Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG

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Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG
Islamischer
Religionsunterricht
in Deutschland
Qualität, Rahmenbedingungen
und Umsetzung
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG
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AIWG-Expertise

Islamischer
Religionsunterricht
in Deutschland
Qualität, Rahmenbedingungen
und Umsetzung
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG
Über die Autor_innen

Fahimah Ulfat ist Professorin für Islamische   und Weiterentwicklung des islamischen
Religionspädagogik am Zentrum für              Religionsunterrichts sowie die Erforschung
Islamische Theologie der Eberhard              der theologischen und pädagogischen
Karls Universität Tübingen. Zu ihren           Professionalität von Lehrkräften für den is­
Forschungsschwerpunkten zählen unter           lamischen Religionsunterricht. 2016 wur­
anderem die empirische Erforschung von         de sie mit einer empirischen Arbeit zur
Glaubens- und Wissenskonzepten muslimi­        Selbstrelationierung muslimischer Kinder zu
scher Kinder und Jugendlicher, die geleb­      Gott an der Friedrich-Alexander-Universität          Prof. Fahimah Ulfat
te Vielfalt von Glaube und Geschlecht, die     Erlangen-Nürnberg promoviert.
wissenschaftliche Begleitung, Erforschung

Jan Felix Engelhardt ist Geschäfts­            der Islamischen Theologie in Deutschland
führer an der AIWG. Zu seinen                  an der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Forschungsschwerpunkten zäh­                   Frankfurt am Main promoviert. Von 2011
len die Akademisierung muslimischer            bis 2016 koordinierte er vom Zentrum für
Wissensproduktion in Deutschland und           Islamische Theologie Münster aus das bun­
Europa sowie das Verhältnis zwischen           desweite Graduiertenkolleg Islamische
Theologie, Gesellschaft und Politik. 2017      Theologie.
wurde er mit einer Arbeit zur Etablierung                                                       Dr. Jan Felix Engelhardt

Esra Yavuz, geboren 1993 in Hanau, studier­    Religionsunterricht in Deutschland mit prak­
te Islamische Theologie sowie Mathematik,      tischer Erfahrung in Hessen sowie für interre­
Deutsch und Islamische Religion auf            ligiöses Lernen im schulischen Kontext. Seit
Lehramt. Seit 2018 ist sie Lehrerin für die­   2019 ist sie Mentee im Mentoring-Programm
se Fächer an einer Grundschule in Frankfurt    der AIWG.
am Main. Sie ist Expertin für islamischen

                                                                                                             Esra Yavuz
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Inhaltsverzeichnis

Islamischer Religionsunterricht                                      2

  Ausbildung und Kompetenzen der muslimischen Religionslehrkräfte    4

  Evaluationsergebnisse zum islamischen Religionsunterricht          6

  Empfehlung: Aufbau einer empirischen Unterrichtsforschung zum      8
  islamischen Religionsunterricht

Rahmenbedingungen10

  Rechtliche Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts             10

  Zwei Konzepte: Islamkunde und bekenntnisorientierter ­­­­­​       12
  islamischer Religionsunterricht

Umsetzung in den Bundesländern                                      14

  Baden-Württemberg16

  Bayern18

  Hessen21

  Niedersachsen24

  Nordrhein-Westfalen26

Lehrpläne der Bundesländer, verwendete Literatur und Quellen	       30

Impressum34
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2                                                                                        AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

    Islamischer Religionsunterricht

    Derzeit nehmen in Deutschland etwa 60.000 von insgesamt 8,3 Millionen Schüler_innen
    am islamischen Religionsunterricht (IRU) beziehungsweise an der Islamkunde teil – das
    sind etwa 0,7 %.1 Das ist nicht nur im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schüler_innen, sondern
    auch mit Blick auf die jeweils etwa 35 % aller Schüler_innen, die am evangelischen oder
    katholischen Religionsunterricht teilnehmen, ein ausgesprochen kleiner Anteil. Diese
    Verhältnisse werden trotz hohen öffentlichen Interesses und kontroverser Diskussionen
    um den islamischen Religionsunterricht schnell vergessen. Dabei ist die Zahl muslimischer
    Schüler_innen, die eventuell einen entsprechenden Religionsunterricht besuchen würden,
    deutlich höher. Schätzungen gehen von mindestens 580.000 Schüler_innen muslimischen
    Glaubens aus, von denen sich die große Mehrheit einen entsprechenden Religionsunterricht
    wünscht.2 Viele von ihnen nehmen aufgrund des fehlenden Angebots an Ethik teil.

    Der islamische Religionsunterricht ist seit lan­                               Mittlerweile steht in einigen Bundesländern is­
    ger Zeit ein zentrales Thema im Rahmen der                                 lamischer Religionsunterricht als ordentliches Fach
    Beheimatung von Menschen muslimischen                                      auf dem Lehrplan, in anderen werden Schulversuche
    Glaubens in Deutschland. Forderungen nach einem                            in islamischem Religionsunterricht oder der kon­
    Islamunterricht gehen bis in die späten 1970er Jahre                       fessionell neutralen Islamkunde durchgeführt. Aus
    zurück; erste Schulversuche starteten jedoch erst in                       rechtlicher Perspektive handelt es sich dabei jedoch
    den 1990er und frühen 2000er Jahren. 3 Im Jahr 2008                        nicht um ein Pendant zum katholischen oder evan­
    stimmte die Deutsche Islam Konferenz (DIK) un­                             gelischen Religionsunterricht, bei dem jeweils eine
    ter dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang                             als Religionsgemeinschaft anerkannte Kirche die
    Schäuble für die Einführung des flächendeckenden                           Verantwortung für den Unterricht übernimmt. Mit
    islamischen Religionsunterrichts, und 2010 empfahl                         Ausnahme des Ahmadiyya-Unterrichts in Hessen,
    der deutsche Wissenschaftsrat, die dafür notwendige                        der von weniger als 200 Schüler_innen besucht wird,
    Ausbildung von Lehrkräften an der Universität zu eta­                      werden nach jetzigem Stand die Lehrinhalte des
    blieren. An etwa zehn Universitäten in Deutschland                         Islamunterrichts entweder von mehreren muslimi­
    bilden mittlerweile muslimische Religionspädagog_                          schen Organisationen gemeinsam oder aber allein
    innen und Theolog_innen die Lehrkräfte für den                             vom Staat verantwortet.
    Unterricht aus. Diese universitären Studiengänge                               Es dominieren rechtliche und politische
    versprechen, den angehenden Lehrer_innen das not­                          Aspekte die Diskussion über den islamischen
    wendige Maß an fachlichen Kenntnissen und didakti­                         Religionsunterricht: Wer ist als Ansprechpartner_
    schen Fähigkeiten zu vermitteln, das diese für einen                       in für den Staat aufseiten der islamischen
    guten Unterricht benötigen.                                                Organisationen geeignet? Wie hoch ist das Risiko

