Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes - Thema im Monat Februar 2015

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Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes - Thema im Monat Februar 2015
Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II

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Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für                    In Zusammenarbeit mit:
die Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag
im Monat. Sie beleuchten ein aktuelles Thema aus der
ZEIT, ergänzt durch passende Arbeitsanregungen zur
praktischen Umsetzung im Unterricht.

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Thema im Monat Februar 2015:
Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes
Die Pegida-Demonstrationen haben gezeigt, dass eine starke nationalkonservative Strömung in der bür-
gerlichen Mitte Deutschlands existiert. Repräsentiert diese Protestbewegung die schweigende Mehrheit im
Lande? Oder ist sie ein Symptom einer verunsicherten Mittelschicht, die eine systemfeindliche Trotzhaltung
einnimmt? Mag die Organisation Pegida auch kurzlebig sein, die islamkritische und fremdenfeindliche Hal-
tung dahinter wird uns noch lange beschäftigen.

In dieser Unterrichtseinheit beschäftigen sich Ihre Schüler mit (rechts)populistischem Gedankengut im
Umfeld der Pegida-Bewegung. Dabei analysieren sie Parolen und Leitgedanken der Demonstranten und
setzen sich kritisch mit Leserkommentaren zu einem ZEIT-Artikel auseinander. Im zweiten Arbeitsblatt
untersuchen Ihre Schüler den ideologischen Rückgriff auf eine vermeindtliche abendländische Leitkultur.
Sie unterziehen den Begriff »jüdisch-christliche Tradition« einem historischen Faktencheck und erörtern in
diesem Zusammenhang auch die Losung, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

            Inhalt:
            2   Einleitung: Thema und Lernziele
            3   Arbeitsblatt 1: Pegida-Streit: Nichts ist vorbei
            7   Arbeitsblatt 2: Zeitgeist: Was gehört zu uns?
            9 Internetseiten zum Thema
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes 2

Einleitung: Thema und Lernziele
Pegida hat sich selbst abgeschafft. Aber seine Anhänger sind noch da: wütende Protestbürger aus der
bürgerlichen Mitte, die ausgezogen sind, um ein Zeichen gegen islamischen Fundamentalismus zu setzen,
und sich dabei Seite an Seite mit Neonazis immer tiefer in fremdenfeindliche und nationalistische Paro-
len verstricken. Wenn die Demonstranten ein geklautes »Wir sind das Volk« skandieren, beanspruchen
sie, den Willen einer schweigenden Mehrheit zu repräsentieren, die von einer »Lügenpresse« verleumdet
und von einer laschen Politikerzunft im Stich gelassen wird. Doch ist die Pegida-Bewegung wirklich das
Sprachrohr des Volkes? Oder ist sie eine Beute demagogischer (Rechts-)Populisten? Geht es tatsächlich
um eine »Islamisierung des Abendlandes« oder vielmehr um soziale Schieflagen, Existenzängste und das
Gefühl, den Anschluss verloren zu haben? Möglicherweise handelt es sich dabei lediglich um unpolitische
Bequemlichkeit und antidemokratische Systemfeindlichkeit, wie Lenz Jacobsen in seinem Artikel diagnos-
tiziert. Hier gilt es, die Äußerungen der Protestbewegung genauer zu untersuchen, um verborgene Motive
und Leitgedanken zu extrahieren.

Ein Aspekt in dieser politischen Debatte ist die Beschwörung einer unsere abendländische Leitkultur maß-
geblich prägenden christlich-jüdischen Tradition. Bei genauerem Hinsehen bleibt hiervon wenig übrig.
Eine »jüdisch-christliche« Symbiose hat es in der deutschen und europäischen Geschichte nicht gegeben,
vielmehr war das Verhältnis von Christentum und Judentum von Ausgrenzung, Pogromen, Ghettoisierung
und Antisemitismus geprägt, wie der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe ausführt. Insofern sei das Bekenntnis
zur »jüdisch-christlichen Tradition« lediglich ein ideologisches Konstrukt, das als Waffe gegen die Losung
»Der Islam gehört zu Deutschland« ins Feld geführt werde.

