Musikstunde "Good Morning, Your Majesty" - Queen Victoria zum 200. Geburtstag (4)

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Musikstunde

„Good Morning, Your Majesty“ -
Queen Victoria zum 200. Geburtstag (4)

Von Antonie von Schönfeld

Sendung:    28.03.2019
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: 2019
SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld
25. März – 29. März 2019
„Good Morning, Your Majesty“ - Queen Victoria zum 200. Geburtstag (4)
Königliches Glück (4)

Signet
...mit AvS –
‚Welcome again‘ auf der britischen Insel und zu einer weiteren SWR2-Musikstunde
zum 200. Geburtstag von Queen Victoria.
Das genaue Datum ist der 24. Mai und da wird in England groß gefeiert.
Wir gehen heute zurück in die 1840 und 1850er Jahre, und erleben, wie sich
Victorias Ehe mit Albert und das Familienleben mit den neun Kindern entwickelt, und
wie sich Regierungsgeschäfte und ihrer beider Liebe zu Musik und Literatur und
Hund und Schottland unter einen Hut bringen lassen, heute also
Folge 4 - „Mitten im Leben“ - Schön, dass Sie dabei sind!
Titelmusik
Victoria ist die Ururgroßmutter der jetzigen Königin, Elizabeth II. Die ist auch schon
bald 93 und damit fast ein Jahrhundert ‚alt‘. Die Lebensspannen der beiden
Königinnen liegen gar nicht so weit auseinander: Als Queen Elizabeth im April 1926
auf die Welt kommt ist Queen Victoria 25 Jahre tot. Zusammengenommen sind das
200 Jahre Königinnenleben und in dieser Zeit hat sich die Welt grundlegend
verändert. Als Victoria in Kensington Palace auf die Welt kommt ist England noch ein
Agrarstaat und Kensington ein verschlafenes Dorf. Als sie stirbt ist das neue
Jahrhundert angebrochen und Kensington Teil der brodelnden Metropole London -
und heute liegt es fast im Zentrum.

Aber: England ist immer noch eine Insel mit Traditionen und man beruft sich hier
immer noch auf uralte Gesetze. Einen Fall hatten wir gerade erst: Der Speaker im
britischen Unterhaus, der Parlamentspräsident, hat gerade letzte Woche eine
erneute Abstimmung über den Brexitvertrag abgelehnt und beruft sich dabei auf ein
etwa 400 Jahre altes Gesetz: Dieses Gesetz verbiete es, dass die Abgeordneten im
Unterhaus eine im Kern gleiche Vertragsvorlage mehrfach zur Abstimmung vorgelegt
bekämen.
Nach diesem folgenschweren Auftritt des Speakers haben sich alle Beteiligten
vermutlich erst einmal eine Tasse Tee gegönnt - das beruhigt die Nerven. „Cup o‘
tea“ geht in England immer: morgens, mittags, zwischendurch und überhaupt zu
jeder Tages- und Nachtzeit.

- Die Tradition des „Afternoon Tea“, die wir im Zweifel für uralt halten, ist übrigens
deutlich jünger als das genannte Abstimmungsgesetz, diese „Teatime“ stammt erst
aus der Zeit von Queen Victoria. - Und die setzt sich vor oder nach dem Tee und
überhaupt gern ans Klavier und spielt, vielleicht auch eine Canzonetta des Haydn-
Schülers Thomas Haigh, eine von seinen „Three Canzonettas of Dr. Haydn’s“ als
Rondo arrangiert für das Piano Forte:

Musik 1              Thomas Haigh            2´52 
                     „Canzonetta II: Rondo. Allegretto“
                     aus: Three Canzonettas of Dr. Haydn’s
                     arranged as Rondos for the Piano Forte (1796)
                     Rebecca Maurer, Fortepiano (Broadwood, 1816)
                     GEN 19650, LC 12029

Auf einem Fortepiano der englischen Firma Broadwood von 1816 hat Rebecca
Maurer die Canzonetta II des Haydn-Schülers Thomas Haigh gespielt.
Dieser „Thomas Haigh of Manchester“ war Geiger und Pianist. Als Komponist hat er
sich vor allem einen Namen mit Arrangements von Stücken bekannter Kollegen wie
Händel, Corelli, Mozart und Rossini gemacht. In seinen „Three Canzonettas of Dr.
Haydn’s“ greift Thomas Haigh auf die „English Canzonettas“ von Haydn zurück, die
wiederum auf englischen Volksliedern basieren. - Haydns Musik war schon zu seinen
Lebzeiten in England ausgesprochen beliebt. Kaum war eines seiner Werke
erschienen, da fand sich auch schon ein Londoner Komponist, der es für Klavier
bearbeitet hat.

