Obstipation und Morbus Parkinson - Contilia

Die Seite wird erstellt Raik Weise
 
WEITER LESEN
Obstipation und Morbus Parkinson - Contilia
Obstipation und
       Morbus Parkinson
       Der Morbus Parkinson ist durch einen Mangel an dem Botenstoff Dopamin in einigen Hirnarealen begründet.
       Die typischen Symptome der Erkrankung wie verlangsamte Bewegungsabläufe, Bewegungsarmut, Muskel-
       steife, Zittern/Tremor sind gut bekannt. Daneben gibt es jedoch noch eine Vielzahl weiterer, sogenannter
       „nicht-motorischer Symptome“ wie z. B. die Obstipation. Die akute oder chronische Stuhlverstopfung beein-
       trächtigt die Lebensqualität von betroffenen
       Patienten erheblich.
       Die Ursache der Obstipation liegt in der Beteili-
       gung des enterischen Nervensystems beim Par-
       kinson- Patienten, welches für die Motilität des
       Darms verantwortlich ist. Neben allgemeinen
       Hinweisen zur Lebensführung, die es zu beach-
       ten gilt, existieren verschiedene medikamentöse
       Verfahren zur Behandlung der Obstipation. Be-
       troffene Patienten sollten die Problematik beim
       Arztbesuch unbedingt thematisieren. Eine gute
       Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und
       Neurologen ist eine wichtige Voraussetzung für
       eine erfolgreiche Therapie.

       Stuhlentleerungsfrequenz
                                                               zur Wirkung von Medikamenten durchzuführen. Er
       Die Stuhlfrequenz eines Menschen ist von vielen         spiegelt jedoch nicht das ganze Spektrum der Be-
       Faktoren abhängig. Hierzu zählen neben der Ernäh-       schwerden wider, mit denen sich Patienten oftmals
       rung (insbesondere der Anteil faserreicher Nah-         über Jahre quälen. Dazu zählt auch die mühevolle
       rungsbestandteile) die Flüssigkeitszufuhr, die kör-     Entleerung, die mit Anstrengung und Pressen ver-
       perliche Bewegung, Vorerkrankungen wie z. B. Dia-       bunden ist. Diese Menschen können häufig täglich
       betes mellitus, aber auch der Morbus Parkinson.         zur Toilette, erfüllen formal also nicht die Definiti-
          Die Häufigkeit der Stuhlentleerung und die Re-       on einer Obstipation, leiden jedoch gleichwohl er-
       gelmäßigkeit, mit der diese auftritt unterscheiden      heblich unter ihren Beschwerden.
       sich individuell sehr stark. Es gibt keine Definition
       für eine „normale Stuhlfrequenz“, weshalb die De-       Ursachen der Obstipation
       finition einer krankhaften Stuhlentleerungsfre-
       quenz deutlich erschwert ist. Die Deutsche Gesell-      Der Stuhlgang wird durch rhythmische Kontraktio-
       schaft für Neurogastroenterologie und Motilität         nen durch den Darm bewegt. Der Darm enthält
       definiert eine chronische Obstipation wie folgt:        Muskeln, die diese Kontraktionen ausführen. Die
          Das Vorliegen unbefriedigender Stuhlentleerun-       Steuerung erfolgt auf verschiedenen Ebenen.
       gen, die seit mindestens 3 Monaten bestehen und            Bereits die Dehnung der Muskulatur durch den
       mindestens zwei der folgenden Leitsymptome auf-         Stuhlinhalt (oder auch durch Gase) führt zu einer
       weisen:                                                 Zunahme der Muskelaktivität. Unabhängig davon
       • starkes Pressen,                                      treten Kontraktionswellen auf, die den Darminhalt
       • klumpiger oder harter Stuhl,                          allmählich fortbewegen. Auch die Verbindung zum
       • subjektiv unvollständige Entleerung,                  Gehirn spielt dabei eine entscheidende Rolle. Über
       • subjektive Obstruktion                                den Nervus vagus ist das Nervensystem des Darms
       oder                                                    mit dem Gehirn verbunden. Aufregung und Ängste
       • manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäka-        können z. B. zu einer Beschleunigung der Darmpas-
          tion jeweils bei ≥ 25 % der Stuhlentleerungen -      sage führen. Eine Vielzahl chemischer Botenstoffe
       oder                                                    reguliert darüber hinaus die Darmtätigkeit.
       • < 3 Stühle pro Woche.                                    Die Ursachen der Obstipation können in persön-
                                                               lichen Lebensumständen, bestimmten Erkrankun-
         Dieser Versuch einer Definition ist unter wissen-     gen aber auch in Störungen der Darmtätigkeit be-
       schaftlich medizinischen Gesichtspunkten erfor-         gründet sein. Faserarme Kost, Aversionen gegen-            Prof. Dr. med. Dirk Woitalla
       derlich und notwendig, um beispielsweise Studien        über hygienischen Bedingungen des Toilettengan-