Arbeitsblatt 1 thematisiert, welchen Einfluss nationalkonservative bis rechtspopulistische Strömungen, wie
sie bei der Pegida-Bewegung sichtbar werden, jenseits tagesaktueller Ereignisse in der Gesellschaft ha-
ben. Die Schüler recherchieren Forderungen und Parolen der Protestbewegung und werten aus, inwiefern
hierbei extremistisches Gedankengut und antidemokratische Tendenzen zutage treten. In diesem Zusam-
menhang analysieren sie den Populismusbegriff und kommentieren Lesermeinungen zum vorliegenden
ZEIT-Artikel.

In Arbeitsblatt 2 setzen sich die Schüler mit dem Begriff »jüdisch-christliche Tradition« auseinander, indem
sie in einem historischen Rückblick das Verhältnis von Christentum und Judentum in Europa aufgreifen
und mit dem puritanisch-alttestamentarischen Erbe der Vereinigten Staaten vergleichen. Sie erarbeiten
eine Liste mit Merkmalen der westlichen Kultur, ermitteln deren historisch-weltanschauliche Wurzeln und
erörtern in diesem Zusammenhang die kontrovers diskutierte Formel »Der Islam gehört zu Deutschland«.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes 3

     Arbeitsblatt 1
     Pegida-Streit: Nichts ist vorbei
     Pegida zerlegt sich. Doch die System- und Islamfeindlichkeit, die auf den Demos deutlich
     wurde, wird bleiben.

     Die Dresdner Demo-Organisatoren, die sich schon als Verein eingetragen haben und sich um Professiona-
     lität bemühen, zerstreiten sich nun also. Als Gewinner wird niemand daraus hervorgehen. Weil sich schon
     jetzt für alle sichtbar als Täuschung erweist, was Pegida lange behauptet hat: dass hier das Volk spricht,
     mit sich selbst einig, weil mit sich selbst und seiner Identität im Reinen. Nun zerfällt also dieses vermeint-
5    liche Volk in Bachmann- und Oertel-Lager und beweist so selbst, dass es das nie gab, das eine Volk, das
     recht hat, nur weil es da ist.

     Vielleicht werden nun also bald Pegida Eins und Pegida Zwei sich die vornehmlich sächsischen Plätze tei-
     len müssen, so wie es sich mit den Differenzen zwischen Pegida und Legida schon angedeutet hatte. Kann
10   sich die Mehrheit der Deutschen, die von den von Pegida verkörperten Ressentiments schon immer ab-
     gestoßen wurde, jetzt also freuen und das Pegida-Kapitel als abgeschlossen betrachten? Das wäre falsch.

     Denn es ging dabei ja nie um die zehn- oder zwanzigtausend Demonstranten, es ging um die systemkriti-
     sche bis systemfeindliche Haltung und um die Islamfeindlichkeit, die durch sie zum Ausdruck kommt, und
15   hinter der sich weit mehr Deutsche versammeln, wenn auch keinesfalls eine Mehrheit.

     Es geht um die Menschen, die »den Medien« grundsätzlich nicht mehr glauben, es geht um eine Weltwahr-
     nehmung, die alles ausblendet, was nicht der eigenen Meinung entspricht. Es geht um einen Rückzug ins
     Private und um die Erlahmung einer Demokratie, die diese unpolitische Bequemlichkeit erst ermöglicht.
20   Und es geht auch um die Frage, ob eigentlich jeder »mitgenommen« oder »abgeholt« werden muss von
     »der Politik« oder ob diejenigen, die mit dem Staat nichts mehr zu tun haben wollen, weil er nicht so lie-
     fert, wie sie es wünschen, nicht selbst verantwortlich sind für ihre Ausgrenzung. Das ist es ja, was längst
     erprobt wird im sogenannten Dialog mit den Pegida-Sympathisanten.

25   Bachmann und Oertel, da hat Pegida ausnahmsweise mal recht, waren wirklich unwichtig. Sie standen
     vielleicht nicht zufällig an der Spitze der Demonstrationen, aber sie waren doch austauschbar und keine
     Verführer oder gar Rattenfänger, wie manche besonders ahnungslosen Politiker anfangs raunten.