    1   KMK 2019: 7; Mediendienst Integration 2020.
    2   Vgl. die Studie von Haug, Müssig und Stichs 2009:186-187, in Kurzform in BMI/DIK 2009.
    3   DIK und Bodenstein 2009.
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Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                           3

    einer ausländischen Einmischung in den hie­                der Akzeptanz des Anderen, mit der Verantwortung
    sigen Unterricht? Welche Auswirkungen hat                  der Gläubigen in der Welt. Die Schüler_innen ler­
                              die Anerkennung islami­          nen also nicht nur gemeinsam die Grundlagen des
Politische und rechtliche     scher Organisationen als         Islams kennen, sondern auch, sich mit der eige­
Diskussionen überdecken       Religionsgemeinschaften?         nen Religion und religiösen Traditionen reflexiv und
die wichtigen inhaltlichen    Zu kurz kommt da­                selbstbestimmt in unserer Gesellschaft auseinan­
Fragen zum islamischen        bei, dass der islamische         derzusetzen. Dass die eigene Reflexionsfähigkeit ein
Religionsunterricht.          Religionsunterricht eine zen­    wichtiges Kompetenzziel des Unterrichts ist, unter­
                              trale Anerkennungsfunktion       streichen Forschungen, die ein hohes Maß an unter­
    von religiöser Pluralität in Schule und Gesellschaft       schiedlich ausgeprägten Religionsverständnissen
    ausübt. Schüler_innen muslimischen Glaubens kön­           und religiöser Selbstidentifikation unter Schüler_in­
    nen sich, ebenso wie ihre Mitschüler_innen christli­       nen nachweisen. 4 Manche Kinder und Jugendliche
    chen Glaubens, im Rahmen des Unterrichts mit ih­           stehen dem Islam unentschieden gegenüber, inte­
    rer Religion beschäftigen. Ihre Religion wird als          ressieren sich einfach dafür, während andere sich
    Normalität im Kontext Schule anerkannt. Der islami­        damit sehr stark identifizieren. Zudem kommen im
    sche Religionsunterricht ist in der Schule häufig der      Klassenzimmer Schüler_innen unterschiedlicher mus­
    einzige Ort, an dem über den Islam und Menschen            limischer Glaubensströmungen und kultureller wie
    muslimischen Glaubens positiv, auf die deutsche            sprachlicher Hintergründe zusammen – islamischer
    Gesellschaft hin produktiv handlungsleitend, ge­           Religionsunterricht bietet hier einen Raum, in dem
    sprochen wird. In vielen anderen Kontexten wird            die Schüler_innen die Reflexion über die Vielfalt des
    der Islam oft mit dem Ausland und mit Problemen            Islams und der Gesellschaft üben können. Dies ist ein
    verbunden. Dies sind entscheidende Argumente               entscheidendes Zeichen von Anerkennung und för­
    für eine Beibehaltung und den Ausbau des islami­           dert die Normalisierung des Zusammenlebens. Um
    schen Religionsunterrichts in einer religionspluralen      den Ausbau des islamischen Religionsunterrichts zu
    Gesellschaft.                                              unterstützen und ihn als ordentliches Schulfach zu
         Ein Blick auf die Lehrpläne in den Bundesländern      fördern, ist es notwendig, die Qualität sowohl des
    zeigt, dass hier neben der Aneignung von Sachwissen        Unterrichts als auch der Ausbildung der Lehrkräfte
                            vor allem der Erwerb von solchen   nachhaltig sicherzustellen. Religionsunterricht, der
                            Kompetenzen im Mittelpunkt         von professionell ausgebildeten Religionslehrkräften
Islamischer
                            steht, die die Schüler_innen       – Lehrer_innen mit Staatsexamen – im staatli­
Religionsunterricht
                            darin unterstützen, religiö­       chen Schulsystem erteilt wird, kann einen Beitrag
möchte die religiöse
                            se Mündigkeit in einer plura­      für die Wertebildung junger Menschen und das
Mündigkeit der
                            len Gesellschaft zu entwickeln.    Zusammenleben verschiedener Religionen und
Schüler_innen stärken.
                            Muslimische Schüler_innen set­     Weltanschauungen in der Gesellschaft leisten.
                            zen sich mit den Grundlagen        Voraussetzung dafür ist eine Religionslehrer_innen­
    des Islams, mit dem Propheten Muhammad, mit re­            ausbildung, deren Standards und Qualität sich mit
    ligiösen Festen und Ritualen, mit den verschiedenen        der Lehrer_innenausbildung anderer Fächer messen
    Glaubensrichtungen und Strömungen des Islams               lassen können.
    auseinander, aber auch mit anderen Religionen, mit

   4   Ulfat 2017.
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG
4                                                                                                      AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

               Ausbildung und Kompetenzen der muslimischen Religionslehrkräfte

                  Für die Güte des islamischen Religionsunterrichts ist                      Lehrkräften des islamischen Religionsunterrichts feh­
                  die Qualität der Ausbildung von Religionslehrkräften                       len weitgehend.6
                  entscheidend. Dabei geht es um die Frage, welche                               Einen wichtigen Schritt unternimmt eine
                  konkreten Kompetenzen in der Zeit der ersten Phase                         Studie von Margit Stein, Rauf Ceylan und Veronika
                  (Studium) über die zweite Phase (Referendariat) bis                        Zimmer. In ihrer Untersuchung von Einstellungen,
                  hin zur dritten Phase (Fort- und Weiterbildung) er­                        Wertorientierungen und Erziehungserfahrungen
                  worben, entwickelt und gefestigt werden sollen. Im                         (angehender) muslimischer Religionslehrkräfte 7
                  Gegensatz zu den Standards für die Lehrer_innenaus­                        in Niedersachsen erfassten sie deren wertebezo­
                  bildung, die die beiden großen Kirchen auf religions­                      gene, religiöse, politische und genderbezogene
                  pädagogischer Grundlage verfasst haben und die in                          Überzeugungen. Die religiösen Selbstverortungen
                  die Vorgaben der Kultusministerkonferenz eingegan­                         spielen eine entscheidende Rolle; die Autor_innen
                  gen sind, gibt es auf muslimischer Seite noch keine                        unterscheiden hier zwischen drei Typen religiöser
                  entsprechenden Leitlinien. 5                                               Orientierungen bei den Lehrkräften:
                       Wesentlich für alle Fächer, so auch für den
                                                                                              • Die „Religion-Neuentdecker/innen bzw. unre­
                  Religionsunterricht, ist die Entwicklung und
                                                                                                flektierte(n) Wissensvermittler/innen“, deren
                  Förderung von Kompetenzen der Lehrkräfte. Die
                                                                                                Religiosität eher in der Übernahme der tradierten
                  muslimische Religionslehrer_innenbildung muss eine
                                                                                                Religiosität der Eltern wurzelt.
                  Qualität erreichen, die mit der Lehrer_innenbildung
                  aller anderen Fächer auf Augenhöhe steht. Der is­                           • Die „Religion-Verteidiger/innen bzw. Vermittler/in­
                  lamische Religionsunterricht muss daher bundes­                               nen zwischen dem Islam und der Gesellschaft“, die
                  weit zeitnah von grundständigen Lehrkräften un­                               sich bereits in der Jugend vertieft mit der Religion
                  terrichtet werden, die an deutschen Universitäten                             auseinandergesetzt haben und den Kontakt zur
                  studiert und auch das Referendariat absolviert                                Gesellschaft suchen, um über den Islam aufzuklä­
                  haben. Lehrpersonal, das bisher nur über eine                                 ren und sich auch von extremistischen Sichtweisen
                  Zusatzqualifikation verfügt, kann der Qualität des is­                        zu distanzieren.
                  lamischen Religionsunterrichts mittel- und langfristig
                                                                                              • Die „Religion-Reflektierer/innen bzw. Kritiker/
                  nicht dienlich sein.
                                                                                                innen“, die sich ebenfalls bereits im Jugendalter
                       Für dieses Ziel sind Standards für die Ausbildung
                                                                                                mit der Religion auseinandergesetzt haben
                  und die Professionalität von muslimischen
                                                                                                und deutlich zwischen Religion und Tradition
                                Religionslehrkräften in besonderem
                                                                                                unterscheiden. Dieser Typ hinterfragt seine
    Notwendig sind Standards Maße notwendig. Dazu bedarf es ei­                                 eigenen Einstellungen und befindet sich in einem
    in der Ausbildung           nerseits empirischer Forschungen und
                                                                                                kontinuierlichen Prozess der Reflexion. Andere
    von muslimischen            andererseits bildungstheoretischer
                                                                                                Weltanschauungen werden von ihm respektiert
    Lehrkräften sowie im        Überlegungen, die die gesamtgesell­
                                                                                                und akzeptiert. 8
    Unterricht selbst.          schaftlichen Voraussetzungen einer
                                stark pluralisierten Gesellschaft, die                       Was die religiösen Überzeugungen der (angehenden)
                                Migrationssituation, die Genderfrage                         Lehrkräfte betrifft, so verzeichnen die Autor_innen
                  und aktuelle Erkenntnisse der Islamischen Theologie                        bei allen Typen eine „mittlere bis stark ausgeprägte
                  in gleichem Maße in den Blick nehmen und in die                            Religiosität“. Für die Mehrheit der angehenden mus­
                  Ausbildung einspeisen. Doch Untersuchungen zu                              limischen Religionslehrkräfte konstatieren sie eine
                  allen Bereichen professioneller Kompetenz bei                              „nur gering ausgeprägte Reflexion eigener religiöser

