"Packen wir's an!" Arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen im Zentrum der Prävention 2021-2022 - Sichere Arbeit
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„Packen wir’s an!“ Arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen im Zentrum der Prävention 2021–2022 GOOD PRACTICE IM KMU: „Ausgezeichneter“ Gesundheitsschutz 18 PFLEGE: Kinästhetik reduziert die physische Belastung 26 DIGITALE TECHNOLOGIEN: Digitale Technologien im Vormarsch 40
Claudia S., 26 Jahre, Kassiererin Fehlbelastungen bei der Arbeit haben eine chronische Sehnenscheidenentzündung verursacht. Das muss nicht sein. Packen wir’s an! Foto: ©Pixel_Shot - stock.adobe.com Packen wir‘s an! Eine Initiative der AUVA gegen Muskel-Skelett-Erkrankungen www.auva.at/mse
PRÄVENTION Bestellen S ie die kostenlos os Wir tun alles, svide Prävention : damit nichts der AUVA passiert! t/ ww.auva.a videos Die AUVA tut alles, damit Ihr Arbeitsumfeld noch sicherer wird und Sie sich wohl fühlen. Durch zahlreiche präventive Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten konnte die Zahl der Arbeitsunfälle pro 1.000 Beschäftigte in den letzten fünf Jahren von 24,73 auf 23,96 gesenkt werden. Prävention, Unfall- heilbehandlung, Rehabilitation und finanzielle Entschädigung sind die Kernaufgaben der AUVA als gesetzliche Unfallversicherung. www.auva.at
X I N H A LT IMPRESSUM Medieninhaber: Packen wir’s an! Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) AUVA Hauptstelle Vienna Twin Towers Als Partner der Unternehmen unterstützt die AUVA diese bei der Wienerbergstraße 11, 1100 Wien Wahrnehmung und Umsetzung ihrer gesetzlichen Präventionsauf- Tel. +43 5 93 93-22903 gaben. Wir erfüllen diese Kernaufgabe im Rahmen unterschiedlicher www.auva.at DVR: 0024163 Aktivitäten und Angebote. Für Präventionsschwerpunkte nehmen wir Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: ATU 162 117 02 jeweils ein Thema speziell in den Fokus. Neben konkreten Angeboten für die Unternehmen und Beschäftigten werden dabei auch Informa- Herausgeber: tion und Bewusstseinsbildung forciert. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) AUVA Hauptstelle Vienna Twin Towers Wienerbergstraße 11, 1100 Wien Tel. +43 5 93 93-22 903 Beauftragter Redakteur: Wolfgang Hawlik, Tel. +43 5 93 93-22907 wolfgang.hawlik@auva.at Redaktion: Wolfgang Hawlik, Tel. +43 5 93 93-22907 wolfgang.hawlik@auva.at DI Mario Watz Mag. Ingrid Reischl Titelbild: Adobe Stock/pathdoc Der aktuelle Schwerpunkt Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) ist an Bildredaktion/Layout/Grafik: Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH die aktuelle Europäische Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – Entlas- 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 ten Dich!“ angelehnt und von der Überzeugung geprägt, dass MSE sicherearbeit@oegbverlag.at vermeidbar sind. Art-Director: Reinhard Schön reinhard.schoen@oegbverlag.at Dieses Sonderheft gibt einen Überblick über den Schwerpunkt – von Abo/Vertrieb: der kostenlosen Beratung in den Betrieben über die Bemessung un- Bianca Behrendt terschiedlicher Risikofaktoren bis hin zur Fort- und Weiterbildung so- Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH wie der Vielzahl an Informationsmaterialien, die Sie auf der Website 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 www.auva.at/mse finden. Tel. +43 1 662 32 96-0 abo.sicherearbeit@oegbverlag.at Ganz nach dem Motto „Packen wir’s an – gemeinsam im Dienste der Anzeigenmarketing Prävention.“ Peter Leinweber taco media gmbh peter.leinweber@taco-media.at +43 676 897 481 200 DI Mario Watz, Erscheinungsweise: Obmann der AUVA Zweimonatlich Hersteller: Mag. Ingrid Reischl, Leykam Druck GmbH & CoKG, 7201 Neudörfl, Bickfordstr. 21 Obmann-Stv. der AUVA Der Nachdruck von Artikeln, auch auszugsweise, ist nur mit schrift- licher Genehmigung des Herausgebers bzw. Verlages gestattet. Für Inserate bzw. die „Produkt-Beiträge“ übernimmt die Allgemeine © D. Beranek, L. Schedl Unfallversicherungsanstalt keine Haftung. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs.1 und 2 Urheberrechtsge- setz, sind vorbehalten. Offenlegung gemäß Mediengesetz, § 25: www.sicherearbeit.at 4 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
„PACKEN WIR’S AN!“ 6 18 „Packen wir’s an!“ – Arbeitsbedingte Muskel- Skelett- Erkrankungen im Zentrum der Prävention 2021–2022 MARIE JELENKO PSYCHOSOZIALE BELASTUNGEN 12 Psychosoziale Belastungen – physische Auswirkungen IRENE LANNER GOOD PRACTICE IM KMU 18 „Ausgezeichneter“ Gesundheitsschutz ROSEMARIE PEXA © R. Gryc MSE & BILDSCHIRMARBEIT 22 Gesund am Bildschirmarbeitsplatz – aber wie? 26 MICHAELA STREBL PFLEGE26 Kinästhetik reduziert die physische Belastung in der Pflege ISABEL KAUFMANN LAND- UND FORSTWIRTSCHAFT 32 Ein Sektor mit großen Herausforderungen ROSEMARIE PEXA ARBEITSPLATZ KRAFTFAHRZEUG 36 Arbeitsplatz Pkw © R. Gryc ROSEMARIE PEXA DIGITALE TECHNOLOGIEN 40 40 Digitale Technologien im Vormarsch NORBERT LECHNER EXOSKELETTE46 Exoskelette – Fluch oder Segen? NORBERT LECHNER STANDARDS50 Produkte Alle Artikel auch auf © N. Lechner www.sicherearbeit.at S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 5
X „ PAC K E N W I R ’ S A N ! “ „Packen wir’s an!“ Arbeitsbedingte Muskel-Skelett- Erkrankungen im Zentrum der Prävention 2021–2022 6 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) prägen das Krankheitsgesche- hen in der österreichischen Erwerbsbevölkerung. Sie sind mit per- sönlichen Leidensgeschichten ebenso verbunden wie mit beträchtli- chen individuellen, betrieblichen und gesellschaftlichen Folgekosten. Umso wichtiger ist die wirksame Prävention von MSE. MARIE JELENKO M SE sind Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates (z. B. von Wirbelsäule und Gelenken, Muskeln, Sehnen, Bändern). Sie gehören zu den häufigsten arbeitsassoziierten Erkrankungen in Ös- terreich. Bestimmte Bedingungen der Arbeit wie etwa langes Sit- zen, das Heben und Bewegen von Menschen oder schweren Lasten sowie häufig wiederholte Hand- und Armbewegungen tragen wesentlich zur Entwicklung von MSE bei. Zudem erhöhen Einwirkungen des unmittelbaren Arbeitsumfelds wie etwa Zeitdruck, schlecht ausgestattete Arbeitsplätze oder unzureichende Arbeitsor- ganisation das Erkrankungsrisiko. Rückenschmerzen sowie Schmerzen im Bereich von Nacken, Schultern und Armen zählen zu den häufigsten arbeitsbedingten MSE (siehe Abbildung 1). Muskel-Skelett-Erkrankungen – ein Thema der AUVA? Rund ein Fünftel (21,3 %) der dokumentierten jährlichen Krankenstandstage in Österreich sind auf MSE zurückzuführen. Dieser hohe Anteil ist in den letzten Jahr- zehnten weitgehend stabil und hängt nicht zuletzt mit der langen Fehlzeitendauer pro MSE-Fall von durchschnittlich über 2 Wochen (15,5 Tage) zusammen. Zwar sind die