Paraneoplastische Syndrome 3/13

 
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Paraneoplastische Syndrome 3/13
3/13
       Paraneoplastische
       Syndrome

                                                          VERLAG Trillium GmbH
                                               Hauptstraße 12 b · D-82284 Grafrath
Indexed in Scopus   22. Jahrgang · 10,– € · www.trillium.de · 70739 · ISSN 1868-4246
Paraneoplastische Syndrome 3/13
Editorial

                   ParaneoplastischeSyndrome

                                                                                                                                     1
U
      nter Paraneoplastischen Syn-      Tumor einwandern und dort das Tu-        das Nervensystem betreffen. Es wird
      dromen (PNS) fasst man eine       morwachstum fördern.                     eindrucksvoll dargestellt, dass bei
      sehr heterogene Gruppe von            Das sehr umfangreiche und viel-      zahlreichen neurologischen Syndro-
      Symptomen bei Tumorpatien-        fältige Spektrum der endokrinen          men differenzialdiagnostisch ein PNS
ten zusammen, die nicht direkt durch    Para­neoplasien mit zahlreichen Syn-     in Erwägung gezogen werden muss.
Wachstum oder Verdrängung vom           dromen wird von Waterhouse im            Gerade auf dem Gebiet der neuro-
Tumor oder seinen Metastasen verur-     zweiten Beitrag sehr übersichtlich und   logischen PNS konnte in den letzten
sacht werden. Die Ursachen sind zum     anschaulich dargestellt.                 Jahren eine enorme Verbesserung der
einen vom Tumor freigesetzte Boten-         Im dritten Beitrag von Scherberich   Diagnostik durch den gleichzeitigen
stoffe wie Hormone oder Zytokine,       werden die verschiedenen PNS, die        Nachweis multipler spezifischer Auto­
die indirekt und häufig fernab des      das Organ Niere betreffen können,        antikörper mithilfe rekombinanter
Primärtumors wirken. Zum anderen        abgehandelt. Er betont eindringlich,     Antigene und neuartiger multiple-
sind sie das Ergebnis der Interaktion   dass bei jeder schnell entstandenen      xer Testsysteme wie dem Line-Blot,
des Tumors mit dem Immunsys-            Proteinurie oder anderen Nierenfunk-     Biochip-Mosaik und transfizierten
tem, in deren Folge Autoantikörper      tionsstörungen bei über 50-jährigen     Zellen erzielt werden.
gebildet werden, die durch Kreuzre-     Patienten auch an eine paraneoplas-          Die neurologische Symptoma-
aktionen nicht nur an Tumorzellen,      tische Nephropathie gedacht werden       tik manifestiert sich meist vor der
sondern auch an andere Gewebe           muss. Typisch ist z. B. die membranöse   Diagnose des auslösenden Tumors.
binden. Die klinischen Symptome         Immunkomplex-Glomerulonephritis          Somit ist eine schnelle, eindeutige
der PNS sind vielfältig und reichen     (MGN) bei soliden Tumoren, bei           Diagnose ganz essenziell, um früh-
von diskreten Veränderungen wie         der im Gegensatz zur idiopathischen      zeitig den auslösenden Tumor suchen
einer Hyperkalzämie bis zum Voll-       MGN keine Autoantikörper gegen           und behandeln zu können. Auch
bild einer Erkrankung, z. B. im Sinne   Phospholipase-A2-Rezeptor nach-          andere PNS können der klinischen
eines Cushing-Syndroms oder einer       zuweisen sind. Verschiedene andere       Manifestation der Tumorerkrankung
Lambert-Eaton-Myastenie.                typische PNS gehen dagegen mit der       um Monate vorausgehen und stellen
    Im ersten Beitrag dieses Schwer-    Induktion und dem diagnostischen         damit nicht selten die Erstmanifes-
punktheftes wird von Gruber ein         Nachweis spezifischer Autoantikör-       tation des Tumors dar. Die meist
Überblick über den aktuellen Stand      per einher. Typisch ist der erst 1990    einzige kausale Therapie der para-
zur Pathophysiologie der PNS gege-      beschriebene paraneoplastische Pem-      neoplastischen Symptomatik ist die
ben. Möglicherweise sind die klinisch   phigus, der klinisch oft nicht vom       Therapie des auslösenden Tumors.
in Erscheinung tretenden PNS nur        typischen Pemphigus vulgaris zu un-      Je nach Pathophysiologie ergeben
die Spitze des Eisbergs einer inten-    terscheiden ist.                         sich symptomatische Therapiemög-
siven Interaktion zwischen Tumor­           Wie Stöcker et al. im vierten Bei-   lichkeiten wie Immunsuppression bei
gewebe und normalem Gewebe.             trag, in dem es um kutane PNS geht,      Autoimmun-Phänomenen oder eine
Einige Tumor­zellen scheinen einen      beschreiben, konnten in den letzten      anti-hormonelle Therapie bei hor-
deutlichen Selektionsvorteil durch      Jahren mit Hilfe rekombinanter An-       monproduzierenden Tumoren.
die Sekretion von Zytokinen oder        tigene hoch sensitive und spezifische
hormonähnliche Substanzen zu ha-        Testsysteme für die Routinediagnostik
ben. Normale Zellen aus dem vom         etabliert werden.
Primärtumor weit entfernten Kno-            Auch im letzten Beitrag von
chenmark oder der Milz können so        Probst et al. geht es um Autoimmun-
mobilisiert werden, die dann in den     phänomene, und zwar um PNS, die          R. Gruber, Nürnberg

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                 111
Paraneoplastische Syndrome 3/13
Inhalt

  1      Editorial
                                                                                                                                      Schriftleitung:
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. R. Gruber, Nürnberg
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. G. Schlimok, Augsburg
  R. Gruber, Nürnberg                                                                                                                 Wissenschaftlicher Beirat:
  Paraneoplastische Syndrome������������������������������������������������������������������������������������ 111                 Prof. Dr. med. H. Goldschmidt, Heidelberg
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. M. Hallek, Köln
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. K. Häußinger, Gauting
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. E. Hiller, München
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. R.-D. Issels, München

  2       Themen
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. K.-A. Kreuzer, Köln
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. K. Possinger, Berlin
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. Christine Spitzweg, München
  R. Gruber, Nürnberg                                                                                                                 Priv.-Doz. Dr. med. J. Stemmler, München
  Pathophysiologie der paraneoplastischen Syndrome                                                                                    Prof. Dr. med. L. Trümper, Göttingen
  Pathophysiology of Paraneoplastic Syndromes.................................................................... 114                 Heftverantwortung:
                                                                                                                                      Prof. Dr. med. R. Gruber, Nürnberg

                                                                                                                                                                                            1
  C. Waterhouse, München
  Endokrine paraneoplastische Syndrome
  Endocrine Paraneoplastic Syndromes............................................................................... 120

  J. E. Scherberich, München
  Paraneoplastische Nephropathie
  Paraneoplastic Nephropathy...........................................................................................         125
  W. Stöcker, N. Hornig, L. Komorowski et al., Lübeck
  Kutane paraneoplastische Syndrome
  Cutaneous Paraneoplastic Syndromes.............................................................................. 134

  C. Probst, L. Komorowski, S. Lange et al., Lübeck
  Paraneoplastische neurologische Syndrome
  Paraneoplastic Neurological Syndromes........................................................................... 140

  N. Gökbuget, Frankfurt
  Akute lymphatische Leukämie des Erwachsenen (Teil II)
  Acute Lymphoblastic Leukemia in Adulthood................................................................ 147

  3        Rubriken
  Für Sie gelesen ...........................................................................................................   157
  Kongressberichte .......................................................................................................      158
  Impressum, Veranstaltungen ................................................................................... 162

 Zum Artikel von C. Probst et al. „Paraneoplastische neurologische Syndrome“
 ab Seite 140 gibt es einen CME-Fragebogen, der aus organisatorischen Gründen
 erst in der kommenden Winterausgabe erscheint. Wenn Sie an der Teilnahme
 interessiert sind, dann heben Sie den Fachartikel bei Bedarf bitte auf.

