Parlament Regierung und Verwaltung des Landes Berlin - Ulrich Zawatka-Gerlach Politische Kurzinformationen

 
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Ulrich Zawatka-Gerlach

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Landeszentrale
für politische Bildungsarbeit Berlin
Der Autor

Ulrich Zawatka-Gerlach, geb. 1955 in Recklinghausen, lebt seit 1973 in Berlin. Redakteur des „Tages-
spiegel“ seit 1991, zuständig für die landespolitische Berichterstattung. Seit 1980, nach Abschluss des
Studiums an der Freien Universität Berlin (Publizistik, Volkswirtschaft und Soziologie), journalistisch
und zeitweilig auch in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen für die politische
Bildungsarbeit zu den Themen: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und Berlins so-
wie Wahlen.

Impressum

Text
Ulrich Zawatka-Gerlach
Bearbeitung und Redaktion
Jörg Schmidt (Landeszentrale für politische Bildungsarbeit) in Zusammenarbeit mit
Andreas Schmidt von Puskás (Senatsverwaltung für Inneres)
Gesamtherstellung
Oktoberdruck, Berlin
Redaktionsschluss
22. November 2005
© Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, 2005
An der Urania 4 –10 (Nähe Wittenbergplatz), 10787 Berlin
Telefon    9016-2552
Telefax    9016-2538
E-Mail     landeszentrale@senbjs.verwalt-berlin.de
Internet   www.landeszentrale-politische-bildung-berlin.de
Geöffnet Montag – Mittwoch       12.00 – 16.00 Uhr
           Donnerstag            12.00 – 18.00 Uhr
           Freitag               10.00 – 18.00 Uhr
Inhaltsverzeichnis
                                                                                       Seite
Vorwort                                                                                   7
Berlin – Stadt und Land zugleich                                                          8
Abgeordnetenhaus von Berlin – Parlament des Stadtstaates Berlin                           9
Organe des Abgeordnetenhauses von Berlin                                                 14
Senat und Landesverwaltung                                                               17
Öffentliche Finanzen                                                                     19
Berliner Bezirke                                                                         22
Bezirksneugliederung                                                                     30
Bürgernahe Verwaltung                                                                    30
Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung                                                      33
Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen                   37
Verfassung von Berlin                                                                    44
Hauptstadt Berlin                                                                        46
Berlin und Brandenburg                                                                   49
Nachbarland Brandenburg                                                                  53

Anhang
Kurzinformationen zur Geschichte der zwölf neuen Bezirke Berlins                         60
Literaturangebot der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit zum Thema „Berlin“     79
Vorwort

Berlin, die deutsche Hauptstadt, die zugleich ein   2006 und Länderfusion 2009 – gilt nicht mehr.
Bundesland und die größte Stadt (Kommune) in        Beide Landesregierungen kündigten im Januar
der Bundesrepublik Deutschland ist, hat sich seit   2005 an, frühestens 2010 eine Volksabstimmung
dem Fall der Mauer im November 1989 gründlich       durchzuführen. Der erste Anlauf zur Länder-
verändert. Das gilt vor allem für den Alltag der    fusion war 1996 gescheitert. Die Vereinigung bei-
Bürgerinnen und Bürger, für das Stadtbild und       der Länder wird voraussichtlich erst dann mög-
das Verhältnis zum Umland. Aber auch das            lich sein, wenn sich u. a. die äußerst schwierige
Parlament, die Regierung und die Verwaltung         Finanzlage Berlins spürbar verbessert.
mussten sich den neuen Verhältnissen und Auf-       Für die Berliner Politik war 2001 ein Wende-
gaben stellen und anpassen. So wurden die           punkt: Die seit 1991 regierende große Koalition
Verfassung, das Berliner Landesparlament (Ab-       (CDU und SPD) wurde abgelöst, zunächst durch
geordnetenhaus) und das Wahlrecht reformiert.       einen Übergangssenat aus SPD und Bündnis
Die ehemals 23 Verwaltungsbezirke der Stadt         90/Die Grünen, parlamentarisch unterstützt (to-
wurden am 1. Januar 2001 zu zwölf großen Be-        leriert) von der PDS (jetzt: Die Linkspartei.PDS)
zirken zusammengefasst. Gleichzeitig erhielten      mit dem Ziel, Neuwahlen vorzubereiten. Nach
die Bezirke mehr Aufgaben und Zuständigkeiten.      der vorgezogenen Abgeordnetenhauswahl am
Die Reform der öffentlichen Verwaltung ist damit    21. Oktober 2001 scheiterten Verhandlungen
nicht abgeschlossen. Die Behörden sollen sich in    zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen
Zukunft noch mehr an den Interessen der Bürger      für eine „Ampel-Koalition“. Anschließend ver-
und privaten Unternehmen orientieren, die           ständigten sich SPD und PDS auf die Bildung ei-
staatliche Dienstleistungen in Anspruch neh-        ner gemeinsamen Landesregierung. Der neue
men.                                                Senat wurde am 17. Januar 2002 vom Abgeord-
Die Bundesregierung und der Deutsche Bun-           netenhaus gewählt.
destag zogen 1999 von Bonn nach Berlin. Im          Vieles ging und geht in Berlin nur Schritt für
Herbst 2000 nahm der Deutsche Bundesrat sei-        Schritt voran. Erfahrungsgemäß ist der Weg zu
nen Sitz in der Hauptstadt, in der sich auch die    Reformen selten geradlinig und übersichtlich.
Botschaften, Landesvertretungen und Interes-        Diese Veröffentlichung möchte einen knapp ge-
senverbände niedergelassen haben.                   fassten Überblick über die Veränderungen in fast
Derzeit sieht es so aus, als ob die Bundeshaupt-    allen Bereichen des politischen Systems Berlins,
stadt Berlin auf absehbare Zeit auch Stadtstaat     über die Rolle als deutsche Hauptstadt und das
bleibt. Der ursprünglich diskutierte Zeitplan für   Verhältnis zum Nachbarland Brandenburg in den
die Vereinigung (Fusion) von Berlin und Branden-    vergangenen Jahren geben.
burg zu einem Bundesland – Volksabstimmung

                                                                                                   7
Berlin – Stadt und Land zugleich

Einbindung in das föderale System                  Bundesrat und Bundestag hatten im Oktober
der Bundesrepublik Deutschland                     2003 beschlossen, die Aufgaben zwischen Bund
Berlin ist eines von 16 Ländern, die zusammen      und Ländern neu zu verteilen, doch das Reform-
die Bundesrepublik Deutschland bilden. Jedes       projekt scheiterte im Dezember 2004 an der Fra-
Land hat seine eigene Verfassung, Verwaltung       ge, wer für die Bildungspolitik in der Bundesre-
und Regierung, ist also „Staat im Staate“, aber    publik Deutschland zuständig sein sollte. Erst in
trotzdem fest in den Bundesstaat eingegliedert.    den Verhandlungen zwischen CDU und SPD über
Die gemeinsamen Rechte und Pflichten des           die Bildung einer großen Koalition im Bund ei-
Bundes und der Länder sind im Grundgesetz ge-      nigten sich beide Parteien auf eine Modernisie-
regelt. Dabei gilt für alle Länder der Grundsatz   rung des Föderalismus in Deutschland.
der Bundestreue: Das enge Zusammenwirken           Vor der Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober
von Bund und Ländern und der Ausgleich gegen-      1990 hatte (West-)Berlin im föderalen System ei-
sätzlicher Interessen sind eine wesentliche        ne Sonderstellung. Der im Grundgesetz veran-
Grundlage der föderalen Ordnung.                   kerte Anspruch, ein Land der Bundesrepublik
                                                   Deutschland zu sein, wurde von den Besatzungs-

