Ordnungspolitisches Kolloquium des VDMA und der IMPULS-Stiftung
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4. Ordnungspolitisches Kolloquium des VDMA und der IMPULS-Stiftung Das Produktivitätsparadoxon im Maschinen- und Anlagenbau
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 1 Grußwort Die Steigerung der Produktivität gilt allgemein Das traditionelle Ordnungspolitische Kolloquium als der Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit, der IMPULS-Stiftung hat sich nun ebenfalls mit Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand. Das diesem Thema befasst. Erste Arbeitsergebnisse jährliche Wachstum der gesamtwirtschaftlichen des ZEW wurden kritisch diskutiert, viele neue Produktivität hat sich in Deutschland zuletzt inhaltliche Aspekte traten zutage – und dies aus allerdings verlangsamt. Gleichzeitig verspricht dem spezifischen Erfahrungshintergrund von das Zeitalter von Industrie 4.0 ungeahnte neue Industrie, Wissenschaft und Politik. Möglichkeiten. Wichtigste Erkenntnis des Kolloquiums ist: Bei Geradezu paradox ist die Situation im Maschi- allen Fragen an die Treffgenauigkeit der Statistik nen- und Anlagenbau: Einerseits ist die Digitali- muss die Entwicklung der Produktivität ernst sierung dort überdurchschnittlich etabliert, wie genommen werden. Dies gerade auch im Hinblick auch die beiden IMPULS-Studien zur „Industrie auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit. Erst 4.0-Readiness“ und zum „digital-vernetzten wenn die aktuellen Einflussfaktoren der Produkti- Denken in der Produktion“ zeigen. Anderseits vitätsentwicklung identifiziert sind, kann gezielt ist die Produktivitätsentwicklung in der deut- gegengesteuert werden. schen Maschinenbau-Industrie seit 2005 sogar rückläufig. Die IMPULS-Stiftung hat sich also auf die Spur des Produktivitätsparadoxons gemacht. Mit Vor diesem Hintergrund hat die IMPULS-Stiftung dieser Broschüre wollen wir die zahlreichen eine Studie zum Produktivitätsparadoxon beauf- Gedanken und Erkenntnisse, die unser viertes tragt. Das Zentrum für Europäische Wirtschafts- ordnungspolitisches Kolloquium prägten, mit forschung (ZEW) analysiert mögliche Faktoren Ihnen teilen. Wir hoffen auf Ihr Interesse und für die schwache Produktivitätsdynamik im deut- freuen uns auf den weiteren Dialog mit Ihnen. schen Maschinenbau. Unternehmensinterviews und Handlungsempfehlungen werden die Studie abrunden. Dr. Thomas Lindner Dr. Manfred Wittenstein Vorsitzender des Kuratoriums Stellv. Vorsitzender des Kuratoriums IMPULS-Stiftung IMPULS-Stiftung Dr. Johannes Gernandt Stefan Röger Geschäftsführender Vorstand Geschäftsführender Vorstand IMPULS-Stiftung IMPULS-Stiftung
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 3 Produktivitätsparadoxon Maschinenbau – wie alles begann … Dr. Ralph Wiechers, VDMA Der Begriff des „Produktivitätsparadoxon“ Seitdem sind zahlreiche Studien erarbeitet wor- beschreibt ein Phänomen, das ab den 80er Jahren, den, die sich diesem Paradoxon gewidmet haben. mit zunehmender Intensität in den 90ern aufkam. Das Thema ist en vogue! Warum dann noch eine Dahinter steht die Beobachtung, dass die durch Studie? Zum einen wirft der Vorwurf, unproduktiv den Einsatz von IT ausgelösten Produktivitäts- zu sein nicht nur ein schlechtes Licht auf die verbesserungen signifikant hinter den jährlichen Wettbewerbsfähigkeit des Maschinen- und Anla- Leistungssteigerungen der IT selbst und den genbaus. Es steht auch in deutlichem Gegensatz Zuwächsen an IT-Investitionen zurückbleiben. zu den Möglichkeiten zur Ressourcenschonung und Effizienzsteigerung, welche die Digital Anfang 2013, praktisch im Gefolge der Krise kam isierung verspricht. Zum anderen gibt es nach diese Diskussion dann auch im Maschinenbau unserem Kenntnisstand keine Ausarbeitung, auf. Während die Produktionsentwicklung nach die sich speziell für unsere Branche mit dem einem fulminanten Aufholprozess hartnäckig Produktivitätsparadoxon auseinandersetzt. stagnierte, wuchs die Beschäftigung unbeirrt weiter und übertraf schnell das Vorkrisenniveau. Eine saubere Analyse ist aber unabdingbar, damit Unternehmen und wirtschaftspolitische In einer VDMA Kurzargumentation Akteure wirkungsvoll gegensteuern können und „Hat der Maschinenbau zu viele Mitarbeiter?“ der deutsche Maschinenbau sich weiterhin im wurden erste Hypothesen zu den Ursachen nationalen und internationalen Wettbewerb aufgestellt. Sie reichten von Nachholeffekten behauptet. der Beschäftigung über die Hortung von Arbeitskräften angesichts der demografischen Entwicklung bis hin zu Zeitarbeitseffekten.
