NEUES ARBEITSRECHT IN BIH - EU-REFORMEN UND INTERNATIONALE FINANZINSTITUTIONEN - BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

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Analyse

  Sarajevo

   Neues Arbeitsrecht in BiH - EU-Reformen
   und internationale Finanzinstitutionen

   Überfällige Strukturreformen oder
   neoliberaler Abbau von Arbeiterrechten?
   Bodo Weber, Berlin
   14.11.2016.

„„ Am 31. Juli 2015 verabschiedet das Parlament der Föderation von Bosnien-Herzego-
   wina ein neues Arbeitsgesetz – trotz massiver Proteste des Gewerkschaftsbundes
   der Entität (SSSBiH). Die EU und die internationalen Finanzinstitutionen im Land un-
   terstützen die Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes und bezeichnen ihn als ei-
   nen wichtigen ersten Schritt hin zu umfassenderen sozio-ökonomischen Strukturre-
   formen in BiH.

„„ Die Reform-Agenda bildet das Herzstück der neuen EU-Initiative in Bosnien-Herzego-
   wina, die auf die deutsch-britische Bosnieninitiative vom November 2014 zurückgeht.

„„ Mit der Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes in der Föderation BiH, welches
   die bestehende Fassung aus dem Jahr 1999 ablöst, geht ein siebenjähriges Ringen
   zwischen Arbeitsgebern, Gewerkschaften und Regierungen im Bruch der Sozialpart-
   nerschaft zu Ende. Im Drängen der Regierung auf eine schnelle Einigung, welche die
   Verabschiedung eines neuen Gesetzes noch vor der parlamentarischen Sommerpau-
   se ermöglichen soll, kommt es zum Bruch mit den Gewerkschaften. Ende Juli verab-
   schiedet das Parlament der größeren Entität BiHs im Eilverfahren das neue Arbeitsge-
   setz, begleitet von wütenden Protesten von geschätzten Zehntausend
   Gewerkschaftsmitgliedern.

„„ Am 29. Dezember 2015 wird auch in der RS ein neues Arbeitsgesetz im Eilverfahren
   – trotz massiver Proteste des Gewerkschaftsbundes der RS – verabschiedet. Das
   neue Arbeitsgesetz löst das bestehende Arbeitsgesetz aus dem Jahr 2007 ab.
Bodo WebeR | Neues Arbeitsrecht in BiH

    Sarajevo

Inhalt         I	Einleitung: Die kontroverse Verabschiedung der neuen Arbeitsgesetzgebung in
                 den beiden Entitäten BiH’s.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 3

               II	Die neue Arbeitsgesetzgebung in der Föderation von BiH.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4

                     1. Argumente und Positionen von Regierung, Arbeitgeberverbände,
                        Gewerkschaften und Internationaler Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

                     2. Alte Arbeitsgesetzgebung, bestehendes Tarifsystem und Rechtspraxis . . . . . . 6

                     3. Das neue Arbeitsgesetz – eine vergleichende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

                     4. Die neue Allgemeine Kollektivvereinbarung (OKU) –
                        Verhandlungsverlauf und vergleichende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

                     5. Das Verfassungsgerichtsurteil zum neuen Arbeitsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

               III	Die neue Arbeitsgesetzgebung in der Republika Srpska .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 15

                     1. Argumente und Positionen von Regierung, Arbeitgebern,
                        Gewerkschaften und Internationaler Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

                     2. Alte Arbeitsgesetzgebung, bestehendes Tarifsystem und Rechtspraxis . . . . . 17

                     3. Das neue Arbeitsgesetz – eine vergleichende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

               IV	Die neue Arbeitsgesetzgebung im Kontext der EU Reform-Agenda .  .  .  .  .  .  .  .  . 20

               	Resümee.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 21

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Bodo WebeR | Neues Arbeitsrecht in BiH

        Sarajevo

I Einleitung: Die kontroverse                                                zwischen Arbeitsgebern, Gewerkschaften und
Verabschiedung der neuen                                                     Regierungen im Bruch der Sozialpartnerschaft zu
Arbeitsgesetzgebung in den beiden                                            Ende. Bereits im Jahr 2008 waren Verhandlungen
Entitäten BiH’s                                                              über eine Neufassung des Gesetzes aufgenom-
                                                                             men worden. Ein 2010 erarbeiteter Gesetzent-
Am 31. Juli letzten Jahres hat das Parlament der                             wurf wurde 2012 von der damaligen Regierung
Föderation von Bosnien-Herzegowina ein neues                                 aus dem parlamentarischen Verfahren zurück-
Arbeitsgesetz verabschiedet – trotz massiver                                 gezogen. Nach Wahlen im Oktober 2014 und Re-
Proteste des Gewerkschaftsverbandes der Enti-                                gierungsbildung wurden die Verhandlungen im
tät.1 Das Gesetz wurde von der EU und den in-                                Frühjahr 2015 neu aufgenommen. Im Drängen
ternationalen Finanzinstitutionen als wichtiger                              der Regierung auf eine schnelle Einigung, wel-
erster Schritt hin zu umfassenderen sozio-ökono-                             che die Verabschiedung eines neuen Gesetzes
mischen Strukturreformen in BiH auf dem Weg                                  noch vor der parlamentarischen Sommerpause
zur EU-Integration des Landes begrüßt.                                       ermöglichen sollte, kam es zum Bruch mit den
                                                                             Gewerkschaften. Ende Juli verabschiedete das
Das Arbeitsgesetz ist Teil der Reformbedingun-                               Parlament der größeren Entität BiHs im Eilver-
gen der sog. Reform-Agenda, einem umfas-                                     fahren das neue Arbeitsgesetz, begleitet von wü-
senden Programm an strukturellen Reformen                                    tenden Protesten von geschätzten Zehntausend
in Wirtschaftspolitik und Sozialsystemen. Die                                Gewerkschaftsmitgliedern.
Reform-Agenda bildet das Herzstück der neuen
EU-Initiative in Bosnien-Herzegowina, die auf die                            In der Republika Srpska zog die dortige Regie-
deutsch-britische Bosnieninitiative vom Novem-                               rung kurz vor Jahresende 2015 nach. Am 29.
ber 2014 zurückgeht. Der wirtschaftspolitische                               Dezember wurde ein neues Arbeitsgesetz durch
Teil des Pakets von Bedingungen im Rahmen des                                die Stimmen der Regierungskoalition vom Enti-
EU-Integrationsprozesses wiederum stellt keine                               tätsparlament ebenfalls im Eilverfahren verab-
Besonderheit der europäischen Politik für Bos-                               schiedet. Es löste das bestehende Arbeitsgesetz
nien dar, sondern basiert vielmehr auf dem sog.                              aus dem Jahr 2007 ab. Das Zustandekommen
European Semester – der Ausdehnung der Politik                               der Gesetzesänderung folgte dabei weitgehend
der EU der stärkeren Harmonisierung von econo-                               dem Muster aus der Föderation: Vorausgegan-
mic governance unter den EU-Mitgliedsstaaten                                 gen war ebenfalls ein jahrelanges Ringen zwi-
als Reaktion auf die Griechenlandkrise auf die EU-                           schen Regierung und Sozialpartnern um die Re-
Erweiterungspolitik, bzw. ihrer Anwendung auch                               form. Ein Gesetzesvorschlag der Regierung aus
auf die (potentiellen) Beitrittskandidaten, v.a. des                         dem Jahr 2013 wurde von dieser nach massiven
Westlichen Balkan. Diese mit den internationalen                             Protesten der Gewerkschaften wieder zurückge-
Finanzinstitutionen (IFIs, v.a. IWF, Weltbank) ab-                           zogen. 2015 blieb eine kurze Verhandlungspha-
gestimmte Politik von stärkerer fiskaler Disziplin                           se zwischen Regierung, Gewerkschaften und
und strukturellen Wirtschaftsreformen hat auch                               Arbeitgebervertretern ohne Einigung und endete
in Nachbarländern wie z.B. Serbien zur Einfüh-                               wie in der Föderation mit dem Bruch der Sozi-
rung neuer Arbeitsgesetzgebung geführt, welche                               alpartnerschaft, insbesondere mit den Gewerk-
in ähnlicher Weise von Gewerkschaftsprotesten                                schaften. Das Votum des Parlaments der RS
und dem Vorwurf des Abbaus von Arbeiterrech-                                 über den Gesetzentwurf im Dezember war wie
ten und sozialstaatlichen Standards begleitet war.                           zuvor im Sommer in Sarajevo begleitet von mas-
                                                                             siven Gewerkschaftsprotesten. Als Höhepunkt
Mit der Verabschiedung des neuen Arbeitsgeset-                               der Auseinandersetzungen zwischen Regierung
zes, welches die bestehende Fassung aus dem                                  und Gewerkschaften kam es im Parlament zur
Jahr 1999 ablöste, ging ein siebenjähriges Ringen                            Gewaltanwendung gegen die Vorsitzende des
1 Siehe u.a.: http://www.klix.ba/vijesti/bih/iznimno-napeta-situacija-       Gewerkschaftsbundes der RS Ranka Mišić durch
ispred-parlamenta-fbih-radnici-probili-ogradu/150730079; http://www.         den Sicherheitsdienst bei deren Entfernen aus
tv1.ba/vijesti/bosna-i-hercegovina/dogadjaji/23777-bezuspjesni-
protest-zbog-zakona-o-radu.html.                                             dem Parlamentsgebäude.

