Geschlechtsspezifische Präventionsmedizin & Frauengesundheit in un- serer "Gesellschaft des längeren Lebens"- Monitor ...
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MVF 03/2021 14. Jahrgang 07.06.2021 Wissenschaft PD Dr. med. Sabine Hawighorst-Knapstein Zusammenfassung Prof. Dr. med. Stephanie Wallwiener Angesichts demografischer Entwicklungen wächst die Bedeutung biopsy- Prof. Dr. med. Stefanie Joos chosozial ausgerichteter Versorgungsqualität, insbesondere auch unter Prof. Dr. med. Sara Brucker geschlechtsbezogenen Gesichtspunkten. Das Kooperationsprojekt zwischen den Universitätskliniken Tübingen und Heidelberg und der AOK Baden- Miriam Colombo MPH Württemberg hat zum Ziel, Morbiditätsmuster zu erkennen. Die Ergebnisse Frauke Saalmann MSc* dieser Analysen sollen dazu dienen, die geschlechterspezifische Versorgung und Prävention im Rahmen der haus- und fachärztlichen Behandlungspfade Geschlechtsspezifische weiterzuentwickeln. Schlüsselwörter Präventionsmedizin & Geschlechtsspezifische Medizin, Prävention, Sekundärdaten Crossref/doi Frauengesundheit in un- doi: http://doi.org/10.24945/MVF.03.21.1866-0533.2304 serer „Gesellschaft des sind. Dies betrifft neben Aspekten der Krankheitsentwicklung und des Verlaufs von Krankheiten auch modifizierbare Risikofaktoren wie längeren Lebens“ Lebensstil und geschlechtsspezifischen Versorgungsbedarf. Es gilt daher insbesondere, das Thema geschlechtsspezifische Prävention in den nächsten Jahren in den Fokus der wissenschaft- Entwicklungen und Perspektiven auf der lichen Betrachtung zu stellen, insbesondere auch abhängig von Basis von Routinedatenanalysen epidemiologischen Entwicklungen basierend auf entsprechenden Analysen. Gesundheit, ihre Erhaltung und Förderung sind zentrale Auf- gaben in der Gesundheitsversorgung. Die kurative Medizin Wissenstransfer/Aus- und Weiterbildung allein erreicht jedoch immer häufiger Grenzen, um den Folgen Dabei steht nicht nur die Generierung neuer Erkenntnisse im chronischer Krankheiten entgegenzuwirken angesichts der demo- Vordergrund, sondern auch die Implementierung bereits vorlie- grafischen Entwicklung in unserer „Gesellschaft des längeren genden Wissens in die Aus-, Weiter- und Fortbildung medizinischer Lebens“ (Sondergutachten 2009 S. 18 ff, Sachverständigenrat Berufe. Zwar erfährt das Thema geschlechtsspezifischer Krankheits- „Koordination und Integration – Gesundheitsversorgung in einer entwicklungen und Präventionsmedizin mittlerweile mehr mediale Gesellschaft des längeren Lebens“)1. Diese Erkenntnisse trugen Aufmerksamkeit, doch ist es längst keine Selbstverständlichkeit, bei der evidenzbasierten Entwicklung der haus- und fachärztli- dass geschlechtsspezifische Aspekte konkret in die Patientenver- chen Vollversorgungsverträge aufseiten der AOK Baden-Württem- sorgung einbezogen werden. In der medizinischen Aus-, Weiter- berg dazu bei, die biopsychosoziale Perspektive, einschließlich und Fortbildung werden zudem geschlechtsspezifische Themen zu auch nicht-medikamentöser Betreuung, u.a. zu fördern und selten adressiert, und es mangelt an entsprechender praktischer als gemeinsame Grundlagen mit den ärztlichen ambulanten Umsetzung. So sind spezifische Informations-, Aufklärungs- und Vertragspartnern zu vereinbaren, z.B. zu Rückenschmerzen und vielen weiteren, wachsenden