Das 19. Jahrhundert ist die große Zeit der Hausmusik. In London ist das Bedürfnis
nach Bearbeitungen groß: Musikfreunde wollen die Melodien und Stücke, die sie in
einem Konzert erlebt haben, zuhause nachspielen! Vielleicht in kleinerer
Streicherbesetzung, vor allem aber am Klavier. Und wenn man kein Grand Piano hat,
dann tut es auch ein Tafelklavier. Das nimmt nicht soviel Platz wie ein Flügel ein,
man kann es zuklappen und mit einer Tischdecke darüber auch als Anrichte
benutzen.

                                                                                         3
Zu den Abnehmern von Klavier-Bearbeitungen aller Art zählen auch Victoria und
Albert – und die müssen sich nicht mit einem Tafelklavier begnügen:
In jedem ihrer Wohnsitze stehen später ein oder mehrere Flügel, allerdings ziehen
sie die Instrumente der französischen Firma Erard denen von Broadwood vor. Und
sie favorisieren Arrangements (und natürlich Originalliteratur) für Klavier zu vier
Händen, denn sie sitzen am liebsten gemeinsam am Instrument:

Musik 2             Wolfgang Amadeus Mozart            3´36 
                    „Menuetto - Trio“
                    aus: Sonate C-Dur KV 19d (Autorschaft nicht gesichert!)
                    Duo Yaara Tal & Andreas Groethuysen, Klavier
                    Sony 88765400772, LC 6868

Menuetto und Trio aus der Sonate C-Dur KV 19d, die vermutlich doch nicht vom
jungen Mozart stammt – da ist sich die Musikwissenschaft inzwischen ziemlich
sicher. Hier hat das Duo Yaara Tal & Andreas Groethuysen gespielt. Doch ob von
Mozart oder nicht - reizvolle Musik ist es allemal und ich kann mir diesen zarten Satz
gut als Zwiegespräch eines jungverheirateten Paares am Klavier vorstellen: Victoria
und Albert mögen jeder für sich den Notentext geübt haben, dann bedeutet eine
gemeinsame halbe Stunde am Klavier eine Auszeit von Regierungsgeschäften und
Kindergeschrei.

Wobei Victoria sich mit Mozart nie wirklich anfreunden kann. Schon ihr
Gesangslehrer, der italienische Sänger Luigi Lablache, hatte versucht, ihr Mozart
näher zu bringen, daraufhin notiert Victoria in ihr Tagebuch:
      „Ich bin eben eine furchtbar moderne Person, und ich muss sagen,
      dass ich Bellini, Rossini, Donizetti etc. allem anderen vorziehe“,
Ein bisschen verwundert fügt sie hinzu, dass Lablache, ‚der Musik durch und durch
verstehe, gesagt habe, Mozart - ‚C’est le Papa de tous‘.

Bei ihrer Hochzeit liebt sich das junge Paar aufrichtig – aber sie kennen sich kaum,
eigentlich nur vier Monate, und dann gab es noch eine frühere Begegnung im
Teenageralter. Jetzt sind beide 21 Jahre alt und frisch verheiratet. Albert weiß, dass
er eine pflichtbewusste Frau mit Temperament geheiratet hat, sie wiederum schätzt

                                                                                         4
seine besonnene Art und sein gutes Aussehen. Kunstsinn haben sie beide, und
vielleicht ist die Liebe zur Musik für beide die wichtigste Facette. Sie singt Sopran, er
singt Bass, beide spielen Klavier und Albert hat bereits etliche Lieder geschrieben -
und ein kleines Stück für Geige und Klavier, eine sehnsuchtsvolle Melodie, kaum
zwei Minuten lang:

Musik 3              Prinz Albert von Sachsen-Coburg           1´55 
                     „Melodie für Violine“
                     Iona Brown, Violine
                     Jennifer Partridge, Klavier
                     Decca 4802091, LC 6646

Iona Brown, am Klavier begleitet von Jennifer Partridge, mit der „Melodie für Violine“
von Prinz Albert von Sachsen-Coburg.

