Lesen, was Orientierung bietet - Landeskirche Braunschweig
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www.landeskirche-braunschweig.de 4 |2021 Lesen, was Orientierung bietet Das religiöse Buch hat es schwer. Auch im Braunschweiger Land. Der Umsatz in diesem Segment ist rückläufig. Die wenigsten Buchhandlungen in der Region haben religiöse Titel im Sortiment. Zu den Ausnahmen gehören Häuser in Wolfenbüttel und Braunschweig. Gut geschriebene Werke finden aber nach wie vor ihr Publikum.
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Weihnachten ist das Fest der Liebe. So sagen wir. Doch vielfach ist diese Behauptung mehr eine Hoffnung, als dass sie die Wirklichkeit beschreibt. Denn Liebe hat nichts mit schlagerhafter Romantik oder Gefühlsduselei zu tun. Liebe ist ein soziales Geschehen. Sie setzt in Beziehung und darauf, dass die Selbstbezogenheit überwunden wird. Das gilt für die Liebesbeziehungen zweier Menschen genauso, wie für das Zusammenleben in unserem Land. Die Bewegung hin zum Anderen, in dem Bemühen, ihm ebenso gerecht zu werden wie mir selbst, ist das, was Jesus Nächstenliebe nennt. Foto: Klaus G. Kohn Wir sagen auch: Gott ist die Liebe. Wenn wir das ernst meinen, können wir uns nicht um uns selbst drehen. Denn wenn Gott die Liebe ist, ereignet auch er sich in der Begegnung. Das ist die zentrale Botschaft von Weihnachten: Gott kommt zur Welt und wird Mensch, weil er unsere Nähe sucht. Wir leben nicht für uns allein: weder ohne andere Menschen, noch ohne Gott. Die Bibel sagt: Erst im Horizont der Liebe sind wir ganz bei uns selbst. Diese Liebe stellt uns mitten hinein in die Welt: ihre Konflikte und Kontro- versen, das Leid und die Not, in Angst und Einsamkeit. Sie stellt uns zwischen Menschen, die unversöhnt und verblendet Leben zerstören. Weihnachten erinnert uns daran, dass diese Welt nicht bleiben soll, wie sie ist. Gott will, dass sie gut und gerecht ist und wir in Frieden miteinander leben. Daran mit- zuwirken, ist unsere Mission. Das gilt auch für die Corona-Pandemie. Auch sie werden wir nur über- winden, wenn wir unser Heil im Wohlergehen des Anderen suchen. Denn im Anderen begegnet uns Gott. In diesem Sinne Ihnen allen frohe Weihnachten, ein gesegnetes neues Jahr – und wieder eine anregende Lektüre, Ihr Michael Strauß Impressum Herausgeber Pressestelle der Landeskirche Braunschweig I Redaktion Michael Strauß (mic) I Anschrift Dietrich-Bonhoeffer- Straße 1, 38300 Wolfenbüttel, Tel. 05331-802108, Fax 05331-802700, presse@lk-bs.de, www.landeskirche-braunschweig.de I Layout Dirk Riedstra | Druck MHD Druck und Service GmbH, 29320 Hermannsburg | Titelfoto: Agentur Hübner 4 | 2021 |2
Foto: Agentur Hübner Foto: Klaus G. Kohn 10 14 18 24 Foto: Klaus G. Kohn Foto: Privat In dieser Ausgabe 4 Blickpunkt 18 Reportage Schräge Typen an einem Tisch Innerlich zur Ruhe kommen Das letzte Abendmahl in einer modernen Version Mit dem „Zentrum Würde“ entsteht in Braunschweig der Künstlerin Marina Schmiechen. ein Raum für das Gespräch über Trauer und Tod. 8 Porträt 24 Hintergrund Nachdenken über Gott Fair und ökologisch Stefan Heuser ist seit 2019 Theologieprofessor an Viele Kirchengemeinden im Braunschweiger Land der Technischen Universität Braunschweig. setzen sich für Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein. 10 Titelthema 26 Kleine Kirchenkunde Lesen, was Orientierung bietet Starkes Bekenntnis zu Kitas Das religiöse Buch hat es schwer. Aber gut Die Landeskirche hilft Einrichtungen bei ihrem Auf- geschriebene Werke finden weiter ihr Publikum. trag, Kinder beim Start ins Leben zu begleiten. 14 Interview 30 Rezension Zum Gott Israels hinzugekommen Beitrag zum Dialog Warum wir bedenken müssen, dass Jesus Jude war, Ein neues Werk bietet jüdische Sichtweisen auf das erläutert der Bibelwissenschaftler Klaus Wengst. Neue Testament und überraschende Lesarten. 4 | 2021 |3
Blickpunkt Foto: Klaus G. Kohn Schräge Typen an einem Tisch Das letzte Abendmahl einmal ganz anders: modern, gegenwärtig, verstörend. Schräge Typen an einem Tisch. Die Szene erinnert an das berühmte Wandgemälde von Leo- nardo da Vinci (1452-1519) im Speise- saal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand. Doch hier ist es nicht Jesus, um den sich die Jünger ver- sammeln, sondern John Lennon, der Pop- star und Mitglied der legendären „Beatles“. Um ihn herum weitere Ikonen unserer Zeit: Mutter Teresa, der Dalai Lama, aber auch Andy Warhol oder Salvador Dalí. Geschaffen hat die Plastiken aus Ton Marina Schmiechen für eine Ausstellung in der Jakob Kemenate in Braunschweig. Dort gehört die Abendmahlsgruppe mittlerweile zu den dauerhaft gezeigten Kunstwerken. Die in Berlin lebende Künstlerin arbeitet in ihren Skulpturen charakteristische Details heraus, die einen Menschen unverwechsel- bar machen. Und indem sie ihn karikaturis- tisch überzeichnet, kommt sie der Lage des Menschen überraschend nahe. Schmal und dürr, zerbrechlich und der Lächerlichkeit preisgegeben, fristet er sein Dasein auf der Erde. Möge er noch so pro- minent sein. Er bedarf der Gemeinschaft, um zu überleben, den Anderen, der mit ihm das Lebensnotwendige teilt. Stets in der Hoffnung, nicht an die Einsamkeit ver- raten zu werden, die uns bedroht, wie eine schlimme Krankheit. Das letzte Abendmahl ist auch ein Bild dafür, dass wir nur mitein- ander überleben – nicht allein und erst recht nicht gegeneinander. www.kemenaten-braunschweig.de 4 | 2021 2021 Evangelische Perspektiven||44
Nachrichten Neuer Leiter der Rechtsabteilung Zukunftsprozess der Landeskirche Braun- schweig juristisch begleiten. Dabei spiele nicht zuletzt die Digitalisierung eine wichtige Rolle, die er als Chance bezeichnete. Außer- dem lobte er das diakonische Engagement im entkirchlichten Umfeld. Die Kirche schaue hin, wo andere wegschauen. Das gelte gerade auch bei der Hilfe für Flüchtlinge. Außerdem könne er sich vorstellen, dass die Kirche im Rahmen ihrer Möglichkeiten Impf-Aktionen gegen die Corona-Pandemie unterstützt. Dr. Christoph Goos hat seit 2017 eine Pro- fessur für Öffentliches Recht (Sozial- und Dienstrecht) an der Hochschule Harz in Hal- Foto: Klaus G. Kohn berstadt inne. Seit 2019 amtiert er als Prode- kan des Fachbereichs Verwaltungswissen- schaften der Hochschule und ist seit 2020 Mitglied des Senats. Außerdem betätigt er Professor Dr. Christoph Goos (47), rechts, aus Halberstadt wird sich als Lehrbeauftragter an der Universität neuer Leiter der Rechtsabteilung der Landeskirche Braunschweig. Halle-Wittenberg. Die Landessynode wählte ihn bei ihrer jüngsten Tagung mit 35 Stim- Seit 2002 wirkte Goos in verschiedenen wis- men am 19. November in Braunschweig. 