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                                                                                     113
Paraneoplastische Syndrome 3/13
Schwerpunkt

                            Pathophysiologieder
                            paraneoplastischen
2                           Syndrome
    R. Gruber   Zusammenfassung                                                                 Einleitung
                Unter Paraneoplastischen Syndromen       plastischen Symptomatik ist die The-   Paraneoplastische Syndrome (PNS)
                (PNS) fasst man bei Tumorpatienten       rapie des auslösenden Tumors. Je       sind eine sehr heterogene Gruppe
                eine sehr heterogene Gruppe von          nach Pathophysiologie ergeben sich     von Symptomen oder Symptomkom-
                Symptomen oder Symptomkomple-            symptomatische Therapiemöglichkei-     plexen. Sie werden nicht direkt vom
                xen zusammen, die nicht direkt vom       ten wie Immunsuppression bei Auto­     Tumor oder seinen Metastasen durch
                Tumor oder seinen Metastasen durch       immunphänomenen oder eine anti-        Wachstum, Verdrängung oder Ne­
                Wachstum, Verdrängung oder Ne­           hormonelle Therapie bei hormon-        krose verursacht, sondern indirekt
                krose verursacht werden. Die Ursa-       produzierenden Tumoren.                und damit häufig systemisch oder
                chen dieser Syndrome sind zum einen                                             fernab vom Primärtumor. Die Ursa-
                vom Tumor freigesetzte Botenstoffe       Schlüsselwörter: Paraneoplastische     chen dieser Syndrome sind zum ei-
                wie Hormone oder Hormonanaloga           Syndrome – Tumoranämie – Kache-        nen vom Tumor freigesetzte Boten-
                oder auch Proteine, die indirekt und     xie – Zytokine – Autoantikörper –      stoffe wie Hormone oder Hormon-
                damit häufig systemisch oder fernab      Immuntoleranz                          Analoga oder auch Proteine, die z. B.
                des Primärtumors wirken. Zum an-                                                direkt gerinnungsaktivierend wirken.
                deren sind sie das Ergebnis der Inter-                                          Zum anderen spielt die Interaktion
                aktion des Tumors mit dem Immun-                                                des Tumors mit dem Immunsystem
                system. Hierunter fallen die Störung                                            eine wichtige Rolle. Ursachen können
                der zentralen Toleranz, eine periphe-                                           die Störung der zentralen Toleranz,
                re Immundysregulation oder die Ex-                                              eine periphere Immundysregulation
                pression veränderter Selbst-Antigene.                                           oder die Expression veränderter
                Häufig werden infolge dieser Störun-                                            Selbst-Antigene sein. Hier spielt die
                gen Autoantikörper gebildet, die                                                Freisetzung von Zytokinen aus Tu-
                durch Kreuzreaktivitäten nicht nur an                                           morzellen oder die Induktion von
                Tumorzellen, sondern auch an ande-                                              Zytokin-Freisetzung und Antikörper-
                ren Geweben, wie z. B. im ZNS und                                               Produktion durch Immunzellen eine
                in der Haut binden und zu PNS füh-                                              wichtige Rolle. Diese Autoantikörper
                ren. Nicht alle paraneoplastischen                                              binden im Sinn einer Kreuzreaktivität
                Phänomene sind mit den erwähnten                                                nicht nur an Tumorzellen, sondern
                Mechanismen zu erklären, sodass                                                 auch an andere Gewebe und können
                weitere, bisher nicht bekannte Ursa-                                            PNS z. B. im ZNS und in der Haut
                chen vermutet werden. Die meist                                                 auslösen. Die pathogenetischen Zu-
                einzige kausale Therapie der paraneo-                                           sammenhänge zwischen Tumor und
                                                                                                PNS sind manchmal sehr eindeutig

                114                                                                                    krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3
Paraneoplastische Syndrome 3/13
Schwerpunkt

und gut erklärbar. So wird das Zollin-   Klinische Relevanz                       könnten, aktiv diagnostiziert und
ger-Ellison-Syndrom beim Gastrin-                                                 abgeklärt werden oder zumindest
produzierenden Tumor durch die           Die Angabe genauer Zahlen zur In-        diese Differenzialdiagnosen weitest-
anhaltende Überproduktion von Ma-        zidenz von PNS ist aufgrund der          gehend ausgeschlossen werden.
gensäure ausgelöst. Kreuzreagieren-      nicht einheitlichen Definition schwie-
de Autoantikörper (anti-Hu), die         rig. Dazu kommt eine nicht zu unter-
insbesondere beim kleinzelligen          schätzende Dunkelziffer, da auch die     Einteilung der PNS
Bronchial­karzinom (SCLC) induziert      Unterscheidung gegenüber Neben-
werden, können eine limbische En-        wirkungen von Medikamenten               Die PNS können nach der Ätiologie
zephalitis oder eine sensorische peri-   manchmal nicht einfach ist. Einige       – soweit bekannt oder vermutet –
phere Neuropathie auslösen. Nicht        Untersuchungen über die Häufigkeit       oder nach den betroffenen Organsys-
alle paraneoplastischen Phänomene        des Auftretens von PNS bei Tumor­        temen eingeteilt werden. Auch kli-
sind mit den erwähnten Mechanis-         erkrankungen kommen auf 7-15%            nisch-diagnostische oder therapeuti-
men zu erklären, sodass noch weite-      [1]. Unter Einbeziehung von Allge-       sche Besonderheiten können bei der
re, bisher unbekannte Ursachen ver-      meinsymptomen wie Gewichtsver-           Klassifikation eine Rolle spielen. Bei
mutet werden.                            lust und Kachexie oder Fieber liegt      einer Reihe von PNS ist die Ätiologie
                                                                                                                           Das Übersehen

                                                                                                                                                2
    Obwohl sich die meisten malig-       die Inzidenz höher. Die Tumoranä-        nicht eindeutig geklärt und einige
                                                                                                                           eines PNS, aber
nen Tumoren wohl aus einer entar-        mie wird z. T. als Allgemeinsymptom,     Syndrome sind systemübergreifend,
                                                                                                                           auch die irrtümli-
teten Zelle entwickeln, sind die         z. T. aber auch als spezifisches PNS     sodass jede Klassifikation ihre
                                                                                                                           che Deutung von
Zellen eines Karzinoms und auch          des hämatopoetischen Systems abge-       Schwächen hat. Besonders bei selte-
                                                                                                                           Beschwerden als
die Metastasen sehr heterogen. Im        handelt.                                 neren Manifestationen sind die ätio-
                                                                                                                           paraneoplastisch
Laufe der Progression bilden sich             Die Kenntnis der PNS hat unab-      logischen Zusammenhänge häufig
                                                                                                                           können dem Patien-
viele Quasi-Spezies, sodass sich         hängig von ihrer Häufigkeit große        noch unklar.
                                                                                                                           ten schaden.
paraneoplastische Phänomene be-          klinische Relevanz. PNS können ein
reits vor der Entdeckung des Pri-        Rezidiv oder das Fortschreiten des       Paraneoplastische
märtumors zeigen können und den          malignen Tumors anzeigen oder als        Allgemeinsymptome
ersten Hinweis auf einen Tumor           Erstsymptom auftreten. In be-            Zu den paraneoplastischen Allge-
geben, aber auch erst im Verlauf         stimmten Fällen können PNS so            meinsymptomen zählt man i. d. R.
der Tumorprogression auftreten           charakteristisch für ein bestimmtes     Gewichtsverlust, Kachexie, tumoras-
und sich verstärken oder auch wie-       Karzinom sein, dass die Diagnostik       soziiertes Fieber und Nachtschweiß
der abflauen können. In der Regel        gezielt in diese Richtung fokussiert     (also auch die sogenannten „B-Symp­
verlaufen PNS aber parallel zum          werden kann. Unter Umständen             tome“ v. a. bei Lymphomen). Auch
Verlauf der Tumorerkrankung und          werden dadurch Zeit und auch Kos-        eine häufig auftretende Tumoranämie
bilden sich auch bei deren Besse-        ten gespart und die Chance auf eine      und Blässe kann zu den paraneoplas-
rung oder Heilung zurück bzw.           kurative Therapie erhöht. Das Auf-       tischen Allgemeinsymptomen gezählt
verschwinden. Ausnahmen stellen          treten einer Myasthenie kann z. B.       werden. Die Anämie wird manchmal
manche neurologischen Manifesta-         das erste Symptom eines Thymoms          mit anderen Symptomen auch zu den
tionen dar, die sich oft sehr protra-    sein oder die Gynäkomastie ein ty-       spezifischen paraneoplastischen Syn-
hiert, nur teilweise oder gar nicht      pisches paraneoplastisches Symp-         dromen des „Organsystems Blut“
zurückbilden.                            tom bei einem jungen Patienten mit       gezählt.
    Die einzige kausale Therapie der     einem ß-HCG-positiven Hodentu-               Gewichtsverlust ist eine sehr
paraneoplastischen Symptomatik ist       mor.                                     häufige Begleiterscheinung von
meist die Therapie des auslösenden            Das Übersehen eines PNS, aber       Krebserkrankungen. Ein Großteil
Tumors. Je nach Pathophysiologie         auch die irrtümliche Deutung von         aller Krebspatienten verliert unge-
ergeben sich noch symptomatische         Beschwerden als paraneoplastisch         wollt an Gewicht, Patienten in me-
Therapiemöglichkeiten wie Immun-         können dem Patienten schaden.            tastasierenden Spätstadien zu annä-
suppression bei Autoimmun-Phä-           Schmerzen aufgrund einer Wirbel-         hernd 100%. In einer großen Studie
nomenen oder eine anti-hormonel-         säulenmetastasierung, die beispiels-     konnte gezeigt werden, dass je nach
le Therapie bei hormonproduzie-          weise als „paraneoplastische poly­       Tumorart bei bis zu 80% der neu
renden Tumoren.                          neuropathische Schmerzen“ fehlge-        diagnostizierten malignen Tumoren
    Die unphysiologische, meist          deutet werden, führen dazu, dass         vor der Diagnose bereits ein Ge-
nicht oder nur partiell homöosta-        dem Patienten eine wirksame Strah-       wichtsverlust vorhanden war [2].
tisch geregelte Sekretion durch be-      lentherapie oder die Gabe von z. B.      Bei jedem ungewollten Gewichts-
nigne hormonproduzierende Ade-           Biphosphonaten zur Therapie der          verlust ist ein maligner Tumor als
nome wird im engeren Sinne nicht         Metastasen vorenthalten wird.            Differenzialdiagnose in Erwägung
zu den PNS gerechnet und wird hier            Daher müssen bei Krankheits-       zu ziehen und gegebenenfalls aus-
auch nicht näher behandelt. Diffe-       zeichen, die primär als paraneoplas-     zuschließen. Bei bis zu zwei Drittel
renzialdiagnostisch ist die Abklä-       tisch eingestuft werden, differenzial­   der Krebspatienten schreitet der
rung jedoch wichtig und oft nicht        diagnostisch andere Ursachen, die        Gewichtsverlust bis zu einer Tu-
einfach.                                 dieses Symptom auch hervorrufen          morkachexie vor, und die Patienten

