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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste Wissenswertes Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste Palmenstraße 16 • 40217 Düsseldorf Tel. 0211- 61734-0 • Fax 0211 61734-500 awk@awk.nrw.de • www.awk.nrw.de
Liebe Leserin, lieber Leser, Editorial Wissenschaft lebt von immer wieder neuen Erkenntnissen und Entdeckungen, von exzellenter Forschung, und nicht zuletzt von intensiven Debatten. Wir laden Sie mit dieser Broschüre ein, einen besonderen Ausschnitt aus der Welt der Wissenschaft kennenzulernen, unsere Nord rhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste, eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Institution unseres Landes. Sie können etwas erfahren über die Arbeit der Akademie als Gemeinschaft führender Forscherinnen und Forscher Nordrhein-Westfalens, über ihre Geschichte und ihre heutigen Aufgaben. Akademien sind traditionell Gelehr tengesellschaft und außeruniversitäre Forschungseinrichtung zugleich, sie sind jedoch weder weltfremd, noch leben sie im Elfenbeinturm. Das Spektrum der in ihr vertretenen Fächer und Kompetenzen, ihre Interdisziplinarität prädestinieren die Akademie dazu, wissenschaftlich fundierte Orientierung in gesellschaftlich relevanten Themen zu geben. Mehr denn je ist das Haus der Wissenschaften in Düsseldorf heute ein Ort der Begegnung herausragender Persönlichkeiten und eine Stätte des Diskurses mit Politik, Wirtschaft, Kultur und Öffentlichkeit. In 18 vornehmlich geisteswissenschaftlichen Forschungsvorhaben zeigen sich wissenschaftliche Exzellenz und große Vielfalt gleichermaßen. Hier arbeiten mehr als 100 Forscherinnen und Forscher daran, unser kulturelles Erbe für die Zukunft zu bewahren, etwa bei Ausgrabungen, bei der Übersetzung und Kommentierung alter Inschriften oder Papyri und der Herausgabe von Werk editionen zu namhaften Philosophen und Schriftstellern. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, eine anregende Lektüre, hoffe, dass Sie viel Freude beim Entdecken spannender Themen haben und zu der Erkenntnis gelangen, dass Wissenschaft äußerst lebendig sein kann. Professor Dr. Dr. Hanns Hatt Präsident der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste, Bibliothek 4 5
Inhalt Ziele und Aufgaben der Akademie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Forschungsvorhaben im Akademienprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . 18 • Herausgabe des Reallexikons (RAC) und des Jahrbuchs für Antike und Christentum (JbAC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 • Novum Testamentum Graecum. Editio Critica Maior . . . . . . . . . . . . . . 20 • Edition des Altägyptischen Totenbuches vom Neuen Reich Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste bis zur Römerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 • Sammlung, Kommentierung und Herausgabe von Papyrusurkunden . . . 24 • Edition, Übersetzung und Kommentierung der kleinen und Weitere Forschungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 fragmentarischen Historiker der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 • Nilus von Ancyra, Edition und Untersuchung von Werken • Kulte im Kult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 der Kirchenväter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 • Deutsche Inschriften des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 • Patristica Slavica, Edition und Untersuchung von Werken • Averroes Latinus-Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 der Kirchenväter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 • Herausgabe der gesammelten Werke Georg Wilhelm Friedrich Hegels . . 34 • Internationales Tonarchiv oraler Tradition – • Arthur Schnitzler: Digitale historisch-kritische Edition . . . . . . . . . . . 36 Mongolische Volksliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 • Grundlagen, Normen und Kriterien der ethischen Urteilsbildung Ehemalige Forschungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 in den Biowissenschaften – Referenzzentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Junges Kolleg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 • Rationalität im Lichte der experimentellen Wirtschaftsforschung . . . . . 40 Stiftung der Freunde und Förderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 • Diskrete Mathematik und Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 • Erforschung von jungen Sternen und Quasaren . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Akademienunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 • Großräumige Klimaveränderungen und ihre Bedeutung für die Umwelt . . 46 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6 7
Ziele und Aufgaben der Akademie Die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste ist in Der in der Akademie vorhandene fachliche und interdisziplinäre Sachverstand ihrem Ursprung eine Vereinigung führender Forscher des Landes und versteht begründet zugleich die Verpflichtung, die komplexen naturwissenschaftlichen, sich wie alle deutschen Akademien der Wissenschaften als eine interdiszipli ökonomischen und ethischen Probleme und Fragestellungen, mit denen sich näre Gelehrten-Gesellschaft. Zusätzlich zu den Wissenschaften integriert sie unsere Gesellschaft konfrontiert sieht, aufzugreifen, zu diskutieren und mit den als einzige deutsche Akademie seit 2008 auch die Künste unter ihrem Dach. gewonnenen Ergebnissen Entscheidungen in Politik und Gesellschaft vorzu Laut ihrem gesetzlichen Auftrag pflegt sie den wissenschaftlichen und künstle bereiten. In diesem Sinne bietet die Akademie mit regelmäßigen öffentlichen rischen Gedankenaustausch unter ihren Mitgliedern und mit Vertretern des Veranstaltungen eine Plattform für den Wissenstransfer und den Dialog zwischen politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Lebens sowie die Beziehungen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit; darüber hinaus äußert sie sich – auch zu wissenschaftlichen und künstlerischen Einrichtungen und zu Wissenschaftlern gemeinsam mit anderen Akademien - in Stellungnahmen zu relevanten Themen und Künstlern des In- und Auslands. Sie berät die Landesregierung bei der unserer Zeit. Förderung von Wissenschaft und Kunst. Traditionell gehört die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu den Eine zentrale Aufgabe der Akademie ist die Förderung und Betreuung von Aufgaben der Akademien der Wissenschaften. Die Nordrhein-Westfälische langfristiger Grundlagenforschung, die in den Hochschulen oder in anderen Akademie der Wissenschaften und der Künste verleiht seit 1990 jährlich den