Parlament Regierung und Verwaltung des Landes Berlin - Ulrich Zawatka-Gerlach Politische Kurzinformationen
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Ulrich Zawatka-Gerlach Parlament Regierung und Verwaltung des Landes Berlin Politische Kurzinformationen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit
Landeswappen Landesflagge
Parlament Regierung und Verwaltung des Landes Berlin
Ulrich Zawatka-Gerlach Parlament Regierung und Verwaltung des Landes Berlin Politische Kurzinformationen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin
Der Autor Ulrich Zawatka-Gerlach, geb. 1955 in Recklinghausen, lebt seit 1973 in Berlin. Redakteur des „Tages- spiegel“ seit 1991, zuständig für die landespolitische Berichterstattung. Seit 1980, nach Abschluss des Studiums an der Freien Universität Berlin (Publizistik, Volkswirtschaft und Soziologie), journalistisch und zeitweilig auch in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen für die politische Bildungsarbeit zu den Themen: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und Berlins so- wie Wahlen. Impressum Text Ulrich Zawatka-Gerlach Bearbeitung und Redaktion Jörg Schmidt (Landeszentrale für politische Bildungsarbeit) in Zusammenarbeit mit Andreas Schmidt von Puskás (Senatsverwaltung für Inneres) Gesamtherstellung Oktoberdruck, Berlin Redaktionsschluss 22. November 2005 © Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, 2005 An der Urania 4 –10 (Nähe Wittenbergplatz), 10787 Berlin Telefon 9016-2552 Telefax 9016-2538 E-Mail landeszentrale@senbjs.verwalt-berlin.de Internet www.landeszentrale-politische-bildung-berlin.de Geöffnet Montag – Mittwoch 12.00 – 16.00 Uhr Donnerstag 12.00 – 18.00 Uhr Freitag 10.00 – 18.00 Uhr
Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort 7 Berlin – Stadt und Land zugleich 8 Abgeordnetenhaus von Berlin – Parlament des Stadtstaates Berlin 9 Organe des Abgeordnetenhauses von Berlin 14 Senat und Landesverwaltung 17 Öffentliche Finanzen 19 Berliner Bezirke 22 Bezirksneugliederung 30 Bürgernahe Verwaltung 30 Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung 33 Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen 37 Verfassung von Berlin 44 Hauptstadt Berlin 46 Berlin und Brandenburg 49 Nachbarland Brandenburg 53 Anhang Kurzinformationen zur Geschichte der zwölf neuen Bezirke Berlins 60 Literaturangebot der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit zum Thema „Berlin“ 79
Vorwort Berlin, die deutsche Hauptstadt, die zugleich ein 2006 und Länderfusion 2009 – gilt nicht mehr. Bundesland und die größte Stadt (Kommune) in Beide Landesregierungen kündigten im Januar der Bundesrepublik Deutschland ist, hat sich seit 2005 an, frühestens 2010 eine Volksabstimmung dem Fall der Mauer im November 1989 gründlich durchzuführen. Der erste Anlauf zur Länder- verändert. Das gilt vor allem für den Alltag der fusion war 1996 gescheitert. Die Vereinigung bei- Bürgerinnen und Bürger, für das Stadtbild und der Länder wird voraussichtlich erst dann mög- das Verhältnis zum Umland. Aber auch das lich sein, wenn sich u. a. die äußerst schwierige Parlament, die Regierung und die Verwaltung Finanzlage Berlins spürbar verbessert. mussten sich den neuen Verhältnissen und Auf- Für die Berliner Politik war 2001 ein Wende- gaben stellen und anpassen. So wurden die punkt: Die seit 1991 regierende große Koalition Verfassung, das Berliner Landesparlament (Ab- (CDU und SPD) wurde abgelöst, zunächst durch geordnetenhaus) und das Wahlrecht reformiert. einen Übergangssenat aus SPD und Bündnis Die ehemals 23 Verwaltungsbezirke der Stadt 90/Die Grünen, parlamentarisch unterstützt (to- wurden am 1. Januar 2001 zu zwölf großen Be- leriert) von der PDS (jetzt: Die Linkspartei.PDS) zirken zusammengefasst. Gleichzeitig erhielten mit dem Ziel, Neuwahlen vorzubereiten. Nach die Bezirke mehr Aufgaben und Zuständigkeiten. der vorgezogenen Abgeordnetenhauswahl am Die Reform der öffentlichen Verwaltung ist damit 21. Oktober 2001 scheiterten Verhandlungen nicht abgeschlossen. Die Behörden sollen sich in zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen Zukunft noch mehr an den Interessen der Bürger für eine „Ampel-Koalition“. Anschließend ver- und privaten Unternehmen orientieren, die ständigten sich SPD und PDS auf die Bildung ei- staatliche Dienstleistungen in Anspruch neh- ner gemeinsamen Landesregierung. Der neue men. Senat wurde am 17. Januar 2002 vom Abgeord- Die Bundesregierung und der Deutsche Bun- netenhaus gewählt. destag zogen 1999 von Bonn nach Berlin. Im Vieles ging und geht in Berlin nur Schritt für Herbst 2000 nahm der Deutsche Bundesrat sei- Schritt voran. Erfahrungsgemäß ist der Weg zu nen Sitz in der Hauptstadt, in der sich auch die Reformen selten geradlinig und übersichtlich. Botschaften, Landesvertretungen und Interes- Diese Veröffentlichung möchte einen knapp ge- senverbände niedergelassen haben. fassten Überblick über die Veränderungen in fast Derzeit sieht es so aus, als ob die Bundeshaupt- allen Bereichen des politischen Systems Berlins, stadt Berlin auf absehbare Zeit auch Stadtstaat über die Rolle als deutsche Hauptstadt und das bleibt. Der ursprünglich diskutierte Zeitplan für Verhältnis zum Nachbarland Brandenburg in den die Vereinigung (Fusion) von Berlin und Branden- vergangenen Jahren geben. burg zu einem Bundesland – Volksabstimmung 7
Berlin – Stadt und Land zugleich Einbindung in das föderale System Bundesrat und Bundestag hatten im Oktober der Bundesrepublik Deutschland 2003 beschlossen, die Aufgaben zwischen Bund Berlin ist eines von 16 Ländern, die zusammen und Ländern neu zu verteilen, doch das Reform- die Bundesrepublik Deutschland bilden. Jedes projekt scheiterte im Dezember 2004 an der Fra- Land hat seine eigene Verfassung, Verwaltung ge, wer für die Bildungspolitik in der Bundesre- und Regierung, ist also „Staat im Staate“, aber publik Deutschland zuständig sein sollte. Erst in trotzdem fest in den Bundesstaat eingegliedert. den Verhandlungen zwischen CDU und SPD über Die gemeinsamen Rechte und Pflichten des die Bildung einer großen Koalition im Bund ei- Bundes und der Länder sind im Grundgesetz ge- nigten sich beide Parteien auf eine Modernisie- regelt. Dabei gilt für alle Länder der Grundsatz rung des Föderalismus in Deutschland. der Bundestreue: Das enge Zusammenwirken Vor der Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober von Bund und Ländern und der Ausgleich gegen- 1990 hatte (West-)Berlin im föderalen System ei- sätzlicher Interessen sind eine wesentliche ne Sonderstellung. Der im Grundgesetz veran- Grundlage der föderalen Ordnung. kerte Anspruch, ein Land der Bundesrepublik Deutschland zu sein, wurde von den Besatzungs- 8