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                   115
Schwerpunkt

                           leiden zusätzlich an Symptomen              In Tumoren konnte die Ausschüt-          „organisieren“ zu können. Man
                           einer Mangelernährung.                      tung von pro-kachektischen Media-        könnte also meinen, dass Karzinome
                                                                       toren wie PIF (proteolysis inducing      aus einer sehr homogenen Ansamm-
                           Physiologie und Pathophysiologie            factor) und LMF (lipid mobilising        lung von identischen Zellen beste-
                           von Appetit und Nahrungsaufnahme            factor) nachgewiesen werden [5].         hen, aber dem ist bei weitem nicht so.
                           Die Nahrungsaufnahme ist norma-             Durch den Tumor werden weitere           Bei vielen Karzinomen entstehen
                           lerweise mit hoher Präzision geregelt.      lösliche Faktoren wie proinflamma­       wohl bereits sehr früh „Quasi-Spezi-
                           Eine Vielzahl von zirkulierenden            torische Zytokine sezerniert, die        es“ von unterschiedlichen Zellpopu-
                           Faktoren und endogen produzierten           primär v. a. lokal, letztendlich aber    lationen, die sich auch sehr heterogen
                           Steroidhormonen regulieren den Ap-          auch systemisch auf den Gesamtor-        weiterentwickeln. So konnte gezeigt
                           petit und das Essverhalten über ihre        ganismus wirken. Insbesondere das        werden, dass beim Kolonkarzinom
                           Wirkung im Hypothalamus und                 proinflammatorische Zytokin-             oft sehr früh – manchmal bereits vor
                           Stammhirn. Diese Hormone haben              Milieu mit der Folge einer systemi-      Entdeckung des Haupttumors – Mi-
                           v. a. drei Quellen: die Fettzellen, klas-   schen Akute-Phase-Reaktion wer-          krometastasen im Knochenmark
                           sische endokrine Organe und den             den als wichtige Ursache für die oft     nachzuweisen sind, die sich deutlich
                           Gastrointestinaltrakt. Endokrine            ausgeprägte und fortschreitende          in ihrer molekularen Struktur unter-
         Möglicherweise

2
                           Hormone wie Cortisol, Thyroxin und          Tumorkachexie angesehen [5]. Die         einander und vom Primärtumor un-
       sind die klinisch
                           Östrogene wirken auch zentral und           Akute-Phase-Reaktion ist eine allge-     terscheiden [6]. Trotz dieser Hetero-
      apparenten PNS
                           modulieren die Nahrungsaufnahme.            meine und wichtige physiologische        genität bleiben Differenzierungs-
         nur die Spitze
                           In den letzten Jahren konzentriert          Antwort des Organismus auf Stö-          merkmale des Ausgangsgewebes er-
      des Eisberges der
                           sich jedoch die Forschung auf die           rungen der Homöostase, verursacht        halten, die einen Rückschluss vom
       Interaktion zwi-
                           Hormone, die Fettgewebe, Pankreas           v. a. durch Infektionen, Trauma mit      Tumor auf das Primärgewebe erlau-
     schen Tumor- und
                           und Gastrointestinaltrakt selbst pro-       Gewebszerstörung, chronische Ent-        ben. Hier gibt es auf molekularer
    normalem Gewebe.
                           duzieren. Regulationsmechanismen,           zündung, aber eben auch Tumor-           Ebene interessante Entwicklungen,
                           deren Fehlfunktionen zu Überge-             wachstum. Wichtige proinflamma­          um insbesondere bei Karzinomen
                           wicht führen, spielen mit entgegen-         torische Zytokine, die hier ausge-       unbekannten Ursprungs (CUP –
                           gesetztem Vorzeichen auch eine Rol-         schüttet werden, sind z. B. Interleu-    Cancer of Un­known Origin) durch
                           le bei der Entwicklung der Tumorka­         kin 1 (IL-1), IL-6, IL-8 und Tumor-      das Expressionsmuster das Primär-
                           chexie. Dabei sind zu nennen die            Nekrose-Faktor (TNF). Interessan-        gewebe zu identifizieren. Dieser
                           Hormone Leptin und Adiponectin              terweise wurde TNF nach seiner           „molekulare Fingerabdruck“ ermög-
                           (Fettgewebe), Insulin, Amylin, pan­         Entdeckung zunächst auch Cachek-         licht eine effektivere Behandlung [7].
                           kreatisches Polypeptid (Pankreas)           tin genannt, da in vitro und in Tier-         Aufgrund der diversen Mutatio-
                           und Ghrelin, Cholezystokinin,               versuchen neben den Eigenschaften        nen kommt es zu neuen Expressi-
                           GLP-1, glucose-dependent insulino-          der Tumorzell-Lyse und Tumorne-          onsmustern, die Tumorgewebe von
                           tropic polypeptide, Oxyntomodulin           krose auch ein Gewichtsverlust bei       normalem Ausgangsgewebe unter-
                           und PYY (Darm) [3, 4].                      hoher Konzentration beschrieben          scheiden. Die Pathophysiologie der
                                Die Tumorkachexie wurde lange          wurde. Durch diese Zytokine wird         spezifischen PNS beruht in erster
                           Zeit in erster Linie als Ergebnis der       die vermehrte Synthese einer Reihe       Linie auf dieser Fehlexpression von
                           komplexen Interaktion des Tumors            von Akute-Phase-Proteinen in der         Molekülen im Tumorgewebe. Diese
                           mit dem Organismus angesehen.               Leber induziert. Bekannte Beispiele      aberrante Expression führt zum ei-
                           Tumoren brauchen große Mengen               sind C-reaktives Protein (CRP) und       nen zur Sekretion von Hormonen
                           Glukose, Fettsäuren und Aminosäu-           Fibrinogen [5].                          oder hormonähnlichen Substanzen
                           ren für ihren Metabolismus, um den                                                   und zum anderen zur Expression
                           Energieverbrauch für die Prolifera-         Organbezogene PNS                        von Molekülen, die für das Immun-
                           tion abzudecken. Bei Tumorpatien-           Die am häufigsten betroffenen Or-        system fremd sind und damit eine
                           ten zeigen sich ein vermehrter Ka-          gansysteme mit ihren paraneoplasti-      Immunantwort induzieren.
                           tabolismus der Muskelproteine, ein          schen Manifestationen sind in Tab. 1
                           erhöhter Gesamt-Proteinumsatz               aufgeführt, weitere, seltenere Mani-     Sekretion biologisch aktiver
                           und eine vermehrte Proteinsynthese          festationen in Tab. 2.                   Substanzen (z. B. Hormone)
                           der Leber. Bezüglich des Kohlenhy-                                                   Die genannte Fehlexpression führt
                           drat-Metabolismus findet sich häu-                                                   z. B. zur Ausschüttung „normaler“
                           fig eine erhöhte Insulinresistenz und       Pathophysiologie der                     Hormone, die in dieser Form auch
                           eine vermehrte Glukoneogenese aus                                                    physiologisch aktiv sind, aber beim
                           Proteinen und Laktat. Weiterhin
                                                                       spezifischen PNS                         Gesunden homöostatisch geregelt
                           findet sich eine vermehrte Lipolyse         Maligne Tumoren entstehen i. d. R.       werden. Hier kann es sich um einen
                           bei reduzierter Liponeogenese [2].          aus einer entarteten Zelle. Diese Zel-   rein quantitativen Effekt handeln,
                           Das Tumorgewebe ist also in der             le muss viele einzelne Mutationen        d. h. der Tumor – ob benigne oder
                           Lage, den Metabolismus entspre-             ansammeln, um das gesamte Poten-         maligne – schüttet Hormone ohne
                           chend seiner Bedürfnisse beim be-           zial von Karzinomen einschließlich       Regulation im Überschuss aus, was
                           troffenen Patienten zu beeinflussen.        Stroma-Bildung und Metastasierung        zu den entsprechenden Symptomen

