New Identity - Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign
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Master-Thesis Im Studiengang Gestaltung Studienrichtung Modedesign Thema: New Identity – Neue Entwicklungen im chinesischen Modedesign Vorgelegt von: Haolin Huang Seminargruppe: 192007 Martrikelnummer: 39797 Eingereicht am 05.07.2021 Erstgutachterin: Diplom-Modedesignerin (FH) Prof. Dorette Bárdos Zweitgutachter: Diplom-Modedesigner (FH) Denny Rauner Angewandte Kunst Schneeberg Westsächsische Hochschule Zwickau Eingangsvermerke der Prüfer*innen:
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .....................................................................................................1 2. Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert ...............................3 2.1 Beispiele ............................................................................................3 2.1.1 Kulturprogramme ....................................................................3 2.1.2 Musik .......................................................................................6 2.1.3 Interior Design.........................................................................8 2.2 Ursachenanalyse ..............................................................................10 3. Chinesische Stile im Modedesign ..............................................................17 3.1 Die erste Generation ........................................................................19 3.2 Die zweite Generation .....................................................................20 3.3 Die dritte Generation .......................................................................22 3.3.1 Masha Ma ..............................................................................23 3.3.2 Mukzin ..................................................................................25 4. Die Kollektion - ANAME ..........................................................................31 4.1 Hintergrund ......................................................................................32 4.2 Designkonzept .................................................................................33 4.3 Farbe, Material und Entwurf ............................................................35 5. Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign ....................................38 Literaturverzeichnis ...........................................................................................40 Internetquellen ...................................................................................................42 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................44
Einleitung Einleitung Individualität ist ein nicht mehr wegzudenkendes Schlüsselwort in der Modebranche. Damit verbunden wird auch der immer wichtiger werdende Pluralismus in der Gesellschaft ein zentrales Thema des Modedesigns. Teil dieses Wandels ist unter anderem der Austausch zwischen West und Ost mit China als einem der ‚Big Player‘.1 Noch dominiert das westliche Design, doch im Kontext der Globalisierung wird auch die alte, traditionelle chinesische Kultur immer öfter zum Thema. 2010 ist im Westen die erste chinesische Neujahrsmode aufgetaucht. Viele Luxus- Marken haben in den letzten Jahren Produkte zum Thema chinesisches Neujahr oder auch chinesische Tierkreiszeichen auf den Markt gebracht. 2 2015 veranstaltete das Metropolitan Museum of Art eine Ausstellung mit dem Titel „China: Through The Looking Glass“. Dabei wurde der Einfluss von chinesischer Kunst, Film und Ästhetik auf Modedesigner wie Christian Dior und Jean Paul Gaultier gezeigt.3 Zu sehen ist, dass einerseits China eine Vielzahl exotischer Inspirationen für westliche Designer bietet, andererseits aber nur wenige chinesische Persönlichkeiten unter den international bekannten Designern zu finden sind. Mit der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas verändert sich auch dessen Identität ständig. Doch wie verstehen Chinesen bzw. chinesische Designer ihre eigene Identität und gehen mit dieser um? In den Augen vieler chinesischer Modedesigner ist es Teil ihrer Identität, ein 1 Vgl. Brandt, Mathias: Grafik „China ist Mode-Weltmacht Nr. 1“, in: Statista, [29.09.2016]. (25. Jun 2020, 21:07 Uhr) 2 Vgl. Hills, Megan C.: From Gucci to Burberry: These are the best luxury items celebrating Chinese New Year, [17.01.2020]. (25. Jun 2021, 21:14 Uhr) 3 Vgl. China: Through the Looking Glass, in: The Met (25. Jun 2021, 21:19 Uhr) 1
Einleitung Propagandist der chinesischen Kultur zu sein: „ […] these designers frequently highlighted their passion for revealing their Chinese “roots” and “heritage” or the “5,000 years of Chinese history and culture” in their clothing… “4 Sie sehen sich als Botschafter und sind durchaus stolz darauf, ihre Wurzeln auch über ihre Mode zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist aber erstmal nicht geklärt, wie genau der Bezug zur chinesischen Geschichte und Kultur oder der chinesischen Identität in der Mode umgesetzt wird, und in welchem Kontext das Modebewusstsein der Chinesen selbst steht, welches schon so lange auf den westlichen Markt ausgerichtet ist.5 In dieser Untersuchung soll auf diese Fragen eingegangen werden, indem die Arbeit von chinesischen Designern unterschiedlichen Alters analysiert wird, um zu verstehen, was sie in der chinesischen Mode sehen. Dabei werden die Erwartungen der Chinesen an Mode innerhalb ihrer Generationen verglichen. Mit Hilfe dieser Untersuchung soll auch herausgefunden werden, was neue chinesische Mode und Identität sind, und wie sich diese in Zukunft weiter entwickeln könnten. 4 Tsui, Christine: From Symbols to Spirit: Changing Conceptions of National Identity in Chinese Fashion, in: Fashion Theory 17,2013, S. 579–604. S. 580 5 Kozar, Joy M.: Chinese Consumers’ Attitudes of Chinese Versus Western Fashion Brands. An Exploration of Possible Predictor Variables Related to Individual and Cultural Values, in: Marketing Opportunities and Challenges in a Changing Global Marketplace, 2020, S. 511-512, S. 511 2
