New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign

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New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign
Master-Thesis
Im Studiengang Gestaltung
Studienrichtung Modedesign

Thema:

New Identity – Neue Entwicklungen
im chinesischen Modedesign

Vorgelegt von: Haolin Huang
Seminargruppe: 192007
Martrikelnummer: 39797
Eingereicht am 05.07.2021

Erstgutachterin: Diplom-Modedesignerin (FH) Prof. Dorette Bárdos
Zweitgutachter: Diplom-Modedesigner (FH) Denny Rauner

Angewandte Kunst Schneeberg
Westsächsische Hochschule Zwickau

Eingangsvermerke der Prüfer*innen:
New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign
Inhaltsverzeichnis
1.    Einleitung .....................................................................................................1
2.    Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert ...............................3
      2.1       Beispiele ............................................................................................3
            2.1.1        Kulturprogramme ....................................................................3
            2.1.2        Musik .......................................................................................6
            2.1.3        Interior Design.........................................................................8
      2.2       Ursachenanalyse ..............................................................................10
3.    Chinesische Stile im Modedesign ..............................................................17
      3.1       Die erste Generation ........................................................................19
      3.2       Die zweite Generation .....................................................................20
      3.3       Die dritte Generation .......................................................................22
            3.3.1        Masha Ma ..............................................................................23
            3.3.2        Mukzin ..................................................................................25
4.    Die Kollektion - ANAME ..........................................................................31
      4.1       Hintergrund ......................................................................................32
      4.2       Designkonzept .................................................................................33
      4.3       Farbe, Material und Entwurf ............................................................35
5.    Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign ....................................38
Literaturverzeichnis ...........................................................................................40
Internetquellen ...................................................................................................42
Abbildungsverzeichnis ......................................................................................44
New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign
Einleitung

       Einleitung

Individualität ist ein nicht mehr wegzudenkendes Schlüsselwort in der
Modebranche. Damit verbunden wird auch der immer wichtiger werdende
Pluralismus in der Gesellschaft ein zentrales Thema des Modedesigns. Teil
dieses Wandels ist unter anderem der Austausch zwischen West und Ost mit
China als einem der ‚Big Player‘.1
Noch dominiert das westliche Design, doch im Kontext der Globalisierung wird
auch die alte, traditionelle chinesische Kultur immer öfter zum Thema. 2010 ist
im Westen die erste chinesische Neujahrsmode aufgetaucht. Viele Luxus-
Marken haben in den letzten Jahren Produkte zum Thema chinesisches Neujahr
oder auch chinesische Tierkreiszeichen auf den Markt gebracht.                       2
                                                                                         2015
veranstaltete das Metropolitan Museum of Art eine Ausstellung mit dem Titel
„China: Through The Looking Glass“. Dabei wurde der Einfluss von
chinesischer Kunst, Film und Ästhetik auf Modedesigner wie Christian Dior und
Jean Paul Gaultier gezeigt.3
Zu sehen ist, dass einerseits China eine Vielzahl exotischer Inspirationen für
westliche Designer bietet, andererseits aber nur wenige chinesische
Persönlichkeiten unter den international bekannten Designern zu finden sind.
Mit der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas verändert sich auch
dessen Identität ständig. Doch wie verstehen Chinesen bzw. chinesische
Designer ihre eigene Identität und gehen mit dieser um?
In den Augen vieler chinesischer Modedesigner ist es Teil ihrer Identität, ein

1
    Vgl. Brandt, Mathias: Grafik „China ist Mode-Weltmacht Nr. 1“, in: Statista, [29.09.2016].
 (25. Jun 2020, 21:07 Uhr)
2
    Vgl. Hills, Megan C.: From Gucci to Burberry: These are the best luxury items celebrating
Chinese New Year, [17.01.2020].  (25. Jun 2021, 21:14 Uhr)
3
    Vgl. China: Through the Looking Glass, in: The Met
 (25.
Jun 2021, 21:19 Uhr)
                                                                                              1
New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign
Einleitung

Propagandist der chinesischen Kultur zu sein:

       „ […] these designers frequently highlighted their passion for revealing their
       Chinese “roots” and “heritage” or the “5,000 years of Chinese history and
       culture” in their clothing… “4

Sie sehen sich als Botschafter und sind durchaus stolz darauf, ihre Wurzeln auch
über ihre Mode zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist aber erstmal nicht geklärt,
wie genau der Bezug zur chinesischen Geschichte und Kultur oder der
chinesischen Identität in der Mode umgesetzt wird, und in welchem Kontext das
Modebewusstsein der Chinesen selbst steht, welches schon so lange auf den
westlichen Markt ausgerichtet ist.5 In dieser Untersuchung soll auf diese Fragen
eingegangen werden, indem die Arbeit von chinesischen Designern
unterschiedlichen Alters analysiert wird, um zu verstehen, was sie in der
chinesischen Mode sehen. Dabei werden die Erwartungen der Chinesen an Mode
innerhalb ihrer Generationen verglichen. Mit Hilfe dieser Untersuchung soll
auch herausgefunden werden, was neue chinesische Mode und Identität sind,
und wie sich diese in Zukunft weiter entwickeln könnten.

4
    Tsui, Christine: From Symbols to Spirit: Changing Conceptions of National Identity in Chinese
Fashion, in: Fashion Theory 17,2013, S. 579–604. S. 580
5
    Kozar, Joy M.: Chinese Consumers’ Attitudes of Chinese Versus Western Fashion Brands. An
Exploration of Possible Predictor Variables Related to Individual and Cultural Values, in:
Marketing Opportunities and Challenges in a Changing Global Marketplace, 2020, S. 511-512,
S. 511
                                                                                               2
New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

       Rückkehr der traditionellen Kultur im 21.
       Jahrhundert

Mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas werden die materiellen
Erwartungen der chinesischen Bevölkerung zunehmend befriedigt und haben ein
größeres Bedürfnis nach immateriellen Gütern, insbesondere nach Kultur und
Freizeit, entwickelt.
Immer mehr Chinesen beginnen sich wieder für ihre traditionelle Kultur zu
interessieren.6 Aber in der modernen Gesellschaft scheint die Tradition oft fehl
am Platz zu sein. Dennoch versuchen die Chinesen, diese Barriere zu
überwinden und ihre Kultur in einem neuen, moderneren Gewand zurückkehren
zu lassen.
Im Folgenden sollen ein paar Beispiele erörtert werden, die dieses Wachstum des
Interesses an Kultur aufzeigen.

2.1 Beispiele

2.1.1 Kulturprogramme

Seit 2016 gibt es einen sprunghaften Anstieg der Anzahl kultureller TV-
Sendungen. Nehmen wir zum Beispiel den „Chinese Poetry Kongress“, eine
Spielshow im chinesischen Zentralfernsehen, die das Gedächtnis der
Wettbewerber und das Rezitieren chinesischer Poesie einschließlich klassischer
und moderner Formen von Shi, Ci und Qu, auf die Probe stellt. Die Show hat
durch ein spielerisches Format, das Zuschauer aller Altersgruppen anspricht,

6
    Vgl. AFP: Zurück in die Hanfu-Zeit: Junge Chinesen tragen Traditionelles, in: Fashionunited,
[13.09.2019].  (26. Jun 2021, 22:41 Uhr)
                                                                                                   3
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Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

viele Gedichte aus Lehrbüchern ins Fernsehen gebracht. Dabei hat die Sendung
bereits viele klassische Fernsehserien in den Einschaltquoten übertroffen, so lag
die Gesamtzahl der Zuschauer der ersten Staffel bei 1,163 Milliarden.7
In einem anderen Programm, „National Treasure“, das Museumsartefakte
vorstellt, werden die Geschichten hinter diesen von Schauspielern aufgeführt
und inhaltlich von Archäologen ergänzt, wodurch ein großes Interesse an den
Artefakten entsteht. Das Programm erhöht gleichzeitig auch die Motivation des
Publikums, Museen zu besuchen. Seit dem Start Anfang Dezember 2017 ist die
Anzahl der Suchanfragen nach inländischen Tourismusprodukten über das
Stichwort „Museum“ um 50 % gestiegen.8