                           116                                                                                         krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3
Schwerpunkt

 Organsystem                              Symptome                            Assoziierte Tumoren                      Labordiagnostik

 Hämatopoetisches System                  Tumoranämie                         alle Tumoren                             Blutbild, Ausschluss eines Eisenmangels
                                                                                                                       (Ferritin)

                                          Autoimmun-hämolytische              NHL, v. a. CLL                           Coombs-Test, Retikulozyten, Haptoglo-
                                          Anämie (AIHA), ITP                                                           bulin
 Hämostaseologisches System               Thrombosen                          Pankreas-, Bronchial-, Kolon­            ggfs. Ausschluss anderer Risikofaktoren
                                                                              karzinom, fast alle soliden              (Faktor-V-Leiden-Mutation, Protein-C-,
                                                                              Tumoren                                  Protein-S-, Faktor-VIII-Mangel)
 Endokrines System                        siehe Beitrag S. 120

 Neuromuskuläres System                   siehe Beitrag S. 140

 Kutane Manifestationen                   siehe Beitrag S. 134

Tab. 1: Beispielhafte Darstellung einiger häufiger Organmanifestationen von paraneoplastischen Syndromen.
                                                                                                                                                                 2
führt. Es kann aber auch ein qualita-                Knochenmark oder der Milz mobi-                        vom IgG1- und IgG2-Isotyp, und
tiver Mechanismus dahinter stehen,                   lisieren können, die dann in den                       diese reagieren gegen zusätzliche
d. h. Hormone, die nur in einer be-                  Tumor einwandern und dort das für                      Epitope von Desmoglein-3. Weitere
stimmten Entwicklungsphase (z. B.                    das Tumorwachstum nötige Stroma                        typische Autoantigene beim paraneo-
embryonal) oder in bestimmten Ge-                    bilden. So konnte gezeigt werden,                      plastischen Pemphigus sind Desmo-
weben sezerniert werden, werden                      dass humane Brustkrebszellen im                        plakin-1 (250kD), Desmoplakin-2
nun vom Tumorgewebe in den Blut-                     Tiermodell mithilfe des Botenstoffs                    (210kD), Envoplakin, Periplakin und
kreislauf abgegeben und wirken sys-                  Osteopontin Knochenmarkzellen                          Plectin [9].
temisch. Ein typisches Beispiel hier-                mobilisieren, die Wachstum und                              Wichtige Mechanismen, die zu
für ist die Sekretion von Parathor-                  Metastasierung des Tumors be-                          dieser Fehlreaktion des Immunsys-
mon-related-Protein (PTHrP), das                     schleunigten [8].                                      tems führen sind:
normalerweise nur in der Embryonal­                                                                         1. Durchbrechen der zentralen Im-
phase in relevanten Mengen expri-                    Paraneoplastische Autoimmunität                           muntoleranz
miert wird. PTH und PTHrP werden                     Die paraneoplastisch ausgelösten                       2. Dysregulation der peripheren Im-
zwar von verschiedenen Genen auf                     Auto­immunerkrankungen ähneln                             muntoleranz
unterschiedlichen Chromosomen co-                    zwar häufig typischen klassischen                      3. Immunantwort gegen alterierte
diert, haben aber eine große Homo-                   Autoimmunerkrankungen, es gibt                            Selbst-Antigene
logie auf DNA-Ebene und auch                         jedoch auch grundsätzliche Unter-                      Das Durchbrechen der zentralen
ähnliche molekulare Strukturen. Bei-                 schiede. Paraneoplastische Autoim-                     Immuntoleranz wird z. B. beim Thy-
de stimulieren die Kalzium-Mobili-                   munerkrankungen verlaufen oft                          mom deutlich. Thymome können zu
sierung aus dem Knochen und die                      schwerer und treten mit einem brei-                    verschiedensten autoimmunen PNS
Kalzium-Aufnahme aus dem Darm.                       teren Spektrum an klinischen Symp-                     führen, allem voran die Myasthenia
Eine Überexpression von PTHrP bei                    tomen in Erscheinung. Dies kann bis                    gravis durch Induktion von Autoan-
Karzinom-Patienten kann zur tumor­                   zum paraneoplastischen Multiorgan-                     tikörpern gegen Acetylcholin-Rezep-
assoziierten Hyperkalzämie führen.                   Autoimmunsyndrom führen, z. B. die                     toren, MuSK und Titin. Dabei sind
    Möglicherweise sind die klinisch                 „Thymom-assoziierte Multiorgan-                        v. a. Anti-Titin-Antikörper sehr eng
in Erscheinung tretenden PNS nur                     Autoimmunität“ (TAMA). Auch die                        mit der paraneoplastischen Myasthe-
die Spitze des Eisbergs einer inten-                 Autoantikörper-Diversität ist größer,                  nie und hier wiederum mit einem
siven Interaktion zwischen Tumor-                    d. h. es werden Autoantikörper so-                     Thymom assoziiert. Weitere Thy-
gewebe und normalem Gewebe des                       wohl gegen mehr unterschiedliche                       mom-assoziierte PNS sind die aplas-
Patienten. Einige Tumorzellen                        Autoantigene als auch je Autoantigen                   tische Anämie, Pemphigus oder als
scheinen durch die Sekretion hor-                    gegen mehr Epitope gebildet. So                        Maximalvariante die TAMA. Die
monähnlicher Substanzen einen                        finden sich beim Pemphigus vulgaris                    zugrunde liegenden Mechanismen
deutlichen Selektionsvorteil zu er-                  meist Autoantikörper vom IgG4-                         sind nicht eindeutig geklärt. Neben
reichen. Es gibt Hinweise, dass Pri-                 Isotyp gegen Desmoglein-1 (160kD)                      der aberranten Expression von Auto­
märtumoren über Zytokine, Hor-                       und die N-terminale Domäne von                         antigenen wie Titin durch Thymom-
mone oder hormonähnliche Sub­                        Desmoglein-3 (130kD). Beim para-                       Zellen und infolge der Induktion von
stanzen normale Zellen aus dem                       neoplastischen Pemphigus hingegen                      Autoantikörpern wird auch die Rek-
vom Primärtumor weit entfernten                      finden sich meist Autoantikörper                       rutierung von naiven T-Zellen durch

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                                            117
Schwerpunkt

            Betroffenes Organ                                  Erkrankung                             Assoziierte Tumoren

            Niere                                              Amyloidose  Nierenisuffizienz         Plasmozytom, CLL
                                                               Glomerulonephritis                     selten, verschiedene Tumoren
            Gelenke/Knochen                                    Rheumatoide Arthritis                  verschiedene Tumoren
                                                               Osteomalazie                           verschiedene Tumoren
            Systemische Erkrankungen                           Kollagenose-ähnliche Symptomatik       CLL, verschiedene Tumoren

            Leber                                              Stauffer-Syndrom                       Hypernephrom

            Allgemeine Symptome                                Alkoholunverträglichkeit               Hodgkin-Lymphom
                                                               Laktazidose                            akute Leukämien, NHL