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas werden die materiellen Erwartungen der chinesischen Bevölkerung zunehmend befriedigt und haben ein größeres Bedürfnis nach immateriellen Gütern, insbesondere nach Kultur und Freizeit, entwickelt. Immer mehr Chinesen beginnen sich wieder für ihre traditionelle Kultur zu interessieren.6 Aber in der modernen Gesellschaft scheint die Tradition oft fehl am Platz zu sein. Dennoch versuchen die Chinesen, diese Barriere zu überwinden und ihre Kultur in einem neuen, moderneren Gewand zurückkehren zu lassen. Im Folgenden sollen ein paar Beispiele erörtert werden, die dieses Wachstum des Interesses an Kultur aufzeigen. 2.1 Beispiele 2.1.1 Kulturprogramme Seit 2016 gibt es einen sprunghaften Anstieg der Anzahl kultureller TV- Sendungen. Nehmen wir zum Beispiel den „Chinese Poetry Kongress“, eine Spielshow im chinesischen Zentralfernsehen, die das Gedächtnis der Wettbewerber und das Rezitieren chinesischer Poesie einschließlich klassischer und moderner Formen von Shi, Ci und Qu, auf die Probe stellt. Die Show hat durch ein spielerisches Format, das Zuschauer aller Altersgruppen anspricht, 6 Vgl. AFP: Zurück in die Hanfu-Zeit: Junge Chinesen tragen Traditionelles, in: Fashionunited, [13.09.2019]. (26. Jun 2021, 22:41 Uhr) 3
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert viele Gedichte aus Lehrbüchern ins Fernsehen gebracht. Dabei hat die Sendung bereits viele klassische Fernsehserien in den Einschaltquoten übertroffen, so lag die Gesamtzahl der Zuschauer der ersten Staffel bei 1,163 Milliarden.7 In einem anderen Programm, „National Treasure“, das Museumsartefakte vorstellt, werden die Geschichten hinter diesen von Schauspielern aufgeführt und inhaltlich von Archäologen ergänzt, wodurch ein großes Interesse an den Artefakten entsteht. Das Programm erhöht gleichzeitig auch die Motivation des Publikums, Museen zu besuchen. Seit dem Start Anfang Dezember 2017 ist die Anzahl der Suchanfragen nach inländischen Tourismusprodukten über das Stichwort „Museum“ um 50 % gestiegen.8 Durch visuelle und auditive Stimulationen haben diese kulturellen Shows viele greifbare und nicht greifbare Aspekte der chinesischen Kultur zum Leben erweckt und die Bevölkerung ermutigt, ihre Kultur zu erkunden. Im Jahr 2017 wurde auf IQiyi9 die Musikshow „The Rap of China“ ausgestrahlt, um die besten Rapper Chinas zu küren. Dabei erhielten gerade lokale Hip-Hop- Musiker große Aufmerksamkeit. Diese Künstler haben Elemente wie Gewalt und Drogen aus dem Rap entfernt und sich auf Inhalte konzentriert, die eher dem lokalen Kontext entsprechen, wie z.B. GAI's10 Lied „Tian Gan Wu Zao“, in dem er den alten chinesischen Slogan der ‚Nachtwächter‘ (Personen, die vor der Erfindung der Uhr die Zeit ausriefen) aufgreift, um jungen Leuten zu vermitteln, nicht vom richtigen Weg abzukommen.11 Die Künstler haben auch eine größere Vielfalt in ihrer Sprache angenommen, bei der sie in einer Kombination aus Mandarin und Englisch rappen, sowie lokale 7 CCTV: 5 亿人收看《中国诗词大会》 ,央视文化综艺节目再走红, in: CCTV, [09.02.2017]. (26. April 2021,17:12 Uhr) 8 Lai Qi Tao:《国家宝藏》引发寻宝热 博物馆旅游搜索量激增 50%, in: Sohu, [23.12.2017]. (17. Mai 2021, 10:30 Uhr) 9 Eine Online-Video-Streaming-Plattform aus China, vergleichbar mit „Netflix“ 10 Ein chinesischer Musiker Zhou Yan 11 Song, Baorui:《中国有嘻哈》对嘻哈文化本土化启示, in: Southeast Communication 11,2017, S. 41-43, S. 42 4
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Dialekte nutzen. Die Show konnte auf der Plattform Weibo (vergleichbar mit „Twitter“) über 7 Milliarden Interaktionen erzeugen.12 Der individualistische und extravagante Kleidungsstil der Rapper hat auch chinesische Streetwear-Marken, die davor immer eine Nische waren, bekannter gemacht. Daraus ist der Begriff Guo Chao entstanden, der für chinesisches Streetwear (Abb. 1) steht. Mittlerweile hat sich der Begriff durchgesetzt und wird heute für die Bezeichnung von Kleidung (Abb. 2) und Grafikdesign (Abb. 3) mit chinesischen Kulturelementen genutzt. 13 Durch die kontrastreichen Farben ist der moderne Stil des Guo Chao gerade bei jungen Leuten sehr beliebt. Abb. 1: Kollektion „ Bu zen me nice“ (dt. Abb. 2: Pop Star Jackson Yee trägt ein Guo nicht so gut) der chinesischen Streetwear- Chao Outfit von chinesischer Modemarke Marke „Randomevent“ „Angel Chen“ in Fernsehprogramm „Street Dance of China“, 2021 12 Yang, Xinjie: 对话《中国有嘻哈》总制片人:网络综艺如何成为现象级 IP, in: the Paper, [2017-09-30]. (17. Mai 2021, 17:24 Uhr) 13 Vgl. Sol Ahn: How Guochao is Bringing Pride to Chinese Consumer Culture, in: Mirae Asset, [24.06.2020]. (26. Jun 2021, 0:08 Uhr) 5
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Abb. 3: Guo Chao Grafikdesign von Illustratorin Song Chen für Jianlibao Group, 2019 2.1.2 Musik Die Verschmelzung von ausländischer Popkultur mit lokaler chinesischer Kultur ist eigentlich schon lange nichts Neues. So hat bereits 2003 der Sänger Jay Chou die Zhong Guo Feng Musik kreiert und zu einem großen Erfolg gebracht. „Zhong Guo Feng, a new genre of Chinese music fusing traditional Chinese instruments and musical styles with Western rhythm and blues and rock…His music expands what it means to return to the past for inspiration. He has found an attractive mix of fashionable nationalism and culturally sensitive cosmopolitanism.”14 - Schroeder / Borgerson / Wu, 2013 Sowohl seine Melodie als auch seine Texte reflektieren innovativ traditionelle chinesische Ästhetik und kulturelle Konnotationen und sind somit Symbol für eine moderne Auseinandersetzung chinesischer Kultur. Mittlerweile ist die Idee des Zhong Guo Feng nicht nur in der Musik zu finden, sondern hat sich bereits 14 Schroeder, Jonathan / Borgerson, Janet / Wu, Zhiyan: From Chinese Brand Culture to Global Brands. Insights from aesthetics, fashion and history, Great Britain 2013, S. 58 6
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert auf andere Bereiche wie Grafik oder Modedesign ausgeweitet. Zhong Guo Feng bedeutet auf Chinesisch „chinesischer Stil“, in Europa steht derselbe Begriff aber für einen anderen Stil: Chinoiserie war in Europa bereits im 18. Jahrhundert populär, der Unterschied liegt aber darin, dass Chinoiserie ein europäischer Kunststil ist, der von der Vorstellung Chinas inspiriert ist. 15 Zhong Guo Feng ist ein Stil, der auf der traditionellen chinesischen Kultur basiert. Übliche Elemente dabei sind Tuschemalerei, Scherenschnitt oder blau- weißes Porzellan. Zhong Guo Feng zeichnet ein Gefühl von chinesischer Stimmung und Schönheit aus. So ist im Modedesign die Zhong Guo Feng- Kleidung meist fließend mit bedruckten oder bestickten Verzierungen (Abb. 4). Abb. 4: Album Cover Hoo Yuan Chia, Jay Chou, 2018 15 Vgl. Chinoiserie, in: Wikipedia, (16. Mai 2021, 14:27 Uhr) 7