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 5 Das Paradox der Produktivität: Wichtig ist vor allem die Innovationskraft, nicht das reine Wachstum der physischen Arbeitsleistung Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Finanzminister Sachsen-Anhalt a. D. Seit einigen Jahren beobachten wir ein merkwür- Ingenieurskunst. So kann etwa das Digitalisieren diges Phänomen. In klassischen Industriezweigen vormals analoger Vorgänge sehr leicht in seiner der deutschen Wirtschaft wächst im Trend die markterschließenden Wirkung in der Messung Produktivität der Arbeit nur mehr mit sehr mäßi- lange Zeit unentdeckt bleiben, obwohl Manager ger Geschwindigkeit. Das gilt auch für den und Techniker sehr genau wissen, wie zukunfts- Maschinenbau, einer Schlüsselbranche, die in der trächtig es ist. Entwicklung von Produktinnovationen und bei der Eroberung von Exportmärkten exzellente Das Paradox der Produktivität ist also kein Grund Ergebnisse vorzuweisen hat. für unternehmerische Angstgefühle oder eine politische Panik. Allerdings gilt es wachsam zu Wo liegt das Problem? Die Antwort ist im Detail sein: Was nicht erlahmen darf, ist die Innovati- komplex, aber in der zentralen Botschaft einfach: onskraft der deutschen Industrie – und die ist Wir leben in einer Zeit, in der sich der Weg zu allein schon wegen der demografischen Entwick- mehr Wertschöpfung nicht mehr unbedingt in lung langfristig in hohem Maße gefährdet. Die den Zahlen der Produktivitätsstatistik nieder- große Generation der Babyboomer verlässt ab schlägt. Zum einen gibt es systematische Mess- 2020 schrittweise den Arbeitsmarkt, und darun- fehler beim Erfassen der Qualität von Gütern und ter ist eine riesige Zahl von kompetenten Fach- Diensten. Insbesondere wird der immaterielle kräften und Ingenieuren. An dieser Stelle sind die Leistungsbeitrag etwa in der Betreuung und War- Sorgen berechtigt. Die Antwort kann nur lauten: tung maßgeschneiderter Anlagen zunehmend bessere Ausbildung und mehr Zuwanderung von unterschätzt, eben weil der Service eine immer motivierten Leistungsträgern. größere Rolle spielt. Zum anderen wird es immer schwieriger, überhaupt jenes technisch Neue zu erfassen, das zur Grundlage einer gestärkten Marktposition wird. Auch dies gilt in besonderem Maße für die typische Palette deutscher
6 PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU Produktivitätsparadoxon im Maschinenbau Prof. Dr. Bettina Peters, Dr. Christian Rammer und Bastian Krieger, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Im deutschen Maschinenbau lag die Arbeits- Neue Digitalisierungsanwendungen bergen hohe produktivität im Jahr 2016 unter dem Wert von Innovationspotenziale für den Maschinenbau, 2005. Nach einem starken Anstieg bis 2008 sank die sich auch in einer höheren Produktivität sie im Krisenjahr 2009 massiv und erreichte bis niederschlagen sollten. Viele dieser Potenziale 2011 nicht wieder das Vorkrisenniveau. Bis 2015 werden schon heute vom Maschinenbau genutzt war die Arbeitsproduktivität rückläufig, erst und sind ein wesentlicher Treiber der Umgestal- 2016 kam es zu einem leichten Anstieg. Diese tung von Produktionsprozessen im Rahmen des Entwicklung ist angesichts der gleichzeitig hohen „Industrie 4.0“ Paradigmas. Die Schere zwischen technologischen Dynamik und der hohen inter- großen Innovationsmöglichkeiten, hohen Export nationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen erfolgen und einer schwachen Produktivitätsent- Maschinenbaus erstaunlich. wicklung stellt ein Paradoxon dar. Arbeitsproduktivität im Maschinenbau Deutschlands 2005-2016 115 Produktionsergebnis je Arbeitsstunde 110 Kettenindex (2010=100) 105 100 95 90 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Quelle: Statistisches Bundesamt, Produktionsstatistik
