Online Medien. Der neue Stress - Die Online-Welt als Ressource und Herausforderung für Therapie und Beratung
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Soziologisches Institut 19. Öffentliches IKP-Symposium, 20.02. 2021, Zürich Mensch – Digitalisierung – Psyche Die Online-Welt als Ressource und Herausforderung für Therapie und Beratung Online Medien. Der neue Stress. Katja Rost 22.02.21 Seite 1
Soziologisches Institut Inhalt 1. Digitalisierung ist ein radikaler Wandel 2. Soziale Online-Medien – ein neuer Stress? 3. Technostress am digitalen Arbeitsplatz und Folgen 4. Technostress im privaten Lebensraum und Folgen
Soziologisches Institut Digitalisierung ist ein radikaler technologischer und gesellschaftlicher Wandel Seite 3
Soziologisches Institut Basisinnovationen bedrohen den Status Quo und führen zu Verunsicherung und Widerstand Beispiel der Maschinenstürmer als Protestbewegung gegen die Mechanisierung der Industriellen Revolution. Seite 4
Soziologisches Institut Verunsicherung: Überwachung Oligopol von wenigen Firmen mit Zugriff auf personifizierte Daten aller Art: Google (Alphabet), Facebook, Amazon, Alibaba – Targeted Advertising – Sozialforschung ohne Zustimmung – «… when an online service is free, you’re not the customer. You’re the product.» Tim Cook Seite 5
Soziologisches Institut Verunsicherung: Kontrollverlust - kaum funktionierenden Kontroll- und Sanktionsmechanismen - Spuren im Netz können leicht verborgen werden - große Offenheit in sozialen Medien bezüglich privater Informationen - Angst vor Strafen gering 22.02.21 Seite 6
Soziologisches Institut Verunsicherung: Banale Inhalte (Illustration: Gabi Kopp) - Metriken wie Auflagenhöhen, Einschaltquoten, Besucherzahlen, Verweildauer, Zitate oder Likes messen die Bereitschaft der Konsumenten, ihre knappe Aufmerksamkeit für die Rezeption von Wissen auszugeben. - Wissen, das keine Beachtung findet, hat keinen ökonomischen Wert. - Banale Inhalte bis hin zum vorsätzlichen Betrug sind im Markt für Eitelkeiten immer häufiger anzutreffen. 22.02.21 Seite 7
Soziologisches Institut Inhalt 1. Digitalisierung als radikaler Wandel 2. Soziale Online-Medien – ein neuer Stress? 3. Technostress am digitalen Arbeitsplatz und Folgen 4. Technostress im privaten Lebensraum und Folgen
Soziologisches Institut Reaktion in Windeseile Täglich erhalten wir 107 Textnachrichten in Gruppen- und Einzelchats und versenden 38. Drei von fünf Personen antworten in WhatsApp in 60 Sekunden. Bei E-Mails benötigen Teenager: 13 Minuten, 20 bis 35 Jahre: 16 Minuten. 35 bis 50 Jahre: 24 Minuten. Senioren: 47 Minuten. Ein Drittel aller arbeitsbezogener E-Mails wird in 15 Minuten beantwortet. Die Hälfte der Teilnehmenden checkt auch an arbeitsfreien Tagen mehrmals täglich Arbeitsemails. 22.02.21 Seite 11
Soziologisches Institut Technostress Sämtliche negativen Auswirkungen auf Einstellungen, Denkweisen, Verhalten und Seele, welche direkt oder indirekt durch Technologie verursacht werden. Ununterbrochen checken wir nach Updates und neuen Nachrichten. Beispiel: Phantom- Vibrations-Syndrom. Digitale Kommunikationstechnologien erzwingen einen kontinuierlichen Zustand des abwesenden Daseins. Beispiel: Das Reden mit Freunden während man kurz eine Nachricht beantwortet oder eine E-Mail liest. 22.02.21 Seite 12