Zivilisationsbeschwerden. *Weitere Autoren >> Studien der letzten Jahre befassen sich zunehmend mit Unter- Dr. med. Ariane Chaudhuri / Dr. rer. nat. Simon Dally / Dr. med. Christian Förster / schieden zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf Gesundheit Dr. med. Maren Götz / Dr. rer. medic. Susanne Jena / / PD Dr. Gudula Kirtschig / Prof. Dr. med. h. c. mult. Diethelm Wallwiener / Elisabeth Wüstholz MSc und Krankheiten. Eine vergleichsweise häufigere Überdosierung und vermehrte Nebenwirkungen von Medikamenten bei Frauen aufgrund nachgewiesener physiologischer Unterschiede in der Bioverfüg- SVR-Forderungen barkeit, Metabolisierung und Ausscheidung von Arzneistoffen ist Die Erhaltung und Förderung von Gesundheit bedarf laut Sachverständigenrat nur eines von inzwischen vielen Beispielen für die Notwendigkeit z.B.: der Identifizierung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der 1. einer Gesundheitsversorgung, die beispielsweise bereits „mit präventiven Maßnahmen im Kindesalter ansetzt, die Patient*innen bei den altersspezi- Arzneimittelbehandlung (Ankowitsch et Rieser 2014 2). Auch bei fischen Übergängen optimal begleitet und im hohen Alter problembezogen Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss eine geschlechtsspezifische Be- betreut“ trachtung verstärkt fokussiert werden: Bei einer stabilen Angina 2. eines erhöhten Forschungsaufwands unter anderem zu Ätiologie und pectoris ist die Interpretation nichtinvasiver Diagnostik bei Frauen Determinanten auch zur primären und sekundären Prävention 3. einer primärmedizinischen Versorgung, die versicherten- und popula- weniger zuverlässig, weshalb auch die Leitlinien hier geschlech- tionsbezogen einer wachsenden Zahl chronisch Kranker entspricht und terspezifischer Empfehlungen bedürften. Die Zahl der akuten Koro- präventive Möglichkeiten ausschöpfen kann (im Kontext des veränderten narsyndrome nimmt in den letzten Jahren vor allem bei jüngeren Krankheitsspektrums der Bevölkerung) Frauen signifikant zu – bei noch mangelndem Bewusstsein für diese 4. der niedergelassenen Fachärzte als wichtiges Bindeglied und damit Schnitt- stelle zwischen hausärztlicher Primärversorgung und hoch spezialisierter Problematik sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten. stationärer Versorgung. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Maßnahmen zur Diagnostik und Behandlung von Krankheiten, aber auch zur Prävention bei Män- nern und Frauen nicht immer gleich effektiv und/oder notwendig 1. https://www.svr-gesundheit.de Monitor Versorgungsforschung 03/2021 73
Wissenschaft MVF 03/2021 14. Jahrgang 07.06.2021 Coaching-Programme für Frauen und Männer je nach epidemiolo- Methodischer Ablauf des Gesamtprojekts gischer Morbiditätskonstellation fern davon, fester Bestandteil der • Identifikation eines versorgungsepidemiologisch bedeutsamen klinischen bzw. praxisorientierten Krankenversorgung (Amelung et Themas gemäß selektivvertraglicher Schwerpunkte der AOK Chase 2014 3) zu sein. Baden-Württemberg • Systematische Literaturrecherche zu gewähltem Thema Zielsetzung • Zusammenstellung der Ergebnisse zu geschlechts- und alters- spezifischen Unterschieden basierend auf der Literaturrecherche Im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen dem For- • Ableitung von Forschungsfragen auf Basis