MSE-Anteile an allen Krankenstandstagen bei Männern und Frauen in etwa gleich hoch, doch es erkranken um ein Fünftel mehr Männer an MSE, wäh- rend bei Frauen die Krankenstandsdauer rund zweieinhalb Tage länger ist. Auch das Alter spielt eine wesentliche Rolle im MSE-Geschehen – nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch relativ. Der Anteil von Fehlzeiten durch MSE nimmt im Vergleich zu anderen Diagnosegruppen mit zunehmendem Alter stark zu. Daten aus Oberösterreich zeigen eine deutliche Steigerung ausgehend von 10 % aller Kran- kenstandstage durch MSE bei den jungen Arbeitskräften auf rund ein Drittel in der Gruppe der 50- bis 64-Jährigen (vgl. Leoni 2020). In diesem Sinne leisten Investitionen in die Prävention von MSE einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der langfristigen Arbeitsfähigkeit. Die berufliche Tätigkeit hat eine wesentliche Bedeutung für die Entstehung von MSE. Etwa 40–50 % aller MSE lassen sich auf die Arbeit zurückführen. Allerdings sind eindeutige und direkte Zu- sammenhänge mit dem Beruf oft schwer herzustellen, da es sich bei MSE in der © Adobe Stock Regel um ein multikausales Geschehen handelt. Organisatorische Faktoren der Ar- beit wie etwa lange Arbeitszeiten oder sich wiederholende und monotone Tätigkei- ten spielen ebenso eine Rolle wie soziostrukturelle und individuelle physische und S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 7
X „ PAC K E N W I R ’ S A N ! “ Arten und Ausprägungsformen von MSE psychosoziale Faktoren (z. B. Geschlecht, Einkommen, Alter, Qualifikation, Betreuungsverpflichtungen, Vorerkrankun- gen). Im österreichischen Berufskrankheiten-Recht können nur wenige, sehr spezifische MSE-Diagnosen den gelisteten Berufskrankheiten (BK) zugeordnet werden. Das betrifft der- zeit die BK 20 und die BK 22 bis 25 (siehe Liste der Berufs- krankheiten, abruf bar unter www.auva.at/berufskrankheiten; vgl. AUVA 2021). Unabhängig von der Zuordnung zur Berufskrankheitensys- tematik oder zu sonstigen beruflichen Erkrankungen ist die Abbildung 1: Arten und Ausprägungsformen von MSE Bedeutung einer wirksamen Prävention von arbeitsbedingten MSE für Gesellschaft und Wirtschaft sehr hoch. Das betonen Kostenabschätzungen der AUVA von arbeitsbedingten Er- krankungen und Unfällen auf Basis des WIFO-Fehlzeitenre- Krankenstandstage nach Krankheitsgruppen ports 2020 und von WIFO-Kostenberechnungen (vgl. AUVA 2021; Leoni 2020; Leoni et al. 2020). Demgemäß verursachen MSE langfristig Kosten von rund 1,6 Mrd. Euro. Das sind 16 % der jährlichen Kosten des arbeitsbedingten Krankheits- und Unfallgeschehens insgesamt. Die Erwerbstätigen tragen mit rund 960 Millionen Euro kurz- und langfristig den größ- ten Teil dieser Kosten, gefolgt vom Gesundheits- und Sozi- alsystem und den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern (siehe Abbildung 3). Mit der Prävention von arbeitsbedingten MSE wird zudem ein Beitrag zur Reduktion von Arbeitsunfällen geleistet. Denn physische Fehlbelastungen wie etwa das Heben schwe- Abbildung 2: Krankenstandstage nach Krankheitsgruppen, Österreich, 1994–2019. rer Lasten führen zu akuter Ermüdung und erhöhen die Quelle: Leoni 2020, S. 48 Wahrscheinlichkeit für Unfälle. In Österreich geschieht jeder zehnte Arbeitsunfall in Zusammenhang mit physischen Belas- tungen. Das ist die vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfälle MSE-Folgekosten nach Stakeholder insgesamt (siehe Abbildung 4). Gesamt rund 1,6 Mrd. Euro pro jährlicher Erkrankungsfälle in Österreich Ziele und Angebote des Präventions schwerpunktes Im Sinne ihres gesetzlichen Auftrages zur Prävention von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen stellt die AUVA die Vorbeugung von arbeitsbedingten MSE sowie von Arbeits- unfällen in Zusammenhang mit physischen Belastungen der- zeit in den Mittelpunkt ihrer Präventionsaktivitäten. Dafür hat sie in Anlehnung an die aktuelle Europäische Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ den Präventions- schwerpunkt 2021–2022 „Packen wir’s an!“ ins Leben geru- Abbildung 2: Krankenstandstage nach Krankheitsgruppen, Österreich, 1994-2019 fen. Zentrale Botschaft ist: „Muskel-Skelett-Erkrankungen sind vermeidbar!“ Abbildung 3: Arbeitsunfälle nach Ursache Die AUVA unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung der gesetzlichen Präventionsaufgaben. Die folgenden Angebote zielen darauf ab, das Risiko von Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern, an arbeitsbedingten MSE zu erkranken oder in 8 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
Bewegung mit/unter körperlicher Belastung ist die vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfälle Abbildung 4: Ursachen für Arbeitsunfälle Zusammenhang mit physischen Fehlbelastungen bei der Ar- nomischer Verfahren wie etwa den neuen Leitmerkmalme- beit zu verunfallen, zu minimieren: thoden und arbeitspsychologischer Instrumente wie EVA- n kostenlose Beratungen in Betrieben, wie z. B zur rich- LOG oder ABS-Gruppe werden körperliche und psychische tigen Lastenhandhabung, zum Einsatz von Arbeits- und Belastungen objektiviert, Risiken bewertet und geeignete Hilfsmitteln zur Entlastung von AN oder zur optimalen Maßnahmen abgeleitet (siehe auch www.eval.at). Die Arbeits- Einstellung von Bildschirmarbeitsplätzen platzevaluierung ist in den Unternehmen für die dort vorhan- n Fort- und Weiterbildungen für Präventivfachkräfte und denen konkreten Arbeitsplätze durchzuführen und folglich an andere betriebliche Stakeholder auf dem Gebiet der den Gegebenheiten im Unternehmen und an der dort vor- MSE-Prävention herrschenden Praxis orientiert. n unterstützende Informationsmaterialien und Tools, die gesammelt auf der eigens dafür eingerichteten Website Es reicht aber nicht aus, Arbeitsplätze gut zu gestalten, sondern www.auva.at/mse zu finden sind es geht darum, dass an diesen Arbeitsplätzen ergonomisch ge- n regelmäßige Berichterstattung zu wichtigen Themen arbeitet wird. In diesem Sinne sensibilisiert die AUVA auch rund um MSE, insbesondere in den AUVA-Medien Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für MSE-Risiken, „SICHERE ARBEIT“ und „ALLE!ACHTUNG!