mächten USA, Frankreich und Großbritannien Berlin als Stadtstaat nicht anerkannt, ebenso wenig der Anspruch des Berlin ist wie Hamburg und Bremen ein Stadt- SED-Regimes, Ost-Berlin sei die Hauptstadt der staat.Anders als die Flächenländer (zum Beispiel DDR. Die West-Berliner Bundestagsabgeord- Nordrhein-Westfalen oder Bayern), zu denen neten wurden deshalb nicht vom Volk, sondern zahlreiche Städte, Kreise und Gemeinden mit (indirekt) vom Abgeordnetenhaus gewählt. Sie eigener Selbstverwaltung gehören, sind die besaßen im Bundestag nur ein eingeschränktes Stadtstaaten Land und zugleich städtische (kom- Stimmrecht. Berlin durfte nicht vom Bund regiert, munale) Gebietskörperschaft. Berlin verfügt des- jedes neue Bundesgesetz musste vom Abgeord- halb über eine zweistufige Verwaltung. Die netenhaus eigens übernommen werden. Auch Senatsverwaltung nimmt vorwiegend landespo- die Ost-Berliner Abgeordneten hatten in der litische, die Bezirksverwaltung kommunalpoliti- DDR-Volkskammer zunächst kein Stimmrecht, sche Aufgaben wahr. Die Doppelrolle als Staat die Gesetze der DDR wurden bis in die siebziger und Stadt kommt auch darin zum Ausdruck, dass Jahre hinein formal für die „Hauptstadt“ über- Berlin sowohl Mitglied des Deutschen Bundes- nommen. Erst mit der Vereinigung Deutschlands rates (Ländervertretung) als auch des Deutschen verlor Berlin seinen besonderen, aus der Nach- Städtetages (Vertretung der Städte) ist. kriegssituation resultierenden Status und wurde ein vollwertiges Bundesland. Abgeordnetenhaus von Berlin – Parlament des Stadtstaates Berlin Geschichte Amt des Oberbürgermeisters vor. Erster Amts- Die parlamentarische Volksvertretung in Berlin träger war Carl Friedrich Leopold von Gerlach, der hat eine fast zweihundertjährige Geschichte: zur adligen Oberschicht der Stadt gehörte. 1809 wurde die Städteordnung für Preußen ein- Die Zuständigkeit der Stadtverordnetenver- geführt. Damals wurde die Stadtverordneten- sammlung und des Magistrats wurde 1920 versammlung zur gewählten Vertretungskörper- durch das „Gesetz über die Bildung einer neuen schaft der Bürger Berlins. Wahlberechtigt waren Stadtgemeinde Berlin“ auf die neu gegründete allerdings nur sieben Prozent der Einwohner. Die Großgemeinde Berlin ausgedehnt. 102 Stadtverordneten beriefen den Magistrat, in Mit der Teilung Berlins nach dem Ende des Zwei- dem nur „geachtete, rechtliche, einsichtsvolle und ten Weltkriegs (1945) spalteten sich auch die Ver- geschäftsfähige Männer“ sitzen durften, und die- fassungsorgane der Stadt. Die am 20. Oktober se legten dem König Personalvorschläge für das 1946 frei und demokratisch gewählte Stadtver- 9
ordnetenversammlung, die im Neuen Stadthaus sung von 1950, die faktisch nur im Westteil der in Berlin-Mitte tagte, wich im September 1948 Stadt gültig war, sah für Gesamtberlin 200 Abge- unter dem Druck der Sozialistischen Einheits- ordnetenhaussitze vor. Die Sitze für die Ost-Ber- partei Deutschlands (SED) und der sowjetischen liner Volksvertreter wurden, mit Blick auf eine Besatzungspolitik in den Westteil Berlins aus. mögliche Vereinigung der Stadt, „freigehalten“. Vorher hatten Demonstranten die Sitzungen Im Ostteil der Stadt wurden nach der Spaltung mehrfach massiv gestört und sogar verhindert. Berlins wieder ein Magistrat und eine Stadtver- Die Stadtverordnetenversammlung, später das ordnetenversammlung installiert. Das waren von Abgeordnetenhaus von Berlin, fand im Rathaus der SED und den so genannten Blockparteien Schöneberg ein neues Domizil. Was zunächst als beherrschte Regierungsorgane. Die Oberbürger- „Provisorium“ gedacht war, hielt bis April 1993. meister im Ostteil der Stadt waren bis 1990 aus- Dann zog das erste Gesamtberliner Abgeordne- nahmslos Mitglieder der SED, die bezirkliche tenhaus, das sich am 11. Januar 1991 in der Niko- Selbstverwaltung wurde durch das Prinzip des laikirche im Bezirk Mitte konstituierte, in den ehe- „demokratischen Zentralismus“ ersetzt. maligen Preußischen Landtag an der Nieder- Sechs Monate nach dem Mauerfall, am 6. Mai kirchnerstraße (Berlin-Mitte) um. 1990, fanden im Ostteil der Stadt wieder de- Freie, demokratische Wahlen waren seit der po- mokratische Wahlen zur Stadtverordnetenver- litischen Spaltung der Stadt im Jahr 1948 nur sammlung statt. Eine SPD/CDU-Koalition bildete noch im Westteil Berlins möglich. Am 3. Dezem- den Magistrat, der bis zur ersten Gesamtberliner ber 1950 fand die erste Wahl zum (West-)Berliner Abgeordnetenhauswahl am 2. Dezember 1990 Abgeordnetenhaus statt. Die Berliner Verfas- eng mit dem West-Berliner Senat zusammenar- Ehemaliger Preußischer Landtag, jetzt Sitz des Abgeordnetenhauses von Berlin Foto: Florian Profitlich Copyright: Abgeordnetenhaus von Berlin 10
beitete. Beide Regierungsorgane trafen sich re- den. Die Verfassung selbst kann nur vom Abge- gelmäßig zu gemeinsamen Sitzungen („Magise- ordnetenhaus mit Zweidrittelmehrheit geändert nat“). Seit Juni 1990 wurden Verwaltungsmitar- werden. beiter aus dem Ost- und Westteil der Stadt aus- Eine zentrale Aufgabe des Parlaments ist die Be- getauscht. Ein gemeinsamer Ausschuss beider ratung und Verabschiedung des Haushalts, des- Stadtparlamente zur „Einheit Berlins“ schuf die sen Entwurf vom Senat in der Regel vor der Som- rechtlichen Voraussetzungen für das Zusam- merpause des vorhergehenden Jahres vorgelegt menwachsen Berlins. wird. Jeweils im Herbst werden der Landeshaus- halt und begleitende Gesetze bzw. Anlagen (zum Gesetzgebung und Budgetrecht Beispiel Haushaltsstruktur- bzw. Haushaltssanie- Das Abgeordnetenhaus, Parlament des Landes rungsgesetze, mittelfristige Finanz- und Investi- Berlin, ist für die Landesgesetzgebung und die tionsplanung) vom Hauptausschuss des Abge- Verabschiedung des jährlichen Landeshaushalts ordnetenhauses beraten und traditionsgemäß (Budgetrecht) zuständig. Gesetzentwürfe kön- in der letzten Plenarsitzung im Dezember be- nen von der Landesregierung (Senat), den Ab- schlossen, damit der Etat rechtzeitig zum Jah- geordnetenhausfraktionen, von mindestens resbeginn in Kraft treten kann. Es ist auch mög- zehn Mitgliedern des Abgeordnetenhauses oder lich, einen Haushalt für zwei Jahre vorzulegen mit einem Volksbegehren im Parlament einge- (Doppelhaushalt). bracht werden. Sie werden anschließend von Ohne rechtsgültigen Haushalt dürfen öffentliche den Fachausschüssen des