Ordnungspolitisches Kolloquium des VDMA und der IMPULS-Stiftung

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Ordnungspolitisches Kolloquium des VDMA und der IMPULS-Stiftung
4. Ordnungspolitisches Kolloquium
      des VDMA und der IMPULS-Stiftung
Das Produktivitätsparadoxon im Maschinen- und Anlagenbau
Ordnungspolitisches Kolloquium des VDMA und der IMPULS-Stiftung
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 4. Ordnungspolitischen Kolloquiums
Ordnungspolitisches Kolloquium des VDMA und der IMPULS-Stiftung
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM             1

Grußwort

       Die Steigerung der Produktivität gilt allgemein     Das traditionelle Ordnungspolitische Kolloquium
       als der Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit,         der IMPULS-Stiftung hat sich nun ebenfalls mit
       Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand. Das          diesem Thema befasst. Erste Arbeitsergebnisse
       jährliche Wachstum der gesamtwirtschaftlichen       des ZEW wurden kritisch diskutiert, viele neue
       Produktivität hat sich in Deutschland zuletzt       inhaltliche Aspekte traten zutage – und dies aus
       allerdings verlangsamt. Gleichzeitig verspricht     dem spezifischen Erfahrungshintergrund von
       das Zeitalter von Industrie 4.0 ungeahnte neue      Industrie, Wissenschaft und Politik.
       Möglichkeiten.
                                                           Wichtigste Erkenntnis des Kolloquiums ist: Bei
       Geradezu paradox ist die Situation im Maschi-       allen Fragen an die Treffgenauigkeit der Statistik
       nen- und Anlagenbau: Einerseits ist die Digitali-   muss die Entwicklung der Produktivität ernst
       sierung dort überdurchschnittlich etabliert, wie    genommen werden. Dies gerade auch im Hinblick
       auch die beiden IMPULS-Studien zur „Industrie       auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit. Erst
       4.0-Readiness“ und zum „digital-vernetzten          wenn die aktuellen Einflussfaktoren der Produkti-
       Denken in der Produktion“ zeigen. Anderseits        vitätsentwicklung identifiziert sind, kann gezielt
       ist die Produktivitätsentwicklung in der deut-      gegengesteuert werden.
       schen Maschinenbau-Industrie seit 2005 sogar
       rückläufig.                                         Die IMPULS-Stiftung hat sich also auf die Spur
                                                           des Produktivitätsparadoxons gemacht. Mit
       Vor diesem Hintergrund hat die IMPULS-Stiftung      dieser Broschüre wollen wir die zahlreichen
       eine Studie zum Produktivitätsparadoxon beauf-      Gedanken und Erkenntnisse, die unser viertes
       tragt. Das Zentrum für Europäische Wirtschafts-     ordnungspolitisches Kolloquium prägten, mit
       forschung (ZEW) analysiert mögliche Faktoren        Ihnen teilen. Wir hoffen auf Ihr Interesse und
       für die schwache Produktivitätsdynamik im deut-     freuen uns auf den weiteren Dialog mit Ihnen.
       schen Maschinenbau. Unternehmensinterviews
       und Handlungsempfehlungen werden die Studie
       abrunden.

       Dr. Thomas Lindner                                  Dr. Manfred Wittenstein
       Vorsitzender des Kuratoriums                        Stellv. Vorsitzender des Kuratoriums
       IMPULS-Stiftung                                     IMPULS-Stiftung

       Dr. Johannes Gernandt                               Stefan Röger
       Geschäftsführender Vorstand                         Geschäftsführender Vorstand
       IMPULS-Stiftung                                     IMPULS-Stiftung
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2   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU
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Produktivitätsparadoxon Maschinenbau –
wie alles begann …
Dr. Ralph Wiechers, VDMA