der existierenden Li- schungsinstitut für Frauengesundheit des Universitätsklinikums Tü- teratur und der vorliegenden Versichertendatenstruktur bingen und der Universitätsfrauenklinik Heidelberg, dem Institut für • Konsentierung im Team Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Universi- • Festlegen der Datengrundlage, Zusammenstellung und Abstim- tätsklinikums Tübingen und der AOK Baden-Württemberg sollen auf mung eines „Minimal Data Sets“ Basis eines biopsychosozialen Ansatzes mithilfe von Routinedaten • Extrahieren der Daten aus der Versichertendatenbank präventionsmedizinische Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen • Aufbereitung der Daten, Plausibilitätsprüfungen Unterschieden bei Erkrankungen in verschiedenen Lebensphasen • Analyse der Daten hinsichtlich der zuvor festgelegten For- schungsfragen mit dem Schwerpunkt Frauengesundheit generiert werden. Ziel des Vorhabens ist es, zu erkennen, welche Krankheitsverläufe, auch be- • Diskussion der Ergebnisse der Datenanalyse im Team • Verfassen eines Publikationsmanuskripts zogen auf Altersdekaden, geschlechtsspezifische Unterschiede auf- weisen und wo Krankheitsprävention geschlechterspezifisch anset- • Entwicklung von geschlechtsspezifischen Interventionen und zen kann. Unter Beachtung der Limitationen kann die Analyse von Einbringen der Ergebnisse in die Lehre sowie in die medizi- anonymisierten Versichertendaten einen wertvollen Beitrag hierzu nische Aus-, Fort- und Weiterbildung leisten, weil zielgruppenbezogen entsprechende Strategien entwi- Abb. 1: Methodischer Ablauf des Gesamtprojekts „Präventionsmedizin in For- ckelt werden könnten. schung, Lehre und Versorgung mit dem Schwerpunkt Frauengesundheit“. Mithilfe von Analysen zu relevanten geschlechtsspezifisch diver- genten Ergebnissen zu den Morbiditätskonstellationen sollen be- stehende Hypothesen belegt oder widerlegt werden und neue Hypo- hierfür festgelegten Schritte dargestellt. thesen generiert werden, um praxisnahe Versorgungs- bzw. Präven- Aufgrund mangelnder zentraler Patientenregister in der Bun- tionskonzepte zu erarbeiten. Diese Erkenntnisse sollen neben der desrepublik Deutschland haben Routinedatenanalysen in den letz- Lehre auch in die Aus-, Weiter- und Fortbildung einfließen, sowohl ten Jahren als Alternative bzw. Ergänzung zu empirischen Studi- von Ärzten als auch anderen Gesundheitsfachberufen. Es sollen en im medizinischen Bereich deutlich an Stellenwert gewonnen. Erkrankungen basierend auf epidemiologischen Entwicklungen be- Entsprechende Daten sind bei gesetzlichen Kranken-, Renten- und rücksichtigt werden, auch mit entsprechenden Risikokategorien zum Unfallversicherungen vorhanden. Diese Daten dienen primär Ab- Beispiel Hochrisiko-Patienten mit Diabetes mellitus und/oder koro- rechnungszwecken, können jedoch unter Beachtung entsprechender nare Herzerkrankung und/oder Nierenerkrankung usw., die nur bei datenschutzrechtlicher Auflagen in anonymisierter Form über ihren einem als auch bei beiden Geschlechtern auftreten. Übergeordnetes originären Zweck hinaus für wissenschaftliche Auswertungen ge- Ziel des Projektes ist es, geschlechtsmedizinische und -spezifische nutzt werden (Zeidler et Braun 2011 4). Von Vorteil sind hierbei die Prävention und Förderung der geschlechtsspezifischen Gesundheit Verfügbarkeit