               5   Vgl. Schweitzer, Boschki und Ulfat 2020, in Veröff.
               6   Vgl. Ulfat im Erscheinen.
               7   Die Studie basiert auf 34 qualitativen Interviews mit (angehenden) Religionslehrkräften für den islamischen Religionsunterricht. Vgl. Zimmer,
                   Ceylan und Stein 2017. Abrufbar unter: www.uni-vechta.de/einrichtungen-von-a-z/zentrum-fuer-lehrerbildung/forschung/einstellungen-muslimischer-reli-
                   gionslehrerinnen/
               8   Zimmer, Ceylan und Stein 2017: 359–361.
               9   Ebd., S. 361.
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG
Schüler_innen einer Berliner Grundschule während des islamischen Religionsunterrichts.

Überzeugungen“.9 Die Autor_innen empfehlen da­                             im Unterricht untersuchen. Besonders wichtig sind
her, dass in der Lehrer_innenausbildung nicht nur                          Untersuchungen zu den Kompetenzen der Lehrkräfte
Wissen vermittelt wird, sondern insbesondere die                           im Bereich des professionellen Wissens
Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit                          (Fachwissen, fachdidaktisches Wissen,    An Studien zum Selbstbild
der Religion gegeben sein muss.10 Eine systemati­                          pädagogisches Wissen), im Bereich        von Lehrkräften besteht
sche, deutschlandweite Untersuchung steht noch                             der Werthaltungen (value commit-         hoher Bedarf.
aus.                                                                       ments) und Überzeugungen (beliefs) so­
    Weiterhin besteht also großer Bedarf an em­                            wie im Bereich Berufsmotivation und
pirischen Studien, die die bekenntnisbezogenen                             Selbstwirksamkeit.11
Selbstpositionierungen von Religionslehrkräften

10 Vgl. ebd., S. 362.
11 Vgl. das Kompetenzmodell nach Baumert und Kunter 2006.
Islamischer Religionsunterricht in Deutschland - Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung - AIWG
6                                                                                           AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

    Evaluationsergebnisse zum islamischen Religionsunterricht

    Der islamische Religionsunterricht ist im                                    Wesentliche Ergebnisse der 2018 durchgeführ­
    Begriff, sich als reguläres Fach zu etablieren.                              ten wissenschaftlichen Evaluation des islamischen
    Die Qualitätssicherung und die Bestimmung                                    Religionsunterrichts in Nordrhein-Westfalen12 lauten:
    von Qualitätskriterien spielen in diesem
                                                                                  • Der islamische Religionsunterricht erfährt große
    Entwicklungsprozess eine entscheidende Rolle. Um
                                                                                    Akzeptanz bei Schüler_innen und Eltern.
    die Qualität des islamischen Religionsunterrichts
    zu kontrollieren, sind mehrere wissenschaftliche                              • Die Schüler_innen geben an, dass im islamischen
    Evaluationen durchgeführt worden, die untersuch­                                Religionsunterricht über Fragen gesprochen wird,
    ten, wie wirksam der Unterricht ist und wie er von                              die für sie wichtig sind.
    den verschiedenen Beteiligten – Schüler_innen,
                                                                                  • Die Eltern geben an, dass ihre Kinder viel über den
    Eltern, Lehrkräften – angenommen wird. Bislang
                                                                                    Islam gelernt haben und der Unterricht auch ihre
    stand bei wissenschaftlichen Evaluationen zum isla­
                                                                                    Erwartungen in Bezug auf die Auseinandersetzung
    mischen Religionsunterricht also die Frage nach der
                                                                                    mit ethisch-moralischen Fragestellungen,
    Akzeptanz im Fokus. Darüber hinaus untersuchten
                                                                                    Persönlichkeitsbildung und Toleranz gegenüber
    die Evaluationen die Integrationswirksamkeit des
                                                                                    Andersdenkenden und -gläubigen erfüllt.
    Unterrichts. Hier sind in erster Linie die wissenschaft­
    lichen Evaluationen zu nennen, die die Bundesländer                           • Die Lehrkräfte geben an, mit dem bisherigen
    Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen                                   Verlauf des islamischen Religionsunterrichts
    durchführen ließen.                                                             insgesamt zufrieden zu sein, wünschen sich jedoch

    Unterrichtsvorbereitung: Der islamische Kalender mit Festen verteilt über das ganze Jahr.

    12 Vgl. Uslucan/Yalcin 2018.
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                                    7

     mehr Lehrmaterialien und Fortbildungen. Sie wün­                   Die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs
     schen sich eine stärkere Zusammenarbeit mit dem                    islamischer Religionsunterricht in Niedersachsen17
     Beirat13 für den Islamischen Religionsunterricht                   wurde 2011 veröffentlicht. Wesentliche Erkenntnisse
     und mehr Transparenz, was die Erteilung der                        sind hier:
     Lehrerlaubnis durch den Beirat (iğāza)14 betrifft.
                                                                         • Sowohl bei den Schüler_innen als auch bei den
• Das Fach ist integrationsfördernd und                                    Eltern zeigen sich hohe Zufriedenheitswerte.
  stärkt die Schüler_innen in verschiedenen
                                                                         • Die Schüler_innen wünschen sich Kenntnisse über
  Kompetenzbereichen, etwa der Urteils- und
                                                                           andere Religionen.
  Toleranzkompetenz.
                                                                         • Die religiöse Unterweisung der Schüler_innen
Die Evaluation des Modellversuchs Islamischer
                                                                           in Elternhaus und Moschee hat tendenziell
Unterricht in Bayern15 wurde im Jahr 2014 veröffent­
                                                                           abgenommen.
licht. Wesentliche Ergebnisse sind:
                                                                         • Eltern wünschen sich mehr Faktenwissen für ihre
• Die Akzeptanz ist bei den Eltern vor allem in Bezug
                                                                           Kinder.
  auf die Vermittlung der Grundlagen des Islams
  sehr hoch.                                                             • Die Ergebnisse werden als ein Hinweis gedeu­
                                                                           tet, dass die angestrebten integrativen Ziele
• Die Schulleitungen, Klassenleiter_innen,
                                                                           der niedersächsischen Landesregierung auch
  Lehrkräfte für Religion und Ethik, aber auch die
                                                                           tatsächlich erreicht werden und die Einrichtung
  Elternvertreter_innen beurteilen das Fach über­
                                                                           des islamischen Religionsunterrichts keineswegs
  wiegend positiv. Die positive Beurteilung gründet
                                                                           separierende Tendenzen fördert.
  darauf, dass durch den Unterricht eine fundierte
  Wissensvermittlung stattfindet, der Einfluss von                      Alle drei Evaluationen fragten vor allem danach, wie
  „Fundamentalisten“ verringert, Toleranz gefördert                     das Fach an den Schulen integriert ist und wie die
  und die Identität der Kinder gestärkt wird und                        Akzeptanz des Fachs bei Eltern, Lehrkräften und
  dass es für die Kinder Optionen der Diskussion von                    Schüler_innen ausfällt. Zudem fokussierten sie auf
  Problemen und der Klärung von Fragen außerhalb                        die integrationspolitische Wirksamkeit des islami­
  von Familie und/oder Moschee gibt.                                    schen Religionsunterrichts. Einschränkend muss dazu
                                                                        gesagt werden: Befragungen der Lehrkräfte, Schüler_
• Im Hinblick auf die „integrative Zielsetzung“
                                                                        innen und Eltern können nicht klären, inwieweit der
  des Fachs urteilen Schulleitung und
                                                                        islamische Religionsunterricht den Ansprüchen an
  Religionslehrkräfte „sehr positiv“, Klassenleiter_in­
                                                                        religiöse Bildung gerecht wird und wie Lehrpläne im
  nen und Elternsprecher_innen „eher positiv“. Als
                                                                        Unterricht umgesetzt werden. Außerdem können sie
  Verbesserungen vorgeschlagen werden unter
                                                                        nicht die Qualität der Lehre, die theologische und pä­
  anderem die bessere pädagogische Qualifikation
                                                                        dagogische Professionalität der Lehrkräfte und vie­
  der Lehrkräfte16 , die Bereitstellung von
                                                                        le weitere Kriterien eines guten Unterrichts erfassen.
  Unterrichtsmaterialien und verbesserte organisa­
                                                                        Dafür ist eine flächendeckende und kontinuierliche
  torische Rahmenbedingungen.
                                                                        empirische Unterrichtsforschung vonnöten, die wis­
• Weitere Verbesserungsvorschläge der Eltern                            senschaftliche Grundlagen für den Unterricht und die
  betreffen unter anderem den Wunsch nach                               Lehrer_innenausbildung schafft.
  mehr Inhalt, besseren Unterrichtsmethoden
  und Ausweitung des Islamunterrichts. Die Eltern
  äußerten zudem Bedenken, dass fundamentalisti­
  sche Lehrkräfte zum Einsatz kommen könnten.