     Was auch nicht verschwinden wird, ist die Frage nach dem Umgang mit dem Islam in Deutschland. Alexan-
30   der Gauland setzt sich gerade an die Spitze dieses Streits mit seiner absurden Forderung, keine Zuwande-
     rung aus dem Nahen Osten mehr zuzulassen, weil der Islam fremd und also nicht integrierbar sei. Pegida
     hat mit der Panikmache vor einer »Islamisierung« hier eine Debatte angefacht und auf eine Schwarz-Weiß-
     Logik zurückgeworfen (»Ist der Islam böse oder gut?«), die schon vorher da war und eigentlich, zumindest
     in weiten Teilen der Öffentlichkeit, differenzierter diskutiert wurde.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes 4

     Was auch noch da ist: die Angriffe auf Asylbewerberheime, deren Zahl sich zum Beispiel in Sachsen zuletzt
35   fast verdreifacht hat. Die steigenden Flüchtlingszahlen. Die Klagen der Anwohner, die keine Asylbewer-
     berunterkünfte in der Nachbarschaft haben wollen. Die merkwürdige Allianz Linker und Rechter in Ver-
     schwörungstheorien. Medien, die durch oft unangemessen laute Empörung das Vertrauen in gesellschaft-
     liche Institutionen manchmal unnötig zerstören.

40   All das wird noch da sein, wenn Bachmann und Oertel und mit ihnen irgendwann vielleicht auch Pegida
     wieder verschwunden sein werden. Deshalb ist, so wie Pegida nie ein Grund zur Panik war, der jüngste
     Dresdner Streit unter den Organisatoren kein Grund, das alles abzuhaken. Nichts ist vorbei.

     Lenz Jacobsen, ZEIT ONLINE, 28.1.2015, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/pegida-oertel-bachmann-
     streit-kommentar
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Aufgaben
1. Das Textverständnis klären und Kernthesen herausarbeiten
   Analysieren Sie den Kommentar von Lenz Jacobsen:
   a. Legen Sie dar, welche Bevölkerungskreise und welche Themen nach Auffassung des Autors im
      Vordergrund stehen und welche für eine längerfristige Auseinandersetzung mit dem Thema eher
      irrelevant sind.
   b. Benennen Sie die Kritikpunkte, die Lenz Jacobsen an der gesellschaftspolitischen Haltung der
      Pegida-Sympathisanten aufführt.
   c. Arbeiten Sie heraus, welche Intention der Autor verfolgt, wenn er einzelne Begriffe und Phrasen
      in Anführungszeichen setzt.
   d. Interpretieren Sie den Titel und den Schlusssatz des Kommentars: »Nichts ist vorbei«, und arbei-
      ten Sie die Kernaussage des Autors heraus.

2. Motive für eine Protestbewegung recherchieren und sich hierzu positionieren
   a. Ermitteln Sie in Gruppenarbeit mithilfe von journalistischen Medien, Blogs, Sozialen Netzwerken
      und/oder Videoplattformen, welche Forderungen die Pegida-nahen Demonstranten an die Poli-
      tik richten, welche Kritik sie üben und welche Ängste bzw. Wünsche geäußert werden.
   b. Erstellen Sie eine Liste mit Ihren Befunden, und erörtern Sie im Anschluss, welche weltanschau-
      lichen Überzeugungen und Werte Sie ausmachen können.
   c. Beurteilen Sie, in welchen Aspekten Sie rassistische, ausländerfeindliche, nationalistische oder
      andere extremistische bzw. diskriminierende Tendenzen wahrnehmen können.
   d. Bewerten Sie die einzelnen Forderungen und Parolen der Pegida-Sympathisanten mit Sternen
      von eins (keine/sehr geringe Zustimmung) bis fünf (sehr hohe Zustimmung). Ermitteln Sie im
      Anschluss die Aspekte mit der höchsten und die mit der niedrigsten Zustimmungsrate in Ihrer
      Lerngruppe.