Durch visuelle und auditive Stimulationen haben diese kulturellen Shows viele
greifbare und nicht greifbare Aspekte der chinesischen Kultur zum Leben
erweckt und die Bevölkerung ermutigt, ihre Kultur zu erkunden.
Im Jahr 2017 wurde auf IQiyi9 die Musikshow „The Rap of China“ ausgestrahlt,
um die besten Rapper Chinas zu küren. Dabei erhielten gerade lokale Hip-Hop-
Musiker große Aufmerksamkeit. Diese Künstler haben Elemente wie Gewalt
und Drogen aus dem Rap entfernt und sich auf Inhalte konzentriert, die eher dem
lokalen Kontext entsprechen, wie z.B. GAI's10 Lied „Tian Gan Wu Zao“, in dem
er den alten chinesischen Slogan der ‚Nachtwächter‘ (Personen, die vor der
Erfindung der Uhr die Zeit ausriefen) aufgreift, um jungen Leuten zu vermitteln,
nicht vom richtigen Weg abzukommen.11
Die Künstler haben auch eine größere Vielfalt in ihrer Sprache angenommen, bei
der sie in einer Kombination aus Mandarin und Englisch rappen, sowie lokale

7
   CCTV: 5 亿人收看《中国诗词大会》               ,央视文化综艺节目再走红, in: CCTV, [09.02.2017].
 (26. April
2021,17:12 Uhr)
8
   Lai Qi Tao:《国家宝藏》引发寻宝热 博物馆旅游搜索量激增 50%, in: Sohu,
[23.12.2017].  (17. Mai 2021, 10:30 Uhr)
9
  Eine Online-Video-Streaming-Plattform aus China, vergleichbar mit „Netflix“
10
   Ein chinesischer Musiker Zhou Yan
11
   Song, Baorui:《中国有嘻哈》对嘻哈文化本土化启示, in: Southeast Communication
11,2017, S. 41-43, S. 42
                                                                                  4
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Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

Dialekte nutzen. Die Show konnte auf der Plattform Weibo (vergleichbar mit
„Twitter“) über 7 Milliarden Interaktionen erzeugen.12
Der individualistische und extravagante Kleidungsstil der Rapper hat auch
chinesische Streetwear-Marken, die davor immer eine Nische waren, bekannter
gemacht. Daraus ist der Begriff Guo Chao entstanden, der für chinesisches
Streetwear (Abb. 1) steht. Mittlerweile hat sich der Begriff durchgesetzt und
wird heute für die Bezeichnung von Kleidung (Abb. 2) und Grafikdesign (Abb.
3) mit chinesischen Kulturelementen genutzt. 13 Durch die kontrastreichen
Farben ist der moderne Stil des Guo Chao gerade bei jungen Leuten sehr beliebt.

 Abb. 1: Kollektion „ Bu zen me nice“ (dt.        Abb. 2: Pop Star Jackson Yee trägt ein Guo
 nicht so gut) der chinesischen Streetwear-       Chao Outfit von chinesischer Modemarke
 Marke „Randomevent“                              „Angel Chen“ in Fernsehprogramm „Street
                                                  Dance of China“, 2021

12
     Yang, Xinjie: 对话《中国有嘻哈》总制片人:网络综艺如何成为现象级 IP, in: the Paper,
[2017-09-30].  (17. Mai 2021, 17:24
Uhr)
13
     Vgl. Sol Ahn: How Guochao is Bringing Pride to Chinese Consumer Culture, in: Mirae
Asset, [24.06.2020].  (26. Jun 2021, 0:08 Uhr)
                                                                                                 5
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Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

 Abb. 3: Guo Chao Grafikdesign von Illustratorin Song Chen für Jianlibao Group, 2019

2.1.2 Musik

Die Verschmelzung von ausländischer Popkultur mit lokaler chinesischer Kultur
ist eigentlich schon lange nichts Neues. So hat bereits 2003 der Sänger Jay Chou
die Zhong Guo Feng Musik kreiert und zu einem großen Erfolg gebracht.

     „Zhong Guo Feng, a new genre of Chinese music fusing traditional Chinese
     instruments and musical styles with Western rhythm and blues and
     rock…His music expands what it means to return to the past for inspiration.
     He has found an attractive mix of fashionable nationalism and culturally
     sensitive cosmopolitanism.”14
                                                          - Schroeder / Borgerson / Wu, 2013

Sowohl seine Melodie als auch seine Texte reflektieren innovativ traditionelle
chinesische Ästhetik und kulturelle Konnotationen und sind somit Symbol für
eine moderne Auseinandersetzung chinesischer Kultur. Mittlerweile ist die Idee
des Zhong Guo Feng nicht nur in der Musik zu finden, sondern hat sich bereits

14
  Schroeder, Jonathan / Borgerson, Janet / Wu, Zhiyan: From Chinese Brand Culture to Global
Brands. Insights from aesthetics, fashion and history, Great Britain 2013, S. 58
                                                                                          6
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Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

auf andere Bereiche wie Grafik oder Modedesign ausgeweitet.
Zhong Guo Feng bedeutet auf Chinesisch „chinesischer Stil“, in Europa steht
derselbe Begriff aber für einen anderen Stil: Chinoiserie war in Europa bereits
im 18. Jahrhundert populär, der Unterschied liegt aber darin, dass Chinoiserie
ein europäischer Kunststil ist, der von der Vorstellung Chinas inspiriert ist. 15
Zhong Guo Feng ist ein Stil, der auf der traditionellen chinesischen Kultur
basiert. Übliche Elemente dabei sind Tuschemalerei, Scherenschnitt oder blau-
weißes Porzellan. Zhong Guo Feng zeichnet ein Gefühl von chinesischer
Stimmung und Schönheit aus. So ist im Modedesign die Zhong Guo Feng-
Kleidung meist fließend mit bedruckten oder bestickten Verzierungen (Abb. 4).

 Abb. 4: Album Cover Hoo Yuan Chia, Jay Chou, 2018

15
     Vgl. Chinoiserie, in: Wikipedia,  (16. Mai 2021,
14:27 Uhr)
                                                                                                    7
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Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

 Abb. 5: Zhong Guo Feng-Kleidung, Kollektion „Yuan Ming Yuan“ der Modemarke „Heaven
 Gaia“, 2016

2.1.3 Interior Design

Zur gleichen Zeit hat sich ein ähnlicher Stil im Bereich der Inneneinrichtung
herausgebildet: Neuer Chinesischer Stil. Dies ist ein Designstil, der eine
moderne Designsprache verwendet, um traditionelle chinesische ästhetische und
kulturelle Ideen aufzudrücken (Abb. 6).16
Dieser Stil taucht später auch im Kleidungsdesign auf (Abb. 7). Hier ist der neue
chinesische Stil, ähnlich wie das oben erwähnte Zhong Guo Feng, ebenfalls von
der traditionellen chinesischen Kultur inspiriert, aber mit mehr Betonung auf
deren Harmonie mit dem modernen Leben. In der Mode hebt der neue
chinesische Stil den ruhigen Charakter des traditionellen chinesischen Stils
hervor und die Verwendung von chinesischen Elementen ist zurückhaltend. Die
Neuheit dieses Stils liegt zum einen in der Unterscheidung von der alten
chinesischen Kleidung und zum anderen in seinem Dienst an der neuen Zeit.
Die Entstehung des Neuen Chinesischen Stils spiegelt eine Art Erwartung der

16
  Xu, Duozi: 新中式室内设计风格研究, in: Central South University of Forestry and
Technology, Changsha 2013, S. 1
                                                                                            8
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

Chinesen an die traditionelle Kultur wider: Sie geben sich nicht damit zufrieden,
den Stil der traditionellen Kultur zu schätzen, sondern hoffen, dass das moderne
Leben und die traditionelle Kultur einen Zustand des dynamischen
Gleichgewichts und der innovativen Integration erreichen können.