                                                                                  Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2020 | 9

10-Forum-Sanitas-02-2020.indd 9                                                                                                                          02.04.20 09:45
Obstipation und Morbus Parkinson - Contilia
ges können die Stuhlfrequenz genauso beeinflussen         Häufigkeit von Stuhlentleerungs­
                                             wie ein Mangel an Bewegung oder eine verminder-           störungen
                                             te Flüssigkeitszufuhr. Diese Faktoren können zu-
                                             mindest teilweise von den Betroffenen selbst be-          Man geht davon aus, daß etwa 5 – 15 % der
                                             einflusst werden. Passagehindernisse, beispielswei-       Deutschen unter einer Obstipation leiden. Die
                                             se durch postoperative Narbenbildungen, führen in         Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu, Frauen sind
                                             aller Regel nicht zu einer chronischen Obstipation,       wesentlich häufiger betroffen als Männer. Die
                                             sondern zu sich wiederholenden Phasen akuter Be-          Obstipation beeinträchtigt die Lebensqualität
                                             schwerden. Eine häufige Ursache der Obstipation           der Betroffenen erheblich, trotzdem wird ihr
                                             sind Nebenwirkungen von Medikamenten, die die             häufig nicht die notwendige Aufmerksamkeit ge-
                                             intestinale Passage beeinträchtigen.                      schenkt. Medikamente zur Behandlung der Obs-
                                                Davon abgegrenzt werden Obstipationsformen,            tipation werden als Laxanzien und somit als
                                             die ihre Ursache in einer nervalen oder muskulären        nicht verschreibungspflichtige Medikamente ge-
                                             Ursache des Darmes haben. Solche Störungen kom-           handelt.
                                             men bei einer Vielzahl von Erkrankungen vor.
                                                Beim Morbus Parkinson wird häufig eine Son-            Der Darm beim Morbus Parkinson-­
                                             derform der Entleerungsstörung angetroffen, die           Patienten
                                             sogenannte „defäkatorische Dysfunktion“. Hierbei
                                             kann es zu einer willkürlich nicht zu beeinflussen-       Der Darm und insbesondere das Mikrobiom, die
                                             den Anspannung des Schließmuskels kommen. In              bakterielle Besiedlung des Darms, ist in den letz-
                                             der Folge sammelt sich der Stuhlgang bei normaler         ten Jahren beim Morbus Parkinson intensiv er-
                                             Passage im Enddarm, kann jedoch nicht entleert            forscht worden. Möglicherweise beginnt die Par-
                                             werden. Aus dem gleichen Grund können auch Er-            kinson Erkrankung in den enterischen Nervenzel-
                                             krankungen des Anus, die mit Schmerzen einherge-          len des Darms und nimmt von dort den Weg über
                                             hen, zu einer verminderten Stuhlfrequenz führen.          den Nervus Vagus in das Gehirn. Die Forschung
                                             Diese Störungen werden als anorektale Entlee-             über diese systemischen Zusammenhänge steht
                                             rungsstörungen von den Obstipationsformen abge-           noch ganz am Anfang. Die oftmals diskutierte An-
                                             grenzt, bei denen eine verzögerte Passage die Ursa-       nahme durch eine Veränderung des Mikrobioms
                                             che der Obstipation darstellt.                            Parkinson aufhalten oder verhindern zu können,
                                                                                                       entbehrt bis dato jeder wissenschaftlichen Grund-
                                                                            Häufigkeit des Einsatzes   lage.
                                              Medikamente
                                                                            beim Morbus Parkinson         Die beeinträchtigte Darmfunktion beim Parkin-
                                              Antazida                                                 son-Patienten, erklärt sich aus der Beteiligung
                                              Anticholinergika                        ++               des enterischen Nervensystems, welches sehr früh
                                              Antiepileptika                                           die pathologischen Veränderungen aufzeigt. Wir
                                              Antihypertensiva                                         glauben heute, dass die Obstipation genau wie
                                              Diuretika                                +               die Riechstörung und die REM-Schlafstörung ein
                                              Monoaminooxidase­                                        Frühsymptom der Parkinson-Erkrankung ist. Die
                                              hemmer                                 +++
                                                                                                       nervale Regulation der Darmtätigkeit wird durch
                                              Neuroleptika                                             die pathologische Mitbeteiligung beeinträchtigt.
                                              Opiate                                  ++               Eine verlangsamte Darm­passage ist die Folge. Er-
                                              Spasmolytika                            ++               schwerend kommt im weiteren Verlauf die einge-
                                              Trizyklische Antidepressiva              +               schränkte Beweglichkeit der Parkinson-Patienten
                                                                                                       hinzu, die die Darmtätigkeit zusätzlich beein-
                                                                                                       trächtigt. Die dringend erforderlichen Parkinson-
                                                                                                       Medikamente haben keinen Einfluß auf die Darm-
                                                                                                       funktion bzw. die Darmpassage. Ein besonderes
                                                                                                       Problem der Parkinson-Patienten ist eine unwill-
                                                                                                       kürliche Kontraktion des Schließmuskels, die zur
                                                                                                       anorektalen Dysfunktion führt. Dieses bedingt
                                                                                                       eine schmerzhafte Stuhlentleerung. Bei einigen
                                                                                                       Patienten ist ein Wechsel von Durchfällen und Ta-
                                                                                                       gen ohne Stuhlabgang (sog. paradoxe Diarrhoe)
                                                                                                       zu beobachten.