            Der Begriff des „Produktivitätsparadoxon“          Seitdem sind zahlreiche Studien erarbeitet wor-
            beschreibt ein Phänomen, das ab den 80er Jahren,   den, die sich diesem Paradoxon gewidmet haben.
            mit zunehmender Intensität in den 90ern aufkam.    Das Thema ist en vogue! Warum dann noch eine
            Dahinter steht die Beobachtung, dass die durch     Studie? Zum einen wirft der Vorwurf, unproduktiv
            den Einsatz von IT ausgelösten Produktivitäts-     zu sein nicht nur ein schlechtes Licht auf die
            verbesserungen signifikant hinter den jährlichen   Wettbewerbsfähigkeit des Maschinen- und Anla-
            Leistungssteigerungen der IT selbst und den        genbaus. Es steht auch in deutlichem Gegensatz
            Zuwächsen an IT-Investitionen zurückbleiben.       zu den Möglichkeiten zur Ressourcenschonung
                                                               und Effizienzsteigerung, welche die Digital­
            Anfang 2013, praktisch im Gefolge der Krise kam    isierung verspricht. Zum anderen gibt es nach
            diese Diskussion dann auch im Maschinenbau         unserem Kenntnisstand keine Ausarbeitung,
            auf. Während die Produktionsentwicklung nach       die sich speziell für unsere Branche mit dem
            einem fulminanten Aufholprozess hartnäckig         Produktivitätsparadoxon auseinandersetzt.
            stagnierte, wuchs die Beschäftigung unbeirrt
            weiter und übertraf schnell das Vorkrisenniveau.   Eine saubere Analyse ist aber unabdingbar,
                                                               damit Unternehmen und wirtschaftspolitische
            In einer VDMA Kurzargumentation                    Akteure wirkungsvoll gegensteuern können und
            „Hat der Maschinenbau zu viele Mitarbeiter?“       der deutsche Maschinenbau sich weiterhin im
            wurden erste Hypothesen zu den Ursachen            nationalen und internationalen Wettbewerb
            aufgestellt. Sie reichten von Nachholeffekten      behauptet.
            der Beschäftigung über die Hortung von
            Arbeitskräften angesichts der demografischen
            Entwicklung bis hin zu Zeitarbeitseffekten.
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4   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU
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Das Paradox der Produktivität:
Wichtig ist vor allem die Innovationskraft, nicht das
reine Wachstum der physischen Arbeitsleistung
Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg,
­Finanzminister Sachsen-Anhalt a. D.

            Seit einigen Jahren beobachten wir ein merkwür-     Ingenieurskunst. So kann etwa das Digitalisieren
            diges Phänomen. In klassischen Industriezweigen     vormals analoger Vorgänge sehr leicht in seiner
            der deutschen Wirtschaft wächst im Trend die        markterschließenden Wirkung in der Messung
            Produktivität der Arbeit nur mehr mit sehr mäßi-    lange Zeit unentdeckt bleiben, obwohl Manager
            ger Geschwindigkeit. Das gilt auch für den          und Techniker sehr genau wissen, wie zukunfts-
            Maschinenbau, einer Schlüsselbranche, die in der    trächtig es ist.
            Entwicklung von Produktinnovationen und bei
            der Eroberung von Exportmärkten exzellente          Das Paradox der Produktivität ist also kein Grund
            Ergebnisse vorzuweisen hat.                         für unternehmerische Angstgefühle oder eine
                                                                politische Panik. Allerdings gilt es wachsam zu
            Wo liegt das Problem? Die Antwort ist im Detail     sein: Was nicht erlahmen darf, ist die Innovati-
            komplex, aber in der zentralen Botschaft einfach:   onskraft der deutschen Industrie – und die ist
            Wir leben in einer Zeit, in der sich der Weg zu     allein schon wegen der demografischen Entwick-
            mehr Wertschöpfung nicht mehr unbedingt in          lung langfristig in hohem Maße gefährdet. Die
            den Zahlen der Produktivitätsstatistik nieder-      große Generation der Babyboomer verlässt ab
            schlägt. Zum einen gibt es systematische Mess-      2020 schrittweise den Arbeitsmarkt, und darun-
            fehler beim Erfassen der Qualität von Gütern und    ter ist eine riesige Zahl von kompetenten Fach-
            Diensten. Insbesondere wird der immaterielle        kräften und Ingenieuren. An dieser Stelle sind die
            Leistungsbeitrag etwa in der Betreuung und War-     Sorgen berechtigt. Die Antwort kann nur lauten:
            tung maßgeschneiderter Anlagen zunehmend            bessere Ausbildung und mehr Zuwanderung von
            unterschätzt, eben weil der Service eine immer      motivierten Leistungsträgern.
            größere Rolle spielt. Zum anderen wird es immer
            schwieriger, überhaupt jenes technisch Neue zu
            erfassen, das zur Grundlage einer gestärkten
            Marktposition wird. Auch dies gilt in besonderem
            Maße für die typische Palette deutscher
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6   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU

                                  Produktivitätsparadoxon im Maschinenbau
                                  Prof. Dr. Bettina Peters, Dr. Christian Rammer und
                                  Bastian Krieger, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)

                                                 Im deutschen Maschinenbau lag die Arbeits-            Neue Digitalisierungsanwendungen bergen hohe
                                                 produktivität im Jahr 2016 unter dem Wert von         Innovationspotenziale für den Maschinenbau,
                                                 2005. Nach einem starken Anstieg bis 2008 sank        die sich auch in einer höheren Produktivität
                                                 sie im Krisenjahr 2009 massiv und erreichte bis       niederschlagen sollten. Viele dieser Potenziale
                                                 2011 nicht wieder das Vorkrisenniveau. Bis 2015       werden schon heute vom Maschinenbau genutzt
                                                 war die Arbeitsproduktivität rückläufig, erst         und sind ein wesentlicher Treiber der Umgestal-
                                                 2016 kam es zu einem leichten Anstieg. Diese          tung von Produktionsprozessen im Rahmen des
                                                 Entwicklung ist angesichts der gleichzeitig hohen     „Industrie 4.0“ Paradigmas. Die Schere zwischen
                                                 technologischen Dynamik und der hohen inter-          großen Innovationsmöglichkeiten, hohen Export­
                                                 nationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen         erfolgen und einer schwachen Produktivitätsent-
                                                 Maschinenbaus erstaunlich.                            wicklung stellt ein Paradoxon dar.

    Arbeitsproduktivität im Maschinenbau Deutschlands 2005-2016

                                    115
                                                                                                            Produktionsergebnis je
                                                                                                            Arbeitsstunde
                                    110
         Kettenindex (2010=100)

                                    105

                                    100

                                     95

                                     90
                                          2005   2006    2007    2008    2009     2010    2011       2012    2013     2014      2015     2016

                                                                                                           Quelle: Statistisches Bundesamt, Produktionsstatistik
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                             Die Entwicklung ist auch deshalb so erstaunlich,    Das bemerkenswerte am Produktivitätsrückgang
                             weil in den anderen Technologiebranchen             ist, dass er nicht mit einer verschlechterten Profi-
                             Deutschlands die Produktivität im selben            tabilität der Unternehmen einherging, im Gegen-
                             Zeitraum zugenommen und bis 2016 das Vorkri-        teil: Die Umsatzrendite im deutschen Maschinen-
                             senniveau wieder übertroffen hat. Auch im inter-    bau hat sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich
                             nationalen Vergleich fällt die Produktivitätsent-   verbessert und liegt seit 2004 bis an den aktuel-
                             wicklung im deutschen Maschinenbau klar hinter      len Rand über der Umsatzrendite des Maschinen-
                             der in anderen europäischen Ländern zurück.         baus in europäischen Vergleichsländern.

Veränderung der Arbeitsproduktivität im Branchen- und internationalen Vergleich
    Deutschland, 2008-2016                                              Maschinenbau, 2007-2014

                                          Produktions-                 Deutschland                            reale Bruttowert-
         Chemie                           ergebnis je Arbeitsstunde                                           schöpfung je Arbeitsstunde
                                                                           Italien
     Metallwaren                                                       Niederlande
                                                                          Spanien
    Elektrotechnik
                                                                      Großbritannien
    Maschinenbau                                                        Österreich
                                                                        Frankreich
    Automobilbau
                                                                        Schweden
                     -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 10 12 14                              -10     -5     0     5    10 15 20 25                  30
                             Veränderung 2008-2016 in %                                             Veränderung 2007-2014 in %