13 Der Beirat wurde 2019 durch eine Kommission abgelöst.
14 Mehr zum Begriff iğāza erklärt die Infobox auf Seite 13.
15 Vgl. Holzberger 2014.
16 Die unterrichtenden Lehrkräfte waren meist Islamwissenschaftler_innen oder Lehrkräfte des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts, die
   eine Zusatzqualifizierung erworben haben, also kein volles Studium und kein Referendariat absolviert haben.
17 Vgl. Uslucan 2011.
8                                                                       AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

    Empfehlung: Aufbau einer empirischen Unterrichtsforschung
       zum islamischen Religionsunterricht

    Besonders für ein junges Fach wie den islami­               flächendeckend solche Forschungen durchgeführt
    schen Religionsunterricht ist die wissenschaftli­           werden, um den derzeitigen Qualitätsstand des
    che Begleitung und Evaluation wichtig. Die AIWG             Unterrichts festzustellen.
    ermöglicht zu diesem Zweck Untersuchungen                       Der islamische Religionsunterricht als re­
    zu unterschiedlichen Fragestellungen – darun­               lativ junges Fach steht darüber hinaus vor der
    ter Studien zum Forschungsstand zum islami­                 Herausforderung, die Qualität des Unterrichts,
    schen Religionsunterricht und der Behandlung                die Curricula, die Eignung der Lehrmittel und
    anderer Religionen in der Ausbildung von                    Unterrichtsmaterialien, die Qualifikation der
    Lehrkräften. Von entscheidender Bedeutung für               Lehrkräfte, die Auswirkungen auf die Fähigkeiten,
    die Qualitätssicherung und die Weiterentwicklung            Fertigkeiten, Haltungen und Einstellungen der
    des Unterrichts ist dabei die empirische                    Schüler_innen sowie sonstige Effekte des Unterrichts
    Unterrichtsforschung, die die Interaktionsprozesse          permanent zu prüfen, um sicherzustellen, dass
    von Lehrkräften und Schüler_innen beobachtet und            sie der Lebenssituation junger Muslim_innen in
    beschreibt. Sie analysiert diese im Zusammenhang            Deutschland gerecht werden. Diesen Prozess konti­
    mit Merkmalen sowohl der Schüler_innen                      nuierlich zu beobachten und dazu Daten zu erheben,
    (Lernvoraussetzungen, -strategien und -ergebnisse)          ist ein entscheidender Beitrag zur Qualitätssicherung
    als auch der Lehrkräfte (pädagogische Kompetenzen,          des islamischen Religionsunterrichts.
    Fachwissen, Persönlichkeit).18 Darunter fallen                  Freilich ist es damit nicht getan. In einem zwei­
    Modell- und Begleitforschungen, Untersuchungen              ten Schritt müssen die Ergebnisse der empiri­
    zu religionsdidaktischen Ansätzen und Lernwegen,            schen Unterrichtsforschung Eingang in die Aus- und
    Forschungen zum Ertrag des Religionsunterrichts             Weiterbildung der muslimischen Religionslehrer_in­
    sowie transnationale und vergleichende                      nen finden – denn das ist der Ort, an dem sich die
    Verbundforschungen. Daher sollten möglichst bald            Qualität des Unterrichts entscheidet.

         Eine kleine Begriffsklärung

         Sowohl die Bundesländer als auch die                   ISLAMKUNDE ODER ISLAMUNTERRICHT:
         Religionsgemeinschaften verwenden die Begriffe         Nicht konfessionell. Im Gegensatz zum
         „Islamischer Religionsunterricht“ „Islamkunde“ oder    Religionsunterricht verschiedener Konfessionen wird
         „Islamunterricht“ nicht einheitlich.                   hier nur über Religion informiert. Religiöse Inhalte sol-
                                                                len neutral vermittelt werden
         ISLAMISCHER RELIGIONSUNTERRICHT:
         Konfessioneller Unterricht, ähnlich wie der katholi-
         sche oder evangelische Religionsunterricht.

    18 Vgl. Klieme 2006: 765.
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                                                      9

                                   Wie sieht guter Unterricht aus? Antworten dazu kann die empirische Unterrichtsforschung liefern, die die Interaktionspro-
                                   zesse zwischen Lehrkräften und Schüler_innen beobachtet und beschreibt.
10                                                                  AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

     Rahmenbedingungen

     Rechtliche Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts

     Das Grundgesetz sichert jedem Bürger und jeder Bürgerin die Freiheit des Glaubens und des
     religiösen Bekenntnisses zu (Art. 4). Dazu gehört auch der Religionsunterricht, der gemäß
     Artikel 7 ordentliches Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen ist. Er ist damit das einzige
     Fach im deutschen Schulsystem, das im Grundgesetz verankert ist. Folglich ist der Staat
     dazu verpflichtet, die notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen und personellen
     Ressourcen bereitzustellen, die für die Durchführung von Religionsunterricht notwendig
     sind.

     Voraussetzung dafür ist, dass eine das jeweilige        verlassen. Damit ist jeder Religionsunterricht eine
     Bekenntnis repräsentierende Religionsgemeinschaft       res mixta, also eine gemeinsame Angelegenheit des
     existiert, die die Verantwortung für die religions­     Staates und der jeweiligen Religionsgemeinschaft. 20
     spezifischen Lehrinhalte trägt. Denn aufgrund des       Diese ist immer von der Spannung zwischen religi­
     staatlichen Neutralitätsgebots darf sich der säku­      onsgemeinschaftlicher Selbstbestimmung und staat­
     lare Staat selbst nicht mit einem bestimmten reli­      licher Aufsicht geprägt.
     giösen oder weltanschaulichen Bekenntnis iden­              Um einen Religionsunterricht als ordentliches
     tifizieren.19 Stattdessen fungiert er hauptsächlich     Fach einzuführen, muss nach deutschem Recht also
     als Organisator des Religionsunterrichts. Die in­       eine Religionsgemeinschaft anerkannt sein, die mit
     haltliche Verantwortung liegt bei der jeweili­          dem Staat auf Länderebene kooperieren kann. Hierin
     gen Religionsgemeinschaft, die die betreffende          liegt eines der größten Hindernisse für Einführung
     Konfession organisatorisch und inhaltlich reprä­        und Ausbau des islamischen Religionsunterrichts
     sentiert. Staatliche Akteur_innen dürfen also zum       in Deutschland begründet. Verschiedene
     Beispiel nicht über den Wahrheitsgehalt religiöser      Anerkennungsprozesse, etwa in Niedersachsen,
     Überzeugungen urteilen oder die Unterrichtsinhalte      Hamburg und Nordrhein-Westfalen, stocken seit
     wie Lehrpläne und Lehrbücher bestimmen. Allerdings      mehreren Jahren. Allein in Hessen ist die Ahmadiyya
     übt der Staat weiterhin das schulische Aufsichtsrecht   Muslim Jamaat Deutschland KdöR als islamische
     über den Religionsunterricht aus. Deshalb muss der      Religionsgemeinschaft für den Religionsunterricht
     Religionsunterricht selbst sowie seine Lehrkräfte den   anerkannt. Die Zusammenarbeit mit dem DITIB
     Anforderungen eines staatlichen Lehrfachs entspre­      Landesverband Hessen e. V. wurde seitens des
     chen. Dazu zählt, pädagogische Standards zu erfül­      Landes Hessen 2020 eingestellt.
     len oder den Rahmen des Grundgesetzes nicht zu

