Anstrengen Arbeiten undund - trott - war trott
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2,60 EUR/5 Hoftaler trott war Die Straßenzeitung im Südwesten Ausgabe 5/2021, 28. Jg. Arbeiten und Anstrengen
5 6 9 12 22 24 26 28 4 Kreuz & Quer Nachrichten 9 Schule von Daheim – Chance oder schlechte Alternative? Homeschooling während Corona 5 Freude am Pfand Mitarbeiter der Pfandinitiative Arpad Kovaks im Portrait Andrea Rothfuß Amelie Pflugfelder 12 Wirtschaftliche Ausbeutung kennt kein Alter Kinderarbeit hat durch Corona weltweit wieder zu- 6 „Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit“ Interview mit Olaf Scholz Annette Bruhns genommen Waltraud Günther und Amelie Pflugfelder Liebe Leserinnen und Leser, Trott-war e.V. berichtet in dieser Ausgabe über Kinderarbeit, über Unterricht zuhause, die Bildungschancen von Arbeiterkindern, der Mai beginnt mit dem Tag der Ar- Mindestlöhne in Behindertenwerkstätten, Homeoffice u.a. Auch beit. Also lag nahe, für diese Ausgabe den ein sozial benachteiligter Mitarbeiter in der Pfandinitiative und Schwerpunkt „Arbeiten und Anstrengen“ ein Künstler der trott!art-Galerie werden auf ihren beruflichen zu wählen. Lebenswegen begleitet. Mit dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz sprach Annette Bruhns über die Vorschläge der SPD zur sozialen Gemeinhin sagt man, der Mensch arbeite, Lage. um zu leben – er lebe nicht, um zu arbeiten. Dennoch spielt Arbeit eine zentrale Rolle Egal, wer Bundeskanzler wird – bleibt zu hoffen, dass die Politiker im Leben. Viele Arbeitslose bemühen sich darum, ihren Lebens- nicht nur leere Floskeln dreschen, sondern sich wirklich für sozial unterhalt zu sichern, aber auch um gesellschaftliche Anerkennung Benachteiligte engagieren, ganz im Sinne des Schweizer Pädago- zu erfahren. gen und Sozialreformers Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827), der 1782 in „20. Abendstunde“ schreibt: „Die Arbeit ist die äußere Wer keinen Arbeitsplatz findet, ist von der Unterstützung Dritter Erscheinung des innern Menschenlebens; sie soll dieses innere und öffentlichen Unterhaltsleistungen abhängig, muss seinen Leben nicht nur darstellen, sie soll es auch fördern. Sie soll den Lebensstandard senken. Auch haftet arbeitslosen Menschen oft Menschen stark, aber nicht roh, bedächtig, aber nicht eigensüchtig, das Stigma an, faul und zu nichts nütze zu sein. Was aber, wenn sorgfältig, aber nicht einseitig, kleinlich und ängstlich machen; sie allen Anstrengungen zum Trotz kein Job gefunden werden kann? soll den Bedürfnissen des Lebens ihre Befriedigung verschaffen; Straßenzeitungen wie Trott-war bemühen sich um Beschäftigung sie soll die Reize und Annehmlichkeiten des Lebens durch die für sozial benachteiligte Menschen, auch um gegen derlei Stig- Folgen ihrer Anstrengung erhöhen.“ matisierungen anzukämpfen und Verständnis zu schaffen für Menschen, die trotz intensiven Bemühens nicht über das Glück Bei der Lektüre dieser Maiausgabe wünsche ich allen Leserinnen eines bezahlten Arbeitsplatzes verfügen. und Lesern viel Vergnügen! Eine Beschäftigung kann im Idealfall Profession und Berufung Ihr sein. Dann verrichtet man seine Tätigkeit mit freudiger Passion. Viele Menschen haben aber keine Wahl, müssen nehmen, was zu kriegen ist, um sich ihren Lebensunterhalt und den ihrer Fami- lienangehörigen zu sichern. In manchen Ländern müssen Kinder schon sehr früh schuften, um die Ernährung ihrer Familie zu erwirtschaften. Helmut Schmid
14 15 18 20 30 32 36 37 14 Stell dir vor! Kinderseite zur Kinderarbeit – mit Gewinnspiel Waltraud Günther 34 Geistesblitze Rätsel, Gewinnspiel, Sudoku, Karikatur 15 Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut Gastbeitrag von Michael Wolff, Referent im Ministerium 36 Aufs Auge Kulturtipps Christina Kirsch, Friedrich Kern für Soziales und Integration Baden-Württemberg 18 Wie der soziale Status den Bildungsweg beeinflussen kann 38 Literatour Buchbesprechungen Max Blon, Volker Haefele ArbeiterKind.de für mehr Chancengleichheit an den Universitäten Lucia Casto 39 Impressum 20 Mitarbeitende in Behindertenwerkstätten erhalten nur geringen Lohn Mindestlohn in Diskussion Titelbild: Sylvia von Koch Andrea Rothfuß Trott-war ist eine Zeitung, die sozial benachteiligten Menschen hilft. 22 Der Fall ins Bodenlose Leben mit einer Depression Anne Brockmann Alle Verkäuferinnen und Verkäufer waren in sozialen Notlagen. Von den 2,60 Euro Verkaufspreis einer Zeitung behalten sie 1,30 Euro für sich. Die Juni-Ausgabe erscheint am 1. Juni 2021. 24 Homeoffice als neues Arbeitsmodell? Pro und Contra Max Blon Termine 26 Sex mit Handicap Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung Anne Brockmann Redaktionsschluss Juli-Ausgabe Montag, 17. Mai 2021 August-Ausgabe Mittwoch, 23. Juni 2021 28 Wieso sich ein Ehrenamt auszahlt Erfahrungsberichte zweier Ulmerinnen Christina Kirsch Anzeigenschluss Juli-Ausgabe Mittwoch, 9. Juni 2021 August-Ausgabe Mittwoch, 14. Juli 2021 30 Kraftpaule: ökologisch, nachhaltig und fair Craft-Bier-Brauer aus Stuttgart Martin Grunenberg Trott-war ist als gemeinnützig und mildtätig arbeitender Verein vom Finanzamt Stuttgart anerkannt und stellt 31 Comic Herbert Frank steuerabzugsfähige Spendenbescheinigungen aus. Mehr Infos dazu, wie Sie Trott-war unterstützen können, finden Sie in jeder Ausgabe der Straßenzeitung, im Web (www.trott-war.de) 32 Lichtkünstler zelebriert die Langsamkeit trott!art stellt Raritäten von Przemek Zajfert aus Sylvia von Koch und Nico Nissen oder über facebook.com/trottwar. Unsere IBAN: DE40 6005 0101 0001 1023 23 BIC: SOLADEST600 / BW Bank Stuttgart
4 Kreuz & Quer Auf dieser Seite ist zu lesen, was bei Trott-war intern passiert und was die Verkäuferinnen und Verkäufer bewegt. Außerdem informieren wir über Neuigkeiten aus dem Bereich Soziales in Stadt und Land. Ehrenamtliche Trott-war-Mitarbeiterin sucht neue Stelle Vor der Pandemie und dem folgenden Lockdown hat Athanasia Maraziari sich im Konversationskreis von Trott-war engagiert und einigen aus dem Ausland stammenden Trott-war-Verkaufenden Deutschkenntnisse vermittelt. Nun sucht die aus Griechenland stammende Germanistin mit langjähriger pädagogischer Erfahrung Arbeit als DaF-Lehrerin oder im Bereich Fremdsprachen, zum Bei- spiel Neugriechisch. Sie ist erreichbar unter 0157 75524515 oder athanasiamaraziare@gmail.com. Sie hat es verdient! Weltreise durch Stuttgart Foto: Samuel Müller Mit dem neu erschienenen Kin- derbuch „Namurs Weltreise durch Stuttgart“ lädt die Stuttgarter Kin- derbuchautorin Una Störl kleine Leserinnen und Leser zu einer großen Reise ein. Dabei ist nicht wie üblich die Ferne, sondern die Trott-war trauert um Frank Schön Nähe das Ziel. Am 19. März verstarb unser freier Mitarbeiter Frank Schön völlig Namur will die „Welt“ entdecken unerwartet im Alter von nur 53 Jahren an einer Sepsis, die durch eine – die sich für ihn als Zwergen- Staphylokokken-Infektion ausgelöst worden war. Den Leserinnen kind auf Stuttgart beschränkt. Er und Lesern von Trott-war dürfte Frank vor allem durch seine enga- reist vom heimatlichen Kräherwald gierten Artikel über Artenschutz und Tierhaltung sowie kenntnis- über den Feuersee zum Neckar reichen Besprechungen einiger Exponate der Staatsgalerie Stuttgart und hin zur Grabkapelle auf dem aufgefallen sein. Wir selbst schätzten Frank zudem als hilfsbereiten Württemberg, schließt in der Wil- und großzügigen Freund, Schöngeist und intelligenten Gesprächs- helma, auf dem Killesberg und im partner mit einem sehr eigenen, hintersinnigen Humor sowie über- Waldbad spannende Freundschaf- aus kreativen Kopf, der ständig Neues erdachte. Auch seine Arbeit ten, feiert auf Schloss Solitude eine bei Trott-war bedeutete ihm viel. Zu seinem Gedenken werden wir Hochzeit mit und besteht lustige daher in loser Folge seine Artikel im Trott-war-Blog veröffentlichen. Abenteuer am Bärenschlössle. Er bestaunt den Monte Scherbelino, lernt Spannendes über Stuttgarts Geschichte und kann am Ende Franks große Leidenschaft war – neben Trott-war – der wieder glücklich zu seiner Familie zurückkehren. Arten- und Tierschutz, wofür er auch einen großen Teil sei- nes Einkommens spendete. In Absprache mit seinen Hinter- Ein Kinderbuch für Groß und Klein – und alle, die Stuttgart aus bliebenen bitten wir darum, Franks Luchs-Patenschaft durch ganz neuer Perspektive kennenlernen wollen. Einen Eindruck erhält eine Spende noch eine Weile in seinem Sinne fortzuführen: man bei den „Leseohren“ auf YouTube. WWF Deutschland, Luchs-Patenschaft, Förderernr. 