Patienten sollen Datenhoheit erhalten - In den USA nun ein Muss: Interoperabilität für Patientendaten - InterSystems
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Gesundheit/Medizin In den USA nun ein Muss: Interoperabilität für Patientendaten Patienten sollen Datenhoheit erhalten Geplant war die offizielle Bekanntgabe auf der HIMSS 2020; das Corona-Virus machte den Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung. Und so kam die folgenreiche Ansage nicht aus Florida, sondern direkt aus Washington D.C.: Neue US-Regularien fordern den uneingeschränkten Zugriff auf Patientendaten – dank Interoperabilität. Eine API, ein Programmierinterface, macht die Forderung unausweichlich konkret. «Patienten sind abhängig von der Verfügbarkeit öffentlichen und privaten Gesundheitsanbietern. Services (HHS), also dem Gesundheitsministe- ihrer Daten innerhalb ihrer Behandlungskette», Es geht weit über die US-Datenzugriffsinitiative rium, und von den Centers for Medicare & unterstreicht Lynda Rowe die Bedeutung der Medicare Blue Button 2.0 hinaus, die nur öffent- Medicaid Services (CMS). Die Regeln setzen neuen Vorgaben. Sie arbeitet als Senior Advisor liche Leistungserbringer einbezog. «Der Zugriff Bestimmungen um, die der 21st Century Cures for Value-Based Markets bei InterSystems. auf strukturierte Daten ist deutlich konkreter Act (Cures Act) vorgegeben hatte, und unter- Bereits seit zwei Jahrzehnten hat sie verantwort- gefasst als beim EPD-Gesetz der Schweiz», mauern die MyHealthEData.Initiative von liche Positionen in der US-Gesundheits-IT inne; unterstreicht Oliver Egger, Technical Manager Präsident Trump. Interoperabilität spielt für ihr Engagement seit HL7 Schweiz und Gründer des Zürcher Bera- langem eine wichtige Rolle. So war sie an der tungsunternehmens ahdis. Die Regeln sollen die US-Amerikaner zur Über- Vorbereitung und am Aufbau von Health Infor- nahme von Verantwortung für die eigene mation Exchanges (Datendrehscheiben) in den In die Pflicht nehmen die Vorgaben die IT-Anbie- Gesundheit befähigen und so den Patienten- Bundesstaaten Massachusetts und New York ter ebenso wie Leistungserbringer und Kosten- nutzen in den Mittelpunkt der Versorgung sowie am Meaningful-Use-Programm der Regie- träger: Jeder US-Bürger soll – ohne besonderen rücken. Der Zwang, ab 2021 den Zugriff auf rungseinrichtung ONC beteiligt. Das Ziel: durch Aufwand und ohne besondere technische Patientendaten zu ermöglichen, das Vorantrei- Verfügbarkeit relevanter Daten die Patienten- Mittel – sämtliche elektronischen Daten ein- ben von Innovation etwa durch Smartphone- versorgung verbessern. sehen, zur Verfügung gestellt bekommen und Apps und das Aus von Brüchen im Informations- nutzen können, die für seine Gesundheit von fluss dienen diesen Zielen. Uneingeschränkter Zugriff der Patienten Bedeutung sind – so das zentrale Ziel der bei- auf ihre Daten den neuen «bahnbrechenden» Regelungen. Sie Die API ersetzt «zahnlose» Empfehlungen kommen aus dem Office of the National Coor- Das Gesetzespaket regelt den uneingeschränk- dinator for Health Information Technology «Standards für Interoperabilität sind eher Rah- ten Zugriff der Patienten auf ihre Daten bei (ONC) im U.S. Department of Health and Human men mit Freiräumen», betont Rowe. Schnittstel- clinicum 4-20 95
Gesundheit/Medizin lenprobleme sind durch sie «vorprogrammiert». nis eintragen und die dezentralen Schnittstellen die Kodierung «in mittlerer Strenge» stellt, Das Gesetzespaket macht nun Schluss mit «rund um die Uhr» betreiben. – In Europa, so Dr. lenkt Dr. Schug ebenfalls die Aufmerksamkeit. schwer zu findenden «Seiteneingängen»: Alle Schug, empfahlen eHealth-Aktionspläne nur Der Vorgabenkatalog USCDI (U.S. Core Data Gesundheitsanbieter, bzw. ihre Lösungsherstel- einen weitgehend zentralisierten Online-Zugriff for Interoperability) schreibt für jedes Daten- ler, müssen eine universelle, mit dem Standard- von Patienten auf ihre Gesundheitsdaten, und Item verbindlich eine Kodierung fest, etwa Release