 Abb. 6: Neu Chinesischer Stil im Interior     Abb. 7: M13 2018 Ready-to-wear von
 Design für ein Wohnzimmer                     Modedesigner Zhang Zhaoda - „M13“ ist
                                               seine Marke zum neuen chinesischen Stil

Wie man an den obigen Beispielen sehen kann, hat der Einfluss der traditionellen
chinesischen Kultur, sei es in den Bereichen Literatur, Geschichte, Musik oder
Design, im Laufe der Zeit nicht nachgelassen und sogar neue Richtungen
angenommen. Um diesen Trend zu verstehen, gilt es sich auch noch einmal
stärker mit den Gründen für dieses Neudenken zu beschäftigen.

                                                                                                9
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

2.2 Ursachenanalyse

Seit dem Eintritt in das 21. Jahrhundert hat China seine Investitionen im Bereich
der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung weiter erhöht, um sich
als moderne Industrienation zu beweisen.17 Gleichzeitig blickt das Land aber
auch wieder auf seine Wurzeln zurück. Allgemein lassen sich drei Hauptgründe
für die neu aufkommende Beschäftigung mit den alten Traditionen aufstellen.

1) Ausgelöst durch die gesellschaftliche Entwicklung

Im Zuge der Urbanisierung in China wurden viele Gebäude mit historischem
Wert abgerissen, und die Volkskunst steht vor dem Dilemma, dass sie von
niemandem weitergegeben wird oder sogar ausstirbt. Feng Jicai widmet sich seit
Ende der neunziger Jahre dem Schutz alter Dörfer und des kulturellen Erbes und
initiierte das „Projekt zur Rettung des chinesischen Volkskulturerbes“. Er ist der
Meinung, dass traditionelle Kultur ein wichtiger Träger der Nation sei und man
diese schützen sollte, um die DNA unserer Nation zu bewahren. 18
Im selben Zug haben die Menschen im schnelllebigen Stadtleben häufig
Modernitätsängste, und der traditionelle Lebensstil bringt ein Gefühl der Muße
und Einfachheit mit sich, nach dem sich die städtischen Chinesen sehnen. Die
Popularität der Influencerin Li Ziqi bestätigt dies. Seit 2016 postet sie Videos
zur      Herstellung      von     Lebensmitteln       im     antiken      Stil    auf    mehreren
Internetplattformen. Das idyllische Leben, das sie aufzeigt, hilft Menschen sich

17
     Vgl. Bauer-Hailer, Ursula/ Wezel, Hans-Ulrich: Die EU, USA und China – Drei Großmächte
im Vergleich, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8, 2015, S. 24
18
     Feng Jicai (1942 in Tianjin, China) ist ein zeitgenössischer chinesischer Autor, Künstler und
Kulturwissenschaftler
Feng, Jicai: 今天的矛头对准建筑师, in: Feng Jicai: 灵魂不能下跪 1. Aufl., Ningxia 2007
                                                                                                   10
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

vom Stress und der Anspannung zu befreien. 19, 20
Diese Art von Leben ist jedoch für die meisten Menschen nicht realistisch, daher
suchen sie auf andere Weise nach spiritueller Unterstützung, wie zum Beispiel
die Teilnahme an traditionellen Festen, Meditation-Events (Abb. 8) oder das
Tragen von traditioneller Kleidung Hanfu (Abb. 9).

 Abb. 8: Mann auf einem Meditationsevent, im Shandong Zhengjue Tempel, 2018

19
   Li Ziqi (6. Juli 1990 in Mianyang, Sichuan, China) ist eine chinesische Foodbloggerin und
Internetberühmtheit
20
   Zeng, Yiguo/ Shi, Jing: 从“情感按摩”到“情感结构”:现代性焦虑下的田园想象——
以“李子柒短视频”为例, in: Journal of Fujian Normal University (Philosophy and Social
Sciences Edition) 2, 2020, S. 122-130 und 170-171. S. 124
                                                                                               11
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

 Abb. 9: Touristinnen tragen Hanfu, um am „Hanfu-Huazhao-Fest“ auf den Henan Yuntai Berg
 teilzunehmen

2) Einfluss des Internets

Im Zeitalter des Internets verbreiten sich Informationen sehr schnell. Es hat die
Grenzen von Zeit und Raum aufgebrochen und die Möglichkeiten der
Selbstidentifikation erweitert. Während die Identität im realen Leben eher stabil
und restriktiv ist, kann man in der virtuellen Welt die eigenen Ideale freier
ausleben und die Unzulänglichkeiten der Realität ausgleichen.
Mit Hilfe des Internets finden die Anhänger der traditionellen Kultur schnell ihre
eigenen Kreise und tauschen sich untereinander aus, so dass ihre
Gemeinschaften allmählich wachsen. Ein Beispiel hierfür ist die Community des
Hanfu. Das Konzept Hanfu wurde in der „Hanfu-Bewegung“ eingeführt, die sich
zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der Grundlage des Internets entwickelte.
Hanfu ist der allgemeine Begriff für die traditionelle Han-chinesische Tracht bis
Mitte des 17. Jahrhunderts, die von der Antike bis zur Gegenwart Veränderungen

                                                                                             12
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

unterworfen war. Dabei hat sich ein bestimmtes Kostümsystem herausgebildet.21
Im Jahr 2019 erreichte die Zahl der Hanfu-Enthusiasten 3.561.000 Menschen,
und der Umsatz des Hanfu-Marktes stieg im selben Jahr auf 4,5 Milliarden Yuan
(ca. 580 Millionen Euro).22
Die Popularität von Hanfu hat auch einen Boom beim Erlernen des traditionellen
Handwerks ausgelöst. 2018 erregte der Haarschmuck der Nanjing Samtblume
(Abb. 10) im Hit-Drama „Die Geschichte des Palastes Yanxi“ die
Aufmerksamkeit des Internetnutzers Fu Lei, der entschlossen seinen Job
kündigte, um die Fertigkeit der Samtblumenherstellung zu erlernen: „Ich hatte
damals nur einen Gedanken: zu helfen, so etwas Schönes weiterzugeben.“                       23

Das immaterielle Kulturerbe der Herstellungstechniken der Samtblumen war zu
diesem Zeitpunkt durch eine Vielzahl von Faktoren in einem gefährdeten
Zustand.24 Die heute wiederaufkommende Popularität der Nanjing Samtblumen
ist,vor allem der schnellen Verbreitung durch das Internet zu verdanken.

 Abb. 10: Samtblumen-Arbeit „Ju (Chrysantheme)“ des Meisters Zhao und seinen Lehrlingen

21
     Li, Chunli/ Zhu, Feng/ Cui, Peihong: 基于亚文化视角的青年“汉服文化”透视, in:
Contemporary Youth Research 1, 2015, S. 40-46, S. 43
22
     Vgl. iimedia Research: 2020 Q1 China Hanfu Markt Operation Status Monitoring Report, in:
iimedia, [12.05.2020].  (17. Mai 2021, 15:42 Uhr)
23
     Zhang, Nan: 园博园创意绒花背后 有群 90 后南京绒花传承人, in: 163, [14.05.2021].
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

3) Staatlich geführt

Auch die staatliche Führung spielt heute eine wichtige Rolle bei der Verbreitung
der traditionellen Kultur.
Durch die Untersuchung der Geschichte Chinas vor der Ming-Dynastie (1368-
1644 v. Chr.) stellt Michael Ng-Quinn fest, dass die Kultur immer ein wichtiger
Teil der Entwicklung des vormodernen Chinas war:

       „I have argued that in premodern China an idealized national identity based
       on unity and culture had existed since the period of Xia, Shang, and Zhou.
       This national identity offered stability and helped sustain the Chinese state
       regardless of circumstances by unifying the population, at least
       psychologically. That the Chinese state has physically perpetuated itself
       testifies to the importance of that identity. “25