“, die vermittelt Wissen für ergonomische Arbeitsweisen und un- zur Sensibilisierung für das Thema beitragen soll terstützt die Entwicklung von gesunden Arbeitsroutinen. n branchenorientierte Angebote und Lösungsvorschläge Der Fokus ist je nach Branche und Tätigkeit unterschiedlich. für unterschiedliche Risikofaktoren, wie z. B. Bewe- Zum Beispiel stehen bei schwerer körperlicher Arbeit (etwa gungsmangel, Heben und Tragen schwerer Lasten, im Paketdienst, am Bau oder mit anderem Fokus in der Pfle- monotone Tätigkeiten, Zeitdruck, mobiles Arbeiten mit ge) das richtige Heben und Tragen im Mittelpunkt. Bei Bild- Fokus auf eine gute ergonomische und organisatorische schirmarbeit spielen nicht nur die richtige Haltung, sondern Gestaltung von Arbeit auch Haltungswechsel und regelmäßige bewegte Pausen eine n geförderte AUVA-Präventionsprogramme wie AUVAfit bedeutende Rolle. Im Homeoffice ist die Abgrenzung zwi- und baufit, die Betriebe bei der Entwicklung und Umset- schen Erwerbsarbeit und arbeitsfreier Zeit besonders wichtig. zung passgenauer Präventionsmaßnahmen unterstützen Sowohl bei Fragen der Arbeitsplatzevaluierung auf Unter- nehmensebene als auch bei Fragen der Sensibilisierung und Informationen, Beratungen und Schulungen zielen auf Wissensvermittlung im Rahmen von Information und Unter- Unternehmensebene insbesondere auf die Etablierung von weisung der Beschäftigten bietet die AUVA Unterstützung. – unter ergonomischen, arbeitsorganisatorischen und -psy- chologischen Gesichtspunkten – gut gestalteter Arbeit ab. Beiträge in diesem Heft Als Grundlage ist in diesem Zusammenhang die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung körperlicher und psy- Die Beiträge dieser Sonderausgabe beleuchten zentrale The- chischer Belastung hervorzuheben. Mithilfe geeigneter ergo- men der Prävention von arbeitsbedingten MSE unter verschie- S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 9
X „ PAC K E N W I R ’ S A N ! “ denen Gesichtspunkten. Branchenspezifische Besonderheiten die Gestaltung von Arbeitsplätzen, ausgleichende Kurzpau- werden ebenso erörtert wie geeignete Lösungen vermittelt. sen, die Steigerung der täglich zurückgelegten Schritte und Betriebliche Beispiele guter Praxis stoßen zur Entwicklung das Nutzen vorhandener betrieblicher Angebote. Abschlie- eigener kreativer Gestaltungsideen gesunder Arbeit an. ßend laden Übungstipps zum Ausprobieren ein. Die Arbeitspsychologin Irene Lanner liefert im ersten Artikel Isabel Kaufmann, Arbeitsmedizinerin bei der AUVA, stellt die Antworten auf die Frage „Was haben psychosoziale Belas- Pflege in den Mittelpunkt und diskutiert die dort vorherr- tungen und Stress mit MSE zu tun?“. Zunächst stellt sie die schenden hohen körperlichen und psychischen Anforderun- Auswirkungen von Stress auf das Muskel-Skelett-System dar. gen. Besonders riskant für die Entwicklung von MSE sind Häufige bzw. dauerhafte Beanspruchung von Organen und die ausgeprägten emotionalen Anforderungen, der ständige Muskulatur durch stressbedingte muskuläre Anspannung und Zeit- und Arbeitsdruck sowie häufige Gewalterfahrungen geringe Erholungszeiten können demnach zu chronischen Er- kombiniert mit meist stehenden Tätigkeiten, dem Heben und krankungen führen und das Auftreten von MSE begünstigen. Tragen schwerer Lasten und der Arbeit in Zwangshaltungen. Die Bedingungen der Arbeit, insbesondere organisatorische Möglichkeiten der Prävention durch alternative Bewegungs- und psychosoziale Faktoren, spielen neben sozioökonomi- konzepte zeigt die Autorin anhand des praktischen Beispiels schen und individuellen Aspekten eine wesentliche Rolle. „Kinästhetik am RZ Weißer Hof “ auf und betont sowohl Eine Erläuterung von arbeits- und organisationspsychologi- die entlastende Wirkung als auch die verstärkte gegenseitige schen Präventionsansätzen findet sich im zweiten Teil dieses Achtsamkeit als Vorteile dieses Handlungskonzepts. Artikels, wobei eine Verbesserung der Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterbeteiligung und der Führungskultur ebenso be- Ein weiterer Bereich mit ausgeprägten Risikofaktoren für tont werden wie der Ausbau von Schutz- und der Abbau von MSE ist die Land- und Forstwirtschaft. Rosemarie Pexa um- Risikofaktoren. Mit einem praktischen Beispiel für eine ge- reißt auf Basis von Forschungsdaten und im Austausch mit lungene Maßnahme rundet die Autorin ihren Beitrag ab. der Wissenschafterin Elisabeth Quendler die besonderen Herausforderungen für MSE-Prävention, die in diesem Tä- Aufgrund der österreichischen Unternehmenslandschaft ist tigkeitsfeld stecken. Dazu zählen die Manipulation schwerer Prävention in Kleinbetrieben für eine gesellschaftlich wirksa- Lasten genauso wie repetitive Tätigkeiten und das Arbeiten me Vorbeugung von MSE besonders wichtig. Mit dem Fokus in Zwangshaltungen sowie Vibrationsbelastungen etwa am auf Lastenhandhabung werden im dritten Beitrag dieser Son- Traktor oder durch die Arbeit mit Motorsägen. Präventions- derausgabe mehrere gute ergonomische Lösungen aus KMU maßnahmen der Mechanisierung und Automatisierung von dargestellt und aus arbeitsmedizinischer Sicht reflektiert. Die Arbeitsvorgängen können in dieser kleinbetrieblich gepräg- Beispiele reichen von einer Firma im Bereich Metall- und ten Branche mit häufig wechselnden Tätigkeiten weniger Anlagenbau über einen Verglasungsspezialisten und einen leicht ergriffen werden. Zugleich wirken hoher Zeit- und Hersteller textiler Sonnenschutzlösungen bis hin zu einem Arbeitsdruck kombiniert mit oft geringem Personalstand als Zimmerei-Betrieb. Dabei zeigt sich, dass gerade bei Kleinbe- verstärkende psychische Risikofaktoren. Der Beitrag veran- trieben das Potenzial für flexible und unkomplizierte, auf die schaulicht, dass es trotz dieser Bedingungen wirksame Mög- spezifische betriebliche Situation zugeschnittene Ideen und lichkeiten gibt, um MSE vorzubeugen. Lösungen groß ist. Häufige Fahrten mit dem Auto oder Lkw belasten ebenfalls Die Ergonomin und Sportwissenschafterin Michaela Strebl den Muskel-Skelett-Apparat. Sie können zu Schmerzen im diskutiert MSE-Prävention am Bildschirmarbeitsplatz mit Rücken und Schulter-Nacken-Bereich führen und langfris- Fokus auf das Thema Bewegung. Sie stellt Folgebeschwerden tig MSE verursachen. Der Artikel „Arbeitsplatz Pkw“ zeigt durch langes Sitzen anhand wissenschaftlicher Studien dar spezifische mit Autofahrten verbundene Risikofaktoren für und gibt Empfehlungen für die Prävention. Diese betreffen MSE auf. Die Ergonomin Julia Lebersorg-Likar und der Ver- »MSE verursachen langfristig Kosten von rund 1,6 Mrd. Euro. Das sind 16 % der jährlichen Kosten des arbeitsbedingten Krankheits- und Unfallgeschehens insgesamt.« Marie Jelenko 10 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