40152303, IBAN DE06 5502 0500 0222 2222 22, oder an Trott-war zu spenden „Namurs Weltreise durch Stuttgart“, mit Zeichnungen von Franz (Bankverbindung siehe Impressum). Bitterle, 56 Seiten, gebunden, ist für 15 Euro, von denen fünf an Trott-war gespendet werden, ausschließlich in Buchhandlungen in Unser Mitgefühl gilt seinen Hinterbliebenen. Stuttgart-West und Stuttgart-Süd sowie Botnang erhältlich: Buch und Spiel, Rotenwaldstr. 98; Buchhandlung Brucker, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg sucht Rosenbergplatz 3; Botnanger Buchhandlung, Franz-Schubert- neue Büroräume in Stuttgart Str. 25; Phönix, Kornbergstr. 44; PeTea-Store, Johannesstr 63; Werbegemeinschaft PiPaPo, Johannesstr. 94; Buch im Süden, Der mit Trott-war befreundete Flüchtlingsrat sucht in Stuttgart Böblinger Str. 151; Markus-Buchhandlung, Filderstr. 29; Kaltentaler neue Räumlichkeiten für höchsten 13 Euro je Quadratmeter und Papeterie, Böblinger Str. 472 einer Fläche von zirka 140 bis 160 Quadratmetern. Idealerweise wären die Büros vom Hauptbahnhof mit den öffentlichen Ver- Zudem ist es bestellbar bei der Autorin Una Störl, Telefon kehrsmitteln in bis zu 20 Minuten zu erreichen. Über Angebote oder 0172 6885718 und wstoerl@arcor.de. Hinweise an ihre E-Mail-Adresse grandinetti@fluechtlingsrat-bw.de würde Lucia Grandinetti sich sehr freuen.
Verkäufer-Portrait 5 Einfach ein gutes Leben Mit der Festanstellung ging es bergauf Seine Tätigkeit als freier Verkäufer gab Arpad aber nicht auf, weil er bei Trott-war aufhören wollte oder es Probleme gab. Ganz im Gegen- teil: Er hatte Aussicht auf eine Arbeit in Festanstellung. Ein Kollege fragte ihn, ob er sich nicht mal das Pfandprojekt anschauen wolle. Diese Chance ergriff Arpad und arbeitet seitdem festangestellt für die Trott-war-Initiative „Spende Dein Pfand“ am Flughafen. Die seit 2013 bestehende Initiative sammelt an über 50 Standorten Pfandflaschen in Sammelbehältern und sortiert diese. So trägt Trott- war nicht nur zum Umweltschutz bei, sondern konnte auch fünf sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Arbeitslose schaffen. „Viel los ist normalerweise am Flughafen“, erzählt Arpad. Er tauscht und leert dort die Sammelbehälter und sortiert die Flaschen. „Eine regelmäßige und feste Arbeit sowie eine Krankenversiche- rung zu haben“, schildert Arpad die Vorteile seiner Anstellung. Sein Leben habe sich dadurch stark zum Positiven gewendet. Die Regel- mäßigkeit helfe, ein strukturiertes und normales Leben zu führen. Derzeit fällt diese Regelmäßigkeit jedoch weg. Weniger Flugverkehr bedeutet auch weniger Flaschen – in Hinblick auf den Klimawandel erscheint das erstmal positiv. Für Arpad und seine Kollegen bedeutet dies aber vor allem weniger Arbeit. Sie sind seit April 2020 in Kurz- arbeit. Ihr volles Gehalt erhalten sie aber weiterhin: Trott-war stockt das Kurzarbeitergeld aus eigener Kasse auf. Momentan hilft Arpad bei Trott-war, wenn Arbeit ansteht, und unterstützt im Vertrieb. Foto: Amelie Pflugfelder Geld für Hobbys und finanzielle Sicherheit Mit schlichtem, aber deutlichem „Ja“ antwortet Arpad auf die Frage, ob ihm seine Arbeit Spaß mache. Die Kollegen seien nett und das Team arbeite gut zusammen. Deshalb hofft er, dass die Arbeit Arpad hilft während seiner Kurzarbeit im Vertrieb aus am Flughafen bald wieder losgehen kann. Seit acht Jahren arbeitet Arpad Kovacs für Trott-war. Erst als In seiner Freizeit beschäftigt sich Arpad gerne mit Fotografie. Als freier Verkäufer, später als Festangestellter im Pfandprojekt. Motiv diene ihm beispielsweise die Natur. Aber nicht nur das Foto- Für ihn bedeutet die Arbeit bei Trott-war viel: Sie bringt ihm grafieren an sich begeistert Arpad: „Ich habe ausprobiert, Fotos am nicht nur Freude, sondern hat sein Leben zum Positiven ge- Laptop zu bearbeiten. Videobearbeitung und Videos drehen möchte wendet. ich in Zukunft auch versuchen. Dafür möchte ich mir bald eine neue, bessere Kamera kaufen.“ Von Amelie Pflugfelder Auf die Frage, ob er etwas Besonderes aus seinem Leben erzählen 2012 kam Trott-war-Mitarbeiter Arpad allein nach Deutschland. möchte, erwidert Arpad, dass er „einfach ein gutes Leben habe“. Er Der heute 38-Jährige ist in einem kleinen Dorf in Ungarn aufgewach- sei derzeit zufrieden mit seinem Leben und auch bei Trott-war. In sen. Dort konnte er nur die Grundschule besuchen und hatte nie die Zukunft würde er gerne etwas Geld zur Seite legen, um finanziell Möglichkeit einer Berufsausbildung. Von der Caritas erfuhr er von abgesichert zu sein. Trott-war und begann, in Stuttgart Straßenzeitungen zu verkaufen. Doch 2017 gab Arpad seine Tätigkeit als freier Verkäufer auf. Bis dahin hatte er vier Jahre lang Straßenzeitungen am Marienplatz Der Trott-war-Blog verkauft. Dem ein oder anderen Leser ist er vielleicht sogar noch trott war Neue Trott-war-Recherchen bekannt. „Ich vermisse die vielen Stammkunden“, meint Arpad. und Aktuelles von Trott- „Seitdem habe ich sie leider nicht mehr gesehen und war nicht mehr am Marienplatz.“ Es seien aber schwere Zeiten für ihn gewesen, war finden Sie zudem in merkt er rückblickend an. Er gehörte nicht zu den festangestellten unserem Blog: Verkäufern und habe oft nur wenige Zeitungen verkauft. www.trott-war.de
6 Im Gespräch mit Olaf Scholz 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr Früher wählte vor allem der „Kleine Mann“ Ihre Partei; heute ist der Anteil der Wählerinnen und Wähler aus einkommens- armen Schichten vergleichsweise gering. Fehlt es der SPD an Bodenhaftung? Nein, im Gegenteil. Wie oft habe ich an Info-Ständen die Klage ge- hört: „Um einen wie mich geht’s ja nicht.“ Doch! Wir machen Politik für dich! Das ist der Grund, warum ich überhaupt in der Politik bin. Die Corona-Krise ist da auch eine Chance: Denn der Beifall für die Corona-Heldinnen und -Helden darf nicht einfach nur verhallen, die Anerkennung muss sich auch im Portemonnaie niederschlagen. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der diejenigen, die in einem schicken Viertel ihren Caffé Latte trinken, sich mit denen politisch verbinden, die ihnen den Kaffee an den Tisch bringen. Die Theater- Regisseurin ist genauso Teil der Gesellschaft wie der Altenpfleger oder die Ingenieurin. Wenn ich Kanzler werde, wird als eine der ersten Ent- scheidungen der Mindestlohn auf mindestens 12 Euro angehoben. Wir stehen für bessere Löhne und sichere Arbeitsplätze: in der Pflege, an den Discounterkassen, in den Logistikzentren. 