8
mächten USA, Frankreich und Großbritannien           Berlin als Stadtstaat
nicht anerkannt, ebenso wenig der Anspruch des       Berlin ist wie Hamburg und Bremen ein Stadt-
SED-Regimes, Ost-Berlin sei die Hauptstadt der       staat.Anders als die Flächenländer (zum Beispiel
DDR. Die West-Berliner Bundestagsabgeord-            Nordrhein-Westfalen oder Bayern), zu denen
neten wurden deshalb nicht vom Volk, sondern         zahlreiche Städte, Kreise und Gemeinden mit
(indirekt) vom Abgeordnetenhaus gewählt. Sie         eigener Selbstverwaltung gehören, sind die
besaßen im Bundestag nur ein eingeschränktes         Stadtstaaten Land und zugleich städtische (kom-
Stimmrecht. Berlin durfte nicht vom Bund regiert,    munale) Gebietskörperschaft. Berlin verfügt des-
jedes neue Bundesgesetz musste vom Abgeord-          halb über eine zweistufige Verwaltung. Die
netenhaus eigens übernommen werden. Auch             Senatsverwaltung nimmt vorwiegend landespo-
die Ost-Berliner Abgeordneten hatten in der          litische, die Bezirksverwaltung kommunalpoliti-
DDR-Volkskammer zunächst kein Stimmrecht,            sche Aufgaben wahr. Die Doppelrolle als Staat
die Gesetze der DDR wurden bis in die siebziger      und Stadt kommt auch darin zum Ausdruck, dass
Jahre hinein formal für die „Hauptstadt“ über-       Berlin sowohl Mitglied des Deutschen Bundes-
nommen. Erst mit der Vereinigung Deutschlands        rates (Ländervertretung) als auch des Deutschen
verlor Berlin seinen besonderen, aus der Nach-       Städtetages (Vertretung der Städte) ist.
kriegssituation resultierenden Status und wurde
ein vollwertiges Bundesland.

Abgeordnetenhaus von Berlin –
Parlament des Stadtstaates Berlin

Geschichte                                           Amt des Oberbürgermeisters vor. Erster Amts-
Die parlamentarische Volksvertretung in Berlin       träger war Carl Friedrich Leopold von Gerlach, der
hat eine fast zweihundertjährige Geschichte:         zur adligen Oberschicht der Stadt gehörte.
1809 wurde die Städteordnung für Preußen ein-        Die Zuständigkeit der Stadtverordnetenver-
geführt. Damals wurde die Stadtverordneten-          sammlung und des Magistrats wurde 1920
versammlung zur gewählten Vertretungskörper-         durch das „Gesetz über die Bildung einer neuen
schaft der Bürger Berlins. Wahlberechtigt waren      Stadtgemeinde Berlin“ auf die neu gegründete
allerdings nur sieben Prozent der Einwohner. Die     Großgemeinde Berlin ausgedehnt.
102 Stadtverordneten beriefen den Magistrat, in      Mit der Teilung Berlins nach dem Ende des Zwei-
dem nur „geachtete, rechtliche, einsichtsvolle und   ten Weltkriegs (1945) spalteten sich auch die Ver-
geschäftsfähige Männer“ sitzen durften, und die-     fassungsorgane der Stadt. Die am 20. Oktober
se legten dem König Personalvorschläge für das       1946 frei und demokratisch gewählte Stadtver-

                                                                                                     9
ordnetenversammlung, die im Neuen Stadthaus                    sung von 1950, die faktisch nur im Westteil der
in Berlin-Mitte tagte, wich im September 1948                  Stadt gültig war, sah für Gesamtberlin 200 Abge-
unter dem Druck der Sozialistischen Einheits-                  ordnetenhaussitze vor. Die Sitze für die Ost-Ber-
partei Deutschlands (SED) und der sowjetischen                 liner Volksvertreter wurden, mit Blick auf eine
Besatzungspolitik in den Westteil Berlins aus.                 mögliche Vereinigung der Stadt, „freigehalten“.
Vorher hatten Demonstranten die Sitzungen                      Im Ostteil der Stadt wurden nach der Spaltung
mehrfach massiv gestört und sogar verhindert.                  Berlins wieder ein Magistrat und eine Stadtver-
Die Stadtverordnetenversammlung, später das                    ordnetenversammlung installiert. Das waren von
Abgeordnetenhaus von Berlin, fand im Rathaus                   der SED und den so genannten Blockparteien
Schöneberg ein neues Domizil. Was zunächst als                 beherrschte Regierungsorgane. Die Oberbürger-
„Provisorium“ gedacht war, hielt bis April 1993.               meister im Ostteil der Stadt waren bis 1990 aus-
Dann zog das erste Gesamtberliner Abgeordne-                   nahmslos Mitglieder der SED, die bezirkliche
tenhaus, das sich am 11. Januar 1991 in der Niko-              Selbstverwaltung wurde durch das Prinzip des
laikirche im Bezirk Mitte konstituierte, in den ehe-           „demokratischen Zentralismus“ ersetzt.
maligen Preußischen Landtag an der Nieder-                     Sechs Monate nach dem Mauerfall, am 6. Mai
kirchnerstraße (Berlin-Mitte) um.                              1990, fanden im Ostteil der Stadt wieder de-
Freie, demokratische Wahlen waren seit der po-                 mokratische Wahlen zur Stadtverordnetenver-
litischen Spaltung der Stadt im Jahr 1948 nur                  sammlung statt. Eine SPD/CDU-Koalition bildete
noch im Westteil Berlins möglich. Am 3. Dezem-                 den Magistrat, der bis zur ersten Gesamtberliner
ber 1950 fand die erste Wahl zum (West-)Berliner               Abgeordnetenhauswahl am 2. Dezember 1990
Abgeordnetenhaus statt. Die Berliner Verfas-                   eng mit dem West-Berliner Senat zusammenar-

Ehemaliger Preußischer Landtag, jetzt Sitz des Abgeordnetenhauses von Berlin                  Foto: Florian Profitlich
Copyright: Abgeordnetenhaus von Berlin

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beitete. Beide Regierungsorgane trafen sich re-   den. Die Verfassung selbst kann nur vom Abge-
gelmäßig zu gemeinsamen Sitzungen („Magise-       ordnetenhaus mit Zweidrittelmehrheit geändert
nat“). Seit Juni 1990 wurden Verwaltungsmitar-    werden.
beiter aus dem Ost- und Westteil der Stadt aus-   Eine zentrale Aufgabe des Parlaments ist die Be-
getauscht. Ein gemeinsamer Ausschuss beider       ratung und Verabschiedung des Haushalts, des-
Stadtparlamente zur „Einheit Berlins“ schuf die   sen Entwurf vom Senat in der Regel vor der Som-
rechtlichen Voraussetzungen für das Zusam-        merpause des vorhergehenden Jahres vorgelegt
menwachsen Berlins.                               wird. Jeweils im Herbst werden der Landeshaus-
                                                  halt und begleitende Gesetze bzw. Anlagen (zum
Gesetzgebung und Budgetrecht                      Beispiel Haushaltsstruktur- bzw. Haushaltssanie-
Das Abgeordnetenhaus, Parlament des Landes        rungsgesetze, mittelfristige Finanz- und Investi-
Berlin, ist für die Landesgesetzgebung und die    tionsplanung) vom Hauptausschuss des Abge-
Verabschiedung des jährlichen Landeshaushalts     ordnetenhauses beraten und traditionsgemäß
(Budgetrecht) zuständig. Gesetzentwürfe kön-      in der letzten Plenarsitzung im Dezember be-
nen von der Landesregierung (Senat), den Ab-      schlossen, damit der Etat rechtzeitig zum Jah-
geordnetenhausfraktionen, von mindestens          resbeginn in Kraft treten kann. Es ist auch mög-
zehn Mitgliedern des Abgeordnetenhauses oder      lich, einen Haushalt für zwei Jahre vorzulegen
mit einem Volksbegehren im Parlament einge-       (Doppelhaushalt).
bracht werden. Sie werden anschließend von        Ohne rechtsgültigen Haushalt dürfen öffentliche
den Fachausschüssen des Parlaments beraten        Mittel nur im Rahmen einer „vorläufigen Haus-
und vom Plenum beschlossen, sofern sich eine      haltswirtschaft“ ausgegeben werden, die der
Mehrheit dafür findet. Jedes vom Abgeordneten-    Kontrolle der Senatsfinanzverwaltung unterliegt.
haus beschlossene Gesetz muss spätestens          Das galt zum Beispiel für den Doppeletat 2002/
zwei Wochen nach seiner Ausfertigung durch        03, der vom Landesverfassungsgericht im Ok-
den Parlamentspräsidenten vom Regierenden         tober 2003 für verfassungswidrig erklärt wurde.
Bürgermeister im Gesetz- und Verordnungsblatt     Nach Auffassung des Gerichts hatte der Gesetz-
des Landes Berlin verkündet werden. Es tritt      geber nicht ausreichend dargelegt, warum die
spätestens 14 Tage nach Verkündung in Kraft, es   öffentliche Neuverschuldung höher lag als die
sei denn, das Gesetz gibt einen anderen Termin    Investitionsausgaben. Das ist laut Verfassung
vor.                                              nur in Ausnahmefällen erlaubt. Eine übermäßige
Landesgesetze können unter bestimmten Vor-        Neuverschuldung hätte mit der Haushaltsnot-
aussetzungen vom Berliner Verfassungsgerichts-    lage des Landes Berlin oder mit der „Abwehr ei-
hof auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung     ner Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich-
überprüft werden. Der Verfassungsgerichtshof      gewichts“ begründet werden müssen. Der Ent-
besteht aus neun Richtern, die vom Abgeordne-     wurf für den Doppelhaushalt 2004/2005 wurde
tenhaus mit Zweidrittelmehrheit gewählt wer-      daraufhin gründlich überarbeitet und mit vier-