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Bodo WebeR | Neues Arbeitsrecht in BiH

     Sarajevo

Die Verabschiedung der Arbeitsgesetze in den             würde mit dem neuen Gesetz mehr Ordnung in
beiden Entitäten Bosniens und der Herzegowina            Arbeits- und Tarifrecht gebracht und Rechtssi-
wurde begleitet von zum Teil diametral gegen-            cherheit hergestellt. Wie die Regierungsvertreter
überstehenden Einschätzungen und Darlegun-               betonten, sei das Gesetzt ihnen nicht von außen,
gen was die aktuelle Situation und die Effekte           durch die internationalen Finanzinstitutionen
der bis dahin gültigen Arbeitsgesetzgebung, wie          (IFIs) aufgezwungen worden, sondern stelle viel-
auch was Inhalt und Effekte der neuen Gesetze            mehr einen Akt wirtschaftspolitischer Ratio dar.
betrifft.                                                So erklärte der Premierminister der Föderation,
                                                         Fadil Novalić in einem Interview, dass „wir über
II Die neue Arbeitsgesetzgebung in der                   die Verabschiedung des Arbeitsgesetzes endlich
Föderation von BiH                                       zu sozio-ökonomischer Sicherheit, wirtschaftli-
                                                         cher Erholung, und damit zur Verbesserung der
1. Argumente und Positionen von Regierung,               Lebensverhältnisse aller Bürger in der Föderation
Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und                  BiH kommen.“2
Internationaler Gemeinschaft
                                                         Die Arbeitgeber, allen voran der Arbeitgeberver-
Die Regierung und ihre Vertreter verteidigten            band der Föderation BiH begrüßte ausdrücklich
die Gesetzesreform als wichtigen ersten Schritt          die Verabschiedung des neuen Gesetztes, ob-
hin zu einer umfassenden Reformpolitik und               gleich er sich noch weitergehende Änderungen
bezeichneten die Kritik der Gewerkschaften als           zugunsten der Arbeitsgeberseite gewünscht hät-
unberechtigt und unvernünftig. Das bestehen-             te und im Gesetzestext noch zu viele Zugeständ-
de, alte Arbeitsgesetz wurde als Haupthindernis          nisse an die Gewerkschaften identifizierte.
für mehr inländische und ausländische Investi-
tionen identifiziert. Außerdem privilegiere es die       Für die Arbeitgeberseite habe das alte Arbeits-
Beschäftigten im öffentlichen Sektor, in der Ver-        gesetz eine „Hyperproduktion an Arbeiterschutz-
waltung und den staatlichen Unternehmen, die             rechten“ zur Folge gehabt. Zwar habe das Gesetz
gegenüber den Arbeitern und Angestellten in der          zur Zeit seiner Verabschiedung Ende der 1990er
Privatwirtschaft über mehr Rechte und ein Viel-          Jahre zu den modernsten und liberalsten in der
faches an Gehalt verfügten. Das Arbeitsgesetz            Region gehört. Da es aber am Übergang von
und das darauf beruhende Tarifvertragssystem             alten sozialistischen zu marktwirtschaftlichen
habe zu komplizierten rechtlichen Verhältnissen          Verhältnissen entstanden sei, seien viele seiner
geführt. Eine Folge davon seien einige zehntau-          Regelungen heute veraltet und den Bedingungen
sende arbeitsrechtliche Verfahren, aus denen der         der Marktökonomie unangemessen. Außerdem
Regierung Verpflichtungen von über einer Milli-          gelte es, das Arbeitsrecht an internationale Kon-
arde Bosnischer Mark (KM, entspricht 500 Mio.            ventionen und EU-Recht anzupassen.
Euro) erwachsen sei, was eine Bedrohung für den
Haushalt darstelle.                                      Demgegenüber ermögliche das neue Arbeitsge-
                                                         setz die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen,
Demgegenüber, erklärten Regierungsvertreter,             v.a. durch die Liberalisierung des Kündigungs-
bringe das neue Arbeitsgesetz zahlreiche Vortei-         rechts und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten.
le für alle Beteiligten. So garantiere es mehr Ar-       Außerdem würden endlich Voraussetzungen für
beiterrechte – es gebe etwa 30 neue Regelungen,          die Kündigung bestehender Tarifverträge und
u.a. zu Mobbing und Diskriminierung. Außerdem
schaffe es soziale Gerechtigkeit, weil es die ex-        2 „Protiv Zakona o radu su bili oni čija je prosječna plata između hiljadu
                                                         i dvije hiljade maraka,“ Slobodna Bosna, Sarajevo, 13. August 2015; http://
tremen Lohnunterschiede zwischen dem realen              www.klix.ba/vijesti/bih/novalic-stari-je-zakon-o-radu-stitio-samo-pov-
und öffentlichen Beschäftigungssektor beseitige.         lastene/150723093; http://www.klix.ba/vijesti/bih/novalic-ne-mogu-se-
                                                         nacuditi-da-sindikat-nije-podrzao-prijedlog-zakona-o-radu/150727057;
Die mit dem Gesetz geschaffenen Bedingungen              http://www.klix.ba/vijesti/bih/novalic-za-klix-ba-milijardu-km-tereta-
zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wür-             po-tuzbama-na-osnovu-kolektivnih-ugovora/150807035; http://www.
                                                         tv1.ba/vijesti/bosna-i-hercegovina/dogadjaji/23810-zakon-o-radu-nije-
den zu mehr Beschäftigung führen. Schließlich            rezultat-pritiska-mmf.html.

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Bodo WebeR | Neues Arbeitsrecht in BiH