                                                                                    Quelle: Statistisches Bundesamt, Kostenstrukturerhebung
8   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU

    Umsatzrendite im Maschinenbau 1995-2014 im Ländervergleich
                                           12
                                                                  Europäische Vergleichsländer*
        Nettobetriebsüberschuss in % des

                                           10
                                                                  Deutschland
                                           8
                Produktionswert

                                           6

                                           4

                                           2

                                           0
                                                1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

    *Frankreich, Italien, Großbritannien, Niederlande, Schweden, Österreich.

                                                                                                                    Quelle: Eurostat, Strukturelle Unternehmensstatistik

                                                            Was sind also die Ursachen für die rückläufige      b. Ein immer wichtiger werdender Bestand-
                                                            Produktivitätsentwicklung im deutschen                 teil der Investitionen sind immaterielle
                                                            Maschinenbau, ist die Entwicklung besorgniser-         Wirtschaftsgüter. Dazu zählt technisches
                                                            regend, und was kann gegebenenfalls getan wer-         Know-how als Ergebnis von Forschungs- und
                                                            den, um gegenzusteuern? Diese Fragen wird eine         Entwicklungsaktivitäten ebenso wie nicht-
                                                            Studie zu beantworten versuchen, die von der           technisches Wissen, Markenwerte und Repu-
                                                            IMPULS-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Das          tation, Fähigkeiten zur Datenanalyse sowie
                                                            Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung           unternehmensspezifisches Human- und Orga-
                                                            in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für         nisationskapital. Der Maschinenbau investiert
                                                            System- und Innovationsforschung gehen dabei           zunehmend in dieses immaterielle Kapital. Die
                                                            einer Reihe von Hypothesen nach:                       Produktivitätswirkung solcher Investitionen ist
                                                                                                                   aber oft nur sehr kurzfristig.
                                                            a. Eine Ursache könnte in niedrigen Investitionen
                                                               in neue Produktionsanlagen sowie in die          c. Die Digitalisierung ist heute der dominierende
                                                               IT-Ausstattung liegen. Ein geringes Wachstum        technologische Trend im Maschinenbau. Eine
                                                               des Kapitalstocks bzw. dessen unzureichende         noch geringe Digitalisierungsintensität oder
                                                               Erneuerung würde dazu führen, dass die              ein Fokus auf Digitalisierungsanwendungen,
                                                               effizienzsteigernden Möglichkeiten neuer            die sich noch in frühen Phasen befinden, kön-
                                                               Produktionstechnologien nicht ausreichend           nen die Produktivitätsentwicklung bremsen.
                                                               genutzt werden.                                     Allerdings kann eine intensive Digitalisie-
                                                                                                                   rungsnutzung Prozesse zunächst aufwendiger
                                                                                                                   und arbeitsintensiver machen.
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM   9

d. In Teilen des Maschinenbaus kommt es              g. Maschinenbauunternehmen könnten außer-
   zu einer immer stärkeren Differenzierung             dem durch „Insourcing“ sowie die Rückver-
   und Individualisierung der Produktpalette.           lagerung von zuvor ins Ausland verlagerten
   Standardisierung und die Nutzung von Skalen-         Aktivitäten versuchen, Koordinationskosten zu
   vorteilen wird dadurch schwieriger. Industrie        verringern sowie die Reaktionszeit und Flexibili-
   4.0-Ansätze tragen dazu bei, dass mehr Unter-        tät zu erhöhen. Die eingegliederten Wertschöp-
   nehmen solche Strategien verfolgen.                  fungsteile sind häufig aber weniger produktiv.