                                                                                                       Therapiemöglichkeiten zur Behandlung
                                                                                                       der Obstipation

                                                                                                       Auch wenn in Studien bisher kein ausreichender
                                                                                                       Beleg für eine Beeinflussung der Stuhlfrequenz
                                                                                                       durch Verhaltensänderungen gefunden wurde,
                                                                                                       empfehlen wir unseren Patienten unabhängig von
                                                                                                       der Ursache drei Dinge stets zu beachten: Ausrei-

          10 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2020

10-Forum-Sanitas-02-2020.indd 10                                                                                                                    02.04.20 09:45
Obstipation und Morbus Parkinson - Contilia
chende Flüssigkeitsaufnahme (1,5 – 2 l /Tag), fa-
       serreiche Kost und ausreichende Bewegung.

         Zur individuellen Therapie stehen unterschiedli-
       che Möglichkeiten zur Verfügung:

       • Abführzäpfchen                                                                                              Wirkprinzip von Co2-Zäpfchen:
       Ein Mittel der Wahl sind Abführzäpfchen z. B. auf                                                             Das Gas aktiviert die Darm­
       der Basis von Kohlendioxid, da sie nebenwirkungs-                                                             peristaltik und löst den Ent­
       frei die Darmtätigkeit aktivieren und nicht zur Ge-                                                           leerungsreflex im Enddarm nach
       wöhnung oder Abhängigkeit führen. Diese Ab-                                                                   15 bis 30 Minuten aus.
       führzapfchen (z. B. Lecicarbon) geben Co2 im Darm                                                             Die Darmtätigkeit wird aktiviert
       frei und führen so zu einer Dehnung des Enddarmes                                                             bzw. nebenwirkungsfrei normali-
       und lösen hierdurch eine reflexhafte Stuhlentlee-                                                             siert; Wechselwirkungen mit an-
       rung aus. Das Kohlendioxid bildet den Hauptbe-                                                                deren Medikamenten sind nicht
       standteil der gasförmigen Stoffwechselprodukte,                                                               bekannt.
       die bei der Verdauung des Darminhaltes entstehen.
       Von allen Darmgasen regt das Kohlendioxid den          • Makrogole
       Enddarm am intensivsten zur Peristaltik an und be-     Macrogole nehmen Wasser auf und lösen über eine
       seitigt die Verstopfung nach dem gleichen Prinzip.     Volumenzunahme einen Dehnungsreflex aus. Der
       Durch die Darmbewegung wird der Entleerungsre-         Stuhlgang wird zudem in seiner Konsistenz verän-
       flex ausgelöst.                                        dert und weicher. Macrogole führen vereinzelt zu
                                                              abdominellen Beschwerden.
       • Ballaststoffe (z. B. Flohsamen, Leinsamen, Wei-
          zenkleie)                                           • Stimulanzien (z. B. Rhizinusöl, Diphenole, Natri-
       Ballaststoffe kommen als natürliche Substanzen (z.        umpicosulfat, Anthrachinone)
       B. Weizenkleie) und lösliche Substanzen (z. B. Floh-   Stimulanzien haben eine fördernde Wirkung auf
       samenschalen) vor. Sie führen durch die Aufnahme       die Darmperistaltik und führen zu einem Einstrom