       Sarajevo

deren flexibleren Anwendung in der Zukunft ge-                              sei. Das Gesetz, so die Delegation, sei „vernünf-
schaffen. Zugleich führe das neue Gesetz zu                                 tig, ausgewogen und in Übereinstimmungen mit
höherer Sicherheit auf Seiten der Beschäftigten.                            den Prinzipien der EU.“ Das Gesetz verbessere die
Durch das neue Gesetz würde es endlich zur Har-                             Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen,
monisierung von Gesetzen und Regelungen im                                  etwa bei Mutterschutz und Elternzeit, und werde
Arbeits- und Tarifrecht kommen. Das würde auch                              neue Arbeitsplätze schaffen. In Bezug auf den
zur Beschleunigung der bisher außerordentlich                               massiven Protest der Gewerkschaften erklärte
langen Arbeitsgerichtsverfahren führen. Schließ-                            die EU-Delegation lapidar, dass „einige Menschen
lich komme es zur Abschaffung „unnötiger“                                   besorgt sind… aber es bestehen gute Gründe für
Lohnzusätze und mit der Einführung leistungs-                               Optimismus.“ Auch die Vertreter des Internatio-
abhängiger Bezahlung stehe endlich ein Instru-                              nalen Währungsfonds (IWF) in BiH begrüßten die
ment zur Verfügung, um gegen Beschäftigte mit                               Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes in
mangelnder Arbeitsdisziplin bis hin zu Arbeitsver-                          der Föderation als eine der Reformmaßnahmen
weigerung vorgehen zu können. Der Erhalt eines                              aus dem existierenden Reformpaket, welches
Rahmentarifvertrags auch im neuen Gesetz, er-                               zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zu besser
klärten die Arbeitgebervertreter, stelle ein Zuge-                          bezahlter Arbeit im offiziellen Arbeitsmarkt bei-
ständnis an die Gewerkschaftsseite dar, da es ein                           tragen werde. Zugleich werde die Revitalisierung
vergleichbares sonst überhaupt nur in drei weite-                           der Tarifverhandlungen zu einem besser funktio-
ren europäischen Staaten gebe. Demgegenüber                                 nierenden Arbeitsmarkt führen. Das neue Gesetz
begrüßten sie es als Haupterrungenschaft des                                schaffe die Voraussetzung für eine effektivere
neuen Gesetzes, dass die unbefristete Laufzeit                              Bekämpfung der Schwarzarbeit, und damit zu ih-
von Tarifverträgen aus dem alten Gesetz – eine                              rer Reduzierung. Positive bewertete der IWF, dass
Regelung die es nur in BiH gebe, abgeschafft                                das Gesetz eine bessere Verbindung von Arbeits-
werde.                                                                      leistung und Bezahlung herstelle. Zugleich werde
                                                                            der Arbeitnehmerschutz verbessert.5
Insgesamt werde die Einführung des neuen Ar-
beitsgesetzes im Effekt die unternehmerischen                               Diesen weitgehend übereinstimmenden Ein-
Kosten reduzieren, zur Verbesserung des Ge-                                 schätzungen stand die Haltung der Gewerkschaf-
schäftsklimas führen, die Konkurrenzfähigkeit                               ten in der Föderation BiH – des Verbandes Un-
der bosnisch-herzegowinischen Wirtschaft erhö-                              abhängiger Gewerkschaften BiHs (SSS BiH) und
hen und Investitionen im Land fördern. Dies alles                           seiner Mitglieder, den Spartengewerkschaften
wirke sich beschäftigungs- und wachstumsför-                                – gegenüber, die das vorgelegte neue Arbeitsge-
dernd aus.3                                                                 setz in nahezu allen seinen Teilen als eine weitrei-
                                                                            chende Beschneidung von Arbeitnehmerrechten
Diese positive Bewertung wurde auch von inter-                              kritisierten und ablehnten.
nationaler Seite geteilt. In einer schriftlichen Erklä-
rung der EU-Delegation in Bosnien-Herzegowina4                              So ermögliche nach Lesart von Gewerkschafts-
wurde das neue Arbeitsgesetz als wichtige Initia-                           vertretern das neue Gesetz die leichtere Entlas-
tive für das ganze Land begrüßt, welches Teil der                           sung von Behinderten, Langzeitkranken und Ge-
von den Regierungen im Land übernommenen                                    werkschaftsvertretern sowie Entlassungen mit
Verpflichtungen im Rahmen der Reformagenda                                  der Begründung betrieblicher Rationalisierungs-
                                                                            maßnahmen. Mit der Gesetzesänderung würden
3 Kako do povoljnijeg poslovnog ambijenta. Šta poslodavci očekuju           alle bestehenden unbefristeten Arbeitsverhältnis-
od vlasti, [Der Weg zu einem besseren Geschäftsklima. Was die Arbeit-
geber von der Regierung erwarten], Udruženje Poslodavaca FBiH [Ar-
                                                                            se zu befristeten, und die gesetzliche Neurege-
beitgeberverband der Föderation von Bosnien-Herzegowina], S. 60-71,         lung öffne die Tür für den Missbrauch befristeter
http://www.upfbih.ba/attachments/article/392/Knjiga.pdf; „Komentar
na primjedbe SSS BiH na tekst prijedloga Zakona o radu,“ http://www.        Arbeitsverträge im Sinne ihrer faktisch zeitlich
upfbih.ba/index.php/novosti.
                                                                            5 „Francisco Parodi, rezidentni predstavnik MMF-a u BiH: Napretka
4 „Statement on new Federation BiH Labour Law“, EU Delegation               ima, zapeli u detaljima,“ Oslobođenje, Sarajevo, 03. September 2015,
to Bosnia and Herzegowina, Sarajevo 31. July 2015, http://europa.           http://www.oslobodjenje.ba/intervju/francisco-parodi-rezidentni-preds-
ba/?p=35673.                                                                tavnik-mmfa-u-bih-napretka-ima-zapeli-u-detaljima.

                                                                        5
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unbegrenzten Verlängerung. Das Gesetz führe              verlagert wird.“ Das Gesetz sei der Regierung
zur Reduzierung des Mindestlohns, sehe gerin-            vom IWF aufgezwungen und werde zu größerer
gere Abfindungen bei Entlassung vor und führe            Abhängigkeit des Landes von den internationalen
zu mehr Überstunden. Des Weiteren werde die              Finanzinstitutionen und Finanzzentren und zu ei-
bestehende Möglichkeit, einen Teil des Jahres-           ner Schwächung des bosnischen Staates führen.
urlaubs im darauffolgenden Kalenderjahr in An-           Im Effekt, so die Gewerkschaften, werde keiner
spruch zu nehmen, abgeschafft, und damit den             der von Regierung, Arbeitgeberverbänden und
Arbeitgebern ein Hebel in die Hand gegeben, um           internationalen Institutionen prognostizierten po-
seinen Beschäftigten die ihnen gesetzlich garan-         sitiven Effekte eintreten. Die Flexibilisierung des
tierten Urlaubtage zu beschneiden. Insgesamt,            Arbeitsmarktes werde nicht zu mehr Beschäfti-
so die Gewerkschaften, bedeute das Arbeitsge-            gung und der Verringerung der Arbeitslosenquote
setz weniger Rechtssicherheit und Rechtschutz            führen. Es werde nicht zur Angleichung der Ver-
für Arbeitnehmer und weniger Sicherheit für              hältnisse von Arbeitern und Angestellten in Pri-
den Erhalt bestehender Arbeitsplätze. Das neue           vatwirtschaft und öffentlichem Sektor kommen;
Recht werde zur Verhinderung gewerkschaftli-             vielmehr werde das Gesetz zu einer weiteren
cher Organisierung in Betrieben führen, und zwar         Entrechtung der Beschäftigten im realen Sektor
einerseits durch die erleichtere Entlassung von          und zur „Schaffung eines Lumpenproletariats“
Gewerkschaftsfunktionären und andererseits               führen. Dies werde im Weiteren zu einer Schwä-
durch die gesetzlich neu gewonnene Macht der             chung des Haushalts in der Föderation beitragen.
Unternehmen hinsichtlich der rechtlichen Aner-           In einer gemeinsam von den Vorsitzenden des
kennung betrieblicher Gewerkschaftsorganisa-             Gewerkschaftsbundes Ismet Bajramović und
tionen. Außerdem kritisierten die Gewerkschaf-           der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei
ten die Einführung eines leistungsabhängigen             (SDP), Nermin Nikšić, unterzeichneten Erklärung
Lohnanteils. Sie bemängelten die nun gesetzlich          sagen diese vorher, dass das Gesetz, „das brutal
festgeschriebene zeitliche Begrenzung von Ta-            Arbeiterrechte degradiert, letztendlich zur Ver-
rifverträgen. Die Behauptung der Arbeitgeber,            minderung der Löhne führen wird. Im Endeffekt
unbefristete Tarifverträge gäbe es sonst in kei-         wird es u.a. zum Zusammenbruch des Renten-
nem anderen Land, wiesen sie als faktisch falsch         systems kommen.“6
zurück; diese gebe es z.B. auch in Kroatien, das
EU-Mitglied sei. Als einer der zentralen Punkte          2. Alte Arbeitsgesetzgebung, bestehendes
kritisierten die Gewerkschaften, dass das neue           Tarifsystem und Rechtspraxis
Arbeitsgesetz festlege, dass alle bestehenden
Tarifverträge innerhalb einer zeitlich begrenz-          Für Verständnis und Bewertung des neuen Ar-
ten Frist an die Gesetzesänderung anzupassen             beitsgesetzes ist es zunächst notwendig, das
sind, und ansonsten ihre Rechtsgültigkeit verlie-        bisher gültige Arbeitsrecht, das darauf aufbau-
ren. Dies werde die Gewerkschaften nach ihrer            ende Tarifvertragssystem und ihre Praxisseite in
Einschätzung in eine Art Erpressungssituation            der Föderation BiH - und teilweise darüber hin-
bringen, in der sie sich gezwungen sehen wer-            aus- kurz darzustellen.
den, einem für ihre Mitglieder klar nachteiligen
Rahmentarifvertrag zuzustimmen, während es               Das bisher gültige Arbeitsgesetz in der Föderati-
zugleich zum Verlust eines Großteils der beste-          on stammt aus dem Jahr 1999, d.h. es entstand
henden Sparten- und Flächentarifverträge ohne            am Übergang von ehemaliger sozialistischer
Neuabschluss kommen werde.                               und Kriegs- zu Marktwirtschaft. Das Gesetz bil-
                                                         det den arbeitsrechtlichen Rahmen in Bezug auf
Insgesamt bewerteten die Gewerkschaften, dass
die Lösungen im neuen Arbeitsgesetz „dem neo-            6 „Osvrt na nova rješenja u Prijedlogu zakona o radu kojim se
                                                         umanjuju prava ili pogoršava radno-pravni status i položaj radnika u
liberalen Konzept der Flexibilisierung folgen, mit       odnosu na važeći zakon,“ „Saopštenje za javnost Sindikata metalaca,“
dem das gesamte unternehmerische Risiko vom              zugänglich unter: http://www.sssbih.com.ba/; Flyer des SSS BiH „Ne
                                                         novom zakonu o radu“ [Nein zum neuen Arbeitsgesetz]; „Radnici, imate
Unternehmer auf den Arbeiter und seine Familie           vremena za posljednju želju,“ BH Dani, Sarajevoi 31. July 2015.