3. Den Begriff Populismus schärfen, abgrenzen und auf Beispiele anwenden
   Der Duden definiert Populismus als »von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Po-
   litik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf
   Wahlen) zu gewinnen«.
   a. Finden Sie anhand Ihrer bisherigen Arbeitsergebnisse konkrete Beispiele für populistische Äußerun-
        gen, und erstellen Sie hieraus Kriterien, die helfen, Populismus zu identifizieren.
   b. Pegida-Anhänger haben auf Demonstrationen den Aufruf »Wir sind das Volk« skandiert. Erörtern
        Sie, ob diese Parole angemessen ist.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes 6

4. Polarisierende Standpunkte differenziert diskutieren
   Bearbeiten Sie in Kleingruppen jeweils einen der folgenden Leserkommentare zum Artikel von Lenz
   Jacobsen. Bewerten Sie den geäußerten Gedankengang, indem Sie
   • weitere Hintergrundinformationen zusammentragen und die Thesen einem Faktencheck unter-
      ziehen,
   • den Standpunkt differenziert mit weiteren Pro- und Kontra-Argumenten konfrontieren und
   • ein Fazit ziehen, bei dem Sie Ihre begründete Position hierzu darlegen.

   a. »Pegida ist nichts Neues. Es gibt sie schon seit über 1.000 Jahren. Damals wurden noch Kreuzrit-
      ter losgeschickt, um das Abendland zu verteidigen. Der Islam ist in Europa nichts Neues. Spanien
      war knapp 800 Jahre muslimisch bis zur Reconquista, der Balkan ist es noch heute. Man muss
      einsehen, dass Europa nicht Europa wäre, gäbe es nicht den Kontakt mit der muslimischen Welt,
      die verlorenes Wissen aus der Antike aufbewahrte, selbst erweiterte und es Europa zurückgab
      und somit u. a. die Renaissance entscheidend mitverursachte.«

   b. »Dieses ›Gedankengut‹ ist nur im Zuge des ›man wird ja wohl noch sagen dürfen‹ und auch ›wir
      sind das Volk‹ nach oben gespült worden. Die Wegbereiter der Haltung, die hinter Pegida steckt,
      sind eine tief sitzende Verunsicherung bzw. Angst sowie das Gefühl, minderwertig und hilflos zu
      sein.«

   c. »Pegida hat ein Positionspapier mit sechs Politikpunkten vorgelegt. Da ist kein Ton von Feindlich-
      keit in den Punkten ersichtlich. Man ist gegen ungezügelte, ungeregelte Einwanderung, und man
      ist gegen die Einwanderung einer Kultur, die sich der bestehenden Gesellschaft verweigert und
      Parallelgesellschaften aufbaut in teilweise feindlicher Gesinnung zur bestehenden Gesellschaft.
      Wenn man gegen die Politik der Regierenden ist und dagegen friedlich demonstriert und die
      Punkte benennt, die unsere Gesellschaft spalten – ist das systemFEINDLICH?«

   d. »In Art. 20 GG heißt es: ›Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.‹ Ein Recht Fremder auf Einwande-
      rung nach Deutschland auch gegen den Willen der Deutschen gibt es nicht. Wenn das hiesige Volk
      entscheidet, keine Einwanderung oder jedenfalls keine Einwanderung aus dem islamischen ›Nahen
      Osten‹ zuzulassen, dann bedarf es dazu keiner Rechtfertigung oder Begründung; das Volk ist sou-
      verän und entscheidet abschließend – wenn man es lässt. Wie es geht, zeigt die Schweiz.«

   Leserkommentare zu Lenz Jacobsen, ZEIT ONLINE, 28.1.2015, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/
   pegida-oertel-bachmann-streit-kommentar
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     Arbeitsblatt 2
     Zeitgeist: Was gehört zu uns?
     Die »Jüdisch-Christliche Tradition« ist nur ein nettes Konstrukt.

     Deutschland kennt seit Pegida einen neuen Begriff: »Jüdisch-Christliche Tradition«. Der fungiert offen-
     sichtlich als Waffe im neuen Kulturkampf, und zwar wider die Losung: »Der Islam gehört zu Deutschland«.
     Als moralischer Fingerzeig hat diese Maxime durchaus ihren Sinn: um jene zu ernüchtern, die »Islam« mit
     »Islamismus« gleichsetzen oder vier Millionen Muslime allenfalls als Gäste, nicht als »echte« Deutsche
5    betrachten. »Gehört zu« ist eine wässrige Formel. Hat die »Jüdisch-Christliche Tradition« (JCT) höheren
     historischen Gehalt? Wie Popmusik, Sitcoms und Abertausende von Anglizismen ist auch JCT ein Import
     aus Amerika. Dort ist »Judeo-Christian« fest verankert im Kanon der nationalen Befindlichkeit; im hiesigen
     Diskurs kam »christlich-jüdisch« bislang hauptsächlich in der »Woche der Brüderlichkeit« vor.