Parlaments beraten Mittel nur im Rahmen einer „vorläufigen Haus- und vom Plenum beschlossen, sofern sich eine haltswirtschaft“ ausgegeben werden, die der Mehrheit dafür findet. Jedes vom Abgeordneten- Kontrolle der Senatsfinanzverwaltung unterliegt. haus beschlossene Gesetz muss spätestens Das galt zum Beispiel für den Doppeletat 2002/ zwei Wochen nach seiner Ausfertigung durch 03, der vom Landesverfassungsgericht im Ok- den Parlamentspräsidenten vom Regierenden tober 2003 für verfassungswidrig erklärt wurde. Bürgermeister im Gesetz- und Verordnungsblatt Nach Auffassung des Gerichts hatte der Gesetz- des Landes Berlin verkündet werden. Es tritt geber nicht ausreichend dargelegt, warum die spätestens 14 Tage nach Verkündung in Kraft, es öffentliche Neuverschuldung höher lag als die sei denn, das Gesetz gibt einen anderen Termin Investitionsausgaben. Das ist laut Verfassung vor. nur in Ausnahmefällen erlaubt. Eine übermäßige Landesgesetze können unter bestimmten Vor- Neuverschuldung hätte mit der Haushaltsnot- aussetzungen vom Berliner Verfassungsgerichts- lage des Landes Berlin oder mit der „Abwehr ei- hof auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung ner Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich- überprüft werden. Der Verfassungsgerichtshof gewichts“ begründet werden müssen. Der Ent- besteht aus neun Richtern, die vom Abgeordne- wurf für den Doppelhaushalt 2004/2005 wurde tenhaus mit Zweidrittelmehrheit gewählt wer- daraufhin gründlich überarbeitet und mit vier- 11
monatiger Verspätung vom Abgeordnetenhaus Berlin seit 1975 nicht mehr gegeben. Von 1991 beschlossen. bis 2001 wurde die Stadt von einer CDU/SPD- Koalition (große Koalition) regiert. Wahl der Landesregierung Am 16. Juni 2001 wurden der Regierende (Senat von Berlin) Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Nach seinem ersten Zusammentritt (Konstitu- die anderen CDU-Senatsmitglieder durch eine ierung) wählt das Abgeordnetenhaus, meist in parlamentarische Mehrheit von SPD, Bündnis der zweiten Plenarsitzung, den Senat. In den dar- 90/Die Grünen und PDS abgewählt (Misstrau- auf folgenden Sitzungen werden die vom Regie- ensvotum) und Klaus Wowereit (SPD) zum neu- renden Bürgermeister vorgelegten Richtlinien en Regierenden Bürgermeister gewählt. Sozial- zur Regierungspolitik debattiert und müssen demokraten und Grüne bildeten einen so- vom Parlament mehrheitlich bestätigt werden. In genannten Übergangssenat, der von der PDS der Regel bilden zwei, manchmal auch mehr parlamentarisch unterstützt (toleriert) wurde Fraktionen, die im Landesparlament gemeinsam und vorgezogene Neuwahlen vorbereitete. Das über eine Mehrheit der Sitze verfügen, eine Re- Landesparlament löste sich mit der dafür not- gierungskoalition, um die Senatsbildung und die wendigen Zweidrittelmehrheit selbst auf, so dass Arbeit der Regierung parlamentarisch abzusi- am 21. Oktober 2001 das Abgeordnetenhaus chern. Alleinregierungen einer Partei hat es in und die zwölf Bezirksverordnetenversammlun- Berliner („Rotes“) Rathaus; Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Foto: Landesarchiv Berlin 12
gen neu gewählt werden konnten. Im Ergebnis tung grundsätzlicher Entscheidungen“ des Parla- der Wahlen bildeten SPD und PDS eine „rot-rote“ ments. Regierungskoalition. Der neue Senat wurde am In den Fachausschüssen des Abgeordneten- 17. Januar 2002 vom Berliner Parlament gewählt. hauses können die Senatoren oder deren Stell- Nach der verfassungsmäßigen Dauer der Wahl- vertreter (Staatssekretäre) befragt und auf An- (Legislatur-)periode (fünf Jahre) finden die nächs- trag Experten angehört werden. An Debatten mit ten Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 bezirklicher Bedeutung dürfen Vertreter des Ra- statt. tes der Bürgermeister mit beratender Stimme Das Abgeordnetenhaus wählt u. a. nicht nur den teilnehmen. In der mündlichen Fragestunde des Senat, sondern auch (auf Vorschlag des Senats) Abgeordnetenhaus-Plenums beantworten die die Präsidenten der oberen Landesgerichte, den Senatsmitglieder Fragen der Parlamentarier. Präsidenten des Rechnungshofes und den Da- „Große Anfragen“ der Fraktionen werden eben- tenschutzbeauftragten des Landes Berlin. falls im Plenum oder ersatzweise im zuständi- gen Fachausschuss vom Senat beantwortet. Kontrolle der Regierung Außerhalb der Parlamentsgremien hat jeder Ab- Zu den Aufgaben des Abgeordnetenhauses ge- geordnete das Recht, „Kleine Anfragen“ an die hört es, die Regierung zu kontrollieren und eige- Senatsverwaltungen zu stellen, die in angemes- ne politische Initiativen zu entfalten. Hier liegt sener Frist schriftlich beantwortet und im Lan- eines der Hauptbetätigungsfelder der Opposi- despressedienst veröffentlicht werden müssen. tionsfraktionen. Die Verfassung sichert der Oppo- Der Senat ist verpflichtet, das Parlament über sition als wichtigem Bestandteil der parlamen- „Vorhaben von grundsätzlicher Bedeutung“ tarischen Demokratie das Recht auf politische frühzeitig und vollständig zu informieren, zum Chancengleichheit zu. Natürlich ist die Opposi- Beispiel über den Inhalt von Staatsverträgen, tion mehr als die Regierungsfraktionen daran Bundesratsinitiativen und Richtlinien der Euro- interessiert, den Senat zu kontrollieren, zu kriti- päischen Union. sieren und die Regierung politisch herauszufor- Während einer Plenardebatte hat jeder Abge- dern. Die Bühne einer kämpferischen Opposi- ordnete die Möglichkeit, mit einer bis zu dreimi- tionsarbeit sind die Plenarsitzungen des Parla- nütigen „Zwischenbemerkung“ auf einen Rede- ments und die Ausschüsse. Mit Anfragen, Reden beitrag spontan zu reagieren. Der angesprochene und eigenen Anträgen kann sich die parlamen- Redner darf kurz antworten. Pro Debattenbeitrag tarische Opposition bemerkbar machen. Um sind zwei Zwischenbemerkungen zulässig. Das schwere Missstände aufzuklären, können Un- Recht, außerhalb der normalen Rednerreihenfol- tersuchungsausschüsse eingerichtet werden. ge zu intervenieren, soll die Parlamentssitzungen Enquête-Kommissionen (parlamentarische Gre- lebendiger gestalten. Diesem Zweck dient auch mien, die aus Abgeordneten und sachverstän- der „Prioritätenblock“ nach der Frage- und der digen Personen bestehen) dienen der „Vorberei- Aktuellen Stunde. Jede Fraktion darf ein Thema 13