Forschungsinstitutionen in der Regel so nicht durchgeführt werden kann. Karl-Arnold-Forschungspreis als besondere Anerkennung für herausragende Derzeit betreut die Akademie 18 Langzeitforschungsvorhaben, überwiegend wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen junger Forscher bzw. Künstler. im Bereich der Geisteswissenschaften. In dem seit 2006 bestehenden Jungen Kolleg der Akademie, das zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses mit Unterstützung der Mercator-Stiftung eingerichtet wurde, werden bis zu 30 herausragende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Dauer von vier Jahren finanziell und ideell gefördert. Die wissenschaftlichen Vorträge in den Klassen, Ergebnisse der öffentlichen Veranstaltungen und Symposien, Abhandlungen von Akademie-Mitgliedern sowie Forschungsergebnisse der Arbeitsstellen werden von der Akademie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Verlagen dokumentiert und publiziert. Die Akademie leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis wissen schaftlicher Erkenntnisse und Zusammenhänge. Bislang sind rund 1.100 Publi kationen erschienen. Diese sind durch Schriftentausch bei einer Vielzahl von nationalen und internationalen Einrichtungen einsehbar und können in Buch handlungen oder auch direkt über die Akademie bezogen werden. Zudem ist eine Ausleihe über den Bibliothekenverbund Bibliotheca möglich. Diskussionssaal der Akademie 8 9
Organisation Die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste wird Die Nobelpreisträger der Nordrhein-Westfälischen Akademie vom Präsidium unter Vorsitz des Präsidenten geleitet. Es besteht aus dem der Wissenschaften und der Künste Präsidenten, den Sekretarinnen oder Sekretaren der vier Klassen und ihren Stell- vertreterinnen oder Stellvertretern. Das Präsidium koordiniert die Forschungs Prof. Dr. med., Dr. phil. h.c. Gerhard Domagk (Medizin 1939) vorhaben und Jahresprogramme, legt Leitlinien fest und beschließt den Haushalt. Prof. Dr. phil., Dr. med. h.c. Dr. Kurt Alder (Chemie 1950) Der Präsident vertritt die Akademie nach außen und führt die laufenden Geschäfte; dabei wird er von der Geschäftsstelle unter Leitung der General Prof. Dr. med. Werner Forßmann (Medizin 1956) sekretärin unterstützt. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karl Ziegler (Chemie 1963) Die Akademie gliedert sich in vier Klassen: die Klasse der Geisteswissenschaften, Prof. Dr. rer.nat., Dr. rer.nat. h.c. mult., Dr. Sc. h.c. Ernst Otto Fischer (Chemie 1973) die Klasse der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften, die Klasse der Natur Prof. Dr. phil., Dr. h.c. mult. Ilya Prigogine (Chemie 1977) wissenschaften und der Medizin sowie die Klasse der Künste. In ihnen findet das eigentliche wissenschaftliche und diskursive Leben der Akademie statt. Prof. Dr. rer.nat. Hartmut Michel (Chemie 1988) Die regelmäßigen Klassensitzungen bieten die Gelegenheit zur Diskussion Prof. Dr. Ing., Dr. h.c. mult. Wolfgang Paul (Physik 1989) wissenschaftlicher Forschungsergebnisse oder künstlerischer Fragestellungen, in ihnen werden für die akademieeigenen Schriftenreihen vorgesehene Publi Prof. Dr. rer.nat., Dr. h.c. mult. Erwin Neher (Medizin und Physiologie 1991) kationen vorgelegt. Die Vielfalt der vertretenen Fachrichtungen bietet die Prof. Dr. phil. nat., Dr. h.c. mult. Reinhard Selten (Wirtschaftswissenschaften 1994) Gewähr für disziplinenübergreifenden Gedankenaustausch und interdisziplinä res Arbeiten. Jede Klasse wählt für drei Jahre eine Sekretarin oder einen Sekretar Prof.‘ in Dr. rer.nat, Dr. h.c. mult. Christiane Nüsslein-Volhard (Medizin 1995) sowie eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter. Die Sekretare nehmen mit Prof. Dr. rer.nat., Dr. h.c. Gerhard Ertl (Chemie 2007) Unterstützung der Geschäftsstelle die Geschäftsführung für ihre Klasse wahr. Prof. Dr. rer.nat. habil., Dr. h.c. mult. Peter Grünberg (Physik 2007) Die Akademie hat ordentliche und korrespondierende Mitglieder, die jeweils Prof. Dr. med., Dr. h.c. mult. Harald zur Hausen (Medizin 2008) auf Lebenszeit gewählt werden. Die Klassen haben das sogenannte Selbstergän zungsrecht, das heißt sie entscheiden eigenständig auf Vorschlag von Akademie mitgliedern darüber, wer als neues Mitglied ihrer Klasse aufgenommen wird. Die Akademie wird als rechtlich selbständige Körperschaft des öffentlichen Voraussetzung ist in jedem Fall, dass die oder der Betreffende sich durch Rechts vom Land Nordrhein-Westfalen institutionell gefördert. Ihre im wissenschaftliche Leistungen ausgezeichnet hat. Akademienprogramm durchgeführten Forschungsvorhaben werden jeweils zur Hälfte von Land Nordrhein-Westfalen und von der Bundesrepublik Ordentliches Mitglied kann nur werden, wer seinen Dienstsitz in Nordrhein- Deutschland finanziert. Westfalen hat. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder ist auf 50 in jeder Klasse beschränkt, nicht eingerechnet werden Mitglieder über 70 Jahre, die von der aktiven Mitarbeit entpflichtet sind. Wissenschaftler, die ihren Dienstsitz bzw. ihren Wohnsitz außerhalb von Nordrhein-Westfalen haben, können als korrespondierendes Mitglied gewählt werden, ihre Zahl ist nicht beschränkt. 10 11
Geschichte Die Idee der Gründung einer allgemeinen Gelehrtengesellschaft in Nordrhein- Jahre 1960 als „Karl Arnold-Haus der Wissenschaften“ eingeweiht. Damit Westfalen reicht zurück ins 19. Jahrhundert. Aber erst zu Beginn des 20. Jahrhun verfügt die Akademie über sowohl funktionale wie repräsentative Räumlich derts gelang die Gründung der „Rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche keiten, insbesondere einen Vortragssaal für rund 400 Personen, einen Klassen Forschung“, die von 1911 bis 1915 eine größere Zahl von wissenschaftlichen sitzungssaal und eine Bibliothek. Vorhaben förderte. Durch den 1. Weltkrieg wurde ihre erfolgreiche Tätigkeit zunächst beendet. 1970 wurde die Arbeitsgemeinschaft in die „Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften“ umgewandelt und erhielt den Rechtsstatus einer Körper Nach Ende des 2. Weltkrieges gründete Ministerpräsident Karl Arnold auf schaft des öffentlichen Rechts. Um der Bedeutung der Ingenieurwissenschaften Anregung von Ministerialdirektor Professor Dr.-Ing. Leo Brandt 1950 die Rechnung zu tragen, wurde im Mai 2000 die bisherige zweigliedrige Struktur „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen“. Ziel des durch die Schaffung einer dritten Klasse „Ingenieur- und Wirtschaftswissen Zusammenschlusses von zunächst naturwissenschaftlichen und technischen schaften“ ergänzt. Disziplinen war die Beratung der Landesregierung beim Wiederaufbau des durch den Krieg stark zerstörten Landes an Rhein und Ruhr und später die Beratung Ihren heutigen Namen „Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften in allen Fragen der Forschungsförderung. Als bislang einzige Akademie konnte und der Künste“ erhielt die Akademie im Jahre 2008 mit der Erweiterung um die Arbeitsgemeinschaft in ein eigens für sie errichtetes Gebäude einziehen. die Klasse der Künste. Sie ist damit die erste und bisher einzige Wissenschafts Es wurde von dem bedeutenden Architekten Hans Schwippert erbaut und im akademie, die die Künste als eigenständige Klasse integriert hat. 12 13