Bis heute nimmt die „traditionelle chinesische Kultur“ einen wichtigen Platz in
vielen Entwicklungsplänen Chinas ein.
Am 22. Juli 2009 wurde Chinas erster Sonderplan für Kulturwirtschaft – der
„Plan für die Neubelebung der Kulturindustrie „– von der Exekutivsitzung des
Staatsrates der Chinesischen Volksrepublik überprüft und genehmigt.                       26
                                                                                               Die
Kulturwirtschaft wurde damit auf eine Ebene mit der Stahlindustrie,
Autoindustrie und Textilindustrie gesetzt.
Seitdem werden verschiedene Maßnahmen eingeführt, um die Schaffung von
Literatur und Kunst mit Bezug zur chinesischen Kultur, die Erhaltung des
kulturellen Erbes, die Wiederbelebung traditioneller Feste und weitere ähnliche

25
     Ng-Quinn, Michael: National Identity in Premodern China. Formation and Role Enactment,
in Lowell Dittmer, Samuel S. Kim (Hg.): China’s Quest for National Identity, 2. Aulf., New York
1995, S. 32-61, hier S. 57-58
26
     Vgl. Nachrichtenagentur Xinhua: 文化产业振兴规划全文发布 , in: Gov, [26.09.2009].
 (11. April 2021, 17:54 Uhr)
                                                                                                14
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

Projekte zu unterstützen. 27 So zeigt der Dokumentarfilm „Meister in der
Verbotenen Stadt“ den Alltag der Restauratoren im Palastmuseum Pekings,
deren Handwerkergeist von vielen jungen Zuschauern bewundert wird und trägt
damit die traditionelle Handwerkskunst in die breite Öffentlichkeit.28
Durch die Regierung werden viele kulturelle Veranstaltungen gefördert, um die
traditionelle Kultur im modernen Leben ‚aktiv‘ darzustellen. Das Gefühl der
Trennung zwischen Tradition und Moderne wird dadurch aber noch verstärkt,
deshalb ist es besonders wichtig, sich mit dem Verhältnis dieser beiden Welten
auseinanderzusetzen.

Durch das Zusammenspiel der genannten drei Hauptfaktoren wird die
traditionelle chinesische Kultur in verschiedenen Bereichen verarbeitet,
verfeinert und geschickt in das moderne Leben integriert. Insbesondere das
Modedesign, das von der traditionellen Kultur inspiriert ist, wird durch den
kreativen Ausdruck der Designer allmählich zu einem Trend. Dies deutet darauf
hin, dass chinesische Designer und Konsumenten beginnen, die Beziehung
zwischen China und dem Westen, zwischen Tradition und Moderne, rational zu
betrachten und suchen nach emotionaler Resonanz mit ihrer eigenen Kultur.29
Die neu entstandenen Stile sind Ausdruck dieser emotionalen Bedürfnisse.
Zuerst sehnte man sich nach einer traditionellen Ästhetik und Werten, wie sie in
antiken Gedichten dargestellt wird. Diese Ästhetik wurde dann revolutioniert
und mit modernen Materialien gemischt, woraus die unterschiedlichen
chinesischen Stile entstanden.

27 Vgl. Nachrichtenagentur Xinhua: 关于实施中华优秀传统文化传承发展工程的意见, in:
Gov. [25.01.2017].  (16. Mai
2021 17:58 Uhr)
28 Han, Wei/ Liu, Shuangshuang: Film on Palace Museum’s Antiquity Restoration Becomes
Surprise Hit, in: MCLC Resource Center, [12.27.16].
 (26. Jun 2021, 1:52 Uhr)
29
     Li, Shengnan/ Dai, Hong: 服装设计中的中国风与新中式, in: Industrial Design, 2019. S.
120-121. S. 120
                                                                                               15
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert

Da die Generation, die in den 1980er und 1990er Jahren geboren wurde, der
Hauptkonsument des modernen Chinas ist, ist das, was sie brauchen, nicht nur
Schönheit im Kontext, sondern auch Schönheit, die sich selbst ausdrücken
kann.    30
              Die subversive und furchtlose Charakteristik der Straßenkultur
neutralisiert das schwere Gewicht der traditionellen chinesischen Kultur und
bringt eine neue Balance zwischen chinesischen Elementen und moderner
Kleidung zum Ausdruck.
Wie reagieren die chinesischen Modedesigner auf diese Anforderungen? Werden
sie eine neue Lösung finden, um einen chinesischen Stil zu finden, der für die
heutige Gesellschaft relevanter ist.

30
     Vgl. Henkel, Regina: Chic Shanghai: Die chinesische Fashion Industrie nimmt den
Heimatmarkt ins Visier, in: Fashionunited, [01.10.2018].
 (26. Jun 2021, 15:32 Uhr)
                                                                                                 16
Chinesische Stile im Modedesign

       Chinesische Stile im Modedesign

Mode: „in einer bestimmten Zeit, über einen bestimmten Zeitraum bevorzugte,
als zeitgemäß geltende Art, sich zu kleiden, zu frisieren, sich auszustatten.“31

Mode gibt es, seit die Menschen Kleidung tragen, aber Modedesign und
Modedesigner sind zwei Begriffe, die es in China erst seit circa einem
Jahrhundert gibt.
Die Modeforscherin Dr. Christine Tsui hat sich in ihrem Buch „China Fashion:
Conversations with Designers“ intensiv mit dem Thema beschäftigt und sieht
den Weg der zeitgenössischen chinesischen Modedesigner folgendermaßen: 32
Ab Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Shanghai zu einer Weltstadt.
Durch den daraus resultierenden internationalen Austausch kamen auch viele
westliche Kleidungsstile nach China. Im gleichen Zeitraum wurde auch die
heutige Republik China gegründet (1911). Kleidung im westlichen Stil galt zu
dieser Zeit als ein Symbol dafür, sich von der alten Regierung abzugrenzen. Die
Nachfrage nach westlicher Kleidung überstieg dadurch schnell das Angebot.
1917 wird in Folge dessen die Shanghai Hongxiang Mode Firma gegründet,
wodurch das westliche Konzept der „Mode“ und der Beruf des Modedesigners
erstmals in China auftauchten. Davor gab es den Beruf des Modedesigners nicht.
Schneider nähten oder verarbeiteten Bekleidung für gewöhnlich nur nach den
Anforderungen ihrer Kunden.
Die Zeit zwischen den 1950er und 1970er Jahren war eine Periode des
‚Modeverbots‘ in China. Individualität war zu dieser Zeit das größte Tabu. Der
einheitliche Kleidungsstil und die eintönigen Farben banden die Ästhetik der

31
     Vgl. Duden online Wörterbuch: Begriff „Mode“ Bedeutung 1. a)
 (29. Mai
2021,18:03 Uhr)
32
     Vgl. Tsui, Christine: China Fashion: Conversations with Designers in both English and
Chinese, Hong Kong 2013
                                                                                           17
Chinesische Stile im Modedesign

Menschen an ihre politische Einstellung. Mit all den politischen Faktoren und
dem Mangel an Materialien war die Position des Modedesigners praktisch
nutzlos. Erst 1979 wurde der französische Designer Pierre Cardin nach China
eingeladen, um eine Modenschau abzuhalten. „[…] die Mode, die Herr Pierre
Cardin mitbrachte, war wie eine Frühlingsbrise, die den Menschen in die Augen
blies.“33 Kurz darauf folgte ein Wiederaufleben des Modedesigns in China.