     19 Vgl. Emenet 2003: 59.
     20 Vgl. Ucar 2010: 41.
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                                         11

     Religionsgemeinschaft

     Damit ein religiöser Dachverband oder eine religiöse                 • Gemeinsames religiöses Bekenntnis, das die
     Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft nach Art. 7                      Mitglieder eint und das die Religionsgemeinschaft
     GG anerkannt werden kann, müssen unter anderem                          auch gegenüber staatlichen Stellen vertreten kann.
     folgende Kriterien erfüllt werden:21
                                                                          • Umfassende Verwirklichung derjenigen Aufgaben,
      • Zusammenschluss natürlicher, gegebenenfalls                          die für die Ausübung des religiösen Bekenntnisses
        auch juristischer Personen zu einer Vereinigung,                     zentral sind.
        um ein Mindestmaß an organisatorischer Struktur
                                                                          • Rechtstreue beziehungsweise Achtung der freiheit-
        zu gewährleisten. Dazu zählt auch eine eindeutige
                                                                             lich-demokratischen Grundordnung.
        Mitgliedschaftsregelung.
                                                                          • Unabhängigkeit von ausländischen Staaten.
      • Verfestigung, das heißt ein auch auf absehbare
                                                                             Hier hat der deutsche Staat die Pflicht, den
        Zukunft anzunehmender dauerhafter Bestand der
                                                                             Religionsunterricht nicht nur vor dem eigenen
        Organisation.
                                                                             Zugriff zu bewahren, sondern auch vor der
                                                                             Einflussnahme ausländischer Staaten. 22

21 Eine Ausnahmeregelung zu Art. 7 Abs. 3 GG findet sich in Art. 141 GG, der sogenannten Bremer Klausel. Nach der Bremer Klausel können Religi-
   onsgemeinschaften in den Bundesländern, in denen zum 1. Januar 1949 eine entsprechende landesrechtliche Regelung galt, verfassungsrechtlich
   keinen Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 fordern. Dies gilt derzeit für die Bundesländer Bremen und Berlin.
22 Vgl. Reichmuth und Kiefer 2006: 7.
Zwei Konzepte: Islamkunde und bekenntnisorientierter
   islamischer Religionsunterricht

Die ausbleibende Anerkennung islamischer                      Beide Vorgehensweisen werfen verfassungsrecht­
Religionsgemeinschaften hat in den meisten                liche Probleme auf: Zum einen sieht das Grundgesetz
Bundesländern dazu geführt, dass kein islamischer         keinen Religionsunterricht vor, der ohne anerkann­
Religionsunterricht in Verantwortung eben jener           te Religionsgemeinschaft erteilt wird. Alternative
Gemeinschaften eingeführt werden konnte und kann.         Modelle, in denen islamische Organisationen reli­
Stattdessen werden entweder alternative Modelle           gionsgemeinschaftliche Funktionen ausüben, ohne
praktiziert, in denen islamische Organisationen in        als solche anerkannt zu sein, können hier nur als
übergreifenden Kommissionen, Beiräten oder über           Übergangsmodelle fungieren. Zum anderen ist die
lokale Vertreter_innen eingebunden sind. Dies ist         Gefahr hoch, dass der Staat durch die Erteilung eines
zum Beispiel in Baden-Württemberg, Niedersachsen          Islamkundeunterrichts gegen seine Verpflichtung
und Nordrhein-Westfalen der Fall. Oder es wird eine       zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität
in alleiniger staatlicher Verantwortung stehende          verstößt. Denn hier müssen staatliche Akteur_in­
Islamkunde, also kein Religionsunterricht, erteilt, wie   nen de facto bestimmen, welche Inhalte einer
etwa in Bayern oder Schleswig-Holstein. Der islam­        Religion gelehrt werden sollen und welche nicht.
kundliche Unterricht ist hier als Ersatz für einen be­    Die Grenze zwischen Information über eine Religion
kenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht      (Religionskunde) und Unterricht in dieser Religion
gedacht. Vereinfacht gesagt möchte er religiöse           (Religionsunterricht) sind in der Praxis nicht einfach
Inhalte neutral vermitteln und nicht zum religiösen       zu ziehen. Die gewählten Begrifflichkeiten für re­
Glauben erziehen.                                         ligionskundliche Unterrichtsformen in staatlicher
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                      13

Verantwortung liegen dabei häufig so nah am              Fach festgehalten. 23 Das ist unter anderem in Baden-
Religionsunterricht, dass eine Unterscheidung für        Württemberg, Hessen (Ahmadiyya-Unterricht),
viele Eltern, Schüler_innen und die Öffentlichkeit       Niedersachsen und Nordrhein-
kaum möglich ist.                                        Westfalen der Fall. Dabei ist da­         Die universitären Zentren
    Gleichzeitig boten beide Wege – ein Islam­           von auszugehen, dass die Curricula,       für Islamische Theologie
unterricht ohne anerkannte Religionsgemeinschaft         Lehrinhalte und Ziele des Unterrichts     entwickeln maßgeblich
beziehungsweise eine Islamkunde in inhaltlicher          von Religionspädagog_innen an den in die Curricula, Lehrinhalte
Verantwortung des Staats – in der Vergangenheit          diesen Bundesländern eingerichteten       und Ziele des islamischen
häufig erst die Möglichkeit, einen dem islamischen       universitären Zentren für Islamische      Religionsunterrichts.
Religionsunterricht nahekommenden Unterricht             Theologie und Religionspädagogik
anzubieten. Für die schulische Praxis ist die Frage      maßgeblich entwickelt werden.
des institutionellen Gefüges ohnehin häufig sekun­          Religionslehrer_innen unterrichten also den
där. Hier spielen unter anderem die Qualität der         Lehrplan, der in dem jeweiligen Bundesland aner­
Lehrkräfte und der Unterrichtsmaterialen eine ent­       kannt wurde. In den meisten Fällen erhalten sie vor
scheidende Rolle.                                        Beginn ihrer Tätigkeit eine Lehrerlaubnis (iğāza),
    Der Ahmadiyya-Unterricht in Hessen ist zurzeit       die die konfessionellen Aufsichtsgremien für den
derjenige islamische Religionsunterricht, der den        Religionsunterricht erteilen.
christlichen Religionsunterrichten strukturell am ähn­
lichsten ist, da hier der Staat mit einer einzigen als
Partnerin anerkannten Religionsgemeinschaft koope­
riert. Hessen war das erste und einzige Bundesland,
das im Jahr 2013 ohne vorherige Schulversuche mit
der Anerkennung von zwei Religionsgemeinschaften
– der Ahmadiyya Muslim Jamaat und der DITIB
Hessen – zwei Optionen für den islamischen
Religionsunterricht eingeführt hat.
    Bei Unterrichtsmodellen, in denen islamische
Organisationen in die Verantwortung einbezogen
sind, werden die Inhalte von diesen festgelegt oder
freigegeben und vom zuständigen Ministerium in
Form eines Curriculums wie für jedes ordentliche