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Abb. 5: Zhong Guo Feng-Kleidung, Kollektion „Yuan Ming Yuan“ der Modemarke „Heaven Gaia“, 2016 2.1.3 Interior Design Zur gleichen Zeit hat sich ein ähnlicher Stil im Bereich der Inneneinrichtung herausgebildet: Neuer Chinesischer Stil. Dies ist ein Designstil, der eine moderne Designsprache verwendet, um traditionelle chinesische ästhetische und kulturelle Ideen aufzudrücken (Abb. 6).16 Dieser Stil taucht später auch im Kleidungsdesign auf (Abb. 7). Hier ist der neue chinesische Stil, ähnlich wie das oben erwähnte Zhong Guo Feng, ebenfalls von der traditionellen chinesischen Kultur inspiriert, aber mit mehr Betonung auf deren Harmonie mit dem modernen Leben. In der Mode hebt der neue chinesische Stil den ruhigen Charakter des traditionellen chinesischen Stils hervor und die Verwendung von chinesischen Elementen ist zurückhaltend. Die Neuheit dieses Stils liegt zum einen in der Unterscheidung von der alten chinesischen Kleidung und zum anderen in seinem Dienst an der neuen Zeit. Die Entstehung des Neuen Chinesischen Stils spiegelt eine Art Erwartung der 16 Xu, Duozi: 新中式室内设计风格研究, in: Central South University of Forestry and Technology, Changsha 2013, S. 1 8
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Chinesen an die traditionelle Kultur wider: Sie geben sich nicht damit zufrieden, den Stil der traditionellen Kultur zu schätzen, sondern hoffen, dass das moderne Leben und die traditionelle Kultur einen Zustand des dynamischen Gleichgewichts und der innovativen Integration erreichen können. Abb. 6: Neu Chinesischer Stil im Interior Abb. 7: M13 2018 Ready-to-wear von Design für ein Wohnzimmer Modedesigner Zhang Zhaoda - „M13“ ist seine Marke zum neuen chinesischen Stil Wie man an den obigen Beispielen sehen kann, hat der Einfluss der traditionellen chinesischen Kultur, sei es in den Bereichen Literatur, Geschichte, Musik oder Design, im Laufe der Zeit nicht nachgelassen und sogar neue Richtungen angenommen. Um diesen Trend zu verstehen, gilt es sich auch noch einmal stärker mit den Gründen für dieses Neudenken zu beschäftigen. 9
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert 2.2 Ursachenanalyse Seit dem Eintritt in das 21. Jahrhundert hat China seine Investitionen im Bereich der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung weiter erhöht, um sich als moderne Industrienation zu beweisen.17 Gleichzeitig blickt das Land aber auch wieder auf seine Wurzeln zurück. Allgemein lassen sich drei Hauptgründe für die neu aufkommende Beschäftigung mit den alten Traditionen aufstellen. 1) Ausgelöst durch die gesellschaftliche Entwicklung Im Zuge der Urbanisierung in China wurden viele Gebäude mit historischem Wert abgerissen, und die Volkskunst steht vor dem Dilemma, dass sie von niemandem weitergegeben wird oder sogar ausstirbt. Feng Jicai widmet sich seit Ende der neunziger Jahre dem Schutz alter Dörfer und des kulturellen Erbes und initiierte das „Projekt zur Rettung des chinesischen Volkskulturerbes“. Er ist der Meinung, dass traditionelle Kultur ein wichtiger Träger der Nation sei und man diese schützen sollte, um die DNA unserer Nation zu bewahren. 18 Im selben Zug haben die Menschen im schnelllebigen Stadtleben häufig Modernitätsängste, und der traditionelle Lebensstil bringt ein Gefühl der Muße und Einfachheit mit sich, nach dem sich die städtischen Chinesen sehnen. Die Popularität der Influencerin Li Ziqi bestätigt dies. Seit 2016 postet sie Videos zur Herstellung von Lebensmitteln im antiken Stil auf mehreren Internetplattformen. Das idyllische Leben, das sie aufzeigt, hilft Menschen sich 17 Vgl. Bauer-Hailer, Ursula/ Wezel, Hans-Ulrich: Die EU, USA und China – Drei Großmächte im Vergleich, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8, 2015, S. 24 18 Feng Jicai (1942 in Tianjin, China) ist ein zeitgenössischer chinesischer Autor, Künstler und Kulturwissenschaftler Feng, Jicai: 今天的矛头对准建筑师, in: Feng Jicai: 灵魂不能下跪 1. Aufl., Ningxia 2007 10
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert vom Stress und der Anspannung zu befreien. 19, 20 Diese Art von Leben ist jedoch für die meisten Menschen nicht realistisch, daher suchen sie auf andere Weise nach spiritueller Unterstützung, wie zum Beispiel die Teilnahme an traditionellen Festen, Meditation-Events (Abb. 8) oder das Tragen von traditioneller Kleidung Hanfu (Abb. 9). Abb. 8: Mann auf einem Meditationsevent, im Shandong Zhengjue Tempel, 2018 19 Li Ziqi (6. Juli 1990 in Mianyang, Sichuan, China) ist eine chinesische Foodbloggerin und Internetberühmtheit 20 Zeng, Yiguo/ Shi, Jing: 从“情感按摩”到“情感结构”:现代性焦虑下的田园想象—— 以“李子柒短视频”为例, in: Journal of Fujian Normal University (Philosophy and Social Sciences Edition) 2, 2020, S. 122-130 und 170-171. S. 124 11
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Abb. 9: Touristinnen tragen Hanfu, um am „Hanfu-Huazhao-Fest“ auf den Henan Yuntai Berg teilzunehmen 2) Einfluss des Internets Im Zeitalter des Internets verbreiten sich Informationen sehr schnell. Es hat die Grenzen von Zeit und Raum aufgebrochen und die Möglichkeiten der Selbstidentifikation erweitert. Während die Identität im realen Leben eher stabil und restriktiv ist, kann man in der virtuellen Welt die eigenen Ideale freier ausleben und die Unzulänglichkeiten der Realität ausgleichen. Mit Hilfe des Internets finden die Anhänger der traditionellen Kultur schnell ihre eigenen Kreise und tauschen sich untereinander aus, so dass ihre Gemeinschaften allmählich wachsen. Ein Beispiel hierfür ist die Community des Hanfu. Das Konzept Hanfu wurde in der „Hanfu-Bewegung“ eingeführt, die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der Grundlage des Internets entwickelte. Hanfu ist der allgemeine Begriff für die traditionelle Han-chinesische Tracht bis Mitte des 17. Jahrhunderts, die von der Antike bis zur Gegenwart Veränderungen 12
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert unterworfen war. Dabei hat sich ein bestimmtes Kostümsystem herausgebildet.21 Im Jahr 2019 erreichte die Zahl der Hanfu-Enthusiasten 3.561.000 Menschen, und der Umsatz des Hanfu-Marktes stieg im selben Jahr auf 4,5 Milliarden Yuan (ca. 580 Millionen Euro).22 Die Popularität von Hanfu hat auch einen Boom beim Erlernen des traditionellen Handwerks ausgelöst. 2018 erregte der Haarschmuck der Nanjing Samtblume (Abb. 10) im Hit-Drama „Die Geschichte des Palastes Yanxi“ die Aufmerksamkeit des Internetnutzers Fu Lei, der entschlossen seinen Job kündigte, um die Fertigkeit der Samtblumenherstellung zu erlernen: „Ich hatte damals nur einen Gedanken: zu helfen, so etwas Schönes weiterzugeben.“ 23 Das immaterielle Kulturerbe der Herstellungstechniken der Samtblumen war zu diesem Zeitpunkt durch eine Vielzahl von Faktoren in einem gefährdeten Zustand.24 Die heute wiederaufkommende Popularität der Nanjing Samtblumen ist,vor allem der schnellen Verbreitung durch das Internet zu verdanken. Abb. 10: Samtblumen-Arbeit „Ju (Chrysantheme)“ des Meisters Zhao und seinen Lehrlingen 21 Li, Chunli/ Zhu, Feng/ Cui, Peihong: 基于亚文化视角的青年“汉服文化”透视, in: Contemporary Youth Research 1, 2015, S. 40-46, S. 43 22 Vgl. iimedia Research: 2020 Q1 China Hanfu Markt Operation Status Monitoring Report, in: iimedia, [12.05.2020]. (17. Mai 2021, 15:42 Uhr) 23 Zhang, Nan: 园博园创意绒花背后 有群 90 后南京绒花传承人, in: 163, [14.05.2021].