FHIR 4 kompatible «Patienten-API» rea- dies jeweils im nationalen Kontext. LOINC für Labordaten, UCUM-Masseinheiten, lisieren. «Dies ermöglicht den weitgehend RxNorm – das amerikanische Nomenklatur- ungehinderten Zugriff auf die Daten durch Schluss mit «Information Blocking» und Kodiersystem für Medizinalprodukte – Apps», urteilt Dr. Schug, Chief Medical Officer und an zahlreichen Stellen SNOMED CT. In der und Partner im Management Team der European Das Blockieren der Weitergabe von Patienten- Schweiz arbeitet man aktuell am Austausch Health Telematics Association (EHTEL). Ein gros- daten ist in den USA künftig strafbewehrt, wenn strukturierter Dokumente auf Basis von SNO- ser US-KIS-Anbieter versuchte daher, die Ver- auch durch COVID-19 verzögert mit Wirkung MED CT und CDA sowie – neu – FHIR. Ein abschiedung des Gesetzespakets zu verhindern. frühestens in einigen Monaten. Vergleichbar ist künftiger Minimaldatensatz, hofft Egger, sollte Andererseits unterstützten Apple, Google und dies, so Egger, mit der Androhung der Streichung mit dem International Patient Summary (IPS) Co. die neuen Regeln vehement, da sie ja mit von Spitälern aus der Spitalliste bei Nichtteilnah- kompatibel sein. ihren Apps und Services vom ungehinderten me am EPD – was im Extremfall dazu führen Datenzugriff profitieren. könnte, dass ihre Leistungen nicht mehr vergü- «Die EU-Empfehlungen für ein europäisches tet werden. Austauschdatenformat zu elektronischen Laut EPD-Gesetz kann in der Schweiz künftig der Patientenakten (EHRxF) sehen unter Bezug auf Patient auf behandlungsrelevante Dokumente Die ONC-Anforderungen gelten für Leistungser- IPS, HL7 CDA und FHIR etc. eine stufenweise und Bilder über ein Patientenportal seiner bringer ebenso wie für Anbieter zertifizierter Herstellung von Interoperabilität vor», kommen- Stammgemeinschaft zugreifen. Die Spitäler legen Lösungen, Netzwerke bzw. Plattformen. Sie tiert Dr. Schug. diese Informationen in ihrer Gemeinschaft ab; umfassen den Austausch von Gesundheitsinfor- somit stehen sie den Patienten zur Verfügung. mationen – Daten, Texte, Bilder und Kontextin- Die USA sind einen Schritt voraus Zurzeit gilt die doppelte Freiwilligkeit der Teilnah- formationen. Als Sanktion setzt man in den USA me – für Patienten und ambulante Leistungser- auch auf die Veröffentlichung einer Liste der «Mit der strafbewehrten, medienbruchfreien bringer. In den USA lassen sich hingegen Daten Interoperabilitäts-Verweigerer; deren Wirksam- Verfügbarkeit der Basisdaten sind die USA der künftig per API aus jedem System auslesen. Dabei keit hinterfragt allerdings Rowe. EU und Deutschland nun einen Schritt voraus», lässt die ONC-Regelung Gebühren in «angemes- so das Urteil des EHTEL-Vertreters … und laut sener Form» zu. Um den Zugriff zu ermöglichen, Auf die Vereinbarung eines Minimaldatensat- Egger ebenso in der Schweiz. Die Betonung der müssen die Provider sich in ein Online-Verzeich- zes, der in der ersten Stufe Anforderungen an medizinischen Gesamtprozesse, etwa die Aus- «Mit dem EPD haben wir in der Schweiz die Basis- infrastruktur für behandlungsrelevante Dokumente «Schluss mit den verteilten Verantwortlichkeiten in geschaffen; jetzt steht die Herausforderung an, dem der Gesundheits-IT»: Alexander Ihls, Gründungs Patienten interoperable strukturierte Daten zur «Der Zugriff durch Patienten laut US-Gesetzespaket vorsitzender IHE-D, Member At-Large IHE Verfügung stellen. Die USA haben mit der neuen ist deutlich konkreter gefasst als in Europa»: International Board, sowie Vorstandsmitglied AK Regulierung einen riesigen Schritt in diese Richtung Dr. Stephan Schug, Chief Medical Officer und eHealth des Bitkom und im Vorstand des Spitzen- getan.» Oliver Egger, Technical Manager HL7 Schweiz Partner im Management Team der European verbandes IT-Standards im Gesundheitswesen und Gründer des Beratungsunternehmens ahdis Health Telematics Association (EHTEL) (SiTIG), auf einer DMEA Michael Reiter © 96 clinicum 4-20