Chronik 1911 bis 1915 Förderung von Projekten durch die neu gegründete „Rheinische Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung“ 25. April 1950 Gründung der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen“ mit naturwissenschaftlichen und tech nischen Disziplinen durch Ministerpräsident Karl Arnold auf Anregung von Ministerialdirektor Professor Dr.-Ing. Leo Brandt. 24. März 1952 Erweiterung der Akademie um die Klasse für Geisteswissenschaften 14. Mai 1958 Grundsteinlegung für das Karl Arnold-Haus der Wissenschaften 11. Mai 1960 Einweihung des Karl Arnold-Hauses der Wissenschaften 1. Januar 1970 Umwandlung der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen“ in die „Rheinisch- Westfälische Akademie der Wissenschaften“ mit dem Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts 6. Mai 1970 Feierliche Eröffnungssitzung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften 6. Juli 1993 Umbenennung in die „Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften“ 24. Mai 2000 Gründung der Klasse für Ingenieur- und Wirtschafts wissenschaften durch Abspaltung von der Klasse für Natur wissenschaften und Medizin 1. Sept. 2006 Gründung des Jungen Kollegs zur Förderung des wissen schaftlichen Nachwuchses 24. Juni 2008 Erweiterung um eine vierte Klasse der Künste 14 15
Forschung Neben den Aktivitäten als Gelehrtengesellschaft liegt ein wichtiger Arbeitsschwer Das Programm ermöglicht es, die sehr langfristig, oft auf mehrere Jahrzehnte punkt der Akademie in der wissenschaftlichen und administrativen Betreuung angelegten, umfangreichen Forschungsvorhaben kontinuierlich auf hohem von Forschungsprojekten, überwiegend im Bereich der geisteswissenschaft Niveau zu bearbeiten, ohne an die begrenzte Kapazität einzelner Einrichtungen lichen Grundlagenforschung. In insgesamt 18 Forschungsprojekten betreut die oder die Lebenszeit einzelner Personen gebunden zu sein. Im Akademien Akademie in enger Zusammenarbeit mit Universitäten und außeruniversitären programm werden 152 Langzeitvorhaben an 204 Arbeitsstellen mit einem Forschungseinrichtungen Vorhaben, die insbesondere der Erschließung, Siche Gesamtvolumen von 54,4 Millionen Euro gefördert (Stand 2012), die ein rung und Vergegenwärtigung unseres kulturellen Erbes dienen. strenges Auswahlverfahren durchlaufen mussten. In der Nordrhein-West fälischen Akademie werden 15 Akademievorhaben mit rund 4,5 Millionen Euro betreut (Stand 2012). Akademienprogramm Das Akademienprogramm, in dem seit 1979/80 Bund und Länder gemeinsam Wissenschaftliche Kommissionen, bestehend aus Mitgliedern der Akademie langfristige Forschungsvorhaben vor allem in den Geisteswissenschaften und externen Fachleuten, begleiten und verantworten die wissenschaftliche finanzieren, ist das größte und bedeutendste geisteswissenschaftliche For Arbeit der Forschungsprojekte. Regelmäßige Evaluierungen durch externe schungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland. Die Nordrhein-Westfä Gutachter sichern den Qualitätsstandard der hier entstehenden Wörter lische Akademie der Wissenschaften ist zusammen mit den sieben anderen bücher, Lexika und Editionen aus den Gebieten der Theologie, Philosophie, Landesakademien Heimat der in diesem Programm geförderten Vorhaben. Geschichte, Literatur- und Sprachwissenschaften, Kunstgeschichte und Archäologie, Inschriften- und Namensforschung sowie einiger Koordiniert wird das Akademienprogramm durch die Union der deutschen naturwissenschaftlicher Langzeitbeobachtungen. Akademien der Wissenschaften. Der Wissenschaftsrat hat das Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften Akademienprogramm in 2009 positiv evaluiert und es als und der Künste, Wandelhalle „ein einzigartiges Instrument zur langfristigen Projektförderung“ gewürdigt. 16 17
as Akademievorhaben „Herausgabe des Reallexikons für Antike und Christentum (RAC) und des Jahrbuchs für Antike und Christentum (JbAC)“ erforscht die Entstehung der spätantik-christlichen Kultur. Konkret soll die Frage beantwortet werden: Wie wurde aus der vielschichtigen, keineswegs einheitlichen antiken Kultur, die sich seit hellenistischer Zeit in der Mittelmeerwelt entwickelte, die spätantik-christliche der folgenden Jahrhunder Foto rechts: Die Mitarbeiter der te? Die Bedeutung dieser Fragestellung ergibt sich aus der Tatsache, dass diese Forschungsstelle Dr. Susanne spätantik-christliche Kultur eine Vorstufe der mittelalterlichen und damit zum Heydasch-Lehmann und Teil der heutigen bildet. Dr. Christian Hornung zeigen den sogenannten Bonner Magierkrug, der aus dem Was uns heute als natürlicher Bestandteil der christlich geprägten europäischen 7. Jahrhundert stammt. Kultur erscheint, hat oft einen ganz anderen Ursprung. Das Forschungsprojekt Foto unten: Prof. Dr. Georg Schöllgen inmitten der bisher stellt unabhängig von konfessionellen und weltanschaulichen Standpunkten veröffentlichten Bände. die wechselseitigen Einflüsse von jüdischer, paganer (heidnischer) und christ licher Antike dar, aus denen sich in der Spätantike eine neue Kultur entwickelt. Herausgabe des Reallexikons (RAC) und des Dabei kommen nicht nur Erscheinungen des religiösen Lebens, theologische Begriffe und Vorstellungen zur Sprache, sondern viel umfassender auch die Jahrbuchs für Antike und Christentum (JbAC) wesentlichen Bereiche von Staat, Gesellschaft, Recht, Wirtschaft, Kunst, Literatur und Wissenschaft. Das Reallexikon für Antike und Christentum (RAC) dient als Hilfsmittel und zeichnet sich durch eine umfassende, gleichzeitig dicht geschriebene und verständliche Darstellung der Forschungsergebnisse aus. Ausführliche Diskus sionen von Thesen, die Behandlung der Forschungsgeschichte und die Aus- breitung aller erarbeiteten Materialien finden dagegen im Jahrbuch für Antike und Christentum (JbAC) ihren Platz. Auf einen Blick Beginn 1976 Laufzeit voraussichtlich bis 2016 Ziel Erforschung der Entstehung des Christentums in der antiken Welt Leitung Prof. Dr. Georg Schöllgen Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 18 19