     Iğāza

     Eine iğāza (dt. „Lehrerlaubnis“) bezeichnet         Dieses Verfahren ist allerdings in muslimi-
     in der islamischen Wissenschaftstradition           schen Ländern unüblich. Stattdessen ist es dem
     die Erlaubnis eines Lehrers gegenüber ei-           Modell der missio für katholische oder der voca-
     nem Schüler, ein Lehrwerk weiterzugeben. Im         tio für evangelische Lehrkräfte nachempfunden
     Kontext des islamischen Religionsunterrichts        und stellt damit eher eine Anpassung ans deut-
     wird der Begriff iğāza für eine Lehrerlaubnis       sche Religions- und Kirchenrecht dar als eine
     verwendet, die islamische Organisationen oder       Übernahme muslimischer Praxis. Um eine iğāza
     Beiräte an die Lehrkräfte für den islamischen       zu erhalten, müssen Anwärter_innen für den is-
     Religionsunterricht vergeben.                       lamischen Religionsunterricht beispielsweise
                                                         erklären, dass sie dem Islam angehören, oder
                                                         nachweisen, dass sie sich in einer muslimischen
                                                         Gemeinde engagieren.

23 Vgl. Dietrich 2008: 33.
14                                                                                       AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

     Umsetzung in den Bundesländern

     Da Bildung Ländersache ist, lässt sich die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht
     nicht in einem bundesweit einheitlichen Modell zusammenfassen. Die Deutschlandkarte
     auf der rechten Seite gibt den aktuellen Stand zum islamischen Religionsunterricht in den
     einzelnen Bundesländern wieder. Je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Modelle.

     In Rheinland-Pfalz wird in Ludwigshafen islamischer                       Modellversuch islamischen Religionsunterricht als
     Religionsunterricht an 18 Grund- und sieben wei­                          sunnitisch und alevitisch geprägten bekenntniso­
     terführenden Schulen im Modellversuch unterrich­                          rientierten Unterricht an. Auch Niedersachsen und
     tet, wobei die Lehrkräfte in Baden-Württemberg                            Nordrhein-Westfalen bieten einen bekenntnisorien­
     aus- und fortgebildet werden. Im Saarland wird                            tierten islamischen Religionsunterricht an.
     ebenfalls im Modellversuch an wenigen ausge­                                  In Hessen gibt es neben einem bekenntnisge­
     wählten Grundschulen unterrichtet. In Berlin ist                          bundenen islamischen Religionsunterricht für die
     Religionsunterricht kein ordentliches Schulfach.                          Ahmadiyya den Schulversuch „Islamunterricht“ in
     Islamischer Religionsunterricht wird als freiwilliges                     alleiniger staatlicher Verantwortung. Hamburg bie­
     Angebot von der Islamischen Föderation Berlin, ei­                        tet einen Religionsunterricht für alle in islamischer
     nem Dachverband Berliner Moscheegemeinden und                             Mitverantwortung an.
     weiterer muslimischer Vereine, durchgeführt.                                  In Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-
         Bayern und Schleswig-Holstein erteilen einen in                       Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
     alleiniger staatlicher Verantwortung stehenden                            wird weder islamischer Religionsunterricht noch
     Islamunterricht. 24 Die Religionsgemeinschaften                           Islamkunde angeboten.
     sind nicht beteiligt. Baden-Württemberg bietet im

     24 Beim islamischen Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung bestimmen staatliche Akteur_innen, welche Inhalte über die Religion gelehrt
        werden sollen und welche nicht.
15

                                              Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

                                                                          SCHLESWIG-
                                                                          HOLSTEIN

                                                                                                        MECKLENBURG-
                                                                                                        VORPOMMERN
                                                                  Hamburg

                                                Bremen

                                                                 NIEDERSACHSEN

                                                                                                                        Berlin

                                                                                                                       BRANDENBURG

                                                                                             SACHSEN-ANHALT

                             NORDRHEIN-
                             WESTFALEN
                                                                                                                  SACHSEN

                                                                                       THÜRINGEN

                                                         HESSEN
                                                                                                                                 Islamischer Religionsunterricht

                                                                                                                                 Religionsunterricht f. alle in islam. Mitver.
                     RHEINLAND-
                     PFALZ                                                                                                       Kein islamischer Religionsunterricht

                                                                                                                                 Islamunterricht in staatlicher
                                                                                                                                 Verantwortung

                 SAARLAND                                                                                                        Islamischer Religionsunterricht und
                                                                                                                                 Islamunterricht in staatlicher
                                                                                                                                 Verantwortung
                                                                                                   BAYERN

                                                        BADEN-
                                                        WÜRTTEMBERG

Die Karte gibt einen Überblick über den gegenwärtigen Stand in den 16 Bundesländern.
16                                                                                            AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

               Baden-Württemberg

               In Baden-Württemberg wird islamischer Religionsunterricht als sunnitisch geprägter
               bekenntnisorientierter Unterricht angeboten. Die 2019 gegründete Stiftung Sunnitischer
               Schulrat ist hier für den islamischen Religionsunterricht, der weiterhin als Modellprojekt
               angeboten wird, an baden-württembergischen Schulen verantwortlich. An dieser Stiftung
               sind der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg (VIKZ) und
               die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland in Baden-Württemberg (IGBD)
               beteiligt. Dass damit lediglich zwei der größeren islamischen Verbände vertreten sind, hat
               für Kritik gesorgt. Der Sunnitische Schulrat ist keine anerkannte Religionsgemeinschaft, die
               den Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes dauerhaft tragen kann. Seine Laufzeit
               ist zunächst bis 2025 begrenzt.

                                                                                       AUFGABEN UND ZIELE

                                                                                       Die islamische Religionslehre sunnitischer Prägung
                                                                                       soll die religiöse Bildung der Schüler_innen för­
                                                                                       dern und damit im Rahmen des Erziehungs- und
                                                                                                   Bildungsauftrags der Schule einen eigen­
     THEMEN DES FACHS / AUFBAU DES LEHRPLANS
                                                                                                   ständigen und vielseitigen Beitrag leisten.
                                                                                                   In der Grundschule soll den Schüler_innen
     Primarstufe 25                              Sekundarstufe26                                   zunächst ermöglicht werden, verschiede­
                                                                                                   ne islamische Traditionen und Prägungen
     Mensch und Glaube                           Gott – Mensch – Schöpfung                         wahrzunehmen, die eigene Tradition ge­
                                                                                                   genüber Mitschüler_innen vertreten und
     Welt und Verantwortung                      Koran und die islamischen Quellen                 andere Traditionen akzeptieren zu können.
                                                                                                   Der Unterricht soll damit erste Zugänge
     Koran und die islamischen Quellen           Muhammad der Gesandte                             zu den Glaubensgrundlagen des Islams
                                                                                                   ermöglichen und diese in Bezug auf die
     Gott und seine Schöpfung                    Die Gottesgesandten                               Lebenssituation der Kinder aufgreifen.
                                                                                                   Hierbei soll das respektvolle, achtsame,
     Muhammad der Gesandte                       Glaube, Verantwortung & Ethik                     tolerante und gleichberechtige Leben
                                                                                                   als Kerngedanke mitgegeben werden.
                                                 Ausdrucksformen individuellen
     Gottes Gesandte und ihre Botschaft                                                            Darauf aufbauend soll dann die islamische
                                                 und gemeinsamen Glaubens
                                                                                                   Religionslehre sowohl in der Primarstufe
     Religionen                                  Religionen und Lebensweisen                       als auch in der Sekundarstufe als bekennt­
                                                                                                   nisorientierter Unterricht durchgeführt
                                                                                                   werden. Dieser soll Fragen nach Gott, nach
                                                                                                   Wegen zum Glauben und zum ganzheit­
                                                                                       lichen Denken und Handeln thematisieren, die hin­
                                                                                       terfragte Auseinandersetzung mit Religion ermögli­
                                                                                       chen und die Kritik- und Urteilsfähigkeit der Kinder
                                                                                       stärken. 27 Dabei greift die islamische Religionslehre
                                                                                       laut Lehrplan das Bedürfnis der Schüler_innen nach

