TRANSITION - Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen - maxq.net
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Publication Series for Participative Innovation and Transfer ISBN 978-3-00-057647-8 1 | 2017 TRANSITION Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen 017
TRANSITION 1|2017 Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen Impressum TRANSITION – Publication Series for Participative Band 1 der TRANSITION – Schriftenreihe für partizipative Innovation und Transfer basiert auf Innovation and Transfer den Ergebnissen des Projektes HYBRICO: Hybrides Pflegecoaching für informell Pflegende. Band 1 | 2017: Innovative Kompetenzentwicklung Es wird gefördert durch das Land Nordrhein-Westfalen unter Einsatz von Mitteln aus dem in der Altenpflege – Eine Branche auf neuen Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) 2014 – 2020: „Investitionen in Wachstum Qualifizierungswegen und Beschäftigung“ (FKZ EFRE-0800250; AZ LeitmarktAgentur.NRW: GE-1-1-008A). ISBN 978-3-00-057647-8 Erscheinungsort: Gelsenkirchen Projektpartner Herausgeber: Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V. Verlag: FIAP e.V. V.i.S.d.P.: Dr. Rüdiger Klatt, Silke Steinberg Bezugsadresse: FIAP e.V., Munscheidstraße 14, Gefördert durch 45886 Gelsenkirchen Lektorat: Ursula Meyer Layout: Q3 design GbR, Druck: print24.de, Abbildungen: alle FIAP/maxQ.; außer: Fotolia.com: fotogestoeber (S.1), Kzenon Der Band präsentiert gleichfalls Ergebnisse des Projektes AGEKO: Integriertes Trainingskonzept (S. 1 ), Robert Kneschke (S.4, 6, 14), Arto (S.7), für selbstbestimmte, innovative und präventive Arbeitsgestaltungskompetenz in der Pflege, Yuri Arcurs (S.11, 27), Luftbildfotograf (S.18), gilles das im Rahmen des Bundesprogramms „Fachkräfte sichern – weiter bilden und Gleichstellung lougassi (S.21), gb (S.25), contrastwerkstatt (S.36), fördern“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Bundesministeriums für Arbeit Gerhard Seybert (S.36); Shutterstock (S.1, S.24) und Soziales (BMAS) gefördert wird (Projektnummer ZMV II1-E023-NW-124). 2
Inhalt 2 Impressum 4 Editorial: Silke Steinberg, Rüdiger Klatt Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege – Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen Motivation 6 Silke Steinberg Kultureller und institutioneller Wandel in der Pflege – Kollaboration als Medium einer gemeinsamen, neuen Wertekultur 9 Silvia Marienfeld Zur Notwendigkeit von innovativen Bildungsdienstleistungen für Bildungsunternehmen im Gesundheitswesen Situation der Pflege 10 Rüdiger Klatt Arbeitsgestaltungskompetenz in der informellen Pflege? 12 Christiane Hernández Das Projekt AGEKO – Ein integriertes Trainingskonzept für selbstständige, innovative und präventive Arbeitsgestaltungskompetenz in der Pflege 14 Romina Große, Jochen Scharf Altenpflege sichern – Überblick über die Ergebnisse einer Befragung und Interviews in der Altenpflegebranche 17 Bernd Löffler Altenpflege 2030 – Zukunftsszenarien in Pflege und Ausbildung aus Praxissicht 20 Interview mit Claudia Middendorf, Silke Steinberg „Pflege braucht einen Anwalt.“ Innovative Praxis 22 Interview mit der DGB-Vorsitzenden Jutta Reiter, Elisabeth Meyer Die Pflege von Angehörigen aus gewerkschaftlicher Sicht 24 David Hawig Pflege 4.0 – Herausforderungen der Digitalisierung für die Pflege 26 Romina Große, Christiane Hernández Führungskulturen in der Pflege – Typische Führungskarrieren und ihre Probleme 28 Maurizio de Matteis Kreativität und Improvisation in der Pflege – Zur Bedeutung von künstlerisch-schöpferischen Anreizen in der Unterstützung von Beschäftigten in der häuslichen und ambulanten Pflege 30 Marie Jégu, Jochen Scharf Aktivierende Alltags- und aktive Arbeitsgestaltung in Pflege und Betreuung – Synergien für eine gute Lebensqualität 32 Elisabeth Meyer Pflegecoaching 4.0 – Qualifizierung für eine neue Dienstleistung zur Unterstützung informell Pflegender 35 Autorenhinweise Transition 1 | 2017 3
In den Projekten HYBRICO und AGEKO werden Bildungs- dienstleistungen in Co-Creation aller relevanten Akteure im offenen Innovationsprozess mit zielgenauer Bedarfs- orientierung entwickelt, gemeinsam umgesetzt, evaluiert und optimiert. 4
Editorial Innovative Kompetenzentwicklung in der Altenpflege – Eine Branche auf neuen Qualifizierungswegen Die Voraussetzungen moderner Gesellschaften verändern alle Akteure beteiligt sind, entwickelt und dann gemeinsam sich beständig auf allen Ebenen und das in einem rasanten umgesetzt, evaluiert und optimiert. Der Evaluations- und Tempo. Die Pflegebranche reagiert wie kaum eine andere Optimierungsprozess ist dabei nicht als abgeschlossene, Branche sensibel auf diese gesellschaftlichen Veränderun- ergebnisorientierte Entwicklung zu betrachten, sondern gen. Die Bedarfe der Pflegenden und der zu Pflegenden bleibt offen. Die zielgenaue Bedarfsorientierung und diese wandeln sich aufgrund von demografischen Veränderun- Anpassung sind nur durch die Integration aller relevanten gen, Migrationsbewegungen, kulturellem Wandel und auch Akteure und die kollaborative Entwicklung der Dienstleis- durch den Wandel der institutionellen und organisationalen tung möglich. Rahmenbedingungen. Beschäftigte in der Pflege, aber auch informell Pflegende, die in Zukunft wohl immer wichtiger Das Projekt HYBRICO fokussiert als Zielgruppe die informell werden, sind mit Herausforderungen konfrontiert, für deren Pflegenden, aber auch die professionell Pflegenden, die in Bewältigung sie systematisch unterstützt werden müssen. einer Coachingtätigkeit für diese Gruppe der Pflegenden Dazu bedarf es einer kontinuierlichen Kompetenzentwick- eine neue berufliche Perspektive finden und sie in ihrer lung, die sozusagen agil, das heißt offen und flexibel ver- Kompetenzentwicklung unterstützen. Im Projekt wird in laufen muss, um sich immer wieder den neuen Gegeben- partizipativen Workshops eine Coachingausbildung entwi- heiten anzupassen. Ein herkömmliches Verständnis von ckelt, die durch eine interaktive Webseite und eine Ausbildung, dass auf zeitlich begrenzte einmalige Qualifi- Smartphone-Applikation unterstützt wird. Insbesondere zierung setzt ist nicht mehr ausreichend, um den Qualifizie- die digitale Unterstützung, aber auch die Inhalte des Coa- rungsbedarf abzudecken. Auch traditionelle Strategien, um chings werden durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten Ausbildungen und Qualifizierungen zu konzipieren, die in (informell Pflegende, professionell Pflegende, Experten) ge- der Regel auf Kurrikula setzen, die einmalig von Experten staltet, um so bedarfsgenau eingesetzt werden zu können. entwickelt werden, um dann über Jahrzehnte die Unter- Das Projekt AGEKO unterstützt professionell Pflegende in richtsinhalte und -praxis festzulegen, sind nicht ausreichend, der Entwicklung ihrer Arbeitsgestaltungskompetenz, die um die zu Qualifizierenden im Pflegealltag angemessen zu sie in die Lage versetzen soll, präventiv, innovativ und in unterstützen. Neben den fachlichen Kompetenzen werden Balance mit ihrem Privatleben den Arbeitsalltag zu meis- überfachliche Potenziale und deren Entwicklung immer tern. Der Fokus liegt