Neues aus dem Fach Eine Ethnologin an der Spitze des Goethe-Instituts - ifeas.uni-mainz.de

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Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie, Mitteilungen 54, 2021

                                    Neues aus dem Fach

                 Eine Ethnologin an der Spitze des Goethe-Instituts
  Im November 2020 trat die ehemalige Vorsitzende der DGSKA, Prof. Dr. Carola Lentz, die
  Präsident*innenschaft des Goethe-Instituts an. Dass eine Ethnologin seitdem einer der
  größten deutschen Kulturorganisationen vorsteht, nahmen wir zum Anlass, Frau Lentz für
  die DGSKA-Mitteilungen zu interviewen.

  Das Gespräch führten die DGSKA Vorsitzende Prof. Dr. Dorle Dracklé sowie der Schriftführer und
  Herausgeber der DGSKA-Mitteilungen Dr. Martin Gruber im Februar 2021.

       Zur Person
       Carola Lentz, geboren 1954 in Braun-
       schweig, studierte Soziologie, Po-
       litikwissenschaft, Germanistik und
       Pädagogik an der Georg-August-
       Universität Göttingen und der Freien
       Universität Berlin. 1987 promovierte
       sie an der Universität Hannover und
       habilitierte sich 1996 an der Freien
       Universität Berlin. Von 1996 bis 2002
       war sie Professorin für Ethnologie
       an der Goethe-Universität Frankfurt
       am Main. Von 2002 bis 2019 hatte
       sie eine Professur für Ethnologie an
                                                      © Goethe-Institut/Loredana La Rocca
       der Johannes Gutenberg-Universität
       Mainz inne, wo sie seit 2019 Senior-
                                                      Martin Gruber:
       forschungsprofessorin ist. Von 2011
                                                      Wie wird man Präsident*in des Goethe-
       bis 2015 war Carola Lentz Vorsitzende
                                                      Instituts? Wird man angerufen?
       der Deutschen Gesellschaft für Sozi-
       al- und Kulturanthropologie (DGSKA).
                                                      Carola Lentz:
       Sie ist Mitglied der Nationalen Akade-
                                                      Ja, man wird tatsächlich angerufen. Es ist
       mie der Wissenschaften Leopoldina
                                                      ein Ehrenamt, man wird gewählt vom Prä-
       und der Berlin-Brandenburgischen
       Akademie der Wissenschaften, als de-           sidium. Ich wurde von meinem Vorgänger
       ren Vizepräsidentin sie 2018 bis 2020          Klaus-Dieter Lehmann angerufen. Ob ich
       amtierte. Ihre Forschungsschwer-               mir vorstellen könne, Präsidentin des Go-
       punkte sind u.a. Ethnizität, Nationalis-       ethe-Instituts zu werden. Ich bin aus allen
       mus, Kolonialismus, Erinnerungspoli-           Wolken gefallen. Eigentlich wollte ich noch
       tik, Mittelklassen im globalen Süden           ein paar Bücher schreiben und ein großes
       und Arbeitsmigration. Sie forschte             Forschungsprojekt durchführen. Aber dann
       zunächst in Südamerika und seit                begann der Gedanke in mir zu arbeiten.
       1987 regelmäßig in Westafrika.                 Ich habe erst einmal bei Herrn Lehmann
                                                      nachgefragt, was das Amt im Einzelnen