                                                     6
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Arbeitsverträge und Kündigungen, Aus-, Fort-                                für vorübergehende Verlagerung des Arbeits-
und Weiterbildung, hinsichtlich Arbeitszeiten,                              orts weg vom Wohnort, sowie die Erhöhung des
Arbeitspausen und Urlaub. Es definiert beson-                               Lohns je Beschäftigungsjahr) als Prozentanteil
dere Schutzrechte für minderjährig Beschäftig-                              des Lohns fest. Geregelt sind in der Vereinbarung
te, Frauen und Behinderte. Es bildet den recht-                             die Arbeitsbedingungen der Gewerkschaften in
lichen Rahmen für die Festsetzung von Löhnen                                Betrieben und Behörden, Regeln zu den Tarifver-
und Zusatzleistungen zum Grundlohn (wie Ur-                                 handlungen und für Streiks.
laubsgeld, Überstunden u.a.) sowie von Abfin-
dungen. Außerdem regelt es das Tarifvertrags-                               Die Spartentarifverträge bestimmen die Anzahl
system, Arbeitskonflikte und Streiks. Schließlich                           an Urlaubstagen, die Lohnfortzahlung bei Abwe-
bestimmt es die Einrichtung eines sogenannten                               senheit vom Arbeitsplatz (Heirat, Geburt Kind,
Wirtschaftlich-sozialen Rates als Ort des Dialogs                           Krankheit-Tod Angehörige, Umzug, Blutspende)
zwischen Regierung, Arbeitgeberverbänden und                                sowie die Reallöhne über die Festsetzung der
Gewerkschaftsverband.7                                                      Koeffizienten (nur Privatwirtschaft – für den öf-
                                                                            fentlichen Dienst gelten andere Regeln) und die
Darauf gründend gibt es ein System von Tarifver-                            tatsächliche Höhe der Lohnzusätze.
trägen, die in Bosnien-Herzegowina „Kollektivver-
einbarungen“ heißen, und das einerseits aus einer                           Die erste allgemeine Kollektivvereinbarung der
sogenannten allgemeinen Kollektivvereinbarung,                              Föderation wurde 2000 getroffen, die aktuel-
einer Art Rahmentarifvertrag für die gesamte Fö-                            le Fassung ist aus dem Jahr 2005 – 2008 und
deration BiH, und andererseits aus Spartentarif-                            2012 wurden lediglich Anpassungen des Min-
verträgen für das Gebiet der Föderation bzw. er-                            deststundenlohns an die Kaufkraft- und Inflati-
gänzende nur für einzelne Kantone besteht.                                  onsentwicklung vorgenommen. So liegt aktuell
                                                                            der Mindeststundenlohn bei 2,15 KM (1,1 EUR)
Die allgemeine Kollektivvereinbarung (OKU),8 die                            und der Mindestmonatslohn bei 389 KM (199
für alle Arbeiter und Angestellten, d.h. im privaten                        EUR) netto bzw. 3,28 KM (1,68 EUR) und 577 KM
wie im öffentlichen Sektor gilt und ebenso wie die                          (295 EUR) brutto. Das Dokument sieht Mindest-
Spartentarifverträge zeitlich unbefristet ist, regelt                       zuschläge für Überstunden und Nachtarbeit von
das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitneh-                              je 30%, Wochenendarbeit 20%, Feiertagsarbeit
mern auf der Grundlage von Arbeitsverträgen;                                50%, für warme Mahlzeiten von 1% pro Tag und
es setzt die Höhe des Mindeststundenlohns fest                              Urlaubsgeld von 50% vor. Außerdem hat jeder Be-
und bestimmt, dass sich alle Stundenlöhne aus                               schäftigte bei der Verabschiedung in die Rente
der Multiplikation von Mindeststundenlohn mit                               Anrecht auf eine Einmalzahlung von mindestens
Koeffizienten (welche in Spartentarifverträgen                              drei Monatsgehältern.
gestaffelt nach Berufsgruppen und Funktion fest-
gelegt sind) errechnen. Die Vereinbarung aus der                            In der Föderation BiH existieren aktuell 17 Sparten-
Föderation BiH legt eine prozentuale Lohnsteige-                            tarifverträge, in der Republika Srpska, wo die ak-
rung je Beschäftigungsjahr bis zu einer Obergren-                           tuelle allgemeine Kollektivvereinbarung 2012 ge-
ze von 20% fest. Außerdem legt der Rahmentarif-                             troffen wurde, existieren 15 Spartentarifverträge.
vertrag den Mindestsatz für diverse Lohnzusätze
(für Überstunden, Nacht-, Wochenend- und Fei-                               Die Rechtslage im Tarifsektor ist chaotisch, v.a.
ertagsarbeit, für warme Mahlzeiten, Fahrtkos-                               in der Föderation. Dort ist ein Großteil der Spar-
ten zur Arbeit, Urlaubsgeld, Kostenerstattung                               tentarifverträge auch nach einem Jahrzehnt
                                                                            noch immer nicht mit der allgemeinen Kollektiv-
7 Zakon o radu FBiH, Službene Novine FBiH Nr. 43/99 (28.10.1999),           vereinbarung harmonisiert. Diverse Tarifverträge
http://fmrsp.gov.ba/s/images/stories/ZAKON_O_RADU.pdf.
                                                                            für den realen Sektor sind widerrechtlich, weil sie
8 Opći kolektivni ugovor za Teritoriju Federacije Bosne i Hercegovi-
ne, nicht-amtliche, bereinigte Fassung von 2008, http://www.podaci.         zwischen den Gewerkschaften und der Regie-
net/_gBiH/propis/Opci_kolektivni_ugovor/O-kutfbh04v0554-0862.html;          rung, und nicht den Arbeitgeberverbänden ge-
„Najniža satnica u FbiH se povećava za 10 posto?,“ http://www.upfbih.
ba/index.php/novosti-2/279-satnica.                                         schlossen wurden. Laut Arbeitgeberverband der