hier sowohl auf den Individuen als entscheidender, um in dieser Branche gute Arbeit zu reali- auch auf den Organisationen. Auf beiden Ebenen sollen sieren. Hier eröffnet sich ein neues Handlungsfeld für Bil- Strukturen entstehen, die ein innovatives und präventives dungsdienstleister in Gesundheitsberufen, das weit über Arbeiten in der Branche möglich machen. Dazu werden mit das traditionelle Themenspektrum hinausgeht und das den Unternehmen und den Beschäftigten maßgeschnei- prägend ist für eine innovative Arbeits-, Branchen- und Or- derte Kompetenzentwicklungskonzepte erarbeitet, die in ganisationskultur. den einzelnen Unternehmen unterschiedliche Schwer- punkte haben. Die kollaborative Entwicklung von Bildungsdienstleistun- gen und neuen Ideen für die Dienstleistungsentwicklung Beide Projekte haben einen gemeinsamen Fokus und viele in der Pflege bieten die Möglichkeit sowohl die Bildungs- gemeinsame Querschnittsthemen. Ziel ist es, über die kol- unternehmen im Gesundheitsbereich, als auch die profes- laborative Entwicklung von Bildungsdienstleistungen und sionell und informell Pflegenden in einer Art und Weise zu ihre Umsetzung einen kulturellen und institutionellen Wan- unterstützen, die es einerseits den Bildungsunternehmen del im Interaktionssystem Pflege dahin gehend zu unter- erlaubt, ihre Dienstleistungen an den aktuellen Bedarfen stützen, dass sowohl Beschäftigte in der Pflege als auch zu orientieren und auf der anderen Seite die zu Qualifizie- informell Pflegende über eine gezielte Kompetenzentwick- renden genau an der Stelle auffängt, an der Unterstützung lung ihre Handlungsbefähigung im Interaktionssystem ver- nötig ist. Darüber hinaus entstehen so neue Geschäftsideen bessern, sich selber schützen und zu einer bedarfsgerech- für die Unternehmen, die an den sich verändernden Kun- ten, innovativen und menschlichen Pflegekultur in unserer denbedarfen orientiert sind. Gesellschaft beitragen. Die Projekte HYBRICO und AGEKO, die beide in Zusammen- Das hier vorgestellte Schwerpunktheft der Schriftenreihe arbeit von FIAP e.V. und maxQ. durchgeführt werden, setzen „Transition“ des Projektes HYBRICO in Kooperation mit dem hier mit ihrer Arbeit an. In beiden Projekten geht es um die Verbundprojekt AGEKO stellt die Ergebnisse der Projekte Konzeption innovativer Bildungsdienstleistungen, die auf zur Diskussion und gibt einen Einblick in eine Branche auf die neuen Bedarfe von professionell und informell Pflegen- neuen Qualifizierungswegen. den antworten. In beiden Projekten werden diese Bildungs- dienstleistungen zunächst in einem offenen Innovations- Silke Steinberg, Rüdiger Klatt prozess, das heißt auf der Basis von Co-Creation, an der August 2017 Transition 1 | 2017 5
Motivation Silke Steinberg Kultureller und institutioneller Wandel in der Pflege – Kollaboration als Medium einer gemeinsamen, neuen Wertekultur Wandel ist ein Strukturmerkmal moderner Gesellschaften und betrifft alle Ebenen und Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Baumann hat dies als „liquid modernity“ bezeichnet und verweist damit auf die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Bau- mann, 2000). Individualisierung und Pluralisierung, Wertewandel, Globalisierung, Digitalisierung, die Dekonstruktion tradierter Rollen und sich wandelnder Märkte in einem verschärften Wett- bewerb sind Schlagwörter, die die Veränderungen beschreiben. Im Zuge des Wandels müssen Organisations- nicht nur Produkt, sondern auch Produzent prozesse und Gestaltungsprinzipien neu defi- von Kultur, denn er bringt seinen spezifischen niert werden. Kulturen, Institutionen und Or- multikulturellen Hintergrund in das Kollektiv ganisationen müssen mit dem Wandel Schritt und die Kommunikation ein. (vgl. zu einem halten, um zu überleben. Das bedeutet, dass offenen Kulturbegriff Steinberg, 2017). Kulturen auch in Institutionen und Organisa- In der Pflegebranche stellt die Notwendigkeit tionen nicht als geschlossene Gebilde zu be- des Wandels im Kontext von sich transformie- trachten sind, sondern als agiler Prozess, der renden Kulturen und der Anpassung an neue in kontinuierlicher Transformation begriffen gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Ak- ist. Auch das Interaktionssystem Pflege ist von teure vor große Herausforderungen. Ein offe- Wandel betroffen. Dieser Überlegung liegt ein nes, konstruktivistisches Verständnis von Kul- konstruktivistischer Ansatz von Kultur zu- tur, kann hier ein großes Potenzial bedeuten. grunde. Kultur wird dabei verstanden als ge- meinsame Welt von Bedeutungen, Erfahrun- Gegenstand dieses Heftes sind zwei Projekte, gen, Werten, Symbolen, Wissen und Praktiken deren Entwicklungen auf die Unterstützung eines wie auch immer gearteten Kollektivs. von Transformation in der Pflegebranche und „Kultur nenne ich den Wissensvorrat, aus dem hier insbesondere auf die Transformation von sich die Kommunikationsteilnehmer, indem Organisationskulturen, Organisationsprozes- sie sich über etwas in einer Welt verständigen, sen und Gestaltungsprinzipien in der Branche mit Interpretationen versorgen“ (Habermas, abzielen und auf die Rolle, die Bildungsdienst- 1988, S. 203). leistungen in diesem kulturellen Wandel spie- Jeder Mensch nimmt an unterschiedlichen len können. In beiden Projekten wird die trans- Kollektiven und Kommunikationen teil und ist disziplinäre Kollaboration aller beteiligten daher an sich multikulturell. Er ist dabei immer Akteure für die Entwicklung dieser Dienstleis- 6
xxxxxx In den skandinavischen Ländern charakterisiert sich Pflege durch Universalismus, Professionalität tungen, als Schlüssel für ein Gelingen der Transformations- und einen hohen prozesse betrachtet. Die Organisationen und auch die Ins- Organisationsgrad. titutionen der Pflege stehen vor der Notwendigkeit, sich den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbe- dingungen anzupassen und der Herausforderung diesen Wandel in ihrer Kultur und ihren Organisationsprozessen zu gestalten. Nur eine Organisationskultur, die den gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen entspricht, wird positiv wahrgenommen, unterstützt die Qualität der Pflege und somit das Wohlbefinden der zu Pflegenden, die Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter und damit die Betriebsergebnisse der Organisationen. Der Begriff der Organisationskultur umfasst geteilte Werte, Normen und Grundannahmen in der Organisation, aber auch die Organisationsprozesse. Es lassen sich für die Betrachtung von Organisationskultur drei Ebenen unterscheiden: • die Kulturebene (Werte, Orientierungen), • die Instrumentalebene (verwendete Instrumente zur Steu- erung der Unternehmensprozesse) und die • Prozessebene (Handlungen, Kommunikationsprozesse) (Bamberg et al., 2016, S. 194). Veränderungsprozesse, bzw. „Restrukturierungen“ im Be- sam getragen und gelebt. Die belastenden Aspekte des reich der Organisationskultur müssen alle Ebenen einbe- Wandels für die Individuen können so minimiert werden. ziehen und führen auf der einen Seite zu mehr Markt- und Auf diesem Hintergrund ergeben sich neue Qualifizierungs- Wettbewerbsfähigkeit, auf der anderen Seite bedeuten