e. Eine große Herausforderung für den deut-          h. Um internationale Märkte zu bearbeiten,
   schen Maschinenbau im kommenden Jahr-                ist oft eine Produktion vor Ort notwendig.
   zehnt (und darüber hinaus) ist die Sicherung         Forschung und Produktentwicklung verbleiben
   des Fachkräftenachwuchses. Im Sinn einer             meist am Heimatstandort. Da diese i. d. R.
   vorsorgenden Personalpolitik könnten die             arbeitsintensiver sind als Fertigungsaktivitäten,
   Unternehmen schon jetzt jüngere Mitarbeiter          kann die durchschnittliche Produktivität an
   einstellen, um möglichst friktionsfrei aus-          den Inlandsstandorten sinken.
   scheidende ältere Mitarbeiter zu ersetzen. In
   einer Übergangsphase kann dies zu einem           i. Schließlich kann ein Teil des Produktivitäts-
   Beschäftigungsüberhang führen.                       paradoxons auch in Messproblemen liegen.
                                                        Schwierig ist vor allem die Messung der
f. Ein weiterer Trend ist der steigende Anteil von      Absatzpreisentwicklung (Inflation). Sollte die
   Dienstleistungen. In einigen Maschinenbau-           derzeit in der Statistik ausgewiesene starke
   unternehmen werden mit Dienstleistungen              Preissteigerung bei Maschinenbauprodukten
   bereits höhere Umsatzbeiträge erzielt als mit        überzeichnet sein, fände eine übermäßige
   dem Verkauf von Maschinen und Anlagen.               Deflation des generierten Produktionswerts
   Gerade digitale Geschäftsmodelle legen eine          statt. Eine Korrektur würde dann zumindest
   solche Entwicklung nahe. ­Dienstleistungen           einen Teil des Produktivitätsparadoxons an
   sind i. d. R. aber weniger produktiv als             dieser Stelle auflösen.
   Fertigungsaktivitäten.
10   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM          11

Das Produktivitätsparadoxon
im­gesamtwirtschaftlichen Kontext
Alexander Herzog-Stein, Ph.D., Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung

            Seit einigen Jahren ist im deutschen Maschinen-       dämpfen sie über die Einkommensverteilung
            bau eine anhaltend schwache Produktivitätsent-        sowie das Steuer- und Transfersystem die
            wicklung auszumachen, die viele Fragen aufwirft       Entwicklung der verfügbaren Einkommen eines
            und deren Ursachen noch unklar sind. Deshalb          Großteils der Bevölkerung.
            erscheint es sinnvoll diese Entwicklung gesamt-
            wirtschaftlich einzuordnen. Schon seit einiger        Im IMK Report „Wachstum und Produktivität im
            Zeit ist in Deutschland, wie auch in anderen ent-     Gegenwind: Eine Analyse der Argumente Robert
            wickelten Volkswirtschaften, eine merkliche lang-     Gordons im Spiegel der deutschen Produktivitäts-
            fristige Verlangsamung des Produktivitätsfort-        schwäche“ haben wir aufgezeigt, dass diese
            schritts auszumachen.                                 Gegenwinde in den USA und Deutschland unter-
                                                                  schiedlich stark ausgeprägt und bedeutsam sind.
            In einer neuen einflussreichen Untersuchung           In Deutschland sind die Einkommens- und Chan-
            zum Produktivitätsfortschritt in den USA (The         cenungleichheit, mangelnde soziale Mobilität,
            Rise and Fall of American Growth: The U.S. Stan-      die Demografie sowie die ausgeprägte anhal-
            dard of Living since the Civil War) vertritt Robert   tende Schwäche der öffentlichen Investitionen
            J. Gordon die Hypothese, dass schwächelnde            Gegenwinde für das Wirtschafts- und Produktivi-
            Innovationen das Produktivitäts- und Wirt-            tätswachstum. Das deutsche Bildungs- und Aus-
            schaftswachstum dämpfen. Zudem reduzieren             bildungssystem dürfte ein positiver Faktor sein.
            die sogenannten Gegenwinde – zunehmende               Die Wirtschaftspolitik kann diesen Gegenwinden
            Ungleichheit, Bildung, Demografie und Staats-         aktiv entgegensteuern, indem sie die richtigen
            verschuldung – zum einen über ihren Einfluss          Impulse und Weichenstellungen für einen
            auf die Arbeitsproduktivität oder das Arbeitsvo-      zukünftigen Wachstumspfad setzt.
            lumen das Wirtschaftswachstum. Zum anderen
12   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM           13