Mode ist für Designer ein Medium, ihren persönlichen Stil und ihre Philosophie
auszudrücken, daher spielen die eigenen Erfahrungen und Werte der Designer
eine wichtige Rolle in ihren Entwürfen. Tsui teilt die chinesischen Modedesigner
entsprechend ihrer Ära in drei Generationen ein: Die erste Generation sieht sie
Anfang der 1990er Jahre, die zweite in der Mitte der 1990er Jahre bis zum
Beginn des 21. Jahrhunderts und ab dem 21. Jhd. die dritte, aktuelle Generation,
auch ‚Einzelkind-Generation‘ genannt. Im folgenden Kapitel wird Tsuis
Klassifizierung der chinesischen Modedesigner und ihrer Designphilosophie
fortgesetzt, um das Design in seinem zeitlichen Kontext zu verstehen. Dabei soll
der Schwerpunkt auf der neuesten, dritten Generation von Designern liegen.

Bei britischer Mode denkt man sofort an Gentlemen und Hochwertigkeit, bei
französischer Mode an Eleganz und Luxus, aber wie sieht es mit chinesischer
Mode aus?

33
     Ebd. Tsui, Christine
                                                                                  18
Chinesische Stile im Modedesign

3.1 Die erste Generation

Durch die lange Zeit des Einflusses des Westens auf das Modedesign Chinas war
die erste Generation vor die Aufgabe gestellt, chinesische Kultur als solche im
Modedesign anzuwenden. Dabei wurde häufig der Weg gewählt, chinesische
Kultur mit westlichem Modedesign zu kombinieren.

     „Jede Saison lasse ich mich von chinesischen Elementen inspirieren, die
     große und tiefgründige chinesische Kultur ist immer so inspirierend und
     unendlich.“34
                                                                            - Tam, 2005

Vivienne Tam gehört zur ersten Generation von Designern, und ihre Arbeiten
sind international bekannt. Vom Forbes-Magazin als eine der „Top 25 Chinese
Americans“ ausgewählt, gründete sie 1990 ihr eigenes Label in New York. Ihre
Designs sind eine Verschmelzung östlicher und westlicher Kulturelemente, bei
dem sie westliche Schneidertechniken mit chinesischen Elementen kombiniert.
Mehrere ihrer Werke befinden sich in der ständigen Sammlung des Metropolitan
Museum of Art in New York. Wie die meisten ihrer Zeitgenossen auch
experimentiert sie mit westlichen Designtechniken und Formen, um der
traditionellen chinesischen Kultur Ausdruck zu verleihen. Sie brachten so
repräsentative chinesische Symbole wie Drache oder das Porträt von Mao
Zedong in das Design mit ein, um dem Publikum im In- und Ausland die Kultur
über einen starken visuellen Eindruck zu vermitteln.

34
   Yuni: 在二十年前的纽约,一个华人设计师是怎么取得成功的?, in: Elleman,
[31.03.2019].  (29. Mai 2021, 21:01 Uhr)
                                                                                      19
Chinesische Stile im Modedesign

 Abb. 11: Dragon Robe, Spring/Summer   Abb. 12: Amanda de Simone: Outfit mit
 1998 von Vivienne Tam im Met Museum   chinesischen Schriftzeichen „Wan Sui“ (dt.
                                       Zehntausend Jahre alt), Herbst 2013 Ready-
                                       to-wear von Vivienne Tam, 2013

3.2 Die zweite Generation

Ab Mitte der 1990er Jahre erfuhr der chinesische Modemarkt großen
Aufschwung, wodurch auch ein alternativer Ausdruck der chinesischen Kultur
unter der zweiten Generation von Designern entstand. Ihnen ist das laute und
intensive Design der vorherigen Generation oft zu offensiv für eine so
vielschichte Kultur, weshalb sie sich stärker auf die Erforschung der inneren
Schönheit der traditionellen Kultur konzentrieren. Zum Beispiel gründete die
Designerin Liang Zi die Marke „Tangy“, die für die Harmonie der ‚Einheit von

                                                                                    20
Chinesische Stile im Modedesign

Himmel und Mensch’ steht. 35 Seit 1994 bewahrt und entwickelt sie den
traditionellen Stoff Xiang Yun Sha (in Deutschland auch als ‚Teeseide‘ bekannt)
weiter, ein Seidengewebe mit einer einzigartigen Farbe und Textur; auch als
weiches Gold beschrieben (Abb. 13).36 Das Handwerk des Xiang Yun Sha drohte
in Vergessenheit zu geraten, weil der Prozess zu mühsam und von Wetter und
Geografie abhängig war. Aber dank ihrer Bemühungen hat der Stoff sich von
einer unbekannten Größe zu einer Berühmtheit im In- und Ausland entwickelt.
Im Jahr 2019 wurde „Tangy“ von der Pariser Agentur für nachhaltigen Luxus
„1.618“ zu einer der 15 nachhaltigsten Luxusmarken der Welt gewählt.

 Abb. 13: Seidenstoff Xiang Yun Sha

35
     Die Einheit von Himmel und Mensch ist eine chinesische philosophische Idee, die die
Rückkehr des Menschen zur Natur und zum spirituellen Reich betont, wo alle Dinge eins mit
sich sind.
36
     Xiang Yun Sha wird in einem unveränderten handwerklichen Verfahren seit der Ming Dynastie
(1368–1644) im Perlflussdelta in Südchina gefärbt. Sie wird mit dem asiatischen
Yamswurzelgewächs „Shuliang“ zwanzig- bis dreißigmal gefärbt. Anschließend wird die
Färbung mit Flussschlamm fixiert und in der Sonne getrocknet. Der hierfür nötige eisenhaltige
Flussschlamm ist nur in dieser Region vorhanden und verleiht der Seide eine dunkel- oder
rotbraune Farbe. Der Begriff Teeseide wurde durch die deutsche Designerin Kathrin von
Rechenberg geschaffen.
Vgl. Elke Lütke-Entrup: Teeseide, mon amour, in: Konfuzius Institut Magazine 6, 2016, S. 56

                                                                                             21
Chinesische Stile im Modedesign

 Abb. 14: Models im Tangy Silk Garden umgeben von Stoffbahnen des rohen Xiang Yun
 Shas, 2019

3.3 Die dritte Generation

Heutzutage bekommt die chinesische Kultur immer mehr Aufmerksamkeit in der
internationalen Designszene. Die dritte Generation chinesischer Designer (ab
1980er geboren) ist das Rückgrat dieses neuen Interesses. Verglichen mit den
vorherigen Generationen von Designern erhält die aktuelle Generation viel mehr
Freiheiten und eine breitere Perspektive. Die stellvertretende Redakteurin des
„Index on Censorship Magazins“ Jemima Steinfeld sieht dies als Folge davon,
dass diese Generation von einem freieren und offeneren China profitiert.
Eine Studie untersuchte repräsentativ 100 unabhängige chinesische Designer
dieser Generation, die ihre Marken zwischen 2000-2017 gegründet haben. Die
Ergebnisse zeigen, dass 60% dieser ein Auslandsstudium gemacht haben, und
                                                                                       22
Chinesische Stile im Modedesign

mehr als die Hälfte von ihnen hat einen Master-Abschluss. Sie sind also
internationaler und gut ausgebildet. So sind chinesische Designer immer öfter
Teil der internationalen Fashion-Week. Die Corona Pandemie hatte im Jahr 2020
einen großen Einfluss auf die Fashion Week. Trotzdem präsentierten 58
chinesische Designer ihre Kollektionen auf der ‘Big Four’ Herbst/Winter
Fashion Week 2020, von denen 49 Designer an bekannten Modeschulen in
Europa und den USA ausgebildet wurden.37
Chinesische Designer spielen eine immer wichtiger werdende Rolle im
internationalen Austausch. Dabei gibt es durch die neu erlangten Freiheiten sehr
unterschiedliche Ansichten, was chinesisches Design für die einzelnen Designer
bedeutet und wie sie mit dem Ausdruck ihrer Kultur umgehen. Um diese
Kontraste aufzuzeigen, sollen im Folgenden zwei Beispiele chinesischer
Designer und ihre persönliche Einstellung zur chinesischen Identität untersucht
werden.