                                                                                                11
monatiger Verspätung vom Abgeordnetenhaus                        Berlin seit 1975 nicht mehr gegeben. Von 1991
beschlossen.                                                     bis 2001 wurde die Stadt von einer CDU/SPD-
                                                                 Koalition (große Koalition) regiert.
Wahl der Landesregierung                                         Am 16. Juni 2001 wurden der Regierende
(Senat von Berlin)                                               Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und
Nach seinem ersten Zusammentritt (Konstitu-                      die anderen CDU-Senatsmitglieder durch eine
ierung) wählt das Abgeordnetenhaus, meist in                     parlamentarische Mehrheit von SPD, Bündnis
der zweiten Plenarsitzung, den Senat. In den dar-                90/Die Grünen und PDS abgewählt (Misstrau-
auf folgenden Sitzungen werden die vom Regie-                    ensvotum) und Klaus Wowereit (SPD) zum neu-
renden Bürgermeister vorgelegten Richtlinien                     en Regierenden Bürgermeister gewählt. Sozial-
zur Regierungspolitik debattiert und müssen                      demokraten und Grüne bildeten einen so-
vom Parlament mehrheitlich bestätigt werden. In                  genannten Übergangssenat, der von der PDS
der Regel bilden zwei, manchmal auch mehr                        parlamentarisch unterstützt (toleriert) wurde
Fraktionen, die im Landesparlament gemeinsam                     und vorgezogene Neuwahlen vorbereitete. Das
über eine Mehrheit der Sitze verfügen, eine Re-                  Landesparlament löste sich mit der dafür not-
gierungskoalition, um die Senatsbildung und die                  wendigen Zweidrittelmehrheit selbst auf, so dass
Arbeit der Regierung parlamentarisch abzusi-                     am 21. Oktober 2001 das Abgeordnetenhaus
chern. Alleinregierungen einer Partei hat es in                  und die zwölf Bezirksverordnetenversammlun-

Berliner („Rotes“) Rathaus; Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin                     Foto: Landesarchiv Berlin

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gen neu gewählt werden konnten. Im Ergebnis           tung grundsätzlicher Entscheidungen“ des Parla-
der Wahlen bildeten SPD und PDS eine „rot-rote“       ments.
Regierungskoalition. Der neue Senat wurde am          In den Fachausschüssen des Abgeordneten-
17. Januar 2002 vom Berliner Parlament gewählt.       hauses können die Senatoren oder deren Stell-
Nach der verfassungsmäßigen Dauer der Wahl-           vertreter (Staatssekretäre) befragt und auf An-
(Legislatur-)periode (fünf Jahre) finden die nächs-   trag Experten angehört werden. An Debatten mit
ten Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006             bezirklicher Bedeutung dürfen Vertreter des Ra-
statt.                                                tes der Bürgermeister mit beratender Stimme
Das Abgeordnetenhaus wählt u. a. nicht nur den        teilnehmen. In der mündlichen Fragestunde des
Senat, sondern auch (auf Vorschlag des Senats)        Abgeordnetenhaus-Plenums beantworten die
die Präsidenten der oberen Landesgerichte, den        Senatsmitglieder Fragen der Parlamentarier.
Präsidenten des Rechnungshofes und den Da-            „Große Anfragen“ der Fraktionen werden eben-
tenschutzbeauftragten des Landes Berlin.              falls im Plenum oder ersatzweise im zuständi-
                                                      gen Fachausschuss vom Senat beantwortet.
Kontrolle der Regierung                               Außerhalb der Parlamentsgremien hat jeder Ab-
Zu den Aufgaben des Abgeordnetenhauses ge-            geordnete das Recht, „Kleine Anfragen“ an die
hört es, die Regierung zu kontrollieren und eige-     Senatsverwaltungen zu stellen, die in angemes-
ne politische Initiativen zu entfalten. Hier liegt    sener Frist schriftlich beantwortet und im Lan-
eines der Hauptbetätigungsfelder der Opposi-          despressedienst veröffentlicht werden müssen.
tionsfraktionen. Die Verfassung sichert der Oppo-     Der Senat ist verpflichtet, das Parlament über
sition als wichtigem Bestandteil der parlamen-        „Vorhaben von grundsätzlicher Bedeutung“
tarischen Demokratie das Recht auf politische         frühzeitig und vollständig zu informieren, zum
Chancengleichheit zu. Natürlich ist die Opposi-       Beispiel über den Inhalt von Staatsverträgen,
tion mehr als die Regierungsfraktionen daran          Bundesratsinitiativen und Richtlinien der Euro-
interessiert, den Senat zu kontrollieren, zu kriti-   päischen Union.
sieren und die Regierung politisch herauszufor-       Während einer Plenardebatte hat jeder Abge-
dern. Die Bühne einer kämpferischen Opposi-           ordnete die Möglichkeit, mit einer bis zu dreimi-
tionsarbeit sind die Plenarsitzungen des Parla-       nütigen „Zwischenbemerkung“ auf einen Rede-
ments und die Ausschüsse. Mit Anfragen, Reden         beitrag spontan zu reagieren. Der angesprochene
und eigenen Anträgen kann sich die parlamen-          Redner darf kurz antworten. Pro Debattenbeitrag
tarische Opposition bemerkbar machen. Um              sind zwei Zwischenbemerkungen zulässig. Das
schwere Missstände aufzuklären, können Un-            Recht, außerhalb der normalen Rednerreihenfol-
tersuchungsausschüsse eingerichtet werden.            ge zu intervenieren, soll die Parlamentssitzungen
Enquête-Kommissionen (parlamentarische Gre-           lebendiger gestalten. Diesem Zweck dient auch
mien, die aus Abgeordneten und sachverstän-           der „Prioritätenblock“ nach der Frage- und der
digen Personen bestehen) dienen der „Vorberei-        Aktuellen Stunde. Jede Fraktion darf ein Thema

                                                                                                    13
ihrer Wahl auf der Tagesordnung nach vorn set-       de, quasi „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“,
zen. Damit soll erreicht werden, dass wichtige       diskutiert werden.
Themen im Parlament nicht erst zu später Stun-