                                                                               Neues aus dem Fach   |   7
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bedeutet, und mich dann eigentlich sehr         Ich bin ja Politik-Ethnologin und Organisa-
schnell entschlossen. Das war im September      tions-Ethnologin, und das kommt mir sehr
2019. Danach habe ich fast ein Jahr lang        zupass. Dank meiner Forschungserfahrun-
Vorbereitungszeit gehabt.                       gen mit verschiedenen Organisationsfor-
                                                men in aller Welt kann ich ziemlich schnell
Martin Gruber:                                  sehen, wo bei so einer großen, weltweit
Und können Sie uns sagen, wie die Wahl          aufgestellten Organisation wie dem Go-
auf Sie gefallen ist?                           ethe-Institut wichtige Herausforderungen
                                                liegen: zum Beispiel in der internen Kom-
Carola Lentz:                                   munikation — was hält eine so dezentral ar-
Ich glaube, dass das Goethe-Institut schon      beitende Organisation zusammen —, und in
seit längerem in einer Art und Weise arbei-     der Kommunikation mit den weltweit sehr
tet, die in der Präsident*innenschaft einer     unterschiedlichen kulturellen Umwelten. Ich
Ethnologin münden kann. Einerseits gestal-      gehe wirklich mit einer Politik des Zuhörens
tet das Institut seine kulturellen Programme    in mein Amt hinein. Das Goethe-Institut ist
sehr stark im Austausch mit seinen Partner-     eine hochgradig selbstreflexive Institution.
innen und Partnern in aller Welt. Wir haben     Ich begleite und unterstütze es bei diesen
157 Standorte in 98 Ländern, aufgeteilt in      Reflexionsprozessen. Außerdem setze ich
zwölf Regionen. Die Regionen haben eine         aus meiner Expertise heraus Impulse für
hohe Autonomie in der Organisation und          verschiedene Themen, wie zum Beispiel
können sehr gut auf konkrete Themen ein-        Erinnerungspolitik, Postkolonialismus oder
gehen, die die Menschen vor Ort umtreiben.      Afrika. Eine weitere Aufgabe ist natürlich, in
Andererseits gibt es Fragen, die quer zu den    Deutschland in verschiedenen politischen
Regionen von vielen Instituten bearbeitet       Kreisen präsent zu sein und dafür zu sorgen,
werden, wie etwa die nach dem Umgang            dass die Mittel weiterfließen.
mit dem kolonialen Erbe und der Restitution
von der in kolonialen Kontexten von Europa      Dorle Dracklé:
angeeigneten Objekte.                           Und wie sieht Ihr Arbeitsalltag als
  Zentrale Fragen sind: Wie muss sich das       Präsidentin des Goethe-Instituts aus?
Goethe-Institut in einer postkolonialen
Welt aufstellen? Wie können wir an diesem       Carola Lentz:
Prozess der Veränderung mitwirken? Ich          Ich sitze aktuell ungefähr sechs bis sieben
glaube, diese Fragen haben zu der Offenheit     Stunden am Tag am Computer in Mainz,
geführt, jemanden als Präsidentin anzufra-      manchmal auch in München, und habe
gen, der nicht aus dem traditionellen Kultur-   eine Videoschaltung nach der anderen.
betrieb kommt – jemanden, der eher eine         Zwischendurch versuche ich, als gute Eth-
Karriere hat wie die meisten Goethe-Mitar-      nologin mein Arbeitsjournal zu schreiben,
beiter*innen. Insofern ist die Antwort auf      um zu sehen, dass ich diese Eindrücke auch
die Frage, wie man auf mich gekommen ist,       verarbeiten und reflektieren kann.
eher struktureller Natur.                          Zum einen gibt es Gremiensitzungen,
                                                die ich gestalten und bei denen ich präsent
Dorle Dracklé:                                  sein muss. Zum anderen habe ich viele
Haben Sie die Ethnologie schon in Ihre          Termine mit Bundestagsabgeordneten im
Arbeit einbringen können?                       Unterausschuss für Auswärtige Kultur und
                                                Bildungspolitik. Und dann habe ich, um das
Carola Lentz:                                   Institut erst einmal besser kennenzulernen,
Ja, das ist wirklich eine spannende Erfahrung   mit allen Abteilungsleiter*innen in Mün-
mit dem ethnologischen Handwerkszeug.           chen und mit den Regionalleiter*innen in