2          Tab. 2: Beispiele seltener paraneoplastischer Syndrome.

           Thymom-Zellen diskutiert. Diese                         Der dritte Mechanismus, der zu      Immunsystems auf neue und damit
           naiven T-Zellen umgehen im                          paraneoplastischen Autoimmuner-         vermeintlich gefährliche Zellprotei-
           Thymom die negative Selektion und                   krankungen führen kann, ist die         ne. Interessanterweise ist aber die
           führen zu Autoimmun-Phänomenen.                     Immunantwort gegen alterierte           Neo-Expression allein i. d. R. nicht
           Warum es dann gehäuft zur Bildung                   Selbst-Antigene. Dabei findet sich      ausreichend, eine Immunantwort zu
           von Autoantikörpern gegen be-                       bei maligne entarteten Zellen die       induzieren und die Immunantwort,
           stimmte Antigene – eben v. a. Acetyl-               Überexpression normaler Proteine,       d. h. die gebildeten Autoantikörper
           cholin-Rezeptoren und Titin –                       die Neo-Expression embryonaler          führen nicht zwingend zur klini-
           kommt, ist im Detail noch nicht ge-                 Proteine, die Neo-Expression mu-        schen Ausprägung eines PNS. So
           klärt.                                              tierter Proteine oder die Expression    exprimieren z. B. praktisch 100%
               Die Dysregulation der periphe-                  von Proteinen, die gewöhnlich nur       der kleinzelligen Bronchialkarzino-
           ren Immuntoleranz zeigt sich u. a.                  in immunprivilegierten Bereichen        me das Hu-Antigen, bei 20% der
           durch das gehäufte Auftreten von                    vorkommen. Als immunprivilegier-        Patienten sind Anti-Hu-Autoanti-
           PNS im Zusammenhang mit Non-                        te Bereiche versteht man Organe         körper nachweisbar, aber nur weni-
           Hodgkin-Lymphomen (NHL), ins-                       bzw. bestimmte Bereiche in Orga-        ge entwickeln ein Anti-Hu-assozi-
           besondere der chronischen lympha-                   nen, in denen es physiologisch zu       iertes PNS, wie eine sensorische
           tischen Leukämie (CLL). Komplika-                   keiner Immunreaktion kommt wie          Neurophathie oder eine limbische
           tionen durch paraneoplastische                      im Glaskörper des Auges, im Ge-         Enzephalitis [10, 11].
           Autoimmunreaktionen finden sich                     hirn oder in der Plazenta.                  Ergänzend muss aber auch ge-
           in 10-25% der Fälle. Häufig sind                        In diesen Fällen kann die Neo-      sagt werden, dass diese durch mali-
           dabei eine autoimmun-hämolytische                   Expression „normaler“ oder mu-          gne Tumoren ausgelöste (Auto-)
           Anämie (AIHA) und eine Immun-                       tierter Proteine in der malignen        Immunantwort eine wichtige Basis
           thrombopenie. Aber auch nicht-                      Zelle oder auf ihrer Oberfläche zu      der Tumorimmunologie einschließ-
           hämatologische systemische para-                    einer pathologischen Autoimmun­         lich der verschiedenen immunologi-
           neoplastische Autoimmunerkran-                      antwort im Sinne eines „molekula-       schen Behandlungsversuche bildet.
           kungen, die klinisch wie ein systemi-               ren Mimikry“ führen. Das bedeutet,      So finden sich bei immunsuppri-
           scher Lupus erythematodes (SLE)                     die eigentlich gegen die entartete      mierten Patienten vermehrt maligne
           oder ein Sjögren-Syndrom in Er-                     Zelle gerichtete Immunantwort           Tumoren, v. a. der Haut und des
           scheinung treten, kommen vor. Eine                  führt zu pathologischen Manifesta-      hämatopoetischen Systems. Mono-
           mögliche pathophysiologische Er-                    tionen an anderer Stelle des Orga-      klonale Antikörper gegen tumoras-
           klärung ist die Fähigkeit zur Präsen-               nismus – eben an Zellen, an denen       soziierte Antigene, z. B. gegen
           tation von Autoantigenen durch                      die durch den Tumor induzierten         HER2/neu (Trastuzumab, Hercep-
           maligne NHL-Zellen. Diese wirken                    Autoantikörper ebenfalls binden         tin®) werden erfolgreich als Medika-
           so in unphysiologischer Weise wie                   können. Im Gegensatz zur aberran-       ment – in diesem Fall gegen Brust-
           antigen-präsentierende Zellen und                   ten Sekretion hormonell wirksamer       krebs – eingesetzt. Und letztendlich
           führen zur Stimulation von T-Zellen                 Substanzen ist in diesem Fall also      zeigen einige Studien, dass Patienten
           und nicht-malignen B-Zellen, was                    nicht das fehlexprimierte Molekül       mit paraneoplastischer Immunant-
           wiederum zur Autoimmunität füh-                     selbst der Auslöser der PNS, son-       wort eine bessere Prognose bezüg-
           ren kann.                                           dern die fehlgeleitete Antwort des      lich des Primärtumors haben [12].

           118                                                                                                krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3
Schwerpunkt

                                                                                                                   5. Skipworth RJ, Stewart GD, Dejong CH et al. Pathophy-
Summary                                   se ideas, thus other yet unknown                                   siology of cancer cachexia: Much more than host-tumour interaction?
Pathophysiology of Paraneoplastic         mechanisms may be involved. In                                     Clin Nutr 2007; 26: 667-76.

Syndromes                                 most cases the only causal therapy of                                   6. Klein CA. Parallel progression of primary tumours and
                                                                                                             metastases. Nature Rev Cancer 2009; 9: 302-12.
Paraneoplastic syndromes (PNS) are        PNS is treatment of the causative                                        7. Monzon FA, Medeiros F, Lyons-Weiler M et al. Identifi-
a heterogeneous complex of signs          tumor. According to the pathophy-                                  cation of tissue of origin in carcinoma of unknown primary with
and symptoms, which are not direct-       siology, symptomatic therapies like                                a microarray-based gene expression test. Diagn Pathol 2010; 5: 3.
                                                                                                                 8. McAllister SS, Weinberg RA. Tumor-host interactions:
ly caused by the tumor or its metas-      immune suppression for autoimmu-                                   A far-reaching relationship. J Clin Oncol 2010; 28: 4022-8.
tases due to growth and necrosis. On      nity or anti-hormonal therapy in the                                     9. Maverakis E, Goodarzi H, Wehrli LN et al. The etio-
the one hand these symptoms are           case of hormone-producing tumors                                   logy of paraneoplastic autoimmunity. Clin Rev Allergy Immunol
                                                                                                             2012; 42: 135-44.
caused by secreted proteins like hor-     can be offered.
                                                                                                                   10. Darnell RB, Posner JB. Paraneoplastic syndromes
mones, which deliver their actions                                                                           involving the nervous system. N Engl J Med 2003; 349: 1543-54.
indirectly and therefore sometimes        Keywords: Paraneoplastic syndro-                                         11. Gold M, Pul R, Bach JP et al. Pathogenic and physio-
very distant to the primary tumor. On     mes – Tumor anemia – Cachexia –                                    logical autoantibodies in the central nervous system. Immunol Rev
                                                                                                             2012; 248: 68-86.
the other hand the symptoms are           Cyto­kines – Autoantibodies – Im-                                      12. Sands J, Tuscano JM. Geoepidemiology and autoimmune
induced by interactions of the tumor      muntolerance                                                       manifestations of lymphoproliferative disorders. Autoimmun Rev
with the immune system. This inclu-                                                                          2010; 9: A335-41.

                                                                                                                                                                                   2
des disturbance of the central tole-
rance, a peri­pheral immune dysregu-      Literatur
lation or the expression of altered            1. Agarwala SS. Paraneoplastic syndromes. The Medical
                                          Clinics of North America 1996; 80: 173-84.
self-antigens. As a result the produc-
                                              2. Laviano A, Meguid MM. Nutritional issues in cancer
tion of autoantibodies is induced         management. Nutrition 1996; 12: 358-71.                                     Prof. Dr. med. Rudolf Gruber
which not only bind to tumor-asso-            3. Moss C, Dhillo WS, Frost G et al. Gastrointestinal              synlab MVZ Nürnberg und Human-
ciated antigens, but also cross-react     hormones: The regulation of appetite and the anorexia of ageing.   wissenschaftliches Zentrum der Ludwig-
                                          J Hum Nutr Diet 2012; 25: 3-15.
with other tissues like brain or dermis        4. Chaudhri O, Small C, Bloom S. Gastrointestinal hormones
                                                                                                                   Maximilians-Universität München
and thus lead to PNS. Not all known       regulating appetite. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2006;       Fürther Straße 212, 90429 Nürnberg
phenomena can be explained by the-        361: 1187-209.                                                                rudolf.gruber@synlab.com

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                                                                        119
Schwerpunkt