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert 3) Staatlich geführt Auch die staatliche Führung spielt heute eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der traditionellen Kultur. Durch die Untersuchung der Geschichte Chinas vor der Ming-Dynastie (1368- 1644 v. Chr.) stellt Michael Ng-Quinn fest, dass die Kultur immer ein wichtiger Teil der Entwicklung des vormodernen Chinas war: „I have argued that in premodern China an idealized national identity based on unity and culture had existed since the period of Xia, Shang, and Zhou. This national identity offered stability and helped sustain the Chinese state regardless of circumstances by unifying the population, at least psychologically. That the Chinese state has physically perpetuated itself testifies to the importance of that identity. “25 Bis heute nimmt die „traditionelle chinesische Kultur“ einen wichtigen Platz in vielen Entwicklungsplänen Chinas ein. Am 22. Juli 2009 wurde Chinas erster Sonderplan für Kulturwirtschaft – der „Plan für die Neubelebung der Kulturindustrie „– von der Exekutivsitzung des Staatsrates der Chinesischen Volksrepublik überprüft und genehmigt. 26 Die Kulturwirtschaft wurde damit auf eine Ebene mit der Stahlindustrie, Autoindustrie und Textilindustrie gesetzt. Seitdem werden verschiedene Maßnahmen eingeführt, um die Schaffung von Literatur und Kunst mit Bezug zur chinesischen Kultur, die Erhaltung des kulturellen Erbes, die Wiederbelebung traditioneller Feste und weitere ähnliche 25 Ng-Quinn, Michael: National Identity in Premodern China. Formation and Role Enactment, in Lowell Dittmer, Samuel S. Kim (Hg.): China’s Quest for National Identity, 2. Aulf., New York 1995, S. 32-61, hier S. 57-58 26 Vgl. Nachrichtenagentur Xinhua: 文化产业振兴规划全文发布 , in: Gov, [26.09.2009]. (11. April 2021, 17:54 Uhr) 14
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Projekte zu unterstützen. 27 So zeigt der Dokumentarfilm „Meister in der Verbotenen Stadt“ den Alltag der Restauratoren im Palastmuseum Pekings, deren Handwerkergeist von vielen jungen Zuschauern bewundert wird und trägt damit die traditionelle Handwerkskunst in die breite Öffentlichkeit.28 Durch die Regierung werden viele kulturelle Veranstaltungen gefördert, um die traditionelle Kultur im modernen Leben ‚aktiv‘ darzustellen. Das Gefühl der Trennung zwischen Tradition und Moderne wird dadurch aber noch verstärkt, deshalb ist es besonders wichtig, sich mit dem Verhältnis dieser beiden Welten auseinanderzusetzen. Durch das Zusammenspiel der genannten drei Hauptfaktoren wird die traditionelle chinesische Kultur in verschiedenen Bereichen verarbeitet, verfeinert und geschickt in das moderne Leben integriert. Insbesondere das Modedesign, das von der traditionellen Kultur inspiriert ist, wird durch den kreativen Ausdruck der Designer allmählich zu einem Trend. Dies deutet darauf hin, dass chinesische Designer und Konsumenten beginnen, die Beziehung zwischen China und dem Westen, zwischen Tradition und Moderne, rational zu betrachten und suchen nach emotionaler Resonanz mit ihrer eigenen Kultur.29 Die neu entstandenen Stile sind Ausdruck dieser emotionalen Bedürfnisse. Zuerst sehnte man sich nach einer traditionellen Ästhetik und Werten, wie sie in antiken Gedichten dargestellt wird. Diese Ästhetik wurde dann revolutioniert und mit modernen Materialien gemischt, woraus die unterschiedlichen chinesischen Stile entstanden. 27 Vgl. Nachrichtenagentur Xinhua: 关于实施中华优秀传统文化传承发展工程的意见, in: Gov. [25.01.2017]. (16. Mai 2021 17:58 Uhr) 28 Han, Wei/ Liu, Shuangshuang: Film on Palace Museum’s Antiquity Restoration Becomes Surprise Hit, in: MCLC Resource Center, [12.27.16]. (26. Jun 2021, 1:52 Uhr) 29 Li, Shengnan/ Dai, Hong: 服装设计中的中国风与新中式, in: Industrial Design, 2019. S. 120-121. S. 120 15
Rückkehr der traditionellen Kultur im 21. Jahrhundert Da die Generation, die in den 1980er und 1990er Jahren geboren wurde, der Hauptkonsument des modernen Chinas ist, ist das, was sie brauchen, nicht nur Schönheit im Kontext, sondern auch Schönheit, die sich selbst ausdrücken kann. 30 Die subversive und furchtlose Charakteristik der Straßenkultur neutralisiert das schwere Gewicht der traditionellen chinesischen Kultur und bringt eine neue Balance zwischen chinesischen Elementen und moderner Kleidung zum Ausdruck. Wie reagieren die chinesischen Modedesigner auf diese Anforderungen? Werden sie eine neue Lösung finden, um einen chinesischen Stil zu finden, der für die heutige Gesellschaft relevanter ist. 30 Vgl. Henkel, Regina: Chic Shanghai: Die chinesische Fashion Industrie nimmt den Heimatmarkt ins Visier, in: Fashionunited, [01.10.2018]. (26. Jun 2021, 15:32 Uhr) 16
Chinesische Stile im Modedesign Chinesische Stile im Modedesign Mode: „in einer bestimmten Zeit, über einen bestimmten Zeitraum bevorzugte, als zeitgemäß geltende Art, sich zu kleiden, zu frisieren, sich auszustatten.“31 Mode gibt es, seit die Menschen Kleidung tragen, aber Modedesign und Modedesigner sind zwei Begriffe, die es in China erst seit circa einem Jahrhundert gibt. Die Modeforscherin Dr. Christine Tsui hat sich in ihrem Buch „China Fashion: Conversations with Designers“ intensiv mit dem Thema beschäftigt und sieht den Weg der zeitgenössischen chinesischen Modedesigner folgendermaßen: 32 Ab Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Shanghai zu einer Weltstadt. Durch den daraus resultierenden internationalen Austausch kamen auch viele westliche Kleidungsstile nach China. Im gleichen Zeitraum wurde auch die heutige Republik China gegründet (1911). Kleidung im westlichen Stil galt zu dieser Zeit als ein Symbol dafür, sich von der alten Regierung abzugrenzen. Die Nachfrage nach westlicher Kleidung überstieg dadurch schnell das Angebot. 1917 wird in Folge dessen die Shanghai Hongxiang Mode Firma gegründet, wodurch das westliche Konzept der „Mode“ und der Beruf des Modedesigners erstmals in China auftauchten. Davor gab es den Beruf des Modedesigners nicht. Schneider nähten oder verarbeiteten Bekleidung für gewöhnlich nur nach den Anforderungen ihrer Kunden. Die Zeit zwischen den 1950er und 1970er Jahren war eine Periode des ‚Modeverbots‘ in China. Individualität war zu dieser Zeit das größte Tabu. Der einheitliche Kleidungsstil und die eintönigen Farben banden die Ästhetik der 31 Vgl. Duden online Wörterbuch: Begriff „Mode“ Bedeutung 1. a) (29. Mai 2021,18:03 Uhr) 32 Vgl. Tsui, Christine: China Fashion: Conversations with Designers in both English and Chinese, Hong Kong 2013 17