37 Synodenmitglieder senschaftlichen Positionen am Institut für waren anwesend. Öffentliches Recht der Universität Bonn. Als Oberlandeskirchenrat wird Goos Mitglied des Kollegiums des Zuletzt in Vertretung des Lehrstuhls von Bun- Landeskirchenamtes. Das Kollegium ist neben der Landessynode, desverfassungsrichter Udo di Fabio. Davor der Kirchenregierung und dem Landesbischof eines der vier Lei- war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tungsorgane der Landeskirche. Goos folgt in seinem neuen Amt Dr. an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig. Jan Lemke, der Kirchenamtspräsident der Evangelischen Kirche in Sein Jura-Studium absolvierte er in Heidel- Mitteldeutschland (EKM) in Erfurt geworden ist. berg, das Referendariat unter anderem im In seiner Vorstellungsrede vor der Landessynode sagte Goos, die Rechtsreferat des Evangelischen Oberkir- nächsten Jahre seien entscheidend. Gerne wolle er deshalb den chenrates Karlsruhe. Nachtragshaushalt beschlossen Die Landessynode hat am 20. November einen Nachtragshaushalt für die Haushaltsjahre 2021 und 2022 beschlossen. Möglich wurde die Erhöhung des Haushaltsvolumens, weil die Kirchensteuereinnah- men nicht so stark gesunken sind wie aufgrund der Corona-Pandemie zunächst angenommen, teilte der Leiter der Finanzabteilung, Oberlan- deskirchenrat Dr. Jörg Mayer (Foto), mit. „Das ist eine gute Nachricht für die Zukunftsprojekte in unserer Kirche“, sagte Mayer. Die nachträgliche Erhöhung für das Jahr 2021 beläuft sich auf knapp sechs Millionen und für das Jahr 2022 auf rund vier Millionen Euro. Bereits im Jahr 2020 lagen die Kirchensteuereinnahmen der Landeskirche Braunschweig mit rund 94,7 Millionen etwa 800.000 Euro über der Vorjahresplanung. Das Geld aus dem Nachtragshaushalt 2021/2022 soll in Zukunftsini- tiativen fließen. So sollen für strategische Zukunftsprojekte rund 3,7 Foto: Klaus G. Kohn Millionen und für den Gebäudezukunftsprozess, der auch Maßnah- men zum Klimaschutz umfasst, rund 2,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. | epd 4 | 2021 |6
Zukunftsprozess geht weiter Kirchliche Trauung für alle Die braunschweigische Landessynode hat am 19. November den Weg zur kirchlichen Trau- ung unabhängig von der Geschlechtsidenti- tät und sexuellen Orientierung freigemacht. „Damit ist eine jahrzehntelange Diskriminie- rung beendet“, sagte Synodenpräsident Peter Abramowski. 34 von 37 anwesenden Synoda- len stimmten dafür, das Traugesetz entspre- chend zu ändern. Zwei Synodale stimmten dagegen. Es gab eine Enthaltung. Das Trau- gesetz tritt zum 1. Januar 2022 in Kraft. Foto: Klaus G. Kohn In der Präambel des Gesetzes über die kirchliche Trauung war bisher von der Ehe zwischen „Mann und Frau“ die Rede. Diese Formulierung wird durch die Worte „zwei Die Landeskirche Braunschweig will mit strategischen Projekten den Menschen“ ersetzt. Vollständig heißt der Wandel der kirchlichen Arbeit vorantreiben. Einen entsprechenden erste Satz der Gesetzes-Einleitung nun: „Die Beschluss hat die Landessynode am 19. November bei ihrer Tagung Ehe ist eine Gabe Gottes und hat die Bestim- in Braunschweig gefasst. Eine Lenkungsgruppe, die von der Kirchen- mung, das gemeinsame Leben zweier Men- regierung eingesetzt wird, soll die Projekte in vier Bereichen beglei- schen auf Lebenszeit in gegenseitiger Ach- ten: Geistliches Leben und Theologie, Seelsorge und Diakonie, Erpro- tung zu gestalten.“ bungsräume sowie Netzwerkorientierte Zusammenarbeit. Die Projekte sind Ergebnis eines umfangreichen Diskussions- und Bera- tungsprozesses, der in den vergangenen Monaten in der Breite der Lan- deskirche geführt wurde. Mehr als hundert Rückmeldungen seien verar- beitet worden, betonte Pfarrer Thomas Ehgart (Bad Gandersheim, Foto) seitens der Kirchenregierung. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, der Prozess habe zu wenig Beteiligung und Substanz hervorgebracht. Insbe- sondere Kai Florysiak (Braunschweig) hatte kritisiert, die Kirche sei von zu viel Larmoyanz und zu wenig Begeisterung geprägt. Auch Sebastian Foto: Klaus G. Kohn Ebel (Braunschweig) forderte mehr Aufbruch und Optimismus. In der Folge entwickelte sich eine lebhafte Debatte, in der die Projekte näher dargestellt wurden. Dabei wurde deutlich, dass gravierende Veränderungsprozesse nötig werden könnten, um die kirchliche Arbeit Klares Votum für die Trauung für alle: der zukunftsfest zu machen. Vor allem das Verhältnis zwischen Haupt- und Synodale Kai Florysiak. Ehrenamtlichen müsse neu justiert werden, sagte Landesbischof Dr. Vorausgegangen war der Abstimmung eine Christoph Meyns. Er würdigte die Bereitschaft zur Mitwirkung der Ehren- angeregte Debatte. Einige Synodale argu- amtlichen, es sei aber nötig, den kirchlichen Auftrag neu zu klären. mentierten, die Synode solle eine Entschei- Auch Pfarrerin Elke Rathert (Braunschweig) und Diakonie-Vorstand Anke dung erst fällen, wenn ein Gutachten der Grewe (Braunschweig) wiesen auf die Bedeutung freiwilliger Mitwirkung Theologischen Kammer vorliege. Sie plä- hin. Analog zu Freiwilligendiensten müssten Engagierte gezielter ange- dierten dafür, die Entscheidung über die sprochen werden. Außerdem sollten Besuchsdienste intensiviert und Änderung des Traugesetzes deshalb erst kirchliche Orte außerhalb der Kirchengebäude entdeckt werden. während der im Mai 2022 tagenden Früh- Darüber hinaus wurden „Erprobungsräume“ diskutiert. Dabei gehe jahrssynode zu treffen. Ein entsprechender es unter anderem darum, „multiprofessionelle Teams“ zu entwickeln. Antrag wurde mit 19 Stimmen abgelehnt. Diese könnten künftig in Ergänzung zum Pfarramt die Leitung der Kir- Bisher war in der Landeskirche Braun- chengemeinden übernehmen und Pfarrerinnen und Pfarrer in Manage- schweig nur eine Segnung von gleichge- mentfragen entlasten, wie Propst Thomas Gunkel (Goslar), Pfarrer schlechtlichen oder diversen Paaren als Thomas Ehgart und Pfarrer Frank Ahlgrim (Schladen) deutlich mach- ein „Akt der Seelsorge“ möglich, der den ten. Das sei insbesondere für diejenigen Bereiche in der Landeskirche bisherigen Regeln zufolge „nicht mit einer wichtig, in denen nur noch wenige Pfarrpersonen tätig seien. Trauung verwechselbar“ sein durfte. | epd 4 | 2021 |7
4 | 2015 Evangelische Perspektiven | 8 Foto: Agentur Hübner Experte für ethische Fragen aus christlicher Perspektive: Professor Dr. Stefan Heuser. 4 | 2021 |8