                                                                      Neues aus dem Fach     |   8
aller Welt Gespräche geführt. Inzwischen          Carola Lentz:
bin ich da ganz gut angekommen und                Postkolonialität heißt natürlich auch, um
muss sagen: Meine Begeisterung dafür, was         auf dem Feld der Personalpolitik zu bleiben,
das Goethe-Institut macht, wächst in dem          dass das Goethe-Institut in seiner Führungs-
Maße, wie ich es kennenlerne.                     laufbahn verstärkt Offenheit und Durchläs-
                                                  sigkeit für Menschen mit anderen Biografien
Martin Gruber:                                    und möglicherweise auch anderen Nationa-
Was waren die größten Überraschungen              litäten und Staatsangehörigkeiten schafft.
für Sie bei diesem Kennenlernen?                  Und je diverser die Erfahrungen sind, die
                                                  die Mitarbeiter*innen in das Goethe-Institut
Carola Lentz:                                     oder andere Organisationen hineintragen,
Für mich war eine Überraschung, dass              desto reicher kann eine Diskussion in der
das Goethe-Institut enorm sensibel und            Organisation ausfallen. Und wir müssen
offen für die Impulse ist, die aus den lokalen    aufpassen, dass wir nicht einfach postkolo-
kulturellen Szenen kommen. Die Themen             niale Debatten aus dem globalen Norden
werden nicht in der Programmzentrale in           den ehemals kolonisierten Gesellschaften
München generiert und diffundieren dann           überstülpen. Insofern ist es wirklich ein sehr
sozusagen in alle Standorte der Welt. Ich         ethnologisches Arbeiten.
finde das Konzept der travelling models von          In der Programmarbeit schauen wir
Andrea Behrends, Richard Rottenburg und           zunächst, womit sich Künstler*innen und zi-
anderen hilfreich: Die Themen werden an           vilgesellschaftliche Aktivist*innen befassen.
einem Standort generiert – in der Auseinan-       Beispielsweise sind Fragen von politischen
dersetzung mit lokalen oder regionalen An-        Verhältnissen und Illiberalismus mindestens
forderungen und Bedürfnissen gemeinsam            genauso wichtig wie Postkolonialität. Wie
mit Menschen vor Ort. Von dort aus wan-           können wir als kulturpolitische Organisati-
dern sie möglicherweise zu einem anderen          on, die für Demokratie, Meinungsfreiheit,
Standort. Aus dieser Verflechtung zwischen        Vielfalt und Offenheit steht, in solchen
verschiedenen Standorten entstehen teil-          Kontexten arbeiten? Und wir erleben im
weise auch Verflechtungen zwischen Regio-         Moment überall auf der Welt, wie Populis-
nen. Bestimmte Themen werden dann von             mus, Illiberalismus und Unterdrückung von
mehreren Regionen bearbeitet. Schließlich         Meinungsfreiheit zunehmen. Das bereitet
kommen sie im „Zentrum“ an und verändern          uns Schwierigkeiten. Wobei das Goethe-In-
sich noch einmal. Das wird ganz praktisch         stitut durch seine Spracharbeit und durch
dadurch befördert, dass unser Personal            die Orientierung auf Kultur oft noch im
rotiert. Jens Adam, der nun an der Uni Bre-       Land bleiben kann, wenn andere deutsche
men ist, hat sich sehr genau mit der Entsen-      – politische – Stiftungen schon des Landes
dungspolitik und mit der Personalpolitik des      verwiesen werden. Das ist vielleicht ein Vor-
Goethe-Instituts beschäftigt. Ich finde sein      teil: Wir sind in den meisten Ländern durch
Buch dazu sehr interessant und einsichts-         binationale Kulturabkommen geschützt.
reich. Jetzt lerne ich das Prinzip der Rotation      Zum Thema Restitution kann man zu-
aus der Leitungsperspektive kennen. Und           nächst antworten, dass wir ja keine Objekte
wenn man jetzt in diesem Bild des Reisens         besitzen. Die Aufgabe des Goethe-Instituts
weiterdenkt, dann reisen natürlich mit den        ist es eher, Formate anzubieten, um dieses
Entsandten auch Impulse und Ideen.                Thema künstlerisch und wissenschaft-
                                                  lich-intellektuell zu bearbeiten. Wir nutzen
Dorle Dracklé                                     unsere Netzwerke, um Akteur*innen mitei-
Welche Rolle spielt das Thema                     nander in Kontakt zu bringen, das ist unser
Postkolonialität in Ihrer Arbeit?                 Beitrag zu dieser Debatte. Vielleicht ist noch