Dieser Prinz ist jetzt der Mann einer Königin und er steht vor einer schwierigen
Aufgabe: Er muss seine Rolle an der Seite dieser Königin finden. Eine erste
Auseinandersetzung haben Victoria und Albert schon vor ihrer Hochzeit, das Thema
ist die Hochzeitsreise. Albert möchte mindestens zwei Wochen alleine mit seiner
jungen Frau verbringen. Doch die weist ihn in einem ausführlichen Brief ab, fast ein
bisschen schnöde:

„Lieber Albert, Du verstehst es einfach nicht. Du vergisst, mein Liebster, dass ich die
Regentin bin und dass die Staatsgeschäfte für nichts und niemanden stillstehen.
Das Parlament tagt, und es ist beinahe jeden Tag etwas los, für das meine
Anwesenheit vonnöten sein könnte, daher ist es ganz unmöglich für mich, nicht in
London zu sein.“

Zwei, drei Tage seien da schon eine lange Zeit, schreibt Victoria – aber die sind dann
wohl drin.

Victoria liebt ihren Albert – aber das bedeutet keineswegs, dass sie ihre Arbeit
vernachlässigen will oder und ihr Pensum reduziert. Und wieweit sie sich ein
Regieren im Team denkt ist am Anfang auch nicht klar, die Königin fürchtet
Autoritätsverlust. Albert schreibt an einen Freund:

                                                                                        5
„Ich bin der Ehemann, aber nicht der Herr im Haus.“
Er sehnt sich nach seinen Wäldern in Franken und tut sich in der ersten Zeit auch mit
der Sprache schwer. Dieser erste Frühling wird trotz aller Liebe nicht ganz leicht. Das
junge Paar muss erst seinen Weg finden.
Ein beschwingtes Lied wie „Coming Home“ von Arthur Sullivan wird Albert da noch
nicht über die Lippen gekommen sein, aber vielleicht lernt er bald die schönen Seiten
seines neuen „Home“ kennen. Es gehört schon zu den besonders schönen
Erlebnissen, im Frühjahr durch die südenglischen Wälder mit ihren Teppichen von
Bluebells zu streifen, zu Fuß oder auch zu Pferd, wie es eher nach Victorias
Geschmack ist. Dazu passt das leichte Duett „Coming home“, hier singen es Felicity
Lott und Ann Murray:

Musik 4             Arthur Sullivan                          3´30
                    "Coming Home"
                    Felicity Lott, Sopran
                    Ann Murray, Mezzosopran
                    Graham Johnson, Klavier
                    EMI 5 74206 2, LC 6646

Arthur Sullivan - „Coming home“, gesungen von Felicity Lott und Ann Murray. Am
Klavier hat sie Graham Johnson begleitet.

Für viele Politiker in Großbritannien ist der Mann an der Seite ihrer mächtigen
Königin nur der Prinz eines unbedeutenden, kleinen Herzogtums in Deutschland. Für
Albert ist das keine gute Ausgangsposition, doch er sieht sein Leben nicht im
Schatten der Königin. Die Politik ist das Eine, hier wird Albert seinen Weg finden,
ganz konkrete Begegnungen innerhalb der Familie aber das andere: Noch zwei
Jahre nach ihrer Hochzeit kommt es bei einem Treffen mit Victorias Onkel, dem
Herzog von Cumberland und inzwischen König von Hannover, fast zum Eklat: Bei
einer Hochzeit in der Verwandtschaft, bei der sie alle eingeladen sind, sei es „fast zu
Faustschlägen gekommen“, schreibt Albert später an seinen Bruder und erzählt sehr
lebendig, was da vorgefallen ist:
Der König „machte am Altar Attacken auf den Platz, wo wir standen, wollte mich
heraustreiben und gegen alle Sitte mit Gewalt sich Victorias bemächtigen und sie
zwingen, sich von ihm führen und mich hinterdrein tappeln zu lassen.