Drei Fragen an:
Stefan Hauf
Statistisches Bundesamt

            Ist ein Rückgang der Produktivität                     Welche Stellschrauben müssten gedreht werden,
            problematisch?                                         um die Produktivität wieder zu erhöhen?
            Ein Rückgang oder schwacher Anstieg der                Da der Rückgang oder schwache Anstieg der
            gesamtwirtschaftlichen Produktivität ist aktuell       ­Produktivität nicht per se negativ zu sehen ist,
            nicht nur in Deutschland, sondern auch in               muss auch nicht zwingend an bestimmten Stell-
            vielen anderen Ländern zu verzeichnen. Für die          schrauben gedreht werden. Allerdings können
            Frage nach problematischen Auswirkungen ist             Industrie 4.0 und andere digitale Innnovationen
            allerdings immer eine detaillierte Analyse der          nach einiger Zeit durchaus noch produktivitäts-
            dahinter liegenden Ursachen erforderlich. So hat        steigernde Wirkungen entfalten. Die Stellschrau-
            eine stark rückläufige Produktivität durch die          ben, um das zu ermöglichen, liegen bei den
            Vermeidung massenhafter Entlassungen in den             Unternehmen selbst, aber auch auf der Ebene der
            wirtschaftlichen Krisenjahren 2008 und 2009             Wirtschaftspolitik, die die entsprechenden Rah-
            in Deutschland eher Probleme verhindert als             menbedingungen schaffen muss. Das 4. Ord-
            geschaffen. Eine rechnerische Produktivitätsstei-       nungspolitische Kolloquium zum „Produktivitäts-
            gerung durch den Abbau von Arbeitsplätzen wird          paradoxon“ der IMPULS-Stiftung und zahlreiche
            dagegen häufig durchaus als Problem angesehen.          andere Veranstaltungen zu dem Thema tragen
                                                                    hier ihren Teil zum Verständnis des Phänomens
            Welche Gründe sehen Sie für eine rückläufige            und dem Austausch über mögliche Lösungsan-
            Produktivität?                                          sätze bei.
            Industrie 4.0 und alle digitalen Innnovationen der
            letzten Jahre benötigen noch Zeit, bis sie ihre pro-
            duktivitätssteigernden Wirkungen entfalten. Eine
            höhere Erwerbsbeteiligung und sinkende
            Erwerbslosenquoten führen dazu, dass zuneh-
            mend auch weniger produktive Erwerbstätige
            beschäftigt werden. Die unterstellten Messpro-
            bleme der Statistiken zur Produktivität durch
            Effekte der zunehmenden Digitalisierung sind
            dagegen nach Einschätzung von Experten eher
            von geringem Einfluss. Sicherlich ist wie beim
            Wirtschaftswachstum auch bei der Produktivität
            generell nicht davon auszugehen, dass sich die
            Zuwächse der Vergangenheit auch künftig immer
            in gleicher Höhe einstellen werden.
14   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM             15