                                                                        7
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Föderation seien von den 17 Tarifverträgen über-                             von 50% (Rahmentarifvertrag: 30%) vergütet,
haupt nur vier rechtlich einwandfrei. Die Ursachen                           Nachtarbeit mit 35 % (30), Wochenendarbeit mit
für dieses Rechtschaos liegen u.a. im teilweisen                             30% (20), Feiertagsarbeit mit 50% (gleich), warme
Fehlen von Arbeitgeberverbänden in manchen                                   Mahlzeiten mit 2% pro Tag (1%), Urlaubsgeld mit
Branchen in der Privatwirtschaft begründet.9                                 70% (50) und das Arbeiten an Ort getrennt von
                                                                             Familie wird mit einem Lohnzuschlag von 70%
Von besonderer Bedeutung sind die arbeitsrecht-                              vergütet. Der Abschied in die Rente wird mit einer
lichen und tariflichen Regelungen für den öffentli-                          Einmalzahlung von 5 Monatsgehältern (Rahmen-
chen Sektor in der Föderation BiH, für den im Ver-                           tarifvertrag: 3) versüßt. Außerdem gibt es nach
hältnis zum privaten Sektor Zusatzbedingungen                                Jahren gestaffelte Einmalzahlungen für Dienstju-
herrschen. Davon ausgenommen sind die Be-                                    biläen – von einem halben Monatsgehalt für fünf
schäftigten im Gesundheits- und Bildungswesen                                Dienstjahre bis zu zweieinhalb Gehältern für das
sowie in öffentlichen Unternehmen, für die wie in                            35-jährige Dienstjubiläum. Diese Prämien wurden
der Privatwirtschaft das Arbeitsgesetz, das all-                             in den letzten Jahren aufgrund der angespannten
gemeine Kollektivabkommen sowie Spartentarif-                                Haushaltslage allerdings nicht ausgezahlt.10
verträge gelten. Allerdings haben sich die Ange-
stellten und Arbeiter in staatlichen Unternehmen                             Die unterschiedliche rechtliche und faktische Stel-
über die jeweiligen Tarifverträge Privilegien v.a. in                        lung von Beschäftigten im öffentlichen Sektor und
der Form von wesentlich höheren Löhnen als in                                in der Privatwirtschaft findet seine Entsprechung
vergleichbaren Beschäftigungen in der Privatwirt-                            auch in den Strukturen der Gewerkschaften.
schaft gesichert. In einem Monopolunternehmen
der Energiewirtschaft ist den Angestellten die                               Die Aufstellung der Gewerkschaften in Bosnien-
medizinische Versorgung ihrer Familienangehö-                                Herzegowina folgt der fragmentierten Staats-
rigen im Ausland garantiert.                                                 struktur des Landes. So existiert der Bund Un-
                                                                             abhängiger Gewerkschaften BiHs (SSS BiH), der
Im verbeamteten Recht des öffentlichen Diens-                                seinem Namen nach gesamtstaatlich, de facto
tes, der die öffentliche Verwaltung, Polizei, Justiz                         aber auf die Föderation beschränkt ist. In der RS
und Feuerwehr umfasst, sind die Rechte und Pri-                              existiert ein eigenständiger Gewerkschaftsver-
vilegien neben Arbeitsgesetz und Tarifverträgen                              band. Auf Druck internationaler Gewerkschafts-
in zusätzlichen Gesetzen wie dem Gehaltsgesetz                               verbände wurde mittlerweile eine Konföderation
und dem Staatsbedienstetengesetz geregelt. So                                auf gesamtstaatlicher Ebene gegründet, dessen
definiert das Gehaltsgesetz, nicht der Sparten-                              Rolle sich aber bisher noch weitgehend auf Au-
tarifvertrag, die nach Beschäftigungsgruppen                                 ßenkontakte beschränkt.
gestaffelten Koeffizienten für den Grundlohn der
Staatsbediensteten. Dieser liegt im Schnitt deut-                            Die heutigen Gewerkschaften leiden an einem
lich höher als in vergleichbaren Beschäftigungen                             doppelten Erbe. Einerseits daran, dass sie auf
in der Privatwirtschaft. Zu einem noch bedeu-                                die ehemals sozialistischen Gewerkschaften
tenderen Teil ergibt sich die privilegierte Stel-                            zurückgehen. Im sozialistischen Jugoslawien
lung der Beschäftigten allerdings aus dem 2000                               waren Gewerkschaften die Organisation des
vereinbarten Tarifvertrag für den öffentlichen                               Betriebsmanagements, Konflikte mit den Be-
Dienst. Dieser legt Lohnzusätze und Aufwands-                                schäftigten wurden zum Großteil im Rahmen
entschädigungen fest, die im Schnitt deutlich hö-                            des partei-staatlichen Apparats gelöst und
her ausfallen, als die in der allgemeinen Kollektiv-                         Streiks fristeten ein in dem liberalen Sozialis-
vereinbarung festgesetzten Mindestbeträge. So                                mus eigentümliches anti-systemisches Schat-
werden Überstunden mit einem Lohnaufschlag                                   tendasein. Andererseits wurde ein erheblicher

9 Duljko Hasić, 2014 Annual Review of Lavour Relations and Social            10 Zakon o plaćama i naknadama u organima vlasti FBiH, http://www.
Dialogue in South East Europe: Bosnia-Herzegovina, Friedrich Ebert           adsfbih.gov.ba/uploaded/propisi/zakoni/zakon_o_placama_45_10.pdf;
Stiftung, Dezember 2014, S.8, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/        Kolektivni ugovor za službenike organa uprave i sudske vlasti u Federa-
belgrad/11536.pdf, Kako do povoljnijeg poslovnog ambijenta. Šta poslo-       ciji Bosne i Hercegovine, http://www.adsfbih.gov.ba/uploaded/propisi/
davci očekuju od vlasti, S.60, 63.                                           ugovori/kolektivni_ugovor.pd.f.

                                                                         8
Bodo WebeR | Neues Arbeitsrecht in BiH

        Sarajevo

Teil der schwerindustrie-lastigen sozialistischen                          Unternehmen. Diese Verletzung betreffen v.a. das
Unternehmen im Bosnienkrieg zerstört und ver-                              monatelange Nicht-Auszahlen von Löhnen und
schwand endgültig mit der Nachkriegsprivatisie-                            Gehältern oder das Nicht-Abführen von Beiträgen
rung – und mit ihnen ein wesentlicher Teil der                             zur Kranken- und Rentenversicherung durch die
Gewerkschaftsstrukturen.                                                   Arbeitgeber, aber auch die Verhinderung gewerk-
                                                                           schaftlicher Organisierung.12
Auf diesem Hintergrund hat sich im heutigen
Bosnien-Herzegowina die enge Verbindung zwi-                               Zugleich ist es aktuell um die Durchsetzung
schen Gewerkschaftsverbänden und Regierun-                                 von Arbeiterrechten auf dem gerichtlichen Weg
gen bzw. Regierungsparteien erhalten, wenn-                                schlecht bestellt. Bosniens Justiz leidet an
gleich auf neuer Grundlage. Dieser besteht in                              mangelnder Unabhängigkeit und Ineffizienz.
der Dominanz der Spartengewerkschaften aus                                 Die Schwäche der Justiz ist wie in den meisten
dem öffentlichen Sektor innerhalb der Gewerk-                              Nachfolgestaaten des sozialistischen Jugoslawi-
schaftsverbände, und zwar sowohl hinsichtlich                              en im gesamten Wirtschafts- und Arbeitsbereich
Mitgliederzahlen als auch Finanzkraft. Während                             besonders ausgeprägt. Die Durchsetzung von
die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten im                             Recht über die Arbeitsgerichte in BiH leidet an
öffentlichen Sektor gewerkschaftlich organisiert                           extrem langen Gerichtsverfahren von im Schnitt
ist, ist der Organisationsgrad in der Privatwirt-                          5 bis 7 Jahren. Für den einfachen Arbeiter oder
schaft sehr niedrig. Gewerkschaftsorganisatio-                             Angestellten in der Privatwirtschaft mit seinen
nen gibt es hier fast nur in größeren Unterneh-                            begrenzten Mitteln besteht hier kaum eine reale
men bzw. in solchen, in denen sie bereits vor der                          Möglichkeit, gegen die Verletzung seiner Rechte
Privatisierung existiert hatten. Nach inoffiziellen                        durch den Arbeitgeber erfolgreich juristisch vor-
Informationen stammen nur zwischen 20 und                                  zugehen. Ist andererseits ein Beschäftigter in der
30 % der Mitglieder des Gewerkschaftsverbands                              Lage, die ihm zur Verfügung stehenden Rechts-
in der Föderation aus der Privatwirtschaft. Legt                           schutzmittel auszunutzen, so gibt es für den Ar-
man diese Zahl um auf die Beschäftigungszah-                               beitgeber kaum eine reelle Chance, etwa gegen
len in den beiden Sektoren, so muss man davon                              einen Angestellten mit fehlender Arbeitsdiszi-
ausgehen, dass der gewerkschaftliche Organisa-                             plin juristisch erfolgreich vorzugehen, weil die
tiongrad in der Privatwirtschaft der Entität weit                          Arbeitsrichter noch vielfach nach dem sozialis-
unter 20, vielleicht sogar unter 10 Prozent liegen                         tischen Prinzip „im Zweifelsfall für den Arbeiter“
muss.11                                                                    entscheiden. Auch bei der Rechtsdurchsetzung
                                                                           scheinen die Beschäftigten im öffentlichen Sek-
Ein letzter wesentlicher Aspekt der arbeitsrecht-                          tor in BiH in bevorzugter Position zu sein. Als die
lichen Situation der Beschäftigten in Bosnien-                             Föderationsregierung 2009 zur Haushaltskonso-
Herzegowina stellt die praktisch-faktische Ge-                             lidierung ein Gesetz zur pauschalen Kürzung der
staltung von Arbeiterrechten und die Situation                             Gehälter im öffentlichen Dienst verabschiedete,
hinsichtlich des gerichtlichen Schutzes dar. In                            das allerdings rechtliche Schwächen aufwies, er-
BiH werden primär in der Privatwirtschaft mas-                             munterte die Gewerkschaft für den öffentlichen
senhaft Arbeiterrechte verletzt. Diese Verletzun-                          Dienst ihre Mitglieder zur gerichtlichen Klage.
gen haben sich infolge der Weltwirtschaftskrise,                           Binnen 2-3 Jahren ergab sich eine Flut an zehn-
welche von den Arbeitgebern zugleich als Recht-                            tausenden Klagen und Urteilen. Mit Verweis auf
fertigung missbraucht wurde, intensiviert. Mas-                            den juristischen Widerspruch zwischen dem
sive Verletzungen der Rechte der Beschäftigten                             Spargesetz und den bestehenden Tarifverträgen
hat es auch im Privatisierungsprozess gege-                                wurde die Regierung zur Nachzahlung der 10-pro-
ben, und gibt es in hohem Maße bei kriselnden,                             zentigen Lohnkürzung inklusive Zinsen verurteilt
nicht privatisierten und nicht zu privatisierenden
11 Interview mit bosnisch-herzegowinische Experte für Gewerk-              12 Goran Stanković, 2011 Annual Review of Lavour Relations and
schaftsfragen, Sarajevio August 2015; Duljko Hasić, 2014 Annual            Social Dialogue in South East Europe: Bosnia-Herzegovina, Friedrich
Review of Lavour Relations and Social Dialogue in South East Europe:       Ebert Stiftung Belgrad, Januar 2012, S.5, http://library.fes.de/pdf-files/
Bosnia-Herzegovina, S.12.                                                  bueros/belgrad/08935.pdf.