678.000 Menschen haben laut der letzten Schätzung hierzu- lande keine eigene Bleibe – doch Ihr Wahlprogramm erwähnt wohnungslose Menschen nirgends. Sind das keine Wähler für die SPD? Natürlich taucht das Thema Wohnungsnot in unserem Programm Foto: Lutz Jäkel auf. Wir setzen uns massiv dafür ein, dass in Deutschland mehr Wohnungen gebaut werden, bezahlbare Wohnungen. Bevor ich in Hamburg Bürgermeister wurde, habe ich verlangt, dass wir viel mehr Wohnungen bauen müssen, weil viele unter den steigenden Mieten „Diejenigen, die sehr viel verdienen – und dazu zähle ich – sollen mehr Steuern zahlen” sehr leiden. Wir haben den Wohnungsbau in Hamburg richtig ange- kurbelt, mit 10.000 Baugenehmigungen pro Jahr – ein Drittel Eigen- In bald acht Jahren „GroKo“ hat die SPD einige sozialpoliti- tums-, ein Drittel Miet- und ein Drittel Sozialwohnungen. Als Bundes- sche Reformen durchgesetzt. Doch laut Umfragen profitiert finanzminister habe ich mit durchgesetzt, dass eigens das Grundgesetz sie davon kaum – und machte mit Olaf Scholz noch jeman- geändert wird, damit der Bund den sozialen Wohnungsbau weiterhin den zum Spitzenkandidaten, der mit zwei Finanzskandalen unterstützen kann. Mein Ziel: 100.000 neue Sozialwohnungen in in Zusammenhang gebracht wird. Annette Bruhns von der Deutschland pro Jahr. Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Hamburger Straßenzeitung Hinz&Kunzt fragte ihn, welcher sozialpolitische Wumms mit ihm als Bundeskanzler zu er- Und was ist mit den Menschen ohne deutschen Pass? Die heu- warten ist. tigen Obdachlosen sind mehrheitlich nicht-deutsch, sondern etwa aus Polen, Rumänien, Bulgarien. Im Sommer malochen Von Annette Bruhns viele auf Baustellen oder in der Landwirtschaft, im Winter fängt unser soziales Netz sie oft nicht auf. Wie will die SPD das Herr Scholz, dieses Interview führe ich für 20 Magazine, die ändern? in 20 deutschen Städten von Menschen verkauft werden, die obdachlos waren oder sind. Hand aufs Herz: Wann haben Sie Unser Ansatzpunkt: Der Kampf gegen die Ausbeutung von Ar- zuletzt eine Straßenzeitung gekauft? beitskräften und illegale Beschäftigungsverhältnisse. Die Zustände in der Fleischindustrie oder auf dem Bau sind schlimm – deshalb Oh, das ist einige Zeit her! Das ergibt sich meistens, wenn ich in haben wir reagiert. Der Zoll hat neue Kontrollkompetenzen erhal- einem Restaurant sitze und eine Verkäuferin oder ein Verkäufer an ten und mehr Personal, um die Branchen strikter zu überprüfen. meinen Tisch kommt. Seit Corona geht beides nicht. Mich empört es, wie viele lange Zeit hingenommen haben, dass
7 so etwas mitten in Deutschland geschieht – Knebelverträge, die den Beschäftigten fundamentale Rechte vorenthalten und sie unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht haben. Es muss darum ge- hen, jenen das Handwerk zu legen, die an solcher Ausbeutung verdienen. Faires und gerechtes Steuersystem Reicht das, um den südosteuropäischen Wanderarbeiterinnen und -arbeitern zu helfen? Foto: REUTERS, Axel Schmidt Die Europäische Union garantiert die Freizügigkeit. Und es gilt das hiesige Ar- beitsrecht, das die Arbeitgeber in der Pflicht sieht – das müssen wir durchset- zen. Die Wanderarbeiterinnen und -arbei- ter müssen wir über ihre Rechte in ihrer Olaf Scholz Ende Juli vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss. Einige Tage später machte jeweiligen Muttersprache informieren, die SPD ihn zu ihrem Spitzenkandidaten viele wissen gar nicht, was ihnen zusteht. Gemeinsam mit Bundesarbeitsminister Diese Frage ist, mit Verlaub, etwas platt. Gerade in der Pandemie Hubertus Heil habe ich das DGB-Projekt „Faire Mobilität“ besucht, hilft der Staat sehr umfassend allen Bevölkerungsschichten. In al- das Arbeitsmigrantinnen und -migranten genau diese Unterstützung lererster Linie geht es um den Schutz von Leib und Leben von uns bietet. allen. Und es geht um den Schutz von Beschäftigten und Unterneh- men, die unter den massiven Beschränkungen zu leiden haben, die Berlin hat begonnen, Obdachlosen Wohnungen ohne Vorbe- wir ergreifen mussten, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. dingungen anzubieten, Stichwort „Housing First“. Hamburg tut Wir setzen Milliarden ein, um durch die Kurzarbeits-Regel Arbeits- das nicht. Was halten Sie von dem Modell? plätze zu retten. Das macht uns gerade ganz Europa nach. Familien unterstützen wir mit dem Corona-Kinderbonus, der auch Familien Erst mal ist es wichtig, dass die Kommunen für alle, die auf der in Grundsicherung zukommt und bald zum dritten Mal ausgezahlt Straße leben, gut erreichbare und niederschwellige Angebote vor- wird. Und mir ist klar, was nach dieser Krise nicht passieren darf: halten. Jetzt in der Corona-Krise bleiben vielerorts die Unterkünfte Wir dürfen den Sozialstaat, der uns gerade ganz gut durch diese über die kalte Winterzeit hinaus offen bis in den Frühling … Pandemie bringt, hinterher nicht kaputtsparen. … also sind Sie nicht für „Housing First“? Finnland feiert damit Recht auf Arbeit statt Grundeinkommen bereits Erfolge. Die SPD will Hartz IV in ein „Bürgergeld“ verwandeln. Sozial Diese Fragen liegen in der Entscheidungskompetenz der Städte fänden die Sozialverbände, wenn der Regelsatz auf 600 Euro und Gemeinden – und dort gehören sie auch hin. Da gibt es viele ansteigen würde. Gehen Sie da mit? gute Ansätze. Zwei Herausforderungen sollten wir aber unter- scheiden: Zum einen die wachsende Migration innerhalb der EU, Die Corona-Krise hat eins gelehrt: Plötzlich sind Bürgerinnen und die die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt steigen lässt. Und zum Bürger in eine unverantwortete finanzielle Krise geraten, die zuvor zweiten diejenigen, die seit Jahren auf der Straße leben. Was aus der nie damit gerechnet hätten. Das hat uns allen gezeigt, wie wichtig Perspektive der jeweils Betroffenen der richtige Weg ist, kann nur es ist, dass der Staat helfend zur Seite steht und nicht noch Steine in vor Ort sachgerecht entschieden werden. den Weg legt. Darin liegt eine große Chance für unser Bürgergeld: Fördern, fördern, fördern – ohne mit nickeligen Sanktionen auszu- Sie haben sich mal als „Sehr-Gut-Verdiener“ bezeichnet. Die bremsen. Wenn etwa ein Selbständiger Grundsicherung in Anspruch KiPPe aus Leipzig fragt, ob Leute wie Sie höhere Steuern zahlen nimmt, muss er sich deshalb nicht einen neuen Job suchen, sondern sollen? kann sein Geschäft wieder auf den richtigen Weg bringen. Er muss auch nicht aus seiner Wohnung und darf seine Rücklagen behalten. Ja, unbedingt! Diejenigen, die sehr viel verdienen – und dazu Der US-Philosoph John Rawls hat mal treffend gesagt: Wenn eine zähle ich – sollen mehr Steuern zahlen, um Leute mit mittleren und Gesellschaft neu konstruiert wird – und das wollen wir mit dem niedrigeren Einkommen zu entlasten. Wir brauchen ein faires und Bürgergeld – möge man bedenken, dass man nicht weiß, ob man gerechtes Steuersystem. künftig arm oder reich sein wird. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellte 2014 fest, Bitte Butter bei die Fische: Hartz IV auf 600 Euro anheben, ja dass die 45 reichsten Haushalte hierzulande soviel Geld haben oder nein? wie die ärmere Hälfte aller Haushalte zusammen. Dieses Un- gleichgewicht nimmt jetzt noch zu; die Regierungs-Bazooka sieht Klar ist: Bei den Regelsätzen gibt es Steigerungsbedarf. Um die etwa für Hartz-IV-Empfänger bloß eine Einmalzahlung von 150 Schwächsten vor politischer Willkür zu schützen, darf der Regelsatz Euro vor. Wieso wächst die soziale Schieflage trotz einer mit- aber nicht auf Zuruf – auch nicht via Interviews – festgesetzt wer- regierenden SPD? den, sondern muss sich aus den dahinterliegenden Regeln ergeben.