Porträt Nachdenken über Gott Stefan Heuser ist seit 2019 Professor am Seminar für Theologie und Religionspädagogik der Technischen Universität Braunschweig. Er fragt danach, was Christen von Gott mitzuteilen haben. M anche Tätigkeitsfelder sind so komplex, Beruflich scheint Stefan Heuser in Braunschweig dass sie ohne Fachbegriffe kaum zu erklä- angekommen zu sein. Privat auch: Mit seiner Ehefrau, ren sind. Stefan Heuser muss schmun- die als Pfarrerin tätig ist, und den beiden Söhnen lebt zeln: „Das ist auch in meinem Beruf gar er in dörflicher Idylle am Rand der Stadt. Die männli- nicht so einfach.“ Seit Oktober 2019 ist der chen Familienmitglieder lieben Fußball und ganz beson- 50-Jährige als Professor für Systematische Theologie mit ders „die Eintracht“. Mit einem Augenzwinkern lässt der dem Schwerpunkt Ethik an der TU Braunschweig tätig. gebürtige Hesse jedoch offen, welche „Eintracht“-Mann- Am Seminar für Evangelische Theologie und Religi- schaft gemeint ist. Ursprünglich stammt Stefan Heuser onspädagogik bildet er Religionslehrkräfte aus. „Kurz aus Herborn, nicht allzu weit entfernt von Frankfurt am zusammengefasst, dreht sich mein Fach um die Frage: Main, ebenfalls ein „Eintracht“-Standort. Was haben Christen von Gott mitzuteilen, und was bedeu- „Religiös sozialisiert hat mich meine Oma“, erinnert tet das für das Zusammenleben in Kirche und Gesell- sich Heuser, der ursprünglich Philologie und Religion schaft?“, erklärt Professor Heuser. Sein Job umfasse das auf Lehramt studierte. Schon bald habe er jedoch seine kritische Nachdenken über den christlichen Glauben und Leidenschaft für die Theologie und den Pfarrberuf ent- dessen Bedeutung für aktuelle ethische Fragen. deckt. Das Theologiestudium führte ihn von Marburg Seinen Start in Braunschweig hatte sich der Theo- über London nach Heidelberg und Erlangen. Ein Stu- loge anders vorgestellt: Kaum angekommen, brach die dium der evangelischen Journalistik und Praktika beim erste Corona-Welle über den Uni-Alltag herein. Es folg- Weltkirchenrat sowie bei den Vereinten Nationen in Genf ten Lockdowns und Online-Unterricht. Auch das Seminar ergänzten die Ausbildung. auf dem TU-Campus Nord am Bienroder Weg verwaiste Gemeinsam mit seiner Frau Christine, die er während zusehends. Mit Start des aktuellen Wintersemesters des Studiums in Heidelberg kennen gelernt hatte, war er ging es in Präsenz endlich wieder los. „Unsere Studie- von 2011 bis 2014 Pfarrer am Rande des Odenwaldes. renden sind hoch motiviert und wollen unbedingt in den Seine Leidenschaft für Forschung und Lehre führten den Beruf“, freut sich Heuser über deren Zielstrebigkeit. inzwischen promovierten und habilitierten Theologen Vor- und Nachteil zugleich sei der allgegenwärtige Tra- dann doch zurück an die Universität, zunächst als Lehr- ditionsabbruch. Der zeige sich in der Gesellschaft wie auch stuhlvertreter nach Erlangen. 2014 folgte der Ruf als bei den angehenden Religionslehrkräften. „Die Persönlich- Professor an die Evangelische Hochschule in Darmstadt. keitsentwicklung unserer Studierenden hat bei uns einen Ob Ethik in Pflege und Medizin, Technikethik, Wirt- hohen Stellenwert“, betont Heuser. Dazu gehörten auch schaftsethik oder Trinitätstheologie – die Publikations- Praxisbezüge. Über das sogenannte Service-Learning liste ist lang. Heuser: „Aktuell forsche ich unter anderem können sich die Studierenden mit kleinen Projekten ehren- über Künstliche Intelligenz und gehe dabei der Frage amtlich engagieren. „Darauf können uns Kirchengemein- nach, wie Maschinen Ethik lernen können. Das ist auch den und diakonische Einrichtungen gerne ansprechen.“ nicht so einfach…“ |Michael Siano 4 | 2021 Evangelische Perspektiven | 9
Das religiöse Buch hat es schwer. Auch im Braunschweiger Land. Der Umsatz in diesem Segment ist rückläufig. Die wenigsten Buchhandlungen in der Region haben religiöse Titel im Sortiment. Zu den Ausnahmen gehören Häuser in Wolfenbüttel und Braunschweig. Gut geschriebene Werke finden aber nach wie vor ihr Publikum. Lesen, was Orientierung bietet Foto: Klaus G. Kohn 4 | 2021 | 10
Titelthema W interzeit ist Lesezeit. Wenn es draußen kalt und nebe- lig wird, machen es sich viele mit einer Decke und einem guten Buch auf der Couch gemütlich. Passend zum Advent leuchten Kerzen dazu. Kurz vor, aber auch nach Weihnachten, wird dabei gern auch zum religiösen Buch gegriffen. Die Bibel als Klassiker ist immer wieder darunter. Vom „Buch der Bücher“ wur- den weltweit rund 2,5 Milliarden Exemplare verkauft. Danach folgt der Koran mit einer Milliarde Exemplaren. Zu den Weihnachtsklassikern zählt Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“, erstmals erschienen 1843 in England. Wer kennt sie nicht, die Erzählung über den Geldverleiher Ebenezer Scrooge, der zu Weihnachten den inneren Wan- del vom alten, grantigen Geizhals zum fröhlichen, zugewandten Menschen- freund durchlebt? Oder „Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott “. Dieser 2007 zunächst im Eigenverlag veröffentlichte Roman des kanadischen Autors William P. Young wurde bis heute weltweit in mehr als 50 Sprachen fast 25 Millionen Mal ver- kauft. Der Roman gilt damit als das meistverkaufte Buch über Gott nach der Bibel. Was aber sind die Trends und Entwicklungen im Braunschweiger Land? Sie sind nicht zuletzt geprägt von der schwierigen wirtschaftlichen Situation des örtlichen Buchhandels. Von den beiden letzten inhabergeführten Buch- läden in Salzgitter-Bad ist einer dabei zu schließen. Ob in Wolfenbüttel, Gos- lar oder Helmstedt, viele kleine Buchhandlungen winken ab. Gemeinsamer Tenor: „Christliche Literatur wird leider wenig nachgefragt, darum haben wir diese auch kaum im Sortiment.“ Während der Online-Handel zulegen konnte, brach der Umsatz in den Buchhandlungen vor Ort ein. Begünstigt durch die Corona-Pandemie, in der viele Menschen den Auf- enthalt in den eigenen vier Wänden bevorzugen, scheint die Buchbranche auf den ersten Blick ganz gut durch die Krise zu kommen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels berichtet von stabilen Umsätzen. Zwei Lockdowns hinterließen demnach zwar auch im Buchhandel Spuren. Dennoch erreichte die Branche 2020 einen Gesamtumsatz von 9,3 Milliarden Euro. Aber während der Onlinehandel um fast 21 Prozent zulegen konnte, brach der Umsatz in den Buchhandlungen vor Ort im Vergleich zu 2019 um neun Prozent ein. Noch alarmierender lesen sich die Zahlen für das erste Halbjahr 2021: Hier verzeichnen die lokalen Buchhandlungen ein Minus von rund 22 Prozent gegenüber 2019. Ein weiterer Trend laut Börsenverein: „Immer weni- ger Menschen kaufen mehr Bücher!“ Foto: Agentur Hübner 4 | 2021 | 11