sie bedarfe für die Akteure in den Organisationen und neue aber auch hohe Risiken für Gesundheit, Motivation und Be- Horizonte für die Entwicklung von Bildungsdienstleistungen lastungen der Mitarbeiter, wie Untersuchungen in restruk- bei den Bildungsanbietern. turierten Organisationen zeigen. Hemmende Faktoren in Veränderungsprozessen sind vor allem Unsicherheit und Auf den dargestellten unterschiedlichen Ebenen der Orga- Angst. Hier spielt in der Pflege vor allem die qualitative Ar- nisationskultur sollen im Folgenden die Anforderungen beitsplatzunsicherheit eine wichtige Rolle, das heißt, die und die entstehenden Qualifizierungsbedarfe einer „kolla- Angst, dass sich Arbeitsbedingungen negativ verändern borativen“ Organisationskultur, wie sie sich in den Projekten oder persönliche Nachteile entstehen. dargestellt haben, beschrieben werden. Dabei ist der Begriff Entscheidend für die Restrukturierung von Organisationen der Kollaboration konzeptionell zu verstehen. Die gleich- ist aber nicht allein die kollaborative Ebene innerhalb der berechtigte, demokratische Zusammenarbeit vieler hete- Organisation, sondern auch die Öffnung im Hinblick auf ex- rogener Akteure ist das wesentliche Strukturmerkmal kol- terne Partner. Ein kundenintegrativer Ansatz verändert nicht laborativer Wertschöpfungsprozesse. Kollaboration geht nur Produkte und Dienstleistungen, die von Unternehmen dabei über das Konzept der Partizipation hinaus, bei dem angeboten werden. Er restrukturiert Organisations- und Ar- bereits zu Beginn des Prozesses feste Erwartungen das Ziel beitsprozesse und unterstützt auch im Pflegebereich das betreffend existieren. Kollaboration meint einen autonomen, Unternehmen am Markt. Die kundenintegrative Entwick- agilen Prozess. lung des Pflegecoachings 4.0 im Projekt HYBRICO und die Positionierung der neuen Dienstleistungen im Angebot der Kulturelle Aspekte der kollaborativen mitwirkenden Unternehmen, führt dies deutlich vor Augen. Organisationskultur Der hier vorgeschlagene und in den beiden Projekten er- Im Projekt AGEKO werden Maßnahmen entwickelt, die ei- probte Lösungsansatz zielt auf eine konsequente Etablie- nen kulturellen Wandel in der Pflege unterstützen sollen. rung von Partizipations- und Kollaborationsstrukturen, in In HYBRICO wurde mit informell und professionell Pflegen- denen die Akteure in den Organisationen und außerhalb den eine Maßnahme entwickelt, die zu einem neuen Selbst- der Organisationen auf Augenhöhe an Entscheidungspro- verständnis von professionell Pflegenden (als Coaches) zessen beteiligt werden, Werte und Orientierungen defi- führt und auch die Situation der informellen Pflege nach- nieren und gleichberechtigt Verantwortung übernehmen. haltig beeinflusst. Dieser Wandel wird von Organisationen Eine kollaborative Organisationskultur ist von souveränem, und Individuen in der Pflege als nötig empfunden und ge- selbstbewusstem Handeln aller Akteure gekennzeichnet, wollt, kommt aber nur sehr schwierig voran, was auch an durch transparente Kommunikation und soziale Unterstüt- den Voraussetzungen der Branche in Deutschland liegt. In zung. Notwendige Veränderungsprozesse werden so gemein- Deutschland ist Pflege ein Niedriglohnsektor. Nur wenige Transition 1 | 2017 7
Steinberg | Kultureller und institutioneller Wandel in der Pflege junge Menschen entscheiden sich diesen Be- der Schwierigkeiten der Finanzierbarkeit einer In den einzelnen Maßnahmen zeigt sich, dass ruf zu ergreifen und es gibt eine hohe Fluk- größtenteils staatlich finanzierten Pflege auch traditionelle Qualifizierungsmodelle nicht tuation. Die Organisationen in der Branche in Skandinavien gibt, können die hier geleb- mehr greifen, da die Anforderungen des kämpfen, um sich am Markt und angesichts ten Organisationskulturen dennoch als weg- Handlungsfeldes Pflege immer komplexer des Fachkräftemangels zu behaupten und weisend für die Gestaltung gelten. Vor dem werden und rein fachlich konzipierte Qualifi- sind personell chronisch unterbesetzt und Hintergrund der kulturellen Aspekte einer kol- zierungskonzepte nichts bewirken. So wird nur unzureichend vernetzt. Der geringe Orga- laborativen Organisationskultur, wurden in beispielsweise Pflegenden in der häuslichen, nisationsgrad und die spät einsetzende Pro- den Projekten HYBRICO und AGEKO die Instru- ambulanten Pflege eine hohe Sozialkompe- fessionalisierung stehen im Zusammenhang mentalebene und die Prozessebene gestaltet. tenz in der Interaktion mit Patienten und An- mit der Tatsache, dass nach wie vor Pflege in gehörigen abverlangt. Sie müssen die Fähig- Deutschland am Modell der familienbasierten Instrumental- und Prozessebene keit haben, sich immer wieder auf neue Pflege orientiert ist, das heißt Pflege wird vor- Die Instrumentalebene einer Organisations- Situationen einzustellen und selbstbestimmt rangig durch Angehörige geleistet, bei niedri- kultur umfasst Maßnahmen zur Steuerung der zu reagieren. Der kunstpädagogische Ansatz ger öffentlicher Finanzierung. Unternehmensprozesse. Hier stehen beispiels- Improvisationskunst zu vermitteln (s. Beitrag weise Leitbilder und Führungssysteme, aber de Matteis, S. 28) bietet hier ganz neue Wege, Vergleicht man die Ausgangslage mit der in auch konkrete Instrumente, wie Zielvereinba- die die Individuen in ihrer Handlungsbefähi- Ländern mit serviceorientierten Pflegesyste- rungs- oder Rückkehrergespräche und Ge- gung stärken. Ein solcher Ansatz schult auch men, das heißt mit Systemen, die auf vorran- sundheits- oder Qualitätszirkel im Fokus. das Vermögen zur Kollaboration. gig professionelle Pflege, bei einem gleichzei- Diese Instrumente sind konkrete Andock- tig hohen Anteil an öffentlicher Finanzierung punkte an denen das Projekt AGEKO ansetzt, In HYBRICO werden neue Qualifizierungswege setzen, fällt vor allem der hohe Professionali- um im Sinne einer innovativen „Arbeitsgestal- gewählt, die vor allem auf die Ausbildung von sierungsgrad der Pflege in diesen Ländern auf. tungskompetenz“ die Mitarbeiter einer Or- Sozialkompetenz und überfachlichen Fähig- Beispielsweise in den skandinavischen Län- ganisation zu befähigen diese Instrumente keiten setzen. Die ausgebildeten Coaches dern charakterisiert sich Pflege durch Univer- kollaborativ zu gestalten. Der gemeinsame müssen in der Lage sein das eigene Interakti- salismus, Professionalität und einen hohen Gestaltungsprozess führt zu einer hohen Ak- onssystem mit dem Coachee dialogisch zu Organisationsgrad. Während der letzten 50 zeptanz der Instrumente und unterstützt eine gestalten, diesen aber auch in seiner Gestal- Jahre gab es kontinuierliche Professionalisie- Corporate Culture. Für diesen Entwicklungs- tungskompetenz für die Beziehung zum zu rungsbemühungen, die auch zu einem ganz- prozess werden die Individuen auf der Pro- pflegenden Angehörigen unterstützen. heitlichen Selbstverständnis der Branche und zessebene in ihrer Handlungsbefähigung und zu einer hohen Wertschätzung der Pflegebe- in ihren kommunikativen Kompetenzen ge- Auf allen drei Ebenen der Organisationskultur rufe innerhalb der Gesellschaft geführt haben. stärkt. Die dazu benötigten Qualifizierungs- zeigt sich, dass