8 Im Gespräch mit Olaf Scholz In den Haushalten, die ich als Bundesminister der Finanzen auf- gestellt habe, haben die Investitio- nen in Bildung, Soziales, Gesund- heit, Verkehr und Klimaschutz ein Rekordniveau erreicht. 2020 waren es insgesamt mehr als 50 Milliarden Euro. So will ich es als Regierungschef beibehalten. Zu- gleich braucht Deutschland eine verlässliche Bundeswehr, die fest Foto: REUTERS, Wolfgang Rattay in der NATO verankert ist. Ein starkes, souveränes Europa erfor- dert dies. Und wir setzen uns für Rüstungskontrolle und Abrüstung ein. Unser Ziel ist eine atomwaf- fenfreie Welt. Ein Finanzskandal aus Ham- Die Pandemie machte die SPD auf die seit Jahren fragwürdigen Arbeitsbedingungen und Löhne in burg verfolgt Sie: Kürzlich wur- deutschen Schlachtbetrieben aufmerksam de bekannt, dass der Chef der Warburg Bank einen Bettelbrief, Statt eines bedingungslosen Grundeinkommens will Ihre Partei den er Ihnen im November 2016 übergeben hatte, auf Ihre das Recht auf Arbeit einführen. Wo kann man dieses Recht Anregung hin auch an den damaligen Finanzsenator und heu- dann einklagen? tigen Bürgermeister Peter Tschentscher schickte. Wenige Tage danach hat die Finanzbehörde entschieden, Ansprüche auf 47 Unser Land steht vor Weichenstellungen, die entscheidend sein Millionen Euro verfallen zu lassen – Gelder, die sich die Bank werden für unsere Zukunft. Die Frage ist: Schaffen wir es, den via Cum-Ex-Geschäfte erschlichen hatte. Wie erklären Sie diese Klimawandel erfolgreich einzudämmen und gleichzeitig technolo- zeitliche Nähe? gisch in der Weltspitze zu bleiben und weiterhin über gut bezahlte Arbeitsplätze zu verfügen? Das geschieht nicht von allein, darum Die Kurzfassung: Es hat keinerlei politische Einflussnahme auf muss man sich kümmern. Beispielsweise indem wir die Erneuerba- die Entscheidung des Finanzamtes Hamburg gegeben. ren Energien viel stärker ausbauen als bislang geplant, indem wir in die Wasserstoff-Forschung investieren, damit wir über saubere und Sie haben den Deutschen gerade zehn Millionen Covid-19-Impf- verlässliche Energie verfügen, wenn kein Wind weht und die Sonne dosen pro Woche versprochen, Sie haben Hamburg mal den nicht scheint. Denn wir werden viel mehr grünen Strom brauchen, G20-Gipfel als eine Art Hafengeburtstag verkauft. Zocken Sie damit CO2-neutrales Wirtschaften in der Stahl-, Chemie- und Auto- gerne? mobilindustrie möglich wird. Die Industrie-Unternehmer wissen das, die Politikerinnen und Politiker von CDU/CSU eher nicht. Sie werden sicherlich genau hingehört haben: Ich habe darauf hingewiesen, dass wir wohl bald den Punkt erreichen werden, an Und warum kein bedingungsloses Grundeinkommen? dem wir mehr Impfstoff haben werden als wir mit unseren jetzigen Kapazitäten verimpfen können. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Weil ich den Verdacht nicht loswerde, dass es vor allem dazu Ab April werden wir mehrere Millionen Impfungen pro Woche führt, Leute abzufinden, statt sich um sie so zu kümmern, dass sie machen müssen, bis Ende Juni werden es bis zu zehn Millionen in Arbeit kommen. Impfdosen sein – so habe ich es gesagt. Ich möchte nicht erleben, dass wir Impfstoff auf Halde haben statt in den Oberarmen der Was bringt das Recht auf Arbeit? Patienten. Es formuliert einen Anspruch des Einzelnen gegenüber der Ge- Zuletzt eine Frage, die wir schon Robert Habeck gestellt haben: sellschaft. Die Bundesagentur für Arbeit muss zu einer Arbeitsver- Was würden Sie als Erstes tun, wenn Sie Bundeskanzler würden? sicherung ausgebaut werden, die aktiv dafür sorgt, dass man mit einer neuen Qualifikation auch einen neuen Beruf ausüben darf. Ich Einen Mindestlohn von 12 Euro einführen. bin dafür, dass auch eine 40-Jährige oder ein 50-Jähriger nochmal einen komplett neuen Job erlernen kann und dass es darauf einen Und was werden Sie tun, wenn Sie nicht Kanzler werden? Rechtsanspruch gibt. Ich werde Kanzler. Zocken und Finanzskandale Ihre Partei will eine Welt ohne Atomwaffen, der Genosse Außenmi- nister hat sich dagegen jüngst gegen den Atomwaffenverbotsver- trag ausgesprochen. Deutschlands „nukleare Teilhabe“ ist freilich auch teuer: Allein die Nachfolger für die alten Atomwaffenträger vom Typ Tornado kosten rund zehn Milliarden Euro. Wo stehen Sie: Werden Sie die Atomwaffen hierzulande abschaffen und das Geld für Bildung, Soziales, Gesundheit und das Klima einsetzen?