Foto: Agentur Hübner In ihrer Abteilung für religiöse Bücher: Joachim Wrensch (Mitte), Geschäftsführer der Buchhandlung Graff in Braunschweig, mit Stephan Kreuzig (rechts) und Holger Wenzig. Etwa sechs Prozent aller 2020 in Deutschland veröf- Büchertische in vielen Kirchengemeinden. Oder kleine fentlichten Buchtitel gehörten zur sogenannten Sach- ehrenamtlich getragene Einrichtungen wie der Ökumeni- gruppe Religion und umfassten 4.222 Erstauflagen. Zum sche Kirchenladen in Bad Harzburg. Doch es gibt sie noch: Vergleich: Die Sachgruppe Philosophie und Psychologie stationäre Buchhandlungen in der Region, die über spe- ist in etwa genauso groß. Religiöse Literatur zählt nicht zialisierte Abteilungen mit religiöser Literatur verfügen. zu den Verkaufsschlagern der Branche. Im Gegenteil: Für Bücher Behr in Wolfenbüttel betreut Sandra Mit Blick auf den Umsatz gehört der religiöse Buchmarkt Schulze seit gut zehn Jahren dieses Segment. „Bei uns bereits seit Jahrzehnten zu den großen Verlierern. ist die Nachfrage über die Jahre ziemlich stabil geblie- Im zurückliegenden Sommer schloss der SCM- ben, wir haben einen sehr treuen Kundenkreis“, lautet Shop in Fallersleben, eine Franchise-Filiale der Stif- ihr Resümee. Seit dem Ausnahmephänomen „Die Hütte“ tung christlicher Medien (SCM). Es war die letzte auf habe es keinen vergleichbaren Bestseller mehr gegeben. das christliche Segment spezialisierte Buchhandlung in Aktuell gut nachgefragt seien die Bücher von Autorinnen der Region. Ob die Buchhandlungen Arche und St.-Elisa- und Autoren wie Margot Käßmann oder Anselm Grün. beth in Braunschweig oder die „Christliche Bücherkiste“ Ein Kassenschlager sei alle Jahre wieder das Kalen- in Wolfenbüttel – die Liste der geschlossenen christli- derprojekt „Der andere Advent“. Und noch ein Phänomen chen Buchläden ist lang. hat die Buchhändlerin beobachtet: Häufig werden jün- Heute verkauft sich religiöse Literatur vor allem über gere Autoren nachgefragt wie zum Beispiel Julian Sen- spezialisierte Online-Shops. Nischen sind zudem die gelmann mit „Glaube ja, Kirche nein?“ sowie Christopher 4 | 2021 | 12
Titelthema Schlicht und Maximilian Bode mit ihrem gemeinsamen Buch „Kirchenrebellen. Wir bringen Leben in die Bude“. „Die Nachfrage nach Büchern hängt heutzutage vor allem mit der Medienpräsenz ihrer Autoren zusammen“, erläutert Joachim Wrensch, Geschäftsführer der Buch- handlung Graff in Braunschweig. Graff verfügt in der Region über das umfangreichste religiöse Bücherangebot. Stephan Kreuzig und Holger Wenzig betreuen diese Abteilung. Beständig nachgefragt werden Losungsbücher, Bibeln und Gesangbücher. Mit Blick auf aktuelle Bücher und Trends meinen die Fotos (3): Agentur Hübner beiden Kenner, einen „roten Faden“ ausgemacht zu haben: „Die Lesenden suchen vorrangig nach Antworten auf fol- gende Fragen: Wie lässt sich heute von Glaube, von Gott, von Kirche und von Spiritualität sprechen?“ Und das aus verschiedenen Perspektiven: als Theologie, als Erfahrung oder als „Weg-Beschreibung“. Dabei spielten auch Spra- che, Bewusstsein, Sehnsüchte und Ziele eine Rolle. „So überzeugt die Autorin Susanne Niemeyer durch ihre frische, moderne Sprache“, meint Holger Wenzig. Humor, Leichtigkeit und Tiefgang vermöge auch Felici- tas Hoppe in ihrem Buch „Fährmann, hol über! Oder wie man das Johannesevangelium pfeift“ zu verbinden. Und noch ein Tipp seien Bücher von Tilmann Haberer wie „Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“ sowie „Von der Anmut der Welt. Entwurf einer integralen Theorie“. Auf regionale Autoren macht zudem Joachim Wrensch aufmerksam: „Bei uns werden die Bücher von Dieter Rammler und Michael Strauß rege nachgefragt.“ Beständig nachgefragt werden bei Graff Losungs- bücher, Bibeln und Gesangbücher. „Aktuell ist die neu erschienene Basisbibel ein Bestseller“, sagt Stephan Kreuzig. Das sei auch schon bei den Neuausgaben der Ein- heitsübersetzung und der Luther-Bibel in früheren Jahren so gewesen. Ebenso wie die „Non-Books“: Engelfiguren, Kerzen, Weihrauch und Klappkarten würden gerne zu Anlässen wie Taufe, Konfirmation und Kommunion sowie zu Trauerfeiern verschenkt. Weniger nachgefragt werden bei Graff die anderen Weltreligionen. Die größte Auswahl gibt es zum Buddhis- mus. „Vor allem Titel, die Zen-Meditation mit dem Christen- tum verbinden“, liefern Kreuzig und Wenzig die Erklärung. Büchertipps gibt es also auch dieses Jahr viele. |Michael Siano 4 | 2021 | 13
Zum Gott Israels hinzugekommen Warum wir bedenken müssen, dass Jesus nicht der erste Christ, sondern Jude war, erläutert Professor Dr. Klaus Wengst im Interview mit den Evan- gelischen Perspektiven. Der Bibel- wissenschaftler macht deutlich, dass Jesus keine neue Religion verkünden wollte, sondern an entscheidende Aspekte der hebräischen Schrift erin- nerte. Wir müssen erkennen, dass Jesu Verkündigung tief in der jüdischen Tradition verankert ist, sagt der Neutestamentler Klaus Wengst. Evangelische Perspektiven: Jesus ist der Dreh- und wurde als Jude geboren und gemäß der Tora am achten Angelpunkt des christlichen Glaubens. Die histori- Tag beschnitten. Das vermerkt das Lukasevangelium schen Fakten zu seinem Leben sind allerdings dürftig. ausdrücklich (2,21). In der christlichen Verkündigung Wie wichtig sind diese Fakten? kommt diese Stelle zumeist nicht vor, obwohl sie mit der Weihnachtsgeschichte unmittelbar verbunden ist. Klaus Wengst: Historisch ist nicht viel herauszukrie- gen. Über das meiste wird gestritten. Wir müssen uns Warum ist das so wichtig? mit historischen Wahrscheinlichkeiten begnügen. Das Als Christen müssen wir noch stärker ein Bewusst- wichtigste historische Faktum ist: Jesus war Jude. Er sein dafür entwickeln, dass Jesus als Jude geboren und auch als Jude gestorben ist. Die Inschrift am Kreuz hieß: Jesus aus Nazareth, der König des jüdischen Volkes. Aus Klaus Wengst der Perspektive der römischen Besatzungsmacht war Jesus ein politisch verdächtiger Jude. Die Evangelien Professor Dr. Klaus Wengst (79) lehrte von 1981 bis stellen Jesus durchgehend als Juden dar. zu seinem Ruhestand 2007 Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist unter anderem Mit- Welche Bedeutung hat das für die christliche Theologie? glied der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen Wir müssen erkennen, dass vieles in der Verkündi- beim Deutschen Evangelischen Kirchentag und war gung Jesu nicht neu war, sondern tief verankert ist in der von 1992 bis 2006 deren Vorsitzender. Er ist Autor Tradition des Judentums. Es gibt zum Beispiel eine große zahlreicher Werke über die frühe Zeit des Chris- Nähe zwischen Jesus und den Chassidim seiner Zeit, den tentums und lebt seit 2019 in Braunschweig. Sein „Frommen“. Auch von ihnen werden Wunder erzählt, die jüngstes Buch „Wie das Christentum entstand: Eine mit Armut und Not zu tun haben. Das ist in den Evangelien Geschichte mit Brüchen im 1. und 2. Jahrhundert“ ist nicht anders. Wer erzählt sich solche Geschichten? Nicht 2021 im Gütersloher Verlagshaus erschienen (352 Menschen, die im Wohlstand leben, sondern Menschen, Seiten, 22,- €). die am Hungertuch nagen – und doch nicht resignieren, sondern im Vertrauen auf den rettenden Gott durchhalten. 4 | 2021 | 14