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 7 Die Entwicklung ist auch deshalb so erstaunlich, Das bemerkenswerte am Produktivitätsrückgang weil in den anderen Technologiebranchen ist, dass er nicht mit einer verschlechterten Profi- Deutschlands die Produktivität im selben tabilität der Unternehmen einherging, im Gegen- Zeitraum zugenommen und bis 2016 das Vorkri- teil: Die Umsatzrendite im deutschen Maschinen- senniveau wieder übertroffen hat. Auch im inter- bau hat sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich nationalen Vergleich fällt die Produktivitätsent- verbessert und liegt seit 2004 bis an den aktuel- wicklung im deutschen Maschinenbau klar hinter len Rand über der Umsatzrendite des Maschinen- der in anderen europäischen Ländern zurück. baus in europäischen Vergleichsländern. Veränderung der Arbeitsproduktivität im Branchen- und internationalen Vergleich Deutschland, 2008-2016 Maschinenbau, 2007-2014 Produktions- Deutschland reale Bruttowert- Chemie ergebnis je Arbeitsstunde schöpfung je Arbeitsstunde Italien Metallwaren Niederlande Spanien Elektrotechnik Großbritannien Maschinenbau Österreich Frankreich Automobilbau Schweden -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10 12 14 -10 -5 0 5 10 15 20 25 30 Veränderung 2008-2016 in % Veränderung 2007-2014 in % Quelle: Statistisches Bundesamt, Kostenstrukturerhebung
8 PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU Umsatzrendite im Maschinenbau 1995-2014 im Ländervergleich 12 Europäische Vergleichsländer* Nettobetriebsüberschuss in % des 10 Deutschland 8 Produktionswert 6 4 2 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 *Frankreich, Italien, Großbritannien, Niederlande, Schweden, Österreich. Quelle: Eurostat, Strukturelle Unternehmensstatistik Was sind also die Ursachen für die rückläufige b. Ein immer wichtiger werdender Bestand- Produktivitätsentwicklung im deutschen teil der Investitionen sind immaterielle Maschinenbau, ist die Entwicklung besorgniser- Wirtschaftsgüter. Dazu zählt technisches regend, und was kann gegebenenfalls getan wer- Know-how als Ergebnis von Forschungs- und den, um gegenzusteuern? Diese Fragen wird eine Entwicklungsaktivitäten ebenso wie nicht- Studie zu beantworten versuchen, die von der technisches Wissen, Markenwerte und Repu- IMPULS-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Das tation, Fähigkeiten zur Datenanalyse sowie Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung unternehmensspezifisches Human- und Orga- in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für nisationskapital. Der Maschinenbau investiert System- und Innovationsforschung gehen dabei zunehmend in dieses immaterielle Kapital. Die einer Reihe von Hypothesen nach: Produktivitätswirkung solcher Investitionen ist aber oft nur sehr kurzfristig. a. Eine Ursache könnte in niedrigen Investitionen in neue Produktionsanlagen sowie in die c. Die Digitalisierung ist heute der dominierende IT-Ausstattung liegen. Ein geringes Wachstum technologische Trend im Maschinenbau. Eine des Kapitalstocks bzw. dessen unzureichende noch geringe Digitalisierungsintensität oder Erneuerung würde dazu führen, dass die ein Fokus auf Digitalisierungsanwendungen, effizienzsteigernden Möglichkeiten neuer die sich noch in frühen Phasen befinden, kön- Produktionstechnologien nicht ausreichend nen die Produktivitätsentwicklung bremsen. genutzt werden. Allerdings kann eine intensive Digitalisie- rungsnutzung Prozesse zunächst aufwendiger und arbeitsintensiver machen.