       von Wasser zu einer Volumenvermehrung und da-          von Flüssigkeit in das Darmlumen. Die Dauer bis
       bei zu einer Darmwanddehnung. Reflektorisch wird       zum Eintritt der Wirkung unterscheidet sich zwi-
       eine Defäkation ausgelöst. Die empfohlene Menge        schen den einzelnen Präparaten. Als mögliche Ne-
       beträgt 30 Gramm pro Tag. Der Wirkeintritt ist         benwirkungen können krampfartige Bauchschmer-
       nach 12 – 24 Stunden zu erwarten, eine regelmä-        zen, Elektrolytstörungen und andere auftreten, da-
       ßige Einnahme daher zu empfehlen. Die konse-           her sind diese Medikamente nur eingeschränkt zur
       quente Zufuhr an Ballaststoffen kann den Bedarf        Dauertherapie geeignet.
       an Laxanzien senken. Ballaststoffe können zu un-
       angenehmen Begleitsymptomen wie Blähungen              • Gleitmittel (Paraffinöl, Glycerin)
       und Bauchkrämpfen führen und bei disponierten          Der Effekt der Gleitmittel beruht auf einer sekreto-
       Patienten in Einzelfällen auch Allergien bedingen.     rischen und antiresorptiven Wirkung. Die verse-
       In diesen Fällen müssen die Ballaststoffe reduziert    hentliche Aufnahme von Paraffinöl kann zu einer
       und andere Verfahren in Erwägung gezogen wer-          Aspirationspneumonie führen.
       den.
                                                              • Rektale Entleerungshilfen (Klysmen, Docusal-
       • Osmotische Substanzen (Salinische Laxanzien,            Natrium)
          Glaubersalz, Bittersalz)                            Diese Produkte entfalten ihre Wirkung direkt nach
       Osmotische Substanzen binden Wasser im Darm            der Applikation. Als mögliche Nebenwirkungen wer-
       und führen hierdurch zu einer Veränderung des Vo-      den Reizungen der Darmschleimhaut beobachtet.
       lumens und der Stuhlkonsistenz. Sie wirken bereits
       nach 1-2 Stunden, können jedoch von Nebenwir-          • Probiotika
       kungen wie Elektrolytstörungen, Meteorismus und        Probiotika sollen helfen die Darmflora zu normali-
       Flatulenz begleitet sein.                              sieren. Studien zu ihrer Wirkung liegen nicht vor.

       • Zucker (Lactulose), Zuckeralkohole (Mannitol,        Fazit
          Sorbitol)                                                                                                    Informationen
       Zucker und Zuckeralkohole wirken durch osmotisch       Es existieren unterschiedliche Behandlungsmög-
       aktive metabolische Spaltprodukte. Die Wirkung         lichkeiten für von Obstipation betroffene Parkin-         ■■ Prof. Dr. med. Dirk Woitalla
       gleicht der anderer osmotisch wirksamer Substan-       son-Patienten. Diese sollten individuell eingesetzt       Chefarzt der Klinik für Neurologie
       zen. Sie können zu Nebenwirkungen in Form von          werden. Die weitere Therapie hängt wesentlich von         St. Josef-Krankenhaus Kupferdreh
       krampfartigen Bauchschmerzen, Meteorismus, Fla-        der Intensität der Beschwerden ab und sollte mit          Heidbergweg 22-24
       tulenz aber auch Elektrolytverschiebungen führen.      dem behandelnden Arzt besprochen werden.                  45257 Essen
       Während Lactulose erst nach 24 – 48 Stunden            Grundsätzlich gilt es bei jeder Obstipationsbehand-       www.contilia.de
       wirkt, tritt die Wirkung von Zuckeralkoholen be-       lung die Hinweise zur allgemeinen Lebensführung
       reits nach 2 – 10 Stunden ein.                         zu beachten.                                              www.lecicarbon.de

                                                                                Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2020 | 11

10-Forum-Sanitas-02-2020.indd 11                                                                                                                   02.04.20 09:45
Sie können auch lesen