ihrer Wahl auf der Tagesordnung nach vorn set- de, quasi „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, zen. Damit soll erreicht werden, dass wichtige diskutiert werden. Themen im Parlament nicht erst zu später Stun- Organe des Abgeordnetenhauses von Berlin Parlamentspräsidium und Ältestenrat Der Präsident und die Vizepräsidenten sind auch Spätestens sechs Wochen nach der Abgeord- im Ältestenrat des Abgeordnetenhauses vertre- netenhauswahl muss sich das Parlament kon- ten, in den die Fraktionen weitere – von ihnen stituieren (zusammenkommen) und ein Präsi- ausgewählte – Mitglieder berufen. Der Ältesten- dium wählen. Bis der Präsident des Abgeord- rat unterstützt als eigenständiges parlamentari- netenhauses (mit der absoluten Mehrheit der sches Gremium den Präsidenten bei seiner Ar- Stimmen) gewählt ist, leitet der Alterspräsident beit. Im Ältestenrat einigen sich die Fraktionen die erste Plenarsitzung. Alterspräsident ist der zum Beispiel über die Tagesordnung und den Abgeordnete mit dem höchsten Lebensalter. Ablauf der Plenarsitzungen. Beschlüsse werden Der gewählte Präsident des Abgeordnetenhau- in diesem Gremium nicht gefasst; der Ältesten- ses ist oberste Dienstbehörde der Parlaments- rat gibt dem Plenum nur Empfehlungen. verwaltung, führt die Geschäfte, vertritt das Par- lament nach außen, übt das Hausrecht und die Fraktionen Polizeigewalt im Parlamentsgebäude aus. Er be- Die Parlamentsfraktionen sind nach der Verfas- ruft die Plenarsitzungen und den Ältestenrat ein sung „selbstständige und unabhängige Gliede- und fertigt die vom Parlament beschlossenen rungen der Volksvertretung“. Sie wirken maß- Gesetze aus. Seit Herbst 2001 ist der SPD-Ab- geblich an der parlamentarischen Arbeit mit und geordnete und frühere Regierende Bürgermeis- sollen die „parlamentarische Willensbildung“ ter von Berlin, Walter Momper, Präsident des Ab- unterstützen. Im Regelfall schließen sich die Ab- geordnetenhauses. Ihm stehen derzeit zwei Vi- geordneten einer Partei zu einer Fraktion zusam- zepräsidenten zur Seite: Martina Michels (Die men. Sind dies weniger als fünf Prozent aller Ab- Linkspartei.PDS) und Prof. Dr. Christoph Stölzl geordneten, bilden diese keine Fraktion, sondern (CDU). Der Präsident, die gewählten Vizepräsi- eine „Parlamentarische Gruppe“ mit einge- denten und die Beisitzer aus allen Fraktionen bil- schränkten Rechten. Es gibt auch Abgeordnete, den das Parlamentspräsidium. Die Verteilung der die keiner Fraktion oder Gruppe angehören. Präsidiumssitze auf die Fraktionen wird nach Trotz der Fraktionszugehörigkeit sind Abgeord- dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren be- nete nach dem Gesetz nicht an Aufträge und rechnet. Weisungen gebunden, sondern nur ihrem Ge- 14
wissen unterworfen. In der parlamentarischen tion und Verbraucherschutz; Finanzen (Haupt- Alltagsarbeit steht dieses Verfassungsgebot je- ausschuss); Inneres, Sicherheit und Ordnung; doch im Widerspruch zur Fraktionsdisziplin. Sie Jugend, Familie, Schule und Sport; Kulturelle verpflichtet die Abgeordneten nicht nur zur re- Angelegenheiten; Stadtentwicklung und Um- gelmäßigen Mitarbeit, sondern zu einem ge- weltschutz; Verfassungs- und Rechtsangelegen- schlossenen, loyalen Verhalten gegenüber der heiten, Immunität und Geschäftsordnung; Ver- eigenen Fraktion. fassungsschutz; Verwaltungsreform und Kom- Die Fraktionen erhalten aus der Landeskasse ei- munikations- und Informationstechnik; Wirt- ne finanzielle Grundausstattung für ihre Arbeit. schaft, Betriebe und Technologie; Wissenschaft Im Jahr 2005 ist dies ein Grundbetrag von und Forschung. Zusätzlich gibt es den Petitions- 505 932 Euro zuzüglich eines Pro-Kopf-Betrages ausschuss, der Beschwerden und Eingaben von von 24 420 Euro. Die Oppositionsfraktionen be- Bürgern bearbeitet. Der Petitions- und der Ver- kommen einen Extrazuschlag in Höhe von fassungsschutz-Ausschuss sind gesetzlich vor- 239 700 Euro. Finanziert werden davon u. a. die geschriebene Parlamentsgremien. Die Mitglie- hauptamtlichen Mitarbeiter der Fraktionen, Ma- der des Ausschusses für Verfassungsschutz, der terialien und technisches Gerät, aber auch Ver- oft mit vertraulichen bzw. geheimen Unterlagen anstaltungen und Reisen der Fraktionen. arbeitet, werden vom Abgeordnetenhaus ge- wählt. Die Mitglieder der anderen Ausschüsse Ausschüsse werden von ihren Fraktionen benannt. Das Plenum (Versammlung aller Abgeordneten) In der Regel tagen die Ausschüsse öffentlich. Zu des Abgeordnetenhauses tagt, wenn nicht ge- allen Vorlagen und Anträgen, die im Abgeord- rade Parlamentsferien sind, alle zwei Wochen netenhaus eingebracht und an die zuständigen donnerstags. Sitzungswochen wie im Bundestag Ausschüsse überwiesen werden, muss jeweils gibt es nicht. Zwischen den Plenarsitzungen er- eine zustimmende, abändernde oder ablehnende ledigen die Ausschüsse des Parlaments, die teil- Beschlussempfehlung abgegeben werden, der weise in Unterausschüsse untergliedert sind, die das Parlaments-Plenum meist mehrheitlich folgt. parlamentarische Arbeit. Das größte und poli- tisch bedeutendste Gremium ist der Hauptaus- Parlamentarischer Ehrenrat schuss, der die öffentlichen Finanzen kontrol- Seit 1990 setzt das Abgeordnetenhaus zu Beginn liert und über den Landeshaushalt berät. jeder Wahlperiode einen Ehrenrat ein, der für die Die 15 Parlamentsausschüsse, die zu Beginn der (freiwillige) Überprüfung aller Parlamentsmit- 15. Wahlperiode eingesetzt wurden, sind für fol- glieder „auf eine hauptamtliche oder inoffizielle gende Arbeitsbereiche zuständig: Arbeit, beruf- Tätigkeit oder politische Verantwortung für das liche Bildung und Frauen; Bauen, Wohnen und Ministerium für Staatssicherheit /Amt für Natio- Verkehr; Europa- und Bundesangelegenheiten nale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demo- und Medienpolitik; Gesundheit, Soziales, Migra- kratischen Republik“ zuständig ist. Der Ehrenrat 15