Organe des Abgeordnetenhauses von Berlin

Parlamentspräsidium und Ältestenrat                  Der Präsident und die Vizepräsidenten sind auch
Spätestens sechs Wochen nach der Abgeord-            im Ältestenrat des Abgeordnetenhauses vertre-
netenhauswahl muss sich das Parlament kon-           ten, in den die Fraktionen weitere – von ihnen
stituieren (zusammenkommen) und ein Präsi-           ausgewählte – Mitglieder berufen. Der Ältesten-
dium wählen. Bis der Präsident des Abgeord-          rat unterstützt als eigenständiges parlamentari-
netenhauses (mit der absoluten Mehrheit der          sches Gremium den Präsidenten bei seiner Ar-
Stimmen) gewählt ist, leitet der Alterspräsident     beit. Im Ältestenrat einigen sich die Fraktionen
die erste Plenarsitzung. Alterspräsident ist der     zum Beispiel über die Tagesordnung und den
Abgeordnete mit dem höchsten Lebensalter.            Ablauf der Plenarsitzungen. Beschlüsse werden
Der gewählte Präsident des Abgeordnetenhau-          in diesem Gremium nicht gefasst; der Ältesten-
ses ist oberste Dienstbehörde der Parlaments-        rat gibt dem Plenum nur Empfehlungen.
verwaltung, führt die Geschäfte, vertritt das Par-
lament nach außen, übt das Hausrecht und die         Fraktionen
Polizeigewalt im Parlamentsgebäude aus. Er be-       Die Parlamentsfraktionen sind nach der Verfas-
ruft die Plenarsitzungen und den Ältestenrat ein     sung „selbstständige und unabhängige Gliede-
und fertigt die vom Parlament beschlossenen          rungen der Volksvertretung“. Sie wirken maß-
Gesetze aus. Seit Herbst 2001 ist der SPD-Ab-        geblich an der parlamentarischen Arbeit mit und
geordnete und frühere Regierende Bürgermeis-         sollen die „parlamentarische Willensbildung“
ter von Berlin, Walter Momper, Präsident des Ab-     unterstützen. Im Regelfall schließen sich die Ab-
geordnetenhauses. Ihm stehen derzeit zwei Vi-        geordneten einer Partei zu einer Fraktion zusam-
zepräsidenten zur Seite: Martina Michels (Die        men. Sind dies weniger als fünf Prozent aller Ab-
Linkspartei.PDS) und Prof. Dr. Christoph Stölzl      geordneten, bilden diese keine Fraktion, sondern
(CDU). Der Präsident, die gewählten Vizepräsi-       eine „Parlamentarische Gruppe“ mit einge-
denten und die Beisitzer aus allen Fraktionen bil-   schränkten Rechten. Es gibt auch Abgeordnete,
den das Parlamentspräsidium. Die Verteilung der      die keiner Fraktion oder Gruppe angehören.
Präsidiumssitze auf die Fraktionen wird nach         Trotz der Fraktionszugehörigkeit sind Abgeord-
dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren be-             nete nach dem Gesetz nicht an Aufträge und
rechnet.                                             Weisungen gebunden, sondern nur ihrem Ge-

14
wissen unterworfen. In der parlamentarischen       tion und Verbraucherschutz; Finanzen (Haupt-
Alltagsarbeit steht dieses Verfassungsgebot je-    ausschuss); Inneres, Sicherheit und Ordnung;
doch im Widerspruch zur Fraktionsdisziplin. Sie    Jugend, Familie, Schule und Sport; Kulturelle
verpflichtet die Abgeordneten nicht nur zur re-    Angelegenheiten; Stadtentwicklung und Um-
gelmäßigen Mitarbeit, sondern zu einem ge-         weltschutz; Verfassungs- und Rechtsangelegen-
schlossenen, loyalen Verhalten gegenüber der       heiten, Immunität und Geschäftsordnung; Ver-
eigenen Fraktion.                                  fassungsschutz; Verwaltungsreform und Kom-
Die Fraktionen erhalten aus der Landeskasse ei-    munikations- und Informationstechnik; Wirt-
ne finanzielle Grundausstattung für ihre Arbeit.   schaft, Betriebe und Technologie; Wissenschaft
Im Jahr 2005 ist dies ein Grundbetrag von          und Forschung. Zusätzlich gibt es den Petitions-
505 932 Euro zuzüglich eines Pro-Kopf-Betrages     ausschuss, der Beschwerden und Eingaben von
von 24 420 Euro. Die Oppositionsfraktionen be-     Bürgern bearbeitet. Der Petitions- und der Ver-
kommen einen Extrazuschlag in Höhe von             fassungsschutz-Ausschuss sind gesetzlich vor-
239 700 Euro. Finanziert werden davon u. a. die    geschriebene Parlamentsgremien. Die Mitglie-
hauptamtlichen Mitarbeiter der Fraktionen, Ma-     der des Ausschusses für Verfassungsschutz, der
terialien und technisches Gerät, aber auch Ver-    oft mit vertraulichen bzw. geheimen Unterlagen
anstaltungen und Reisen der Fraktionen.            arbeitet, werden vom Abgeordnetenhaus ge-
                                                   wählt. Die Mitglieder der anderen Ausschüsse
Ausschüsse                                         werden von ihren Fraktionen benannt.
Das Plenum (Versammlung aller Abgeordneten)        In der Regel tagen die Ausschüsse öffentlich. Zu
des Abgeordnetenhauses tagt, wenn nicht ge-        allen Vorlagen und Anträgen, die im Abgeord-
rade Parlamentsferien sind, alle zwei Wochen       netenhaus eingebracht und an die zuständigen
donnerstags. Sitzungswochen wie im Bundestag       Ausschüsse überwiesen werden, muss jeweils
gibt es nicht. Zwischen den Plenarsitzungen er-    eine zustimmende, abändernde oder ablehnende
ledigen die Ausschüsse des Parlaments, die teil-   Beschlussempfehlung abgegeben werden, der
weise in Unterausschüsse untergliedert sind, die   das Parlaments-Plenum meist mehrheitlich folgt.
parlamentarische Arbeit. Das größte und poli-
tisch bedeutendste Gremium ist der Hauptaus-       Parlamentarischer Ehrenrat
schuss, der die öffentlichen Finanzen kontrol-     Seit 1990 setzt das Abgeordnetenhaus zu Beginn
liert und über den Landeshaushalt berät.           jeder Wahlperiode einen Ehrenrat ein, der für die
Die 15 Parlamentsausschüsse, die zu Beginn der     (freiwillige) Überprüfung aller Parlamentsmit-
15. Wahlperiode eingesetzt wurden, sind für fol-   glieder „auf eine hauptamtliche oder inoffizielle
gende Arbeitsbereiche zuständig: Arbeit, beruf-    Tätigkeit oder politische Verantwortung für das
liche Bildung und Frauen; Bauen, Wohnen und        Ministerium für Staatssicherheit /Amt für Natio-
Verkehr; Europa- und Bundesangelegenheiten         nale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demo-
und Medienpolitik; Gesundheit, Soziales, Migra-    kratischen Republik“ zuständig ist. Der Ehrenrat