as Akademievorhaben „Novum Testamentum Graecum. Editio Critica Maior“ Novum Testamentum Graecum. widmet sich der Erforschung und Rekonstruktion des griechischen Urtextes Editio Critica Maior des Neuen Testaments. Foto links: Der Altphilologe Dr. Klaus Wachtel Die neutestamentlichen Texte sind zwar weltweit in über 5000 Dokumenten bei einer Textanalyse im Bibel-Museum des überliefert, allerdings sind die Urschriften allesamt verschollen. Im Laufe der Instituts. Kleines Foto unten: Ein Bibeldruck aus dem Jahre 1483. Großes Foto unten: Bild aus Zeit entstanden durch unterschiedliche Lesarten und Deutungen in den Über einer Handschrift des Neuen Testaments aus lieferungen teils stark ausgeprägte Textvarianzen. dem 13. Jahrhundert. Fotograf: Lothar Strücken Erstmalig in der Wissenschaftsgeschichte ist es möglich geworden, das gesamte verfügbare handschriftliche Material wie auch eine überaus große Zahl hand schriftlicher Zitate christlicher Schriftsteller und die alten Übersetzungen der Texte, vor allem in das Lateinische, Koptische und Syrische, bei der Rekon struktion des Ausgangstextes heranzuziehen und auszuwerten. Das Forschungsprojekt analysiert mit Hilfe eines eigens entwickelten Compu terprogramms die Textunterschiede und dokumentiert die griechische Textge schichte des ersten Jahrtausends. Unter Rückgriff auf die Kohärenzbasierte Genealogische Methode, die auch zufälligen Mehrfachentstehungen von Varianten Rechnung trägt, werden dann genealogische Zusammenhänge in dem umfangreichen Material hergestellt und die Ursprünge der unterschiedlichen Lesarten enthüllt. Auf einen Blick Beginn 1958 Laufzeit voraussichtlich bis 2030 Ziel Rekonstruktion des griechischen Urtextes des Neuen Testaments; Dokumentation der Textgeschichte; Metho- denentwicklung und Gestaltung einer Internetnutzung Leitung Prof. Dr. Holger Strutwolf Standort Westfälische Wilhelms-Universität Münster 20 21
as Totenbuch ist eine Sammlung von rund 200 Sprüchen, die im Alten Ägypten in unterschiedlicher Auswahl Verstorbenen mit ins Grab gegeben wurden. Dieser Brauch spielte vom Beginn des Neuen Reiches (um 1600 v. Chr.) bis in die späte Ptolemäerzeit bzw. frühe Römerzeit (1. Jh. n. Chr.) eine zentrale Rolle, denn die Sprüche dienten dem Verstorbenen als Argumentationshilfe, um sich vor dem Totengericht für sein Leben zu verantworten. Nur bei bestande ner Prüfung erwartete den Verstorbenen ein Leben nach dem Tod. Papyrusrollen, aber auch Mumienbinden, Leichentücher, Särge oder Grab- und Tempelwände wurden damit beschriftet und bebildert. Sie behandeln zudem die wesentlichen Inhalte des altägyptischen Jenseitsglaubens: den Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit und Bewegungsfreiheit, nach Versorgung, Abwehr von Gefahren und Aufnahme unter die Götter. Das Bonner Totenbuch-Projekt, welches bereits seit 1994 systematisch Informa tionen und Bildmaterial über alle noch vorhandenen Totenbücher sammelt, wurde 2004 in das Akademienprogramm aufgenommen. Das Hauptaugenmerk des Projekts liegt auf der Edition ausgewählter Totenbuch Edition des Altägyptischen Totenbuches handschriften. Die beiden Pfeiler der Edition bilden repräsentative Textzeugen aus den verschiedenen Belegungsperioden auf der einen Seite und außerge vom Neuen Reich bis zur Römerzeit wöhnliche Handschriften auf der anderen Seite. Daneben sammelt das Projekt die über die Museen, Sammlungen und Bibliotheken der Welt verstreuten Auf einen Blick Manuskripte mit allen verfügbaren Daten in seinem Archiv. Dieses weltweit größte Totenbuch-Archiv mit ca. 3000 Objekten (Stand August 2012) wird Beginn 1994 international von Wissenschaftlern und anderen Interessierten intensiv genutzt. Laufzeit bis Ende 2012 Weitere Arbeitsbereiche umfassen die Analyse des Totenbuch-Wortschatzes, die Erstellung einer Bibliographie zum Altägyptischen Totenbuch sowie die Ziel Aufbau eines Archivs aller heute noch Erarbeitung von Hilfsmitteln zur Datierung der Handschriften. auffindbaren altägyptischen Totenbücher in Form von Bilddokumenten und einer Datenbank sowie Textübersetzung der Sprüche und Dokumentation der chrono- logischen Entwicklung des Totenbuchs Leitung Prof. Dr. Ursula Rößler-Köhler Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn Foto oben: Die Mitarbeiter der Forschungsstelle Dr. Marcus Müller und Dr. Rita Lucarelli entschlüsseln Texte an Originalen. Foto links: Aris Legowski am Archiv der Arbeitsstelle. 22 23
ntike Papyri, Münzen und Inschriften sind Boten einer fernen Zeit und die ältesten Träger schriftlicher Überlieferungen. Die Entschlüsselung dieser historischen Quellen bietet der Altertumswissenschaft einen vielseitigen Einblick in die antike Kultur, so etwa in die ursprüngliche Gestaltung und Verwendung literarischer Texte oder in den Alltag der Menschen im ptolemäisch-römischen Ägypten. Eine der bedeutendsten deutschen Sammlungen von Papyri und Münzen wurde seit den 1950er Jahren in Köln aufgebaut. Sie umfasst die „Kölner Papyri“, griechi sche Münzen aus Ägypten und Kleinasien und eine Sammlung von Abklatschen der auf dem Gebiet der heutigen Türkei gefundenen antiken Inschriften. Seit Gründung der Kölner Arbeitsstelle für Papyrologie, Epigraphik und Numis matik im Jahre 1974 restaurieren, entziffern, edieren, übersetzen und kommen tieren Wissenschaftler die in der Sammlung aufbewahrten Papyri und Münzen sowie griechische Inschriften aus Kleinasien. Sie verfertigen auch thematisch zusammengehörige Corpora aus Dokumenten verschiedener Aufbewahrungsor Sammlung, Kommentierung und te und erarbeiten Studien von allgemeiner Bedeutung für die Altertumskunde. Herausgabe von Papyrusurkunden Der Schwerpunkt der Förderung durch das Akademienprogramm liegt derzeit auf der Papyrusforschung (Papyrologie). Der Arbeitsstelle obliegt zudem die konservatorische Behandlung der Fundstücke, damit diese auch zukünftig der Wissenschaft zur Verfügung stehen. Die Forschungsergebnisse werden regelmäßig in der Reihe Papyrologica Colo niensia veröffentlicht. Auf einen Blick Beginn 1974 Großes Foto oben: Prof. Dr. Jürgen Hammerstaedt begut- achtet einen rund 2.000 Jahre alten, beidseitig beschriebenen Laufzeit voraussichtlich bis 2020 Papyrus. Kleines Foto oben links: Dr. Robert Daniel, Kustos der Papyrussammlung, entschlüsselt einen Text. Ziel Erhalten, Erschließen und Erforschen von antiken Papyri, Kleines Foto oben rechts: Sophie Geiseler ist in der For- Inschriften und Münzen schungsstelle für die Restauration der Papyri zuständig. Foto rechts: Abbildung des Kölner Mani-Kodex. Leitung Prof. Dr. Jürgen Hammerstaedt Standort Universität zu Köln 24 25