Soziologisches Institut Eine potenten Gefahr für unsere Gesundheit? Die Digitalisierung schreitet mit einer unglaublichen Geschwindigkeit voran. Die Mehrheit der Menschen hat Mühe Schritt zu halten. Physische Symptome: leichtes Kopfweh bis hin zu akuter Schlaflosigkeit. Psychologische Symptome: mangelnder Antrieb bis hin schweren Depressionen und digitalem Burnout. 22.02.21 Seite 13
Soziologisches Institut Inhalt 1. Digitalisierung als radikaler Wandel 2. Soziale Online-Medien – ein neuer Stress? 3. Technostress am digitalen Arbeitsplatz und Folgen 4. Technostress im privaten Lebensraum und Folgen
Soziologisches Institut Das grenzenlose Potential der Digitalisierung Es gibt kaum eine Branche, die nicht von neuen digitalen Werkzeugen und Möglichkeiten profitiert. - Meetings überall und jederzeit - automatisierte Fabriken und Lagerhallen - Coronakrise mit digitalem Verkauf/ Pick-up und Work@Home Allerdings ist auch zu beobachten, dass sich nach dem anfänglichen Hype langsam Ernüchterung einstellt. 22.02.21 Seite 15
Soziologisches Institut Ablenkung am Arbeitsplatz ist alltägliche Realität Der durchschnittliche Büromitarbeiter surft für nichtarbeitsbezogene Zwecke täglich zwei Stunden im Netz. 2019 erledigte jede fünfte Person in der Schweiz regelmässig private Dinge am Arbeitsplatz. Studien schätzen die verursachten Kosten von Cyberloafing in Milliardenhöhe. 22.02.21 Seite 16
Soziologisches Institut Neue digitale Fähigkeiten für das Bestehen auf dem Arbeitsmarkt In der Schweiz werden bis 2030 1-1.2 Millionen Jobs aufgrund der Digitalisierung verschwinden. Etwa 800'000 neue Jobs werden geschaffen. Dies entspricht einer Umwälzung eines Fünftels aller Arbeitsaktivitäten in der Schweiz. Technologisch weniger versierte Arbeitnehmende verlieren beruflich den Anschluss. 2019 ist jeder fünfte Schweizer Beschäftigte beunruhigt ist, seinen Job in Folge der Digitalisierung zu verlieren. 22.02.21 Seite 17
Soziologisches Institut Digitale Fähigkeiten als Stressfaktor 22.02.21 Seite 18
Soziologisches Institut Erfolg durch digitalen Neo-Taylorismus Die Arbeit wird in Kleinstarbeitsschritte zerstückelt, quantifiziert, analysiert, optimiert und das Ergebnis an die Bezahlung gekoppelt. Für die Belegschaft bedeutet dies ungesunder Stress und drakonische Arbeitsbedingungen. Beispiel: Armband bei Amazon für Logistikmitarbeitende. Analysiert, wie lange die Person auf der Toilette verbringt, wann und wie sie welche Armbewegungen ausführt und weisst mittels Vibrationsschubs auf falsche Bewegungen hin. 22.02.21 Seite 19
Soziologisches Institut Technostress durch digitalen Neo-Taylorismus Verinnerlichte Normen, Freude an einer Tätigkeit weichen der Belohnungs- und Bestrafungsorientierung. Die extra Meile für den Kunden in Folge der Geschwindigkeit und ständigen Erreichbarkeit wird Alltag und Selbstverständlichkeit. Gefangenendilemma: Wenn Kollegen E- Mails zur später Stunde, an Wochenenden und im Urlaub schreiben, fühlen sich viele gezwungen das Gleiche zu tun. Dieser Gruppendruck ist derart subtil, dass viele den Einfluss nicht bewusst wahrnehmen. 22.02.21 Seite 20
Soziologisches Institut Work-Life-Balance Alptraum Der Chef ist oft schlechtes Vorbild. Zeitmanagement und Arbeitsmoral werden an die Arbeiterschaft weitergegeben. Die bejubelte Freiheit immer und überall arbeiten zu können, kann sich rasch zu einem Work-Life-Balance Alptraum verwandeln mit regulären Stunden im Büro und extra Stunden zu Hause. 22.02.21 Seite 21