großer Datensätze sowie die Möglichkeit der Analyse mehr als bisher in der Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen. sektorenübergreifender Versorgungsprozesse im Längsschnitt. Methodik Grundlagen zur Epidemiologie und Krankheitslast gemäß Inan- spruchnahme von Leistungen anhand von AOK-Routinedaten- Die fachübergreifende hausarztzentrierte Versorgung sowie die analysen Facharztverträge der AOK Baden-Württemberg bilden einen leiten- Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass sie den inhaltlichen Korridor für die zu entwickelnden Forschungsfra- zu anderen als wissenschaftlichen Zwecken erhoben wurden (Zeid- gen. Sie adressieren umfassend, evidenzbasiert und biopsychosozial ler et Braun 2011 4). Deskriptive Auswertungen zur ambulanten ausgerichtet chronifizierende Erkrankungen, wie auch nicht-me- Versorgung der Versicherten der AOK Baden-Württemberg mit über dikamentöse Beratung, wenn in der Fachliteratur entsprechende 4,5 Millionen Menschen beziehen sich hier populationsbezogen auf Über-, Unter- und Fehlversorgung beschrieben wird2. Dies gilt un- Altersgruppen und Geschlechtsverteilungen mit entsprechender Zu- ter anderem für muskuloskelettale, kardiovaskuläre, nephrologische ordnung von Diagnosen, ggf. auch zum behandelnden Allgemein- (sog. Progressionsverzögerung) Erkrankungen und auch die inter- mediziner/Facharzt/Psychotherapeuten, zur medikamentösen und disziplinäre Versorgung bei psychischen Störungen sowie für die sonstigen z.B. auch Verhaltens-Therapiemaßnahmen. Es liegen gemeinsame Entscheidungsfindung durch Förderung von Gesund- Zahlen für Erkrankungen vor, welche sich durch einen ICD-Code heitskompetenzen. beschreiben lassen und wegen derer der Versicherte eine GKV-Lei- stung in Anspruch genommen hat. Risikofaktoren wie beispielswei- Projektablauf se Adipositas, Rauchen oder Alkoholkonsum werden bisher weniger Das Gesamtprojekt wird in inhaltliche Teilprojekte unterteilt, die verlässlich kodiert, wobei Erkrankungen wie die COPD (chronisch in Kooperation, jedoch federführend von jeweils einem der Part- obstruktive Lungenerkrankungen) ohnehin zu über 90% auf chro- ner bearbeitet werden. In der ersten Projektphase wird hierzu eine 2. v.a. Gutachten www.svr-gesundheit.de; Gesundheitsbericht www.rki.de; QiSA gemeinsame Vorgehensweise beschlossen. In Abbildung 1 sind die www.aqua-institut.de. 74 Monitor Versorgungsforschung 03/2021
MVF 03/2021 14. Jahrgang 07.06.2021 Wissenschaft nischen Nikotinabusus zurückzuführen sind. unterschiedlichen Risikokonstellationen zielgerichtete, auf die je- Zu berücksichtigen wären u.a. im Abgleich auch die Gesundheits- weilige Zielgruppe zugeschnittene Präventions- und Interventions- berichtserstattung vom Robert Koch-Institut und dessen Analysen empfehlungen zu geben und Konzepte zu entwickeln, wie diese in (www.rki.de) sowie die Berichte und Versorgungsanalysen des Wis- die Praxis und auch in die Fort- und Weiterbildung umgesetzt wer- senschaftlichen Instituts der AOK zu allen AOKs (www.wido.de). den können. Bei der Datenanalyse sowie der Interpretation der Ergebnisse Das Department für Frauengesundheit untersucht in Kooperation werden die genannten Grundlagen und deren Limitationen berück- mit der Universitätsfrauenklinik Heidelberg das Auftreten von chro- sichtigt und jeweils diskutiert. nischen