                                 Endokrineparaneoplastische
                                 Syndrome
2

    C. Waterhouse   Zusammenfassung                          Einleitung                            Pathogenese
                    Im Rahmen von Tumorerkrankungen          Endokrine PNS sind Krankheitsbil-     Die Pathogenese der PNS ist nicht
                    treten manchmal metabolische, dys-       der, die durch die Wirkung ektop      völlig geklärt. Auf molekularer Ebene
                    trophische oder degenerative Störun-     gebildeter Hormone oder hormon-       werden De-Repression und Mutation
                    gen auf, die auf einer humoralen oder    ähnlicher Substanzen entstehen.       als mögliche Entstehungsmechanis-
                    hormonellen Fernwirkung eines Tu-        „Ektop“ bedeutet in diesem Zusam-     men diskutiert, in funktioneller Hin-
                    mors beruhen und die nach Entfer-        menhang, dass diese Substanzen in     sicht eine retrograde Differenzierung
                    nung oder erfolgreicher Therapie des     einem Tumor außerhalb derjenigen      von Tumorzellen. Letztere produzie-
                    Tumors spontan abklingen. Sie wer-       glandulären Gewebe gebildet wer-      ren dann zum Beispiel fetale Proteine
                    den als paraneoplastische Syndrome       den, von denen sie physiologischer-   – α-Fetoprotein, karzinoembryonales
                    (PNS) bezeichnet. In diesem Kapitel      weise produziert werden, und sich     Antigen (CEA) – welche in normalen
                    werden die endokrinen Paraneoplasi-      den normalen, das hormonelle          Zellen nicht oder in kaum messbaren
                    en behandelt. Sie sind Folge einer       Gleichgewicht kontrollierenden        Mengen gebildet werden, oder es
                    ektopen übermäßigen Produktion           Rückkopplungsmechanismen ent-         werden Hormonvorstufen bezie-
                    von Hormonen oder hormonver-             ziehen [4]. Das klinische Krank-      hungsweise genetisch verwandte
                    wandten Stoffen und kommen so            heitsbild einer endokrinen Paraneo-   Hormone gebildet, wie zum Beispiel
                    häufig vor, dass bei jeder hormonellen   plasie wird durch die Wirkung des     Insulin-like Growth Factor (IGF)
                    Dysbalance differenzialdiagnostisch      im Überschuss produzierten Hor-       oder das Parathormon-related Pepti-
                    auch an einen zugrundeliegenden          mons bestimmt.                        de (PTHrP) [1, 3, 4].
                    Tumor gedacht und gegebenenfalls             PNS korrelieren nicht mit dem         Hinsichtlich der Tumorpathoge-
                    danach gesucht werden sollte. Die        Tumorstadium oder der Prognose.       nese ist die paraneoplastische Pro-
                    Behandlung besteht in der Therapie       In vielen Fällen ist ein PNS das      duktion hormonell aktiver Substan-
                    des Grundleidens, das heißt vor allem    erste und einzige Zeichen für einen   zen möglicherweise ein wichtiger
                    einer möglichst vollständigen Tumor-     zugrundeliegenden Tumor. Die Er-      Faktor für die tumoreigene Wachs-
                    entfernung, und aus der symptomati-      kennung eines PNS kann sehr hilf-     tumskontrolle. Dass das Wachstum
                    schen Behandlung der durch die           reich sein für das möglichst früh-    mancher Tumoren hormonabhängig
                    Hormon-Überproduktion resultie-          zeitige Aufspüren eines Tumors        sein kann, zeigt sich bei einem Groß-
                    renden Beschwerden.                      oder auch – nach zunächst erfolg-     teil der Mammakarzinome. Deren
                    Schlüsselwörter: Paraneoplasie –         reicher Therapie – für die Diagno-    Tumorzellen produzieren bezie-
                    Ektope Hormonbildung – Hormon-           se eines Tumorrezidivs.               hungsweise sezernieren selbst keine
                    abhängiges Tumorwachstum – Neu-                                                Hormone, exprimieren jedoch Hor-
                    roendokrines System – Somatostatin-                                            monrezeptoren. Deshalb gelingt es
                    Rezeptoren – Somatostatin-Analoga                                              hier, das Östrogen-abhängige Tu-

                    120                                                                                   krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3
Schwerpunkt

                            PNS                                Tumor                                                    Hormonell aktive Substanz
                            Cushing-Syndrom                    SCLC, Karzinoide, Prostatakarzinom, C-Zell-              Corticotropin-releasing hormone
                                                               Karzinome, Gangliozytom, Paragangliome
                            Akromegalie                        Karzinoide, Pankreastumor (Inselzell-Tumor), Phäo-       Growth hormone-releasing hormone
                                                               chromozytom, Neuroblastom, medulläres Schild-
                                                               drüsenkarzinom, SCLC
                                                               Bronchialkarzinom, Ovarialkarzinom, Mammakarzinom        Growth hormone (GH)
                            Hyperthyreose                      Chorionkarzinom, Hodenkarzinom                           HCG
                            Syndrom der inadäquaten            Bronchialkarzinom (auch nicht-kleinzelliges), Prosta-    ADH oder Vorstufen (Arginin-Vaso-
                            Vasopressin (ADH-) Aus-            takarzinom, Nebennierenrindenkarzinom, Hodgkin-          pressin), Vasotocin
                            schüttung (SIADH)                  Lymphom, Karzinoide, Pankreaskarzinom, Urothelkar-
                                                               zinom, Duodenalkarzinom, Thymom
                            Hypoglykämie                       Mesenchymale Tumoren (Fibrosarkome)                      IGF, Somatomedine
                            Hyperkalzämie                      Bronchialkarzinom, Mammakarzinom, multiples              PTHrP, Transforming Growth Factor
          Wird bei einer

2
                                                               Myelom, Kopf-Hals-Tumoren, Urogenital-Tumoren,           (TGF-)alpha, Prostaglandine, Chole-
       endokrinen Dys-                                         Ösophaguskarzinom, gynäkologische Tumoren,               calciferol-Hydroxylase, Interleukin-1
        regulation keine                                       Lymphome
       primäre Ursache
                            Hypertonie mit gleichzeitiger      Pankreaskarzinom, Ovarialkarzinom, Bronchial­            Renin
     gefunden, dann ist     Hypokaliämie                       karzinome, Leiomyosarkome
    differenzialdiagnos-
     tisch an einen Tu-    Tab. 1: Zuordnung endokriner PNS zu bestimmten Tumoren.
     mor als auslösende
    Ursache zu denken
          und dieser mit
    allen diagnostischen
                           morwachstum durch eine antihor-                  Diagnostik                                 ner paraneoplastischen Endokrinopa-
                           monelle Behandlung zu hemmen.                                                               thie dient meist lediglich zur Linde-
      Möglichkeiten zu
                               Nicht seminomatöse Keim-                     Wird bei einer endokrinen Dysregula-       rung der klinischen Symptome. Be-
                 suchen.
                           zelltumoren sezernieren häufig                   tion keine primäre Ursache gefunden,       steht der Wirkmechanismus aller-
                           β-HCG, welches wiederum über die                 dann ist differenzialdiagnostisch an       dings in einer Hormonrezeptor-
                           Fähigkeit, den TSH-Rezeptor zu                   einen Tumor als auslösende Ursache         Hemmung, wie zum Beispiel bei dem
                           stimulieren, zu einer Hyperthyreose              zu denken und dieser mit allen diag-       Somatostatin-Analogon Octreotid,
                           führen kann [7]. Inwieweit hier ein              nostischen Möglichkeiten zu suchen.        kann die Wirkung auch antineoplas-
                           Zusammenhang oder eine Abhän-                    Neben der endokrinologischen Basal-        tisch sein. Tabelle 2 fasst die klini-
                           gigkeit zwischen Hyperthyreose und               und Funktionsdiagnostik kommen             schen Erscheinungsbilder und ihre
                           Tumorwachstum besteht, ist nicht                 praktisch sämtliche bildgebenden Me-       symptomatischen Therapien zusam-
                           bekannt.                                         thoden zum Einsatz (Sonografie,            men, wenn eine Verkleinerung der
                                                                            Computertomografie, Magnet­                Tumormasse (inklusive der Metasta-
                                                                            resonanztomografie, Positronenemis-        sen) durch operative, strahlenthera-
                           VorkommenundHäufigkeit                           sions-Tomografie). Bei Somatostatin-       peutische und zytostatische Behand-
                                                                            Rezeptor exprimierenden Tumoren            lungen nicht ausreichend möglich ist.
                           Genaue Zahlen zu Häufigkeiten von                scheint die PET/CT der Somatosta-              Einige der Substanzen, die im
                           PNS sind wegen ihrer Vielfalt schwie-            tin-Rezeptor-Szintigrafie hinsichtlich     Rahmen von Tumorerkrankungen
                           rig zu erheben. Die häufigsten endo-             der Sensitivität überlegen zu sein. In     vermehrt gebildet und ausgeschüttet
                           krinen PNS sind die Tumor-Hyper-                 Erforschung befinden sich invasive         werden, führen nicht zu klinischen
                           kalzämie und das Cushing-Syndrom.                Methoden wie die Lokalisationsdia­         Symptomen. Nur wenige von ihnen
                           Der am häufigsten mit einer endokri-             gnostik für ACTH sezernierende Lun-        können als Tumormarker genutzt
                           nen Paraneoplasie assoziierte Tumor              gentumoren über eine ACTH-Mes-             werden, da die gemessenen Kon-
                           ist das kleinzellige Bronchialkarzinom           sung in Blutproben aus verschiedenen       zentrationen nicht verlässlich mit
                           (SCLC), dessen Zellen von neuroen-               Abschnitten der Lungenarterie [8].         der Tumormasse korrelieren. Of-
                           dokrinen, Peptidhormone sezenie-                                                            fenbar können Tumoren die Fähig-
                           renden Zellen (Kulchitsky-Zellen)                                                           keit, bestimmte hormonartige Sub-
                           abstammen, die in der fetalen Lunge              Therapie                                   stanzen zu bilden beziehungsweise
                           reichlich, in den Lungen Erwachsener                                                        zu sezernieren, mit der Zeit wieder
                           aber normalerweise nicht mehr nach-              Therapeutisch ist das Mittel der ers-      verlieren. Einige dieser paraneoplas-
                           weisbar sind [2, 3, 5].                          ten Wahl stets die möglichst vollstän-     tisch auftretenden Substanzen sind
                                Welche endokrinen PNS bei                   dige Entfernung des Tumors, die            in Tabelle 3 aufgeführt. Das Auftre-
                           welchen Tumoren gefunden werden                  dann zu einem Verschwinden der             ten von Symptomen der Hyperthy-
                           können, ist in Tabelle 1 zusammen-               paraneoplastischen Symptome führt.         reose bei exzessiver Ausschüttung
                           gefasst.                                         Die medikamentöse Behandlung ei-           von menschlichem Choriongonado-