Ein Jahr Homeschooling 9 Foto: Privat Nadia Adaissi mit ihren drei Kindern Bildungsstau 2.0 Die Corona-Pandemie war und ist für alle, die im Bildungs- gebrochen.“ Und dann ging es auch schon los: 60 Unterrichtsblätter system tätig sind, eine enorme Belastung. Sowohl für Schüler, sollten gedruckt werden – zu viel für den in die Jahre gekommenen Eltern, Lehrer als auch Berufsberater. Haben die Kontaktbe- Drucker von Nadia. Er gab den Geist auf. schränkungen und das Homeschooling Spuren hinterlassen? Ein Blick in den Alltag der Betroffenen und ein Ausblick auf Hilflose Eltern wenden sich an ratlose Sozial- die möglichen Folgen. behörden Von Andrea Rothfuß Ihr ältester Sohn geht in die neunte Klasse der Werkrealschule und macht dieses Jahr seinen Abschluss. Für ihn organisierte sie einen Als die Corona-Pandemie vor einem Jahr begonnen hat, mussten Laptop von der Schule, der aber vom ersten Tag an nicht funktio- Schüler plötzlich zuhause bleiben. Die Lehrer sollten den Unterrichts- nierte. Also intervenierte Nadia und konnte den Laptop gegen ein stoff kontaktlos vermitteln und die Kinder und Jugendlichen sich die- iPad tauschen. Ihr zwölfjähriger Sohn hat den Unterricht über sein sen zu Hause aneignen. Mit Hilfe der Eltern. Doch diese Umstellung Smartphone online verfolgt, Nadia hat dann ebenfalls in der Schule erforderte auch technisches Equipment wie Laptop, Drucker und nachgefragt, ob dieser ein iPad ausleihen könne. Als Antwort kam einen Raum zum Lernen. Und vor allem: Eine Internetverbindung, eine schriftliche Info, sie solle beim Jobcenter die Anschaffung eines mit der die Schüler dem Online-Unterricht der Lehrer folgen konnten. solchen Geräts beantragen. „Das habe ich gemacht, eine dort ange- stellte Dame sagte mir, ich solle in zwei Wochen nochmal anrufen, Für viele Familien mit Kindern war dies eine erhebliche Umstellung, es sei noch nicht klar, ob es diese Möglichkeit gibt. Eine andere An- die große Schwierigkeiten mit sich brachte. So ging es auch Nadia gestellte beim Jobcenter sagte mir wiederum, ich müsse es schriftlich Adaissi. „Es war teilweise eine Katastrophe. Ich mache drei Kreuze, beantragen. Ich weiß aber gar nicht, ob ich dazu überhaupt das Recht wenn die Kinder wieder in die Schule gehen können“, fasst sie ein habe, weil ich nicht im SGB-II-Bezug bin. Und wir benötigen für den Jahr Online-Unterricht zusammen. Die 42-Jährige ist alleinerziehend Ausdruck der Unterlagen ja auch noch einen Drucker.“ und hat drei Kinder, der Jüngste ist zwölf Jahre, der mittlere Sohn vierzehn Jahre, die älteste Tochter fünfzehn Jahre alt. Ihre Kinder In den letzten Wochen war Nadia krankgeschrieben und deswegen auf die Schnelle mit dem technischen Equipment zu versorgen und zu Hause. So konnte sie ihre drei Kinder beim Homeschooling unter- ihnen Räumlichkeiten zu bieten, in denen sie den Unterricht online stützen. „Als ich die Monate zuvor aber täglich zur Arbeit gehen muss- verfolgen konnten, war das größte Problem. „Meine Tochter, die eine te, hat bei meinen Kindern das Homeschooling gar nicht funktioniert. Ausbildung zur Kinderpflegerin macht, hat ihren Schminktisch in Ohne mich klappte es einfach nicht, den Tagesablauf diszipliniert zu ihrem Zimmer genutzt, um dort mit meinem Laptop den Unterricht gestalten. Wir haben eine Drei-Zimmer-Wohnung, die Stimmung wur- zu verfolgen. Ich musste für sie noch Software kaufen und installieren. de von Woche zu Woche schlechter und gereizter, auch, weil man sich Außerdem ist mein Laptop, den ich ihr geliehen habe, nicht gerade nicht aus dem Weg gehen konnte. Und Freizeitaktivitäten weggefallen neu und schnell. Auch ist das Internet immer wieder zusammen- sind, soziale Kontakte kaum erlaubt waren“, so Nadia.
10 Ein Jahr Homeschooling und Zusatzangeboten wie etwa Nachhilfestunden. Aber auch durch die häusliche Lernatmosphäre als Ganzes sowie die interessierte dauerhafte Begleitung durch die Erziehungsberechtigten. „Studien beweisen, dass der Bildungserfolg in der Regel sehr stark auch vom Elternhaus abhängt – und nicht nur von der Schule“, so Gomolzig. Durch das monatelange Homeschooling könnten Schüler be- stimmter Bildungsschichten den Anschluss verloren haben. Laut Gomolzig zeichnet es sich jetzt schon deutlich ab, „dass den Kindern, für die die Schule ein verlässlicher Halt beim Lernen ge- wesen war, durch den Fernunterricht der Boden unter den Füßen weggezogen wurde“. Lehrkräfte, die sich gerade um die schwachen Kinder intensiv gekümmert hatten, seien plötzlich nicht mehr präsent gewesen. Die Folge: Schüler, die zuvor schon gedanklich nicht immer am Unterricht beteiligt waren, schalteten im häuslichen Umfeld schnell zunächst in den Stand-by-Modus und kappten dann die Verbindung ganz. „Eine Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus war oft nicht in dem Maß möglich, wie es für die Kinder gut gewesen wäre. Auf die Lehrer wird nach der Schulöffnung die Herkulesaufgabe zukommen, neben dem laufenden Stoff mit den Schülern in kleinen Schritten das Versäumte nachzuholen, ohne die Kinder und Jugendlichen zu überfordern.“ Foto: Pressefoto Michael Gomolzig, stellvertretender Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg, fordert pädagogische Konzepte sowie quantitativ ausreichende und qualitativ hochwertige Fort- und Weiterbildungen für Lehrer Auch Lehrer fühlen sich im Stich gelassen Auch aus der Sicht der Lehrer war Homeschooling eine große Herausforderung. Das weiß Michael Gomolzig, stellvertretender Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg. Dieser bildungspolitische, gewerkschaft- liche Interessenverband vertritt die Interessen unter anderem von Lehrern und Erziehern. So mussten die Lehrer zu Beginn der Pan- demie große Flexibilität zeigen: „Zu Beginn der Schulschließung im März 2020 konnte Fernunterricht meist nur dadurch gehalten werden, dass Lehrer mit eigenen Kameras Lehrfilmsequenzen zur Veranschaulichung herstellten und eigene Laptops und Smartphones sowie das privat eingekaufte Datenvolumen zur Übertragung dem Foto: Pressefoto Dienstherrn zur Verfügung stellten. Kein Lokführer muss die Lo- komotive selbst kaufen, um Fahrgäste befördern zu können. Bei den Lehrern wurde das mehr oder minder vorausgesetzt.“ Doch nicht nur um die Ausstattung müsse es gehen, denn Geräte allein würden noch keinen Unterricht machen. Um den Mehrwert des Markus Knorpp, Teamleiter der Berufsberatung Göppingen, hat ein Einsatzes digitaler Endgeräte auch zu erhalten, fordert Gomolzig klares Ziel: „Keiner darf verloren gehen.“ pädagogische Konzepte und quantitativ ausreichende sowie quali- tativ hochwertige Fort- und Weiterbildungen, welche die Lehrkräfte Auswirkungen bis hin zur Berufsberatung in der Dienstzeit in Anspruch nehmen können. Markus Knorpp ist Teamleiter der Berufsberatung Göppingen. Wie hat sich die schon zwölf Monate andauernde Pandemie auf Berufsberater sind dazu da, jungen Menschen eine Orientierung zu bildungsschwache Familien ausgewirkt? Gomolzig glaubt, dass bieten in der Wahl ihres künftigen Berufs. Doch gerade das fordert Schüler aus behütenden, gutsituierten Elternhäusern es bereits vor die Nähe zu Schülern und auch Eltern – und die ist seit einem Jahr der Pandemie leichter hatten als Kinder aus bildungsfernen Familien. nicht annähernd so möglich wie zuvor. Knorpp: „Vor der Pandemie Und zwar in Bezug auf die Ausstattung mit Unterrichtsmaterialien wurden Berufsberatungen fast ausschließlich im Rahmen von per-