Nierenerkrankungen sowie kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen bei Frauen mit hypertensiven Schwangerschaftserkran- Hypothesen und vorläufige Ergebnisse kungen. Neben modifizierbaren Risikofaktoren bzw. Komorbiditäten werden dabei auch Parameter berücksichtigt, die das Kind betreffen. Der erste Fokus dieses Kooperationsprojektes ist das übergeord- Hypertensive Erkrankungen treten in 8% aller Schwangerschaf- nete Thema „Nephrologie“ mit dem Schwerpunkt der chronischen ten auf, tragen zu 20 – 25% der perinatalen Mortalität bei und Nierenerkrankungen (ICD-10 N 18.- gemäß www.dimdi.de). stehen in Europa an führender Stelle der mütterlichen Todesursa- Das Institut für Allgemeinmedizin untersucht in diesem Zusam- chen (S2k-Leitlinie Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen menhang, ob geschlechtsspezifische Unterschiede im Hinblick auf 2019 12; Kühnert 2016 13). Dabei ist die Präeklampsie von be- verschiedene Outcomes (Progression der Erkrankung, kardiovasku- sonderer Bedeutung: 10-15% aller maternalen Todesfälle stehen in läre Ereignisse, Hospitalisierung, Mortalität) sowie Risikofaktoren Zusammenhang mit einer Präeklampsie/Eklampsie, weltweit ist sie für deren Eintreten bestehen. Dabei werden soziodemografische und für mindestens 70.000 mütterliche Todesfälle pro Jahr verantwort- ggf. Lebensstil-Faktoren genauso berücksichtigt, wie bestehende lich (Lo Jo et al. 2013 14). Im klinischen Alltag gibt es dabei eine Komorbiditäten, Medikamenteneinnahme sowie verschiedene As- deutliche Schnittmenge mit anderen bzw. ähnlichen klinischen Ma- pekte der Versorgung. Ein Ziel dieser ersten Untersuchung ist es, die nifestationen einer plazentaren Dysfunktion wie beispielsweise der Inzidenz der CKD bei den Versicherten der AOK Baden-Württemberg IUGR (Intrauterine Growth Retardation). im Zeitraum von 2011 bis 2018 zu bestimmen und geschlechtsspe- Da derzeit eine kausale Therapie der Eklampsie/Präeklampsie zifische Unterschiede zu identifizieren, zum Beispiel im Hinblick auf fehlt, richtet sich der Schwerpunkt auf die Senkung der maternalen das Verordnungs- und Überweisungsverhalten oder andere präven- und kindlichen Morbidität und Mortalität durch Prävention, einer tive Aspekte. Des Weiteren sollen in der Längsschnittstudie die As- möglichst frühen Erkennung, Risikostratifizierung und Detektion soziationen zwischen dem Geschlecht und verschiedenen Outcomes von Zeichen einer klinischen Manifestation. Das Management dieser untersucht werden. Konkret sollen die folgenden Fragestellungen Erkrankung in der Schwangerschaft sollte so weit wie möglich evi- mit Hilfe von Regressionsanalysen beantwortet werden: denzbasiert, interdisziplinär und in einer Klinik der Versorgungsstu- 1. Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich fe Level 1 erfolgen (S2k-Leitlinie Hypertensive Schwangerschafts- der folgenden Outcomes: Mortalität, Kardiovaskuläre Ereignisse, erkrankungen 2019 12; Buemi et al. 2004 15). Frauen, die generell Progress der Niereninsuffizienz bis hin zur terminalen Nierenin- eine Form der Präeklampsie und besonders die Frauen, die eine suffizienz, Hospitalisierung? schwer verlaufende Form der Präeklampsie durchgemacht haben, 2. Sind verschiedene Faktoren (u.a. Lebensstil, Soziodemografie, zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko, nach