10   Sucht man nach dem Jüdischen im Deutschen (und Europäischen), fällt eine tausendjährige Geschichte der
     Ausgrenzung ins Auge: Verfolgung, Vertreibung, Ghettoisierung. Der große Religionsstifter Martin Luther
     entwickelte sich zum wütenden Antisemiten. Volle Bürgerrechte erhielten die Juden erst unter Bismarck.
     […] Die JCT, die heute so viele Politiker beschwören, war historisch gesehen ein gar schwächlich Ding.

15   Ganz anders in Amerika. Dort gab es nie eine Staatsreligion, sondern nur Thomas Jeffersons »eiserne
     Mauer der Trennung« zwischen Kirche und Staat. Jefferson wollte im Staatssiegel den Auszug der Kinder
     Israels aus Ägypten festhalten. Vor ihm gedachte John Winthrop, der Begründer des späteren Massachu-
     setts, die »City on a Hill«, also Jerusalem, in der Neuen Welt zu erbauen. Denn: »Der Gott Israels ist unter
     uns.« Das Motto der Freiheitsglocke in Philadelphia – »Verkündet Freiheit im ganzen Land« – kommt aus
20   dem 3. Buch Mose. Die JCT ist also eine uramerikanische Geschichte. Sie wurde zuerst von den Puritanern
     geschrieben, von Protestanten, die die Wurzeln des Christentums in der hebräischen Bibel wiederentdeckt
     hatten. Deshalb nannten sie ihre Kinder Amos und Abraham, Sarah und Rebecca. Im 18. Jahrhundert war
     Hebräisch Pflichtfach in Harvard; im Yale-Wappen steht in hebräischen Lettern »Licht und Wahrheit«. Des-
     halb gab es auch keinen mörderischen Antisemitismus in den USA. Somit hat die JCT einen angestammten
25   Platz in der Geschichte und Gegenwart Amerikas. Hierzulande aber sind die »Jüdisch-Christliche Tradition«
     und »Der Islam gehört zu Deutschland« pädagogisch wertvolle Ermahnungen, die wenig Bezug zur his-
     torischen Wirklichkeit haben. Anderseits klänge der unanfechtbar richtige Satz »Juden und Muslime sind
     Bürger dieses Landes« nicht ganz so sonor, sondern fast schon herablassend.

30   Was gehört denn zu Deutschland? Zuerst und vorweg seine Bürger, egal, welchen Bekenntnisses. Aber
     auch Athen (Philosophie und Poesie), Jerusalem (Wiege der drei Religionen), Rom (Republikanismus und
     Jurisprudenz), Bagdad und Alexandria (Medizin, Mathematik), Florenz (Renaissance), Genf und Witten-
     berg (Reformation), Paris und Königsberg (Aufklärung), London und Edinburgh (Liberalismus). Schändli-
     cherweise auch die Religionskriege und der Terror des Totalitarismus.
35

     Machen Sie Ihre eigene Liste. Out ist nur: Zum Deutschsein gehört der »richtige« Glauben.

     Josef Joffe, DIE ZEIT Nr. 5/2015, http://www.zeit.de/2015/05/juedisch-christliche-tradition-zeitgeist
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes 8

Aufgaben
1. Das Textverständnis klären und historische Bezüge ausarbeiten
   a. Der Autor Josef Joffe bezeichnet die jüdisch-christliche Tradition in Deutschland und Europa als
      »gar schwächlich Ding«, insbesondere das historische Verhältnis des Christentums zum Juden-
      tum. Tragen Sie hierfür Beispiele aus dem Text zusammen, und ergänzen Sie die genannten
      Beispiele durch eigene Überlegungen.
   b. Geben Sie wieder, mit welchen Argumenten der Autor seine These herleitet, eine jüdisch-christli-
      che Tradition habe ihren Ursprung in den USA.