besteht aus dem Abgeordnetenhaus-Präsidenten In Berlin ist es einigen Berufsgruppen per Gesetz und den Vizepräsidenten sowie den Vorsitzenden untersagt, im Abgeordnetenhaus vertreten zu der Parlamentsfraktionen. Die Überprüfung der sein. Das gilt für Beamte und Angestellte der Se- Abgeordneten ist in der Regel nichtöffentlich; es nats- und Parlamentsverwaltung, den Präsiden- sei denn, ein Parlamentarier beantragt ein Verfah- ten des Rechnungshofs von Berlin und den Da- ren in öffentlicher Sitzung. Für jeden Abgeordne- tenschutzbeauftragten, für Berufsrichter, Stadt- ten werden Auskünfte der „Bundesbeauftragten räte und Bezirksbürgermeister. Die landesge- für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes setzliche Unvereinbarkeitsregelung gilt auch für der ehemaligen DDR“ eingeholt. Vorstandsmitglieder öffentlicher Einrichtungen Die Ergebnisse dieser Anfragen werden den Be- und Unternehmen, an denen das Land Berlin troffenen und dem jeweils zuständigen Frak- oder eine landeseigene Einrichtung maßgeblich tionsvorsitzenden schriftlich mitgeteilt. Jeder Ab- beteiligt ist. Auf diese Weise soll das Prinzip der geordnete hat das Recht auf Akteneinsicht, per- Gewaltenteilung unterstützt, sollen Interessen- sönliche Gegendarstellung und auf eine noch- kollisionen und „Filz“ vermieden werden. malige Überprüfung, wenn das notwendig er- Außerdem muss jedes Parlamentsmitglied auf scheint. Der Ehrenrat gibt seine Empfehlungen in der Internetseite und im Handbuch des Abge- jedem Einzelfall mit Zweidrittelmehrheit ab. Ein ordnetenhauses, das öffentlich zugänglich ist, Abgeordneter darf nur dann zur Niederlegung seinen Beruf, bezahlte und ehrenamtliche Ne- seines Mandats aufgefordert werden, wenn er bentätigkeiten für Unternehmen, Verbände, nachweislich „ein Verbrechen begangen oder ge- Vereine usw. angeben. Mögliche Interessenver- gen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts- flechtungen und Abhängigkeiten sollen auf die- staatlichkeit verstoßen“ hat. se Weise transparent gemacht werden. Seit No- vember 2005 müssen außerdem die Einkünfte Zusammensetzung des Parlaments aus Nebentätigkeiten und Spenden (ab einer ge- Viele Abgeordnete sind neben der parlamenta- wissen Höhe) gegenüber dem Abgeordneten- rischen Arbeit noch berufstätig. Andere wiede- hauspräsidenten offen gelegt werden. rum sind Berufspolitiker (Senatsmitglieder, Frak- tionsvorsitzende, Fraktionsgeschäftsführer usw.) Leistungen an Abgeordnete oder zeitweise von ihrem Arbeitgeber beurlaubt. Jedem Abgeordneten steht eine gleich hohe Obwohl sich das Abgeordnetenhaus als Teilzeit- finanzielle Entschädigung (Diäten) für seine Ar- parlament versteht, investieren die meisten beit zu. Nur der Parlamentspräsident und die Volksvertreter viel Zeit und Arbeit in ihr Mandat. Vizepräsidenten erhalten als „Spitze eines obers- Die Parlamente der großen Flächenstaaten set- ten Verfassungsorgans“ höhere Einkünfte. Das zen sich längst aus Vollzeit-Parlamentariern zu- Abgeordnetenhaus entscheidet selbst über die sammen. Auch in den Stadtstaaten weist der Höhe der Diäten – auf Empfehlung einer unab- Trend in diese Richtung. hängigen Sachverständigen-Kommission. Die 16
Höhe der Abgeordnetenbezüge ist seit jeher ein Kostenpauschale von 870 Euro für Schreibar- öffentlicher Streitpunkt. Den Abgeordneten wird beiten, Porto, Telefon und Fahrtkosten. Dem Par- oft „Selbstbedienungsmentalität“ vorgeworfen lamentspräsidenten steht der doppelte Betrag, und unterstellt, dass sie aus der Politik nur ihren seinen Stellvertretern der eineinhalbfache Be- materiellen Vorteil ziehen wollen. Im Wider- trag zu. Abgeordneten, die Einkommen aus dem spruch dazu steht, dass es für die Parteien im- öffentlichen Dienst beziehen, wird die Entschä- mer schwieriger wird, fachlich geeignete und digung je nach Höhe des Gehalts bis zu fünfzig politisch interessierte Bürger für die parlamen- Prozent gekürzt, es sei denn, sie arbeiten halb- tarische Arbeit zu begeistern, die viel Zeit und tags. Alle Parlamentarier sind unfallversichert, Kraft in Anspruch nimmt. In Führungspositionen ohne dafür Beiträge leisten zu müssen. Außer- der privaten Wirtschaft kann man in der Regel dem wird ihnen ein Zuschuss zur Krankenver- bei vergleichbarer Verantwortung wesentlich sicherung gewährt. Je nach Dauer der Parla- mehr Geld verdienen. mentszugehörigkeit (mindestens neun Jahre) Die Berliner Abgeordneten erhalten seit dem steht ausscheidenden Abgeordneten eine Al- 1. Januar 2001 monatlich eine Entschädigung tersversorgung zu. von 2 951 Euro und zusätzlich eine steuerfreie Senat und Landesverwaltung Landesregierung (Senat von Berlin) ligung des Parlaments die Richtlinien der Regie- Der Senat von Berlin ist die Regierung des Lan- rungspolitik und überwacht deren Einhaltung. des und der Stadt Berlin. Er besteht aus dem Re- Im Vergleich zu den Ministerpräsidenten anderer gierenden Bürgermeister (vergleichbar einem Bundesländer ist die Stellung des Regierenden Ministerpräsidenten in einem Flächenstaat), der Bürgermeisters jedoch weniger stark. Denn je- den Vorsitz im Senat führt, und bis zu acht Se- des Senatsmitglied leitet seinen Geschäftsbe- natoren, von denen zwei gleichzeitig Bürger- reich (Ressort) selbstständig und eigenverant- meister von Berlin sind. Der Regierende Bürger- wortlich. Bei Meinungsverschiedenheiten ent- meister wird vom Abgeordnetenhaus mit der scheidet der gesamte Senat als kollegiales Or- Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt. gan. Der Regierende Bürgermeister hat keine Anschließend werden die anderen Senatsmit- Richtlinienkompetenz vergleichbar der des Bun- glieder – auf Vorschlag des Regierenden Bürger- deskanzlers oder der Regierungschefs anderer meisters – einzeln vom Abgeordnetenhaus ge- Bundesländer. Weder kann er Senatsmitglieder wählt. Der Regierende Bürgermeister bestimmt berufen oder entlassen noch ist er befugt, strit- im Einvernehmen mit dem Senat und mit Bil- tige Einzelentscheidungen im Senat an sich zu 17
ziehen. In Berlin können Senatsmitglieder nur gistrat der Stadt Berlin“ regiert. Nach dem Mau- freiwillig zurücktreten oder durch ein Misstrau- erfall am 9. November 1989 arbeiteten beide ensvotum des Abgeordnetenhauses aus dem Stadtregierungen eng zusammen, bis 1991 der Amt gewählt werden. erste (gesamtberliner) Senat gebildet wurde. In Vorschläge, dem Regierenden Bürgermeister per den neunziger Jahren wurde der Senat, jedes Mal Verfassungsänderung die Richtlinienkompetenz durch Änderung der Verfassung, schrittweise zuzubilligen, sind bisher gescheitert. Mitwir- verkleinert. Zunächst von 16 auf 10, nach der Ab- kungsrechte des Parlaments und die politische geordnetenhauswahl 1999 auf höchstens acht Transparenz würden dadurch eingeschränkt, ar- Senatoren zuzüglich des Regierenden Bürger- gumentieren die Gegner. Die Befürworter der meisters. Richtlinienkompetenz glauben, dass mit einer deutlichen Abgrenzung zwischen den Aufgaben Senatsverwaltungen der Exekutive (Regierung und Verwaltung) und Die Senatsverwaltungen und deren nachgeord- der Legislative (Parlament) effektiver regiert wer- nete Einrichtungen (z. B. Polizei, Feuerwehr, Sta- den könnte. tistisches Landesamt, Landesverwaltungsamt, Seit der politischen und administrativen Spaltung Gerichte und Staatstheater) bilden die Haupt- Berlins 1948 bis zur Vereinigung Deutschlands verwaltung Berlins. Diese nimmt vorwiegend mi- am 3. Oktober 1990 wurde die Stadt im Westteil nisterielle, also politisch leitende und planende vom „Senat von Berlin“ und im Ostteil vom „Ma- Aufgaben wahr und wurde nach der Abgeord- 18