ein kollaborativer Ansatz dazu Die Organisationskulturen in serviceorientier- maßnahmen werden individuell auf die Or- beitragen kann, den kulturellen Wandel in der ten Pflegesystemen, die sich durchlaufend ganisationen zugeschnitten und mit ihnen Pflegebranche zu unterstützen und die Risiken professionalisieren und den Bedingungen der gemeinsam konzipiert. In den Unternehmen und Hemmnisse für die Individuen zu mini- „Liquid Modernity“ anpassen konnten zeigen, zeigen sich unterschiedliche Bedarfe, die auch mieren. Kollaborative Gestaltung einer ge- wie eine moderne, kollaborative Organisati- von den unterschiedlichen Profilen und Rah- meinsamen Werte- und Organisationskultur onskultur gestaltet ist. menbedingungen der Unternehmen abhän- verbessert Arbeitsbedingungen und hat das gen. Der kollaborative Ansatz führt aber Potenzial die Pflege als moderne und inno- Kennzeichnend ist ein ganzheitlicher Blick auf grundsätzlich zu einer Reflexion der Führungs- vative Branche aufzuwerten. den Beschäftigten als Individuum und die Or- und Teamstrukturen und zu mehr partner- ganisation als zusammenhängenden Orga- schaftlicher Kommunikation und kooperati- nismus unterschiedlicher Individuen. Skan- vem Handeln. Literatur dinavische Ansätze zur Entwicklung von Bamberg, E., Dettmers, J., Tanner, G. (2016): Diffundie- Organisation und Individuum in der Pflege Genau diese Aspekte ermöglichen im Projekt rende Grenzen von Organisationskulturen – die Rolle setzen zunächst auf strukturelles Empower- HYBRICO den Entwicklungsprozess mit exter- von Kundinnen und Kunden. In: Badura, B. et al. ment. Dazu gehört eine direkte Partizipation nen Partnern. Sowohl für die Entwicklung des (2016): Fehlzeiten-Report 2016, Springer Baumann, Z. (2000). Liquid modernity. Cambridge: Po- der Beschäftigten an Organisationsprozessen Coachings als auch für die der digitalen Un- lity Press und enthierarchisierte Organisationsformen. terstützungsinstrumente sind das Wissen und Habermas, J. (1988). Der philosophische Diskurs der Die Vermittlung eines beruflichen Selbstver- der Input der Kunden elementar. Der kollabo- Moderne. Suhrkamp ständnisses und die Fähigkeit wertschätzende rative Entwicklungsprozess setzt ein gemein- Steinberg, S. (2016). Transkulturalität als Potenzial in offenen Innovationsprozessen. In Steinberg, S. et al. Dialoge auf allen Interaktionsebenen zu führen, sames Kommunikationssystem, eine gemein- (2016), Kooperative Entwicklung von Altenpflegeaus- sind wichtige Aspekte der Personalentwick- same Sprache und die Bereitschaft aufeinan- bildung für China – Ein Modell für den Bildungsexport. lung. Trotz aller Probleme, die es aufgrund der zuzugehen voraus. Münster: LIT Verlag 8
Motivation Silvia Marienfeld Zur Notwendigkeit von innovativen Bildungs- dienstleistungen für Bildungsunternehmen im Gesundheitswesen Im Kontext der europäischen Bildungsprozesse zum lebensbegleitenden Lernen werden für die dafür erforderlichen Bildungsdienstleistungen in Aus- und Weiterbildung die Notwendigkeit der Innovation formuliert. Die nun zu beantwortende Frage lautet: Wie müssen sich die Bildungsdienstleistungen verändern, um den Anforderungen nach Flexibilität und innovativem, individuellem Kompetenzerwerb gerecht zu werden? Die Lernwelt und Lernarrangements haben stützung des FIAPs und dessen Expertise zur Coaches entwickelt. Das Qualifizierungsan- sich in den vergangenen dreißig Jahren kon- kundenintegrativen Entwicklung von Bildungs- gebot richtet sich insbesondere an Unterneh- tinuierlich verändert und weiterentwickelt. dienstleistungen individuelle, auf einzelne Un- men, die Mitarbeiter zum Coach ausbilden Ansätze findet man in der Veränderung der ternehmen abgestimmte Qualifizierungspro- lassen, um andere Mitarbeiter, die neben der Ausbildungspraxis im dualen Ausbildungssys- gramme. Hierzu werden die unterschiedlichen Arbeit die Pflege eines Angehörigen bewäl- tem durch die Einführung eines Lernprozess- Akteure in den Unternehmen direkt in den Ent- tigen müssen, zu unterstützen. Es richtet sich begleiters bereits in den achtziger Jahren. wicklungsprozess einbezogen. Sie formulieren aber auch an Krankenkassen, ambulante Hintergrund war hier die Erkenntnis aus der Bedarfe zur Kompetenzentwicklung am Arbeits- Pflegedienste und geriatrische Kliniken, die Lerntheorie, dass Lernen nur auf der Basis platz, die dann zu den einzelnen Maßnahmen diese neue Dienstleistung ihren Kunden an- des Eigenlernens stattfindet. Dieser Paradig- gestaltet und durch das Beraterteam mit den bieten möchten. menwechsel hat mit einer Verzögerung eben- Beschäftigten umgesetzt werden. Dies führt zu falls Einzug in die Ausbildung der Pflege-und einem geänderten Verständnis der eigenen Auch hier setzen maxQ. und das FIAP auf in- Therapieberufe gefunden. Die Abkehr von der Rolle im Unternehmen, zu mehr Handlungssi- teraktive und partizipative Strukturen, um den inhaltsdominierten Wissensvermittlung hin cherheit in Grenzsituationen und zur Bewälti- Entwicklungsprozess zu optimieren. Sowohl zu lernfeld- oder handlungsorientiertem Kom- gung der Herausforderungen in der Pflegear- in der Ausbildung zum Coach als auch in der petenzerwerb nach der Jahrtausendwende beit. Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Entstehung von Dienstleistungen, spielt digi- dient als Beleg dafür. Gleichwohl wird die voll- Bildungsangebotes ist die mit dem Unterneh- tale Technik eine Schlüsselrolle. Die Ausbil- ständige Umsetzung derartiger Lernkonzepte men gemeinsam durchgeführte Bildungsbe- dung nutzt neben dem Präsenzunterricht On- viel Zeit in Anspruch nehmen. Wir werden darfsanalyse (Schlutz, 2006, S. 40 ff.). Hier wird linekurse, die die Kursteilnehmer für sich noch eine Reihe von Jahren in einer hybriden das Aufgabenfeld des Bildungsdienstleisters mitgestalten. Im Coaching können dann für Lernwelt leben. Neben Lernsystemen, die sich um eine Beraterfunktion erweitert, der die sys- den jeweiligen Kunden ausgewählte Bereiche an Wissens- und Qualifizierungszielen orien- tematische Einbeziehung des Arbeitsplatzes freigeschaltet werden. Das Projekt verbindet tieren, werden aber zunehmend kompetenz- als Lernort zur Verbindung von Lernen und Ar- analoge und digitale Elemente, um zu einem orientierte Lernkonzeptionen an Bedeutung beiten als Strukturmerkmal nutzt. optimalen Ergebnis zu kommen. gewinnen (Sauter, 2014). Die Zukunftsfähigkeit, die Modernisierungs- Bildungsdienstleister geraten nun in Verän- chancen und die Entwicklungsmöglichkeiten, In beiden Projekten eröffnen sich für maxQ. derungsprozesse, insofern als sie nun keine nicht nur der Bildungsdienstleister, sondern neue Perspektiven. Dem Bildungsanbieter im Standardangebote an Unternehmen in der auch der Unternehmen, sind abhängig von Gesundheitsbereich erschließen sich neue Pflege vertreiben können, sondern sich an die der Flexibilität mit diesen neuen Lernanfor- Zielgruppen und innovative Bildungsange- sich schnell verändernden Bedürfnisse der derungen umgehen zu können. Insofern sind bote. Der partizipative Ansatz ermöglicht eine Unternehmen anpassen müssen. Diese neue dies die Voraussetzungen zur lernenden Or- passgenaue und