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Ich war genötigt, ihm mit einem derben Puff einige Stufen hinunter zu helfen, wo ihn
dann der Oberkammerherr beim Arm nahm und ihn zur Kapelle hinausführte.“
Soweit Albert – aber das war noch nicht alles:
„Eine zweite Szene hatten wir, als er mir nicht erlauben wollte, mit Victoria als (Trau-)
Zeugen das Register zu unterschreiben und die Faust auf das Buch legte. Wir
manövrierten um den Tisch herum, und Victoria ließ sich das Buch hinüberreichen.
Da ihn nun der Tisch von uns trennte, musste er es geschehen sehen (...) und
verließ im Zorn die Gesellschaft, außer sich über seine Niederlagen.“
(Soweit Prinz Albert.)

So offen wie Cumberland zeigt sonst kaum einer bei Hof Prinz Albert seine
Ablehnung und allmählich zeichnet sich auch ein Umschwung ab:
Es gelingt dem Prinzen, im Haushalt eigene Anhänger zu etablieren. Als sich auch
noch die Vertraute und frühere Erzieherin von Victoria, Baronin von Lehzen, für
immer nach Deutschland verabschiedet, entspannt sich die Situation grundlegend.
(Irgendetwas muss da vorgefallen sein, in jedem Fall wusste Albert, dass sie gegen
ihn intrigiert hat - vermutlich aus Angst vor Machtverlust, das alte Thema.)
Jetzt ist der Weg frei zum ‚Team Victoria und Albert‘, das zwanzig Jahre lang
erfolgreich regiert - manchmal sicherlich auch mit Humor:
„Rule Britannia!“
Musik 5             Trad. , arr. Vignoles               2´08
                    „Rule, Britannia!“
                    Sarah Walker, Mezzosopran
                    Thomas Allen / Roger Vignoles, Klavier
                    CDA66165, LC 7533

“Rule Britannia! Britannia rule the waves and Britons never, never, never shall be
slaves.”(Regiere, Britannia, Britannia, regiere die Wellen und Briten werden nie, nie,
nie zu Sklaven werden.)

So heißt der originale Text der heimlichen Nationalhymne Englands von Thomas
Arne. Besucher der Proms, vor allem der berühmten ‚Last Night‘, mit der diese
Sommer-Konzertreihe in jedem September in London zu Ende geht, können ihn
auswendig. Hier hat der Pianist Roger Vignoles Lied und Text von Thomas Arne
verändert und mit dem Folksong „The Mermaid“ – „Die Meerjungfrau“ verquickt. Die
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Sänger Sarah Walker und Thomas Allen und am Klavier Roger Vignoles haben
hörbar Spaß daran!

Im Juni 1842 erwarten Victoria und Albert - musikalisch gesehen - hohen Besuch in
Buckingham Palace: Sie haben Felix Mendelssohn eingeladen, der gerade in London
ist und dessen Musik sie beide bewundern und häufig spielen. Jetzt sind sie ein
bisschen nervös...
Mendelssohn ist eher kritisch gegenüber höfischen Konventionen eingestellt, doch
diese Einladung ist eine große Ehre und selbstverständlich hat er zugesagt - und ist
dann ist er überrascht, wie locker der Umgang mit dem Königspaar ist. In einem Brief
nach Hause beschreibt er Victoria als "hübsche, allerliebste Königin, die so
mädchenhaft und schüchtern, freundlich und höflich ist“ - und die vor allem alle seine
Sachen kenne. Wie selbstverständlich setzt er sich ans Klavier und spielt eines
seiner Lieder ohne Worte. Zu seinen jüngsten gehört das „Allegretto grazioso“ in A-
Dur, das er erst zwei Wochen zuvor geschrieben hat: „Frühlingslied“ .

Musik 6                Felix Mendelssohn                     2´02
                       „Allegretto grazioso - Frühlingslied“ A-Dur (1. Juni 1842)
                       aus: „Lied ohne Worte“ Heft 5 op. 62 Nr. 6
                       Matthias Kirschnereit, Klavier
                       0300639BC, LC 12029

Matthias Kirschnereit mit dem Lied ohne Worte „Allegretto grazioso“ A-Dur op. 62 Nr.
6 – „Frühlingslied“.