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– Zahlungen, die sich mittlerweile auf die oben                           Falschheit der Darstellungen der Akteure des
erwähnten über eine Milliarde KM belaufen.13                              neuen Gesetzes.14

Aus der Gesamtheit der hier beschriebenen Fak-                            So führt das Gesetz tatsächlich eine ganze Reihe
toren ergibt sich in erster Linie ein erhebliches                         an neuen Schutzrechten ein. Das Gesetz enthält
Gefälle zwischen den Beschäftigten im öffentli-                           erstmals ein halbes Dutzend Artikel zum Schutz
chen Sektor und jenen in der Privatwirtschaft, und                        gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, womit
zwar sowohl arbeits- und tarifrechtlich, als auch                         offensichtlich eine Anpassung an das Antidiskri-
in der sozio-ökonomischen Stellung insgesamt.                             minierungsgesetz der EU vorgenommen wurde.
Sichtbar ist dies am deutlichsten in den Lohnun-                          Außerdem gibt es erstmals einen gesonderten
terschieden. Bei einem Durchschnittslohn in BiH                           Artikel zum besonderen Schutz bei Nachtarbeit.
von 830 KM (425 EUR) verdienen die Bedienste-                             Ebenfalls neu ist die gesetzlich festgeschriebene
ten im öffentlichen Sektor im Schnitt über 1.000                          Pflicht für den Arbeitgeber, dem Beschäftigten
KM, bis hin zu 2.000, 3.000 KM. Demgegenüber                              spätestens 15 Tage nach Beginn des Arbeits-
liegt der Verdienst von Arbeitern und Angestellten                        verhältnisses eine Kopie des Nachweises der
im Realsektor vielfach deutlich unter dem Durch-                          Anmeldung bei den Sozialversicherungen bereit-
schnittslohn, bei 600 oder 500 KM oder beim                               zustellen. Ein anderer Artikel regelt erstmals den
Mindestlohn.                                                              Arbeitseinsatz im Ausland. Ebenfalls erstmals
                                                                          wird die Möglichkeit von Heimarbeit gesetzlich
Der Kern dieser Problemlage liegt im paterna-                             definiert.
listischen politischen System Bosnien-Herzego-
winas und seinen sozio-ökonomischen Effek-                                Ein Großteil der Regelungen und Artikel im neuen
ten begründet. Das komplizierte, dysfunktional                            Gesetz sind unverändert übernommen vom Ge-
dezentralisierte Staatswesen des Landes, das                              setz aus dem Jahr 1999. Daneben stehen aber
sich ethnonational legitimiert, produziert einen                          eine erhebliche Zahl an rechtlichen Regelungen
überdimensionierten öffentlichen Verwaltungs-                             und Rechten, in denen zum Teil erhebliche Ver-
apparat, in dem Beschäftigung in den zurücklie-                           änderungen vorgenommen worden sind. So wer-
genden zwei Nachkriegsjahrzehnten nach klienti-                           den Arbeitsverträge grundsätzlich als entweder
listischen Prinzipien und Parteizugehörigkeit, und                        unbefristet oder befristet definiert, anstatt wie
nicht nach Qualifikation und Leistungsprinzip ver-                        im alten Gesetz den Abschluss befristeter Ver-
teilt worden ist. Demgegenüber steht die schwa-                           träge auf bestimmte Tätigkeiten zu beschränken.
che Realwirtschaft, deren Entwicklung durch bü-                           Zugleich wird die Dauer befristeter Verträge von
rokratische Hürden, fehlende Rechtsstaatlichkeit,                         zwei auf drei Jahre angehoben. Der entsprechen-
wettbewerbsverzerrende Effekte des öffentlichen                           de Artikel legt gleichzeitig erstmals fest, dass
Sektors, eine fehlende wachstumsorientierte                               der Abschluss immer neuer befristeter Verträge
Wirtschaftspolitik und dauerhafte politische In-                          ohne zeitliche Unterbrechung rechtlich unzuläs-
stabilität behindert wird. Die arbeits- und tarif-                        sig ist bzw. zur rechtlichen Entfristung des Ver-
rechtlichen Verhältnisse sind Spiegelbild und                             trags führt. Hinsichtlich Nachtarbeit fällt das
Ausdruck dieser Gesamtsituation.                                          grundsätzliche Verbot für Frauen in der Industrie
                                                                          weg und gilt nur noch für Schwangere ab dem 6.
3. Das neue Arbeitsgesetz – eine vergleichende                            Monat und Mütter bis zum 2. Lebensjahr ihres
Analyse                                                                   Kindes; das Nachtarbeitsverbot für minderjährig
                                                                          Beschäftigte bleibt unangetastet. Im Bezug auf
Ein Vergleich der Texte des neuen mit dem alten                           das Recht auf Urlaub wird die Untergrenze von
Arbeitsgesetz ergibt ein gemischtes Bild sowohl                           18 auf 20 Tage angehoben, dafür aber erstmals
hinsichtlich der Stärkung bzw. dem Abbau von                              eine Obergrenze von 30 Tagen gesetzlich fest-
Arbeiterrechten als auch der Richtigkeit bzw.                             geschrieben. Die Regelung zum Übertrag des
13 Ebenda; Kako do povoljnijeg poslovnog ambijenta. Šta poslodavci        14 Zakon o radu FBiH, Službene Novine FBiH Nr. 62/15 (12.08.2015),
očekuju od vlasti, S. 60                                                  Zakon o radu FBiH, Službene Novine FBiH Nr. 43/99 (28.10.1999).