                                                                                                 15
besteht aus dem Abgeordnetenhaus-Präsidenten          In Berlin ist es einigen Berufsgruppen per Gesetz
und den Vizepräsidenten sowie den Vorsitzenden        untersagt, im Abgeordnetenhaus vertreten zu
der Parlamentsfraktionen. Die Überprüfung der         sein. Das gilt für Beamte und Angestellte der Se-
Abgeordneten ist in der Regel nichtöffentlich; es     nats- und Parlamentsverwaltung, den Präsiden-
sei denn, ein Parlamentarier beantragt ein Verfah-    ten des Rechnungshofs von Berlin und den Da-
ren in öffentlicher Sitzung. Für jeden Abgeordne-     tenschutzbeauftragten, für Berufsrichter, Stadt-
ten werden Auskünfte der „Bundesbeauftragten          räte und Bezirksbürgermeister. Die landesge-
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes      setzliche Unvereinbarkeitsregelung gilt auch für
der ehemaligen DDR“ eingeholt.                        Vorstandsmitglieder öffentlicher Einrichtungen
Die Ergebnisse dieser Anfragen werden den Be-         und Unternehmen, an denen das Land Berlin
troffenen und dem jeweils zuständigen Frak-           oder eine landeseigene Einrichtung maßgeblich
tionsvorsitzenden schriftlich mitgeteilt. Jeder Ab-   beteiligt ist. Auf diese Weise soll das Prinzip der
geordnete hat das Recht auf Akteneinsicht, per-       Gewaltenteilung unterstützt, sollen Interessen-
sönliche Gegendarstellung und auf eine noch-          kollisionen und „Filz“ vermieden werden.
malige Überprüfung, wenn das notwendig er-            Außerdem muss jedes Parlamentsmitglied auf
scheint. Der Ehrenrat gibt seine Empfehlungen in      der Internetseite und im Handbuch des Abge-
jedem Einzelfall mit Zweidrittelmehrheit ab. Ein      ordnetenhauses, das öffentlich zugänglich ist,
Abgeordneter darf nur dann zur Niederlegung           seinen Beruf, bezahlte und ehrenamtliche Ne-
seines Mandats aufgefordert werden, wenn er           bentätigkeiten für Unternehmen, Verbände,
nachweislich „ein Verbrechen begangen oder ge-        Vereine usw. angeben. Mögliche Interessenver-
gen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts-        flechtungen und Abhängigkeiten sollen auf die-
staatlichkeit verstoßen“ hat.                         se Weise transparent gemacht werden. Seit No-
                                                      vember 2005 müssen außerdem die Einkünfte
Zusammensetzung des Parlaments                        aus Nebentätigkeiten und Spenden (ab einer ge-
Viele Abgeordnete sind neben der parlamenta-          wissen Höhe) gegenüber dem Abgeordneten-
rischen Arbeit noch berufstätig. Andere wiede-        hauspräsidenten offen gelegt werden.
rum sind Berufspolitiker (Senatsmitglieder, Frak-
tionsvorsitzende, Fraktionsgeschäftsführer usw.)      Leistungen an Abgeordnete
oder zeitweise von ihrem Arbeitgeber beurlaubt.       Jedem Abgeordneten steht eine gleich hohe
Obwohl sich das Abgeordnetenhaus als Teilzeit-        finanzielle Entschädigung (Diäten) für seine Ar-
parlament versteht, investieren die meisten           beit zu. Nur der Parlamentspräsident und die
Volksvertreter viel Zeit und Arbeit in ihr Mandat.    Vizepräsidenten erhalten als „Spitze eines obers-
Die Parlamente der großen Flächenstaaten set-         ten Verfassungsorgans“ höhere Einkünfte. Das
zen sich längst aus Vollzeit-Parlamentariern zu-      Abgeordnetenhaus entscheidet selbst über die
sammen. Auch in den Stadtstaaten weist der            Höhe der Diäten – auf Empfehlung einer unab-
Trend in diese Richtung.                              hängigen Sachverständigen-Kommission. Die

16
Höhe der Abgeordnetenbezüge ist seit jeher ein        Kostenpauschale von 870 Euro für Schreibar-
öffentlicher Streitpunkt. Den Abgeordneten wird       beiten, Porto, Telefon und Fahrtkosten. Dem Par-
oft „Selbstbedienungsmentalität“ vorgeworfen          lamentspräsidenten steht der doppelte Betrag,
und unterstellt, dass sie aus der Politik nur ihren   seinen Stellvertretern der eineinhalbfache Be-
materiellen Vorteil ziehen wollen. Im Wider-          trag zu. Abgeordneten, die Einkommen aus dem
spruch dazu steht, dass es für die Parteien im-       öffentlichen Dienst beziehen, wird die Entschä-
mer schwieriger wird, fachlich geeignete und          digung je nach Höhe des Gehalts bis zu fünfzig
politisch interessierte Bürger für die parlamen-      Prozent gekürzt, es sei denn, sie arbeiten halb-
tarische Arbeit zu begeistern, die viel Zeit und      tags. Alle Parlamentarier sind unfallversichert,
Kraft in Anspruch nimmt. In Führungspositionen        ohne dafür Beiträge leisten zu müssen. Außer-
der privaten Wirtschaft kann man in der Regel         dem wird ihnen ein Zuschuss zur Krankenver-
bei vergleichbarer Verantwortung wesentlich           sicherung gewährt. Je nach Dauer der Parla-
mehr Geld verdienen.                                  mentszugehörigkeit (mindestens neun Jahre)
Die Berliner Abgeordneten erhalten seit dem           steht ausscheidenden Abgeordneten eine Al-
1. Januar 2001 monatlich eine Entschädigung           tersversorgung zu.
von 2 951 Euro und zusätzlich eine steuerfreie

Senat und Landesverwaltung

Landesregierung (Senat von Berlin)                    ligung des Parlaments die Richtlinien der Regie-
Der Senat von Berlin ist die Regierung des Lan-       rungspolitik und überwacht deren Einhaltung.
des und der Stadt Berlin. Er besteht aus dem Re-      Im Vergleich zu den Ministerpräsidenten anderer
gierenden Bürgermeister (vergleichbar einem           Bundesländer ist die Stellung des Regierenden
Ministerpräsidenten in einem Flächenstaat), der       Bürgermeisters jedoch weniger stark. Denn je-
den Vorsitz im Senat führt, und bis zu acht Se-       des Senatsmitglied leitet seinen Geschäftsbe-
natoren, von denen zwei gleichzeitig Bürger-          reich (Ressort) selbstständig und eigenverant-
meister von Berlin sind. Der Regierende Bürger-       wortlich. Bei Meinungsverschiedenheiten ent-
meister wird vom Abgeordnetenhaus mit der             scheidet der gesamte Senat als kollegiales Or-
Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt.             gan. Der Regierende Bürgermeister hat keine
Anschließend werden die anderen Senatsmit-            Richtlinienkompetenz vergleichbar der des Bun-
glieder – auf Vorschlag des Regierenden Bürger-       deskanzlers oder der Regierungschefs anderer
meisters – einzeln vom Abgeordnetenhaus ge-           Bundesländer. Weder kann er Senatsmitglieder
wählt. Der Regierende Bürgermeister bestimmt          berufen oder entlassen noch ist er befugt, strit-
im Einvernehmen mit dem Senat und mit Bil-            tige Einzelentscheidungen im Senat an sich zu

                                                                                                    17
ziehen. In Berlin können Senatsmitglieder nur         gistrat der Stadt Berlin“ regiert. Nach dem Mau-
freiwillig zurücktreten oder durch ein Misstrau-      erfall am 9. November 1989 arbeiteten beide
ensvotum des Abgeordnetenhauses aus dem               Stadtregierungen eng zusammen, bis 1991 der
Amt gewählt werden.                                   erste (gesamtberliner) Senat gebildet wurde. In
Vorschläge, dem Regierenden Bürgermeister per         den neunziger Jahren wurde der Senat, jedes Mal
Verfassungsänderung die Richtlinienkompetenz          durch Änderung der Verfassung, schrittweise
zuzubilligen, sind bisher gescheitert. Mitwir-        verkleinert. Zunächst von 16 auf 10, nach der Ab-
kungsrechte des Parlaments und die politische         geordnetenhauswahl 1999 auf höchstens acht
Transparenz würden dadurch eingeschränkt, ar-         Senatoren zuzüglich des Regierenden Bürger-
gumentieren die Gegner. Die Befürworter der           meisters.
Richtlinienkompetenz glauben, dass mit einer
deutlichen Abgrenzung zwischen den Aufgaben           Senatsverwaltungen
der Exekutive (Regierung und Verwaltung) und          Die Senatsverwaltungen und deren nachgeord-
der Legislative (Parlament) effektiver regiert wer-   nete Einrichtungen (z. B. Polizei, Feuerwehr, Sta-
den könnte.                                           tistisches Landesamt, Landesverwaltungsamt,
Seit der politischen und administrativen Spaltung     Gerichte und Staatstheater) bilden die Haupt-
Berlins 1948 bis zur Vereinigung Deutschlands         verwaltung Berlins. Diese nimmt vorwiegend mi-
am 3. Oktober 1990 wurde die Stadt im Westteil        nisterielle, also politisch leitende und planende
vom „Senat von Berlin“ und im Ostteil vom „Ma-        Aufgaben wahr und wurde nach der Abgeord-