Drei Fragen an:
Stefan Munsch
Munsch Chemie-Pumpen GmbH

          Ist ein Rückgang der Produktivität                    Welche Stellschrauben müssten gedreht werden,
          problematisch?                                        um die Produktivität wieder zu erhöhen?
          Ja, in jedem Fall ist ein Rückgang problematisch.     Erstens müssen wir die Fabriken nach Lean-
          Toyota fordert eine Produktivitätssteigerung          Methoden konsequent von der Produktorientie-
          von 1 % pro Monat; d. h. ca. 12,7 % pro Jahr. Im      rung zur Prozessorientierung umgestalten.
          Maschinenbau müssen wir ca. 8 bis 10 % pro            Danach müssen wir die Prozesse sinnvoll
          Jahr fordern, um letztlich 2 bis 3 % Lohn und         digitalisieren.
          Gehaltssteigerungen sowie 2 bis 3 % Material-
          kostensteigerungen aufzufangen. Die letzten           Zweitens muss im Produktentstehungsprozess
          2 bis 3 % steigern unsere Wettbewerbsfähigkeit        versucht werden, alle möglichen Varianten in
          im internationalen Vergleich und helfen auch          einem virtuellen Lösungsraum abzubilden, der
          gegen subventionierte Produkte zu bestehen.           später eine automatisierte kundenindividuelle
                                                                Konfiguration des Produkts und seiner beteiligten
          Welche Gründe sehen Sie für eine rückläufige          Prozesse ermöglicht. Wer die Varianz standardi-
          Produktivität?                                        siert, kann Losgröße 1 fertigen wie Serie. Wichtig
          Aus meiner Sicht sind es in erster Linie die zuneh-   ist, dass die digitale Kette durchgehend ist; d. h.
          mende Produktvarianz und Komplexität, die die         ohne Datenbruch vom Kunden bis zur Ausliefe-
          bestehenden Organisationen hinsichtlich konti-        rung. Ziel ist es, alles was wir heute unter auf-
          nuierlicher Verbesserung und Prozessoptimie-          tragsbezogener Konstruktion verstehen so zu
          rung überfordern.                                     automatisieren. Somit bleibt Zeit für Innovatio-
                                                                nen und Neuentwicklungen, die natürlich im
                                                                obengenannten Kontext gehandhabt werden.

                                                                Drittens ist ein Komplexitätsmanagement
                                                                unabdingbar, um unnötige Varianten aus dem
                                                                Produktportfolio zu bereinigen. Das ist wie
                                                                Haare schneiden; man muss es regelmäßig tun.
16   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM            17

Drei Fragen an:
Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

            Ist ein Rückgang der Produktivität                   Welche Stellschrauben müssten gedreht werden,
            problematisch?                                       um die Produktivität wieder zu erhöhen?
            Produktivität ist ja das Verhältnis von Input zu     Hier müssen die Unternehmen eine Kosten-
            Output und somit ist natürlich ein Rückgang der      Nutzen-Perspektive einnehmen. Sie müssen f­ ragen:
            Produktivität in jeder Industrie problematisch,      Was ist monetarisierbarer Nutzen? Damit erhöht
            weil sich die Wirtschaftlichkeit damit verschlech-   man den Output. Auf der anderen Seite muss
            tert. Wenn es dann andere Wettbewerber gibt,         man die Ineffizienzen im Gesamtwertschöpfungs­
            die diesen Rückgang nicht haben oder die Pro-        system anschauen, insbesondere mit dem Fokus
            duktivität sogar steigern, werden diese sich Wett-   auf Transaktions- und Komplexitätskosten. Beide
            bewerbsvorteile erarbeiten.                          Hebel kann man wunderbar mit den Werkzeugen
                                                                 der Digitalisierung bedienen. Mein Eindruck ist,
            Welche Gründe sehen Sie für eine rückläufige         dass der deutsche Maschinenbau diese Hebel
            Produktivität?                                       nicht ausreichend konsequent und diszipliniert
            Ein Grund ist der Umgang mit Komplexität.            genug einsetzt, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis
            Immer mehr indirekte Mitarbeiter versuchen, die      tatsächlich zu optimieren. Man probiert alles
            heute zunehmende Komplexität irgendwie zu            Mögliche aus, macht use cases, aber eine klare
            handhaben. Diese Komplexitätsbewirtschaftung         Strategie und ein Fokus auf den monetarisier­baren
            macht der Maschinenbau unter Umständen nicht         Nutzen – abgestimmt mit dem Kunden – sowie
            gut genug.                                           eine harte Ineffizienzanalyse fehlen aber häufig.