Soziologisches Institut Arbeiten am Feierabend und am Wochenende 22.02.21 Seite 22
Soziologisches Institut Klare Regeln zur Erreichbarkeit Klare Regeln bezüglich der generellen Erreichbarkeit neben den regulären Arbeitszeiten beugen Technostress vor. Aber: Nur wenige Unternehmen haben solche Regeln, beispielsweise indem diese den Emailverkehr nach Ende der Bürozeiten blockieren. 22.02.21 Seite 23
Soziologisches Institut Unklare Regeln verstärken Technostress 22.02.21 Seite 24
Soziologisches Institut Digitale Entgiftung Sich für eine gewisse Zeit vom digitalen Geschehen abkapseln. Analoge Konferenzräume mit Digitalverbot, Organisation technikfreier Firmenevents, Detox- Camps. Smartphone-freie Spaziergänge in der Natur, Detox-Apps, Löschen von Profilen auf sozialen Netzwerken. 22.02.21 Seite 25
Soziologisches Institut Gestresste Personen treffen private Vorkehrungen 22.02.21 Seite 26
Soziologisches Institut Inhalt 1. Digitalisierung als radikaler Wandel 2. Soziale Online-Medien – ein neuer Stress? 3. Technostress am digitalen Arbeitsplatz und Folgen 4. Technostress im privaten Lebensraum und Folgen
Soziologisches Institut Digitales Heroin Digitale Angebote geben kurzfristige Belohnungen. Algorithmen, sozialer Druck, die Angst, etwas zu verpassen, und Gamification- Methoden verstärken den Druck. Online-Sucht betrifft 1%-1.5% der Bevölkerung und 7% der Teenager. Beispiele: Cyberbeziehungssucht, zwanghaftes Online-Shopping; exzessives Informationssurfen und Videospielen. 22.02.21 Seite 28
Soziologisches Institut Verlagerung der Freizeit auf das Handy und hier animierte Soziale Online Medien 22.02.21 Seite 29
Soziologisches Institut Persönliche Erfahrungen mit Online-Sucht 22.02.21 Seite 30
Soziologisches Institut Beispiel: Massive-Multiplayer-Online-Rollenspiele Etwa 51% der europäischen und 65% der US-amerikanischen Bevölkerung spielen Videospiele. Die Videospielindustrie ist heute weitaus größer als die Musik- und Filmindustrie zusammen. Ihr Umsatz liegt bei fast 140 Milliarden Dollar pro Jahr. 0,7 % und 27,5 % der Gamer kämpfen mit einem zwanghaften Suchtproblem. Die Benutzer sind zwar physisch anwesend, aber ihre Gedanken sind der virtuellen Welt gefangen. 22.02.21 Seite 31
Soziologisches Institut Verbreitung von „Gaming“ in der Schweiz 22.02.21 Seite 32
Soziologisches Institut Auswirkungen von digitalem Heroin Depressionen, Einsamkeit, Schüchternheit, soziale Ängste. Beispiel: 40% der Schweizer*innen nutzen das Smartphone auch in der Nacht. 22.02.21 Seite 33
Soziologisches Institut Falsche Vorbilder Soziale Online Medien haben einen tiefgreifenden Einfluss darauf, wie wir Schönheit und unseren eigenen Körper wahrnehmen. Die Stars auf Instagram, TikTok, Facebook und Snapchat zeigen eine malerischere Welt schöner, fitter, erfolgreicher, glücklicher Menschen. Das wirkliche Leben ist weniger schön. 22.02.21 Seite 34
Soziologisches Institut Fragwürdige Trends 22.02.21 Seite 35
Soziologisches Institut Soziale Online Medien begünstigen soziale Vergleiche Soziale Medien verstärken soziale Vergleiche, weil (1) die Nutzer selbst im Mittelpunkt stehen, (2) diese oft eine idealisierte, bearbeitete, erfolgreiche Version von sich präsentieren, (3) die Interaktion mit der unmittelbaren Vergleichsgruppe im Vordergrund steht, (4) Kommentare und Likes den sozialen Status/ Wert zementieren. 22.02.21 Seite 36
Soziologisches Institut Füttern des Egos oder Depression? 22.02.21 Seite 37