                                                                        Neues aus dem Fach     |   9
interessant, dass es ein Kooperationsab-        auch kosmopolitische Intellektuelle wie
kommen des Goethe-Instituts mit dem             etwa Achille Mbembe oder Felwine Sarr von
Humboldt Forum gibt. Ich hatte neulich          Künstler*innen und zivilgesellschaftlichen
mein Antrittsgespräch mit dem Intendanten       Aktivist*innen in Afrika, vor allem aber auch
Hartmut Dorgerloh, wir sind in einem engen      in Europa wahrgenommen. Der Vorteil des
Austausch. Es gibt auch eine von Goethe-In-     Goethe-Instituts ist es aber, mit Menschen
stitut und Humboldt Forum gemeinsam             vor Ort zu arbeiten, die international viel-
finanzierte Koordinationsstelle, die am         leicht noch nicht so bekannt sind. Bei der
Humboldt Forum angesiedelt ist. Sie nutzt       Rückvermittlung globaler Themen nach
unsere Netzwerke für Residenzprogramme          Deutschland schwingt sich das Feuilleton
und für Ausstellungsformate usw.                hierzulande sehr schnell auf drei, vier her-
                                                ausragende Personen ein. Durch unsere Ar-
Martin Gruber:                                  beit vor Ort haben wir Kontakt zu Personen,
Welche Rolle spielen Süd-Süd                    deren Namen hier noch nicht zirkulieren.
Beziehungen in der Arbeit des Goethe-           Diese Stimmen hier in Deutschland hörbarer
Instituts?                                      zu machen, ist spannend, weil es die Vielfalt
                                                von Perspektiven erweitert.
Carola Lentz:
Eine große Rolle! Ein Beispiel dafür ist ein    Dorle Dracklé:
großes Projekt in Afrika: „Museum Futures       Inwieweit spielt eigentlich das Thema
Africa“. Das ist ein Programm, für das sich     „Gender“ eine Rolle beim Goethe-
Museen bewerben konnten, die über               Institut? Wird darüber gesprochen?
ihre zukünftige Aufstellung nachdenken
wollten: Was können Museen in ihrer Ge-         Carola Lentz:
sellschaft, in ihrem Umfeld erreichen? Was      Ja, sehr viel. Zum einen in den Bereichen
wollen sie erreichen? Die teilnehmenden         Rekrutierung und Personal des Goethe-In-
Museen aus beispielsweise Kenia, Südafrika      stituts. Ich freue mich, dass ich Präsidentin
und Uganda machen das jetzt im Austausch        einer Institution bin, die inzwischen 50
untereinander. Und dann können auch In-         und mehr Prozent der Leitungspositionen
puts aus deutschen Museen dazu kommen.          weiblich besetzt hat. Gut, der Vorstand —
Es werden Hospitationen oder Ausbildungs-       der Generalsekretär und der kaufmännische
elemente für Restaurator*innen angebo-          Direktor — im Moment noch nicht, aber
ten. Bei diesem Programm beraten sich           das wird sicherlich über kurz oder lang
Afrikaner*innen gegenseitig. Die Jury, die      kommen. Es gibt viele sehr, sehr kreative
die Projekte ausgewählt hat, bestand aus        Köpfe und darunter auch viele Frauen
lokalen Kunst- und Museumsexpert*innen.         am Institut. Zum anderen ist das Thema
Früher hat es bereits ein solches Format zum    Frauenförderung in unseren verschiedenen
Südatlantik mit Kontakten zwischen Südaf-       regionalen Programmen präsent. Und unter
rika und Brasilien gegeben – dieses Format      den Partner*innen, mit denen wir in vielen
ist nicht nur auf einen Kontinent beschränkt.   Regionen der Welt zusammenarbeiten,
Ein ähnliches Projekt gibt es in Südostasien,   Künstler*innen und Musiker*innen usw.,
dabei geht es um Erinnerungspolitik. Gene-      sind mindestens genauso viele Frauen wie
rell kann man beobachten, dass im Sinne         Männer.
von reisenden Modellen, travelling models,         Darüber hinaus ist das Thema Feminis-
zum Beispiel die Black-Lives-Matter-Bewe-       mus eines unserer Schwerpunktthemen
gung in Südafrika und an anderen Orten          für die kommenden Jahre. Beispielsweise
aufgegriffen und lokal angeeignet und           ist für 2022 ein Festival zu Feminismen
weiterverarbeitet wird. Natürlich werden        geplant. Mein erster öffentlicher Auftritt als