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 9 d. In Teilen des Maschinenbaus kommt es g. Maschinenbauunternehmen könnten außer- zu einer immer stärkeren Differenzierung dem durch „Insourcing“ sowie die Rückver- und Individualisierung der Produktpalette. lagerung von zuvor ins Ausland verlagerten Standardisierung und die Nutzung von Skalen- Aktivitäten versuchen, Koordinationskosten zu vorteilen wird dadurch schwieriger. Industrie verringern sowie die Reaktionszeit und Flexibili- 4.0-Ansätze tragen dazu bei, dass mehr Unter- tät zu erhöhen. Die eingegliederten Wertschöp- nehmen solche Strategien verfolgen. fungsteile sind häufig aber weniger produktiv. e. Eine große Herausforderung für den deut- h. Um internationale Märkte zu bearbeiten, schen Maschinenbau im kommenden Jahr- ist oft eine Produktion vor Ort notwendig. zehnt (und darüber hinaus) ist die Sicherung Forschung und Produktentwicklung verbleiben des Fachkräftenachwuchses. Im Sinn einer meist am Heimatstandort. Da diese i. d. R. vorsorgenden Personalpolitik könnten die arbeitsintensiver sind als Fertigungsaktivitäten, Unternehmen schon jetzt jüngere Mitarbeiter kann die durchschnittliche Produktivität an einstellen, um möglichst friktionsfrei aus- den Inlandsstandorten sinken. scheidende ältere Mitarbeiter zu ersetzen. In einer Übergangsphase kann dies zu einem i. Schließlich kann ein Teil des Produktivitäts- Beschäftigungsüberhang führen. paradoxons auch in Messproblemen liegen. Schwierig ist vor allem die Messung der f. Ein weiterer Trend ist der steigende Anteil von Absatzpreisentwicklung (Inflation). Sollte die Dienstleistungen. In einigen Maschinenbau- derzeit in der Statistik ausgewiesene starke unternehmen werden mit Dienstleistungen Preissteigerung bei Maschinenbauprodukten bereits höhere Umsatzbeiträge erzielt als mit überzeichnet sein, fände eine übermäßige dem Verkauf von Maschinen und Anlagen. Deflation des generierten Produktionswerts Gerade digitale Geschäftsmodelle legen eine statt. Eine Korrektur würde dann zumindest solche Entwicklung nahe. Dienstleistungen einen Teil des Produktivitätsparadoxons an sind i. d. R. aber weniger produktiv als dieser Stelle auflösen. Fertigungsaktivitäten.