Chinesische Stile im Modedesign Menschen an ihre politische Einstellung. Mit all den politischen Faktoren und dem Mangel an Materialien war die Position des Modedesigners praktisch nutzlos. Erst 1979 wurde der französische Designer Pierre Cardin nach China eingeladen, um eine Modenschau abzuhalten. „[…] die Mode, die Herr Pierre Cardin mitbrachte, war wie eine Frühlingsbrise, die den Menschen in die Augen blies.“33 Kurz darauf folgte ein Wiederaufleben des Modedesigns in China. Mode ist für Designer ein Medium, ihren persönlichen Stil und ihre Philosophie auszudrücken, daher spielen die eigenen Erfahrungen und Werte der Designer eine wichtige Rolle in ihren Entwürfen. Tsui teilt die chinesischen Modedesigner entsprechend ihrer Ära in drei Generationen ein: Die erste Generation sieht sie Anfang der 1990er Jahre, die zweite in der Mitte der 1990er Jahre bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts und ab dem 21. Jhd. die dritte, aktuelle Generation, auch ‚Einzelkind-Generation‘ genannt. Im folgenden Kapitel wird Tsuis Klassifizierung der chinesischen Modedesigner und ihrer Designphilosophie fortgesetzt, um das Design in seinem zeitlichen Kontext zu verstehen. Dabei soll der Schwerpunkt auf der neuesten, dritten Generation von Designern liegen. Bei britischer Mode denkt man sofort an Gentlemen und Hochwertigkeit, bei französischer Mode an Eleganz und Luxus, aber wie sieht es mit chinesischer Mode aus? 33 Ebd. Tsui, Christine 18
Chinesische Stile im Modedesign 3.1 Die erste Generation Durch die lange Zeit des Einflusses des Westens auf das Modedesign Chinas war die erste Generation vor die Aufgabe gestellt, chinesische Kultur als solche im Modedesign anzuwenden. Dabei wurde häufig der Weg gewählt, chinesische Kultur mit westlichem Modedesign zu kombinieren. „Jede Saison lasse ich mich von chinesischen Elementen inspirieren, die große und tiefgründige chinesische Kultur ist immer so inspirierend und unendlich.“34 - Tam, 2005 Vivienne Tam gehört zur ersten Generation von Designern, und ihre Arbeiten sind international bekannt. Vom Forbes-Magazin als eine der „Top 25 Chinese Americans“ ausgewählt, gründete sie 1990 ihr eigenes Label in New York. Ihre Designs sind eine Verschmelzung östlicher und westlicher Kulturelemente, bei dem sie westliche Schneidertechniken mit chinesischen Elementen kombiniert. Mehrere ihrer Werke befinden sich in der ständigen Sammlung des Metropolitan Museum of Art in New York. Wie die meisten ihrer Zeitgenossen auch experimentiert sie mit westlichen Designtechniken und Formen, um der traditionellen chinesischen Kultur Ausdruck zu verleihen. Sie brachten so repräsentative chinesische Symbole wie Drache oder das Porträt von Mao Zedong in das Design mit ein, um dem Publikum im In- und Ausland die Kultur über einen starken visuellen Eindruck zu vermitteln. 34 Yuni: 在二十年前的纽约,一个华人设计师是怎么取得成功的?, in: Elleman, [31.03.2019]. (29. Mai 2021, 21:01 Uhr) 19
Chinesische Stile im Modedesign Abb. 11: Dragon Robe, Spring/Summer Abb. 12: Amanda de Simone: Outfit mit 1998 von Vivienne Tam im Met Museum chinesischen Schriftzeichen „Wan Sui“ (dt. Zehntausend Jahre alt), Herbst 2013 Ready- to-wear von Vivienne Tam, 2013 3.2 Die zweite Generation Ab Mitte der 1990er Jahre erfuhr der chinesische Modemarkt großen Aufschwung, wodurch auch ein alternativer Ausdruck der chinesischen Kultur unter der zweiten Generation von Designern entstand. Ihnen ist das laute und intensive Design der vorherigen Generation oft zu offensiv für eine so vielschichte Kultur, weshalb sie sich stärker auf die Erforschung der inneren Schönheit der traditionellen Kultur konzentrieren. Zum Beispiel gründete die Designerin Liang Zi die Marke „Tangy“, die für die Harmonie der ‚Einheit von 20
Chinesische Stile im Modedesign Himmel und Mensch’ steht. 35 Seit 1994 bewahrt und entwickelt sie den traditionellen Stoff Xiang Yun Sha (in Deutschland auch als ‚Teeseide‘ bekannt) weiter, ein Seidengewebe mit einer einzigartigen Farbe und Textur; auch als weiches Gold beschrieben (Abb. 13).36 Das Handwerk des Xiang Yun Sha drohte in Vergessenheit zu geraten, weil der Prozess zu mühsam und von Wetter und Geografie abhängig war. Aber dank ihrer Bemühungen hat der Stoff sich von einer unbekannten Größe zu einer Berühmtheit im In- und Ausland entwickelt. Im Jahr 2019 wurde „Tangy“ von der Pariser Agentur für nachhaltigen Luxus „1.618“ zu einer der 15 nachhaltigsten Luxusmarken der Welt gewählt. Abb. 13: Seidenstoff Xiang Yun Sha 35 Die Einheit von Himmel und Mensch ist eine chinesische philosophische Idee, die die Rückkehr des Menschen zur Natur und zum spirituellen Reich betont, wo alle Dinge eins mit sich sind. 36 Xiang Yun Sha wird in einem unveränderten handwerklichen Verfahren seit der Ming Dynastie (1368–1644) im Perlflussdelta in Südchina gefärbt. Sie wird mit dem asiatischen Yamswurzelgewächs „Shuliang“ zwanzig- bis dreißigmal gefärbt. Anschließend wird die Färbung mit Flussschlamm fixiert und in der Sonne getrocknet. Der hierfür nötige eisenhaltige Flussschlamm ist nur in dieser Region vorhanden und verleiht der Seide eine dunkel- oder rotbraune Farbe. Der Begriff Teeseide wurde durch die deutsche Designerin Kathrin von Rechenberg geschaffen. Vgl. Elke Lütke-Entrup: Teeseide, mon amour, in: Konfuzius Institut Magazine 6, 2016, S. 56 21
Chinesische Stile im Modedesign Abb. 14: Models im Tangy Silk Garden umgeben von Stoffbahnen des rohen Xiang Yun Shas, 2019 3.3 Die dritte Generation Heutzutage bekommt die chinesische Kultur immer mehr Aufmerksamkeit in der internationalen Designszene. Die dritte Generation chinesischer Designer (ab 1980er geboren) ist das Rückgrat dieses neuen Interesses. Verglichen mit den vorherigen Generationen von Designern erhält die aktuelle Generation viel mehr Freiheiten und eine breitere Perspektive. Die stellvertretende Redakteurin des „Index on Censorship Magazins“ Jemima Steinfeld sieht dies als Folge davon, dass diese Generation von einem freieren und offeneren China profitiert. Eine Studie untersuchte repräsentativ 100 unabhängige chinesische Designer dieser Generation, die ihre Marken zwischen 2000-2017 gegründet haben. Die Ergebnisse zeigen, dass 60% dieser ein Auslandsstudium gemacht haben, und 22