3.3.1 Masha Ma

Masha Ma, Absolventin des Central Saint Martins, gründete ihr Label „Masha
Ma“ 2008 und ist mittlerweile Stammgast auf der Pariser Fashion Week. „Ma is
propelling Asian fashion into the future.“, so schrieb das Time Magazine unter
dem Titel „Next Generation Leader“ über sie.38
Die Grundlage für ihr Design bietet das moderne China:
„I have nothing against lions or dragons, but they were never part of the China I

37
     Vgl. Forbes China: 2020 国际四大时装周落幕,58 位华人设计师亮相, in: Forbes China,
[05.03.2020].  (17. Jun 2021, 18:03 Uhr)
38
     Beech, Hannah: She Dressed Lady Gaga and Could Become the First Designer Superstar in
China, in: Time, [28.05.2015].  (21. Jun 2021, 17:43 Uhr)
                                                                                             23
Chinesische Stile im Modedesign

grew up in, everything was grey.“ 39
Für sie ist chinesische Identität und Kultur nicht mit den stereotypischen
Vorstellungen eines glorreichen Chinas verbunden, sondern mit den Realitäten
der chinesischen Gesellschaft. Die hohen Erwartungen an die Jugend und der
gesellschaftliche Druck sind Teil dieser Auseinandersetzung. Gerade das
Frauenbild und dessen Einordnung in das moderne China spielen für sie eine
wichtige Rolle.
Ihre minimalistischen und kantigen Designs bringen das in einem raffinierten
und femininen Look zum Ausdruck. Für ihre Herbst/Winter-Kollektion 2019
setzte sie ihre Spezialität des unkonventionellen Schneiderhandwerks und der
Dekonstruktion fort, um das Erwachen des Selbstbewusstseins der Frau zu
zeigen (Abb. 15).
Auch ihre Herbst/Winter-Kollektion 2015 hat den Ansatz, moderne Kultur zu
nutzen, so ist diese vom Suzhou Museum inspiriert, was ein Komplex ist, der
Tradition und Moderne verbindet. Die Kollektion präsentiert eine Mischung aus
chinesischen Gärten und moderner minimalistischer Architektur entsprechend
ihrer Philosophie, chinesische Elemente zeitgemäßer zu präsentieren und eine
neue Definition von China zu finden (Abb. 16).
Sie sieht sich dabei als Designerin in einem internationalen Kontext, da sie die
Hälfte ihres Lebens in London und Paris verbracht hat. Dennoch ist es ihr
wichtig, das Image des chinesischen Designs in der Welt zu verbessern.

„I want to change the conversation from „Made in China“ to „Designed in
China“. It is time for an international brand from China to succeed.“40

So setzt sie sich auch aktiv für diese Veränderung ein, indem sie z.B. das Design-

39
     Haworth, Abigail: Fashion design in China: ‘The trick is to embrace the chaos’, in: The
Guardian, [12.07.2015].  (21. Jun 2021, 14:32 Uhr)
40
     Ebd. Beech, Hannah
                                                                                           24
Chinesische Stile im Modedesign

Studio SPMA, „Self Pride, Massive Attack“ in Shanghai gründete, welches
junge chinesische Designer fördern soll, um eine stärkere Designszene auch
innerhalb Chinas zu schaffen.41

 Abb. 15: Aitor Rosas Sun: Masha Ma       Abb. 16: Tian Ye: Masha Ma Herbst/Winter
 Herbst/Winter 2019                       2015

3.3.2 Mukzin

Masha Ma stellt bei ihrer Interpretation chinesischer Identität das moderne China
in den Vordergrund und stellt sich damit in gewisser Weise gegen den Trend, den
Fokus auf die traditionelle Kultur zu setzen. So ist Kate Hans Ansatz beim

41
  Harper’s Bazaar: MASHAMA 恰是时候的改变|中国设计, in: Sohu, [22.10.2019].
 (21. Jun 2021, 18:06 Uhr)
                                                                                    25
Chinesische Stile im Modedesign

Ausdruck ihrer chinesischen Identität deutlich offensiver.
Seit 2014 in Hangzhou folgt ihre Marke „Mukzin“ dem ‚Oriental Fever‘ und
trifft den Geschmack der Jugend, die die chinesische Kultur liebt, aber den
traditionellen chinesischen Stil als veraltet ansieht.42 Sie will ihre Individualität
zeigen und gleichzeitig Spaß haben. Inspiriert von Vivienne Westwoods
Designphilosophie hat Kate Han, ein Absolvent der University of Leeds, die
Tradition mit zeitgenössischem Flair neu erfunden und verschiedene chinesische
historische Referenzen durch kreative handgemalte Drucke in Szene gesetzt
(Abb. 17). Seit 2016 arbeitet Mukzin mit Handwerkern des immateriellen
Kulturerbes zusammen, um die Schönheit der traditionellen Hami/ XinJiang-
Stickerei und der Tibetischen Stickerei aus Guinan (Abb. 18, Lotus-Stickerei auf
dem Kleid) auf moderne Kleidung zu bringen.
2018 präsentierte Kate Han ihre Herbst/Winter-Kollektion mit dem Thema „Jade
In The Shadow“ auf der Paris Fashion Week mit einem sehr chinesischen und
doch modernen Twist (Abb. 18). Das Bild der Frau Xia, Kriegsfigur der der
chinesischen Wuxia Literatur, brachte sie per Druck auf ein technisches Gewebe
aus Papier und Memorymetall, wodurch ein gleichzeitig festes und sanftes ‚Zhan
Pao‘ (dt. Kampfgewand) entsteht. Dadurch kommt der aufrührerische Geist von
Frau Xia zum Ausdruck, die sich nicht an die Regeln hält und nicht bereit ist,
sich unterzuordnen. Das Thema entspricht auch ihrer ursprünglichen Intention
bei der Gründung von Muzkin, die chinesische Kultur in die Kleidung zu bringen
und es chinesischen Mädchen zu ermöglichen, diese mit mehr Selbstvertrauen
zu tragen und ihre Vorlieben mutiger auszudrücken.43
In diesem Zusammenhang erhielt Mukzin großes Lob von Angelica Cheung, der
ehemaligen Chefredakteurin bei Vogue China: „Das ist die beste [Marke], die
chinesische Kultur und moderne Mode verbindet.”44

42 Vgl. Brand Story  (18. Jun 2021, 13:54 Uhr)
43
   Wen Mu: 密扇的心意,女神的新衣,in: Zhi Hu, [26.07.2017]
 (18. Jun 2021, 18:08 Uhr)
44
   Jiu Yue/ Mukzin: 密扇,东方女侠的新式时尚秘籍, in: Art and Design 07, 2018, S. 92-95.
S. 92
                                                                                    26
Chinesische Stile im Modedesign

Abb. 17: Mukzin Spring/Summer 2019

Abb. 18: Mukzin Spring 2021, Kleid mit Tibetischer Stickerei aus Guinan im Lotus Motiv

                                                                                         27
Chinesische Stile im Modedesign

 Abb. 19: Mukzin Herbst/Winter 2018 Kollektion auf der Paris Fashion Week

Die zwei Beispiele zeigen, auf welch vielfältige Weise chinesische Kultur und
Identität zum Ausdruck gebracht werden kann. In einer Sache sind sich jedoch
beide Designer einig. Sie wollen das Image von „Made in China“ angreifen und
eine neue Bild von chinesischem Design im internationalen Vergleich schaffen.
Ihre Marken haben viele treue Kunden in ihren jeweiligen Bereichen angezogen
                                                                                         28
Chinesische Stile im Modedesign

und haben die Entwicklung der chinesischen Mode in gewissem Maße positiv
beeinflusst.
Um einen Ausblick zu geben, wie diese Entwicklung auch in Zukunft weiter
gehen könnte, lassen sich auf Grundlage des Erfolges der beiden Designerinnen
folgende Prognosen aufstellen:

1) Chinesische Elemente werden weiterhin beliebt sein

Wie in Kapitel 2 erwähnt, wird die Popularität des Guo Chaos, das originale
chinesische Design mit traditionell orientalischer Ästhetik wie Mukzin, nicht
nachlassen. Dies ist das Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen von Designern
und Verbrauchern. Die chinesischen Verbraucher brechen allmählich mit dem
Klischee, dass ‚ausländische Marken besser sind‘, und die Designer sind stärker
motiviert, qualitativ hochwertige und kreative Designs anzubieten.
Laut dem „McKinsey 2017 China Consumer Report“ gaben in der Kategorie
Modeaccessoires zu 31 % an, lokale Marken zu bevorzugen.45 Im Vergleich zu
früheren Umfragen hat sich das starke Interesse der chinesischen Verbraucher an
internationalen Marken auf lokale Marken verlagert. Auch der „Umfragebericht
zum aktuellen Jugendtrendkonsum“ Chinas zeigt, dass 72 % der Befragten eine
positive Einstellung zur Entwicklung Guo Chaos haben. 46 Daraus lässt sich
ableiten, dass gerade lokale Modemarken, die mit chinesischen Elementen
spielen, in den Augen der Verbraucher einen Vorteil genießen werden.

45
     Baan, Wouter/ Luan, Lan/ Poh, Felix/ Zipser, Daniel: Double-clicking on the Chinese
consumer. McKinsey 2017 China Consumer Report. 2017. S. 18
46
     Die Umfrage war ein Online-Fragebogen mit 227 Teilnehmern im Jahr 2020.
Vgl. 当代年轻人潮流消费调查问卷, in: Sina Fashion, [28.02.2020]
 (19. Jun 2021, 20:07 Uhr)
                                                                                           29
Chinesische Stile im Modedesign

2) Schaffung eines liberaleren, freieren und vielfältigeren kreativen Umfelds

Der Erfolg der Designer in diesem Artikel liegt nicht nur in der Inspiration durch
die chinesische Kultur, sondern auch in ihrer Kreativität und Ausgereiftheit ihres
Designs. Das liegt zum Teil sicher an der westlichen Ausbildung, die diese
Designer erhalten haben, aber auch am Zeitalter des Internets, durch das viele
junge Chinesen während ihres Heranwachsens mit einer Vielzahl von fremden
Kulturen in Berührung gekommen sind. Dabei sind sowohl die Bekleidung der
Charaktere in japanischen und koreanischen TV-Dramen, sowie die Rebellions-
und Freiheitsgedanken der westlichen Straßenkultur Inspirationsquellen für
junge chinesische Designer. Für Designer dieser Generation, wie Masha Ma, ist
das Leben sowohl vom Osten als auch vom Westen beeinflusst. Bei der
Nachahmung und Aufnahme dieser Inspirationen hat sich die Konnotation der
chinesischen Mode erweitert, und es haben sich langsam verschiedene Stile
entwickelt, die auch international Anerkennung erhalten.
Daher sollte ein abwechslungsreiches künstlerisches Schaffen gefördert werden,
um eine unabhängige und moderne Designszene Chinas zu schaffen.

3) Strengere Kontrollen und Verbesserung der Industriestandards

Um das Image „Made in China“ zu ändern, reicht es nicht aus, sich allein auf die
Innovation der Designer zu verlassen. Die Regierung und Branchenverbände
sollten Gesetze und Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums verbessern,
um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Rechte an geistigem Eigentum zu
schärfen und so Plagiate zu verhindern. Dadurch wird vermieden, dass
minderwertige    Nachahmungen       den   Markt    überschwemmen          und     den
Lebensraum guter Designs verdrängen. Zusätzlich sollten Industriestandards
auferlegt werden, um eine bessere Qualitätssicherung zu ermöglichen.

                                                                                    30
Die Kollektion - ANAME

     Die Kollektion - ANAME

Nach der obigen Analyse und Schlussfolgerung ist es leicht zu erkennen, dass
das zeitgenössische chinesische Modedesign im Wesentlichen auf die
Verbreitung von Kultur sowie die Überwindung von Stereotypen abzielt.
Modedesign mit offensichtlichen chinesischen Elementen ist derzeit eine
populärere Ausdrucksform, weil der Unterschied zwischen ethnischer Identität
und moderner Kultur ein Gefühl von Frische, Zugehörigkeit und sogar
wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Trotzdem ist die offensichtliche
ethnische Zugehörigkeit aus der Perspektive der Globalisierung nicht förderlich
für die kulturelle Diffusion.
In diesem Zusammenhang meint Fu Jin, der stellvertretende Vorsitzende der
China Literature and Art Critics Association, „wenn wir über die Beziehung
zwischen Nationalität und Welt sprechen, geht es letztlich um die
kulturübergreifende Kommunikation von Literatur und Kunst. [...] Einzigartiger
Charme, Ausdruckskraft und emotionale Tiefe sind immer wichtiger als
Unterschiede. “47
Von der Literatur und Kunst kann auch ein Rückschluss auf das
Bekleidungsdesign gezogen werden, denn obwohl die nationale Identität eine
attraktive Manifestation der Vielfalt in der globalen Kultur ist, geht die größte
Vielfalt immer noch vom einzelnen Designer aus. Die Verarbeitung der
Inspiration zum Schaffen des Designers ist immer mit seiner Identität verbunden,
auch mit seiner nationalen Identität. Daher kann der Zweck der kulturellen
Kommunikation auf lange Sicht effektiver erreicht werden, wenn die
persönlichen Merkmale des Designers vor den nationalen Merkmalen im
Kleidungsdesign stehen.
Als visuelles Beispiel für diese Art des Designs wird im Folgenden eine

47
  Fu, Jin/ Gao, Fang/ Wu, Jun: 重新审视“越是民族的,就越是世界的”, in: Zhejiang
Academic Journal 4, 2020, S. 31-39, S. 33
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Die Kollektion - ANAME

Modekollektion ANAME vorgestellt, die im Zuge dieser Arbeit entstanden ist.
Inspiriert durch den eigenen Alltag in China ist die Kleidung für die
Herbst/Wintersaison durch eine besondere Schnitttechnik geprägt, um den
Bedürfnissen vieler Alltagssituationen gerecht zu werden.

4.1 Hintergrund

Der Fokus dieser Arbeit liegt bei dieser Kollektion vor allem auf der
kantonesisch chinesischen Kultur, Tradition und Identität. Der Name der
Kollektion setzt sich zum einen aus der kantonesischen Vorsilbe für Namen „A“,
und zum anderen aus dem deutsch/englischen Begriff des „Namens“. Der Titel
verbindet somit einem westlichen Bezug von Identität mit einer chinesischen
Einordung. Kanton, auch Guangdong genannt, ist eine Region im Süden Chinas,
die besonders für ihre Esskultur und nahe Anbindung zu Hongkong bekannt ist.
Um ein Gespür und eine Idee von dieser Kultur zu bekommen, ist es von Vorteil,
sich die Wurzeln des dortigen Lebens genauer anzuschauen. Dazu gehört
vorrangig auch das Yum Cha, ein Brauch, bei dem man sich zum Frühstück
gemeinsam trifft (Abb. 20). Hierbei spielen das durch Bambusdämpfer erwärmte
Essen (Abb. 21) und ein guter Tee die Hauptrollen. Zwischen heißem Essen und
Tee wird das Lebenstempo entschleunigt. Das Gemeinschaftsgefühl und die
lockeren Gespräche machen diese Tradition zu einem Schlüsselelement der
kantonesischen Gesellschaft. Der Runde Tisch steht dabei symbolisch für
Perfektion, Harmonie und Zusammenhalt, so wie einem ständigen Zyklus. Diese
Symbolik ist sehr wichtig und hat in der praktischen Ausarbeitung des Themas
einen hohen Stellenwert, da es ein immer wieder vorkommendes Element im
chinesischen Alltag ist.
Insgesamt soll für die Kollektion chinesische Kultur als Grundlage benutzt und
diese zum Ausdruck gebracht werden. Der Fokus liegt aber nicht darauf, diese
Elemente wieder der chinesischen Kultur zuordnungsbar zu machen, sondern die

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Die Kollektion - ANAME

eigene chinesische Identität lediglich als kreativen Antrieb zu nutzen,
unabhängig von einer nationalen Zugehörigkeit.