                                                                      Neues aus dem Fach     |   10
Goethe-Präsidentin war übrigens bei einer         Institut, und so finden die Debatten, die in
Tagung zum Thema Gender in Brasilien und          unserem Fach über Kultur geführt werden
Deutschland, die das Frauennetzwerk „Uni-         ihren Weg auch in die Arbeit des Goethe-
das“ unterstützte, welches das Goethe-Ins-        Instituts.
titut gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt
in Brasilien aufgebaut hat.                       Martin Gruber:
                                                  Zum Thema Corona: Sie haben
Dorle Dracklé:                                    gesagt, dass die Pandemie Ihre
Für Ethnolog*innen ist es wichtig,                Einarbeitungszeit vollkommen
wie über Kultur gesprochen wird. Wie              durcheinandergebracht hat. Wie wirkt
wird im Goethe-Institut über Kultur               sich die Pandemie längerfristig auf die
gesprochen?                                       Arbeit des Instituts aus?

Carola Lentz:                                     Carola Lentz:
Ich habe mal einen Aufsatz geschrieben,           Im Goethe-Institut findet ein sehr intensiver
in dem ich mich kritisch mit der ganzen           und gut organisierter Reflexionsprozess
Begriffsgeschichte        auseinandergesetzt      darüber statt, welche Lehren wir aus Corona
habe. Auch mit den Vorschlägen aus der            ziehen. Zum einen hat das Goethe-Institut
Ethnologie, von Chris Hann und anderen,           sehr früh bestimmte Formate aufgelegt,
den Kulturbegriff abzuschaffen, weil er im        um Künstler*innen zu unterstützen. Bei-
Grunde genommen den Blick eher verstellt          spielsweise „Kulturama“, in dessen Rahmen
als öffnet. Ich habe dagegengehalten und          Künstler*innen Arbeiten gegen Spenden
gesagt, wir brauchen „Kultur“ als Brücken-        anbieten konnten, als kleine Soforthilfe.
begriff, um in allen möglichen Szenen auch        Zweitens gibt es einen großen Hilfsfonds,
gemeinsam arbeiten zu können. Seitdem             der zusammen mit dem Auswärtigen Amt
ich beim Goethe-Institut bin, bin ich davon       und einigen Stiftungen aufgelegt wurde.
überzeugter als je zuvor. Ich glaube, dass        Er gibt auf Antrag Künstler*innen und
immer die beiden Dimensionen des Kultur-          zivilgesellschaftlichen Organisationen in
begriffs in der Arbeit des Goethe-Instituts       vielen außereuropäischen, von der Pande-
mitschwingen. Die enge Definition im Sinne        mie besonders betroffenen Ländern die
von „Kulturbetrieb“, zum Beispiel Tanz, The-      Möglichkeit, ihre Strukturen zu erhalten.
ater, Literatur und bildende Kunst. Obwohl        In vielen Ländern ist die Situation für Kul-
das natürlich ein eher klassischer Begriff ist,   turschaffende verglichen mit Deutschland
glaube ich, dass wir ihn brauchen, weil er        viel dramatischer. Und wenn wir uns nicht
auch ein Schutzschirm in illiberalen politi-      bemühen, deren Aktivitäten wenigstens
schen Kontexten ist, unter dem wir arbeiten       punktuell zu unterstützen, haben wir bald
können. Der viel breitere Kulturbegriff, den      keine Partner*innen mehr, mit denen wir