18
*Diese Übersicht ist stark vereinfacht. Einzelheiten vergleiche AZG.

netenhauswahl 2001 in folgende Ressorts auf-               len Dienstleistungen sind weit gehend Angele-
geteilt: Regierender Bürgermeister; Bildung, Ju-           genheit der zwölf Berliner Bezirke. Dieses zwei-
gend und Sport; Finanzen; Gesundheit, Soziales             stufige System der Berliner Verwaltung hat sich
und Verbraucherschutz; Inneres; Justiz; Stadt-             seit 1920, nach Bildung der Einheitsgemeinde
entwicklung; Wirtschaft, Arbeit und Frauen; Wis-           Berlin, im Großen und Ganzen bewährt.
senschaft, Forschung und Kultur. Die kommuna-

Öffentliche Finanzen

Berlin in extremer Haushaltsnotlage                        Steuereinnahmen kommen nicht den Bürgern,
Das Land Berlin steckt in der Schuldenfalle. En-           sondern den Gläubigerbanken zugute (Zins-
de 2005 wird der Schuldenstand voraussicht-                Steuer-Relation). Jedes Jahr muss der Senat
lich rund 59 Milliarden Euro betragen. Das sind            neue Kredite aufnehmen; allein 2005 werden es
18 100 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Dafür                voraussichtlich etwa 3,7 Milliarden Euro sein.
müssen aus dem Landeshaushalt rund 2,4 Mil-                Im November 2002 stellte der Senat fest, „dass
liarden Euro Zinsen gezahlt werden. Voraus-                sich das Land Berlin seit längerem in einer ex-
sichtlich werden 17,4 Prozent der staatlichen              tremen Haushaltsnotlage befindet, aus der es
Ausgaben in Berlin durch Kredite finanziert                sich aus eigener Kraft nicht befreien kann“. Hier-
(Kreditfinanzierungsquote). 21,4 Prozent der               aus ergebe sich ein verfassungsrechtlich veran-

                                                                                                            19
kerter Anspruch auf Sanierungshilfen des Bun-        wendungen mehr. Jetzt fordert auch Berlin eine
des. Zwingende Voraussetzung dafür sei ein           Sanierungshilfe, weil sich das Land nachweislich
„selbst zu erbringender Eigenbeitrag, der alle zu-   in einer extremen Haushaltsnotlage befinde. Der
mutbaren, rechtlich möglichen Maßnahmen um-          Senat verweist dabei auf das sogenannte Maß-
fasst“. Deshalb wurde ein Sanierungsprogramm         stäbegesetz des Bundes, das in der Folge des
beschlossen, dass von 2003 bis 2007 Ausga-           Karlsruher Urteils von 1992 entstand. Es bindet
benkürzungen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro         Sanierungshilfen des Bundes, die „in Ausnahme-
vorsieht. Langfristig soll der Spareffekt sogar      fällen“ gestattet seien, an strenge Auflagen und
2,5 Milliarden Euro betragen.                        ein verbindliches Programm zur Konsolidierung
                                                     (Festigung) des Landeshaushalts.
Klage vor dem Bundesverfassungsgericht               Der Bund und viele Länder wehren sich gegen
Im Oktober 2003 reichte der Senat eine Normen-       die Klage Berlins beim Bundesverfassungsge-
kontrollklage beim Bundesverfassungsgericht          richt. Sie werfen Berlin vor, die Konsolidierung
ein, um zu erzwingen, dass der Bund für einen        des Landeshaushalts seit Jahren nur halbherzig
begrenzten Zeitraum Sanierungshilfen zahlt. Mit      zu betreiben und die schweren Finanzprobleme
diesen Bundes-Sonderergänzungszuweisungen            selbst verschuldet zu haben. Sie weisen darauf
soll das Land teilweise entschuldet werden. Min-     hin, dass sich die Finanzlage in Deutschland ins-
destens 35 Milliarden Euro wären aus Sicht des       gesamt so verschlechtert hat, dass eine Sanie-
Senats nötig, um den Berliner Haushalt auf Dau-      rung des Berliner Haushalts mit hohen Bundes-
er konsolidieren (festigen) zu können. Zuvor hat-    zuwendungen die föderale Gemeinschaft über-
te der Bund in Verhandlungen mit dem Senat zu-       fordern könnte. Außerdem hätten, so die Ein-
sätzliche Zahlungen abgelehnt. Denkbar wäre          schätzung der Klagegegner, die langfristigen
aus der Sicht Berlins auch, dass keine Zuschüs-      Finanzhilfen für Bremen und Saarland nicht den
se fließen, sondern ein Teil der Berliner Alt-       gewünschten Erfolg gebracht. Beide Länder sind
schulden in einen Bundes-Fonds übernommen            nach wie vor hoch verschuldet. Bremen hat an-
werden, der für Zins und Tilgung aufkommt. So        gekündigt, erneut Bundeshilfen oder eine Re-
könnte verhindert werden, dass Berlin die Sanie-     form des Länderfinanzausgleichs einklagen zu
rungshilfen zweckentfremdet.                         wollen.
Das Land beruft sich in seiner Klage auf ein Ur-
teil des Bundesverfassungsgerichts von 1992, in      Bundesstaatlicher Finanzausgleich
dem Maßstäbe für eine extreme Haushaltsnot-          1995 wurden Berlin und die ostdeutschen Län-
lage festgelegt wurden. Auf der Grundlage die-       der erstmals in den bundesstaatlichen Finanz-
ses Urteils erhielten Bremen und das Saarland        ausgleich einbezogen. Nach dem Grundgesetz
von 1994 bis 2004 über 15 Milliarden Euro vom        (Artikel 107 Absatz 2) ist die föderale Gemein-
Bund für die Sanierung der öffentlichen Finan-       schaft verpflichtet, die unterschiedliche Finanz-
zen. Seit 2005 erhalten beide Länder keine Zu-       kraft der Länder angemessen auszugleichen. Im

20
Haushaltsjahr 2005 erhält Berlin im Rahmen des        nur über eine schwache Wirtschaftskraft. Trotz
Länderfinanzausgleichs fast 2,4 Milliarden Euro       der schwierigen Finanzsituation wollte der Senat
und zusätzlich 2,8 Milliarden Euro Bundeser-          die Entwicklungschancen der Stadt verbessern
gänzungszuweisungen. Davon sind 2 Milliarden          und die Lebensbedingungen im zusammen-
Euro für den „Abbau teilungsbedingter Sonder-         wachsenden Berlin angleichen, das heißt den
belastungen“ vorgesehen. Diese Mittel aus dem         Ostteil der Stadt auf „Westniveau“ bringen. Dazu
„Solidarpakt II“ werden aber bis 2019 schritt-        waren hohe Investitionsausgaben und staatliche
weise auf Null verringert.                            Zuschüsse nötig. Außerdem war der öffentliche
                                                      Dienst in beiden Stadthälften stark aufgebläht.
Einige Ursachen der Finanzkrise                       1991 lag die Zahl der Personalstellen noch bei
Als 1809 der erste Oberbürgermeister von Ber-         207151. Im Jahr 2005 waren es nur noch 130657
lin gewählt wurde, hatte die Stadt fünf Millionen     Stellen. Bis 2012 sollen weitere 25000 Stellen ab-
Taler Schulden. Gründe dafür waren eine dar-          gebaut werden. Zusätzlich vereinbarte der Senat
niederliegende Wirtschaft, ein geringes Steuer-       mit den Gewerkschaften einen „Solidarpakt“ für
aufkommen und die Folgen der französischen            den öffentlichen Dienst, um die Personalkosten
Besetzung. Aber wie ist das heutige Berlin in die     um jährlich 500 Millionen Euro zu senken.
Finanznotlage geraten? Als die Stadt noch geteilt
war, wurden sowohl West-Berlin wie auch Ost-          Das große Ziel:
Berlin über einen langen Zeitraum bevorzugt be-       Ein ausgeglichener Haushalt
handelt. Die „Hauptstadt der DDR“ sollte das          Gesunde Staatsfinanzen zeichnen sich dadurch
„Aushängeschild“ des Ostens sein, während             aus, dass die Primärausgaben nicht höher sind
sich das eingemauerte West-Berlin als „Schau-         als die Primäreinnahmen. Bei dieser Berechnung
fenster des Westens“ präsentierte. Für öffentli-      werden auf der Ausgabenseite die zu zahlenden
che Leistungen, große Bau- und Verkehrsprojek-        Kreditzinsen und auf der Einnahmeseite die Er-
te, Kultur und die Verwaltung samt Personal wur-      löse aus dem Verkauf von Landesbeteiligungen
de überdurchschnittlich viel Geld zur Verfügung       und Grundstücken ausgeklammert. Denn Ver-
gestellt. So entwickelte sich eine Subventions-       mögenseinnahmen sind einmalige Sonderpos-
mentalität, die nach dem Mauerfall 1989 zu-           ten. Kreditzinsen wiederum sind nur ein Maß-
nächst fortbestand und dazu beitrug, dass die         stab für die Staatsverschuldung, nicht aber für
Stadt weiter über ihre Verhältnisse lebte.            die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand. Im
Erschwerend kam hinzu, dass der Bund nach der         Idealfall wird ein „Primärüberschuss“ erzielt, der
deutschen Vereinigung zwischen 1992 und 1994          dazu dient, die Kredite zu bedienen und even-
die finanzielle Unterstützung Berlins (Bundeshilfe,   tuell den Schuldenberg abzubauen. Wenn aber
Berlinförderung) sehr schnell abbaute. Diese Kür-     die Ausgaben die Einnahmen übersteigen, ent-
zungen ließen sich nicht über wachsende Steu-         steht ein „Primärdefizit“, das mit zusätzlichen
ereinnahmen ausgleichen, denn Berlin verfügte         Krediten finanziert werden muss.