ie Spätantike, welche vom 3. bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. reicht, ist für die politische und kulturelle Entwicklung Europas von kaum zu über schätzender Bedeutung. In diese Epoche fallen z. B. die hochdramatischen Ereignisse, die man auch in einem breiteren Geschichtsbewusstsein mit den Stichwörtern „Völkerwanderung“ oder „Ende des römischen Reiches“ verbindet, und es ist die Zeit, in der das Christentum zum einen von einer verfolgten zur Staatsreligion aufsteigt, zum anderen sich das pagane Gedankengut anverwan delt, so dass auch solche Werke der Nachwelt überliefert wurden. Ein Großteil der historischen Überlieferung der Spätantike ist nur durch Zitate bekannt; eine umfassende Sammlung der Fragmente der Geschichtsschreibung aus dieser Zeit gibt es nicht. Das Forschungsprojekt „Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike“ ediert, übersetzt und kommentiert Werke von knapp 90 Autoren und weitere anonyme Werke dieser Zeit. Dazu gehören lateinische und griechische Autoren, Profan- und Kirchenhistoriker, fragmentarisch erhaltene und „kleine“ Autoren (das heißt solche, die nur selten als selbständige Werke ediert und in Fragment- Sammlungen wiederum nicht erfasst werden), namentlich bekannte Historiker Edition, Übersetzung und Kommentierung und sicher rekonstruierbare, aber anonyme Geschichtswerke. der kleinen und fragmentarischen Historiker Das Projekt wird damit dazu beitragen, dieses historische Erbe Generationen der Spätantike zugänglich zu machen, die sich nicht mehr in dem Maße wie früher auf eine schulische Ausbildung in den alten Sprachen stützen können. Foto oben: Papier lebt – Quellenmaterial für die Forscher der Spätantike. Foto links: Die Leiter der Forschungsstelle Prof. Dr. Bruno Bleckmann und Prof. Dr. Markus Stein bei der Vorstellung des Projektes im November 2011. Auf einen Blick Beginn 2012 Laufzeit voraussichtlich bis 2026 Ziel Edition, Übersetzung und Kommentierung der kleinen und fragmentarischen Historiker der Spätantike Leitung Prof. Dr. Bruno Bleckmann, Prof. Dr. Markus Stein Standort Universität Düsseldorf 26 27
ie außerhalb der städtischen Bereiche gegründeten griechischen Heilig- tümer sind Gegenstand des Forschungsprojektes „Kulte im Kult“. Als sakrale Zonen zumeist fest definiert, nehmen sie innerhalb der antiken Heiligtumsty pologie eine besondere Stellung ein. In der Regel sind sie mit einer Hauptgottheit verbunden, neben der jedoch auch zahlreiche weitere Gottheiten verehrt wurden. Während die Koexistenz verschie dener Gottheiten an sich kein unbekanntes Phänomen ist, wurde bislang jedoch kaum genauer untersucht, inwieweit sich ihre verschiedenen Funktionsbereiche im Gefüge einer einheitlichen sakralen Zone ergänzen. Eine Antwort auf die Frage nach den Funktionen solcher „untergeordneten Kultbezirke“ wird man vor allem von den schriftlichen Zeugnissen und den archäologischen Befunden selbst erwarten dürfen, die systematisch aufgenom men und ausgewertet werden. Aussagekräftig können beispielsweise die Lage der Kultbezirke, ihre Ausstattung und auch das Spektrum von Weihegaben Kulte im Kult und Kultgeräten sein. Ergänzend zu diesen übergreifenden Untersuchungen werden Feldforschungen im extraurbanen Apollonheiligtum von Didyma (Türkei) durchgeführt. Dieses griechische Orakelheiligtum war neben Delphi und Olympia in der klassischen Antike eine der wichtigsten Pilger- und Kultstätten und ist trotz seiner großen Bedeutung immer noch in weiten Teilen unausgegraben. Aus der umfangreichen schriftlichen Überlieferung wissen wir, dass es in Didyma neben dem zu Beginn des 20. Jhs. freigelegten Apollontempel weitere, wenn auch kleinere Heiligtümer verschiedener Gottheiten gegeben haben muss. Insofern sind hier die Voraussetzungen und Möglichkeiten äußerst günstig, Auf einen Blick durch gezielte Ausgrabungen einen Zugang zum Verständnis der religiösen Beginn 2009 Strukturen eines extraurbanen Heiligtums zu erlangen. Laufzeit voraussichtlich bis 2021 Ziel Untersuchung extraurbaner griechischer Heiligtümer unter besonderer Berücksichtigung von Didyma Leitung Prof.‘ in Dr. Helga Bumke Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn / Großes Foto oben: Didyma – der Apollontempel von Süden mit Blick in Richtung Milet (Fotograf: E. Kücük). Kleines Foto links: Grabungssondage mit einer freigelegten Mauer des Theaters von Didyma. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg / Didim (Türkei) Kleines Foto rechts: Restaurierung der Funde im Grabungshaus. 28 29
ufgabe der Arbeitsstelle ist es, Inschriften, die zwischen dem 7. Jahrhundert und 1650 im Bereich des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen nachweisbar sind, zu erfassen und wissenschaftlich aufzuarbeiten und damit wertvolles Kulturgut zu sichern. Inschriften sind nicht mit Feder und Tinte auf Papier geschrieben, sondern in Stein gemeißelt, in Metall graviert oder gegossen, in Stoff gestickt oder in Holz geschnitten. Sie wurden auf Grabdenkmälern, Kirchenfenstern, Gewändern und Glocken, an Kirchengerät oder Hausfassaden angebracht und spiegeln das Selbstverständnis der Auftraggeber sowie die rechtlichen, gesellschaftlichen oder religiösen Vorstellungen ihrer Entstehungszeit wider. Um dieses wertvolle Quellenmaterial den Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen für ihre eigenen Forschungen zugänglich zu machen und zugleich dem interessierten Laien die Inschriften seiner Heimat nahe zu bringen, werden die Texte nicht nur genau gelesen und ggf. übersetzt, sondern auch in ihren Entstehungszusammenhang eingeordnet. Im Kommentar werden deshalb der Inhalt und die sprachliche Form der Inschrift selbst, aber auch ihr gedankli cher und historischer Hintergrund erläutert. Eine Analyse der Schriftformen erlaubt Aussagen zu Überarbeitungen der Inschriften und zur zeitlichen Einordnung der Träger. Deutsche Inschriften des Mittelalters Die bearbeiteten Inschriftenbestände werden im Rahmen des Editionsunter nehmens „Deutsche Inschriften“ (DI) publiziert, das von den Länderakademien Auf einen Blick in Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz und München sowie der Beginn 1978 Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien getragen wird. Die Reihe umfasst bereits mehr als 80 Bände. Für Nordrhein-Westfalen liegen die Laufzeit vorläufig bis 2015, Inschriftenbestände des Aachener Domes, der Stadt Aachen sowie der Städte geplant bis 2032 Bonn, Essen, Lemgo und Minden gedruckt vor; bis 2015 sollen weitere Bände Ziel Erfassung und Kommentierung über die Städte Düsseldorf, Köln und Xanten erscheinen. lateinischer und deutscher Inschriften Nordrhein-Westfalens (7. Jh. bis 1650) Leitung Prof. Dr. Theo Kölzer Foto oben: Dr. Helga Giersiepen (links) und Dr. Ulrike Spengler-Reffgen Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms- in der Fürstengruft von St. Lambertus in Düsseldorf. Foto unten: Inschriften in der Fürstengruft aus dem Jahr ihrer Universität Bonn Erbauung 1592 und einer Begehung im Jahr 1856. 30 31