               25 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016b: 6.
               26 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016a: 7.
               27 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016a: 3.
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                                               17

Orientierung, Identitätsbildung und Konzeption des
Lebens auf, schärft den Blick für das Wesentliche in
Glaube und Leben und will auf Grundlage des Islams
Antworten und Impulse für ein selbstbestimmtes reli­
giöses Leben anbieten. 28

GENESE

Der Modellversuch eines sowohl sunnitisch
als auch alevitisch geprägten islamischen
Religionsunterrichts startete in Baden-Württemberg
im Schuljahr 2006/2007 an zwölf Grundschulen.
Er war zunächst auf vier Jahre begrenzt. 29 Im Jahr
2000 wurde vom zuständigen Ministerium eine
Steuerungsgruppe einberufen, die aus vier sun­
nitischen Verbandsvertretern, einem Vertreter
der Aleviten und zwei Religionspädagogen be­                                                         5.905 Schüler_innen
stand. Diese sollte die Einführung des alevitischen
Religionsunterrichts (ARU) und des bekenntnisori­
entierten islamischen Religionsunterrichts als or­
dentliches Lehrfach vorbereiten. Dabei galt es vor
allem, die Bildungsinhalte für das neue Fach zu erar­
beiten und in einem Lehrplan festzuhalten. 30 Parallel
wurde nach lokalen Elternvertreter_innen aus den                                                        86 Schulen
damaligen Projektstandorten gesucht, damit die­
se als Ansprechpartner_innen fungieren könnten.
Für den alevitischen Religionsunterricht wurde die
                                                                               Die Zahlen beziehen sich auf das aktuelle Schuljahr 2019/2020.32
Alevitengemeinde Deutschland e.V. beteiligt. 31

28   Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016a: 3.
29   Vgl. Schmid und Barwig 2009: 18f.
30   Vgl. El Missiri 2009: 37.
31   Vgl. Müller und Lichtenthäler 2009: 23.
32   Vgl. Stiftung Sunnitischer Schulrat 2020. Die einzelnen Bundesländer erheben Daten zum islamischen Religionsunterricht nicht einheitlich. Daher
     hat sich die Redaktion bei der grafischen Darstellung auf drei Kriterien beschränkt, sofern sie vorlagen: Anzahl der Schüler_innen, Lehrer_innen
     sowie Schulen.
18                                                                                      AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

     Bayern

     In bayerischen Schulen wird seit dem Schuljahr 2007/2008 der Modellversuch „Islamischer
     Unterricht (IU)“ angeboten, der in Zukunft weiter ausgebaut werden soll. Muslimische
     Schüler_innen in Bayern können damit einen Unterricht über den Islam besuchen, der in
     alleiniger staatlicher Verantwortung steht. Bayern bietet also kein bekenntnisorientiertes
     Fach an, sondern einen islamkundlichen Unterricht, der auch künftig kein
     Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes sein soll.

     Der Fokus des Fachs liegt auf interkulturel­                              AUFGABEN UND ZIELE
     ler Bildung. 33 Die Inhalte wurden in staatlicher
     Verantwortung von muslimischen Religionspädagog_                          Der islamische Unterricht richtet sich in Bayern an
     innen an der Friedrich-Alexander-Universität                              alle muslimischen Kinder. Für Kinder mit unter­
     Erlangen-Nürnberg gemeinsam mit dem Bayerischen                           schiedlichen Voraussetzungen und Vorkenntnissen
     Bildungsministerium und unter Einbindung mus­                             hat er die Aufgabe, ihnen erste Grundlagen der ei­
     limischer Eltern erarbeitet. 34 Der Lehrplan wur­                         genen Religion im Sinne sicherer Bezugspunkte für
     de vom Kultusministerium 2004 zunächst für die                            die religiöse Selbstverortung zu vermitteln. 38 Auch
     Grundschule 35 , später dann auch für die Haupt-,                         soll dieses Fach muslimische Schüler_innen befähi­
     Real-, Wirtschafts-, Förderschulen und Gymnasien                          gen, mit Menschen anderen oder keines Glaubens
     genehmigt. 36 2019 wurde der Islamische Unterricht                        in den Dialog zu treten. Weiterhin sollen islami­
     um weitere zwei Jahre verlängert. In diesem Zeitraum                      sche Wissensbestände vermittelt und vertieft wer­
     wird die Überleitung des IU von einem freiwilligen                        den. Die Vermittlung von Tugenden und Werten soll
     Angebot in ein Wahlpflichtfach als Alternative zum                        das Zusammenleben zwischen Muslim_innen und
     Ethikunterricht fachlich vorbereitet.                                     Andersgläubigen fördern und die Bedeutung der
                                                                               Achtung der Menschenrechte hervorheben. 39

                      17.000 Schüler_innen
                                                                                                                                370 Schulen

                                                                        100 Lehrer_innen

     Diese Zahlen beziehen sich auf das Schuljahr 2019/2020.37

     33   Vgl. Günther 2019.
     34   Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2017.
     35   Siehe Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2004.
     36   Siehe Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2006.
     37   Angaben des Bayerischen Staatsministerium für Kultus und Bildung vom 03.03.2020 auf Anfrage der Autor_innen.
     38   Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2004: 1.
     39   Vgl. ebd.
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                          19

GENESE                                                                 THEMEN DES FACHS / AUFBAU DES LEHRPLANS

Bereits 1986 wurde an Grund- und                       Primarstufe42                        Sekundarstufe43
Hauptschulen in Bayern eine „Religiöse
Unterweisung in türkischer Sprache (ISUT)“             Zusammenleben                        In Gemeinschaft Leben
angeboten. Dieses Fach hielt sich an einen
Lehrplan aus der Türkei und wurde von türki­           Glaubenslehre                        Glaubenslehre
schen Lehrkräften, die für eine bestimmte Zeit
nach Bayern entsandt wurden, unterrichtet. Bei         Gebet                                Religiöses Leben
dem Fach handelte es sich vorwiegend um ei­
nen religionskundlichen Unterricht, der laut ei­       Religiöses Leben                     Geschichte und Geographie des Islams
gener Aussage eine „integrative Zielsetzung“
verfolgte. 40                                          Mohammed                             Koran und Hadîth
    Im Schuljahr 2001/2002 startete Bayern
parallel dazu das Pilotprojekt „Islamische             Propheten                            Propheten
Unterweisung in deutscher Sprache (ISUD)“.
Zunächst an fünf Grundschulen eingeführt,              Andere Religionen                    Andere Religionen
wurde es in jedem weiteren Schuljahr auf
die nächste Jahrgangsstufe ausgedehnt. Die
Teilnahme war für muslimische Schüler_in­                   eine weitere Schule in Nürnberg ausgedehnt wurde. Die
nen freiwillig. Wer von ihnen den Unterricht nicht          Erstellung des Lehrplans erfolgte in Kooperation mit
in Anspruch nahm, wurde zur Teilnahme am                    der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen e. V.
Ethikunterricht verpflichtet. Ziel des Pilotprojekts war        Die Schulversuche ISUT, ISUD und der
allerdings nicht, die islamische Unterweisung in tür­       Islamunterricht nach dem „Erlanger Modell“ wur­
kischer Sprache abzulösen, sondern eine alternative         den mit Beschluss des Ministerrats 2009 in den
Wahlmöglichkeit zu schaffen. 41                             Modellversuch „Islamischer Unterricht“ für alle
    Im Schuljahr 2003/2004 wurde zudem an einer             Schulformen überführt. Bei der Ausarbeitung der
Grundschule in Erlangen ein lokaler Schulversuch in         Lehrpläne wurden lokale Gemeinden (Erlangen) und
Islamunterricht eingerichtet, der im Anschluss auf          muslimische Eltern einbezogen. 44