Interview Gebot sei. Und Jesus fragt zurück: In der Tora, was steht geschrieben? Wie liest du sie? In der zweiten Frage steht „wie“, nicht „was“, wie meist übersetzt. Das Wie fragt nach der Leitlinie für das Lesen und Auslegen der Schrift. Und da kommt das Doppelgebot der Liebe ins Spiel. Ist diese Akzentuierung neu in der Verkündigung Jesu? Keineswegs. Nach Lukas führt der Toralehrer die- ses Gebot an. Das geschieht auch in der rabbinischen Tradition. Dort stellt ein anderer Rabbi als noch wich- tigere Leitlinie die Gottebenbildlichkeit des Menschen heraus. Die Frage, wer denn mein Nächster sei, kann sich dann gar nicht mehr stellen. Sie ist von vornherein beantwortet. Was ist denn dann überhaupt neu in der Verkündigung Foto: Klaus G. Kohn Jesu? Das Neue ist nichts Inhaltliches. Ich habe mich davon überzeugt, dass jeder Punkt in der Verkündigung Jesu Bezüge zur jüdischen Tradition aufweist. Das Neue ist eine Zeitansage. Im Markusevangelium heißt es beim ersten Auftreten Jesu nach der Übersetzung Luthers: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbei- gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ (1,15) Ich übersetze den Anfang mit zwei Sätzen: Die Sehen Sie weitere Parallelen zwischen der Verkündi- Zeit ist um, der Zeitpunkt da! gung Jesu und den Lehren des Judentums? Zum Beispiel beim Sabbat. Im Markusevangelium Aber auch die Erwartung des Himmelreiches ist doch steht: Der Mensch ist nicht um des Sabbat willen, son- schon Teil der jüdischen Theologie. dern der Sabbat um des Menschen willen geschaffen In der Tat – von der Bibel an. Gott möge kommen und mit (2,27). Dem entspricht bei den Rabbinen der Satz: Ihr seiner Herrschaft Recht und Gerechtigkeit schaffen, gegen seid nicht dem Sabbat übergeben, sondern der Sabbat all das Unrecht und die Gewalt. Das ist der Inhalt des Rei- ist euch übergeben. Jede Form von Lebensgefahr ver- ches Gottes. Jesus beansprucht, dass es in seinem Wirken drängt den Sabbat. Und was Lebensgefahr ist, wird sehr schon anbricht. So ruft er zur Umkehr auf. Denn das „Immer weit interpretiert. Da gibt es keinen Gegensatz zwischen so weiter!“ wäre die Fortsetzung von Unrecht und Gewalt. Jesus und der Mehrheit der Pharisäer. Die kontroverse Darstellung in den Evangelien resultiert aus deren Ent- stehungssituation in der Zeit nach 70. War Jesus Vertreter einer jüdischen Reformbewegung? Jesus war mit Blick auf den Sabbat liberal, und das waren die Pharisäer auch. Sie sind über Jahrhunderte christlich diffamiert worden. Der Vorwurf, sie seien Ver- treter einer rigiden Gesetzlichkeit, ist schlicht falsch. Welche Bedeutung hatte die Tora für Jesus? Der Bezug auf die Schrift und ihre Auslegung ist für ihn und dann auch für die sich bildende Gemeinde fun- Foto: Klaus G. Kohn damental. Und das ist auch die wichtigste Gemeinsam- keit zwischen Christentum und Judentum. Nehmen wir Lukas 10, wo ein Toralehrer Jesus fragt, was das größte 4 | 2021 | 15
Ab wann schält sich eine eigenständige christliche Reli- gion heraus? Das war ein langer Weg. Mindestens bis zum jüdisch- römischen Krieg im Jahr 70 bewegte sich die Jesusge- meinde im jüdischen Kontext. Von Sadduzäern und Pha- risäern wurde sie unterschiedlich beurteilt. Für erstere war schon die Vorstellung der Auferstehung eine Unmög- lichkeit. Und eine messianische Bewegung, die grundle- gende Veränderung propagierte – man denke nur an Lukas 1,51–53 –, galt ihnen, die mit der römischen Oberverwal- tung zusammenwirkten, als eine potenzielle Bedrohung. Eine Notiz bei dem jüdischen Historiker Josephus über den Tod des Jakobus, des Bruders Jesu, zeigt einerseits diese Feindschaft der Sadduzäer, andererseits aber auch, dass die Pharisäer eine gewisse Sympathie für die Jesusleute hatten. Selbstverständlich teilten sie nicht die Vorstellung, Gott habe Jesus von den Toten aufgeweckt. Welche Gründe hatten sie dafür? Im Judentum ist mit dem Messias und dem Kommen des Reiches Gottes die Veränderung der Welt verbun- den. Davon aber war nach Jesu Tod trotz der Behauptung seiner Anhängerschaft offenkundig nichts zu spüren. Foto: Klaus G. Kohn Alles ging genauso trostlos weiter wie vorher. Deswe- gen haben die Pharisäer diesen Gedanken nicht akzep- tiert, aber er war auch kein Grund, die Messiasgläubigen zu bekämpfen. Gleichwohl hat sich die Jesusgemeinde aus dem Juden- Nach seiner Kreuzigung wurde dieser Gedanke aufge- tum herausentwickelt. Welche Faktoren waren dafür griffen und fortgeführt. Wie ist daraus die christliche maßgeblich? Kirche entstanden? Ein wichtiger Aspekt war, dass in den Städten der Die Anhängerinnen und Anhänger Jesu sind zu der Mittelmeerwelt Menschen aus anderen Völkern dazu Überzeugung gelangt, dass Gott ihn von den Toten auf- kamen. Das waren aber zunächst jüdisch Vorgebildete, geweckt hat. Das ist die Grundaussage des Neuen Testa- die „Gottesfürchtigen“: Sympathisanten des Judentums, ments. Theologen, die sich darum herumdrücken, verdie- die gleichsam in der zweiten Reihe mitmachten, aber nen in meinen Augen nicht, christliche Theologen genannt nicht zum Judentum konvertierten. Sie werden gewon- zu werden. Wir wüssten gar nichts von Jesus, wenn dieser nen, als Messiasgläubige in den Synagogen der Diaspora Glaube nicht entstanden wäre. Und auch das konnte nur auftraten. Das wird nach Jesaja 2 und Micha 4 als das im Judentum geschehen, wo sich die biblisch angelegte endzeitliche Kommen der Völker zum Zion gedeutet. Sie Vorstellung von der Auferstehung der Toten, von den Sad- kommen zu dem einen Gott, ohne dass sie jüdisch wer- duzäern abgelehnt, weithin durchgesetzt hatte. den müssen. Das führt zu Konflikten selbst innerhalb der messiasgläubigen Gemeinschaft, vor allem aber Mit Blick auf Jesus wird aber nicht von einer künftigen auch mit der Mehrheit der Synagogengemeinden, die Auferstehung gesprochen, sondern von einer erfolgten. den messianischen Glauben nicht teilen kann. Das sind Das ist doch ein großer Unterschied, oder? jedoch zunächst innerjüdische Konflikte. In der Tat. So wie Jesus gesagt hat, das Reich Got- tes ist nahe herbeigekommen, heißt es nun: Gott hat Wann hat sich das Christentum als eigenständige Reli- Jesus von den Toten aufgeweckt, verstanden als Beginn gion herauskristallisiert? endzeitlicher Neuschöpfung. Das ist das einzig Neue im Am Beginn des zweiten Jahrhunderts. Verschärfte Neuen Testament. Aber diejenigen, die zu diesem Glau- innerjüdische Streitigkeiten nach dem Jahr 70, der Zer- ben kamen, hatten nicht das Selbstverständnis: Dann störung Jerusalems und des Tempels durch die Römer, sind wir also jetzt nicht mehr jüdisch, sondern christlich. waren da vorausgegangen: Streitigkeiten zwischen 4 | 2021 | 16