11 sönlichen Gesprächen durchgeführt. Von regelmäßigen Sprechzeit- bringen oder erlernen, als auch über die entsprechende IT-Ausstat- angeboten an den Schulen, über Beratungsangebote in den Räumen tung verfügen. In beiden Punkten gab es laut Knorpp zu Beginn der der Agentur für Arbeit, bis hin zu Berufsorientierungsmessen und Pandemie noch echten Nachholbedarf: „In der Zwischenzeit werden vielfältigen vorgelagerten Orientierungsangeboten konnten interes- die Berufsberater in ihrem Bemühen nicht nachlassen, alle Schüler sierte Berufswähler einen niederschwelligen Kontakt zur Agentur zu erreichen, um mit ihnen den Weg in ihre berufliche Zukunft zu für Arbeit knüpfen.“ gehen und dabei gerade auf diejenigen ihr Augenmerk richten, die digitale Angebote nicht nutzen oder nutzen können. ,Keiner darf Durch die Kontakteinschränkungen während der Pandemie galt verloren gehen‘ ist in dieser Hinsicht ein Leitspruch der Berufsbe- es, die Angebote anzupassen und um neue, virtuelle Angebote zu ratung, der die momentane Situation gut beschreibt.“ erweitern. „Während die Sprechzeitangebote in den Schulen nur teilweise fortgesetzt werden konnten und auch Einschränkungen für Trotz allem Bemühen: Die Kontaktbeschränkungen der letzten die persönliche Beratung in den Agenturen für Arbeit bestanden, zwölf Monate konnten nicht spurlos an der Zusammenarbeit zwi- haben Beratungen per Videokommunikation und Telefon stark an schen Schüler und Berater im Prozess der Berufswahl vorbeigehen. Bedeutung gewonnen“, erläutert Knorpp. Die Umstellung auf eine Denn eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berufsberater und virtuelle Durchführung dieser Sprechzeiten sei dabei für alle Betei- Schüler ist nach Meinung von Knorpp auch weiterhin unabding- ligten eine echte Herausforderung gewesen, die jedoch mittlerweile bar: „Für diesen Vertrauensaufbau und die weitere kontinuierliche fast flächendeckend gemeistert werden konnte. Zusammenarbeit ist und bleibt der persönliche Kontakt der beste Weg, denn nur so können Berater die Jugendlichen auch wirklich Um die virtuellen Angebote nutzen zu können, müssten Schüler dort abholen, wo sie stehen.“ und Eltern sowohl die dafür notwendige Medienkompetenz mit- Anzeigen Kennen Sie schon unseren Onlineshop? Hier können Sie 24 Stunden am Tag stöbern und einkaufen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch unter: SWSG. IN STUTTGART ZU HAUSE. SEIT ÜBER 80 JAHREN. www.trott-shop.de Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH (SWSG) sorgt seit über 80 Jahren dafür, dass möglichst viele Menschen ein attraktives Zuhause in Stuttgart zu fairen Preisen finden. Wir bieten mehr als 18.000 Mietwohnungen an und bauen Eigenheime und Eigentumswohnungen. Als Unternehmen der Landeshauptstadt arbeiten wir aktiv daran, die Lebensqualität in Stuttgart zu steigern. Durch Modernisierung und Energieeinsparung im Bestand. Mit besonderem Engagement für Familien, Kinder und ältere Menschen. Mit speziellem Augenmerk Garten- und Teichanlagen • Natursteinarbeiten auf Integration und sozialen Ausgleich. Pflaster und Wege • Baggerarbeiten Pflanzungen • allgemeine Pflegearbeiten Obstbaumschnitt • Zäune Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH Augsburger Straße 696 | 70329 Stuttgart Schock Garten- und Landschaftsbau GmbH Telefon: 0711 9320-222 | www.swsg.de Isolde-Kurz-Str. 52 • 70619 Stuttgart Telefon (0711) 4 79 06 51 • Fax (0711) 4 79 94 60 Email info@mathias-schock.de
12 Kinderarbeit Karikatur: Kostas Koufogiorgos Schuften statt Schule Zu den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen gehört, Viele Flüchtlinge mussten in Kindheit arbeiten Kinder besser vor Ausbeutung und Gewalt zu schützen und ihnen einen Schulbesuch zu ermöglichen. Dabei schienen sie In Deutschland ist Kinderarbeit selten. Doch viele der unbegleiteten auf einem guten Weg und konnten insbesondere die Kinder- minderjährigen Asylbewerber, die sich hier aufhalten, mussten bereits arbeit mehr und mehr zurückdrängen. Die Corona-Pandemie in ihrer Kindheit arbeiten. So Khalil: In der Wohngruppe fällt schnell hat die Lage aber wieder verschlimmert. auf, wie geschickt er mit dem Bügeleisen umgeht. Oberhemden bügelt er im Nu, ohne Falten, professionell, und mit Nadel und Faden hantiert Von Waltraud Günther und Amelie Pflugfelder er wie ein Schneider. Irgendwann erzählt er, dass er schon als kleines Kind bei der Heimarbeit mithelfen musste. Bereits mit neun Jahren Als Kinderarbeit werden alle von Kindern ausgeführten Tätig- war er in einer Kleiderfabrik beschäftigt. Viele Stunden täglich musste keiten bezeichnet, für die Kinder zu jung sind, die gefährlich oder er dort Oberhemden nähen und bügeln, nach Hause konnte er nur ausbeuterisch sind, die deren körperliche oder seelische Entwicklung alle paar Wochen. Oder auch Murat. Als Kind sei er in Kabul „Ampel- schädigen, die diese vom Schulbesuch abhalten und Kindern ihrer Kindheit beraubt. Im Artikel 32, Absatz 1 der UN-Kinderrechts- konvention erkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes an, „… vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt und nicht zu einer Arbeit herangezogen zu werden, die Gefahren mit sich bringt, die Erziehung des Kindes behindern oder die Gesundheit des Kindes oder seine körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Ent- wicklung schädigen könnte“. Zudem ratifizierten alle 187 Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im August 2020 das ILO-Übereinkom- men Nr. 182 zur Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinder- arbeit, einschließlich Sklaverei, Zwangsarbeit und Menschenhandel. Grafik: statista, Creative Commons 3.0 Es verbietet den Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten, Prostitution, Pornografie, illegalen Aktivitäten wie Drogenhandel und bei gefährlichen Arbeiten. Bereits im Übereinkommen Nr. 138 verpflichteten sich die Mitgliedstaaten dazu, „eine innerstaatliche Politik zu verfolgen, die dazu bestimmt ist, die tatsächliche Ab- schaffung der Kinderarbeit sicherzustellen und das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung oder Arbeit fortschreitend bis auf einen Stand anzuheben, bei dem die volle körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen gesichert ist“.