                            Zugelassene Lehrbücher in Bayern:
                             • Mein Islambuch 1/2-4,
                                Cornelsen-Verlag

                             • Staunen und Verstehen,
                                Schulbuchverlag Anadolu

                             • Bismillah 1/2 – Wir entdecken den
                                Islam, Schroedel-Verlag

40   Vgl. Müller 2008: 6.
41   Vgl. Emenet 2003: 40f.
42   Vgl. DIK 2011: 67.
43   Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2004: 3.
44   Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2006: 3.
20                                                                                         AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

     Mittlerweile sind in den einzelnen Bundesländern verschiedene Schulbücher für den Unterricht zugelassen. Das Bild zeigt eine Auswahl derjenigen
     Lehrmittel, die in fast allen in der Expertise beleuchteten Bundesländern zum Einsatz kommen.
Qualität, Rahmenbedingungen und Umsetzung                                                                                                      21

Hessen

Hessen hat 2012 als erstes Bundesland die beiden islamischen Verbände Ahmadiyya Muslim
Jamaat (AMJ) und DITIB Landesverband Hessen als Religionsgemeinschaften im Sinne
des Art. 7 Abs. 3 GG anerkannt. Diese kooperierten fortan mit dem Kultusministerium bei
der Ausgestaltung der bekenntnisorientierten Fächer „Islamische Religion: Ahmadiyya
Muslim Jamaat“ und „Islamische Religion: Ditib Hessen (sunnitisch)“. Nach einer erneuten
gutachterlichen Überprüfung entschied das Kultusministerium im April 2020, die
Kooperation mit der DITIB auszusetzen. Damit ist der Religionsunterricht in Verantwortung
der DITIB auf allen Jahrgangsstufen eingestellt.

Die Kooperation mit der Ahmadiyya, deren                                sich das Fach mit der Frage nach der Relevanz von
Unterricht von circa 200 Schüler_innen besucht                          Religionen für das einzelne Subjekt und für das ge­
wird, bleibt davon unberührt – dieser Unterricht                        sellschaftliche Zusammenleben. Grundlegend für den
ist weiterhin bekenntnisorientiert. In Hessen wird                      Unterricht ist dabei der Bezug zur Lebenswirklichkeit
der neben den bestehenden bekenntnisgebunde­                            der Schüler_innen. 46
nen Fächern 2019 eingeführte religionskundliche
Schulversuch „Islamunterricht“ in alleiniger staatli­
cher Verantwortung ab der Klasse 7, der an ausge­                       GENESE
wählten Standorten erprobt wurde, zum Beginn des
Schuljahres 2020/2021 ausgeweitet und ab Klasse 1                       Schon 1997 gab es erste Bemühungen muslimischer
unterrichtet. Hessen hat damit zwei parallel laufen­                    Organisationen, eine für den bekenntnisorientierten
de Unterrichtsformen in den Schulen. Die Mehrzahl                       Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG erforder­
der Schüler_innen lernt nun im in staatlicher                           liche Religionsgemeinschaft zu gründen. Nachdem
Verantwortung liegenden Unterricht über den Islam.                      auch 2008 in der Deutschen Islam Konferenz für die
                                                                        Einführung des islamischen Religionsunterrichts als
                                                                        ordentliches Lehrfach gestimmt wurde, haben die is­
AUFGABEN UND ZIELE                                                      lamischen Verbände DITIB Landesverband Hessen
                                                                        und die Ahmadiyya Muslim Jamaat K.d.ö.R einen
Das Fach „Islamunterricht“ soll Informationen über                      Antrag auf Erteilung eines bekenntnisorientierten
den Islam vermitteln. Auf religionswissenschaftlicher                   islamischen Religionsunterrichts in Hessen gestellt.
Grundlage werden dafür bestimmte Aspekte des                            Nach einer rechtlichen Überprüfung47 wurden beide
Islams, wie zum Beispiel der Glaube, der Lebensstil,                    Verbände als Religionsgemeinschaften anerkannt. Ab
die Geschichte, die Kultur, die Philosophie oder auch                   dem Schuljahr 2013/2014 wurde ein bekenntnisorien­
die Ethik, behandelt. 45 Der Islamunterricht orientiert                 tierter islamischer Religionsunterricht an hessischen
sich dabei nicht an religiös, theologisch oder religi­                  Grund- und weiterführenden Schulen angeboten. 48
onspädagogisch formulierten Kompetenzen, son­                               Der islamische Religionsunterricht begann zeit­
dern an allgemeinen sprachlichen, sozialen und per­                     gleich an 26 Grundschulen und wurde im selben
sonalen Kompetenzen im Sinne der überfachlichen                         Schuljahr auf 38 Grundschulen ausgedehnt, an de­
Fähigkeiten der Schüler_innen. Weiterhin beschäftigt                    nen 1.180 muslimische Schüler_innen unterrichtet

45 Vgl. Hessisches Kultusministerium 2019d: 11.
46 Ebd.: 12.
47 Gemeint ist hier unter anderem die verfassungsrechtliche Begutachtung durch Herrn Prof. Dr. Gerhard Robbers vom März 2012 zur Anerkennung
   des DITIB-Landesverbands Hessen als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat wurde bereits 2011 als
   Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt.
48 Vgl. Hessisches Kultusministerium 2014.
22                                                                                        AIWG-Expertise: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland

     wurden. 49 Im Schuljahr 2016/2017 erhöhte sich                                     THEMEN DES FACHS / AUFBAU DES LEHRPLANS
     die Anzahl der teilnehmenden Schüler_innen auf
     3.200 und die Zahl der beteiligten Grundschulen                                     Primarstufe und Sekundarstufe 55
     auf 56. Hinzu kamen 12 weiterführende Schulen. 50
     Die gestiegenen Zahlen machten und machen das                                       Mensch und Religion
     Interesse am islamischen Religionsunterricht deut­
     lich. Dabei war die Anerkennung der DITIB poli­                                     Quellen und Lehren des Islams
     tisch nicht unumstritten, vor allem aufgrund der
     politischen Entwicklungen in der Türkei. 2019 be­                                   Ideen- und Kulturgeschichte des Islams
     auftragte das Hessische Kultusministerium drei
     rechts- und religionswissenschaftliche Gutachter da­                                Andere Religionen und Weltanschauungen
     mit, zu überprüfen, ob die verfassungsrechtlichen
     Voraussetzungen für die Kooperationspartnerschaft                                   Ethik und Moral
     seitens der DITIB weiterhin vollständig und pro­
     fessionell erfüllt werden. 51 Aufgrund bestehender
     Zweifel an der grundsätzlichen Eignung von DITIB
     Hessen als Kooperationspartner hat das Hessische
     Kultusministerium die Kooperation im April 2020
     ausgesetzt. 52

                                Zugelassene Lehrbücher in Hessen
                                für den bekenntnisorientierten
                                Religionsunterricht der Ahmadiyya:

                                 • Mein Islambuch 1/2-4,
                                   Cornelsen-Verlag

                                 • Saphir 5/6, Oldenbourg Verlag53

                                Für den eingestellten islamischen
                                Religionsunterricht der DITIB:

                                 • Staunen und Verstehen vom
                                   Schulbuchverlag Anadolu54

     49   Ebd.
     50   Vgl. Hessisches Kultusministerium 2017.
     51   Weitere Informationen: Hessisches Kultusministerium 2019e.
     52   Vgl. Hessisches Kultusministerium 2020.
     53   Vgl. Hessisches Kultusministerium 2019f.
     54   Es ist davon auszugehen, dass diese Lehrbücher auch für den religionskundlichen Islamunterricht in Hessen zugelassen sein werden.
     55   Vgl. Hessisches Kultusministerium 2019d: 15; Hessisches Kultusministerium 2019c: 15.
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