Gesundheit/Medizin richtung der Basisdokumentation zur Verwen- dung beim Disease Management, findet Hürdenreiche Entwicklung: Interoperabilität in USA Dr. Schug bei den Amerikanern ebenso positiv. Interoperabilität nahm als Herausforderung in den 1980-ern Die ONC-Regelung gibt vor, dass elektronische ihren Anfang innerhalb der Krankenhäuser: Die Systeme in Patientenakten die klinischen Daten inklusive einzelnen Abteilungen sollten mit dem KIS kommunizieren, der Kerndatenklassen und -elemente verfügbar der Behandler sollte Zugriff auf befundrelevante Daten etwa aus machen müssen, um neue Geschäftsmodelle der Radiologie erhalten, erinnert sich Lynda Rowe. Mitte der für die Leistungserbringung zu ermöglichen. 2000-er Jahre, noch vor «Meaningful Use», startete der Ansatz, Dies hat auf Basis des USCDI-Standardsets an digitale Patienteninformationen im Gesundheitsmarkt zu teilen. Klassen für Gesundheitsdaten und Datenele- Die US-Regierung intervenierte mit dem Ziel, die elektronische menten zu geschehen, die für einen nationalen Patientenakte zu beschleunigen. Allerdings, so Rowe, stand bis interoperablen Datenaustausch notwendig sind heute der «Disconnect» auf der Tagesordnung. – etwa klinische Notizen und Angaben zu Aller- Daten fliessen lassen, Steuerungsmöglichkeiten für die Versorgung ermöglichen, Patientenhoheit über gien sowie zur Medikamentierung oder essen- Daten gewährleisten: Die notwendige Koordination von Gesundheitsversorgung erforderte den digi- zielle demographische Informationen. talen Datenaustausch. US-Rahmenvorgaben wie HIPAA waren auf Papier aufgebaut und somit wenig hilfreich bei digitalen Daten. Entsprechende Fortschritte, so Rowe weiter, wurden gemacht – durch Grosse Potenziale für App-Anbieter und die Entwicklung von «Regional Health Information Organizations» (RHIO) bzw. «Health Informa- Kostenträger dank API tion Exchanges» (HIE) als Infrastruktur für den Gesundheitsdatenaustausch zwischen Stakeholdern. Das ONC hat in seiner Regelung die Spezifika- «Standards wie FHIR für den Datenaustausch mögen nicht perfekt sein», betont Rowe, «aber sie tionen für eine sichere, Standard-basierte API bieten eine gute Grundlage für Open Access, Web Service und Limitierung der Zugreifbarkeit laut festgelegt. Sie sollen den Zugriff der Patienten Patientenwunsch.» Da FHIR & Co. international greifen, kann sich Rowe dank Datenaustausch auf und die Souveränität über die Daten des jewei- ihrer Basis sogar eine «Gesundheitsversorgungs-Version» der Internetwirtschaft vorstellen. ligen Leistungserbringers sicherstellen – kosten- frei per Smartphone. Dr. Schug kommentiert, Die neuen Regelungen beschleunigen jedenfalls das Erreichen des Ziels der Interoperabilität. Arbeit US-Patienten öffentlicher Gesundheitsanbieter bleibt jedoch weiterhin zu leisten, so Rowe. So gilt es, die Skepsis bei Leistungserbringern gegenüber hätten ja mit Blue Button 2.0 bereits umfang- dem Austausch von Patientendaten auszuräumen; Haftungsfragen zählen hier zu den Vorbehalten. reichen Zugriff auf ihre Gesundheits- und auch Der Datenaustausch ist auch noch nicht Teil ihrer Prozesse. Wie sollen Leistungserbringer aus der ihre Abrechnungsdaten. Drumherum hat sich Datenflut auswählen? bereits ein umfangreicher Marktplatz für inno- vative Apps entwickelt. Die neue Regelung wei- Leistungserbringern verfügbar machen, die bei tet das offenbar massiv aus. Das Unter-Strafe- ihnen unter Vertrag stehen. Interoperabilitäts- Stellen von Information Blocking bedeute auch, spezialisten wie InterSystems bieten auch hier «Interoperabilität ermöglicht den gesamtheitlichen dass die Daten in verständlicher Form verfügbar Unterstützung – etwa durch HealthShare und Blick auf Patienten»: Don Woodlock, Vice President zu machen sind. die Integrations- und Entwicklungsplattform Iris of Healthcare Solutions, InterSystems, auf einem for Health, mit denen sich die Daten für die gefor- Jahreskongress der HIMSS Die CMS-Regelung zu Interoperabilität und Zugriff derte API unter Berücksichtigung der Datenty- für