            Der zweite Grund ist, dass man zu lange in alten
            Vorgehensweisen und Prozessen verharrt und
            nicht konsequent genug auf die neuen Möglich-
            keiten setzt. Die alten Optimierungsansätze grei-
            fen wahrscheinlich nicht mehr ausreichend, weil
            dieses komplexe Umfeld nicht mit Vereinfachung,
            Standardisierung etc. beherrscht werden kann.
            Man muss sich an dieser Stelle für neue Ansätze
            öffnen, die helfen, Komplexität optimal zu
            bewirtschaften. Stichwort Digitalisierung.
18    PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU

Vorsitz des Kuratoriums und Geschäftsführender Vorstand
ORDNUNGSPOLITISCHES KOLLOQUIUM             19

Porträt IMPULS-Stiftung

        Impulse geben für eine gute Zukunft. Das ist      Stiftung: Thematische Schwerpunkte liegen
        Ziel der IMPULS-Stiftung. Gegründet wurde         zum einen auf der Ordnungspolitik, zum anderen
        die Stiftung vor rund 25 Jahren. Anlass war das   auf der Innovationspolitik. Doch auch andere
        100-jährige Bestehen des Verbands Deutscher       Zukunftsthemen finden im Studienportfolio
        Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Seitdem         fallweise Berücksichtigung.
        hat sich die IMPULS-Stiftung kontinuierlich für
        die Zukunftsfähigkeit unseres Landes engagiert:   Wichtigstes Organ der Stiftung ist das Kuratorium.
        Rund 100 Projekte wurden aus Spenden und          Dieses fungiert in erster Linie als Ideengeber,
        Erträgen des Stiftungsvermögens gefördert.        Resonanzboden, Aufsichtsorgan und Botschafter
                                                          der IMPULS-Stiftung. In diesem engagieren sich
        Wichtigstes Instrument der IMPULS-Stiftung sind   neben Präsidium und Hauptgeschäftsführung des
        Studien, die im Wettbewerbsverfahren an füh-      VDMA exponierte Persönlichkeiten aus Industrie,
        rende wissenschaftliche Institute und an Bera-    Wissenschaft, Politik und Medien.
        tungshäuser vergeben werden. Für Orientierung
        sorgen dabei die beiden inhaltlichen Säulen der

        Ausgewählte Studien

        Wirtschafts- und Ordnungspolitik                  Bildungs- und Innovationspolitik
        • Nutzen von Labels im Maschinen- und             • Digital-vernetztes Denken in der Produktion,
          Anlagenbau, November 2017                          November 2016
        •   Rahmenbedingungen für private                 •   Karriereperspektiven mit beruflicher Aus­
            Investitionen in Deutschland,                     bildung im Maschinen- und Anlagenbau,
            Dezember 2015                                     April 2016
        •   Markt versus Staat,                           •   Industrie 4.0-Readiness,
            September 2014                                    Oktober 2015
        •   Lehren einer Krise –                          •   Nachwuchs für technische Ausbildungsberufe
            Die Sicht des Maschinenbaus,                      im Maschinenbau, November 2014
            November 2010                                 •   Zwischen Studienerwartungen- und Studien-
        •   Clusteraktivitäten der Unternehmen im             wirklichkeit – Gründe für den Studienabbruch,
            deutschen Maschinen- und Anlagenbau,              Juni 2009
            April 2010
                                                          Freier Download der Studien unter

                                                          www.impuls-stiftung.de
20   PRODUKTIVITÄTSPARADOXON MASCHINENBAU

             Impressum

             VDMA
             Lyoner Str. 18
             60528 Frankfurt am Main

             Telefon 069 6603-1462
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             Redaktion
             Dr. Johannes Gernandt
             Stefan Röger

             Design und Layout
             DesignStudio
             Gabriela Neugebauer

             Produktion
             h.reuffurth gmbh
             Mühlheim am Main

             Bildnachweis
             Seite 4:                Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué
             Seite 18:               VDMA/Gerd Keydell
             Alle anderen Bilder:    Hermann Heibel

             © VDMA, Dezember 2017
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 4. Ordnungspolitischen Kolloquiums
VDMA

Thilo Brodtmann
VDMA-Hauptgeschäftsführer
Lyoner Straße 18
60528 Frankfurt am Main
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E-Mail thilo.brodtmann@vdma.org
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IMPULS-Stiftung

Dr. Johannes Gernandt
Geschäftsführender Vorstand

Stefan Röger
Geschäftsführender Vorstand

Lyoner Straße 18
60528 Frankfurt
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Eine gemeinsame Veranstaltung von:

                    Impuls

                                     DesignStudio

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