wir aus der Ethnologie kennen, fließt mit         arbeiten können.
„The whole way of life“ nach Eric Wolf usw.          Eine andere Dimension ist, dass wir
ein. Manche schauen eher auf Werte und            intensiv darüber nachdenken, wie wir di-
Normen, also sozusagen die symbolische            gitale Formate jetzt und in Zukunft nutzen
Seite, und die anderen nehmen die ganzen          können. In einigen Bereichen brennen wir
materiellen Produkte und Praktiken mit auf.       natürlich alle darauf, wieder Präsenzformate
Für die praktische Arbeit des Goethe-Ins-         zu pflegen, mit lebendigen Begegnungen
tituts, die öffentliche Wahrnehmung, ist es       und mit all dem Unvorhersehbaren, mit
gut, dass wir ein relativ offenes und fluides     Nebenbei-Gesprächen, die da stattfinden.
Verständnis von Kultur haben. Im Übrigen          In anderen Bereichen sind Kommunikati-
arbeiten ja viele Ethnolog*innen im Goethe-       onsformate, die jetzt eingeführt wurden, ein

                                                                        Neues aus dem Fach    |   11
Gewinn, auch im Interesse der Nachhaltig-                 Lentz, Carola
keit. Wir hatten bislang einmal im Jahr eine              2017 Culture: the making, unmaking and
mehrtägige, sehr wichtige Regionalleiter*in-              remaking of an anthropological concept.
nen- und Abteilungsleiter*innen-Tagung in                 Zeitschrift für Ethnologie 142 (2): 181204.
München. Dort versammelt sich sozusagen                   2020 Rede anlässlich der Amtsübergabe am
die Weltorganisation, auch informell. Jetzt               13. November 2020, https://www.goethe.
ist die Tagung gezwungenermaßen in den                    de/de/uun/prs/int/len/22045561.html
digitalen Raum umgezogen. Die großen                      (Letzter Zugriff 22.3.21).
jährlichen Treffen wollen wir weiterhin
präsentisch organisieren, sobald das wieder               Internet-Quellen
möglich ist. Aber für die Zeit dazwischen                 MuseumFutures: Africa
werden wir sicherlich auch zukünftig durch                https://www.goethe.de/prj/lat/de/prj/mfa.
die regelmäßigen Online-Konferenzen mit                   html (Letzter Zugriff 22.3.21).
Teilnehmer*innen aus aller Welt viel mehr
Austausch haben.                                          Invisible Inventories
                                                          https://www.inventoriesprogramme.org/
Literatur                                                 (Letzter Zugriff 22.3.21).
Adam, Jens
2018 Ordnungen des Nationalen und der                     Unidas
geteilten Welt. Zur Praxis Auswärtiger Kul-               https://www.unidas.world/de
turpolitik als Konkfliktprävention. Bielefeld:            (Letzter Zugriff 22.3.21).
transcript.

Behrends, Andrea, Sung-Joon Park und
Richard Rottenburg
2014 Travelling Models in African Conflict
Management. Translating Technologies of
Social Ordering. Leiden: Brill.

Die Bremer Innenstadt hinterlässt ein Gefühl der Leere | Yannic Arens

                                                                               Neues aus dem Fach   |   12
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