Nach Mendelssohns Spiel lässt sich Victoria überreden, ein Lied zu singen.
Allerdings erst nach einer kleinen Aktion, denn – so Victoria - :
"erst muss der Papagei hinaus, sonst schreit er lauter als ich singen kann".
Mendelssohn trägt den Vogel selbst hinaus, mitsamt seinem Käfig, während die
Dienerschaft die Szene schmunzelnd beobachtet.

Victoria wählt das Lied "Italien", das unter Felix Mendelssohns Namen veröffentlicht
worden ist. Später stellt der Komponist richtig, dass seine Schwester Fanny die
Komponistin des Liedes sei und in einem Brief nach Hause gesteht er, dass er das
nicht gern zugegeben habe...

                                                                                       8
Victoria also singt und Mendelssohn begleitet - und kommentiert später, dass die
Königin das Lied "ganz allerliebst rein und streng im Takt“ gesungen habe:

„... das letzte habe ich von keiner Dilettantin besser und reiner und natürlicher
gehört."

Musik 7             Fanny Mendelssohn                                2´06
                    "Italien" op 8,3
                    Susan Gritton, Sopran
                    Eugene Asti, Klavier
                    CDA 67110, LC 7533

Das Lied "Italien" von Fanny Mendelssohn. Sie hörten Susan Gritton und am Klavier
Eugene Asti.

Mendelssohn kommt in diesem Sommer 1842 noch ein weiteres Mal in den Palast
und auch in den folgenden Jahren besucht er Victoria und Albert, wenn er in London
ist. Zwischen den Royals und ihm entwickelt sich eine Freundschaft. - Victoria notiert
in ihr Tagebuch, dass Mendelssohn sehr angenehm und bescheiden sei, liebenswert
und klug. Sie beschreibt sein intellektuelles Aussehen und vor allem sein Klavierspiel
mit diesem „unglaublich schönen Anschlag“. Die Königin schenkt dem Komponisten
als Andenken an ihr erstes Treffen einen Ring, eingraviert sind ihre Initialen V.R. –
Victoria Regina - und die Jahreszahl. Mendelssohn wiederum bittet Ihre Hoheit um
Erlaubnis, Ihnen beiden seine Schottische Sinfonie widmen zu dürfen - und weil er
mitbekommt, wie gerne die beiden vierhändig spielen, bearbeitet er die Sinfonie auch
gleich für Klavier zu vier Händen und schickt die Noten in den Buckingham Palace.

Vielleicht haben Victoria und Albert auch sein Jugendwerk zusammen gespielt, das
schwärmerische Streich-Oktett in Es-Dur, auch das hat Mendelssohn selbst für
Klavier zu vier Händen arrangiert. Vor allem zum
transparenten und leichten Scherzo passt der perkussive Charakter des Klaviers. Am
schönsten beschreibt diesen Satz Fanny Mendelssohn:
„Das ganze Stück wird staccato und pianissimo vorgetragen,die einzelnen
Tremulando-Schauer, die leicht aufblitzenden Pralltriller, alles ist neu, fremd und
doch so ansprechend, so befreundet, man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so

                                                                                        9
leicht in die Lüfte gehoben, ja, man möchte selbst einen Besenstil zur Hand nehmen,
der luftigen Schar besser zu folgen.“

Musik 8              Felix Mendelssohn                              5´28
                     3. Satz: „Scherzo. Allegro Leggiero“
                     aus: Oktett Es-Dur op. 20
                     bearb. für Klavier zu vier Händen
                     Duo Lontano
                     GEN 15359, LC 12029

Das Duo Lontano mit dem 3. Satz: „Scherzo. Allegro Leggiero“ aus dem Oktett Es-
Dur op. 20 von Felix Mendelssohn, in seiner eigenen Bearbeitung für Klavier zu vier
Händen.

Zwischen dem Musiker und der Königin gibt es auch über die Musik hinaus
Gesprächsthemen: Als Queen Victoria Mendelssohn bei einem seiner Besuche fragt,
er habe ihnen jetzt so viel Freude bereitet, womit denn sie ihm jetzt noch eine Freude
machen könne, kommt die Antwort, er würde liebend gerne einmal die königlichen
Kinder in der Nursery spielen sehen, schließlich sei er selbst Vater. Auf dem Weg
zum Kinderzimmer durch den weitläufigen Palast (hier um die Ecke, da einen langen
Flur entlang) habe man sich dann über „homely subjects“ ausgetauscht, notiert
Victoria später, über Haushalts- und Familiendinge.
Als Victoria und Albert nur wenige Jahre später (1847) von Mendelssohns Tod
erfahren sind sie tief erschüttert.