kehrsexperte Peter Schwaighofer erläutern, dass eine ergono- mische Sitzeinstellung, eine gute Fahrten-Planung mit ausrei- chend Zeitpolstern zur Stressvermeidung sowie regelmäßige (bewegte) Pausen nicht nur einen Beitrag zur MSE-Präventi- on leisten, sondern auch zur Verkehrssicherheit beitragen. Ein Betriebsbeispiel gibt Ideen für praktische Umsetzungsmög- lichkeiten. In den letzten beiden Artikeln richtet der Ergonom Norbert Lechner den Blick auf neuere technologische Entwicklungen in der Prävention von MSE. Zunächst gibt er einen Überblick über die digitalen Angebote der AUVA. Im Zentrum der Aus- führungen steht das sensorbasierte Bewegungsanalyse-System Captiv, das mit unterschiedlichen Anwendungen gekoppelt werden kann. So ermöglicht Captiv Motion die Identifikati- on von ungünstigen Körperhaltungen oder Bewegungsabläu- fen durch die Synchronisierung mit Videoaufnahmen. Auch kombinierte Anwendungen von Captiv mit Eyetracking oder Virtual-Reality-Anwendungen sind möglich und können bei der AUVA angefragt werden. Der abschließende Beitrag die- ser Sonderausgabe stellt Exoskelette in den Mittelpunkt der Betrachtung. Nach einer Begriffsklärung und Darstellung verschiedener Arten von Exoskeletten reflektiert der Autor die damit verbundenen Chancen und Risiken anhand des ak- tuellen Forschungsstandes. Deutlich wird, dass keine pauscha- le Aussage über den ergonomischen Nutzen von Exoskeletten getroffen werden kann, sondern je nach Tätigkeit und Ein- satzgebiet die spezifischen Vor- und Nachteile durch geeigne- te Fachleute geprüft werden sollten. QUELLEN: © Adobe Stock • AUVA – Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (2021): M.plus 024 „Arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen vorbeugen“. Abrufbar auf https://www.auva.at/publikationen (zuletzt abgerufen am 18.10.2021) • Leoni, Thomas (2020): Fehlzeitenreport 2020. Krankheits- und unfall- bedingte Fehlzeiten in Österreich. Abrufbar auf https://www.wifo. Dr. Marie Jelenko ac.at/publikationen (zuletzt abgerufen am 18.10.2021) Kampagnenmanagement und Evaluation • Leoni, Thomas; Brunner, Anna & Christine Mayrhuber (2020): Die AUVA-Hauptstelle, Abteilung Unfallverhütung und Kosten arbeitsbedingter Unfälle und Erkrankungen in Österreich. Berufskrankheitenbekämpfung Abrufbar auf https://www.wifo.ac.at/publikationen (zuletzt abgeru- marie.jelenko@auva.at fen am 18.10.2021) ZUSAMMENFASSUNG SUMMARY RÉSUMÉ Die Autorin zeigt die Bedeutung ei- The author explains the importance L’autrice montre l’importance de pré- ner wirkungsvollen Prävention von arbeits- of effective prevention of work-related venir efficacement les troubles musculosque- bedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen musculosceletal disorders (MSD) and gives lettiques d’origine professionnelle et donne auf und bringt einen Überblick über den an overview of AUVA’s 2021–2022 focus on un aperçu du programme de prévention de Präventionsschwerpunkt MSE der AUVA MSD prevention. ◼ ces troubles prévu par l’AUVA pour la pé- 2021–2022. ◼ riode 2021–2022. ◼ S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 11
X PSYCHOSOZIALE BELASTUNGEN © Adobe Stock Psychosoziale Belastungen – physische Auswirkungen Organisatorische und psychosoziale Belastungen können ebenso wie körperlich belastende Arbeitsbedingungen für Fehlbeanspruchung und in weiterer Folge für Spannungsschmerzen im Körper verantwortlich sein. Oft ist der Zusammenhang zu den Beschwerden nicht offen- sichtlich erkennbar. Gesundheitsbeeinträchtigende Faktoren wirken hier indirekt über das Stressgeschehen auf das Muskel-Skelett-System. Arbeitsbedingte Belastungen treten oft in Kombination auf, z. B. Zwangshaltung und Zeitdruck. IRENE LANNER 12 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
S tress-Situationen rufen bestimmte Stress-Reaktionen Limbisches System hervor: Der Thalamus nimmt alle Informationen über die Sinnesorgane auf und reguliert Schlaf bzw. Wachheit, also die Aufmerksamkeit. Die Informati- onen gehen dann weiter in den grünen Mandelkern (Amygda- la), den „Sitz“ der Emotionen. Die Amygdala ist zuständig für das Wiedererkennen der Situation und die Analyse möglicher © Grafik: designua – stock.adobe.com, deutsch: AUVA Gefahren. Je nach Bewertung der Situation und subjektiver Einschätzung der eigenen Bewältigungsstrategien folgt eine emotionale Reaktion, die unser Verhalten steuert. Die Amyg- dala gibt Botenstoffe an den Hypothalamus ab, der Körper- temperatur und Hungergefühl steuert. In einer Stress-Situation wird das Verdauungssystem langsamer und durch vermehrtes Schwitzen die steigende Körpertemperatur ausgeglichen. Der Hypothalamus wirkt mittels Botenstoffen über das Pfort- adersystem auf die Hypophyse, die in weiterer Folge Stress- hormone wie Adrenalin und Cortisol freisetzt. Das Adrenalin lässt uns für Schmerz unempfindlicher werden und das Cortisol ist ein wichtiges Hormon, das unser Immunsystem stärkt, bei chronischem Stress aber schwächen kann. Atem- und Herzfre- quenz steigen, damit das Blut mit mehr Sauerstoff angereichert n verminderte Leistungsf ähigkeit und vermehrt in das Gewebe der Muskulatur gepumpt wird. n Schlafstörungen In der Muskulatur wird Spannung aufgebaut. Das sind lebens- notwendige Funktionen aus der früheren menschlichen Ent- Längerfristig kann Stress psychische und körperliche Be- wicklungsgeschichte, in der der Mensch zum Jäger oder zum schwerden oder Erkrankungen verursachen: Gejagten wurde. Damit er angreifen bzw. flüchten konnte, n Verspannungen der Muskulatur (Rücken-, Schulter-, wurde dem Gehirn und dem ganzen Körper vermehrt Energie Nacken-, Kopfschmerzen) zur Verfügung gestellt, um mit der bedrohlichen Situation ad- n Herz-Kreislauf-Erkrankungen äquat umgehen zu können. War die Gefahr vorüber, setzte die n Magen-Darm-Erkrankungen Entspannung ein. n psychosomatische Erkrankungen n Angst und Panikattacken Wie wirkt Stress auf das Muskel-Skelett-System? n Depression n Suchtkrankheiten Heute haben wir es weniger mit wilden Tieren zu tun und doch rufen aktuelle Stress-Situationen dieselben Reaktionen hervor. Im Gegensatz zu früher erfordern die heutigen Situationen (z. B. Arbeiten unter Zeitdruck) selten eine direkte körperliche Reaktion wie Angriff oder Flucht. Dennoch baut der Körper eine muskuläre Spannung auf. Durch diese muskuläre Anspan- nung werden Organe und Muskulatur beansprucht. Kurzfristig können wir diesen Belastungen gut durch erhöhte Aufmerk- samkeit und spätere Erholungsphasen entgegenwirken. Sollten diese Belastungen jedoch gehäuft auftreten, sehr lange andau- ern oder sollte zwischen ihnen zu wenig Erholungszeit liegen, dann können sie in weiterer Folge zu chronischen Erkrankun- gen führen [1]. Kurzfristige Auswirkungen von Stress: n Ermüdung und Lustlosigkeit n Nervosität, Reizbarkeit und Angst Spirale zunehmender und chronisch werdender Rückenschmerzen nach Stadler & Spieß 2009 [2] n Konzentrationsschwierigkeiten S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 13