Messiasgläubigen und dem sich nun herausbildenden Im Galater-Kommentar Luthers gibt es einen ent- rabbinischen Judentum. Dessen vorwiegend pharisä- larvenden Satz. Dort sagt er, eine Stelle in der Apostel- ische Lehrer wollten nicht mehr Partei sein, sondern geschichte sei geschrieben „gegen die Juden, unsere versuchten, alle Überlebenden zu integrieren und einen Papisten“. Wer die rabbinischen Texte unbefangen liest, Weg zu finden, wie das Volk ohne Tempel leben kann. So kann erkennen, dass es völlig falsch ist, das Judentum wurde die Auslegung der Tora entscheidend. als „gesetzliche“ Religion abzutun, in der die Recht- fertigung „verdient“ wird. Alle wesentlichen Gedan- Warum hat die Integration nicht funktioniert? ken der reformatorischen Rechtfertigungslehre finden Die Messiasgläubigen erwiesen sich aufgrund ihres sich bereits in der jüdischen Bibel und dann auch in der exklusiven Anspruchs für Jesus als nicht integrierbar. rabbinischen Tradition. Und so entstand zum ersten Mal im Judentum das Pro- blem der Häresie, der Irrlehre. Das Wort Christen begeg- net zunächst nur als Fremdbezeichnung, wahrschein- lich eingeführt durch die römische Provinzverwaltung in Antiochia, die diese sich regelmäßig treffende seltsame Gruppierung aus jüdischen und nichtjüdischen Perso- nen argwöhnisch beobachtete. Das Wort Christentum als Selbstbezeichnung findet sich erstmals in den Briefen des Ignatius aus Antiochia Anfang des 2. Jahrhunderts. Und dann sofort in ausschließender Antithese zum Judentum. Ist das der Beginn des christlichen Antijudaismus? Ja, der konkretisiert sich zum Beispiel in einem ande- ren Verständnis der heiligen Schrift. In den meisten neu- testamentlichen Schriften bildet die jüdische Bibel die Basis, auf der allererst deutlich gemacht werden kann, dass Gott mit Jesus ist und durch ihn wirkt. Nun wird umgekehrt Jesus zum exklusiven Kriterium der Inter- pretation der Schrift. Damit wird jüdischer Auslegung die Legitimität abgesprochen. Wir müssen aber wahr- nehmen, dass der Gott der Bibel Israels Gott ist. Sein Foto: Klaus G. Kohn Bund mit Israel ist nicht gekündigt. Das Christentum hat in meinen Augen den Geburtsfehler, antijüdisch zu sein. Wobei ich immer noch hoffe, dass dieser Geburtsfehler veränderlich ist. Maßgeblich für die evangelische Interpretation des Ver- hältnisses von Christentum und Judentum war Martin Wo stehen wir heute im christlich-jüdischen Dialog? Luther und wie er Paulus verstand. Welche Bedeutung Insbesondere seit dem letzten Jahrhundert hat sich messen Sie diesem Sachverhalt bei? viel getan, mit Blick auf die evangelische Kirche vor Luther hat mit Blick auf seine Paulusinterpretation allem seit dem Kirchentag 1961. Allerdings scheint mir eine Projektion aus seiner eigenen Biographie vorge- in jüngster Zeit das Bewusstsein für die Bedeutung des nommen. Er hat den Gedanken von der Rechtfertigung christlich-jüdischen Dialogs in der evangelischen Kirche des sündigen Menschen allein aus der Gnade Gottes wieder ins Hintertreffen zu geraten. zuerst in den Psalmen entdeckt und dann auch bei Pau- lus gefunden. Von daher hat er sein Leben als Mönch Kurz und knapp: Wer ist Jesus für Sie? und sein Streben nach Selbstrechtfertigung als Irrweg Jesus ist für mich derjenige, durch den ich kraft des erkannt und daraus seine Kritik an der spätmittelalter- Heiligen Geistes zu dem einen Gott gekommen bin, der lichen Kirche abgeleitet. Israels Gott ist und bleibt. Als Christen sind wir Hinzu- gekommene, nicht zum Judentum, aber zu Israels Gott. Heißt das, Luther lässt Paulus gegen die Juden kämp- Und das stellt uns zu Israel und zum Judentum in das fen, so wie er gegen die Kirche seiner Zeit gekämpft Verhältnis einer Partnerschaft. |mic hat? 4 | 2021 | 17
Innerlich zur Ruhe kommen Mitten in Braunschweig, auf dem Gelände des Marienstifts, entsteht das „Zentrum Würde“. Ein Raum für das Innehalten und Gespräche über das Leben, die Trauer und den Tod. Ruth Berger und Dr. Rainer Prönneke. Foto: Klaus G. Kohn 4 | 2021 | 18
Reportage A n der Helmstedter Straße 35 in Braun- aufgrund seiner Lebenslage ausgegrenzt.“ Für den schweig herrscht Trubel. Die Straßenbah- Mediziner ist besonders der würdevolle Umgang mit nen und Busse halten, Menschen steigen dem Tod ein wichtiges Thema. „Früher war das Verständ- aus, finden ihren Weg in den Haupteingang nis verbreitet, der Tod sei nur würdevoll, wenn das Leben des Marienstift Krankenhauses oder ziehen bis zum Ende gelebt wird, unabhängig davon, wie sehr weiter. Die Braunschweiger Stadthalle ist in der Nähe, jemand darunter leidet. ebenso ein großes Einkaufszentrum, Schulen und viele Geschäfte für den täglichen Bedarf. Mittendrin steht die „So wie man eine Geburt begleitet Friedenskapelle. Schon beim Übertreten der Schwelle ist die Entschleunigung spürbar. Der Lärm der Straße ist und schön gestaltet, sollte es auch im kaum noch hörbar. Es herrscht Ruhe. Umgang mit Sterbenden sein.“ Das ist nur ein Aspekt, auf den das „Zentrum Würde am Marienstift“ den Fokus legt. Die kleine Kapelle soll Heute gehe es vermehrt um ein würdevolles Ster- Menschen einen Raum geben, innerlich zur Ruhe zu ben ohne Leid.“ Entscheidender sei geworden, „wie“ man kommen: einen Raum für eigene Gedanken und einen sterbe. Denn „die Sterbekultur ist auch eine Lebenskul- Raum für Trauer, aber auch einen Raum für Gespräche. tur“, sagt Prönneke. Geburt und Tod müssten gleichge- Es geht um den würdevollen Umgang miteinander, vom setzt werden. So wie man eine Geburt begleite und schön Anfang des Lebens bis ans Ende und um das Weiterleben gestalte, solle es auch im Umgang mit Sterbenden sein. nach dem Verlust eines geliebten Menschen. Und dabei sei essentiell, dass Angehörige mit dem Würde, erklärt Diakonin und Seelsorgerin Ruth Sterbenden in Kontakt bleiben und sich nicht zurückzie- Berger, die seit über 20 Jahren am Marienstift tätig ist, hen. Darum geht es auch in dem Letzte-Hilfe-Seminar, bedeute Verschiedenes. „Es kommt auf die persönli- das bereits unter dem Label „Zentrum Würde“ angebo- che Situation an, wie der Begriff Würde definiert wird.“ ten wird. So verbinden junge Familien mit einem Neugeborenen Die aktuellen Kurse finden noch im Krankenhaus möglicherweise etwas Anderes mit Würde, als todkranke statt, in Zukunft werden sie in der Kapelle durchgeführt. Menschen, die sich über das Sterben Gedanken machen. Sie richten sich vor allem an Angehörige von schwer- Und Menschen mit Behinderungen denken nochmals kranken Menschen. Aber auch Ehepaare besuchen die anders über diesen Begriff nach. Kurse, um sich gemeinsam darauf vorzubereiten, dass Dr. Rainer Prönneke, Chefarzt am Marienstift und ein Lebenspartner sterben wird. Palliativmediziner, erläutert: „Das Zentrum Würde ist Dr. Rainer Prönneke betont, warum die Teilnahme an offen für alle Kulturen und Religionen. Niemand wird einem solchen Kursus hilfreich sein kann. „Wir schaffen 4 | 2021 | 19