marktgerechte Entwicklung Orientierung an den Rahmenbedingungen ganisation, die es der Mitarbeiterin und dem und integriert das Wissen der potenziellen und spezifischen Qualifizierungsbedürfnissen Mitarbeiter ermöglichen, in einer organisatio- Kunden. Nur durch die Bereitschaft zur kon- führt zu einem Umdenken. Das Unternehmen, nalen Lernumgebung vernetzt mit anderen tinuierlichen Weiterentwicklung der eigenen der Kunde, steht im Fokus der Orientierung berufliche Kompetenzen zu entwickeln. Angebote, durch Reflexivität und Lernen kann für die Entwicklung eines Bildungsangebotes. ein Bildungsdienstleister wie maxQ. auch zu- Die Nachfrageorientierung prägt den gesam- Das Projekt HYBRICO: Hybrides Pflegecoa- künftig in einem komplexen und dynami- ten Entstehungs- und Durchführungsprozess. ching für informell Pflegende, das maxQ. schen Markt erfolgreich arbeiten. Das bestehende Seminarangebot muss um ebenfalls gemeinsam mit dem FIAP durch- individuelle Bildungsdienstleistungen ergänzt führt, geht noch einen Schritt weiter bei der Literatur werden. Der Kunde wird zum Mitentwickler Entwicklung von innovativen Bildungsdienst- Schlutz, E. (2006). Bildungsdienstleistungen und Ange- dieses neuen Angebotes. leistungen. Zunächst nimmt es neue Ziel- botsentwicklung. Münster: Waxmann Verlag. Sauter, S. M. & Sauter, W. (2014). Workplace Learning. gruppen in den Blick. Im Projekt wird eine Integrierte Kompetenzentwicklung mit kooperativen Im Projekt AGEKO kommt seit 2016 dieser An- Coachingdienstleistung für pflegende Ange- und kollaborativen Lernsystemen. Berlin, Heidelberg: satz zum Tragen. maxQ. entwickelt mit Unter- hörige und ein Curriculum zur Ausbildung der Springer-Verlag. Transition 1 | 2017 9
Rüdiger Klatt Arbeitsgestaltungskompetenz in der informellen Pflege? Im Projekt HYBRICO: Hybrides Pflegecoaching für informell Pflegende wird durch die Bildungseinrichtung maxQ. und das Forschungsinstitut FIAP ein innovatives Weiterbildungsangebot zur Unterstützung des Selbstlernens und Selbstmanagements informell Pflegender entwickelt und erprobt. Gegenstand des Projektes ist die Konzeptio- riger sollen einfache Tools und Handreichun- kultur. Diese Kultur wirkt als Sperre gegen eine nierung eines neuen Qualifizierungsangebo- gen das Selbstlernen und die Kompetenzent- (schnelle) Digitalisierung von Pflege- und Lern- tes für professionell Pflegende. Sie sollen in wicklung in begrenztem Umfang ermöglichen, prozessen. Sie gilt sowohl für die Fachkräfte die Lage versetzt werden, pflegende Angehö- immer im Bewusstsein der Differenz von pro- in ambulanten und stationären Einrichtungen. rige zu begleiten und anzuleiten, ihr Handeln fessioneller und ehrenamtlicher Arbeit. Der Sie gilt aber auch für pflegende Angehörige. und Verhalten gegenüber den zu Pflegenden, Schwerpunkt des Coachings liegt auf der För- Auf der anderen Seite ist eine kontrollierte aber auch gegenüber den eigenen Bedarfen derung von Gesundheit, Prävention und einer und menschengerechte Digitalisierung des professioneller zu gestalten. Unterstützt wer- besseren Balance zwischen Beruf, Pflege- und Pflegesektors notwendig, weil die Personalnot den sie dabei von einer dynamischen Websei- Familienarbeit der pflegenden Angehörigen. und der demografische Wandel eine Nutzung te sowie einer darauf aufbauenden mobilen Begriffe wie Selbstsorge und Resilienz sind effektiverer Formen von Pflegearbeit und Pfle- Applikation, die das Coaching von informell ein besonderer Fokus des Coachings. Hier be- gelernen möglicherweise erzwingen. Pflegenden auch unabhängig von Zeit und steht aus unserer Sicht der größte Unterstüt- Ort unterstützt. Langfristiges Ziel ist es, durch zungsbedarf. Zu vermeiden ist der Eindruck, Das Angebot von HYBRICO hat aus diesem eine neue Dienstleistung die Situation der in- dass mit dem Angebot von HYBRICO aus Kos- Grund auch das Ziel, die Digitalisierung in der formell Pflegenden – und damit am Ende tengründen bezahlte professionelle Arbeit Pflege in moderater Form nutzerorientiert vo- auch der zu Pflegenden – zu verbessern. Im durch unbezahlte ehrenamtliche Arbeit (wei- ranzutreiben und neue, digitale Kommunika- Rahmen der wissenschaftlichen Begleitfor- ter) substituiert werden kann oder soll. tionsformen einzuüben, die bislang in diesem schung sind dabei folgende Handlungsfelder Bereich noch immer ein Schattendasein füh- erkennbar, auf denen sich Anforderungen und 2. Virtualisierung des Angebotes ren. Die Verbindung der direkten individuellen Probleme für die nachhaltige Verbreitung des Ein zweiter Problemkreis verbindet sich mit und der virtuellen Unterstützung des Pflegen- Angebotes abzeichnen und die im Rahmen der Frage, ob eine hybrides, das heißt einer- den sowie die Integration der zu vermitteln- der Erprobungsphase bearbeitet werden. seits ein klassisches, auf physische Präsenz- den Metakompetenzen kennzeichnen daher veranstaltungen aufbauendes Trainingskon- den Innovationsgehalt des Projektes HYBRICO. 1. Fachlichkeit zept für Coaches und eine digitale Lern- und Zielsetzung des Coaching-Konzeptes in HY- Kommunikationsplattform, die nicht nur den 3. Kundenintegrative Entwicklung BRICO ist ausdrücklich nicht, pflegende An- (zukünftigen) Coaches als Lernmedium die- der Dienstleistung gehörige zu professionellen Fachkräften zu nen, sondern perspektivisch auch die Zusam- Im Projekt HYBRICO soll letztlich eine neue schulen. Facharbeit als ausgebildete Alten- menarbeit und das Coaching der pflegenden Weiterbildungsdienstleistung entstehen. Wir pflegefachkraft ist ein komplexes und schwie- Angehörigen unterstützen soll, sinnvoll und gehen davon aus, dass es einen Markt dafür riges „Handwerk“, das auf einer umfangrei- tragfähig ist. Denn es setzt auf beiden Seiten, gibt. Voraussetzung für die Etablierung am chen Wissensbasis und einer entsprechenden also auf Seiten des Coaches wie auch auf Sei- Markt ist aus unserer Sicht nicht zuletzt, die Ausbildung beruht, die sowohl technische, ten des Coachees (d. h. des pflegenden Ange- Bildungsdienstleistung gemeinsam mit poten- soziale, sozialpsychologische und medizini- hörigen) eine grundsätzliche Medienakzeptanz ziellen Kunden bedarfsgerecht zu entwickeln. sche Fachkenntnisse sowie praktische Fertig- und Medienkompetenz voraus, die dem Leit- Nur so kann sichergestellt werden, dass das keiten voraussetzt. bild professioneller Pflegekräfte entgegenläuft. hybride – das analog und digital aufgestellte Die Qualität von Pflege bedarf umfassender Personale Betreuung, personaler Unterricht – Bildungsangebot einen Bedarf trifft und der Fachkompetenz, auch im Bereich der häusli- face-to-face gehört nach wie vor zu den kon- Bildungsdienstleister maxQ. tatsächlich einen chen Pflege. Aufgabe der Coaches für pflegen- stitutiven Merkmalen der deutschen Pflege- Markt dafür findet. Kundenwissen über die de Angehörige ist es daher nicht, Fähigkeiten besonderen Coachingbedarfe von pflegenden zu vermitteln, die professionelle Pflegearbeit Angehörigen zu ermitteln und einzubeziehen substituieren und sie so entwerten, sondern – und dabei nicht zuletzt auch die pflegenden vielmehr, das Zusammenspiel von notwendi- Angehörigen selbst zu befragen – gehört des- ger professioneller Pflegefacharbeit und unter- halb zu den Forschungs- und Entwicklungs- stützender ehrenamtlicher Arbeit z. B. durch bedarfen, die sich im Rahmen von HYBRICO Angebote zum Schnittstellen- und Informati- stellen und durch das Projekt bearbeitet wer- onsmanagement zu verbessern. Für leichtere den. Dabei hat sich die Durchführung von Unterstützungstätigkeiten pflegender Angehö- kundenintegrativen Innovationslaboren be- 10