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ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 11 Das Produktivitätsparadoxon imgesamtwirtschaftlichen Kontext Alexander Herzog-Stein, Ph.D., Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung Seit einigen Jahren ist im deutschen Maschinen- dämpfen sie über die Einkommensverteilung bau eine anhaltend schwache Produktivitätsent- sowie das Steuer- und Transfersystem die wicklung auszumachen, die viele Fragen aufwirft Entwicklung der verfügbaren Einkommen eines und deren Ursachen noch unklar sind. Deshalb Großteils der Bevölkerung. erscheint es sinnvoll diese Entwicklung gesamt- wirtschaftlich einzuordnen. Schon seit einiger Im IMK Report „Wachstum und Produktivität im Zeit ist in Deutschland, wie auch in anderen ent- Gegenwind: Eine Analyse der Argumente Robert wickelten Volkswirtschaften, eine merkliche lang- Gordons im Spiegel der deutschen Produktivitäts- fristige Verlangsamung des Produktivitätsfort- schwäche“ haben wir aufgezeigt, dass diese schritts auszumachen. Gegenwinde in den USA und Deutschland unter- schiedlich stark ausgeprägt und bedeutsam sind. In einer neuen einflussreichen Untersuchung In Deutschland sind die Einkommens- und Chan- zum Produktivitätsfortschritt in den USA (The cenungleichheit, mangelnde soziale Mobilität, Rise and Fall of American Growth: The U.S. Stan- die Demografie sowie die ausgeprägte anhal- dard of Living since the Civil War) vertritt Robert tende Schwäche der öffentlichen Investitionen J. Gordon die Hypothese, dass schwächelnde Gegenwinde für das Wirtschafts- und Produktivi- Innovationen das Produktivitäts- und Wirt- tätswachstum. Das deutsche Bildungs- und Aus- schaftswachstum dämpfen. Zudem reduzieren bildungssystem dürfte ein positiver Faktor sein. die sogenannten Gegenwinde – zunehmende Die Wirtschaftspolitik kann diesen Gegenwinden Ungleichheit, Bildung, Demografie und Staats- aktiv entgegensteuern, indem sie die richtigen verschuldung – zum einen über ihren Einfluss Impulse und Weichenstellungen für einen auf die Arbeitsproduktivität oder das Arbeitsvo- zukünftigen Wachstumspfad setzt. lumen das Wirtschaftswachstum. Zum anderen
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ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 13 Drei Fragen an: Stefan Hauf Statistisches Bundesamt Ist ein Rückgang der Produktivität Welche Stellschrauben müssten gedreht werden, problematisch? um die Produktivität wieder zu erhöhen? Ein Rückgang oder schwacher Anstieg der Da der Rückgang oder schwache Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktivität ist aktuell Produktivität nicht per se negativ zu sehen ist, nicht nur in Deutschland, sondern auch in muss auch nicht zwingend an bestimmten Stell- vielen anderen Ländern zu verzeichnen. Für die schrauben gedreht werden. Allerdings können Frage nach problematischen Auswirkungen ist Industrie 4.0 und andere digitale Innnovationen allerdings immer eine detaillierte Analyse der nach einiger Zeit durchaus noch produktivitäts- dahinter liegenden Ursachen erforderlich. So hat steigernde Wirkungen entfalten. Die Stellschrau- eine stark rückläufige Produktivität durch die ben, um das zu ermöglichen, liegen bei den Vermeidung massenhafter Entlassungen in den Unternehmen selbst, aber auch auf der Ebene der wirtschaftlichen Krisenjahren 2008 und 2009 Wirtschaftspolitik, die die entsprechenden Rah- in Deutschland eher Probleme verhindert als menbedingungen schaffen muss. Das 4. Ord- geschaffen. Eine rechnerische Produktivitätsstei- nungspolitische Kolloquium zum „Produktivitäts- gerung durch den Abbau von Arbeitsplätzen wird paradoxon“ der IMPULS-Stiftung und zahlreiche dagegen häufig durchaus als Problem angesehen. andere Veranstaltungen zu dem Thema tragen hier ihren Teil zum Verständnis des Phänomens Welche Gründe sehen Sie für eine rückläufige und dem Austausch über mögliche Lösungsan- Produktivität? sätze bei. Industrie 4.0 und alle digitalen Innnovationen der letzten Jahre benötigen noch Zeit, bis sie ihre pro- duktivitätssteigernden Wirkungen entfalten. Eine höhere Erwerbsbeteiligung und sinkende Erwerbslosenquoten führen dazu, dass zuneh- mend auch weniger produktive Erwerbstätige beschäftigt werden. Die unterstellten Messpro- bleme der Statistiken zur Produktivität durch Effekte der zunehmenden Digitalisierung sind dagegen nach Einschätzung von Experten eher von geringem Einfluss. Sicherlich ist wie beim Wirtschaftswachstum auch bei der Produktivität generell nicht davon auszugehen, dass sich die Zuwächse der Vergangenheit auch künftig immer in gleicher Höhe einstellen werden.