einigen Jahren eine kar- Gesundheitsfaktoren) bei Männern und Frauen mit unterschied- diovaskuläre, zerebrovaskuläre oder nephrologische Erkrankung zu lichen Outcomes assoziiert? entwickeln (Wu et al. 2014 16; Vikse et al. 2008 17; Lykke et al. 2009 18; Auger et al. 2017 19; Cunningham et al. 2018 20). Dieses Aus der Literatur sind bereits einige geschlechtsspezifische Un- Risiko wurde ebenso vom Vorliegen einer Adipositas und eines Di- terschiede in Bezug auf Prävalenz, Verlauf und Mortalität bekannt abetes beeinflusst. (Correro et al. 2018 5). Demnach erkranken Frauen häufiger an einer Ein einheitliches Nachsorgekonzept existiert zum aktuellen Zeit- chronischen Nierenerkrankung als Männer (Correro et al. 2018 5; punkt nicht. Die ausgedehnte Literaturrecherche hat verdeutlicht, Hill et al. 2016 6). Jedoch schreitet die Erkrankung bei Männern dass sich die Empfehlungen zu Nachsorge und Follow-Up nach Prä- schneller voran und die Inzidenz einer terminalen Niereninsuffizi- eklampsie stark zwischen den einzelnen nationalen Leitlinien hin- enz ist höher als bei Frauen (Correro et al. 2018 5; Gallieni et al. sichtlich Beginn, Inhalt und Zielgruppe der Nachsorge unterschei- 2012 7). Männer und Frauen unterscheiden sich auch hinsichtlich den (Bro Schmidt et al. 2017 21). des Beginns einer Nierenersatztherapie, beispielsweise mittels Dia- Auch in Deutschland mangelt es bislang an einem strukturierten lyse, wobei Männer häufiger und früher dialysiert werden als Frauen Versorgungskonzept für Frauen mit stattgehabter Präeklampsie in (Correro et al. 2018 5; Neugarten et Golestaneh 2019 8). Patienten der Schwangerschaft, Empfehlungen zur Prävention beziehen sich zu identifizieren, die ein hohes Risiko für einen schnellen Progress hauptsächlich auf medikamentöse Aspekte mit der Einnahme von hin zur terminalen Niereninsuffizienz haben, stellt aufgrund der Aspirin in einer Folgeschwangerschaft (Rolnik et al. 2017 22; Rol- Heterogenität in Bezug auf Ätiologie und Komorbiditäten eine He- nik et al. 2017 23) eine lebensstilbedingte Beratung und/oder Auf- rausforderung dar. Etablierte Risiko-Scores und Formeln wurden bis- klärung. her überwiegend mit Patienten aus nephrologischen Einrichtungen Ein Ziel in diesem Teilprojekt ist die Entwicklung eines gere- erstellt (Tangri et al. 2016 9). Daten zu Patienten aus der Haus- gelten, stufenweisen Nachsorgekonzeptes auf der Basis der durch arztpraxis bzw. aus Deutschland fehlen oder sind mit selektierten die Datenanalysen gewonnen Erkenntnisse bzgl. der Risikokonstel- Patientenkollektiven durchgeführt worden (Herget-Rosenthal et al. lationen für die Entwicklung weiterer Krankheitsaspekte für Frauen 2013 10; Herget-Rosenthal et al. 2006 11). nach präeklamptischer Schwangerschaft; darüber hinaus sollen Vor- Ziel dieses Teilprojektes ist es somit, anhand der so ermittelten schläge abgeleitet werden, wie dieses Konzept Eingang in die Ver- Monitor Versorgungsforschung 03/2021 75
Wissenschaft MVF 03/2021 14. Jahrgang 07.06.2021 sorgung der betroffenen Frauen finden kann und wo es ggf. in Aus-, In einem weiteren Schritt, der nicht mehr Gegenstand des vor- Fort- und Weiterbildung integriert werden kann. liegenden Projektes ist, gilt es dann, diese geschlechtsspezifischen Präventionsprogramme zu implementieren und zu evaluieren.