Längst hat sich das Familienleben im Buckingham Palace eingespielt und damit
verknüpft auch ihrer beider Arbeit als Regierungs-Team. Gemeinsam arbeiten
Victoria und Albert die berühmten roten Boxen mit der Korrespondenz durch. Victoria
muss Alberts Englisch auch nicht mehr korrigieren und ist längst bereit, den
jeweiligen Premierminister mit ihrem Mann zusammen zu empfangen. Ihre frühere
Furcht, ‚in der Ehe sei die Frau nichts als die Sklavin des Mannes und müsse sich
ihm in allem unterordnen‘, hält ihrer Gegenwart glücklicherweise nicht stand: Sie sind
einander ebenbürtig – in all ihrer Unterschiedlichkeit. Eines aber muss Victoria

                                                                                    10
alleine erledigen: Sie bekommt in 17 Jahren neun Kinder, sie ist also achtzig Monate
lang schwanger...
Dass sie sich während der Schwangerschaften und den Erholungszeiten danach auf
ihren Mann verlassen kann ist für sie eine große Hilfe. Mit der Zeit überlässt Victoria
Albert immer mehr Aufgaben und Entscheidungen. Das wird sich erst in den 1860er
Jahren wieder ändern, nach Alberts frühem Tod.
Jetzt aber schallt es erstmal gutgelaunt aus dem Kinderzimmer, englisch wie
deutsch: „Die Kaffeevisite“ aus dem „Liederbuch für Kinder“ von Josef Rheinberger:

Musik 9             Josef Rheinberger                         1´34
                    „Die Kaffeevisite“
                    aus: Liederbuch für Kinder op. 152
                    Julia Großsteiner, Sopran
                    Philipp Heiß, Klavier
                    ARS 38553, LC 06900

Julia Großsteiner, am Klavier begleitet von Philipp Heiß, mit einem der kurzen Lieder
aus dem „Liederbuch für Kinder“ von Josef Rheinberger.

Mit Kindern etwas anfangen kann Victoria immer erst, wenn sie ein bisschen älter
sind, in den ersten sechs Monaten seien Kinder „recht eigentlich bloße Pflanzen“ sagt
sie einmal. Schwangerschaften sind ihr ein Gräuel und Geburten fallen für sie in die
gleiche Kategorie „potentieller Desaster“ wie Attentate, wie die Biographin Karina
Urbach schreibt. Unverblümte Sätze – so, wie sie es empfindet. Kinder bekommt
Victoria neun, Attentate überlebt sie sieben.

Das Leben in der Öffentlichkeit fordert ihren Tribut. Die Familie sucht sich ein
Eigenheim fern der Großstadt. Sie finden ein großes Stück Land auf der Isle of Wight
und Albert entwirft und plant Osborne House, ein großes Anwesen im italienischen
Stil. Abwechselnd lebt die Familie jetzt in London, auf der Isle of Wight im Süden und
später kommt auch noch Schloss Balmoral in Schottland dazu, das bis heute das
Sommerdomizil der englischen Königsfamilie ist. Die Liebe zu Schottland entdecken
Victoria und Albert während sie Sir Walter Scott lesen, die Romande „Ivanhoe“,
„Waverley“, „The Bride of Lammermoor“ und wie sie alle heißen. Die meisten spielen

                                                                                     11
alle in den wilden Highlands mit seinen Mooren und kahlen Bergen, nach denen man
wirklich Sehnsucht entwickeln kann.