Patienten gibt den Stakeholdern mit Leis- pen von USCDI umsetzen lassen. tungsangeboten für Medicare Advantage, Medic aid und CHIP und allgemein Leistungserbringern Nutzeffekt dank Konkretisierung mit US-weitem Aktionsradius vor, Abrechnungs- daten elektronisch Patienten zur Verfügung zu Was lernen wir hieraus für die Gesundheits-IT? stellen. Medicare hatte 2018 hierzu mit Blue – «Machen wir Schluss mit verteilten Verantwort- Button 2.0 den Grundstein gelegt – und es Ent- lichkeiten», fordert der Interoperabilitätsexperte wicklern ermöglicht, Medicare-Patienten inno- Alexander Ihls. «Die neuen Regelungen, insbe- vative Lösungen anzubieten. Ab 1. Januar 2021 sondere die API-Spezifizierungen, definieren für müssen die Leistungs-Stakeholder Gesundheits- alle amerikanischen Leistungserbringer, Kosten- daten sicher und in verständlicher Form über die träger und Lösungsanbieter einheitliche Grund- API mit Patienten austauschen. Wer also weiter lagen für IT-Nutzenpotenziale für den Patienten als Leistungserbringer für Medicare und Medi- und für das Gesamtsystem. So könnten wir auch caid agieren möchte, muss elektronisch Infor- besser vorankommen!», so Ihls, Gründungsvor- mationen über Aufnahme, Entlassung über Über- sitzender IHE-D, Member At-Large IHE Interna- Michael Reiter weisung von Patienten an Partner in der tional Board. Behandlungskette verschicken. Manche Patienten, denkt Rowe, werden nicht Kostenträger müssen laut den neuen Vorgaben selbst auf ihre Daten zugreifen wollen. Aber von © neben Patientendaten auch Übersichten zu den ihrem Leistungserbringer werden sie dies erwar- clinicum 4-20 97
Gesundheit/Medizin so Rowes Erwartung. Leistungserbringer und Sicherer, leichter Austausch von Daten über Hubs Patienten bzw. Patientenvertreter können pro- fitieren. Ihre Aufforderung an IT- und Medizin- Gute Versorgung bedeutet: Behandler müssen einen gesamtheitlichen Blick auf ihre Patienten technikanbieter lautet: «Seid Partner, statt Silos erhalten, die mitunter viele verschiedene Ärzte sehen, unterstreicht Don Woodlock, Vice President zu bilden!» Die Systeme bleiben zwar weiter of Healthcare Solutions, InterSystems. Mit diesem Ziel ermöglichen landesweit föderierte Netzwerke proprietär, aber entstehende Daten müssen aus- wie CommonWell Health Alliance und Carequality den an der Versorgung Beteiligten einen sicheren, nahmslos interoperabel sein. Dies gilt für medi- bequemen Austausch von Patientendaten. Die HealthShare-Plattform von InterSystems schafft die zinische Daten ebenso wie etwa für gesund- Grundlagen und Werkzeuge dafür, dass über diese Stakeholder hinweg Daten zugreifbar werden – heitsrelevante Sozialdaten. Und auch Rowe unabhängig von eingesetzten Applikationen wie etwa KIS-Lösungen. weist hierauf hin: Einsteigern von aussen wird die Teilnahme am Markt erleichtert – etwa «Dank solcher ‹Marktplätze› können Patienten sicher sein, dass ihrem Arzt alle Daten zu ihrer Google, Apple und Amazon. Erkrankung zur Verfügung stehen – und er sie somit besser behandeln kann», betont Wood- lock. Interoperabilität stellt Akteure bislang vor komplexe Anforderungen; die neuen Regeln aus Washington reduzieren mit ihrer Konkretisierung von Details diese Komplexität, sagt Woodlock. Autor: Michael Reiter Das macht es nun leichter, neue Ökosysteme aus partnerschaftlichen Akteuren aufzubauen. ten. Andere werden souverän mit ihren Daten Patienten zur Verfügung stehen und seiner umgehen wollen. Die Expertin erinnert an den Steuerung unterliegen. Dabei gilt: «Schluss mit alten Streit – gehören Patientendaten den überhöhten Gebühren für Kopien. Weg mit Fax!». Patienten oder den Leistungserbringern? Ärzte sind nur ‹Stewards› der Information, unter- «Wie sieht nun mein Ökosystem aus?» – Die streicht Rowe. Auch wenn dies nur punktuell neuen Regeln werden ein Signal an Anbieter und gewünscht sein mag – die Daten müssen dem Leistungserbringer sein, sich neu zu erfinden, Fremdinserat 98 clinicum 4-20
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