM-Titanmesh. Implantologie Journal 2019, 06 17 _Urban I, Montero E, Monje A, Sanz-Sánchez I: Ef- len konnte eine suffiziente Knochenneu- fectiveness of vertical ridge augmentation inter- bildung beobachtet werden. Dabei werden ventions: A systematic review and meta-analysis. J Clin Periodontol 2019; 46 Suppl 21: 319–339 Zahlen von 4–8 mm Substanzgewinn in der Vertikalen angegeben. FAZIT, SCHLUSSBEWERTUNG komplexeren Eingriffs nicht unbedingt die Die Nervverlagerung stellt gemäß den Ein- Standardlösung dar und bleibt eher als schätzungen des Autors eine gleichwerti- Spezialvariante zu sehen. ge Alternative zur Blockaugmentation und Ein besonderer Dank gilt ZTM Thomas den damit verbundenen Entnahmemorbi- Blaschke für die qualifizierte Implantat- Foto: privat ditäten und Folgeoperationen dar. Gleich- prothetische Versorgung. wohl sollte der Operateur fundierte Erfah- rungen in der oralen Chirurgie und Implan- Interessenkonflikte: Beide Autoren ge- tologie mitbringen, um mögliche Neben- ben an, dass keine Interessenkonflikte im → DR. MATHIAS PLÖGER wirkungen wie Parästhesien, Hypästhe- Sinne des ICMJE bestehen. DIZ − Deutsches Implantologie Zentrum, Detmold info@zahnarztpraxis-ploeger.de sien bis hin zur Anästhesie zu minimieren. Unumgänglich für den Eingriff ist neben ei- ner adäquaten Vergrößerungshilfe die Nervpräparation mithilfe der Piezosurgery, Literatur 1 _ Ferrigno N, Laureti M, Fanali S: Inferior alveolar um Nervverletzungen zu vermeiden. Nach nerve transposition in conjunction with implant Auffassung des Autors ist die Nervpräpa- placement. Int J Oral Maxillofac Implants 2005; 20: 610–620 ration ausgehend vom Foramen mentale 2 _ Greenstein G, Tarnow D: The mental foramen and die zuverlässigere Operationsmethode, da nerve: clinical and anatomical factors related to Foto: privat dental implant placement: a literature review. der Nerv in seinem Verlauf unter Sicht frei- J Periodontol 2006; 77: 1933–1943 gelegt werden kann. Die geringe Rate an 3 _ Grötz K: Die Entwicklung der Piezosurgery in der Oralchirurgie. Oralchirurgie Journal 2/2010 beobachteten kurzzeitigen Nervirritationen 4 _ Jensen J, Reiche-Fischel O, Sendet-Petersen S: bestätigt dies. Trotz leichter Beeinträchti- Nerve transposition and implant placement in the → DR. VOLKER OPITZ atrophic posterior mandibular alveolar ridge. Zahnarztpraxis Coswig gungen im Nachgang der OP gaben alle J Oral Maxillofac Surg 1994; 52: 662–668; discus- info@opitz-zahnarzt.de Patienten in der postprothetischen Befra- sion 669–670 gung an, den Eingriff erneut durchführen 5 _ Jensen O, Nock D: Inferior alveolar nerve reposi- tioning in conjunction with placement of osseoin- zu lassen, um festsitzenden Zahnersatz zu tegrated implants: a case report. Oral Surg Oral erhalten. Jedoch stellt dieser Eingriff bei Med Oral Pathol 1987 Mar 6 _ John H: Knochenorientiertes Implantieren mit gro- heute existierenden Alternativen wie kur- ßen Implantatdurchmessern. Cosmetic Dentisty zen/ultrakurzen Implantaten aufgrund des 2007, 03 Deutscher Ärzteverlag I ZZI I 2021 I 37 I 01 - 43 -
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