. Foto: Klaus G. Kohn Die Friedenskapelle: Heimstatt für das Zentrum Würde am Marienstift. im Zentrum Würde ein Angebot zum Reden. Ich habe vorzubereiten. Es geht darum, die Hinterbliebenen neu die Erfahrung gemacht, dass es die Menschen kräftigt, ins Leben zu bringen, ihnen Halt zu geben und einen wenn sie sich bewusst mit dem Tod beschäftigen, anstatt Raum. „Wir können Rituale neu denken, uns Freiräume Tabuthemen zu verdrängen.“ schaffen und daraus neue Kraft ziehen. Auch dazu dient Noch fehlen Genehmigungen, um die nötigen Sanie- das Zentrum Würde,“ sagt Dr. Prönneke. | Sina Sosniak rungen in der 150 Jahre alten denkmalgeschützten Kapelle durchführen zu können. Auch auf Spenden ist die Stiftung Neuerkerode angewiesen. Aber Ruth Berger Spendenkonto bleibt optimistisch: „Wir lassen uns nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Bis die großen Bauarbeiten begin- Zur Sanierung der denkmalgeschützten Kapelle freut nen, können Veranstaltungen wie Konzerte und Ausstel- sich die Evangelische Stiftung Neuerkerode über lungen in der Kapelle durchgeführt werden.“ Spenden und honoriert diese mit einem extra ange- Und für die Zeit nach der Renovierung hat die Diako- fertigten Spendenregal in der Kapelle. Dort erhal- nin große Pläne. An einer langen Tafel im vorderen Teil ten Spender einen Ziegelstein mit ihrem Namen. Die der Kapelle sollen die Pflegeschülerinnen und -schüler Regale dafür fertigt die Mehrwerk gGmbH der Stif- zusammenkommen, gemeinsam kochen und sich dabei tung an. über ihr Verständnis von Würde in der Pflege unterhal- IBAN: DE55 5206 0410 0100 6003 34 ten. BIC: GENODEF1EK1 Die Weihnachtszeit sei in der Trauerbegleitung eine Kreditinstitut: Evangelische Bank besondere Zeit, sagt Ruth Berger. Aus diesem Grund Verwendungszweck: Zentrum Würde (und ggf. die habe man ein Trauerseminar entwickelt, um Angehö- Anschrift für eine Spendenbescheinigung) rige auf die Festtage ohne einen geliebten Menschen 4 | 2021 | 20
Nachgefragt „Welche Ziele verfolgt der Zukunftsprozess für die kirchlichen Gebäude?“ Eine Antwort von Antonia Busch, Projektleiterin des Gebäudezukunftsprozesses in der Landeskirche. Auf dem Gebiet der Landeskirche Braunschweig gibt es rund 1.400 Gebäude, in denen das kirchliche Leben gepflegt wird. Gemeindehäuser bieten Platz für Versammlungen, in Pfarrhäusern wohnen Pfarrpersonen mit ihren Familien. Vor allem in den rund 400 Kirchen wird der Glaube gefeiert und verkündet. Die Räume befinden sich im Eigentum verschiedener kirchlicher Rechtsträger, die viel Zeit, Auf- merksamkeit und Geld aufwenden, um sie zu pflegen und instand zu halten. In den letzten Jahren waren die Mitgliederzahlen rückläufig. Damit ist auch in Zukunft zu rechnen. Deshalb ist es notwendig, dass wir aufeinander zugehen und miteinander die Zukunft gestalten. Foto: Privat Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, auch die Gebäude auf den Prüfstand zu stel- len. Die Bauunterhaltung und Werterhaltung der kirchlichen Gebäude nimmt viel Zeit der haupt- und ehrenamtlich Tätigen in Anspruch und bindet viele finanzielle Mittel der Kirchengemeinden. Deshalb hat die Landessynode im Mai 2019 den Gebäudezu- kunftsprozess beschlossen. Ziel ist die Initiierung eines Prozesses, der es den Kirchengemeinden ermöglicht, sich intensiv mit ihrem Gebäudebestand auseinander zu setzen. Sich verändernde Bedarfe der kirchengemeindlichen Arbeit erfordern einen neuen Blick auf die Gebäude. Ziel ist es, dass die Gebäudekapazitäten sowie die vorhandenen finanziellen Mittel sinnvoll und effizient genutzt werden. Jede Gemeinde soll in die Lage versetzt werden zu entscheiden, welche Gebäude in Zukunft zum Gemeindeleben beitragen und welche Gebäude gegebenenfalls umgenutzt oder aufgegebenen werden können. Kontakt antonia.busch.lka@lk-bs.de 44|| 2021 2021 Evangelische Perspektiven|| 21
Über Glauben Bei Radio Oker- welle ist das Thema Religion im Gespräch ein fester R Bestandteil des eligiöse Themen, Gesprä- Mit dabei war der im September ver- Programms. che über Gott und die Welt storbene Hartmut Bienmüller, der viele Vor allem sonn- – für Wolfram Bäse-Jöbges, Geschäftsführer von Radio Ausgaben moderiert, Beiträge und Inter- views geliefert hat. „Es war ein sehr tags im Maga- Okerwelle, sind das selbst- strukturiertes Format, das von klassi- zin „Blickpunkt verständliche Bestandteile im Programm des Bürger-Radios für die Region Braun- scher Kirchenmusik begleitet wurde“, würdigt Bäse-Jöbges diese Arbeit. Glaube“. Ein An- schweig. Doch nach mehr als 20 Jahren, dem gebot seit mehr „Wir sorgen dafür, dass Vertreter des kirchlichen Lebens zu Wort kommen über Ausscheiden von Peter Temme und des- sen Umzug nach Göttingen war es Zeit für als 20 Jahren. aktuelle Themen, die die Menschen hier in Neues. Dabei war es keine Frage, dass die der Region bewegen“, sagt Bäse-Jöbges, Redaktion auch weiterhin ein Magazin mit „wir wollen neue Sichtweisen und Zugänge religiösen Inhalten senden will, dieses sowie einen Dialog ermöglichen.“ sollte jedoch anders ausgerichtet sein. Dabei kann es um die Vorstellung einer neuen Pfarrerin oder eines neuen Pfarrers Bei den Gesprächen im gehen, um Sterbebegleitung und Hospiz, den Klostergarten in Riddagshausen, das Studio geht es um Themen, Zentrum Würde am Marienstift oder die die Menschen berühren. Präsentation eines Buches. Darüber hinaus werden bei „Blickpunkt Glaube“ weitere Themen besprochen, bei- „Unser Ziel ist es, mit dem verän- spielsweise künstliche Intelligenz oder derten Format weitere Hörergruppen fremde Kulturen und Flüchtlinge. Für das zu erschließen“, so der Geschäftsfüh- Magazin gibt es auf der Frequenz 104,6 rer. „Anstelle eines festen Sendesche- am Sonntag von 16 bis 17 Uhr einen fes- mas wollen wir flexibler sein.“ Und noch ten Sendeplatz, wiederholt wird es am etwas war klar: den traditionellen Sonn- Montag von 9 bis 10 Uhr. tags-Gottesdienst im Radio will und kann Diese Zeiten sind seit der Gründung die Redaktion nicht ersetzen. von Radio Okerwelle Ende der 1990er Seit 2020 bespielt und bestückt Bäse- Jahre unverändert. Bis Dezember 2019 Jöbges den angestammten Sendeplatz hat der katholische Pastoralreferent gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Peter Temme das Magazin „Blickpunkt Karen Hartmann; auch die Theologin Glaube“ federführend gestaltet und mehr Iris Fanger, die als Religionslehrerin tätig als 1200 Sendungen produziert. war, gehört zum Redaktionsteam. 4 | 2021 | 22