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Berliner Bezirke

Einheitsgemeinde Berlin                             Bezirke hinzu: Marzahn, Hellersdorf und Hohen-
Mit dem „Gesetz über die Bildung einer neuen        schönhausen. Nach der Vereinigung 1990 wur-
Stadtgemeinde Berlin“ vom 27. April 1920 wur-       den diese Neugründungen verfassungsrechtlich
den sieben bis dahin selbstständige Nachbar-        anerkannt. Durch die Gebietsreform, die am
städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke         1. Januar 2001 in Kraft trat, wurde die Zahl der
eingemeindet und in 14 Bezirke gegliedert. Das      Bezirke von 23 auf 12 verringert.
waren Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf,
Zehlendorf, Schöneberg, Steglitz, Tempelhof,        Aufgaben und Rechtsstellung
Neukölln, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Wei-      der Bezirke
ßensee, Pankow und Reinickendorf. Das histo-        Nach der Verfassung von Berlin nimmt der Senat
rische Alt-Berlin wurde in sechs zusätzliche Ver-   durch die Hauptverwaltung die Aufgaben von
waltungsbezirke unterteilt: Mitte, Tiergarten,      gesamtstädtischer Bedeutung wahr. Die Bezirke
Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und        sind für alle anderen Aufgaben in eigener Ver-
Kreuzberg. Berlin wurde damit zur einheitlichen     antwortung zuständig. Die bezirkliche Selbst-
Stadtgemeinde mit 20 Verwaltungsbezirken.           verwaltung hat in Berlin Tradition. Schon im Ber-
Die Gründung der Einheitsgemeinde war über-         lin-Gesetz von 1920 wurde festgelegt: „Für je-
fällig: Einem Zweckverband zwischen Berlin und      den Verwaltungsbezirk werden zur Wahrneh-
den umliegenden Kommunen, der 1912 gegrün-          mung der örtlichen Interessen, zur Durchfüh-
det wurde, um drängende Verkehrs-, Bau-, Pla-       rung der Selbstverwaltung und zur Entlastung
nungs- und Versorgungsprobleme gemeinsam            der städtischen Körperschaften … eine Bezirks-
zu lösen, war kein großer Erfolg beschieden. Den    versammlung und ein kollegiales Bezirksamt
armen Vororten, zum Beispiel Neukölln, Lichten-     eingerichtet.“
berg oder Pankow, drohte wegen der ständig          Trotz ihrer relativen Selbstständigkeit sind die
wachsenden Kosten für kommunale Dienstleis-         Berliner Bezirke nicht mit den Landkreisen, Städ-
tungen sogar der finanzielle Ruin. Hugo Preuß,      ten und Gemeinden der deutschen Flächenlän-
Reichsinnenminister in der Weimarer Republik,       der zu vergleichen. Sie sind keine eigenständi-
beschwerte sich damals zu Recht über die            gen Gebietskörperschaften, dürfen keine Steu-
„kommunale Anarchie“ in und um Berlin.              ern erheben und keine Ortsgesetze (Satzungen)
Nach Gründung von Groß-Berlin im Jahr 1920          erlassen. Nach außen vertreten die Bezirks-
war die Stadt mit 3,8 Millionen Einwohnern nach     ämter ausschließlich das Land Berlin oder han-
London die zweitgrößte Stadt in Europa und ei-      deln für das Land. Die Aufgaben- und Kompe-
ne der größten Städte der Welt. Zwischen 1979       tenzverteilung zwischen Haupt- und Bezirksver-
und 1986 kamen zu den 20 Verwaltungsbezirken        waltung ist seit 1920 ein ständiger Streitpunkt
auf Beschluss der DDR-Regierung drei weitere        zwischen beiden Verwaltungsebenen.

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Rat der Bürgermeister                              antwortlich aufstellen. Dafür erhalten sie pau-
Politische Nahtstelle zwischen Bezirks- und Lan-   schale Zuweisungen („Globalsummen“) für In-
desverwaltung (Hauptverwaltung) ist der Rat der    vestitionen, Personal und Sachausgaben. Die
Bürgermeister. Mindestens einmal im Monat          Bezirke dürfen ihre Einzelpersonalangelegen-
treffen sich die Bezirksbürgermeister – auf Ein-   heiten selbstständig regeln. Zum Katalog der
ladung des Regierenden Bürgermeisters oder         bürgernahen bezirklichen Leistungen gehören
dessen Vertreter – und nehmen zu „grundsätz-       die Jugend- und Familienbetreuung, Gesund-
lichen Fragen der Verwaltung und Gesetzge-         heits- und Sozialdienste, Unterhaltung von Grün-
bung“ Stellung. Die Entscheidungen des Rats der    flächen, Spielplätzen und Straßen, Wohnungs-
Bürgermeister sind für den Senat jedoch nicht      und Bauaufsicht, Veterinär- und Lebensmittel-
bindend.                                           aufsicht, Teile des behördlichen Umweltschut-
                                                   zes und der Gewerbeaufsicht.
Aufgabenverteilung zwischen                        1998 wurden die Aufgaben und Rechte der Be-
Haupt- und Bezirksverwaltung                       zirke und der Hauptverwaltung durch eine Ver-
Seit 1994 wurden die Aufgaben und Rechte der       fassungsänderung noch klarer voneinander ge-
Bezirke schrittweise erweitert. Sie dürfen u. a.   trennt. Artikel 66 Verfassung von Berlin wurde
Bebauungs- und Landschaftspläne selbststän-        durch den Passus ergänzt: „Die Bezirke … neh-
dig festlegen und die Bezirkshaushalte eigenver-   men regelmäßig die örtlichen Verwaltungsauf-