Situation der Pflege Aufgabe der Coaches für pflegende Angehörige ist es, das Zusammenspiel von notwendiger professioneller Pflegefach- arbeit und unterstützender ehrenamtlicher Arbeit zu verbessern. währt, in denen Praxis, Wissenschaft und Betroffene an ei- 5. Reduzierung betrieblicher Folgekosten nem Tisch über die besonderen Bildungs- und Kommuni- von Pflege kationsbedarfe an der Schnittstelle zwischen professionel- Die betrieblichen Folgekosten einer mangelnden Vereinbar- ler Pflegearbeit und ehrenamtlicher, oft familiärer Pflege keit von Beruf und Pflege sind enorm. Die Doppel- und teil- systematisch reflektieren. Dieses Vorgehen gewährleistet mit weise sogar Dreifachbelastung durch Beruf, Familie und HYBRICO eine Dienstleistung zu konzeptionieren, die den pflegebedürftige Angehörige trifft besonders häufig Frauen. Bedarfen der informell Pflegenden genau angepasst ist. Es geht daher auch um die Entschärfung der damit verbun- denen Konflikte durch gezielte betriebliche oder betriebs- 4. Zielgruppen für das Angebot nahe HYBRICO-Schulungen, die in das betriebliche Gesund- Als Zielgruppen für das HYBRICO-Weiterbildungsangebot heitsmanagement integriert werden. Das Ziel ist es, eine konnten verschiedene Gruppen bzw. Adressaten ermittelt Reduzierung der Folgekosten (z. B. durch Krankheit, Unter- werden. Ambulante und stationäre Einrichtungen sind sehr nehmensaustritt) zu erreichen, die durch eine übermäßige daran interessiert, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Belastung der pflegenden Angehörigen entstehen. Gesunde mit der Schulung zum Coach für pflegende Angehörige ei- und motivierte Beschäftigte sind für einen nachhaltigen Un- nen attraktiven Weiterbildungspfad zu eröffnen. Die Bera- ternehmenserfolg von erheblicher Bedeutung. tung dieses Personenkreises gehört ohnehin zu den Aufga- ben vieler Pflegekräfte. Außerdem ist zu erhoffen, dass sich Es ist deshalb davon auszugehen, dass Pflegeunternehmen, über diese Schiene weitere Geschäftsfelder für Pflegeein- die ihren Kunden eine neue Dienstleistung anbieten, und richtungen erschließen lassen. Der Bedarf für Coaches wird Krankenkassen, die durch Prävention einen Beitrag zur Ge- seitens der Pflegeeinrichtungen als sehr hoch eingeschätzt. sunderhaltung ihrer (pflegenden) Versicherten leisten wol- Auch die Krankenkassen haben gegenüber HYBRICO Interes- len, ein nachhaltiges Interesse an der entwickelten Dienst- se signalisiert, interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leistung haben. schulen zu lassen. Sie arbeiten bereits seit längerem an Be- ratungs- und Dienstleistungsangeboten für pflegende Ange- Für eine Etablierung des Angebotes von HYBRICO sind, wie hörige. Ihr Interesse besteht darin, mithilfe solcher Angebote hier gezeigt, zahlreiche Hürden zu überwinden und syste- die Gesundheit beider Gruppen zu fördern und die Dop- matische Prozesse der Markterschließung von potenziellen pelbelastung von pflegenden Angehörigen zu reduzieren. Kunden anzugehen. Für potenzielle Anbieter einer solchen Das Projekt beinhaltet außerdem die Umsetzung und das Weiterbildungsdienstleistung ist eine Überführung des An- Erproben der Qualifizierung im maxQ.-Zentrum für Gesund- gebotes in eine bezahlte und bezahlbare Dienstleistung not- heitsberufe Dortmund sowie weiteren Fachseminaren für wendig. Angesichts eines schwierigen Bildungsmarktes ist Altenpflege. Entwickelt wird derzeit ein nachhaltiges Trans- dies nicht selbstverständlich, sondern eine Herausforderung ferkonzept für die neu entstandene Dienstleistung. Hier der Projektpartner von HYBRICO, die aktuell bearbeitet wird liegt ein besonderer Fokus auf Angeboten speziell für Un- mit dem Ziel, die Arbeitsgestaltungs- und Selbstsorgekom- ternehmen mit einem hohen Anteil an Beschäftigten mit petenz auch im Feld der informellen Pflege dauerhaft zu er- zu pflegenden Angehörigen. höhen. Transition 1 | 2017 11
Christiane Hernández Das Projekt AGEKO Ein integriertes Trainingskonzept für selbstständige, innovative und präventive Arbeitsgestaltungskompetenz in der Pflege Ausgangssituation für dieses Projekt seit dem Start im Januar 2016 war und ist der drama- tisch ansteigende Fachkräftemangel in der Altenpflegebranche. Medizinischer Fortschritt und Forschungen der letzten Jahrzehnte ermöglichen es, dass Menschen immer älter werden. Nach aktuellen Studien wird sich bis zum Jahr 2050 die Zahl der Pflegebedürftigen in etwa verdoppeln (Hämel & Schaeffer, 2012; Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, 2013). Belastende Arbeitsbedingungen AGEKO ist ein gemeinsames Projektvorhaben des maxQ. Gleichzeitig fehlt es in ausreichendem Maße an qualifizier- im bfw – Unternehmen für Bildung, Partner für Kompetenz ten Pflegekräften. Den Anforderungen in den Pflegeberufen und Qualität im Netzwerk Gesundheit und Soziales, und sind viele Beschäftigte auf Dauer nicht gewachsen. Es sind dem FIAP, Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestal- schwierige Arbeitsbedingungen, körperliche und psychische tung und Prävention e.V. Belastungen sowie suboptimale Qualifizierungs- und Auf- stiegsmöglichkeiten, die ein negatives Bild der Branche Zielgruppen der Qualifizierungen sind ältere, erfahrene Be- prägen. Hinzu kommen in diesem klassischen „Frauenbe- schäftigte, Berufseinsteigerinnen und -einsteiger mit und ruf“ eine niedrige Entlohnung und Probleme bei der Verein- ohne Migrationshintergrund sowie Führungskräfte und Per- barkeit von Familie und Beruf. Die Repräsentanz von Frauen sonalverantwortliche. Ziel der Maßnahmen ist der Aufbau in Führungspositionen ist nach wie vor inakzeptabel und von Arbeitsgestaltungskompetenz bei den Beschäftigten die Karrieremöglichkeiten, aber auch die Motivationsstra- und die Stärkung der Handlungskompetenz bei Führungs- tegien tragen nicht dazu bei, diese Situation zu verändern. kräften und Personalverantwortlichen zur Förderung und Dies führt zu hohen Fluktuationsraten, erhöhten Fehlzeiten Unterstützung der Arbeitsgestaltungskompetenz. und nicht selten zu einem frühzeitigen Berufsausstieg weib- licher Pflegekräfte. Was ist Arbeitsgestaltungskompetenz? Arbeitsgestaltungskompetenz bedeutet individuelle Kom- Diese Situation wird sich aufgrund des demografischen petenz des Beschäftigten, die ein ressourcenschonendes, Wandels weiter verschärfen; dabei ist die Altenpflege eine präventives Arbeiten, eine potenzialorientierte Zusammen- Wachstumsbranche von enormer ökonomischer und ge- arbeit, lebensphasengerechte Karriereplanung und eine sellschaftlicher Bedeutung (Hecken, 2012). Sie ist darauf Balance zwischen Arbeit und Leben ermöglicht. Arbeitsge- angewiesen, die Arbeitsbedingungen grundlegend zu ver- staltungskompetenz