Gut zwanzig Jahre teilen Victoria und Albert „bed and desk“, Bett und Schreibtisch.
Die roten Boxen mit der aktuellen Korrespondenz, Akten und Arbeit und auch die
Stapel von Noten haben sie immer dabei, wenn sie für mehrere Wochen den
Wohnsitz wechseln. Die wachsende Kinderschar mitsamt ihrer Nanny-Schar
natürlich auch: Vicky, Edward, Alice, Alfred, Helena, Louise, Arthur, Leopold und
schließlich als Jüngste die 1857 geborene Beatrice.
Soweit ich es in Victorias Briefen und Tagebuch nachlesen kann, sind sie eine
glückliche Familie mit allem was dazu gehört. Sie inszenieren sich aber auch als
glückliche Familie. Immer wieder geben sie Porträts in Auftrag: Da sitzen Victoria und
Albert dann inmitten ihrer Kinder, ein Hund darf nicht fehlen, es ist Bewegung in
diesen Szenen. Später lassen sich auch fotografieren. Die Botschaft: Das
Königshaus funktioniert, die Royals leben in geordneten Familienverhältnissen mit
Anstand und Sitte, die Zeiten von Laster Ausschweifung in der Elterngeneration sind
vorbei.

Es ist ein dichtes Leben, dass sie führen. Der Satz „I call it a day“ – „Ich mache
Schluss für heute“ wird ihnen manches Mal nur noch müde über die Lippen
gekommen sein. Für genau solche Momente hat Arthur Sullivan seinen Part-Song
„The long day closes“ geschrieben - „Der lange Tag neigt sich“.
Hier singen es die King’s Singers für die Queen:

Musik 10            Arthur Sullivan                           4´15
                    „The long Day closes“
                    The King’s Singers
                    SIG147, LC 15723

The King’s Singers mit „The long Day closes“ – aus den „Seven Partsongs“ von
Arthur Sullivan. - Wenn Sie den Namen ‚Sullivan‘ vor allem in der Verbindung mit
‚Gilbert‘ kennen und an die späte Opernkarriere dieses romantischen Komponisten
denken, dann gibt es noch Musik zu entdecken: Sullivan hat allein über hundert Lied-
und Chorsätze geschrieben, darunter wunderbare Partsongs, mehrstimmige
Liedsätze.
                                                                                      12
Mit der ersten Weltausstellung in London im Jahr 1851 bekommt Prinz Albert
endgültig die Anerkennung in England, auf die er so lange hingearbeitet hat. Zwei
Jahre ist er intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt, treibt Spenden ein, gestaltet
das Programm der Ausstellung mit und arbeitet bei der Planung des ‚Crystal Palace‘
eng mit den Architekten zusammen. Allein dieses 600 Meter lange Gebäude aus
Stahl und Glas, das mitten im Hyde Park errichtet wird, sprengt alle Vorstellungen.
Viele lernen den Prinzen erst jetzt, in den unzähligen Planungstreffen und
Besprechungen, wirklich kennen – und schätzen. Der Erfolg dieser gigantischen
Veranstaltung ist überwältigend: 17.000 Aussteller kommen nach London und zeigen
die neuesten Entwicklungen und Produkte in den Bereichen Kunsthandwerk,
Maschinenbau, Wissenschaft und Kunst. Von Mai bis Oktober 1851 kommen sechs
Millionen Besucher – und bringen Geld ins Land.
Die Skeptiker sagen nichts mehr gegen den Mann der Königin, und letztlich infolge
dieser Veranstaltung erhält Albert den Titel ‚Prince Consort‘ – Prinzgemahl. Der Prinz
zu Sachsen-Coburg ist endlich angekommen.
Die Folgen der Weltausstellung sind vielfältig: Es wird so viel Geld eingenommen,
dass etliche Institutionen in London gegründet werden wie das Victoria and Albert
Museum. Das Königspaar aber ist der Erschöpfung nahe. - Vielleicht spielt Albert
jetzt auf seiner privaten Orgel statt Bach und Mendelssohn die Bearbeitung einer
Oper, Victoria könnte ein Manual übernehmen und dann klingt ein beschwingter
„Barbier de Sevilla“ so:

Musik 11            Gioacchino Rossini                  5´27 
                    „Andante maestoso – Allegro con brio“
                    aus: Il Barbiere die Siviglia
                    Sinfonie per organo a quattro mani
                    Federica Iannella & Giuliana Maccaroni, Orgel
                    TC 791815, LC ?

Die SWR“-Musikstunde geht zu Ende mit der Ouvertüre zum „Barbier de Sevilla“ von
Gioacchino Ross

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