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gaben wahr.“ Artikel 67 Absatz 1 der Landes-          ner gemeinsamen Sitzung mit den Bezirksbür-
verfassung wurde ebenfalls neu gefasst: „Der          germeistern sicherte der Senat im Januar 2004
Senat nimmt durch die Hauptverwaltung die             zu, dass die zweistufige Berliner Verwaltung
Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung              nicht in Frage gestellt werde. Bei Vorhaben von
wahr.“ Die Aufgaben, die den Bezirken neu über-       städtischem Gesamtinteresse – zum Beispiel
lassen wurden, sind im „Zweiten Verwaltungs-          großen Bauprojekten – müssten aber die Einzel-
reformgesetz“ des Landes Berlin aufgelistet. Da-      interessen der Bezirke zurückstehen.
zu gehören Grundstückskäufe und -verkäufe,            Ein ständiger Diskussionspunkt ist auch die
Teile des Arbeitsschutzes, Friedhofsangelegen-        schlechte Sozialstruktur einiger Bezirke. Die
heiten, Aufgaben des Grün- und Gewässerschut-         Schere zwischen armen und reichen Bezirken
zes und die Beseitigung unzulässig abgestellter       klafft immer weiter auseinander, wie im „Sozial-
Fahrzeuge.                                            strukturatlas Berlin“ festgestellt wurde. Die Orts-
Außerdem wurde die Fachaufsicht des Senats            teile bzw. Bezirke Kreuzberg, Wedding, Tiergar-
über die Bezirke (zum Beispiel das Recht, im Ein-     ten, Neukölln, Friedrichshain und Prenzlauer
zelfall verbindliche Anweisungen zu erteilen)         Berg leiden besonders unter dieser Entwicklung.
durch ein „Eingriffsrecht“ ersetzt. Eingreifen darf
der Senat, wenn die Belange Berlins als Bundes-       Bezirksverordnetenversammlung
hauptstadt berührt sind oder wenn Bundes-             Die in jedem der zwölf Bezirke zu wählende Be-
oder EU-Recht bzw. Staatsverträge, Weisungen          zirksverordnetenversammlung (BVV), in der je-
der Bundesregierung und Bebauungspläne „im            weils 55 Bezirksverordnete sitzen, ist kein parla-
dringenden Gesamtinteresse Berlins“ gegen den         mentarisches Gesetzgebungsorgan, sondern
Willen eines Bezirks durchgesetzt werden sollen.      Bestandteil der bezirklichen Selbstverwaltung.
Im März 2003 warnten die zwölf Bezirksbürger-         Die Arbeitsweise der BVV orientiert sich den-
meister in einem gemeinsamen Positionspapier          noch an parlamentarischen Regeln. Die Bezirks-
davor, die bezirkliche Selbstverwaltung durch         verordneten werden, wie die Mitglieder des Ab-
eine „Zentralisierungspolitik des Senats“ schritt-    geordnetenhauses, von der Bevölkerung ge-
weise auszuhöhlen. Die Bezirkspolitiker stünden       wählt. Für ihre ehrenamtliche Arbeit erhalten sie
in direktem Kontakt zu den Bürgern und verfüg-        eine Aufwandsentschädigung.
ten über die zeitlichen und personellen Res-          Die BVV bestimmt die Grundlinien der bezirk-
sourcen, „auch bei kleineren Problemen schnell        lichen Verwaltungspolitik, beschließt den Be-
und direkt zu reagieren“. Auch die Wirtschafts-       zirksetat und kontrolliert die Geschäftsführung
förderung müsse eine bezirkliche Aufgabe blei-        des Bürgermeisters und der Stadträte (Bezirks-
ben. Dezentrale Strukturen seien außerdem kos-        amt). Die BVV kann Anträge, Empfehlungen und
tengünstiger. Deshalb müsse der Senat finanziell      Ersuchen an das Bezirksamt richten, Auskünfte
sicherstellen, „dass die Bezirke echten Hand-         verlangen, Entscheidungen des Bezirksamts un-
lungs- und Gestaltungsspielraum haben“. In ei-        ter bestimmten Umständen aufheben und durch

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eigene Beschlüsse ersetzen. Die BVV wählt au-       mitglieder (Bürgermeister und Stadträte) leiten
ßerdem ehrenamtliche Personen, zum Beispiel         ihre Geschäftsbereiche in eigener Verantwor-
die Patientenfürsprecher. Die Fachausschüsse        tung. Das Bezirksamt handelt als Kollegium: Be-
der BVV haben das Recht, Einsicht in die Ver-       schlüsse werden durch Mehrheitsentscheid ge-
waltungsakten des Bezirksamts zu nehmen.            fasst. Der Bezirksbürgermeister übt die Dienst-
Mit einer Änderung des Bezirksverwaltungs-          aufsicht über die Stadträte aus und untersteht
gesetzes wurden die Rechte der Bezirksver-          selbst der Dienstaufsicht des Regierenden Bür-
ordneten 2005 erweitert. Sie können zum             germeisters. Das Bezirksamt kann eigene Vor-
Beispiel Einsicht in alle Akten nehmen, wenn        lagen in die Bezirksverordnetenversammlung
der Akteneinsicht nicht schutzwürdige Belange       einbringen, BVV-Beschlüsse beanstanden und
Dritter oder ein dringendes öffentliches Interes-   über bezirkliche Angelegenheiten entscheiden,
se entgegenstehen. Außerdem wurde die Zu-           soweit dies nicht der Bezirksverordnetenver-
ständigkeit der BVV erweitert: Sie darf nun auch    sammlung vorbehalten ist.
über die Bereichsentwicklungs- und Investitions-    Zu Beginn jeder Wahlperiode wählen die neu zu-
planung sowie über die Gründung, Übernahme          sammengesetzten (konstituierten) Bezirksver-
oder Auflösung bezirklicher Einrichtungen oder      ordnetenversammlungen mit einfacher Mehr-
deren Übertragung an private Träger entschei-       heit den Bürgermeister und die Stadträte, die ge-
den.                                                meinsam das Bezirksamt bilden. 1995 wurde die
                                                    Zahl der Bezirksamtsmitglieder von sieben auf
Entschädigung der Bezirksverordneten                fünf vermindert, aber 2001 im Zuge der inner-
Die Bezirksverordneten erhalten für ihre Arbeit     städtischen Gebietsreform wieder auf sechs Mit-
eine monatliche Aufwandsentschädigung von           glieder (Bürgermeister und fünf Stadträte) er-
295 Euro zuzüglich Sitzungsgeld (31 Euro je BVV-    höht. Begründet wurde dies mit dem höheren
und 20 Euro je Ausschusssitzung). Die BVV-Vor-      Arbeitsaufwand, den die Verwaltung der zwölf
steher erhalten 1180 Euro, ihre Stellvertreter      großen Bezirke mit sich bringe.
516,25 Euro und die Fraktionsvorsitzenden           Die Bezirksbürgermeister werden auf Vorschlag
737,50 Euro monatlich. Die BVV-Fraktionen be-       einer oder mehrerer BVV-Fraktionen gewählt,
kommen einen Fraktionszuschuss aus dem be-          die zu diesem Zweck politische Zählgemein-
zirklichen Haushalt, der sich nach der Einwoh-      schaften (Koalitionen auf Zeit) bilden dürfen. Für
nerzahl des jeweiligen Bezirks und der Frak-        die Wahl der Stadträte haben die Fraktionen
tionsstärke bemisst.                                entsprechend ihrer Stärke in der BVV das Vor-
                                                    schlagsrecht (Parteienproporz). Koalitionsab-
Bezirksamt                                          sprachen sind nicht erlaubt. Wenn ein Kandidat
Das Bezirksamt ist eine kommunale Verwal-           nicht die erforderliche einfache Stimmenmehr-
tungsbehörde und vertritt das Land Berlin in An-    heit in der BVV erhält, darf seine Fraktion einen
gelegenheiten des Bezirks. Die Bezirksamts-         neuen Kandidaten präsentieren. Dieses Proporz-

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verfahren gilt, laut einer Übergangsbestimmung   Ergebnis wurde bisher der Vorschlag diskutiert,
in der Berliner Verfassung, noch bis 2010. Da-   die Bezirksbürgermeister direkt vom Volk wäh-
nach könnten alle Bezirksamtsmitglieder nicht    len zu lassen.
mehr nach Proporz, sondern von politischen       Bezirksamtsmitglieder können abgewählt wer-
Mehrheiten (Koalitionen) in den Bezirksverord-   den, wenn sich dafür eine Zweidrittelmehrheit in
netenversammlungen gewählt werden. Ohne          der BVV findet.

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