                           122                                                                                                  krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3
Schwerpunkt

 PNS                       Klinik                               Labor                                Therapie
 Paraneoplastisches        Vollmondgesicht, Stammfett-          Hypokaliämie, metabolische Hemmung der Cortisol-Produktion mit Ketoconazol,
 Cushing-Syndrom           sucht, Hirsutismus, Hyper-           Alkalose, freies Cortisol im Aminoglutethimid, Mitotane oder Metyrapone, Hem-
                           pigmentierung, Hypertonie,           24-h-Urin > 100 mg/d, ACTH mung der ACTH-Ausschüttung mit Octreotid
                           Muskelschwäche, Glukosein-           im Serum > 200 pg/ml, mit
                           toleranz                             Dexamethason nicht suppri-
                                                                mierbarer Cortisol-Plasma-
                                                                spiegel
 Akromegalie               Vergröberung des Gesichts-           GH im Serum erhöht                   Octreotid
                           ausdrucks, Größenwachstum
                           von Händen und Füßen,
                           Potenzstörungen, Zyklusstö-
                           rungen
 Hyperthyreose             Gewichtsabnahme, Schweiß-            T3, T4                               Thyreostatika, meist nur vorübergehend notwendig
                           neigung, Wärmeintoleranz,
                           Glanzaugen, Tachykardie,

                                                                                                                                                                2
                           Herzrhythmusstörungen,
                           Schlagvolumen-Hochdruck,
                           Diarrhö
 SIADH                     Meist nicht ausgeprägt:              Hyponatriämie, Serum-Hypo-           Flüssigkeitsrestriktion (500 ml/d), Lithium, Diphenylhy-
                           Kopfschmerzen, Schwindel,            osmolalität (< 270 mosmol/l),        dantoin, Demeclocyclin, vorsichtige Kochsalzinfusi-
                           Übelkeit, Desorientierung,           Hyperosmolalität des Urins           onen (3-5%ig), gleichzeitig Schleifendiuretika. Cave:
                           Krämpfe                              (> 700 mosmol/l), vermehrte          zentrale pontine Demyelinolyse
                                                                Natriurie
 Hypoglykämie              Heißhunger, Übelkeit, Schwä- Nüchtern-Hypoglykämie, je Glukokortikoide, (10 bis 15 mg Prednisolon/d),
                           che, Unruhe, Schwitzen,      nach Tumor erhöhtes Insulin, Glukagon
                           Tachykardie, Tremor          IGF-I oder IGF-II
 Hyperkalzämie             Polyurie, Polydipsie, Exsikko-       Kalzium erhöht, häufig PTHrP         Steigerung der Urin-Kalziumausscheidung durch Re-
                           se, Erbrechen, Darm-Atonie,          erhöht                               hydratation mit Kochsalz (0,9%) und forcierte Diurese
                           Adynamie, Hyporeflexie, QT-                                               mit Schleifendiuretika, sowie gegebenenfalls Kalzitonin
                           Zeit-Verkürzung im EKG                                                    (rasche Hemmung der tubulären Kalzium-Rückresorp-
                                                                                                     tion), Hemmung der Kalzium-Mobilisierung aus dem
                                                                                                     Knochen mit Bisphosphonaten und gegebenenfalls
                                                                                                     Kalzitonin; Reduktion der enteralen Kalzium-Reduktion
                                                                                                     durch kalziumarme Diät beziehungsweise durch
                                                                                                     Glukokortikoide (vor allem bei multiplem Myelom und
                                                                                                     Non-Hodgkin-Lymphom)
Tab. 2: Klinische Symptome und medikamentöse symptomatische Therapie paraneoplastischer Endokrinopathien.

tropin (HCG) beruht auf einer                     Karzinoide. Unterschiede in Lokali-                trum an bioaktiven Substanzen wie
strukturellen Ähnlichkeit von HCG                 sation und Hormonprofil beruhen                    die Karzinoide des Foregut, allerdings
und TSH [4].                                      auf ihrer embryonalen Herkunft. Die                selten ACTH und 5-Hydroxytrypto-
                                                  Karzinoide des Foregut entstehen in                phan; der Gehalt an MAO ist gerin-
                                                  Lunge, Magen, im oberen Teil des                   ger, der DAO-Gehalt (Diaminooxi-
NeuroendokrineTumoren                             Duodenums sowie in Gallenblase                     dase, Histaminase) höher, der Gehalt
des Gastrointestinaltraktes                       und Gallenwegen. Bei ihnen können                  an 5-Hydroxytryptamin (Serotonin)
                                                  Bioaktivitäten von 5-Hydroxytrypto-                – hauptverantwortlich für das bei
Der Gastrointestinaltrakt enthält ein             phan, ACTH, Tachykinin, Neuroten-                  diesen Tumoren häufig auftretende
umfangreiches endokrines System                   sin, α- und β-HCG, Gastrin, 5-Hyd-                 Karzinoid-Syndrom mit Flush und
zur Sekretion von Peptidhormonen                  roxytryptamin (niedriger Gehalt) und               Diarrhö – ist ebenfalls hoch. Die
und Neurotransmittern zur Koordi-                 Monoaminooxidase (MAO, hoher                       Karzinoide des Hindgut betreffen
nation von Aufarbeitung und Resorp-               Gehalt) nachgewiesen werden. Kli-                  Colon transversum und Colon des­
tion eines qualitativ und quantitativ             nisch treten pulmonale Obstruktio-                 cendens. Sie produzieren nur wenig
ständig wechselnden Angebots an                   nen und atypische neurohumorale                    5-Hydroxytryptamin und ACTH. Au-
Nahrungsmitteln und Flüssigkeit.                  Symptome auf. Die Karzinoide des                   ßerdem findet man Somatostatin,
Diesem diffus im Gastrointestinal-                Midgut kommen im Darmabschnitt                     Tachykinin, Glicentin, Neurotensin,
Trakt verteilten neuroendokrinen                  von Duodenum bis zum Colon as-                     Dopamin und pankreatisches Poly-
System aus Peptid- und Amin-produ-                cendens vor sowie in der Appendix.                 peptid. Humorale klinische Sympto-
zierenden Zellen entstammen die                   Sie synthetisieren ein ähnliches Spek-             me sind selten [6].

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                                          123
Schwerpunkt

            Hormon                                                            Tumor
            HCG (bei exzessiv erhöhten Spiegeln Gynäkomastie,                 Keimzelltumoren des Hodens, Chorionkarzinom, Blasenmole,
            Oligomenorrhö, Hyperthyreose)                                     malignes Melanom, Nebennierenkarzinom, Mammakarzinom,
                                                                              Hypernephrom, Bronchialkarzinome
            Prolaktin (kann in höheren Konzentrationen Gynäko-                Bronchialkarzinom, Hypernephrom
            mastie und Galaktorrhö bewirken)
            Kalzitonin                                                        Mammakarzinom, Kolonkarzinom, SCLC, Pankreaskarzinom,
                                                                              Magenkarzinom
            Atrialer natriuretischer Faktor (asymptomatische                  Bronchialkarzinome
            Hyponatriämie)
            Neurotensin                                                       Tumoren des endokrinen Pankreas
            Bombesin (Gastrin-releasing hormone)                              SCLC
            Chromogranin                                                      Neuroendokrine Tumoren