er 1126 in Cordoba geborene arabischsprachige muslimische Rechtsge- Averroes Latinus-Edition lehrte und Arzt Ibn Rushd oder Averroes galt seinerzeit als Universalist. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten standen die Werke des Aristoteles, zu denen er eine Vielzahl von Kommentaren zunächst in arabischer Sprache verfasste, die ins Hebräische und seit Beginn des 13. Jahrhunderts auch ins Lateinische über- setzt wurden. Als der „commentator“ des „philosophus“ wird Averroes zu einem der einflussreichsten Vermittler des Aristoteles. Die Bedeutung der lateini schen Version der Aristoteles-Kommentare des Averroes für die abendländische Philosophie ist kaum zu überschätzen und reicht weit über die Renaissance hinaus. Das seit 1984 bestehende Forschungsvorhaben der Averroes Latinus-Edition betrifft die lateinischen Übersetzungen der Averroes-Kommentare. Hierzu gehört nicht nur die Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte, sondern auch eine stete und methodisch reflektierte Bezugnahme auf den arabischen Urtext oder, wo dieser verloren ist, auf parallele arabisch-hebräische Überset zungen. Gleichzeitig müssen vielfache Wechselbeziehungen berücksichtigt werden. Die Averroes Latinus-Edition hat hier editorische Standards gesetzt. Damit werden der Forschung wichtige Grundlagen der Philosophie des Mittelalters zugänglich gemacht. Auf einen Blick Die Arbeiten der Averroes Latinus-Edition sind Teil des internationalen Gesamt projektes der Averrois Opera unter dem Dach der Union Académique Internatio Beginn 1984 nale, das auch den arabischen Originaltext (Averroes Arabicus) und die hebrä Laufzeit voraussichtlich bis 2013 ische Übersetzung (Averroes Hebraicus) umfasst. An dieser Edition arbeiten Ziel Kritische Edition der ins Wissenschaftler aus acht Staaten Europas, den USA und dem Vorderen Orient Lateinische übersetzten bereits seit 1931. Diese Aufgabenstellung ist auch heute noch in weiten Teilen Werke des Averroes Pionierarbeit; sie stellt besondere Anforderung an die Arbeit hinsichtlich der Komplexität und des zeitlichen Aufwandes. Das Thomas-Institut der Universität Leitung Prof. Dr. Dr. h.c. zu Köln ist inzwischen zu einem Zentrum der Averroes-Forschung geworden. Andreas Speer Dem trägt der 2010 begonnene Aufbau des Digital Averroes Research Environment Standort Thomas-Institut der (DARE) Rechnung, eines digitalen Forschungsportals, das eine digitale Komplett Universität zu Köln edition verbunden mit einer bibliographischen und einer Handschriftendaten bank als Grundlage einer interaktiven Forschungsumgebung zum Ziel hat. Foto oben: Prof. Dr. Andreas Speer mit Schriften des Averroes Latinus. Foto links: Die Mitarbeiter der Forschungsstelle Dr. Roland Hissette (rechts) und David Wirmer im Diskurs. 32 33
rotz der bedeutenden Wirkung, die der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) schon zu seinen Lebzeiten entfaltet hat, ist sein Werk in sehr unzulänglicher Form überliefert worden. Hegel selber hat nur vergleichsweise wenige Hauptwerke und Abhandlungen veröffentlicht. Seine Vorlesungen an den Universitäten Heidelberg und Berlin, auf denen ein Großteil der öffentlichen Wirkung seiner Philosophie beruht, sind nach seinem Tod von seinen Freunden und Schülern in höchst mangelhafter Form teils aus seinen Manuskripten, teils aus studentischen Nachschriften veröffent licht worden, und seine umfangreichen und für das Verständnis seiner Philo sophie unverzichtbaren Manuskripte aus seinen frühen Jahren sind erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts bekanntgemacht worden. Das Forschungsvorhaben „Herausgabe der gesammelten Werke G. W. F. Hegels“ wird sämtliche Werke Hegels veröffentlichen. Gerade in einer Gesellschaft, die Herausgabe der gesammelten Werke immer mehr auf Naturwissenschaften fokussiert ist, gewinnt Hegel mit seiner Georg Wilhelm Friedrich Hegels Betonung der Freiheit als des innersten Prinzips, aus dem die gesamte geistige Welt – Recht und Staat, Geschichte, Kunst, Religion und Philosophie – hervorgeht, erhöhte Aufmerksamkeit. Das Projekt wird in dem 1958 vom Land Nordrhein-Westfalen gegründeten Hegel-Archiv, inzwischen eine Einrichtung der Ruhr-Universität Bochum, durchgeführt. Veröffentlicht sind bisher 23 Bände mit den Werken und hand schriftlichen Entwürfen Hegels sowie 3 Bände mit den Nachschriften zu Hegels Berliner Vorlesungen. Auf einen Blick Beginn 1957 Laufzeit voraussichtlich bis 2015 Ziel Herausgabe sämtlicher Werke von Georg Wilhelm Friedrich Hegel Großes Foto oben: Prof. Dr. Walter Jaeschke in der Bibliothek mit Schriften Leitung Prof. Dr. Walter Jaeschke Hegels umgeben. Foto oben: Zwei Nachschriften zu Hegels Vorlesungen. Standort Ruhr-Universität Bochum Foto links: Die Büste Hegels. 34 35
ieht man von einer vor kurzem begonnenen Wiener Ausgabe des Frühwerks in Buchform ab, so sind die Werke des großen österreichischen Schriftstellers Arthur Schnitzler (1862–1931) bis heute nicht in einer wissenschaftlichen Edition greifbar – im Gegensatz zu Werken anderer Vertreter dieser Epoche wie Franz Kafka, Robert Musil, Thomas Mann, Alfred Döblin oder Hugo von Hofmannsthal. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil dieses Werk von welt literarischem Rang eine enorme Bandbreite aufweist und brennpunktartig eine Vielzahl von Strängen aus der zeitgenössischen Sozial-, Anthropologie-, Gender-, Denk- und Wissensgeschichte verknüpft. Arthur Schnitzler: Unter Einbeziehung des riesigen, nach dem „Anschluss“ Österreichs seinerzeit in letzter Minute vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten nach Cambridge Digitale historisch-kritische Edition geretteten Nachlassmaterials wird das Forschungsvorhaben „Arthur Schnitzler: Digitale historisch-kritische Edition“ Einblicke in Arbeitsweise und produk tionsästhetische Prinzipien eines Autors erarbeiten, der die gesamte Epoche der Klassischen Moderne (ca. 1890–1930) von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende literarisch äußerst vielgestaltig und mit hochgradiger Sensibilität für ihre Probleme und Widersprüche begleitet hat. In dem europäischen Projekt widmen sich den drei Werkphasen Schnitzlers die Projektstellen in Wien (1890-1904) und Cambridge (1905-1913) sowie in Wuppertal (1914-1931), wo das umfängliche Spätwerk bearbeitet wird. Es soll in Kooperation mit der Cambridge University Library, dem