befähigt Beschäftigte, autonom und bessern, um Fachkräfte zu gewinnen, weiterzuentwickeln selbstsorgend zu handeln sowie Unterstützungsangebote und auch zu sichern. Deshalb muss Pflege gesundheitsori- zu nutzen und einzufordern. entierter, gender-, kultursensibler und effizienter gestaltet werden. Pflegeberufe müssen eine höhere Wertschätzung Mit passgenauen Maßnahmen Fachkräfte erfahren und Pflegenden Perspektiven für individuelle Ent- entwickeln und sichern wicklung bieten. Der aktuelle Status Quo kann nur durch Zurzeit sind 16 Partnerunternehmen der stationären, teil- einen Wechsel im Selbstverständnis der Branche und durch stationären und der ambulanten Altenhilfe am Projekt mehr Autonomie auf allen Ebenen verbessert werden. beteiligt. Gemeinsam erproben Unternehmensleitungen, Beschäftigte und das Projektteam individuelle betriebliche Das Projekt AGEKO entwickelt vor dem Hintergrund der Wege, um eine zukunftsfähige Personalpolitik, präventive spezifischen Arbeitsbedingungen und der besonderen Gesundheitsförderung und Weiterbildungsangebote zur Arbeitsbelastungen in der Altenpflege auf drei Ebenen Sicherung der beruflichen Leistungsfähigkeit zu entwickeln Qualifizierungen und unterstützende digitale und analoge und nachhaltig zu etablieren. Instrumente, um Arbeitsqualität, Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. Grundlage für die Daraus ist ein Katalog unterschiedlicher Maßnahmen und Entwicklungen sind umfangreiche Befragungen und Erhe- Angebote entstanden, die nicht nur passgenau für die teil- bungen in den beteiligten Unternehmen und ein partizi- nehmenden Altenpflegeeinrichtungen sind, sondern auch pativer Ansatz, der durch direkte Integration alle beteiligten außerhalb des Projektes in jeweils angepasster Form interes- Akteure in die Entwicklungen mit einbezieht. sierten Unternehmen zur Verfügung stehen. Hierzu wurden 12
Situation der Pflege nach ausführlichen Gesprächen mit der Leitung Dazu gehören Tools wie Quick-Checks zur Das Projekt wird gefördert im Rahmen der und den Führungskräften Status-Quo-Erhebun- Erfassung der Belastungssituation bei den Bundesinitiative Gleichstellung von Frauen in gen in den jeweiligen Einrichtungen durchge- Beschäftigten, ein Leitfaden für Mitarbeiterge- der Wirtschaft (www.bundesinitiative-gleich- führt. Unter anderem sind Fragebogenaktionen spräche sowie digitale Unterstützungsinstru- stellen.de). Dieses Programm wurde vom Bun- und (Innovations-)Workshops mit Teilnehmen- mente. Dabei geht es um eine potenzialori- desministerium für Arbeit und Soziales ge- den aller relevanten Arbeitsbereiche, wie entierte unterstützende Personalarbeit, die meinsam mit der Bundesvereinigung der Pflege, Alltagsbegleitung, Sozialer Dienst und die Arbeitssituation aller Akteure verbessert. Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Hauswirtschaft veranstaltet worden. Ziel ist ein neues, verändertes Verständnis von dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Führung und ein innovatives Selbstverständ- entwickelt. Das Programm wird aus Mitteln Auf der Basis dieser Ergebnisse entscheidet nis von Pflege. des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia- sich dann im Dialog, welche Maßnahmen ziel- les (BMAS) sowie des Europäischen Sozial- führend im Sinne der Einrichtung und des Bei den Maßnahmen für Berufseinsteigerinnen fonds (ESF) finanziert. Projektes sein werden. Das Portfolio der An- und -einsteiger liegt – neben den Querschnitts- gebote ist vielfältig. Es zielt sowohl auf die themen Frauen und eigenständiges Gesund- Veränderung des individuellen Verhaltens der heitsmanagement – der Schwerpunkt im Be- Einzelnen als auch auf die Optimierung der reich Karriere- und Biografiemanagement. Literatur Hecken, J. (2012). Perspektiven und Potenziale des Aus- Verhältnisse vor Ort. Dazu zählen Führungs- Dabei ist es das Ziel, die Karrieremotivation bildungs-und Berufsfeldes Altenpflege. G&S Gesund- kräftetrainings und -entwicklung mit Themen- und die Bereitschaft zur selbstständigen Kom- heits-und Sozialpolitik, 65 (5-6), 38 –43. schwerpunkten wie Karrieremanagement, petenzentwicklung zu steigern und die Fä- Hämel, K. & Schaeffer, D. (2012). Fachkräftemangel in Kompetenzprofiling und -erweiterung, Biogra- higkeit zu einem Biografiemanagement, das der Pflege – viel diskutiert, politisch ignoriert?. G&S Gesundheits- und Sozialpolitik, 66 (1), 41– 49. fiemanagement im Sinne einer guten Work- Arbeit und Privatleben in Balance bringt, zu Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Life-Balance sowie Handlungsbefähigung entwickeln. Modulare Workshop-Reihen für Alter des Landes Nordrhein-Westfalen (2013). Lan- durch Ressourcenstärkung und Selbstsorge. Pflege- und Betreuungskräfte zu Themen wie desberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein- Team, Kommunikation, Zeit- und Konflikt- Westfalen 2013. Abgerufen von https://broschueren. nordrheinwestfalendirekt.de/herunterladen/der/da- Weiterhin werden in der gemeinsamen Arbeit management, Synchronisierung von Arbeits- tei/landesberichterstattung-pdf/von/landesbericht- Instrumente zur Personalentwicklung und abläufen, Dienstplangestaltung etc. runden erstattung-gesundheitsberufe-nordrhein-westfalen- Qualifizierungen entwickelt und angepasst. das Projektangebot ab. 2013/vom/mgepa/1708 Transition 1 | 2017 13
Romina Große, Jochen Scharf Altenpflege sichern Überblick über die Ergebnisse einer Befragung und Interviews in der Altenpflegebranche Betrachtet man die demografische Entwicklung in Deutschland so zeigt sich, dass der Bedarf an pflegerischen Dienstleistungen in der Zukunft enorm steigen wird. Um diesen weiterhin decken zu können, müssen die Arbeitsbedingungen für (Alten-) Pflegekräfte verbessert werden, damit fachlich qualifiziertes Personal diese wichtige Arbeit auch in Zukunft bewältigen kann und zeit- gleich gut für sich selbst sorgt und gesund bleibt (INQA 2007). Aus der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung BAuA 2012). Die Ergebnisse werden gestützt Projekt entwickelten Maßnahmen Arbeitsge- (2012), die arbeitsbedingte physische, psy- durch eine Repräsentativumfrage zum DGB- staltungskompetenz aufbauen, eine höhere chische und zeitliche Anforderungen sowie Index Gute Arbeit aus dem Jahre 2012. Er- Wertschätzung und Perspektiven für indivi- Ressourcen von Pflegepersonal erfasst und werbstätige in der Pflegebranche geben an, duelle Entwicklung erfahren, um die Attrakti- mit den Durchschnittswerten anderer Er- nicht ihre Arbeitsaufgabe, sondern die Ar- vität der Branche zu erhöhen. Konkret soll werbstätiger vergleicht, geht hervor, dass die beitsbedingungen der Branche als große He- dies durch fachliche und überfachliche Qua- Pflegebranche einen Wandel vollziehen muss, rausforderung zu sehen. Daraus resultierend lifizierungsmaßnahmen zur Verbesserung der um nachhaltig an Attraktivität zu gewinnen, scheiden viele Fachkräfte vor dem gesetzli- Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungs- Fachkräfte sichern zu können und die Ge- chen Rentenalter aus oder wechseln die Be- fähigkeit erreicht werden. Eine verbesserte sundheit von Personal und Patienten in