MVF 03/2021 14. Jahrgang 07.06.2021 Wissenschaft Zitationshinweis Gender specific health care and prevention in the Hawighorst-Knapstein et al.: „Geschlechtsspezifische Präventionsmedizin & context of a society of longer life: development Frauengesundheit in unserer ,Gesellschaft des längeren Lebens´“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (03/21). S. 73-77. http://doi.org/10.24945/MVF.03.21.1866- and perspective based on a statutory claims data 0533.2304 analysis In view of demografic developments, the importance of biopsychosocially oriented quality of care, especially from a gender perspective, is growing. The cooperative project between the university hospitals of Tübingen and Heidelberg and the AOK Autorenerklärung BaWü aims to identify morbidity patterns. The results of these analyses will be Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. used to further develop gender-specific care and prevention within the framework of general practitioner and specialist treatment paths. Keywords genderspecific healthcare, prevention, statutory claims data PD Dr. med. Sabine Hawighorst-Knapstein ist Frauenärztin mit Weiterbildungen in Psychotherapie, ärztlichem Qualitätsmanagement, in Ernährungs- und Sportmedizin. Forschungsschwerpunkt war u.a. die Lebensqualität schwer kranker Frauen. Seit 2003 ist sie in der AOK Baden-Württemberg inhaltlich mitverantwortlich für die Ausgestaltung der DMPs sowie der haus- und fachärztlichen besonderen Versorgung mit dem Ziel, biopsychosoziale Versorgungsqualität zu fördern. Kontakt: Sabine.Knapstein@bw.aok.de Prof. Dr. med. Stephanie Wallwiener ist stellvertretende leitende Oberärztin der Sektion Geburtshilfe an der Universitätsfrauenklinik Heidelberg. Ihre klinischen Schwerpunkte sind die spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin sowie die Pränataldia- gnostik. In der Forschung beschäftigt sie sich mit Aspekten der Versorgungsforschung, Digitalisierung im Peripartalzeitraum sowie der langfristigen Frauengesundheit. Kontakt: stephanie.wallwiener@gmail.com Prof. Dr. med. Stefanie Joos ist seit 2015 Ärztliche Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versor- gung der Universität Tübingen. Sie leitet außerdem das Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung Tübingen (ZÖGV). Ihre Schwerpunkte sind neben innovativen Aspekten der interprofessio- nellen Zusammenarbeit und Digitalisierung in der Primärversorgung die Erforschung komplementärer Verfahren sowie Aus- und Weiterbildungsforschung in der Allg.-medizin. Kontakt: Stefanie.Joos@med.uni-tuebingen.de Prof. Dr. med. Sara Brucker studierte Humanmedizin in Freiburg und Paris. Sie ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe mit den Schwerpunkten Gynäkologische Onkologie und Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin. Seit 2018 ist sie Geschäftsführende Ärztliche Direktorin der Abteilung für Frauengesundheit am Universitätsklinikum Tübin- gen. Sie ist Präsidentin der Dt. Gesellschaft für Senologie. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Gynäkologische Onkologie, Brustkrebserkrankungen und genitale Fehlbildungen. Kontakt: sara.brucker@med.uni-tuebingen.de Miriam Colombo MPH ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen. Sie studierte Soziologie und Anglistik/Amerikanistik. An der Ludwig- Maximilians-Universität München folgte ein Masterabschluss in Public Health. Im Anschluss war sie wissen- schaftliche Mitarbeiterin am KORA Herzinfarktregister in Augsburg. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit studiert sie seit 2015 Humanmedizin. Kontakt: miriam.colombo@med.uni-tuebingen.de Frauke Saalmann MSc ist seit 2017 im Bereich intersektorale Versorgungsanalytik bei der AOK Baden-Württemberg in Stuttgart tätig. Während ihres Masterstudium an der Hochschule Fulda legte sie einen Schwerpunkt auf quantitative Forschung und Gesundheitsökonomie. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Evaluationen von Versorgungsverträgen und die Beratung und Begleitung von Forschungsprojekten zum Thema Routinedatenanalysen. Kontakt: frauke.saalmann@bw.aok.de Monitor Versorgungsforschung 03/2021 77
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