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Resturlaubs aus einem Kalenderjahr in das erste           ihrer offiziellen Anerkennung, Eingang in das Ar-
Halbjahr des darauffolgenden Jahres bleibt erhal-         beitsrecht, das bei Betriebsgewerkschaften einen
ten, allerdings wird erstmals explizit ausgeführt,        Mindestorganisationsgrad von 20% der Beschäf-
dass bei Nicht-Nehmen von zumindest einem Teil            tigten festschreibt. Das Gesetz überträgt die
der Urlaubstage im Kalenderjahr die Übertragbar-          Feststellung der Repräsentativität auf den Arbeit-
keit entfällt. Im Bezug auf den Schutz werdender          geber; allerdings legt es auch fest, dass im Fall
Mütter bleibt die Dauer des Mutterschutzes von            der Verweigerung durch die Arbeitgeberseite die
28 Tagen vor und 42 Tagen nach Geburt beste-              Feststellung durch die zuständigen Arbeitsminis-
hen, ebenso das Recht auf Mutterschaftsurlaub             terien erfolgt.
von einem Jahr, allerdings entfällt die Steigerung
auf 18 Monate bei Zwillingen und ab dem zwei-             Als wahrscheinlich einschneidendste Neurege-
ten Kind; neu eingeführt wird die Möglichkeit des         legung beendet das neue Arbeitsgesetz die un-
Vaterschaftsurlaubs.                                      befristete Laufzeit aller Tarifverträge bzw. der
                                                          Kollektivvereinbarungen und begrenzt diese auf
Hinsichtlich der Gehaltsregelungen wird erst-             maximal drei Jahre. Nicht weniger gravierend ist
mals eine Gehaltskomponente auf der Basis der             eine Übergangsklausel im Gesetz, die die Anpas-
„Arbeitsleistung“ eingeführt; es bleibt bei den           sung aller Kollektivvereinbarungen an das neue
jährlichen Gehaltzuwächsen. Im Bezug auf Ent-             Arbeitsgesetz innerhalb von 90 Tagen nach In-
lassungen bleibt das Recht aus „ökonomischen,             krafttreten vorschreibt. Bei Nicht-Harmonisierung
technischen und organisatorischen Gründen“                werden die Kollektivvereinbarungen unwirksam.
für den Fall, dass keine Möglichkeit einer ande-
ren Tätigkeit innerhalb des Unternehmens oder              Insgesamt ergibt diese vergleichende Analyse
der Umschulung besteht, im Wortlaut unverän-              des neuen Arbeitsgesetzes mit dem alten ein
dert erhalten. Die Pflicht des Arbeitgebers, einen        Nebeneinander vom Ausbau von Arbeiterschutz-
schriftlichen Plan vorzulegen, der verschiedene           rechten und der Veränderung bestehender Rech-
Möglichkeiten für den Verbleib des Arbeitsneh-            te, die im Schnitt eine Reduzierung bedeuten.
mers im Betrieb oder seiner Chancen, in einem             Einige schwerwiegende öffentlich vorgetragene
anderen Unternehmen Arbeit zu finden, darlegt,            Vorwürfe von Gewerkschaftsvertretern wie der
wird Unternehmen ab 30 Angestellten und bei an-           grundsätzliche Wegfall unbefristeter Arbeitsver-
visierten Entlassungen im Laufe der kommenden             hältnisse oder der Übertragbarkeit von Alturlaub
drei Monate statt wie bisher geregelt bei 15 An-          erwiesen sich als faktisch falsch. Demgegenüber
gestellten und 6 Monaten auferlegt. Das Verbot            erweisen sich allerdings auch zentrale Darstel-
der Einstellung von Personen mit gleicher Quali-          lungen etwa der Regierung, wonach mit der Neu-
fikation zwei Jahre nach Entlassung entfällt, da-         fassung des Arbeitsgesetzes der privilegierten
für wird dem Arbeitnehmer die Pflicht auferlegt,          Stellung der Bediensteten im öffentlichen Sektor
sollte er innerhalb eines Jahres nach Entlassung          und ihren hohen Gehältern ein Ende gemacht
eines Arbeitnehmers beabsichtigen, einen gleich-          werde, als nicht fundiert. Wie gezeigt, hängt die
artigen Arbeitsplatz einzurichten oder Personen           Änderung der Gehälter im öffentlichen Dienst u.a.
mit gleichartiger Qualifikation einzustellen, die         am Gehaltsgesetz, dessen Änderung bisher nicht
Arbeitsstelle zunächst dem Entlassenen anzubie-           angekündigt wurde.
ten. Des Weiteren wird das Recht auf Abfindung
auf maximal 6 Monatsgehälter beschränkt.                  So hängt der tatsächliche Effekt des neuen Ar-
                                                          beitsgesetzes, sowohl hinsichtlich des Missver-
Das Recht der Arbeiter auf Gründung von Be-               hältnisses zwischen Bediensteten im öffentli-
triebsräten wird auf Unternehmen mit mindes-              chen und privaten Sektor wie in vielen anderen
tens 30 Angestellten, statt wie bisher mit 15             Aspekten zu einem wesentlichen Teil vom Ver-
Beschäftigten eingeschränkt. Erstmals findet              lauf und dem Ergebnis der Neuverhandlungen
eine ausführliche Regelung zur Feststellung der           der allgemeinen Kollektivvereinbarung und den
„Repräsentativität“ von Gewerkschaften, d.h.              Spartentarifverträgen in der Föderation ab, für

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die nach Inkrafttreten des Arbeitsgesetzes am                              des Nettomindestlohns von 389 auf 500 KM (von
12. August 2015 zunächst einmal 90 Tage zur                                199 auf 255 EUR). Schließlich forderten sie die
Verfügung standen.                                                         gesetzlich maximale Laufzeit von drei Jahren für
                                                                           die Allgemeine Kollektivvereinbarung.
4. Die neue Allgemeine Kollektivvereinbarung
(OKU) – Verhandlungsverlauf und vergleichende                              Der Arbeitsgeberverband hatte sich vor der Verab-
Analyse                                                                    schiedung des neuen Arbeitsgesetzes gegen die
                                                                           Fortexistenz einer Allgemeinen Kollektivvereinba-
Trotz der kurzen Frist von drei Monaten zum Ab-                            rung ausgesprochen, und einen eventuellen Be-
schluss einer neuen Allgemeinen Kollektivverein-                           stand der Institution OKU als Eingeständnis an die
barung (OKU), begannen die Verhandlungen zwi-                              Gewerkschaften bezeichnet. Nach Auffassung der
schen Gewerkschaften und Arbeitgeberverband                                Arbeitgeber dürfe eine OKU, da sie gleichermaßen
erst mit einer zweimonatigen Verzögerung. Der                              für den öffentlichen Dienst, öffentliche Unterneh-
Grund dafür lag in der Forderung des Gewerk-                               men und die Privatwirtschaft gelte, lediglich allge-
schaftsbundes begründet, dass auch die Födera-                             meine Rahmenbedingungen beinhalten, während
tionsregierung als dritter Partner an den Verhand-                         die konkreten Festlegungen in die einzelnen Spar-
lungen teilnehmen solle. Da sich die Regierung                             tentarifverträge gehörten, entsprechend der jewei-
jedoch weigerte (auch der Arbeitgeberverband                               ligen Arbeits- und wirtschaftlichen Bedingungen
war gegen eine Beteiligung), lenkten die Gewerk-                           und der Produktivität. Insbesondere die Festlegun-
schaften Anfang Oktober ein. Da aber nur noch                              gen zum Grundlohn und den Lohnzusätzen gehö-
kaum mehr als vier Wochen für einen Abschluss                              re deshalb nicht in die OKU. In diesem Sinne for-
verblieben, verlängerte die Regierung, wie im neu-                         derte der Arbeitgeberverband, dass die Allgemeine
en Arbeitsgesetz vorgesehen, die Verhandlungs-                             Kollektivvereinbarung nur noch folgende Elemen-
frist einmalig um nochmals 90 Tage.15                                      te enthalten solle: Festsetzung des Mindestlohns,
                                                                           Regeln für die Tarifverhandlungen, den Inhalt von
Gewerkschaften und Arbeitgeber gingen zu-                                  Spartentarifverträgen und Regeln für Streiks, so-
nächst mit diametral entgegengesetzten Po-                                 wie Verfahren zur vorzeitigen Kündigung der OKU
sitionen in die Gespräche. So legte der Ge-                                und die Festlegung der Laufzeit.17 Der Entwurf,
werkschaftsbund SSS BiH den Entwurf einer                                  den die Arbeitgeber zu Beginn der Verhandlungen
Allgemeinen Kollektivvereinbarung zur Änderung                             über eine neue OKU vorlegten, folgte dieser skiz-
und Anpassung der bestehenden OKU vor,16 und                               zierten Logik und Struktur. Es handelte sich daher
signalisierte damit schon im Titel die Bereitschaft                        auch um den Vorschlag einer neuen Allgemeinen
nur zu minimalen Änderungen. Diese bezogen                                 Kollektivvereinbarung, und keiner Änderung der
sich auf das Arbeitsgehalt und die Laufzeit der                            bestehenden. Der Vorschlag legte fest, dass die
OKU. In Bezug auf den Arbeitslohn hielten die                              Regelung des Lohns und der Lohnzusätze Be-
Gewerkschaften an dem alten Grundprinzip der                               standteil der Spartentarifverträge sein sollten. Der
Zusammensetzung aus Grundlohn und einem                                    Text beinhaltete lediglich noch eine Regelung des
Koeffizienten, der sich an Art und Schwere der Ar-                         Mindeststundenlohns. Dieser solle jährlich vom
beit orientiert, fest. Als Zugeständnis wollten sie                        Ökonomisch-sozialen Rat unter Berücksichtigung
einen leistungsbezogenen Gehaltsteil einführen,                            von Produktivität, Bruttoinlandsprodukt (BIP) und
wobei sie Vorschläge für im OKU festzulegende                              Entwicklung der Lebenshaltenskosten festgesetzt
Kriterien (Produktivität, Arbeitsleistung, Einspa-                         werden. Bezüglich der Laufzeit der neuen OKU tra-
rungen, Innovationsfähigkeit, Arbeitsdisziplin                             ten die Arbeitgeber für die gesetzliche Untergrenze
etc.) machten. In ihrem Vertragsentwurf forder-                            von einem Jahr ein.18
ten die Gewerkschaften eine deutliche Erhöhung
                                                                           17 Neophodnost Izmjene Kolektivnog Ugovora u FBiH, [Die Notwen-
                                                                           digkeit der Änderung der Kollektivvereinbarungen in der Föderation
15 Interviews mit Vertretern des Gewerkschaftsbunds und des Arbeit-        BiH], UP FBiH, Sarajevo Juni 2015, http://www.upfbih.ba/attachments/
geberverbands der Föderation BiH, Sarajevo März 2016.                      article/441/OPSTI KOLEKTIVNI UGOVOR.pdf
16 Prijedlog Općeg Kolektivni Ugovor o Izmjenama i Dopunama Općeg          18 Prijedlog Opšteg Kolektivnog Ugovor za Teritoriu Federacije BiH, UP
Kolektivnog Ugovora za teritoriju Federacije BiH, SSS BiH.                 FBiH.