Zu- rufssparte und stehen somit nicht länger für Arbeitsgestaltungskompetenz soll dem Perso- kunft zu gewährleisten. Die Ergebnisse der die Sicherung des würdigen Alterns zur Ver- nal in Schulungen und Workshops vermittelt Befragung zeigen deutlich, dass es sich in der fügung (Ver.di, 2013). werden und somit ein ressourcenschonendes, Pflege um eine überdurchschnittlich belaste- präventives Arbeiten ermöglichen. Die Ba- te Berufsbranche handelt: So liegen körper- Die Fachkräftesicherung in der Pflegebranche lance zwischen Arbeit und Leben soll erleich- liche und psychische Belastungen deutlich kann aus Sicht von AGEKO nur durch einen tert werden und dazu befähigen, selbstständig über dem Durschnitt anderer Branchen Wechsel im Selbstverständnis der Branche und selbstsorgend zu handeln. (BIBB/BAuA 2012). Psychische und physische und durch mehr Autonomie der Beschäftigten Belastungen resultieren primär aus dem zu- verbessert werden. Ziel des Projektes AGEKO Um der Philosophie des Projektes gerecht zu nehmenden Bürokratieaufwand, wahrgenom- ist es deshalb das Pflegepersonal, insbeson- werden und bedarfsorientierte, maßgeschnei- mener Arbeitsverdichtung (INQA 2007) sowie dere der Altenpflege, in den Blick zu nehmen derte Qualifizierungsmaßnahmen für die be- dem verstärkten Stresszuwachs der letzten und ihre Arbeit gesundheitsorientierter und teiligten Pflegeunternehmen anbieten zu kön- Jahre. Zusätzlich werden Kompensations- effizienter zu gestalten. Die Kompetenz, die nen, wird zu Beginn jeweils eine Bestands- möglichkeiten wie zum Beispiel Handlungs- eigene Arbeit und die Erwerbsbiografie selbst- aufnahme durchgeführt. Hier kommen der im spielräume bei der Arbeitsgestaltung als un- ständig zu gestalten ist ein wichtiger Schlüssel Projekt entwickelte Fragebogen sowie leitfa- terdurchschnittlich wahrgenommen (BIBB/ hierzu. Das Pflegepersonal soll durch die im dengestützte Interviews zum Tragen. Ziel der 14
Situation der Pflege In vertiefenden leitfadengestützten Interviews wird jedoch schnell deutlich, dass insbesondere die psychische Arbeits- belastung stärker ausgeprägt ist. Belastend wird hier nicht die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten sowie der Bestandsaufnahme ist es einen umfassenden Überblick Umgang mit körperlichen und seelischen Krankheiten emp- über die wahrgenommenen Belastungsfaktoren sowie die funden, sondern der Zeitdruck während der Arbeit, der un- eigenen Ressourcen des Pflegepersonals zu erhalten. Vor ter Umständen zu Qualitätsabstrichen und somit wiederum dem Hintergrund der Ergebnisse werden im weiteren Pro- zur Unzufriedenheit des Personals führt. Verstärkt wird die jektverlauf maßgeschneiderte Qualifizierungsangebote in Belastung durch die geringe Personaldecke der Pflege- den AGEKO-Handlungsfeldern Prävention und Selbstsorge, dienste. Krankheitsausfälle und Urlaub schmälern die tat- Biografie- und Karrieremanagement, Kompetenzentwick- sächliche Personaldecke in der Realität noch weiter, was lung und Diversitymanagement entwickelt, die zur Verbes- einen häufigen Wechsel der Arbeitspläne, regelmäßige serung der Arbeitsbedingungen beitragen. Nachfolgend Überstunden und wenig Erholungsmöglichkeiten für das werden die Stichprobe beschrieben sowie die wesentlichen befragte Personal zur Folge hat. In der Folge gibt knapp die Ergebnisse der Fragebogenerhebung zusammengefasst. Hälfte der Befragten (49,2 %) an, in den letzten zwölf Mo- naten häufig gearbeitet zu haben, obwohl sie sich richtig Insgesamt nahmen bisher 141 Personen an der Befragung krank gefühlt haben. Etwas über die Hälfte der Befragten teil, wovon 46 Personen Personal aus vier verschiedenen (50,4 %) schätzen, dass sie ihre Tätigkeit unter den aktuellen ambulanten Pflegediensten in Castrop-Rauxel und 95 Schü- Arbeitsbedingungen nicht ohne Einschränkungen bis zum ler aus dem maxQ.-Fachseminar für Altenpflege Castrop- gesetzlichen Rentenalter ausführen können. In Anbetracht Rauxel erfasst wurden. Dass der Bereich der Pflege von des schon jetzt spürbaren Fachkräftemangels in der (Alten-) weiblichen Pflegekräften dominiert wird, spiegelt sich auch Pflegebranche, muss diese Tendenz des vorzeitigen Aus- in der zugrundeliegenden Stichprobe wider. Mit einem Frau- scheidens aus dem Pflegeberuf besonders ernst genommen enanteil von knapp 84 % in der Stichprobe, deckt sich die werden. Nur wenn sich die Arbeitsbedingungen spürbar Stichprobe nahezu mit der Pflegestatistik des Statistischen verbessern und die Gesundheitsprävention des Personals Bundesamts (2017), aus der hervorgeht, dass in der ambu- verstärkt gefördert wird, kann dies abgewendet werden. lanten Pflege rund 87 % des Personals weiblich ist (Statis- tisches Bundesamt, 2017). Das Durchschnittsalter der Be- Ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsförderung muss fragten liegt bei 32 Jahren, die Mehrheit der Befragten sind aus Sicht des Projektes AGEKO die Förderung von eigenen Altenpflege-Fachkräfte mit einer durchschnittlichen Berufs- Ressourcen und Potenzialen sowie die Kompetenzentwick- erfahrung von sieben Jahren. lung sein. Auf einer 7-Punkte-Likert-Skala (1 = Stimme gar nicht zu; 7 = Stimme voll zu) zeigt sich, dass die Befragten Betrachtet man die Ergebnisse der Fragebogenerhebung Stressbelastungen mäßig gut bewältigen können (Mittel- in der Gesamtschau, scheint es auf den ersten Blick so zu wert = 4,7). Tendenziell fühlen sich die Befragten dazu in sein, dass die wahrgenommene Belastung in den teilneh- der Lage ihre Arbeitsaufgaben mitzugestalten (Mittelwert menden ambulanten Pflegediensten geringer als erwartet = 5,2). In vertiefenden Interviews zeigt sich aber deutlich, ausfällt. So geben zunächst rund 36 % der Befragten an, sich dass das Personal seine eigene Gesundheit häufig aus den aufgrund ihrer Arbeit tendenziell häufig physisch, rund 25 % Augen verliert und sich stärkere Unterstützung bei der der Befragten auch stark psychisch belastet zu fühlen. Stressbewältigung durch Vorgesetzte, den Kollegenkreis und primär durch handhabbare Strategien und Instrumente (wie z. B. Entspannungsübungen, Zeitmanagement) zur Stressreduktion im Arbeitsalltag wünscht. Auch der Bedarf nach Handlungsspielräumen zur besseren Einteilung seiner Ressourcen und Nutzung seiner Potenziale ist hoch. So zeigen die Interviews, dass das Personal gerne an der Dienst- und Tourenplanung beteiligt werden möch- ten, um sein Wissen über die praktischen Arbeitsabläufe einzubringen und so die anfallende Arbeit möglichst res- sourcensparend und mit hohen Qualitätsansprüchen ge- meinsam im Team bewältigen zu können. Sowohl aus dem Fragebogen als auch aus den Interviewstimmen geht her- vor, dass eine wesentliche Ressourcenquelle einerseits die hohe Identifikation mit dem Beruf selbst und andererseits die hohe Wertschätzung durch die Patienten und Patientin- nen ist. Diese Erkenntnisse decken sich mit denen des Index Guter Arbeit – 95 % der dort Befragten geben an, dass sie mit ihrem Beruf einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten, 92 % identifizieren sich mit ihrem Job (Ver.di, 2013). Transition 1 | 2017 15
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