*Diese Übersicht ist stark vereinfacht. Einzelheiten vergleiche AZG. netenhauswahl 2001 in folgende Ressorts auf- len Dienstleistungen sind weit gehend Angele- geteilt: Regierender Bürgermeister; Bildung, Ju- genheit der zwölf Berliner Bezirke. Dieses zwei- gend und Sport; Finanzen; Gesundheit, Soziales stufige System der Berliner Verwaltung hat sich und Verbraucherschutz; Inneres; Justiz; Stadt- seit 1920, nach Bildung der Einheitsgemeinde entwicklung; Wirtschaft, Arbeit und Frauen; Wis- Berlin, im Großen und Ganzen bewährt. senschaft, Forschung und Kultur. Die kommuna- Öffentliche Finanzen Berlin in extremer Haushaltsnotlage Steuereinnahmen kommen nicht den Bürgern, Das Land Berlin steckt in der Schuldenfalle. En- sondern den Gläubigerbanken zugute (Zins- de 2005 wird der Schuldenstand voraussicht- Steuer-Relation). Jedes Jahr muss der Senat lich rund 59 Milliarden Euro betragen. Das sind neue Kredite aufnehmen; allein 2005 werden es 18 100 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Dafür voraussichtlich etwa 3,7 Milliarden Euro sein. müssen aus dem Landeshaushalt rund 2,4 Mil- Im November 2002 stellte der Senat fest, „dass liarden Euro Zinsen gezahlt werden. Voraus- sich das Land Berlin seit längerem in einer ex- sichtlich werden 17,4 Prozent der staatlichen tremen Haushaltsnotlage befindet, aus der es Ausgaben in Berlin durch Kredite finanziert sich aus eigener Kraft nicht befreien kann“. Hier- (Kreditfinanzierungsquote). 21,4 Prozent der aus ergebe sich ein verfassungsrechtlich veran- 19
kerter Anspruch auf Sanierungshilfen des Bun- wendungen mehr. Jetzt fordert auch Berlin eine des. Zwingende Voraussetzung dafür sei ein Sanierungshilfe, weil sich das Land nachweislich „selbst zu erbringender Eigenbeitrag, der alle zu- in einer extremen Haushaltsnotlage befinde. Der mutbaren, rechtlich möglichen Maßnahmen um- Senat verweist dabei auf das sogenannte Maß- fasst“. Deshalb wurde ein Sanierungsprogramm stäbegesetz des Bundes, das in der Folge des beschlossen, dass von 2003 bis 2007 Ausga- Karlsruher Urteils von 1992 entstand. Es bindet benkürzungen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro Sanierungshilfen des Bundes, die „in Ausnahme- vorsieht. Langfristig soll der Spareffekt sogar fällen“ gestattet seien, an strenge Auflagen und 2,5 Milliarden Euro betragen. ein verbindliches Programm zur Konsolidierung (Festigung) des Landeshaushalts. Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Der Bund und viele Länder wehren sich gegen Im Oktober 2003 reichte der Senat eine Normen- die Klage Berlins beim Bundesverfassungsge- kontrollklage beim Bundesverfassungsgericht richt. Sie werfen Berlin vor, die Konsolidierung ein, um zu erzwingen, dass der Bund für einen des Landeshaushalts seit Jahren nur halbherzig begrenzten Zeitraum Sanierungshilfen zahlt. Mit zu betreiben und die schweren Finanzprobleme diesen Bundes-Sonderergänzungszuweisungen selbst verschuldet zu haben. Sie weisen darauf soll das Land teilweise entschuldet werden. Min- hin, dass sich die Finanzlage in Deutschland ins- destens 35 Milliarden Euro wären aus Sicht des gesamt so verschlechtert hat, dass eine Sanie- Senats nötig, um den Berliner Haushalt auf Dau- rung des Berliner Haushalts mit hohen Bundes- er konsolidieren (festigen) zu können. Zuvor hat- zuwendungen die föderale Gemeinschaft über- te der Bund in Verhandlungen mit dem Senat zu- fordern könnte. Außerdem hätten, so die Ein- sätzliche Zahlungen abgelehnt. Denkbar wäre schätzung der Klagegegner, die langfristigen aus der Sicht Berlins auch, dass keine Zuschüs- Finanzhilfen für Bremen und Saarland nicht den se fließen, sondern ein Teil der Berliner Alt- gewünschten Erfolg gebracht. Beide Länder sind schulden in einen Bundes-Fonds übernommen nach wie vor hoch verschuldet. Bremen hat an- werden, der für Zins und Tilgung aufkommt. So gekündigt, erneut Bundeshilfen oder eine Re- könnte verhindert werden, dass Berlin die Sanie- form des Länderfinanzausgleichs einklagen zu rungshilfen zweckentfremdet. wollen. Das Land beruft sich in seiner Klage auf ein Ur- teil des Bundesverfassungsgerichts von 1992, in Bundesstaatlicher Finanzausgleich dem Maßstäbe für eine extreme Haushaltsnot- 1995 wurden Berlin und die ostdeutschen Län- lage festgelegt wurden. Auf der Grundlage die- der erstmals in den bundesstaatlichen Finanz- ses Urteils erhielten Bremen und das Saarland ausgleich einbezogen. Nach dem Grundgesetz von 1994 bis 2004 über 15 Milliarden Euro vom (Artikel 107 Absatz 2) ist die föderale Gemein- Bund für die Sanierung der öffentlichen Finan- schaft verpflichtet, die unterschiedliche Finanz- zen. Seit 2005 erhalten beide Länder keine Zu- kraft der Länder angemessen auszugleichen. Im 20
Haushaltsjahr 2005 erhält Berlin im Rahmen des nur über eine schwache Wirtschaftskraft. Trotz Länderfinanzausgleichs fast 2,4 Milliarden Euro der schwierigen Finanzsituation wollte der Senat und zusätzlich 2,8 Milliarden Euro Bundeser- die Entwicklungschancen der Stadt verbessern gänzungszuweisungen. Davon sind 2 Milliarden und die Lebensbedingungen im zusammen- Euro für den „Abbau teilungsbedingter Sonder- wachsenden Berlin angleichen, das heißt den belastungen“ vorgesehen. Diese Mittel aus dem Ostteil der Stadt auf „Westniveau“ bringen. Dazu „Solidarpakt II“ werden aber bis 2019 schritt- waren hohe Investitionsausgaben und staatliche weise auf Null verringert. Zuschüsse nötig. Außerdem war der öffentliche Dienst in beiden Stadthälften stark aufgebläht. Einige Ursachen der Finanzkrise 1991 lag die Zahl der Personalstellen noch bei Als 1809 der erste Oberbürgermeister von Ber- 207151. Im Jahr 2005 waren es nur noch 130657 lin gewählt wurde, hatte die Stadt fünf Millionen Stellen. Bis 2012 sollen weitere 25000 Stellen ab- Taler Schulden. Gründe dafür waren eine dar- gebaut werden. Zusätzlich vereinbarte der Senat niederliegende Wirtschaft, ein geringes Steuer- mit den Gewerkschaften einen „Solidarpakt“ für aufkommen und die Folgen der französischen den öffentlichen Dienst, um die Personalkosten Besetzung. Aber wie ist das heutige Berlin in die um jährlich 500 Millionen Euro zu senken. Finanznotlage geraten? Als die Stadt noch geteilt war, wurden sowohl West-Berlin wie auch Ost- Das große Ziel: Berlin über einen langen Zeitraum bevorzugt be- Ein ausgeglichener Haushalt handelt. Die „Hauptstadt