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ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 15 Drei Fragen an: Stefan Munsch Munsch Chemie-Pumpen GmbH Ist ein Rückgang der Produktivität Welche Stellschrauben müssten gedreht werden, problematisch? um die Produktivität wieder zu erhöhen? Ja, in jedem Fall ist ein Rückgang problematisch. Erstens müssen wir die Fabriken nach Lean- Toyota fordert eine Produktivitätssteigerung Methoden konsequent von der Produktorientie- von 1 % pro Monat; d. h. ca. 12,7 % pro Jahr. Im rung zur Prozessorientierung umgestalten. Maschinenbau müssen wir ca. 8 bis 10 % pro Danach müssen wir die Prozesse sinnvoll Jahr fordern, um letztlich 2 bis 3 % Lohn und digitalisieren. Gehaltssteigerungen sowie 2 bis 3 % Material- kostensteigerungen aufzufangen. Die letzten Zweitens muss im Produktentstehungsprozess 2 bis 3 % steigern unsere Wettbewerbsfähigkeit versucht werden, alle möglichen Varianten in im internationalen Vergleich und helfen auch einem virtuellen Lösungsraum abzubilden, der gegen subventionierte Produkte zu bestehen. später eine automatisierte kundenindividuelle Konfiguration des Produkts und seiner beteiligten Welche Gründe sehen Sie für eine rückläufige Prozesse ermöglicht. Wer die Varianz standardi- Produktivität? siert, kann Losgröße 1 fertigen wie Serie. Wichtig Aus meiner Sicht sind es in erster Linie die zuneh- ist, dass die digitale Kette durchgehend ist; d. h. mende Produktvarianz und Komplexität, die die ohne Datenbruch vom Kunden bis zur Ausliefe- bestehenden Organisationen hinsichtlich konti- rung. Ziel ist es, alles was wir heute unter auf- nuierlicher Verbesserung und Prozessoptimie- tragsbezogener Konstruktion verstehen so zu rung überfordern. automatisieren. Somit bleibt Zeit für Innovatio- nen und Neuentwicklungen, die natürlich im obengenannten Kontext gehandhabt werden. Drittens ist ein Komplexitätsmanagement unabdingbar, um unnötige Varianten aus dem Produktportfolio zu bereinigen. Das ist wie Haare schneiden; man muss es regelmäßig tun.
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ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 17 Drei Fragen an: Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Ist ein Rückgang der Produktivität Welche Stellschrauben müssten gedreht werden, problematisch? um die Produktivität wieder zu erhöhen? Produktivität ist ja das Verhältnis von Input zu Hier müssen die Unternehmen eine Kosten- Output und somit ist natürlich ein Rückgang der Nutzen-Perspektive einnehmen. Sie müssen f ragen: Produktivität in jeder Industrie problematisch, Was ist monetarisierbarer Nutzen? Damit erhöht weil sich die Wirtschaftlichkeit damit verschlech- man den Output. Auf der anderen Seite muss tert. Wenn es dann andere Wettbewerber gibt, man die Ineffizienzen im Gesamtwertschöpfungs die diesen Rückgang nicht haben oder die Pro- system anschauen, insbesondere mit dem Fokus duktivität sogar steigern, werden diese sich Wett- auf Transaktions- und Komplexitätskosten. Beide bewerbsvorteile erarbeiten. Hebel kann man wunderbar mit den Werkzeugen der Digitalisierung bedienen. Mein Eindruck ist, Welche Gründe sehen Sie für eine rückläufige dass der deutsche Maschinenbau diese Hebel Produktivität? nicht ausreichend konsequent und diszipliniert Ein Grund ist der Umgang mit Komplexität. genug einsetzt, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis Immer mehr indirekte Mitarbeiter versuchen, die tatsächlich zu optimieren. Man probiert alles heute zunehmende Komplexität irgendwie zu Mögliche aus, macht use cases, aber eine klare handhaben. Diese Komplexitätsbewirtschaftung Strategie und ein Fokus auf den monetarisierbaren macht der Maschinenbau unter Umständen nicht Nutzen – abgestimmt mit dem Kunden – sowie gut genug. eine harte Ineffizienzanalyse fehlen aber häufig. Der zweite Grund ist, dass man zu lange in alten Vorgehensweisen und Prozessen verharrt und nicht konsequent genug auf die neuen Möglich- keiten setzt. Die alten Optimierungsansätze grei- fen wahrscheinlich nicht mehr ausreichend, weil dieses komplexe Umfeld nicht mit Vereinfachung, Standardisierung etc. beherrscht werden kann. Man muss sich an dieser Stelle für neue Ansätze öffnen, die helfen, Komplexität optimal zu bewirtschaften. Stichwort Digitalisierung.