13 Von 152 Millionen arbeitenden Kindern 152 sind 73 Millionen in gefährlicher Arbeit Millionen tätig 73 Millionen 48% Geschlecht Wirtschaftssektor Grafik: International Labour Office (ILO), Creative Commons 3.0 5-11 Jahre 70.9% 28% Landwirtschaft 58% 12-14 Jahre 88 Millionen 42% 11.9% 24% 64 Millionen Industrie 17.2% 15-17 Jahre Dienstleistungen männchen“ gewesen, berichtet er. Dort habe er sich mit seinem kleinen, ferkettengesetzes machen auf den ersten Blick Hoffnung auf ein Geschlecht Wirtschaftssektor selbstgebastelten Bauchladen an belebte Straßenkreuzungen gestellt neuerliches Zurückdrängen der Kinderarbeit. Es verpflichtet Unter- und seine Waren angepriesen. Ahmad wiederum musste schon früh nehmen, Kinderarbeitsrisiken zu analysieren, Gegenmaßnahmen 5 zu im Steinbruch, auf dem Bau und später beim Fliesenleger arbeiten. erarbeiten und über deren Wirksamkeit zu berichten. Kann nicht Kein Wunder, dass er heute der beste Fliesenleger seines Lehrjahres ist. nachgewiesen werden, dass Kinderarbeit verhindert wird, sind Unternehmen haftbar für SchädenLandwirtschaft 70.9% und müssen Entschädigungen Pandemie macht Erfolge zunichte leisten. Das gilt nicht nur für Kinderarbeit: In allen Branchen muss Wegen der Corona-Pandemie sind weltweit Millionen 58% Kinder für Lieferketten gesorgt werden, die frei von Menschenrechtsver- letzungen und Umweltverschmutzungen sind. 88 million einem erhöhten Risiko ausgesetzt, als Arbeitskräfte missbraucht zu werden. Befürchtet wird der erste Anstieg an Kinderarbeit seit über 42% NGOs 11.9% und die „Initiative Lieferkettengesetz“ kritisieren jedoch, 64 million zwei Jahrzehnten. Dabei konnte die Anzahl arbeitender Kinder seit dass der deutsche GesetzesentwurfIndustrie viele Schlupflöcher lasse. Die 2000 um fast 100 Millionen gesenkt werden. Sorgfaltspflichten von Unternehmen würden zu spät in der Liefer- kette ansetzen und bezögen sich nur auf direkte Vertragspartner. Die Pandemie macht die Erfolge zunichte: Familieneinkommen Der Anfang der Lieferkette, wo die meisten Missstände aufträten, brechen weg, kostenloses Schulessen fehlt und die Armut nimmt werde so nicht erreicht. Hier würden Unternehmen erst aktiv werden zu. Oftmals stellt die Arbeitskraft der Kinder die einzige Hinzu- müssen, wenn Menschenrechte verletzt werden. Ferner greife das 17.2% verdienstmöglichkeit für deren Familien dar. Mit dem Ende der Gesetz erst bei Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden – und kön- Pandemie dürfte jedoch nicht zwangsläufig auch die Kinderarbeit ne somit zudem durch eine Auftragsvergabe an Subunternehmen Dienstleistungen abnehmen. Vielmehr werden Millionen von Kindern wahrschein- umgangen werden. Eine zivilrechtliche Haftung, die Opfern von lich nie wieder eine Schule von innen sehen. Ihre Familien sind Menschenrechtsverletzungen eine Klage vor deutschen 5 Gerichten zu abhängig von ihrer Arbeit. Die Kinder altern unterdessen und ermöglichen würde, fehle im Entwurf. Und auch Umweltstandards verlieren den Anschluss. Unterricht in Präsenz konnte monatelang würden zu kurz kommen, da umweltbezogene Sorgfaltspflichten nicht stattfinden, Kontakt zu Lehrkräften ist kaum möglich und nicht vorgesehen wären. fehlende digitale Ausstattung verhindert Homeschooling. Von der Krise werden aber auch diejenigen Kinder getroffen, welche schon Deutschland wird die Vorgaben der EU damit nicht erfüllen. Dass vorher arbeiten mussten: Längere Arbeitszeiten und schlechtere es besser geht, zeigt zum Beispiel Frankreich. Arbeitsbedingungen sind Folgen der angeschlagenen Wirtschaft. Lieferkettengesetz schafft keine Abhilfe Der Vorschlag des Rechtsausschusses des EU-Parlaments für ein Lieferkettengesetz sowie der Beschluss eines deutschen Lie- Quelle Grafiken: International Labour Office (ILO): Global estimates of child labour: Results and trends, 2012-2016
14 Kinderseite Stell Dir vor! 152 M illionen K inder auf der ganzen Welt müssen täglich hart arbeiten. In Bergwerken, auf Plan- tagen, als Viehhirten oder im Haushalt. Man nennt das Kinderarbeit. Niemand schützt diese Kinder, keiner hilft ihnen. Meist haben sie nicht einmal genug zu essen. Und für die Schule bleibt oft keine Zeit. Stelle Dir einmal vor, Du bist einer der 152 Millionen Karikatur: Hugo Carrillo Kinderarbeiter! Du musst jeden Tag zur Arbeit gehen. Die ganze Woche über. Von morgens bis abends. Deine Familie braucht Deinen Lohn. Deshalb kannst Du auch nicht zur Schule gehen. Oder zum Fußballspielen. Oder ins Schwimmbad. Nirgends hin. Die 10 Jahre alte Sondang arbeitet im Haushalt einer reichen Familie in Indonesien. Der 11-jährige Daniel schuftet täglich in einem Bergwerk Sie hat dort viele Aufgaben – Sondang berichtet: in Bolivien. Er erzählt: Ich stehe jeden Tag sehr früh auf. Noch vor der Familie. Jeden Tag arbeite ich mindestens zehn Stunden im Berg- Ich muss das Frühstück für alle machen. werk. Danach bringe ich die Kinder zur Schule. In den engen Stollen ist es dunkel, stickig – und gefährlich. Viele Kinder verletzen sich oder sterben bei dieser Arbeit. Bis es dunkel wird, muss ich waschen, putzen und kochen. Mit schweren Wagen schieben wir die Felsbrocken ins Freie. Wenn etwas nicht klappt, bekomme ich Schläge. Mit Glück verdiene ich so viel, dass sich meiner Familie Abends bin ich richtig müde. davon etwas zu essen kaufen kann. Aber oft kann ich trotzdem nicht einschlafen – vor Hunger. Was ist Kinderarbeit? Wenn Kinder eine Arbeit machen müssen, die für ihren Körper oder ihre Seele gefährlich oder schädlich ist, oder die sie daran hindert, in die Schule zu gehen, ist dies Kinderarbeit. Viele Staaten versuchen gemeinsam, gegen Kinderarbeit vorzugehen. Zum Beispiel, indem sie keine Produkte kaufen, die von Kindern hergestellt werden. Weltweit wurde deshalb auch der 12. Juni zum Tag gegen Kinderarbeit ausgerufen. Vielleicht geht dann auch der große Wunsch von Sondang und Daniel endlich in Erfüllung. Beide möchten zur Schule gehen. Das ist gut so. Denn der beste Weg gegen (Kinder-)Armut ist Bildung. Übrigens: Die Geschirrspülmaschine ausräumen, Rasenmähen oder regelmäßig den Müll runtertragen ist keine Kinderarbeit! Schicke Deine Antworten bitte an: Gewinnspiel Trott-war e. V. „Kinderrätsel“ Trott-war verlost dreimal je ein Buch „Alle für Anuka“ von Falkertstraße 56 Annette Pehnt und Jutta Bauer. Darin geht es um Kinder, 70176 Stuttgart die sich gegen ihre Ausbeutung als billige Arbeitskräfte zur Wehr setzen. Wenn Du ein Buch gewinnen möchtest, musst Einsendeschluss ist der 31. Mai 2021. Du einfach die Frage beantworten: Bei mehreren Einsendungen entscheidet das Los. Wann sollten Kinder nicht arbeiten? a) Wenn die Arbeit gefährlich für sie ist. b) Wenn sie sich bei der Arbeit langweilen. c) Wenn sie wegen der Arbeit nicht zur Schule können. Es können mehrere Antworten richtig sein. Die personenbezogenen Daten werden außer für die Gewinnbenachrichtigung nicht elektronisch verarbeitet. Die Teilnahme- karten werden nach der Ziehung vernichtet und die Gewinnbenachrichtigungen nach einem Jahr gelöscht.