der DDR“ sollte das Gesunde Staatsfinanzen zeichnen sich dadurch „Aushängeschild“ des Ostens sein, während aus, dass die Primärausgaben nicht höher sind sich das eingemauerte West-Berlin als „Schau- als die Primäreinnahmen. Bei dieser Berechnung fenster des Westens“ präsentierte. Für öffentli- werden auf der Ausgabenseite die zu zahlenden che Leistungen, große Bau- und Verkehrsprojek- Kreditzinsen und auf der Einnahmeseite die Er- te, Kultur und die Verwaltung samt Personal wur- löse aus dem Verkauf von Landesbeteiligungen de überdurchschnittlich viel Geld zur Verfügung und Grundstücken ausgeklammert. Denn Ver- gestellt. So entwickelte sich eine Subventions- mögenseinnahmen sind einmalige Sonderpos- mentalität, die nach dem Mauerfall 1989 zu- ten. Kreditzinsen wiederum sind nur ein Maß- nächst fortbestand und dazu beitrug, dass die stab für die Staatsverschuldung, nicht aber für Stadt weiter über ihre Verhältnisse lebte. die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand. Im Erschwerend kam hinzu, dass der Bund nach der Idealfall wird ein „Primärüberschuss“ erzielt, der deutschen Vereinigung zwischen 1992 und 1994 dazu dient, die Kredite zu bedienen und even- die finanzielle Unterstützung Berlins (Bundeshilfe, tuell den Schuldenberg abzubauen. Wenn aber Berlinförderung) sehr schnell abbaute. Diese Kür- die Ausgaben die Einnahmen übersteigen, ent- zungen ließen sich nicht über wachsende Steu- steht ein „Primärdefizit“, das mit zusätzlichen ereinnahmen ausgleichen, denn Berlin verfügte Krediten finanziert werden muss. 21
Berliner Bezirke Einheitsgemeinde Berlin Bezirke hinzu: Marzahn, Hellersdorf und Hohen- Mit dem „Gesetz über die Bildung einer neuen schönhausen. Nach der Vereinigung 1990 wur- Stadtgemeinde Berlin“ vom 27. April 1920 wur- den diese Neugründungen verfassungsrechtlich den sieben bis dahin selbstständige Nachbar- anerkannt. Durch die Gebietsreform, die am städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke 1. Januar 2001 in Kraft trat, wurde die Zahl der eingemeindet und in 14 Bezirke gegliedert. Das Bezirke von 23 auf 12 verringert. waren Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf, Zehlendorf, Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Aufgaben und Rechtsstellung Neukölln, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Wei- der Bezirke ßensee, Pankow und Reinickendorf. Das histo- Nach der Verfassung von Berlin nimmt der Senat rische Alt-Berlin wurde in sechs zusätzliche Ver- durch die Hauptverwaltung die Aufgaben von waltungsbezirke unterteilt: Mitte, Tiergarten, gesamtstädtischer Bedeutung wahr. Die Bezirke Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und sind für alle anderen Aufgaben in eigener Ver- Kreuzberg. Berlin wurde damit zur einheitlichen antwortung zuständig. Die bezirkliche Selbst- Stadtgemeinde mit 20 Verwaltungsbezirken. verwaltung hat in Berlin Tradition. Schon im Ber- Die Gründung der Einheitsgemeinde war über- lin-Gesetz von 1920 wurde festgelegt: „Für je- fällig: Einem Zweckverband zwischen Berlin und den Verwaltungsbezirk werden zur Wahrneh- den umliegenden Kommunen, der 1912 gegrün- mung der örtlichen Interessen, zur Durchfüh- det wurde, um drängende Verkehrs-, Bau-, Pla- rung der Selbstverwaltung und zur Entlastung nungs- und Versorgungsprobleme gemeinsam der städtischen Körperschaften … eine Bezirks- zu lösen, war kein großer Erfolg beschieden. Den versammlung und ein kollegiales Bezirksamt armen Vororten, zum Beispiel Neukölln, Lichten- eingerichtet.“ berg oder Pankow, drohte wegen der ständig Trotz ihrer relativen Selbstständigkeit sind die wachsenden Kosten für kommunale Dienstleis- Berliner Bezirke nicht mit den Landkreisen, Städ- tungen sogar der finanzielle Ruin. Hugo Preuß, ten und Gemeinden der deutschen Flächenlän- Reichsinnenminister in der Weimarer Republik, der zu vergleichen. Sie sind keine eigenständi- beschwerte sich damals zu Recht über die gen Gebietskörperschaften, dürfen keine Steu- „kommunale Anarchie“ in und um Berlin. ern erheben und keine Ortsgesetze (Satzungen) Nach Gründung von Groß-Berlin im Jahr 1920 erlassen. Nach außen vertreten die Bezirks- war die Stadt mit 3,8 Millionen Einwohnern nach ämter ausschließlich das Land Berlin oder han- London die zweitgrößte Stadt in Europa und ei- deln für das Land. Die Aufgaben- und Kompe- ne der größten Städte der Welt. Zwischen 1979 tenzverteilung zwischen Haupt- und Bezirksver- und 1986 kamen zu den 20 Verwaltungsbezirken waltung ist seit 1920 ein ständiger Streitpunkt auf Beschluss der DDR-Regierung drei weitere zwischen beiden Verwaltungsebenen. 22
Rat der Bürgermeister antwortlich aufstellen. Dafür erhalten sie pau- Politische Nahtstelle zwischen Bezirks- und Lan- schale Zuweisungen („Globalsummen“) für In- desverwaltung (Hauptverwaltung) ist der Rat der vestitionen, Personal und Sachausgaben. Die Bürgermeister. Mindestens einmal im Monat Bezirke dürfen ihre Einzelpersonalangelegen- treffen sich die Bezirksbürgermeister – auf Ein- heiten selbstständig regeln. Zum Katalog der ladung des Regierenden Bürgermeisters oder bürgernahen bezirklichen Leistungen gehören dessen Vertreter – und nehmen zu „grundsätz- die Jugend- und Familienbetreuung, Gesund- lichen Fragen der Verwaltung und Gesetzge- heits- und Sozialdienste, Unterhaltung von Grün- bung“ Stellung. Die Entscheidungen des Rats der flächen, Spielplätzen und Straßen, Wohnungs- Bürgermeister sind für den Senat jedoch nicht und Bauaufsicht, Veterinär- und Lebensmittel- bindend. aufsicht, Teile des behördlichen Umweltschut- zes und der Gewerbeaufsicht. Aufgabenverteilung zwischen 1998 wurden die Aufgaben und Rechte der Be- Haupt- und Bezirksverwaltung zirke und der Hauptverwaltung durch eine Ver- Seit 1994 wurden die Aufgaben und Rechte der fassungsänderung noch klarer voneinander ge- Bezirke schrittweise erweitert. Sie dürfen u. a. trennt. Artikel 66 Verfassung von Berlin wurde Bebauungs- und Landschaftspläne selbststän- durch den Passus ergänzt: „Die Bezirke … neh- dig festlegen und die Bezirkshaushalte eigenver- men regelmäßig die örtlichen Verwaltungsauf- 23