Deutschen Literatur archiv Marbach und dem Schnitzler-Archiv in Freiburg sowie dem Kompetenz zentrum für elektronische Texterschließung der Universität Trier realisiert werden. Foto oben: Studie zur Porträtradierung Dabei will das Projekt neueste technische Entwicklungen nutzen, um in exempla Auf einen Blick „Arthur Schnitzler“ von Ferdinand rischer Weise eine innovative digitale historisch-kritische Ausgabe zu erstellen, Schmutzer, um 1912. Beginn 2012 (Quelle: Deutsches Historisches Museum) die im Rahmen eines von der Universitätsbibliothek in Cambridge beherbergten Foto unten: Auszug aus dem Manuskript Arthur-Schnitzler-Online-Portals zur Verfügung gestellt wird. Laufzeit voraussichtlich bis 2029 „Fräulein Else“, Cambridge University Library, Mappe A 141,1. Ziel Digitale Edition des Spätwerks (Quelle: Cambridge University Library) Zudem soll auch das umfangreich überlieferte Nachlassmaterial ediert werden. des österreichischen Schriftstellers Neben den Vorarbeiten zu den publizierten Texten umfasst es zahlreiche unver Arthur Schnitzler öffentlichte Werke, die in unterschiedlichem Vollendungsgrad vorliegen, von der Leitung Prof. Dr. Wolfgang Lukas, ersten notierten Idee über Skizzen und Entwürfe bis zu ausformulierten Dramen Prof. Dr. Michael Scheffel und Erzähltexten, die Schnitzler nicht zur Veröffentlichung bestimmt hatte. Standort Bergische Universität Wuppertal 36 37
ie Forschung in den modernen Lebenswissenschaften hat in den vergangenen Grundlagen, Normen und Kriterien Jahrzehnten vielfältige neuartige Technologien und Verfahren hervorge der ethischen Urteilsbildung in den bracht. Auch wenn der Nutzen vieler der so entstandenen neuen Handlungs möglichkeiten unbestritten ist, so werfen sie doch oftmals erhebliche normative Biowissenschaften – Referenzzentrum Fragen auf. Diese betreffen sehr verschiedenartige Themenfelder wie etwa den Umgang mit Stammzellforschung, die Bedeutung von Patientenverfügungen bei Demenzerkrankungen oder die Frage nach dem Wert von Biodiversität. Die Erschließung der für die qualifizierte Urteilsbildung relevanten Aspekte dieser Fragestellungen stellt eine eigene wissenschaftliche Herausforderung dar, die eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den normativen und den relevanten biomedizinischen Disziplinen verlangt. Das seit 1999 bestehende Forschungsvorhaben „Grundlagen, Normen und Kriterien der ethischen Urteilsbildung in den Biowissenschaften“ schafft diese Grundlagen für qualifizierte bioethische Debatten. Dazu zählen die Erarbeitung von relevanten interdisziplinären Informationen, die zu berücksichtigenden gesellschaftlichen Fragen und die maßgebenden Grundlagen einer fachgerechten Urteilsfindung für Diskussionen in der Bioethik. Das Projekt unterstützt damit zentrale wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Dialoge im deutschen, europäischen und internationalen Kontext. Ein Informations- und Dokumentationszentrum stellt mit umfangreichen Daten sätzen die weltweit größte Quelle für bioethische Informationen aus den verschiedenen Bereichen der Lebenswissenschaften dar. Auf einen Blick Beginn 1999 Die erarbeiteten Publikationen und Veranstaltungen sind somit nicht nur für Forscher, Journalisten und Politiker interessant, sondern auch gesamtgesell Laufzeit voraussichtlich bis 2028 schaftlich bedeutsam. Ziel Förderung und Vernetzung der in Wissenschaft, Gesell- schaft und Politik geführten bioethischen Debatten Leitung Prof. Dr. Dieter Sturma Standort Rheinische Friedrich- Foto oben: Der Leiter der Forschungsstelle Prof. Dr. Dieter Sturma mit seinen Mitarbeitern Dr. Dirk Lanzerath, Alexandra Pitscheider und Dr. Bert Heinrichs in der Bibliothek des Instituts. Wilhelms-Universität Bonn Foto unten: Prof. Dr. Dieter Sturma mit einer Auswahl bisheriger Veröffentlichungen. 38 39
ie werden Entscheidungen getroffen? Insbesondere politische und wirt- Rationalität im Lichte der schaftliche Akteure müssen täglich hochkomplexe Entscheidungen experimentellen Wirtschaftsforschung mit oft nicht absehbaren Konsequenzen treffen. Verschiedene Krisen zeigen dies regelmäßig. Klassische Theorien unterstellen Entscheidern dabei ein vollständig rationales Verhalten. Das bedeutet, dass die Akteure vor der Beschlussfassung alle für sie relevanten Auswirkungen ihres Handelns überblicken und die gemäß ihrer Präferenzen beste Option aus den verfügbaren Alternativen wählen. Das Akademievorhaben „Rationalität im Lichte der experimentellen Wirtschafts forschung“ unter der Leitung des Wirtschaftsnobelpreisträgers Prof. Dr. Reinhard Selten stellt diese Grundannahme infrage. Ziel des Projektes ist die Entwick lung einer neuen umfassenden ökonomischen Theorie menschlichen Verhal tens. Dabei gehen die Forscher von einer eingeschränkten Rationalität bei der Entscheidungsfindung aus und widersprechen somit den vom Optimierungs gedanken geleiteten klassischen Annahmen. Eingeschränkt rationale Entschei dungen sind jedoch keineswegs irrational. Eingeschränkte Rationalität basiert auf der Sichtweise, dass Entscheidungen im Rahmen der tatsächlichen kognitiven Möglichkeiten der handelnden Akteure getroffen werden. Der Entscheider muss auch äußere Faktoren, wie Komplexität der Entscheidungsumwelt oder Zeitmangel, bei der Gestaltung einer geeigne ten Entscheidungsprozedur berücksichtigen. Die Entscheidungsprozeduren sind dabei durchaus vernünftig und führen gewöhnlich, aber nicht immer, zu guten Entscheidungen. Auf einen Blick Beginn 2006 Um die Theorie zu entwickeln und zu testen, werden Experimente an zahlreichen Universitäten im In- und Ausland durchgeführt. Teilnehmer übernehmen mittels Laufzeit voraussichtlich bis 2015 einer speziell entwickelten Software die Leitung über virtuelle Unternehmen Ziel Entwicklung einer umfassenden und können diese nach Belieben lenken. Die Forscher erlangen somit tiefere ökonomischen Theorie menschlichen Einblicke in die menschliche Entscheidungsfindung. Verhaltens Leitung Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Reinhard Selten Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms- Foto oben: Forschungsanordnung mit Probanden während eines Experiments. Universität Bonn Foto unten: Prof. Dr. Reinhard Selten, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. 40 41