X PSYCHOSOZIALE BELASTUNGEN Meist bemerken Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht, dass n lange Arbeitszeiten und/oder Zeitdruck durch die Stresssituation ein erhöhter Muskeltonus in der Rü- n keine/wenig Pausen cken-, Schulter-, Nacken- und Kopfmuskulatur entsteht. Erst n wenig Möglichkeit, die Arbeitshaltung zu verändern bei dauerhafter Anspannung kommt es zu einem Schmerz- n geringer Handlungsspielraum empfinden, das chronisch werden kann. Eine körperliche n unklare/widersprüchliche Aufträge Schonhaltung oder die Vermeidung von Bewegung aufgrund n einseitige Aufgaben mit sich wiederholenden Teiltätig- von Angst vor dem Schmerz kann eine Chronifizierung der keiten (monotone Arbeit) Schmerzen verursachen. n Informationsmangel Organisatorische und psychosoziale Psychosoziale Faktoren Risikofaktoren n gestörte oder fehlende Kommunikation n mangelnde Rückmeldung Roquelaure [3] gibt einen Überblick über verschiedene For- n fehlende Unterstützung durch Kolleg:innen und/oder schungsansätze, die den Zusammenhang von psychosozialen Vorgesetzte Faktoren der Arbeit und MSE erklären. Während biomedi- n Konflikte am Arbeitsplatz zinische Modelle vor allem geeignet sind, das Risiko akuter n geringe Entwicklungsmöglichkeit Muskel-Skelett-Erkrankungen (z. B. Muskelrisse) zu beurtei- len, fokussieren biopsychosoziale Erklärungsansätze auf die Aus früheren Forschungsergebnissen sind die oben genannten Entstehung von chronischen Muskel-Skelett-Erkrankungen Faktoren u. a. bekannt für das erhöhte Risiko einer Gesund- und MSE-bedingter Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichti- heitsschädigung. Karasek und Theorell beschreiben in ihrem gung von multifaktoriellen Einflüssen. Anforderungs-Kontroll-Modell eindeutige Zusammenhänge mit erhöhtem Stressauf kommen, wenn hohe Arbeitsanforde- Unternehmensorganisation und Managementpraktiken prä- rungen mit einer geringen Kontrollierbarkeit der Arbeit zu- gen die Bedingungen, unter denen Arbeit ausgeführt wird. sammentreffen, später wurde das Modell auch mit dem Faktor Die Organisation der Arbeit und die damit einhergehenden „soziale Unterstützung“ erweitert [9]. Arbeitsbedingungen haben Einfluss auf die körperliche und chemische Belastung bzw. Exposition der Mitarbeiterinnen Siegrist hat ein weiteres Modell entwickelt, das die Kombi- und Mitarbeiter. Ebenso haben Arbeitssituation und soziale nation mehrerer psychosozialer Faktoren beschreibt. Eine Beziehungen Einfluss auf die Ausprägung psychosozialer Ri- berufliche Gratifikationskrise stellt sich ein, wenn ein Miss- sikofaktoren, die auf den Menschen einwirken. verhältnis von Anstrengung und Belohnung vorherrscht. Dabei übersteigen die Anforderungen an die Tätigkeit und Individuelle Ressourcen der Arbeitnehmerinnen und Ar- unsere Verausgabung den tatsächlich erhaltenen Lohn, oder beitnehmer werden durch betriebsbezogene Einflussfaktoren die Wertschätzung für geleistete Arbeit fehlt bzw. Aufstiegs- und durch übergeordnete ökonomische, soziale und politi- möglichkeit oder Arbeitsplatzsicherheit sind gering [10]. sche Rahmenbedingungen aufgebaut oder abgebaut. Dadurch entstehender chronischer Stress begünstigt das Auftreten von Der betriebliche Ansatz für einen gesunden MSE, indem er die Muskelaktivierung, die Mechanismen von Arbeitsplatz Entzündung und Schmerz sowie die Gewebereparatur beein- trächtigt und die Chronifizierung von Schmerzen und Ar- Im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz ist die Evaluierung ar- beitsunfähigkeit fördert. beitsbedingter psychischer Belastungen festgelegt. Notwendig ist die IST-Analyse der Arbeitsbedingungen in den vier Ka- Die Auswirkung ungünstiger Arbeitsbedingungen auf Mus- tegorien „Arbeitsinhalt und -aufgabe“, „Arbeitsorganisation“, kel-Skelett-Erkrankungen ist durch Studien belegt [2] [3] [4] „Soziale Faktoren“ und „Arbeitsumgebung“. [5] [6] [7] [8]. Für die Evaluierung sind standardisierte Erhebungswerkzeuge Dabei werden insbesondere folgende organisatorische und zu verwenden. Man wählt zwischen Befragung der Mitarbei- psychosoziale Risikofaktoren genannt: terinnen und Mitarbeiter, Einzelinterviews, arbeitspsycholo- gischen Experten-Verfahren, Beobachtungsanalyseverfahren Organisatorische Faktoren und/oder moderierten Gruppen-Arbeitssituationsanalysen. n quantitative Arbeitsbelastung (hohes Arbeitspensum) KFZA [11], ABS-Gruppe [12], EVALOG [13], SGA [14] u. a. n inhaltliche Überforderung aufgrund fehlender Qualifi- sind frei zugängliche Instrumente und unter www.eval.at mit kation detaillierter Einführung in die Handhabung abruf bar. 14 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
Wichtig! Es werden die Arbeitsplätze und die Tätigkeiten in Bezug auf ihre Belastungsfaktoren untersucht. Nicht er- Stressreaktion hoben werden Personenmerkmale, d. h. der Gesundheitszu- stand oder die subjektive Wahrnehmung der Personen. Die Qualitätskriterien und der Ablauf der Evaluierung sind klar definiert. Beteiligung der Beschäftigten Für die Problemanalyse und Erarbeitung von Maßnahmen ist die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheidend. In gemeinsamen Arbeitsgruppen werden die Arbeitsplätze und störenden Situationen genau analysiert. Häufig werden auch schnell kreative Ideen zur Optimierung gefunden. Dabei zeigt sich immer wieder, wie wichtig die gemeinsame Kommunikation und Diskussion ist. Beschäf- © designua – stock.adobe.com, deutsch: AUVA tigte geben Rückmeldung wie z. B.: „Die Information, die ich heute von meiner Kollegin bekommen habe, macht es mir erst verständlich, wie sie ihre Arbeit organisiert. Da war mir vorher vieles nicht klar.“ Je mehr Einblick und Ver- ständnis für die gesamte Organisation vorhanden ist, umso leichter können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter partizipa- tiv mitwirken und effiziente, praktikable Lösungen finden. Die gemeinsame Erarbeitung und Vereinbarung sichern die Akzeptanz der Beteiligten und das Gelingen eines Verände- rungsprozesses. Risikofaktoren reduzieren und Schutzfaktoren ausbauen Durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen können Fehlbe- Beispiele für gute anspruchungen reduziert werden. Es gibt immer branchen- Arbeitsorganisation spezifische Risikofaktoren, die nur bedingt verändert werden können. Umso wichtiger ist es, an den Schutzfaktoren zu n Die Beschäftigten sind an Aufgabenplanung und Arbeitsorga- nisation beteiligt. arbeiten, die eine Gestaltung gesunder Arbeitsbedingungen n Arbeitsaufgaben werden gemischt und angereichert durch ermöglichen. die Kombination unterschiedlicher Tätigkeiten mit unter- schiedlichem Anforderungsniveau. Eine klar definierte Tätigkeitsbeschreibung hinsichtlich n Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden für die ihnen zuge- wiesenen Tätigkeiten entsprechend geschult. Funktion, Zuständigkeit sowie Entscheidungsmöglichkeiten n Zuständigkeit und Verantwortlichkeit sind klar definiert und und ein großer Handlungsspielraum lassen eine Selbstorgani- transparent für alle. sation zu. Besonders bei Arbeiten unter Zeitdruck, wie u. a. n Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmen den Ablauf in der mobilen Pflege, Gastronomie und auf Baustellen, ist ihrer Tätigkeit selbst, soweit das möglich ist. Der Entschei- eine gut durchdachte