Soziologisches Institut Fitspiration Bilder, Videos und Zitate, die Menschen zu einem gesünderen Lebensstil motivieren sollen. Fitspiration ermutigt nicht dazu, häufiger Sport zu treiben, sondern führt zu größerer Körperunzufriedenheit und geringerem Selbstmitgefühl. 22.02.21 Seite 38
Soziologisches Institut Cybermobbing und Shitstorms Der Online-Enthemmungseffekt. - Jeder User kann hinter einer Maske agieren und unerkannt bleiben. - Falsche Vorstellungen, wer und wie eine Person ist. - Nonverbale Signale wie Augenkontakt, Stimme, Mimik und Gestik fehlen. - Signale von Autorität und Status fehlen. - unmittelbare Verhaltensreaktionen des Gegenübers fehlen. 22.02.21 Seite 39
Soziologisches Institut Das Geschäft mit der Demütigung: „Millionen von Menschen verletzen dich mit ihren Worten“ Hoher Anonymitätsgrad. Die Angst bei den Opfern ist hoch, weil die Täter schwer zu identifizieren sind Hoher Öffentlichkeitsgrad. Ein weltweites Publikum sieht zu. Endlosviktimisierung. Hass kann nicht gelöscht werden. Schutzlosigkeit. Die Täter dringen ins Private ein. Die „Bild“-Meldung vom 10. Februar hingegen ist betont nüchtern. „Model Kasia Lenhardt ist tot“, steht da. „Die junge Frau verstarb am Dienstag im Alter von 25 Jahren, sie hinterlässt einen Sohn.“ 22.02.21 Seite 40
„Andere fahren nachts Autorennen, um zu checken, wer der Beste ist – wir machen eben Videos von Opfern ...“ Soziologisches Institut Psychologische Motive für Online Hass - Erlebnissuche. - Trophäenjagd, Wettbewerb. - Suche nach Anerkennung. - Im Schutz virtueller Räume den Mut finden, Wut und Frust loszuwerden – was man sich von Angesicht zu Angesicht nie trauen würde. - Sich nicht bewusst sein einen anderen Menschen extrem zu schädigen. 22.02.21 Seite 41
Soziologisches Institut Soziologische Motive für Online Hass Soziale Online-Medien erleichtern die Mobilisierung von Gruppen über Raum und Zeit und ermöglichen kostengünstige Sanktionen. Traditionelle Medien geben dem Hass einen Raum und profitieren vom negativen Nachrichtenwert. 22.02.21 Seite 42
Soziologisches Institut Negative Erfahrungen mit Cybermobbing 22.02.21 Seite 43
Soziologisches Institut Fake-News, Echokammern, Polarisierung Digitale Medien begünstigen die Verbreitung unhinterfragter Theorien in Folge - der Tendenz zur Homophilie (Algorithmen, Freunde, soziale Selektivität) - jeder beitragen kann Es folgen Stereotypisierung in Fremd- und Eigengruppe, Intoleranz und Hass. 22.02.21 Seite 44
Soziologisches Institut Ende des Vertrauens – Ende der Auklärung? Die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz geht verloren. Stattdessen stützt man sich (wieder) auf starre, überholte Vorstellungen, Ideologien und Gewohnheitsrecht. Vorurteile nehmen zu. Vertrauen in universelle Urteilsinstanzen geht verloren. 22.02.21 Seite 45
Soziologisches Institut So viele Schattenseiten! Grund für Pessimismus? Für manchen Einzelnen kurzfristig sicherlich schädlich. Die Gesellschaft als Ganzes findet langfristig Strategien.
Soziologisches Institut Re-Lokalisierung Renaissance des Lokalen beruht auf der Notwendigkeit einer lokalen, analogen Bindung für die Erfindung und Produktion „globaler“, „digitaler“ Symbole Lokale, analoge Kontexte erfahren eine Aufwertung, weil diese – im Gegensatz zu digitalen Angeboten - knapp sind (Camping, Schrebergarten, Kloster auf Zeit) 22.02.21 Seite 47
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