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gaben wahr.“ Artikel 67 Absatz 1 der Landes- ner gemeinsamen Sitzung mit den Bezirksbür- verfassung wurde ebenfalls neu gefasst: „Der germeistern sicherte der Senat im Januar 2004 Senat nimmt durch die Hauptverwaltung die zu, dass die zweistufige Berliner Verwaltung Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung nicht in Frage gestellt werde. Bei Vorhaben von wahr.“ Die Aufgaben, die den Bezirken neu über- städtischem Gesamtinteresse – zum Beispiel lassen wurden, sind im „Zweiten Verwaltungs- großen Bauprojekten – müssten aber die Einzel- reformgesetz“ des Landes Berlin aufgelistet. Da- interessen der Bezirke zurückstehen. zu gehören Grundstückskäufe und -verkäufe, Ein ständiger Diskussionspunkt ist auch die Teile des Arbeitsschutzes, Friedhofsangelegen- schlechte Sozialstruktur einiger Bezirke. Die heiten, Aufgaben des Grün- und Gewässerschut- Schere zwischen armen und reichen Bezirken zes und die Beseitigung unzulässig abgestellter klafft immer weiter auseinander, wie im „Sozial- Fahrzeuge. strukturatlas Berlin“ festgestellt wurde. Die Orts- Außerdem wurde die Fachaufsicht des Senats teile bzw. Bezirke Kreuzberg, Wedding, Tiergar- über die Bezirke (zum Beispiel das Recht, im Ein- ten, Neukölln, Friedrichshain und Prenzlauer zelfall verbindliche Anweisungen zu erteilen) Berg leiden besonders unter dieser Entwicklung. durch ein „Eingriffsrecht“ ersetzt. Eingreifen darf der Senat, wenn die Belange Berlins als Bundes- Bezirksverordnetenversammlung hauptstadt berührt sind oder wenn Bundes- Die in jedem der zwölf Bezirke zu wählende Be- oder EU-Recht bzw. Staatsverträge, Weisungen zirksverordnetenversammlung (BVV), in der je- der Bundesregierung und Bebauungspläne „im weils 55 Bezirksverordnete sitzen, ist kein parla- dringenden Gesamtinteresse Berlins“ gegen den mentarisches Gesetzgebungsorgan, sondern Willen eines Bezirks durchgesetzt werden sollen. Bestandteil der bezirklichen Selbstverwaltung. Im März 2003 warnten die zwölf Bezirksbürger- Die Arbeitsweise der BVV orientiert sich den- meister in einem gemeinsamen Positionspapier noch an parlamentarischen Regeln. Die Bezirks- davor, die bezirkliche Selbstverwaltung durch verordneten werden, wie die Mitglieder des Ab- eine „Zentralisierungspolitik des Senats“ schritt- geordnetenhauses, von der Bevölkerung ge- weise auszuhöhlen. Die Bezirkspolitiker stünden wählt. Für ihre ehrenamtliche Arbeit erhalten sie in direktem Kontakt zu den Bürgern und verfüg- eine Aufwandsentschädigung. ten über die zeitlichen und personellen Res- Die BVV bestimmt die Grundlinien der bezirk- sourcen, „auch bei kleineren Problemen schnell lichen Verwaltungspolitik, beschließt den Be- und direkt zu reagieren“. Auch die Wirtschafts- zirksetat und kontrolliert die Geschäftsführung förderung müsse eine bezirkliche Aufgabe blei- des Bürgermeisters und der Stadträte (Bezirks- ben. Dezentrale Strukturen seien außerdem kos- amt). Die BVV kann Anträge, Empfehlungen und tengünstiger. Deshalb müsse der Senat finanziell Ersuchen an das Bezirksamt richten, Auskünfte sicherstellen, „dass die Bezirke echten Hand- verlangen, Entscheidungen des Bezirksamts un- lungs- und Gestaltungsspielraum haben“. In ei- ter bestimmten Umständen aufheben und durch 26
eigene Beschlüsse ersetzen. Die BVV wählt au- mitglieder (Bürgermeister und Stadträte) leiten ßerdem ehrenamtliche Personen, zum Beispiel ihre Geschäftsbereiche in eigener Verantwor- die Patientenfürsprecher. Die Fachausschüsse tung. Das Bezirksamt handelt als Kollegium: Be- der BVV haben das Recht, Einsicht in die Ver- schlüsse werden durch Mehrheitsentscheid ge- waltungsakten des Bezirksamts zu nehmen. fasst. Der Bezirksbürgermeister übt die Dienst- Mit einer Änderung des Bezirksverwaltungs- aufsicht über die Stadträte aus und untersteht gesetzes wurden die Rechte der Bezirksver- selbst der Dienstaufsicht des Regierenden Bür- ordneten 2005 erweitert. Sie können zum germeisters. Das Bezirksamt kann eigene Vor- Beispiel Einsicht in alle Akten nehmen, wenn lagen in die Bezirksverordnetenversammlung der Akteneinsicht nicht schutzwürdige Belange einbringen, BVV-Beschlüsse beanstanden und Dritter oder ein dringendes öffentliches Interes- über bezirkliche Angelegenheiten entscheiden, se entgegenstehen. Außerdem wurde die Zu- soweit dies nicht der Bezirksverordnetenver- ständigkeit der BVV erweitert: Sie darf nun auch sammlung vorbehalten ist. über die Bereichsentwicklungs- und Investitions- Zu Beginn jeder Wahlperiode wählen die neu zu- planung sowie über die Gründung, Übernahme sammengesetzten (konstituierten) Bezirksver- oder Auflösung bezirklicher Einrichtungen oder ordnetenversammlungen mit einfacher Mehr- deren Übertragung an private Träger entschei- heit den Bürgermeister und die Stadträte, die ge- den. meinsam das Bezirksamt bilden. 1995 wurde die Zahl der Bezirksamtsmitglieder von sieben auf Entschädigung der Bezirksverordneten fünf vermindert, aber 2001 im Zuge der inner- Die Bezirksverordneten erhalten für ihre Arbeit städtischen Gebietsreform wieder auf sechs Mit- eine monatliche Aufwandsentschädigung von glieder (Bürgermeister und fünf Stadträte) er- 295 Euro zuzüglich Sitzungsgeld (31 Euro je BVV- höht. Begründet wurde dies mit dem höheren und 20 Euro je Ausschusssitzung). Die BVV-Vor- Arbeitsaufwand, den die Verwaltung der zwölf steher erhalten 1180 Euro, ihre Stellvertreter großen Bezirke mit sich bringe. 516,25 Euro und die Fraktionsvorsitzenden Die Bezirksbürgermeister werden auf Vorschlag 737,50 Euro monatlich. Die BVV-Fraktionen be- einer oder mehrerer BVV-Fraktionen gewählt, kommen einen Fraktionszuschuss aus dem be- die zu diesem Zweck politische Zählgemein- zirklichen Haushalt, der sich nach der Einwoh- schaften (Koalitionen auf Zeit) bilden dürfen. Für nerzahl des jeweiligen Bezirks und der Frak- die Wahl der Stadträte haben die Fraktionen tionsstärke bemisst. entsprechend ihrer Stärke in der BVV das Vor- schlagsrecht (Parteienproporz). Koalitionsab- Bezirksamt sprachen sind nicht erlaubt. Wenn ein Kandidat Das Bezirksamt ist eine kommunale Verwal- nicht die erforderliche einfache Stimmenmehr- tungsbehörde und vertritt das Land Berlin in An- heit in der BVV erhält, darf seine Fraktion einen gelegenheiten des Bezirks. Die Bezirksamts- neuen Kandidaten präsentieren. Dieses Proporz- 27
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verfahren gilt, laut einer Übergangsbestimmung Ergebnis wurde bisher der Vorschlag diskutiert, in der Berliner Verfassung, noch bis 2010. Da- die Bezirksbürgermeister direkt vom Volk wäh- nach könnten alle Bezirksamtsmitglieder nicht len zu lassen. mehr nach Proporz, sondern von politischen Bezirksamtsmitglieder können abgewählt wer- Mehrheiten (Koalitionen) in den Bezirksverord- den, wenn sich dafür eine Zweidrittelmehrheit in netenversammlungen gewählt werden. Ohne der BVV findet. 29
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