Hintergrund Foto: Radio Okerwelle Gestalten „Blickpunkt Glaube“ (v.l.): Iris Fanger, Wolfram Bäse-Jöbges und Karen Hartmann. Eine besondere Bedeutung haben für sie die Studio- Für Radio Okerwelle ist „Blickpunkt Glaube“ nicht das gäste, mit denen das Magazin „Blickpunkt Glaube“ vorab einzige religiöse Format. Werktags, von montags bis frei- produziert wird. Bei den Gesprächen im Studio kann es tags, wird um 18.55 Uhr auch „Das Wort zum Alltag“, eine auch mal philosophisch werden, und es kann um The- fünf minütige Andacht aus dem Braunschweiger Dom men gehen, die Menschen tief in ihrem Inneren berühren. übertragen. Bäse-Jöbges: „Damit bringen wir die Men- Besonders eindrucksvoll war für Bäse-Jöbges ein schen mit einem guten Gedanken in den Feierabend.“ Gespräch mit Renate Wagner-Redding, der Vorsitzenden Obwohl es an Themen aus dem kirchlichen Umfeld der Jüdischen Gemeinde in Braunschweig, über jüdisches nicht mangelt, freut sich die Redaktion über weitere Vor- Leben und jüdische Kultur, über koscheres Essen und den schläge. Dabei kann es um ehrenamtliches Engagement Ruhetag Schabbat, über Respekt und Verständnis. „Da gab in den Gemeinden gehen, um Jugend- und Konfirman- es richtig viele Reaktionen“, freut sich Bäse-Jöbges. denprojekte, um Vorträge oder Impulse. Und wer Spaß Wenn Gäste kommen, dürfen sie ihre Musikwünsche daran hat, ehrenamtlich in der Redaktion mitzuarbeiten, mitbringen, die idealerweise zur Person und zum Thema ist ebenfalls willkommen. passen. Dabei ist das Spektrum breit gefächert: So ist „Interessenten brauchen keine technische oder theo- traditionelle Kirchenmusik zu hören, Klassik, aber auch logische Ausbildung“, sagt Bäse-Jöbges. „Wir bespre- Rock und Pop. Die Titel werden ebenso wie das Thema chen, wie die Zusammenarbeit aussehen kann und wie des Magazins „Blickpunkt Glaube“ wöchentlich auf der sich Themen vorbereiten lassen.“ Melden können sie sich Homepage des Senders ankündigt, auch in den Sozialen unter: religion@okerwelle.de. | Rosemarie Garbe Medien ist das Bürger-Radio vertreten. 4 | 2021 | 23
Fair und ökologisch Viele Kirchen- gemeinden im Braunschweiger Land setzen sich W für Nachhaltigkeit as können Kirchengemeinden tun, um sich für Nachhaltigkeit und und Klimaschutz den Klimaschutz einzusetzen? Viele Gemeinden in der Landeskirche ein. Gute Praxis, Braunschweig gehen kreative Wege. Wie zum Beispiel die Kirchen- gemeinde St. Georg in Goslar. Hier wurde ein elektrisches Lasten- die anregen und rad angeschafft, das nicht nur für Gemeindeeinkäufe und Aktionen Mut machen kann. zur Verfügung steht. Der „LastenOhle“ kann von jedem Menschen aus dem Stadtteil Jürgenohl ausgeliehen werden. Finanziert wurde der LastenOhle unter anderem durch Crowdfunding: Inner- halb von zweieinhalb Monaten kamen 3.100 Euro über die Crowdfunding-Plattform „zusammen-gutes-tun.de“ der Evangelischen Bank zusammen. Dank der Volksbank Nordharz, die 2.000 Euro spendete, und weiteren Sponsoren und Zuschüssen konnte die Gesamtsumme von 5.500 Euro erreicht werden. Ziel des Projektes ist es, eine Alternative zum Auto zu bieten und Menschen damit zu nachhaltigem und klimafreundlichem Handeln zu ermutigen. Nicht nur darüber sprechen, sondern auch wirklich etwas tun, um die Schöpfung zu bewahren, das ist den Projektverantwortlichen um Diakonin Kathrin Lüddeke ein großes Anliegen. Der LastenOhle ist nicht das erste nachhaltige Projekt der Gemeinde. Seit rund drei Jahren steht hier ein Hochbeet, das von Kathrin Lüddeke und Küsterin Manuela Holowka zusammen mit Teamern, Konfirmanden und der offenen Kindergruppe gepflegt wird. Hier konnten bereits Salat, Erdbeeren, Tomaten und Kürbis geerntet werden. 4 | 2021 | 24
Hintergrund Weitere Hochbeete sollen auf dem Gemeindegrund- stück aufgebaut werden. „Die Menschen aus dem Stadt- teil durch das gemeinsame Gärtnern anzusprechen und zusammenzubringen“, das ist laut Melanie Grauer, Pfar- rerin in St. Georg, das Ziel des Projekts. Auch in der Nachbargemeinde St. Peter und Paul am Frankenberge ist das Interesse am gemeinschaftlichen Gärtnern groß. Günter Eickhoff, Küster in der Franken- berger Gemeinde, nahm sich dieses Wunsches an und entwickelte gemeinsam mit Christiane Kalbe, Garten- bauingenieurin in Goslar, ein Konzept für ein großes „Urban Gardening“- Projekt auf der Frankenberger Kirchwiese. „Urban Gardening“, damit ist das gemeinschaftli- che Anbauen von Lebensmitteln im öffentlichen Raum gemeint. Alle nötigen Vorkehrungen werden getroffen, damit es im Frühjahr 2022 mit dem Einpflanzen losgehen kann. Von dem fünf Meter breiten Streifen, der für das Projekt vorgesehen ist, soll ein Meter zum Anpflanzen von Blumen genutzt werden. Die Gemeinden Schladen und Densdorf haben sich vor allem auf den Schutz von Insekten konzentriert. So hat die Gemeinde Schladen unter anderem einem Insek- Foto: Privat tenhotel, das umgesiedelt werden musste, ein neues Zuhause gegeben. Seit Herbst 2020 steht es auf dem Friedhof. Mit einem „Insektenhotel“ bietet die Kirchengemeinde „Im Frühjahr 2021 haben wir bereits Wildbienen Schladen Wildbienen ein Zuhause. dort schlüpfen gesehen“, berichtet Sonja Achak, Pfar- rerin im Pfarrverband Schöppenstedt-Süd. Obwohl der Boden trocken und kalkhaltig ist, hat es die Gemeinde geschafft, auf der Wiese des Schladener Friedhofs Blu- men aus dem eigenen Pfarrgarten für den Altar zu pflü- men, Kräuter und Gräser anzupflanzen, die besonders cken, Müll zu vermeiden und Recyclingpapier zu nutzen. wertvoll für die Bienen sind. Eine faire Gemeinde zeichnet sich dadurch aus, dass Die Gemeinde Denstorf wiederum legte auf ihrem sie sich mit vielen einfallsreichen und nachhaltigen Ideen Friedhof eine etwa 45 Quadratmeter große Blühwiese dafür einsetzt, dass in der Gemeinde fair und ökologisch mit 60 verschiedenen Sorten Blühpflanzen an. Da Insek- gehandelt wird. Auch Einrichtungen können sich zertifi- ten wie Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge zieren lassen. Mehr Informationen zur Fairen Gemeinde immer seltener geeignete Lebensbedingungen finden, gibt es im Internet: www.fairegemeinde-lkbs.de wurde der Boden mit einem Mineralgemisch und Sand Ein weiteres Beispiel für Umweltschutz und CO2- aufgefüllt, sodass sich die dort lebenden Insekten Höh- Vermeidung ist in Broitzem zu sehen. Mit einer Solar- len bauen können. anlage auf dem Kirchendach der Versöhnungskirche war Einen großen Schritt Richtung Nachhaltigkeit und die Gemeinde sogar Vorreiter: Die Solaranlage gibt es Klimaschutz gehen auch sieben Gemeinden aus den nämlich bereits seit 20 Jahren und war eine der ersten Propsteien Braunschweig, Königslutter und Goslar, Solaranlagen der Region. Die dadurch gewonnene Ener- denn sie sind bereits als „Faire Gemeinde“ zertifiziert. gie wird in das Stromnetz eingespeist. Wie viel das ist, Sie verpflichten sich freiwillig, beispielsweise auf Öko- können Besucherinnen und Besucher direkt auf einer strom umzusteigen, Mehrweggeschirr einzusetzen, Blu- Anzeigetafel vor der Kirche ablesen. | Sabrina D. Seal 4 | 2021 | 25
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