Chinesische Stile im Modedesign mehr als die Hälfte von ihnen hat einen Master-Abschluss. Sie sind also internationaler und gut ausgebildet. So sind chinesische Designer immer öfter Teil der internationalen Fashion-Week. Die Corona Pandemie hatte im Jahr 2020 einen großen Einfluss auf die Fashion Week. Trotzdem präsentierten 58 chinesische Designer ihre Kollektionen auf der ‘Big Four’ Herbst/Winter Fashion Week 2020, von denen 49 Designer an bekannten Modeschulen in Europa und den USA ausgebildet wurden.37 Chinesische Designer spielen eine immer wichtiger werdende Rolle im internationalen Austausch. Dabei gibt es durch die neu erlangten Freiheiten sehr unterschiedliche Ansichten, was chinesisches Design für die einzelnen Designer bedeutet und wie sie mit dem Ausdruck ihrer Kultur umgehen. Um diese Kontraste aufzuzeigen, sollen im Folgenden zwei Beispiele chinesischer Designer und ihre persönliche Einstellung zur chinesischen Identität untersucht werden. 3.3.1 Masha Ma Masha Ma, Absolventin des Central Saint Martins, gründete ihr Label „Masha Ma“ 2008 und ist mittlerweile Stammgast auf der Pariser Fashion Week. „Ma is propelling Asian fashion into the future.“, so schrieb das Time Magazine unter dem Titel „Next Generation Leader“ über sie.38 Die Grundlage für ihr Design bietet das moderne China: „I have nothing against lions or dragons, but they were never part of the China I 37 Vgl. Forbes China: 2020 国际四大时装周落幕,58 位华人设计师亮相, in: Forbes China, [05.03.2020]. (17. Jun 2021, 18:03 Uhr) 38 Beech, Hannah: She Dressed Lady Gaga and Could Become the First Designer Superstar in China, in: Time, [28.05.2015]. (21. Jun 2021, 17:43 Uhr) 23
Chinesische Stile im Modedesign grew up in, everything was grey.“ 39 Für sie ist chinesische Identität und Kultur nicht mit den stereotypischen Vorstellungen eines glorreichen Chinas verbunden, sondern mit den Realitäten der chinesischen Gesellschaft. Die hohen Erwartungen an die Jugend und der gesellschaftliche Druck sind Teil dieser Auseinandersetzung. Gerade das Frauenbild und dessen Einordnung in das moderne China spielen für sie eine wichtige Rolle. Ihre minimalistischen und kantigen Designs bringen das in einem raffinierten und femininen Look zum Ausdruck. Für ihre Herbst/Winter-Kollektion 2019 setzte sie ihre Spezialität des unkonventionellen Schneiderhandwerks und der Dekonstruktion fort, um das Erwachen des Selbstbewusstseins der Frau zu zeigen (Abb. 15). Auch ihre Herbst/Winter-Kollektion 2015 hat den Ansatz, moderne Kultur zu nutzen, so ist diese vom Suzhou Museum inspiriert, was ein Komplex ist, der Tradition und Moderne verbindet. Die Kollektion präsentiert eine Mischung aus chinesischen Gärten und moderner minimalistischer Architektur entsprechend ihrer Philosophie, chinesische Elemente zeitgemäßer zu präsentieren und eine neue Definition von China zu finden (Abb. 16). Sie sieht sich dabei als Designerin in einem internationalen Kontext, da sie die Hälfte ihres Lebens in London und Paris verbracht hat. Dennoch ist es ihr wichtig, das Image des chinesischen Designs in der Welt zu verbessern. „I want to change the conversation from „Made in China“ to „Designed in China“. It is time for an international brand from China to succeed.“40 So setzt sie sich auch aktiv für diese Veränderung ein, indem sie z.B. das Design- 39 Haworth, Abigail: Fashion design in China: ‘The trick is to embrace the chaos’, in: The Guardian, [12.07.2015]. (21. Jun 2021, 14:32 Uhr) 40 Ebd. Beech, Hannah 24
Chinesische Stile im Modedesign Studio SPMA, „Self Pride, Massive Attack“ in Shanghai gründete, welches junge chinesische Designer fördern soll, um eine stärkere Designszene auch innerhalb Chinas zu schaffen.41 Abb. 15: Aitor Rosas Sun: Masha Ma Abb. 16: Tian Ye: Masha Ma Herbst/Winter Herbst/Winter 2019 2015 3.3.2 Mukzin Masha Ma stellt bei ihrer Interpretation chinesischer Identität das moderne China in den Vordergrund und stellt sich damit in gewisser Weise gegen den Trend, den Fokus auf die traditionelle Kultur zu setzen. So ist Kate Hans Ansatz beim 41 Harper’s Bazaar: MASHAMA 恰是时候的改变|中国设计, in: Sohu, [22.10.2019]. (21. Jun 2021, 18:06 Uhr) 25
Chinesische Stile im Modedesign Ausdruck ihrer chinesischen Identität deutlich offensiver. Seit 2014 in Hangzhou folgt ihre Marke „Mukzin“ dem ‚Oriental Fever‘ und trifft den Geschmack der Jugend, die die chinesische Kultur liebt, aber den traditionellen chinesischen Stil als veraltet ansieht.42 Sie will ihre Individualität zeigen und gleichzeitig Spaß haben. Inspiriert von Vivienne Westwoods Designphilosophie hat Kate Han, ein Absolvent der University of Leeds, die Tradition mit zeitgenössischem Flair neu erfunden und verschiedene chinesische historische Referenzen durch kreative handgemalte Drucke in Szene gesetzt (Abb. 17). Seit 2016 arbeitet Mukzin mit Handwerkern des immateriellen Kulturerbes zusammen, um die Schönheit der traditionellen Hami/ XinJiang- Stickerei und der Tibetischen Stickerei aus Guinan (Abb. 18, Lotus-Stickerei auf dem Kleid) auf moderne Kleidung zu bringen. 2018 präsentierte Kate Han ihre Herbst/Winter-Kollektion mit dem Thema „Jade In The Shadow“ auf der Paris Fashion Week mit einem sehr chinesischen und doch modernen Twist (Abb. 18). Das Bild der Frau Xia, Kriegsfigur der der chinesischen Wuxia Literatur, brachte sie per Druck auf ein technisches Gewebe aus Papier und Memorymetall, wodurch ein gleichzeitig festes und sanftes ‚Zhan Pao‘ (dt. Kampfgewand) entsteht. Dadurch kommt der aufrührerische Geist von Frau Xia zum Ausdruck, die sich nicht an die Regeln hält und nicht bereit ist, sich unterzuordnen. Das Thema entspricht auch ihrer ursprünglichen Intention bei der Gründung von Muzkin, die chinesische Kultur in die Kleidung zu bringen und es chinesischen Mädchen zu ermöglichen, diese mit mehr Selbstvertrauen zu tragen und ihre Vorlieben mutiger auszudrücken.43 In diesem Zusammenhang erhielt Mukzin großes Lob von Angelica Cheung, der ehemaligen Chefredakteurin bei Vogue China: „Das ist die beste [Marke], die chinesische Kultur und moderne Mode verbindet.”44 42 Vgl. Brand Story (18. Jun 2021, 13:54 Uhr) 43 Wen Mu: 密扇的心意,女神的新衣,in: Zhi Hu, [26.07.2017] (18. Jun 2021, 18:08 Uhr) 44 Jiu Yue/ Mukzin: 密扇,东方女侠的新式时尚秘籍, in: Art and Design 07, 2018, S. 92-95. S. 92 26
Chinesische Stile im Modedesign Abb. 17: Mukzin Spring/Summer 2019 Abb. 18: Mukzin Spring 2021, Kleid mit Tibetischer Stickerei aus Guinan im Lotus Motiv 27
Chinesische Stile im Modedesign Abb. 19: Mukzin Herbst/Winter 2018 Kollektion auf der Paris Fashion Week Die zwei Beispiele zeigen, auf welch vielfältige Weise chinesische Kultur und Identität zum Ausdruck gebracht werden kann. In einer Sache sind sich jedoch beide Designer einig. Sie wollen das Image von „Made in China“ angreifen und eine neue Bild von chinesischem Design im internationalen Vergleich schaffen. Ihre Marken haben viele treue Kunden in ihren jeweiligen Bereichen angezogen 28