 Abb. 20: Klassisches Yum Cha, in:    Abb. 21: David Edenfield: Gedämpfte
 Kitchen stories, 2018                Dumplings in Bambusdämpfern, in: Flickr, 2012

4.2 Designkonzept

Das Ziel der Arbeit ist es, diese unterschiedlichen kulturell bezogenen Einflüsse
in einer modernen Alltagskollektion für die Frau zum Thema werden zu lassen.
Dabei wird mit einem flachen losen Schnitt und weichen Materialien gespielt,
sowie runde Silhouetten erzeugt und eine Vielzahl an Schichten kreiert, um ein
sanftes, aber starkes Bild einer modernen Frau entstehen zu lassen.
Die Kreise, inspiriert von den runden Bambusdämpfern und runden Tischen,
werden an verschiedenen Stellen des Körpers platziert, so dass der Stoff auf
natürliche Weise nach unten fällt und eine fließende, dampfähnliche, weiche
Silhouette entsteht. Zusätzliches Volumen entsteht auch durch verschiedene
Faltungen, die die fluffige, weiche Form der Dumplings (dt. Teigtaschen) (Abb.
22) beim Yum Cha aufnehmen.

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Die Kollektion - ANAME

Darüber hinaus spiegelt sich die chinesische Kultur in den Details wider. Die
Manschettenriemen und überlappenden Knopfleisten erinnern an die Art und
Weise, wie traditionelle chinesische Kleidung verbunden wurde. Der Kragen
kombiniert den Kreuzkragen der traditionellen chinesischen Kleidung mit dem
modernen Hemdkragen, der gefaltet und geschnitten ist, um einen Kragen zu
schaffen, der vertraut aussieht, aber neue Details hat. Ein kurzer Rock ist auch
vom zweiteiligen Rock der chinesischen Song-Dynastie inspiriert (Abb. 22).
Dies ist ein Rock aus vier Stoffstücken, die sich überlappen und durch den Bund
zusammengefügt werden. Dieser Rock ähnelt optisch einem Wickelrock, aber da
die Seitennähte des Rocks nicht zusammengenäht sind, wird die tatsächliche
Beinfreiheit für Bewegungen nicht eingeschränkt. Die Überlappung und
Drapierung des Stoffes verleiht dem Kleidungsstück einen mehrschichtigen
Look und ist einer der Schlüssel zur Kollektion.

 Abb.22: Wei Guo: Garnelen-Dumplings Har Gow, in: Redhousepice, 2017

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Die Kollektion - ANAME

 Abb. 23: Rock aus dem Grabmal von Huang Sheng, Südliche Song-Dynastie im
 Jahr 1243, Fuzhou

 Abb. 24: Modellierung für den Rock, aus dem Buch „Fuzhou Huang Sheng Mu “

4.3 Farbe, Material und Entwurf

Die Farben dieser Kollektion sind inspiriert von den in Teehäusern üblichen
Holzmöbeln, dem weißen Porzellangeschirr mit blauem Muster und dem Essen
in den Bambusgefäßen. Alles wird durch den Wasserdampf nur vernebelt
wahrgenommen, daher sind die warmen Eigenschaften der Farben weniger
gesättigte Braun-, Champagner- und Blautöne. Diese Farbpalette spiegelt ein
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Die Kollektion - ANAME

visuelles Gefühl von Harmonie, Komfort und Wärme wider. Ebenso geht der
transparente Organza für die Bluse auf den verschwommenen Charakter des
Wasserdampfes ein. Weitere verwendete Materialien sind Wolle und andere
klassische Stoffe, die sich gut drapieren lassen und ein warmes Gefühl vermitteln.
Die Kollektion besteht aus fünf Outfits, die sechs Hauptkategorien von Kleidung
abdecken: Trenchcoat, Jacke, Bluse, Kleid, Rock und Hose.
Die Teile sind für eine Vielzahl von alltäglichen Anlässen geeignet und gehen
damit auf den lockeren und sozialen Charakter der kantonesisch chinesischen
Kultur ein.

 Abb. 25: Entwurf

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Die Kollektion - ANAME

Abb. 26: Entwurf Rückseite

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Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign

       Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign

Obwohl viele Designer die chinesische Kultur gerne aus einer modernen
Perspektive interpretieren, entscheiden sich die meisten für traditionelle
Elemente chinesischer Kultur, wie z. B. Drachentotems, historische Geschichten
und Porzellanmalerei.

       „Almost all Chinese fashion designers view Chinese ethnic culture as the
       traditional ethnic culture only, which is due to the excellence and the
       diversity of Chinese culture in the history.” 48
                                                                                - Sun / Ha, 2019

Sun und Ha verglichen die Ansichten chinesischer und koreanischer Designer
zur nationalen Identität anhand von Interviews. Sie fanden heraus, dass sich
chinesische Designer, wenn sie über die Kultur ihres Landes sprachen, sich meist
auf die traditionelle nationale Kultur bezogen, während koreanische Designer
Inhalte bevorzugten, die sich auf das moderne Leben bezogen.
Das moderne China hat viele politische Umwälzungen und das Vordringen der
westlichen Kultur erlebt, wodurch noch keine einheitliche und moderne
Designkultur aufgebaut werden konnte. Daher ziehen es Designer oft vor, sich
von der Vergangenheit inspirieren zu lassen, wenn sie die chinesische Identität
darstellen wollen. Allerdings lassen sich die Traditionen der Vergangenheit nur
schwer direkt auf die heutige Gesellschaft und die Kleidung der Gegenwart
übertragen. Die Chinesen sind gefangen zwischen einer modernen, westlich
geprägten Kultur und einer traditionellen, östlichen Kultur und versuchen, eine
gemeinsame Identität zu finden. Oft wird dabei aber auch die nationale
Verbundenheit sehr betont. Dies könnte von Nachteil sein, wenn man versucht,

48
     Sun, Chenhao/ Ha, Jisoo: Fashion Designers and National Identity: A Comparative Empirical
Analysis of Chinese and Korean Fashion Designers, in: Asian Culture and History 2, 2019, S.
75-86, S. 84
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Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign

chinesische Kultur zu einem Teil der internationalen Modeszene zu machen.
Chinesisches Design sollte innerhalb dieser existieren und nicht neben ihr. Denn
wie Dr. Christine Tsui in ihrer Studie „From Symbols to Spirit: Changing
Conceptions of National Identity in Chinese Fashion” beschreibt, ist das in den
Vordergrund Rücken der chinesischen Kultur nicht ganz politisch unabhängig zu
sehen. „It is both a result of patriotic education as well as a mechanism
manipulated for competition with the Western designers.”49 Sie sieht darin eine
neue Art von Nationalismus, der sich aktuell in der chinesischen Modebranche
ausbreitet. Der Fokus sollte auf den zahlreichen Inspirationen liegen, die die
reichhaltige chinesische Kultur zu bieten hat und deren Umsetzung in einem
modernen, unabhängigen Design, nicht auf der Nationalität liegt.
Was fast alle Designer am Ende jedoch verbindet, ist die Motivation, das Label
„Made in China“ zum Positiven zu verändern. Dafür braucht diese Bewegung
auch gar keine eindeutige Designsprache, vielmehr liegt gerade in der Vielfalt
der Gedanke der chinesischen Identität im Design versteckt.

49
     Tsui, Christine: From Symbols to Spirit: Changing Conceptions of National Identity in
Chinese Fashion, in: Fashion Theory 17, 2013, S. 579–604. S. 595
                                                                                             39
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