2. Die Herkunft westlicher Werte entschlüsseln
   a. Erstellen Sie in einem Brainstorming-Prozess eine Liste mit Merkmalen, die in Ihren Augen für
      die westliche Kultur kennzeichnend sind (Kultur, Politik, Wissenschaft, Technik, Infrastruktur etc.,
      Missstände wie auch Errungenschaften).
   b. Identifizieren Sie die historischen und weltanschaulichen Wurzeln der Punkte auf Ihrer Liste, ähn-
      lich wie der Autor es mit einigen Beispielen in Zeile 30–34 vornimmt.
   c. Erörtern Sie, welche Wurzeln und Traditionen für die moderne Kultur des Westens gegenwärtig
      am stärksten prägend sein könnten.
   d. Nehmen Sie Stellung zu folgendem Standpunkt:
      »Die europäischen Werte gründen in der griechisch-römischen Antike und der modernen Aufklä-
      rung. Der Beitrag der Kirchen war, höflich gesprochen, ambivalent. […] Erst die Emanzipation von
      der christlichen Dogmatik in Renaissance und Aufklärung schuf die Grundlagen dessen, was wir
      heute das Projekt der Moderne nennen«.
       Quelle: Ralph Bollmann, taz.de, 28.4.2010, http://www.taz.de/!51790

3. Thesen für die Rückbesinnung auf eine abendländische Kultur erstellen
   a. Diskutieren Sie die Aussage des Autors, der Begriff »jüdisch-christliche Tradition« diene als Waf-
      fe im neuen Kulturkampf. Arbeiten Sie heraus, welche Intention dienenigen verfolgen, die diesen
      Begriff ins Feld führen.
   b. Analysieren Sie den Namen der Protestbewegung Pegida: »Patriotische Europäer gegen die Is-
      lamisierung des Abendlandes«. Welche Bezüge werden deutlich, welche implizierten Wertungen
      und Aussagen lassen sich Ihrer Meinung nach daraus ableiten?

4. Den Satz »Der Islam gehört zu Deutschland« erörtern
   Indem Bundeskanzlerin Angela Merkel die Worte des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff
   »Der Islam gehört zu Deutschland« aufgriff, entfachte sie eine bundesweite Debatte.
   a. Notieren Sie Ihre spontanen Gedanken, wenn Sie diese Formulierung hören.
   b. Geben Sie wieder, welche Ansicht Josef Joffe in dieser Frage vertritt.
   c. Fassen Sie kritische Einwände und zustimmende Aussagen zu dieser Kontroverse zusammen.
   d. Beurteilen Sie, inwiefern Angela Merkels Aussage sachlich angemessen und für die dahinterste-
      hende Idee anwendbar ist.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes 9

           Internetseiten zum Thema:
           Pegida, Populismus und der Mythos des Abendlandes

ZEIT ONLINE: Wer ist hier das Volk?
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/pegida-dresden-protest-islamisierung

ZEIT ONLINE: Das Gespenst des Populismus
http://www.zeit.de/politik/2014-04/populismus-demokratie

ZEIT ONLINE: Pegida-Anhänger sind männlich und gut gebildet
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/pegida-demonstranten-studie-tu-dresden

ZEIT ONLINE: Fremdenhass: Pegida ist überall
http://www.zeit.de/2015/01/pegida-abstiegsangst-weimarer-republik

Süddeutsche.de: Woran Sie Populisten erkennen
http://www.sueddeutsche.de/politik/populismus-in-europa-die-da-oben-wir-hier-unten-1.1933215-2

Bundeszentrale für politische Bildung: »Christlich-jüdische Leitkultur«?
http://www.bpb.de/apuz/156781/fallstricke-bei-der-bildungsarbeit-gegen-antisemitismus?p=all

Bundeszentrale für politische Bildung: Populismus
http://www.bpb.de/apuz/75845/populismus

                                                                              Das kostenlose ZEIT-Angebot für Schulen
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IMPRESSUM
Projektleitung: Wiebke Prigge, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Projektassistenz: Miriam Bernhard, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt
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