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Trotz der weit auseinanderliegenden Ausgangspo-                                  So gibt es für Überstunden und Nachtarbeit einen
sitionen, einigten sich Gewerkschaften und Arbeit-                               Aufschlag von jeweils 25% (30% im alten OKU),
geber Anfang Januar 2016 auf eine neue Allgemei-                                 für Sonntagsarbeit von 15% (20%) und für Feier-
ne Kollektivvereinbarung, zur Überraschung vieler,                               tagsarbeit von 40% (50%). Für jedes Betriebsjahr
allen voran der Regierung. Mit der Einigung auf die                              ist eine Lohnerhöhung von 0,4% (0,6%) vorgese-
neue OKU trafen sich die Verhandlungspartner in                                  hen, außerdem 0,5 bis 1,0% pro Tag für warme
etwa in der Mitte zwischen ihren ursprünglichen                                  Mahlzeiten (vorher: 0,7%). Die Regelung aller übri-
Maximalforderungen, wie es sich in einer verglei-                                gen Lohnzusätze und Sonderzahlungen wird mit
chenden Analyse der neuen mit der bisherig gülti-                                der neuen Allgemeinen Kollektivvereinbarung in
gen Kollektivvereinbarung darlegt:19                                             die Spartentarifverträge verlagert. Bei der Lauf-
                                                                                 zeit der OKU hat sich die Arbeitgeberseite durch-
So folgt die neue OKU weitgehend der Struktur                                    gesetzt, sie beträgt zwölf Monate. Hinzu kommt
und umfasst den größten Teil der Elemente der al-                                eine zusätzliche Regelung, die die vorzeitige
ten Vereinbarung. Die zentrale Festsetzung, dass                                 Kündigung der OKU ermöglicht für den Fall, dass
im Fall von unterschiedlichen arbeitsrechtlichen                                 sich die Sozialpartner nicht über einen von einer
Regelungen zum selben Gegenstand in Arbeits-                                     Seite erhobenen Änderungswunsch am OKU eini-
gesetz, OKU und Spartentarifvertrag die für den                                  gen können, wobei die Kündigungsfrist 3 Monate
Arbeiter vorteilhafteste Regelung bindend ist, ist                               beträgt.
in der neuen Vereinbarung unverändert beibehal-
ten. Wesentliche Änderungen und Anpassungen                                      Die Tatsache, dass die Arbeitgeberseite aufgrund
finden sich in der neuen OKU in Bezug auf den Ar-                                der Regelung im neuen Arbeitsgesetz, wonach
beitslohn. Sie enthält die Einigung zwischen Ge-                                 wenn es innerhalb der festen Frist zu keiner Eini-
werkschaften und Arbeitgebern auf einen erhöh-                                   gung über eine neue OKU (und neue Spartentarif-
ten Mindeststundenlohn von 2,31 KM (1,75 EUR)                                    verträge) kommt, alle Vereinbarungen ersatzlos
bzw. einem Monatslohn von 410 KM (210 EUR).                                      auslaufen, in einer viel stärkeren Verhandlungs-
Die jährliche Anpassung durch den Ökonomisch-                                    position als die Gewerkschaften war, unter-
sozialen Rat soll anhand der Entwicklung des BIP                                 streicht den Kompromisscharakter der neuen
und der Inflationsrate erfolgen. Eine ergänzen-                                  Allgemeinen Kollektivvereinbarung.
de Regelung macht erstmals Ausnahmen vom
allgemeinen Mindestlohn für Unternehmen, die                                     Vom Interesse der Arbeitgeberseite, zu einer
sich aus unterschiedlichen Gründen in einer wirt-                                einvernehmlichen Regelung mit dem Gewerk-
schaftlichen Krise befinden – hier sollen entspre-                               schaftsbund zu kommen, wich die Reaktion der
chende Regelungen in den Tarifverträgen festge-                                  Föderationsregierung von dem Abkommen deut-
legt werden. Die neue OKU legt fest, dass sich der                               lich ab. Unmittelbar nach der Einigung zwischen
Arbeitslohn grundsätzlich aus dem Grundlohn                                      den Sozialpartnern in der Föderation von BiH
und einem leistungsabhängigen Teil zusammen-                                     erklärte der Premier Novalić, dass seine Regie-
setzt; weder werden Kriterien für die Festlegung                                 rung die Vereinbarung blockieren werde. Diese
von letzterem erwähnt, noch findet der in der al-                                bedrohe die makro-ökonomische Stabilität der
ten Vereinbarung so zentrale Koeffizient mehr                                    Entität und widerspreche den Zielen der Refor-
Erwähnung. Für die Inhalte der Spartentarifver-                                  magenda.20 Novalić attackierte in diesem Zusam-
träge wird allerdings eine Regelung für die Fest-                                menhang insbesondere den vereinbarten Min-
setzung von Löhnen bei schwerer körperlicher                                     destlohnsatz von 410 KM – obwohl er selber im
Arbeit aufgeführt. Entgegen der ursprünglichen                                   Sommer 2015, vor der Verabschiedung des neu-
Arbeitgeberforderung findet sich doch ein größe-                                 en Arbeitsgesetzes, eine Erhöhung auf zwischen
rer Teil der Lohnzusätze wieder im OKU geregelt,                                 450 und 500 KM angekündigt hatte.21 Am 8. Ja-
allerdings mit einer durchgehenden Absenkung.
                                                                                 20 http://www.6yka.com/novost/97003/-novalic-prijedlog-opsteg-
                                                                                 kolektivnog-ugovora-za-fbih-ide-na-ocjenu-ustavnosti.
19 Opći kolektivni ugovor za Teritoriju Federacije Bosne i Hercegovine,
10. Februar 2016; Opći kolektivni ugovor za Teritoriju Federacije Bosne i        21 SSS BiH, Saopštenje za javnost: „Igre bez granice premijera
Hercegovine, 2008.                                                               Novalić“, 8. Januar 2016.

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