Chinesische Stile im Modedesign und haben die Entwicklung der chinesischen Mode in gewissem Maße positiv beeinflusst. Um einen Ausblick zu geben, wie diese Entwicklung auch in Zukunft weiter gehen könnte, lassen sich auf Grundlage des Erfolges der beiden Designerinnen folgende Prognosen aufstellen: 1) Chinesische Elemente werden weiterhin beliebt sein Wie in Kapitel 2 erwähnt, wird die Popularität des Guo Chaos, das originale chinesische Design mit traditionell orientalischer Ästhetik wie Mukzin, nicht nachlassen. Dies ist das Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen von Designern und Verbrauchern. Die chinesischen Verbraucher brechen allmählich mit dem Klischee, dass ‚ausländische Marken besser sind‘, und die Designer sind stärker motiviert, qualitativ hochwertige und kreative Designs anzubieten. Laut dem „McKinsey 2017 China Consumer Report“ gaben in der Kategorie Modeaccessoires zu 31 % an, lokale Marken zu bevorzugen.45 Im Vergleich zu früheren Umfragen hat sich das starke Interesse der chinesischen Verbraucher an internationalen Marken auf lokale Marken verlagert. Auch der „Umfragebericht zum aktuellen Jugendtrendkonsum“ Chinas zeigt, dass 72 % der Befragten eine positive Einstellung zur Entwicklung Guo Chaos haben. 46 Daraus lässt sich ableiten, dass gerade lokale Modemarken, die mit chinesischen Elementen spielen, in den Augen der Verbraucher einen Vorteil genießen werden. 45 Baan, Wouter/ Luan, Lan/ Poh, Felix/ Zipser, Daniel: Double-clicking on the Chinese consumer. McKinsey 2017 China Consumer Report. 2017. S. 18 46 Die Umfrage war ein Online-Fragebogen mit 227 Teilnehmern im Jahr 2020. Vgl. 当代年轻人潮流消费调查问卷, in: Sina Fashion, [28.02.2020] (19. Jun 2021, 20:07 Uhr) 29
Chinesische Stile im Modedesign 2) Schaffung eines liberaleren, freieren und vielfältigeren kreativen Umfelds Der Erfolg der Designer in diesem Artikel liegt nicht nur in der Inspiration durch die chinesische Kultur, sondern auch in ihrer Kreativität und Ausgereiftheit ihres Designs. Das liegt zum Teil sicher an der westlichen Ausbildung, die diese Designer erhalten haben, aber auch am Zeitalter des Internets, durch das viele junge Chinesen während ihres Heranwachsens mit einer Vielzahl von fremden Kulturen in Berührung gekommen sind. Dabei sind sowohl die Bekleidung der Charaktere in japanischen und koreanischen TV-Dramen, sowie die Rebellions- und Freiheitsgedanken der westlichen Straßenkultur Inspirationsquellen für junge chinesische Designer. Für Designer dieser Generation, wie Masha Ma, ist das Leben sowohl vom Osten als auch vom Westen beeinflusst. Bei der Nachahmung und Aufnahme dieser Inspirationen hat sich die Konnotation der chinesischen Mode erweitert, und es haben sich langsam verschiedene Stile entwickelt, die auch international Anerkennung erhalten. Daher sollte ein abwechslungsreiches künstlerisches Schaffen gefördert werden, um eine unabhängige und moderne Designszene Chinas zu schaffen. 3) Strengere Kontrollen und Verbesserung der Industriestandards Um das Image „Made in China“ zu ändern, reicht es nicht aus, sich allein auf die Innovation der Designer zu verlassen. Die Regierung und Branchenverbände sollten Gesetze und Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums verbessern, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Rechte an geistigem Eigentum zu schärfen und so Plagiate zu verhindern. Dadurch wird vermieden, dass minderwertige Nachahmungen den Markt überschwemmen und den Lebensraum guter Designs verdrängen. Zusätzlich sollten Industriestandards auferlegt werden, um eine bessere Qualitätssicherung zu ermöglichen. 30
Die Kollektion - ANAME Die Kollektion - ANAME Nach der obigen Analyse und Schlussfolgerung ist es leicht zu erkennen, dass das zeitgenössische chinesische Modedesign im Wesentlichen auf die Verbreitung von Kultur sowie die Überwindung von Stereotypen abzielt. Modedesign mit offensichtlichen chinesischen Elementen ist derzeit eine populärere Ausdrucksform, weil der Unterschied zwischen ethnischer Identität und moderner Kultur ein Gefühl von Frische, Zugehörigkeit und sogar wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Trotzdem ist die offensichtliche ethnische Zugehörigkeit aus der Perspektive der Globalisierung nicht förderlich für die kulturelle Diffusion. In diesem Zusammenhang meint Fu Jin, der stellvertretende Vorsitzende der China Literature and Art Critics Association, „wenn wir über die Beziehung zwischen Nationalität und Welt sprechen, geht es letztlich um die kulturübergreifende Kommunikation von Literatur und Kunst. [...] Einzigartiger Charme, Ausdruckskraft und emotionale Tiefe sind immer wichtiger als Unterschiede. “47 Von der Literatur und Kunst kann auch ein Rückschluss auf das Bekleidungsdesign gezogen werden, denn obwohl die nationale Identität eine attraktive Manifestation der Vielfalt in der globalen Kultur ist, geht die größte Vielfalt immer noch vom einzelnen Designer aus. Die Verarbeitung der Inspiration zum Schaffen des Designers ist immer mit seiner Identität verbunden, auch mit seiner nationalen Identität. Daher kann der Zweck der kulturellen Kommunikation auf lange Sicht effektiver erreicht werden, wenn die persönlichen Merkmale des Designers vor den nationalen Merkmalen im Kleidungsdesign stehen. Als visuelles Beispiel für diese Art des Designs wird im Folgenden eine 47 Fu, Jin/ Gao, Fang/ Wu, Jun: 重新审视“越是民族的,就越是世界的”, in: Zhejiang Academic Journal 4, 2020, S. 31-39, S. 33 31
Die Kollektion - ANAME Modekollektion ANAME vorgestellt, die im Zuge dieser Arbeit entstanden ist. Inspiriert durch den eigenen Alltag in China ist die Kleidung für die Herbst/Wintersaison durch eine besondere Schnitttechnik geprägt, um den Bedürfnissen vieler Alltagssituationen gerecht zu werden. 4.1 Hintergrund Der Fokus dieser Arbeit liegt bei dieser Kollektion vor allem auf der kantonesisch chinesischen Kultur, Tradition und Identität. Der Name der Kollektion setzt sich zum einen aus der kantonesischen Vorsilbe für Namen „A“, und zum anderen aus dem deutsch/englischen Begriff des „Namens“. Der Titel verbindet somit einem westlichen Bezug von Identität mit einer chinesischen Einordung. Kanton, auch Guangdong genannt, ist eine Region im Süden Chinas, die besonders für ihre Esskultur und nahe Anbindung zu Hongkong bekannt ist. Um ein Gespür und eine Idee von dieser Kultur zu bekommen, ist es von Vorteil, sich die Wurzeln des dortigen Lebens genauer anzuschauen. Dazu gehört vorrangig auch das Yum Cha, ein Brauch, bei dem man sich zum Frühstück gemeinsam trifft (Abb. 20). Hierbei spielen das durch Bambusdämpfer erwärmte Essen (Abb. 21) und ein guter Tee die Hauptrollen. Zwischen heißem Essen und Tee wird das Lebenstempo entschleunigt. Das Gemeinschaftsgefühl und die lockeren Gespräche machen diese Tradition zu einem Schlüsselelement der kantonesischen Gesellschaft. Der Runde Tisch steht dabei symbolisch für Perfektion, Harmonie und Zusammenhalt, so wie einem ständigen Zyklus. Diese Symbolik ist sehr wichtig und hat in der praktischen Ausarbeitung des Themas einen hohen Stellenwert, da es ein immer wieder vorkommendes Element im chinesischen Alltag ist. Insgesamt soll für die Kollektion chinesische Kultur als Grundlage benutzt und diese zum Ausdruck gebracht werden. Der Fokus liegt aber nicht darauf, diese Elemente wieder der chinesischen Kultur zuordnungsbar zu machen, sondern die 32