Gastbeitrag 15 Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut in Baden-Württemberg In Baden-Württemberg ist fast jedes fünfte Kind armutsge- fährdet. Das bedeutet, dass es in einer Familie lebt, in der ein im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung zu geringes Einkommen zur Verfügung steht. Das kann erhebliche und lebenslange Auswirkungen auf die Teilhabechancen der be- troffenen Jungen und Mädchen haben. Damit Kinder gut aufwachsen können, bedarf es neben finanziellen Transfer- leistungen einer öffentlichen Infrastruktur, die auf eine gleich- berechtigte Teilhabe aller Kinder bei Themen wie Bildung, soziale und kulturelle Partizipation, Ernährung, Gesundheit, Wohnen und Sozialraum ausgerichtet ist. Von Michael Wolff, Referent im Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg Foto: Projektteam Gesundheitsamt Stuttgart Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut schaffen bessere Teilhabechancen für alle Kinder Auf finanzielle Transferleistungen hat das Land wenig Einfluss – anders ist das bei der Förderung einer armutspräventiven Infra- struktur in den Kommunen. Dafür stellt das Land seit knapp zehn Jahren Mittel des Landeshaushalts für den Aufbau und die Weiter- entwicklung von Präventionsnetzwerken gegen Kinderarmut zur Verfügung. Derzeit bestehen 16 solcher Präventionsnetzwerke in Stadtteilspaziergang in Rot 13 der 44 Stadt- und Landkreise im Land. Das Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut in Stuttgart-Rot Im Rahmen der Strategie „Starke Kinder – chancenreich“ 2020/21 zielt darauf ab, die Startbedingungen, insbesondere von Kindern hat das Land Baden-Württemberg ein umfangreiches Paket an und Jugendlichen aus armutsgefährdeten Familien, zu verbessern Unterstützungsangeboten geschnürt, um Kinder und Jugendliche und einen Beitrag zu einer gesundheitsförderlichen Entwicklung zu stärken. Dazu gehört auch die Förderung von weiteren Prä- aller Kinder zu leisten. Dafür werden sowohl die Kinder und deren ventionsnetzwerken gegen Kinderarmut. Der diesjährige Förder- Familien direkt sowie dort ansässige soziale Einrichtungen und aufruf wird im zweiten Quartal 2021 veröffentlicht. Bis 2030 soll Organisationen bei der Erarbeitung von Konzepten und bei der dieser Ansatz in allen Stadt- und Landkreisen erprobt worden sein. Umsetzung von Maßnahmen unterstützt. Ein weiteres Ziel ist die Weitere Informationen finden Sie auf der Internetplattform www. Sensibilisierung der Familien und der Professionellen, vor allem starkekinder-bw.de. des Bildungs- und Betreuungswesens vor Ort, für die Wichtigkeit und die Möglichkeiten eines gesunden Aufwachsens inklusive einer Ziel eines Präventionsnetzwerks gegen Kinderarmut ist es, eine gesunden Ernährung der Kinder. Den Kindern und Jugendlichen integrierte kommunale Strategie zur Prävention und Bekämpfung werden dabei auch selbst Gesundheitskompetenzen und soziale von Kinderarmut zu entwickeln, damit sich Armutsgefährdung im Fähigkeiten vermittelt. Ein wichtiger Grundsatz hierbei ist die Kindesalter eben gerade nicht nachteilig auf die Teilhabechancen Beteiligung der Kinder, Jugendlichen und deren Familien. im gesamten weiteren Leben auswirkt. Im Stadtteil Rot leben zirka 300 Haushalte mit Kindern zwi- Ein Beispiel: Strategie gegen Kinderarmut und schen drei und sechs Jahren. Im Stuttgarter Vergleich sind hier für mehr Kindergesundheit in Stuttgart überdurchschnittlich viele Kinder sozial und gesundheitlich be- nachteiligt. Ein Viertel dieser Kinder lebt zum Beispiel in Haus- Seit Dezember 2018 läuft in Stuttgart-Rot (Stadtbezirk Stutt- halten, die auf sogenannte Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. gart-Zuffenhausen) die Arbeit im Präventionsnetzwerk „Gesund Ungefähr ein Fünftel der Kinder ist übergewichtig und gut ein aufwachsen in Rot“ unter Federführung des Gesundheitsamts Drittel hat motorische Auffälligkeiten. Die Kombination dieser Stuttgart. Das Projekt wird gefördert bis Mai 2021 aus Mitteln des Benachteiligungen schafft besonders schlechte Ausgangsbedin- Landeshaushalts. gungen für die Kinder.
16 Kinderarmut verhindern das Kinder- und Familienzentrum Löwensteiner Straße seit Herbst Drei zentrale Bausteine: Netzwerksteuerung – 2019 zweimal jährlich ein Willkommensfrühstück. Netzwerkgruppe – lückenlose Präventions- kette von der Geburt bis in die Schule Bewegungsangebote im Stadtteil Die Steuerungsfunktion innerhalb des Präventionsnetzwerks gegen Zusätzlich zu den Bewegungsmöglichkeiten in den Kitas wurden Kinderarmut übernimmt das Stuttgarter Gesundheitsamt. In eine in Kooperation mit dem Amt für Sport und Bewegung neue An- Netzwerkgruppe werden zahlreiche Organisationen und Personen gebote vor Ort etabliert, zum Beispiel „Sport im Park kids“ oder vor Ort sowie weitere Ämter der Stadtverwaltung eingebunden, die ein Winterspielplatz. Kinder zwischen drei und sechs Jahren können sich für ein gutes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen und ohne Anmeldung und kostenfrei daran teilnehmen. Die Bewegungs- für eine Verbesserung der Kindergesundheit engagieren. Dies sind angebote tragen zur Förderung der motorischen Entwicklung und insbesondere Bezirksverwaltung und Bezirksbeirat, Vertretungen des zur Übergewichtsprävention bei. Jugendamtes und des Amtes für Sport und Bewegung, die Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft, Vertretungen der Bildungs- und Be- Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte treuungsinstitutionen sowie das Kinder- und Jugendhaus Zuffenhau- sen und die Netzwerkkoordination von Angeboten der Frühen Hilfen. Die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas sind Multiplikatoren, wenn es um die Gesundheit der Kinder geht. Um ihnen eine be- Ziel von regelmäßigen Treffen ist es, eine über die eigene Zustän- darfsgerechte Unterstützung zu bieten, wurden verschiedene Fort- digkeit hinausgehende Arbeits- und Denkweise zu entwickeln, die bildungen vor Ort im Stadtteil angeboten. dabei helfen soll, übergreifende Strukturen zur Armutsprävention und Verbesserung der Kindergesundheit zu etablieren. Zusätzlich zu dieser Netzwerkgruppe entstand ein Kita-Netzwerk in Rot, in welchem sich die dortigen Kitas unterschiedlicher Träger treffen und zu gesundheitlichen Themen austauschen. Zu den Aufgaben der Netzwerkgruppen gehörte zunächst eine Bestandsaufnahme zur Lebenslage der Kinder und Jugendlichen, die sowohl die objektiven Daten des Stuttgarter Kindergesundheitsbe- richts und des Sozialmonitorings berücksichtigte sowie den Bestand der Angebote für Kinder und Jugendliche und deren Familien vor Ort erhob, als auch die subjektiven Bedarfe der Kinder, Jugendlichen Foto: Projektteam Gesundheitsamt Stuttgart und deren Eltern miteinbezog. Die Akteure aus Stuttgart-Rot haben zum Beispiel einen Stadtteil- spaziergang durchgeführt, um einen Eindruck vom Lebensumfeld der Kinder zu bekommen. In mehreren Kitas wurden die Eltern zu Verbesserungsvorschlägen im Stadtteil und den jeweiligen Kitas befragt. Durch die Situationsanalyse wurden Präventionslücken und zu- sätzliche Förderbedarfe sichtbar. Die örtlichen Netzwerkpartner konnten, daran angelehnt, notwendige bedarfsorientierte Angebote Psychomotorik-Fortbildung gemeinsam planen und deren Umsetzung untereinander abstimmen. Die in diesem Rahmen veranstaltete Psychomotorik-Fortbildung Der Fokus lag bis Ende 2019 auf der Förderung von Kindern gab Einblicke in die Arbeitsbereiche, Ziele und Methoden der Psy- von der Geburt bis zur Einschulung. Spätestens seit Beginn 2020 chomotorik und vermittelte psychomotorische Spiel- und Hand- geht es zusätzlich um die Förderung von Schulkindern und deren lungsräume. Es wurden Übungsformen zur Wahrnehmungs- und Familien. Hierzu starteten Planungen zu einem gesunden Frühstück Koordinationsförderung vermittelt und auf Störungsbilder sowie und Pausenvesper an einer Grundschule sowie ein Weiterentwick- deren Umgang eingegangen. Weitere Fortbildungen wurden bei- lungsprozess einer Realschule zur „Gesunden Schule“ mit den spielsweise zum Umgang mit (digitalen) Medien oder zum Stuttgar- Schwerpunkten Bewegungsförderung und Ernährung. ter Bewegungspass durchgeführt. Es sind eine Reihe von neuen Angeboten in Stuttgart-Rot entstan- Prozessbegleitungen in Kitas den, von denen eine kleine Auswahl im Folgenden vorgestellt wird. Über eine Krankenkassenförderung können im Rahmen des Pro- Willkommensfrühstück für werdende oder jektes individuelle Prozessbegleitungen in fünf Kitas durchgeführt erst kürzlich gewordene Eltern werden. Die Einrichtungen werden dabei intensiv und über einen längeren Zeitraum zu Themen der Gesundheitsförderung beglei- Eltern, die ein Baby erwarten oder vor kurzer Zeit Eltern ge- tet, zum Beispiel zur gesunden Ernährung. Dabei werden Kinder, worden sind, können andere Eltern aus dem Stadtteil kennenlernen Eltern, pädagogische Fachkräfte, der Träger und weitere Personen und sich über Angebote für Familien informieren. Die Familien im beteiligt. Stadtteil sollen dadurch zu Beginn der Präventionskette und damit so früh wie möglich persönlich erreicht werden. Deshalb veranstaltet
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