18 PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU Vorsitz des Kuratoriums und Geschäftsführender Vorstand
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM 19 Porträt IMPULS-Stiftung Impulse geben für eine gute Zukunft. Das ist Stiftung: Thematische Schwerpunkte liegen Ziel der IMPULS-Stiftung. Gegründet wurde zum einen auf der Ordnungspolitik, zum anderen die Stiftung vor rund 25 Jahren. Anlass war das auf der Innovationspolitik. Doch auch andere 100-jährige Bestehen des Verbands Deutscher Zukunftsthemen finden im Studienportfolio Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Seitdem fallweise Berücksichtigung. hat sich die IMPULS-Stiftung kontinuierlich für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes engagiert: Wichtigstes Organ der Stiftung ist das Kuratorium. Rund 100 Projekte wurden aus Spenden und Dieses fungiert in erster Linie als Ideengeber, Erträgen des Stiftungsvermögens gefördert. Resonanzboden, Aufsichtsorgan und Botschafter der IMPULS-Stiftung. In diesem engagieren sich Wichtigstes Instrument der IMPULS-Stiftung sind neben Präsidium und Hauptgeschäftsführung des Studien, die im Wettbewerbsverfahren an füh- VDMA exponierte Persönlichkeiten aus Industrie, rende wissenschaftliche Institute und an Bera- Wissenschaft, Politik und Medien. tungshäuser vergeben werden. Für Orientierung sorgen dabei die beiden inhaltlichen Säulen der Ausgewählte Studien Wirtschafts- und Ordnungspolitik Bildungs- und Innovationspolitik • Nutzen von Labels im Maschinen- und • Digital-vernetztes Denken in der Produktion, Anlagenbau, November 2017 November 2016 • Rahmenbedingungen für private • Karriereperspektiven mit beruflicher Aus Investitionen in Deutschland, bildung im Maschinen- und Anlagenbau, Dezember 2015 April 2016 • Markt versus Staat, • Industrie 4.0-Readiness, September 2014 Oktober 2015 • Lehren einer Krise – • Nachwuchs für technische Ausbildungsberufe Die Sicht des Maschinenbaus, im Maschinenbau, November 2014 November 2010 • Zwischen Studienerwartungen- und Studien- • Clusteraktivitäten der Unternehmen im wirklichkeit – Gründe für den Studienabbruch, deutschen Maschinen- und Anlagenbau, Juni 2009 April 2010 Freier Download der Studien unter www.impuls-stiftung.de
20 PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU Impressum VDMA Lyoner Str. 18 60528 Frankfurt am Main Telefon 069 6603-1462 E-Mail info@impuls-stiftung.de Redaktion Dr. Johannes Gernandt Stefan Röger Design und Layout DesignStudio Gabriela Neugebauer Produktion h.reuffurth gmbh Mühlheim am Main Bildnachweis Seite 4: Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué Seite 18: VDMA/Gerd Keydell Alle anderen Bilder: Hermann Heibel © VDMA, Dezember 2017
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 4. Ordnungspolitischen Kolloquiums
VDMA Thilo Brodtmann VDMA-Hauptgeschäftsführer Lyoner Straße 18 60528 Frankfurt am Main Telefon +49 69 6603-1462 E-Mail thilo.brodtmann@vdma.org Internet www.vdma.org IMPULS-Stiftung Dr. Johannes Gernandt Geschäftsführender Vorstand Stefan Röger Geschäftsführender Vorstand Lyoner Straße 18 60528 Frankfurt Telefon +49 69 6603-1462 E-Mail info@impuls-stiftung.de Internet www.impuls-stiftung.de Eine gemeinsame Veranstaltung von: Impuls DesignStudio www.vdma.org www.impuls-stiftung.de
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