Organisation nötig (siehe auch Kasten dungs- und Handlungsspielraum im eigenen Bereich wird ausgeschöpft. „Beispiele für eine gute Arbeitsorganisation“). Verschiedene n Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Kenntnisse über Organisationseinheiten und Abteilungen sollten die übergrei- die Organisation und Zugang zu relevanten Informationen; fende Zusammenarbeit genau durchleuchten und ihre inter- ein gutes Informationssystem ist vorhanden. nen Systeme adaptieren bzw. optimieren. Die Praxis zeigt, n Pausen werden regelmäßig eingehalten; Kurzpausen sollten vor Konzentrationsminderung stattfinden. dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig in Konfliktsitu- n Regelmäßige gemeinsame Arbeitsbesprechungen, auch sons- ationen geraten, wenn abteilungsinterne Vorgaben und/oder tige Besprechungen werden organisiert. Prioritäten nicht mit den Vorgaben einer anderen Abteilung konform gehen. Eine gesamtorganisatorische Betrachtungs- weise ist daher unerlässlich. S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 15
X PSYCHOSOZIALE BELASTUNGEN Beispiele für soziale Beispiele für einen Unterstützung konstruktiven Führungsstil n Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können stabile Bezie- n Arbeitsorganisation und Festlegung der Zuständigkeit hungen aufbauen und erfahren Zuverlässigkeit. ist Chefsache unter Einbindung der Mitarbeiterinnen n Gegenseitige Unterstützung durch helfendes Verhalten und Mitarbeiter. ist Teil des Arbeitsalltags. n Die Führungskraft sorgt für ein funktionierendes Infor- n Regelmäßige Rückmeldung über die gemeinsame mationssystem. Zusammenarbeit findet statt. n Es erfolgt eine regelmäßige Rückmeldung zur geleis- n Es gibt gegenseitig Anerkennung für erfolgreiche teten Arbeit. Arbeit. n Regelmäßige Anerkennung für Erfolge und gute Arbeit n Besondere Erfolge werden gefeiert. findet statt. n Unklarheiten, Störungen oder Fehler werden n Auf die Unterstützung einer Lernkultur durch Fehler- gemeinsam behoben. analyse wird Wert gelegt. n Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen sich um n Kritikgespräche werden mit sozialer Kompetenz eine Konfliktlösung; soziale Spannungen sind mensch- geführt. lich. n Konfliktlösung ist Teil der Tätigkeit; soziale Spannungen n Positiv erlebte und gesellige Aktivitäten verbessern den sind menschlich. Zusammenhalt in der Gruppe. n Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in ihrer Entwicklung unterstützt. Werden neue Hilfsmittel oder Verfahren eingeführt, wie z. B. Die Organisationskultur wird nicht nur durch die offene eine Hebehilfe zur Entlastung der Wirbelsäule, sollte der Ab- Kommunikation und kollegiale Unterstützung unter den Be- lauf in den alltäglichen Arbeitsprozess integriert und dieser – schäftigten geprägt, sondern hängt sehr stark auch von einer falls nötig – angepasst werden. Es kommt regelmäßig vor, dass wertschätzenden Haltung und dem persönlichen Umgang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Hilfsmittel oder persönliche seitens der Führungskräfte ab. Regelmäßige Rückmeldung Schutzausrüstung nicht verwenden, da der dafür benötigte hö- zu getätigter Arbeit, eine gelebte, konstruktive Fehlerkultur here Zeitaufwand nicht berücksichtigt wird. sowie die offensive Bearbeitung von Konflikten sollten fixe Bestandteile der Führungsaufgaben sein (siehe auch Kasten Eine häufig unterschätzte Ressource ist die Unterstützung „Beispiele für einen konstruktiven Führungsstil“). durch Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte. Beson- ders in personenbezogenen Dienstleistungsberufen wie in der Ein Beispiel für einen verbesserten Informa- Pflege, im Handel und im Kundendienst sind Beschäftigte in tionsfluss in der Produktion der Ausführung ihrer Tätigkeit emotional sehr belastet. Eine kurze Ablöse oder Unterstützung bei besonders schwierigen Beschäftigte eines Produktionsbetriebs, die im Schichtdienst Kundengesprächen bietet eine Erholungsphase für die jewei- arbeiten, beanstanden, dass sie auf unterschiedlichem Informa- ligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein wertschätzendes tionsstand sind. Daraufhin beschließt die Abteilungsleitung, re- Betriebsklima und Anerkennung für Erfolge sind ausschlag- gelmäßig „Jobfloor“-Besprechungen einzuführen. Die Team- gebend für Zufriedenheit und Motivation (siehe auch Kasten leiterinnen und -leiter sind verantwortlich, mit jedem Team ein- „Beispiele für soziale Unterstützung“). mal pro Woche eine gemeinsame Besprechung durchzuführen. Dafür gibt es für jedes Team sehr nah an seinem Arbeitsplatz ein Führung stärkt die Organisationskultur Board mit den wichtigsten Informationen, die dort dauerhaft angeschlagen sind. Die Besprechung wird im Stehen durchge- Das Wirken von Personen mit Führungsverantwortung hat führt. Aktuelle und abgeänderte Aufträge werden besprochen. eine große Bedeutung für die Gesundheit der Mitarbeiterin- Sicherheitsmaßnahmen, Fehlerquellen und ein kontinuierlicher nen und Mitarbeiter. Führungskräfte haben direkten Einfluss Verbesserungsprozess werden diskutiert und umgesetzt. ◼ auf die Gestaltung der Arbeit und die Prägung der Organisa- tionskultur im Unternehmen. Für jeden Arbeitsplatz braucht es eine Klärung der Zuständigkeit, eine transparente Festle- gung der Abläufe und Prozesse sowie die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Schulungen in ihrem Tätigkeitsbereich. 16 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
Multidimensionales Modell der betrieblichen Gesundheit nach Roquelaure 2018, deutschsprachige Übersetzung durch die AUVA LITERATUR skelettale Beschwerden. Bedeutung für die Prävention. In: Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften 11, 2003, S. 196–207. • [1] Lazarus, R.S.; Folkman, S.: Stress, appraisal and coping. New York: • [9] Karasek, R.; Theorell, T.: Healthy Work: stress, productivity and the Springer, 1984. reconstruction of working life. New York: Basic books, 1990. • [2] Stadler, P.; Spieß, E.: Arbeit – Psyche – Rückenschmerzen: Einfluss- • [10] Siegrist, J.: Soziale Krisen und Gesundheit. Göttingen: Hogrefe, faktoren und Präventionsmöglichkeiten. In: Arbeitsmed. Sozialmed. 1996. Umweltmed. 44, Ausgabe 2, 2009. • [11] Prümper, J.; Hartmannsgruber, K.; Frese, M.: KFZA. Kurz-Fragebo- • [3] Roquelaure, Y.: Musculoskeletal disorders and psychosocial factors gen zur Arbeitsanalyse. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisations- at work. Report 142. European Trade Union Institute. Brüssel: ETUI, psychologie, 39 (3), 1995, S. 125–132. 