2
           Tab. 3: Paraneoplastisch gebildete Hormone/hormonähnliche Substanzen ohne klinische Symptomatik.

               Die für die Symptomkontrolle                   Summary                                         Literatur
                                                                                                                  1. DeLellis RA, Xia L. Paraneoplastic syndromes: A review.
           wirksamste Therapie – mit wohl                     Endocrine Paraneoplastic Syndromes              Endocr Pathol 2003; 14: 303–317.
           auch antiproliferativem Effekt – be-               In connection with tumors some­                      2. Gerber RB, Mazzone P, Arroliga AC. Paraneoplastic
           steht in der Hemmung der Somato-                   times metabolic, dystrophic and de-             syndromes associated with bronchogenic carcinoma. Clin Chest Med
                                                                                                              2002; 23: 257–264.
           statin-Rezeptoren mit Octreotid.                   generative dysfunctions appear which
                                                                                                                    3. John WJ, Foon KA, Patchell RA. Paraneoplastic syndro-
           Somatostatin-Rezeptoren werden                     are based on humoral or hormonal                mes. In: DeVita VT, Hellman S, Rosenberg SA. Cancer: Prin-
           bei fast allen (96%) Karzinoid-Tu-                 distant effects of a tumor and vanish           ciples & Practice of Oncology. Fifth edition (1997) 2397–2422.
           moren gefunden.                                    spontaneously after removal or suc-                  4. Nunnensiek C, Rüther U. Paraneoplastische Endokrino-
                                                                                                              pathien. Fortschritte der klinischen Onkologie, Paraneoplastische
               Die endokrinen Pankreastumo-                   cessful treatment of the tumor; they            Syndrome. TumorDiagnostik Ther 1993; 11–53.
           ren werden nach dem im Übermaß                     are called paraneoplastic syndromes.                  5. Stewart PM, Gibson S, Crosby SR et al. ACTH precur-
           produzierten Hormon benannt, das                   In this chapter endocrine paraneopla-           sors characterize the ectopic ACTH syndrome. Clin Endocrinol
                                                                                                              1994; 40: 199.
           für die jeweilige klinische Sympto-                sias are described. They result from                  6. Tomassetti P, Migliori M, Lalli S et al. Epidemiology,
           matik verantwortlich ist. Zu ihnen                 an ectopic excessive production of              clinical features and diagnosis of gastroenteropancreatic endocrine
           zählen die Insulinome, Gastrinome,                 hormones or hormone-related subs-               tumours. Ann Oncol 2001; 12 (Suppl. 2): 95–99.
           Glukagonome, VIPome, pankreati-                    tances and occur so frequently that in               7. Oosting SF, de Haas EC, Links TP et al. Prevalence
                                                                                                              of paraneoplastic hyperthyroidism in patients with metastatic
           sche Polypeptidome, Neurotensino-                  each case of hormonal dysbalance                non-seminomatous germ-cell tumors. Ann Oncol 2010; 21: 104-8.
           me und Somatostatinome. Das Gas-                   the potential existence of a tumor                     8. Sugiyama M, Sugiyama T, Yamaguchi M. et al. Successful
           trinom ist bei weitem das häufigste                should also be taken into considerati-          localization of ectopic ACTH-secreting bronchial carcinoid by
                                                                                                              selective pulmonary arterial sampling. Endocr J 2010; 57: 959-64.
           von ihnen; es kommt zehnmal häu-                   on in terms of differential diagnosis.
           figer vor als das Insulinom, dieses                The treatment is primarily one of the
           wiederum doppelt so häufig wie das                 underlying disease, i. e. a complete
           VIPom und dieses fünffach häufiger                 removal of the tumor, if possible, as
           als das Glukagonom. Die anderen                    well as the symptomatic treatment of
           endokrinen Pankreastumoren sind                    the ailments that originate from the
           sehr selten. Da diese Tumoren in                   over-production of hormones.
           primär endokrinem Gewebe entste-
           hen, deren Hormonproduktion                        Keywords: Paraneoplasia – Ectopic
           nicht ektop im engeren Sinn ist, und               hormone production – Hormone-
           die hormonell bedingten klinischen                 dependent tumor growth – Neuroen-
           Symptome dem entarteten Gewebe                     docrine system – Somatostatine re-                    Dr. med. Christine Waterhouse
           des jeweiligen endokrinen Organs                   ceptors – Somatostatine analogues                           1. Medizinische Abteilung
           zugeordnet werden können, ent-                                                                         Städtisches Klinikum Schwabing
           sprechen sie nicht der Definition                                                                        Kölner Platz 1, 80804 München
           einer Paraneoplasie im eigentlichen                                                                       Tel.: 089/3068-3497, Fax: -3891
           Sinn.                                                                                              c.waterhouse@ extern.lrz- muenchen.de

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Schwerpunkt

               Paraneoplastische
               Nephropathie
                                                                                                                                             2
               Prof. Dr. K. Thurau zum 85. und Dr. W. von Römer zum 70. Geburtstag gewidmet

Zusammenfassung                         these (PTHr, ADH, ACTH, Meta-          Einleitung                                J. E. Scherberich
                                        nephrine, Erythropoetin) und Zyto-
Solide oder hämatologische Tumo-        kine (IL6) zu zyto­  toxischen Ge-     Jede „neu” auftretende Nierenfunkti-
ren können mit einer paraneoplasti-     websablagerungen, proliferativen       onsstörung mit Proteinurie oder gro-
schen Nierenbeteiligung (PNN)           Signalen, einer leukozytoklastischen   ßer Proteinurie (>3,5 g/g Kreatinin)
einhergehen. Bei älteren Patienten      Vaskulitis, arterieller Hypertonie     im Alter > 50 Jahre bedarf einer Ab-
ist jede schnell entstandene große      (mit Nephrosklerose), intrarenaler     klärung, inwieweit eine paraneoplasti-
Proteinurie oder andere Nierenbe-       Obstruktion, oder zu Störungen im      sche Nierenerkrankung (PNN) vorlie-
teiligung (Anstieg Serum-Kreatinin,     Elektrolyt- und Säure-Basen-Haus-      gen kann [4, 7, 9, 35]. Häufige Erstma-
tubuläre Proteinurie, Fanconi-Syn-      halt (renale tubuläre Azidose, Salz-   nifestationen sind Leistungseinschrän-
drom, tubuläre Azidose) verdächtig      verlust-Niere, SIADH, renaler Dia-     kung, schaumiger Urin, Ödeme, labor-
auf eine PNN. Für solide Tumoren        betes insipidus, erworbenes Fanco-     chemisch ein nephrotisches Syndrom
charakteristisch ist die Phospholipa-   ni-Syndrom). Hinzu kommen eine         mit Hypoproteinämie und Hyperlipi-
se-A2-Rezeptor-Antikörper-negati-       potenziell nephrotoxische Che-         dämie; ein erhöhtes Serumkreatinin
ve (sekundäre) membranöse Im-           moimmuno- bzw. Radiotherapie,          muss hierbei (noch) keineswegs vor-
munkomplex-Glomerulonephritis           Obstruktion ableitender Harnwege       liegen. Die PNN ist oft sozusagen die
(GN). Die sogenannte Lipoid-Ne-         z. B. durch Tumorinfiltration oder     Erstmanifestation des Tumors und
phrose (minimal–change GN) mit          Kompression sowie ein Tumorlyse-       kann dessen Diagnose mehrere Mo-
selektiver glomerulärer Proteinurie     Syndrom. Lymphome können direkt        nate (bis Jahre?) vorangehen [7]. Pa-
kommt eher bei M. Hodgkin bzw.          in der Niere entstehen und dort        thogenetisch ist die PNN vielfältiger
T-Zell-Lymphomen vor; beschrie-         expandieren oder die PNN erfolgt       Natur (Tab. 1 und 2).
ben sind auch andere Formen wie         über renale Metastasen bzw. ein
mesangial-proliferative GN, memb-       diffus infiltrierendes (papilläres)
rano-proliferative, segmental-sklero-   Nierenzellkarzinom. Nach erfolgrei-    PNN bei soliden und hä-
sierende und nekrotisierende Halb-      cher Tumorregression bildet sich die
mond-GN. Viele Karzinome beglei-        PNN, insbesondere das nephroti-
                                                                               matologischenTumoren
ten Autoimmunphänomeme, die             sche Syndrom, in aller Regel voll-     Häufigste auslösende Ursachen der
PNN ist dann verursacht durch die       ständig zurück.                        PNN sind kleinzellige Bronchialkar-
Malignom-assoziierte Vaskulititis,                                             zinome [3, 15], Kolon- und Mamma-
mikrothrombotische Vaskulopathie        Schlüsselwörter: Karzinome – Para-     karzinome und Lymphome (Abb.1).
oder ein hämolytisch-urämisches         neoplastische Nephropathie – Phos-     Typisch ist die zunehmende Protein-
Syndrom. Freie monoklonale Im-          pholipase-A2-Rezeptor-Antikörper       urie u. U. mit Mikrohämaturie, die
munglobulin-Leichtketten können         – Tumor-assoziierte Proteinurie –      fast immer auf einer (peri-)membra-
ein rasch progredientes Nierenver-      Nephrotisches Syndrom – Nierenver-     nösen Immunkomplex-Glomerulo-
sagen (durch „Cast“-Nephropathie)       sagen – Nephrotoxizität – Malignom-    nephritis (mGN) beruhen und mit
auslösen, die „High-cut-off“ Plas-      assoziierte Vaskulitis – Autoimmun-    einer großen Proteinurie (> 3,5 g
mafiltration ist hier eine Therapieo-   Phänomene – Haemolytisch-urämi-        Protein/g Kreatinin) oder einem Ne-
ption. Tumor-assoziiert führen          sches Syndrom – Tumorlyse-Syn-         phrotischen Syndrom vergesellschaf-
Kryoglobuline, ektope Hormonsyn-        drom                                   tet sind (Abb. 2, [5, 12, 32, 33]).

krebsmedizin 2013 Band 22 Heft 3                                                                                 125
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