ie Diskrete Mathematik beschäftigt sich mit endlichen (oder abzählbar Diskrete Mathematik und Anwendungen unendlichen) Strukturen. Sie hat sich besonders seit Mitte des 20. Jahr- hunderts, vor allem durch ihre Anwendungen, rasant entwickelt. Fragestellungen der Diskreten Mathematik treten insbesondere bei Optimie rungsproblemen auf, bei denen die Zahl der Möglichkeiten zwar endlich, aber zu groß ist, um sie selbst mit schnellsten Computern zu enumerieren. Anwendungen finden sich unter anderem bei Transport- und Reihenfolge problemen (etwa in Logistik oder Produktionsplanung), bei Wegeplanung, Netzwerkoptimierung und Standortproblemen (vor allem in Verkehrs- und Telekommunikationsnetzwerken), aber auch etwa in den Ingenieurwissen schaften, der Physik, Chemie, Genetik, Linguistik und sogar in der Archäologie. Ein besonders spannendes Anwendungsgebiet der Diskreten Mathematik ist das Design höchstintegrierter mikroelektronischer Schaltungen (VLSI-Chips). Es ist heute ohne Diskrete Mathematik nicht mehr vorstellbar, stellt sie aber auch vor große – und aufgrund immer weiterer technologischer Fortschritte – ständig neue Herausforderungen. In den letzten Jahren sind jedoch – gerade auch im Rahmen dieses Akademie projekts – wesentliche theoretische Ergebnisse erzielt worden, die bereits zu vielen besseren (schnelleren, billigeren, stromsparenderen) Chips geführt haben. Dies gelang durch eine enge Wechselwirkung zwischen theoretischer Forschung, der Entwicklung von Algorithmen und Software und deren Anwendung beim Chip-Design. Dabei konzentriert sich das Akademievorhaben auf grundlegende Fragestellungen, die auch noch in vielen Jahren und – wegen ihrer allgemeinen Natur – in ganz anderen, teilweise unvorhergesehenen Anwendungsbereichen Auf einen Blick eine wesentliche Rolle spielen. Beginn 1996 Laufzeit bis Ende 2012 Ziel Erforschung grundlegender Fragestellungen der diskreten Mathematik Leitung Prof. Dr. Jens Vygen Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Foto: Ein aktueller mit BonnTool optimierter Chip. 42 43
as Akademievorhaben „Erforschung von jungen Sternen und Quasaren“ erforscht eine bisher vernachlässigte Dimension in der Astrophysik: die der „Zeit“. Bisher ist bekannt, dass entstehende Sterne und Quasare von Scheiben umgeben sind, aus denen Materie auf das Zentralobjekt fließt. Immer wenn größere Mengen Gas auftreffen, wird das Objekt heller. Über die genauen Prozesse und zeitlichen Variationen weiß man allerdings noch sehr wenig. Zur systematischen Untersuchung von Variabilitätsphänomenen müssen die Astronomen lange und ununterbrochen messen. An den großen, internationalen Teleskopen bekommen sie jedoch nur wenige Stunden Messzeit pro Jahr. Mit der Forschungsförderung durch das Akademienprogramm konnte ein eigenes Observatorium auf dem weltweit klimatisch günstigsten Standort, Erforschung von jungen Sternen und Quasaren dem Cerro Amazones in der Atacamawüste (Chile) eingerichtet werden. Mit Hilfe des einzigartigen Hexapod-Teleskops sowie kleinerer Hilfsteleskope werden nun über einen längeren Zeitraum hinweg physikalische Prozesse, die der Entstehung von Sternen und schwarzen Löchern (Quasaren) zugrunde liegen, kontinuierlich beobachtet. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse zeigen schon jetzt: Das für den Menschen so starr und unveränderlich erscheinende Universum ist voller variabler Objekte. Der bisherige statische Blick auf viele Phänomene, etwa bei der Sternentstehung oder bei der Untersuchung Schwarzer Löcher, ist unangemessen und muss in Zukunft durch die Dimension der Zeit erweitert werden. Auf einen Blick Beginn 2003 Laufzeit bis Ende 2015 Ziel Erforschung physikalischer Prozesse bei der Entstehung von Sternen und in Quasaren Leitung Prof. Dr. Rolf Chini Foto oben links: Das in der Nacht arbeitende Hexapod-Teleskop. Foto oben rechts: Mit dem VYSOS 6-Teleskop Standort Ruhr-Universität Bochum / Atacama-Wüste, Chile aufgenommener Pferdekopfnebel. Foto unten: Das Observatorium inmitten der Atacama-Wüste im Norden Chiles. 44 45
Großräumige Klimaveränderungen m Mittelpunkt der Forschung der Arbeitsstelle stehen die Erfassung und das Verständnis der Mechanismen im Klimasystem der Erde, seiner Reaktions und ihre Bedeutung für die Umwelt weisen auf externe Antriebe wie zunehmende Treibhausgase, Solarvariabilität, Vulkaneruptionen und die Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Umwelt. Die Diagnose und Prognose der vielfältigen Wechselwirkungen im Klimasystem umfasst unterschiedliche Raum- und Zeitskalen und basiert auf verschiedenen Datenquellen. Sind extreme Wetterereignisse bereits häufiger und intensiver geworden? Werden extreme Wetterereignisse wie schwere Gewitter mit starken Niederschlägen und nachfolgenden Überschwemmungen sowie Hitzewellen und Dürreperioden in der Zukunft zunehmen? Das sind Fragen von hohem gesellschaftlichem und politischem Interesse, deren Beantwortung seit etwa zwei Jahrzehnten eine Herausforderung an die Klimaforschung darstellt. Eine Antwort auf die erste Frage ist besonders schwierig, da hierzu eine zuverlässige Datenbasis mit langen Beobachtungsreihen notwendig ist, die nur in einem begrenzten Umfang in digitaler Form verfügbar ist. Das Akademievorhaben konzentriert sich auf die Beantwortung dieser Frage mit dem Fokus Europa, insbesondere Deutschland. Dabei stellt die Schaffung einer zuverlässigen, digitalen Datenbasis den ersten Schritt dar. Das Akademievorhaben hat Ende 2004 eine nationale Initiative zur „Rettung“ historischer Wetterauf zeichnungen unter der Schirmherrschaft des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gegründet. Im Rahmen dieser Initiative werden schriftliche Aufzeichnungen von Niederschlag und Wetterverlauf (Gewitter, Hagel usw.) aus den alten Bundes Auf einen Blick ländern digital erschlossen, während der DWD die Digitalisierung der Daten vor allem aus den neuen Bundesländern bestreitet. Bislang wurden tägliche Nieder Beginn 1982 schlagsbeobachtungen von 173 Stationen digital erfasst, die nahezu lückenlos Laufzeit bis Ende 2013 bis an den Anfang der Aufzeichnungen in die 1880er Jahre zurückreichen. Ziel Neu-Erschließung historischer Die Analyse dieser historischen Daten, die trotz nationaler und internationaler Klimadaten, Klimafolgeanalysen, Bemühungen immer noch nicht ausreichen, soll zu einem präziseren Verständnis regionale Klimamodellierungen der natürlichen Schwankungsbreite des von Menschen noch wenig beeinflussten Leitung Prof. Dr. Clemens Simmer Klimas beitragen. Dies erlaubt eine genauere Abschätzung gegenwärtiger und Großes Foto: Prof. Dr. Clemens Simmer inmitten zukünftiger Klimaänderungen. Das Akademievorhaben leistet damit Grund historischer Wetteraufzeichnungen. Standort Rheinische Friedrich-Wilhelms- Kleines Foto: Die Mitarbeiterin der Forschungs lagenforschung zur aktuellen Klimaüberwachung (Klimamonitoring) und zu Universität Bonn stelle Dr. Alice Kapala prüft Daten auf Mikrofilm. regionalen Klimamodellen. 46 47
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