2018. • [12] Molnar, M.; Prinkel, M.; Friesenbichler, H. auf Basis von Molnar, • [4] Madsen, I.E.H. et al.: Physical work demands and psychosocial wor- Friesenbichler (1998): Evaluierung psychischer Belastungen. Die king conditions as predictors of musculoskeletal pain: a cohort study Arbeits-Bewertungs-Skala – ABS-Gruppe. Wien: Allgemeine Unfallver- comparing self-reported and job exposure matrix measurements. In: sicherungsanstalt, 2013. Occupational Environment Medicine, 75, 2018, S. 752–758. • [13] Prümper, J.; Vowinkel, J.: EVALOG – Evaluierung psychischer Belas- • [5] Lang, J. et al.: Psychosocial work stressors as antecedents of tung im Dialog nach dem österreichischen ArbeitnehmerInnenschutz- musculoskeletal problems: A systematic review and meta-analysis of gesetz (ASchG) für Kleinstbetriebe. Wien: AUVA, 2019. stability-adjusted longitudinal studies. In: Social Science & Medicine • [14] Debitz, U. et al.: Der Leitfaden zum Screening Gesundes Arbeiten 75, 2012, S. 1163–1174. – SGA. Physische und psychische Gefährdungen erkennen – gesünder • [6] Buruck, G.; Richter, P.: Ganzheitliche Risikoprävention – eine kombi- arbeiten. 3. Auflage. Berlin: Initiative Neue Qualität der Arbeit. Bun- nierte Betrachtungsweise von physischen und psychischen Belastun- desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2016. gen. Der Schmerz, 21. Berlin: Springer Medizin, 2007, Suppl. 142–143. • [7] Richter, P.; Kirschner, A.: Psychosoziale Arbeitsfaktoren bei der Diagnostik von Rückenschmerzen. In: H. Grieshaber und M. Stadeler Mag. Irene Lanner (Hrsg.): Prävention von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und Arbeits- und Organisationspsychologin Erkrankungen. 12. Erfurter Tage. Erfurt: Dr. Bussert & Stadeler, 2006, AUVA-Landesstelle Salzburg, Prävention S. 221–236. irene.lanner@auva.at • [8] Dragano, N. et al.: Psychosoziale Arbeitsbelastungen und muskulo- ZUSAMMENFASSUNG SUMMARY RÉSUMÉ Die Autorin analysiert den Zusam- The author analyses the physical ef- L’autrice analyse le lien entre les menhang zwischen psychosozialen Belastun- fects of psycho-social stress and suggests charges d’ordre psychosocial et les consé- gen und physischen Auswirkungen und ways to minimise risk factors. ◼ quences physiques et montre comment on zeigt Wege auf, wie Risikofaktoren mini- peut minimiser les facteurs de risque. ◼ miert werden können. ◼ S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 17
X GOOD PRACTICE IM KMU © alle Fotos: R. Gryc „Ausgezeichneter“ Gesundheitsschutz Für die Goldene Securitas nominierte Klein- und Mittelbetriebe sind auch beim Schutz vor Muskel-Skelett-Erkrankungen Vorzeigeunternehmen. ROSEMARIE PEXA D ie AUVA zeichnet gemein- Bei der Informationsveranstaltung „Pa- steht in Zusammenhang mit körperli- sam mit der Wirtschafts- cken wir’s an! Gestaltung von Arbeits- cher Belastung“, betonte Jelenko. Prä- kammer Österreich Klein- plätzen zur Prävention von Muskel- ventionsmaßnahmen seien notwendig, und Mittelbetriebe, die Skelett-Erkrankungen“ am 30. Sep- aber in kleinen Betrieben organisa- vorbildliche Leistungen im Bereich Ar- tember 2021 in Wien präsentierte AU- torisch und finanziell oft schwieriger beitssicherheit und Gesundheitsschutz VA-Kampagnenmanagerin Dr. Marie umzusetzen. Andererseits hätten KMU erbringen, mit der Goldenen Securitas Jelenko ausgewählte Betriebe, die für aufgrund ihrer Strukturen ein großes aus. In den Kategorien „Sicher und die Goldene Securitas 2016 bzw. 2018 Potenzial für flexible und unkompli- gesund arbeiten“ und „Innovativ für nominiert worden waren. Die Veran- zierte, auf den jeweiligen Betrieb zuge- mehr Sicherheit“ werden oft Maßnah- staltung fand im Rahmen der aktuellen schnittene Ideen und Lösungen, so die men prämiert, die zur Verhinderung Kampagne der EU-OSHA „Gesunde AUVA-Kampagnenmanagerin. von Muskel-Skelett-Erkrankungen bei- Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ statt, tragen. Noch Jahre danach lassen sich an der sich die AUVA mit ihrem Prä- „Die Firmen berichten unter anderem, in den ausgezeichneten Unternehmen ventionsschwerpunkt 2021/22 „Packen dass akute Rückenerkrankungen und positive Auswirkungen wie weniger wir’s an!“ beteiligt. „Ein Fünftel aller körperliche Beschwerden zurückge- Krankenstandstage und eine höhere Ar- Krankenstandstage wird durch MSE gangen sind und die Zufriedenheit der beitszufriedenheit feststellen. verursacht. Jeder zehnte Arbeitsunfall Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ge- 18 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
stiegen ist. Nachwuchsprobleme sind erklärt Geschäftsführerin Christina gelöst worden, Arbeitnehmerinnen und Wagner. Acht Arbeitsplätze in den Tä- Arbeitnehmer können vielfältiger ein- tigkeitsbereichen Schleifen, Abräumen gesetzt werden. Durch Verbesserungen und Bedienung von Maschinen sowie wie die Verkürzung während der Arbeit in der Kommissionierung, in der Logis- zurückgelegter Wege hat sich auch der tik und im Büro wurden im Zuge von Zeitaufwand in der Produktion redu- AUVAfit evaluiert. ziert“, fasste Jelenko die positive Wir- kung der Maßnahmen in den für die „Für das Abräumen hat Wagner Stahl- Goldene Securitas nominierten Betrie- Technik & Zuschnitt höhenverstellbare ben zusammen. fahrbare Paletten angeschafft, auf de- nen die Teile geschlichtet werden. Die Wie sich zu starke Belastungen des Be- richtige Höhe ist zentral, man muss wegungs- und Stützapparats insbeson- die Arbeitsbedingungen an den Men- dere bei der Handhabung von Lasten schen anpassen und nicht umgekehrt“, bemerkbar machen, erklärt Dr. Kurt kommentiert Leodolter diese Maßnah- Leodolter, MSc, Facharzt für Arbeits- me. Ist die Arbeitshöhe zu hoch, treten Höhenverstellbare fahrbare Paletten erleich- tern bei Wagner das Schlichten der Teile. medizin vom Unfallverhütungsdienst häufig Verspannungen im Bereich von der AUVA-Landesstelle Graz: „Erste Schultern und Nacken auf. Bei einer zu Symptome sind unspezifische Rücken- niedrigen Arbeitshöhe muss der Rü- 60 bis 80 Zentimetern hat“, beschreibt schmerzen. Bei einer längeren Kör- cken übermäßig gebeugt werden, was Betriebsleiter Christian Aufreiter die perzwangshaltung kommt es zu einer zu Rückenbeschwerden führt. jüngste Neuerung. Sie wird nicht die Störung der Durchblutung. Man ver- letzte sein; im Oktober 2021 fanden sucht stärker anzuspannen und ermüdet Auch im Büro lag der Fokus darauf, für Gespräche mit der AUVA zu weiteren dadurch schneller. Als Langzeitfolgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichen Maßnahmen statt. können Schäden des Muskel-Skelett- die passende Arbeitshöhe zu schaffen. Systems auftreten.