Die Kollektion - ANAME eigene chinesische Identität lediglich als kreativen Antrieb zu nutzen, unabhängig von einer nationalen Zugehörigkeit. Abb. 20: Klassisches Yum Cha, in: Abb. 21: David Edenfield: Gedämpfte Kitchen stories, 2018 Dumplings in Bambusdämpfern, in: Flickr, 2012 4.2 Designkonzept Das Ziel der Arbeit ist es, diese unterschiedlichen kulturell bezogenen Einflüsse in einer modernen Alltagskollektion für die Frau zum Thema werden zu lassen. Dabei wird mit einem flachen losen Schnitt und weichen Materialien gespielt, sowie runde Silhouetten erzeugt und eine Vielzahl an Schichten kreiert, um ein sanftes, aber starkes Bild einer modernen Frau entstehen zu lassen. Die Kreise, inspiriert von den runden Bambusdämpfern und runden Tischen, werden an verschiedenen Stellen des Körpers platziert, so dass der Stoff auf natürliche Weise nach unten fällt und eine fließende, dampfähnliche, weiche Silhouette entsteht. Zusätzliches Volumen entsteht auch durch verschiedene Faltungen, die die fluffige, weiche Form der Dumplings (dt. Teigtaschen) (Abb. 22) beim Yum Cha aufnehmen. 33
Die Kollektion - ANAME Darüber hinaus spiegelt sich die chinesische Kultur in den Details wider. Die Manschettenriemen und überlappenden Knopfleisten erinnern an die Art und Weise, wie traditionelle chinesische Kleidung verbunden wurde. Der Kragen kombiniert den Kreuzkragen der traditionellen chinesischen Kleidung mit dem modernen Hemdkragen, der gefaltet und geschnitten ist, um einen Kragen zu schaffen, der vertraut aussieht, aber neue Details hat. Ein kurzer Rock ist auch vom zweiteiligen Rock der chinesischen Song-Dynastie inspiriert (Abb. 22). Dies ist ein Rock aus vier Stoffstücken, die sich überlappen und durch den Bund zusammengefügt werden. Dieser Rock ähnelt optisch einem Wickelrock, aber da die Seitennähte des Rocks nicht zusammengenäht sind, wird die tatsächliche Beinfreiheit für Bewegungen nicht eingeschränkt. Die Überlappung und Drapierung des Stoffes verleiht dem Kleidungsstück einen mehrschichtigen Look und ist einer der Schlüssel zur Kollektion. Abb.22: Wei Guo: Garnelen-Dumplings Har Gow, in: Redhousepice, 2017 34
Die Kollektion - ANAME Abb. 23: Rock aus dem Grabmal von Huang Sheng, Südliche Song-Dynastie im Jahr 1243, Fuzhou Abb. 24: Modellierung für den Rock, aus dem Buch „Fuzhou Huang Sheng Mu “ 4.3 Farbe, Material und Entwurf Die Farben dieser Kollektion sind inspiriert von den in Teehäusern üblichen Holzmöbeln, dem weißen Porzellangeschirr mit blauem Muster und dem Essen in den Bambusgefäßen. Alles wird durch den Wasserdampf nur vernebelt wahrgenommen, daher sind die warmen Eigenschaften der Farben weniger gesättigte Braun-, Champagner- und Blautöne. Diese Farbpalette spiegelt ein 35
Die Kollektion - ANAME visuelles Gefühl von Harmonie, Komfort und Wärme wider. Ebenso geht der transparente Organza für die Bluse auf den verschwommenen Charakter des Wasserdampfes ein. Weitere verwendete Materialien sind Wolle und andere klassische Stoffe, die sich gut drapieren lassen und ein warmes Gefühl vermitteln. Die Kollektion besteht aus fünf Outfits, die sechs Hauptkategorien von Kleidung abdecken: Trenchcoat, Jacke, Bluse, Kleid, Rock und Hose. Die Teile sind für eine Vielzahl von alltäglichen Anlässen geeignet und gehen damit auf den lockeren und sozialen Charakter der kantonesisch chinesischen Kultur ein. Abb. 25: Entwurf 36
Die Kollektion - ANAME Abb. 26: Entwurf Rückseite 37
Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign Obwohl viele Designer die chinesische Kultur gerne aus einer modernen Perspektive interpretieren, entscheiden sich die meisten für traditionelle Elemente chinesischer Kultur, wie z. B. Drachentotems, historische Geschichten und Porzellanmalerei. „Almost all Chinese fashion designers view Chinese ethnic culture as the traditional ethnic culture only, which is due to the excellence and the diversity of Chinese culture in the history.” 48 - Sun / Ha, 2019 Sun und Ha verglichen die Ansichten chinesischer und koreanischer Designer zur nationalen Identität anhand von Interviews. Sie fanden heraus, dass sich chinesische Designer, wenn sie über die Kultur ihres Landes sprachen, sich meist auf die traditionelle nationale Kultur bezogen, während koreanische Designer Inhalte bevorzugten, die sich auf das moderne Leben bezogen. Das moderne China hat viele politische Umwälzungen und das Vordringen der westlichen Kultur erlebt, wodurch noch keine einheitliche und moderne Designkultur aufgebaut werden konnte. Daher ziehen es Designer oft vor, sich von der Vergangenheit inspirieren zu lassen, wenn sie die chinesische Identität darstellen wollen. Allerdings lassen sich die Traditionen der Vergangenheit nur schwer direkt auf die heutige Gesellschaft und die Kleidung der Gegenwart übertragen. Die Chinesen sind gefangen zwischen einer modernen, westlich geprägten Kultur und einer traditionellen, östlichen Kultur und versuchen, eine gemeinsame Identität zu finden. Oft wird dabei aber auch die nationale Verbundenheit sehr betont. Dies könnte von Nachteil sein, wenn man versucht, 48 Sun, Chenhao/ Ha, Jisoo: Fashion Designers and National Identity: A Comparative Empirical Analysis of Chinese and Korean Fashion Designers, in: Asian Culture and History 2, 2019, S. 75-86, S. 84 38
Fazit - Die Zukunft des chinesischen Modedesign chinesische Kultur zu einem Teil der internationalen Modeszene zu machen. Chinesisches Design sollte innerhalb dieser existieren und nicht neben ihr. Denn wie Dr. Christine Tsui in ihrer Studie „From Symbols to Spirit: Changing Conceptions of National Identity in Chinese Fashion” beschreibt, ist das in den Vordergrund Rücken der chinesischen Kultur nicht ganz politisch unabhängig zu sehen. „It is both a result of patriotic education as well as a mechanism manipulated for competition with the Western designers.”49 Sie sieht darin eine neue Art von Nationalismus, der sich aktuell in der chinesischen Modebranche ausbreitet. Der Fokus sollte auf den zahlreichen Inspirationen liegen, die die reichhaltige chinesische Kultur zu bieten hat und deren Umsetzung in einem modernen, unabhängigen Design, nicht auf der Nationalität liegt. Was fast alle Designer am Ende jedoch verbindet, ist die Motivation, das Label „Made in China“ zum Positiven zu verändern. Dafür braucht diese Bewegung auch gar keine eindeutige Designsprache, vielmehr liegt gerade in der Vielfalt der Gedanke der chinesischen Identität im Design versteckt. 49 Tsui, Christine: From Symbols to Spirit: Changing Conceptions of National Identity in Chinese Fashion, in: Fashion Theory 17, 2013, S. 579–604. S. 595 39
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