“ Beschäftigte, die hauptsächlich mit Da- Glas Metall Salzgeber teneingaben befasst sind, erhielten zur Wagner Stahl-Technik & Entlastung der Schultern Dokumen- Die Goldene Securitas 2016 in der Ka- Zuschnitt tenablagen in ergonomisch optima- tegorie „Innovativ für mehr Sicherheit“ ler Höhe. Sämtliche Büroarbeitsplätze ging an die GMS Glas Metall Salzgeber 2016 wurde die Goldene Securitas in wurden mit neuen Bürosesseln aus- GmbH aus Dornbirn. Der auch im be- der Kategorie „Sicher und gesund ar- gestattet, eine kleinere Mitarbeiterin nachbarten Ausland tätige Kleinbetrieb beiten“ an die Alfred Wagner Stahl- bekam zusätzlich eine Fußstütze. Der war im Zuge eines Großauftrags mit ei- Technik & Zuschnitt GmbH aus Pa- AUVAfit-Experte Dr. Paul Scheiben- ner besonderen Herausforderung kon- sching in Oberösterreich vergeben. Der pflug, Sport- und Kommunikations- frontiert: In einem baufertigen Spital im Familienbetrieb ist schwerpunktmäßig wissenschafter, zeigte Übungen zur deutschen Heilbronn sollten 160 schad- im Spezialfahrzeugbau sowie im Ma- Mobilisierung der Nacken- und Rü- hafte Glasfenster ausgetauscht werden. schinen- und Anlagenbau tätig. Im ckenmuskulatur vor, die in der Folge als Das Spital war bereits vollständig ausge- Rahmen von AUVAfit setzte das Un- tägliche Bewegungseinheiten durchge- stattet, weshalb im Inneren wenig Platz ternehmen gesundheitsfördernde Maß- führt wurden. für die Manipulation zur Verfügung nahmen insbesondere im Hinblick auf stand. Ein Austausch der Glasscheiben alternsgerechtes Arbeiten. Auch nach Beendigung des AUVAfit- von außen mit Hilfe eines Mobilkrans Projekts setzte Wagner Stahl-Technik kam aufgrund der baulichen Gegeben- „Da in unserem Betrieb Mitarbeiterin- & Zuschnitt ergonomische Verbesse- heiten nicht in Frage. nen und Mitarbeiter aller Altersgruppen rungen um. „2018 haben wir den ge- beschäftigt sind, haben wir 2015 ‚Mit- samten Kommissionierungsplatz umge- Die Möglichkeit, die Arbeit händisch arbeitergesundheit und alternsgerechtes staltet. Elektrische Hubwagen bringen zu erledigen, verwarf GMS, da dies mit Arbeiten‘ zum Jahresthema gemacht. die Paletten beim Palettieren auf die einer zu großen körperlichen Belastung Unser Ziel war, sowohl in der Produk- richtige Höhe. Der Großteil der Kom- für die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tion als auch im Bürobereich ergono- missionierpaletten befindet sich jetzt in ter und einem erhöhten Unfallrisiko mische Verbesserungen zu erreichen“, einem Regal, das eine Arbeitshöhe von verbunden gewesen wäre. „Bei einem S O N D E R A U S G A B E 2 | 2 0 21 19
X GOOD PRACTICE IM KMU Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 2015 wurde eine automatisch betrie- mussten die Glasscheiben weder vom bene Hubwaage in die Verpackungs- Gerüst aus noch von innen heben, son- straße integriert. Christoph Klingler, dern zum Einbau nur leicht andrücken. Leiter der Produktion der Firma Bre- Damit konnte die Arbeit nicht nur rü- metall, der die Waage mitentwickelt ckenschonend und unfallfrei erledigt hat, beschreibt deren Funktionsweise: werden, sondern auch wesentlich effi- „Das fertige Produkt, z. B. eine Mar- zienter und kostengünstiger: Statt vier kise oder ein Außenrollo, wird auf der bis fünf Glasfenstern pro Tag wurden Verpackungsstraße in Karton verpackt, durchschnittlich 16 ausgetauscht. über eine Rollbahn auf die Waage ge- schoben, samt der Waage pneumatisch Bremetall Sonnenschutz gehoben, abgewogen und dann wieder pneumatisch gesenkt.“ Die Idee für die- Ein umgebauter Glasroboter ermöglicht die körperschonen- Nominiert für die Goldene Securitas se Neuerung entstand im Gespräch mit de Fenstermontage. 2016 in der Kategorie „Innovativ für Expertinnen und Experten der AUVA. mehr Sicherheit“ wurde die Bremetall Die größte Herausforderung bestand in manuellen Einbau müssen die schweren Sonnenschutz GmbH aus Thaur bei der Frage, was man tun könne, nicht Glasscheiben in Schrägposition von in- Innsbruck, die textilen Sonnenschutz wie. Der Aufwand für die in Eigenbau nen oder von außen vom Gerüst aus ge- wie Rollos und Markisen für den Au- hergestellte Verpackungsstraße habe sich hoben werden. Das hohe Gewicht und ßenbereich herstellt. Mit AUVAfit woll- in Grenzen gehalten, zeigt sich Klingler die Einseitigkeit der Bewegung belasten te das Unternehmen eine ergonomisch begeistert. das Muskel-Skelett-System stark“, er- günstigere Lösung für die Manipulation klärt Leodolter. großer, schwerer Produkte finden. Der Erfolg der pneumatischen Waa- ge wird auch im Vergleich anhand der Eine Lösung des Problems konnte Leitmerkmalmethode „Manuelles He- schließlich in mehreren Besprechun- »KMU haben aufgrund ben, Halten und Tragen von Lasten“ gen und einem Brainstorming zum ihrer Strukturen ein gro- deutlich: Die Einstufung der Belastung Sammeln von Ideen sowie anhand von wechselte vom roten in den grünen praktischen Versuchen gefunden wer- ßes Potenzial für flexible Bereich. Die Rückenbeschwerden der den – durch Umbau eines Glasroboters. und unkomplizierte, auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lie- Zur Montage von Glasscheiben einge- ßen deutlich nach. 2016 folgte, moti- den jeweiligen Betrieb setzte Roboter verfügen über hydrauli- viert durch den großen Erfolg der Maß- sche Vakuum-Saugköpfe, mit denen die zugeschnittene Ideen nahme, eine zweite Verpackungsstraße Glasplatten gehoben, transportiert und und Lösungen.« gleicher Bauweise. installiert werden. Im Fall des Heil- bronner Spitals waren die ausfahrbaren Marie Jelenko Planholz Zimmerei Roboterarme mit den Saugköpfen zu kurz, um das Glas durch die Fensteröff- 2018 konnte sich die Planholz Zim- nung nach draußen zu heben, zu drehen „Bei den Mitarbeiterinnen und Mit- merei GmbH aus Neukirchen an der und einzubauen. Außerdem ließen sich arbeitern von Bremetall sind vermehrt Vöckla über eine Nominierung für die Saugköpfe nicht weit genug drehen. Rückenbeschwerden aufgetreten. Man die Goldene Securitas in der Kategorie hat Großpakete mit Sonnenschutz, bis zu „Innovativ für mehr Sicherheit“ freuen. „Wir haben einen längeren Roboterarm sieben Meter lang und durchschnittlich Das in den Bereichen Zimmerei und konstruiert, der eine nach oben gezo- 50 bis 70 kg schwer, auf die Waage heben Holzbau tätige oberösterreichische Un- gene Nase hat, damit er einen autono- müssen. Das haben zwar mehrere Per- ternehmen war auf der Suche nach einer men 2-Kreis-Vakuumsauger mit einem sonen gemeinsam gemacht, allerdings Möglichkeit, die Belastung durch He- Kranhaken aufnehmen kann. Durch hat es dabei Probleme durch die unter- ben und Tragen nicht nur am eigenen den längeren Arm des Roboters haben schiedliche Größe und Stärke der Betei- Standort, sondern auch auf Baustellen sich die Gläser genügend weit durch die ligten gegeben“, schildert Leodolter die zu reduzieren. Fensteröffnung fahren lassen, um sie um Situation. Die Lasten, die händisch ma- 90 Grad drehen zu können“, beschreibt nipuliert werden mussten, summierten Zum Finden einer Lösung bediente Geschäftsführer Willy Salzgeber. sich auf rund 1.500 kg pro Tag. man sich einer bei Planholz bereits be- 20 A U VA | S I C H E R E A R B E I T
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