Italien: Beschäftigungs-ausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbs-fähigkeit gefährdet
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Italien: Beschäftigungs- ausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbs- fähigkeit gefährdet Italien schaffte es in den 90er Jahren trotz schwieriger Ausgangsbedingungen Joachim Volz jvolz@diw.de für die öffentlichen Haushalte mithilfe einer harten Konsolidierungspolitik, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen und Mitglied der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu werden. Dies ging allerdings auf Kosten des Wirtschafts- wachstums. Dabei verschlechterte sich die Arbeitsmarktlage bis weit in die 90er Jahre erheblich. Die Zahl der Erwerbstätigen ging um fast ein Zehntel zurück, und die Arbeitslosenquote stieg von rund 8½ % (1991) auf knapp 12 % (1998). Im Zuge der weltweiten konjunkturellen Erholung gelang es, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2003 wieder auf das frühere Niveau zu senken. Obwohl sich das Wirt- schaftswachstum schon seit 2001 stark abgeschwächt hat, kam es in den ver- gangenen Jahren zu einem deutlichen Beschäftigungsaufbau, der im europäi- schen Vergleich beeindruckend ist. Allerdings mehren sich Befürchtungen, dass für diese Entwicklung das Ende naht. Die italienische Wirtschaft zeigt Schwäche- symptome insbesondere in Hinblick auf die Entwicklung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Bis 1992 hatte sich die außenwirtschaftliche Lage Auch die realen Zinsen gingen zurück und wurden in Italien so zugespitzt, dass es zu einer kräftigen bis 2003 sogar negativ (Abbildung 1). Abwertung der Währung kam. In der Folge verbes- serte sich die Leistungsbilanz bei kräftig steigen- Wie in vielen anderen europäischen Ländern er- den Exporten spürbar, aber die inländische Nach- reichte der Aufschwung im Jahre 2000 seinen Hö- frage blieb schwach; erst 1994 verstärkte sich – im hepunkt. 2001 verschlechterte sich die Lage rasch, Fahrwasser einer erheblich gelockerten Geldpoli- und die Jahre 2002/2003 waren durch eine annä- tik – der konjunkturelle Auftrieb. Die außenwirt- hernde Stagnation geprägt (Tabelle). Dabei ging schaftlich induzierte Aufwärtsentwicklung hielt das Wachstum stärker zurück als in den meisten zunächst auch deswegen an, weil der Anstieg der anderen OECD-Ländern. Seit dem vergangenen Verbraucherpreise und der Lohnstückkosten auf- Jahr hat sich die Konjunktur wieder etwas erholt, grund der Abschaffung der „scala mobile“, der in- bleibt indes weiter schwächer als im Durchschnitt dexgebundenen automatischen Lohnsteigerungen, des Euroraums. im Vergleich zu früheren Aufschwüngen gering blieb. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit konnte Die Beschäftigung entwickelte sich seit 1998 auf- zunächst jedoch lediglich gebremst werden. fallend günstig, obwohl die Wirtschaft seit 2001 nur wenig expandierte oder sogar nahezu stagnierte. Ende der 90er Jahre verbesserten sich die Bedin- Ein etwas detaillierterer Blick auf den Arbeitsmarkt gungen nochmals. Folgende Faktoren begünstig- soll diese Entwicklung und ihre Hintergründe be- ten die wirtschaftliche Entwicklung: leuchten. • Der starke finanzpolitische Konsolidierungs- druck im Zusammenhang mit der Erfüllung der Arbeitsmarkt und Beschäftigung Maastricht-Kriterien ließ nach. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt bereits seit 1996, • Der europaweite konjunkturelle Aufschwung und die Arbeitslosenquote geht seit 1999 kontinu- seit 1997 erhöhte zunächst die Exportnachfrage. ierlich zurück (Tabelle). Dabei ist Italien das ein- zige OECD-Land, in dem in den letzten Jahren die • Bereits mit der Erwartung des Beitritts zur Euro- Beschäftigung deutlich schneller zugenommen hat zone sanken die Zinsen kräftig und deutlich als die Erwerbsbevölkerung.1 Von 2001 bis 2003 stärker als im Euroraum insgesamt. 1 Vgl. OECD Employment Outlook 2004, S. 20. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004 783 A 22127 C 773 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004
Italien: Beschäftigungsausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährdet Abbildung 1 blickend lässt sich dies aus der Statistik jedoch nicht ablesen – die Zahl der Teilzeitbeschäftigten Kurz- und langfristige Zinsen in Italien, stieg nicht nennenswert. Allerdings gibt es keine Deutschland und der EWU 1993 bis 2003 genauen Informationen über die Entwicklung der In % durchschnittlichen Arbeitszeit der Teilzeitbeschäf- Italien tigten. Die durchschnittliche Arbeitszeit aller Be- schäftigten ging von 1999 bis 2003 leicht zurück, 14 Langfristige Zinsen um etwa 1,6 %.2 Die Zahl der Erwerbstätigen ist dagegen seit 1999 um rund 7 % gestiegen, so dass 10 auch das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen – gemessen in Stunden – spürbar zugenommen haben Kurzfristige Zinsen dürfte. Nach Schätzungen der italienischen Noten- 6 bank3 ging der Zuwachs an Beschäftigung in den Jahren 2001 und 2002 zu etwa 85 % auf eine Er- Reale Zinsen höhung der Zahl der unbefristet Vollzeitbeschäf- 2 tigten zurück und zu etwa 15 % auf eine Erhöhung der Zahl der Vollzeitbeschäftigten mit Zeitvertrag. Zinsdifferenz Diese Relation innerhalb des Beschäftigungszu- –2 1993 1995 1997 1999 2001 2003 wachses hat sich bis 2003 noch etwas zugunsten der unbefristet Vollzeitbeschäftigten verschoben. Deutschland Damit liefert der italienische Arbeitsmarkt keine 14 Unterstützung für die Hypothese, dass größere Flexibilität am Arbeitsmarkt – beispielsweise in der Gestaltung der Arbeitszeit oder des Kündigungs- 10 rechts – zu mehr Beschäftigung führt. Langfristige Zinsen Reale Zinsen Kurzfristige Zinsen Wichtigster Grund für die Beschäftigungsauswei- 6 tung waren wohl die von Oktober 2000 bis in das Jahr 2003 hinein gewährten Steuervorteile für Unternehmen im Rahmen der Tremonti-Gesetz- 2 gebung, die unter Wahrung bestimmter Kriterien Zinsdifferenz neue Dauerarbeitsplätze schufen. Die Förderung –2 je neuen Vollzeit-Arbeitsplatz entsprach einem 1993 1995 1997 1999 2001 2003 Betrag von 413 Euro monatlich (im Süden Italiens sogar rund 620 Euro). EWU 14 Die Zunahme der Zahl der registrierten Beschäftig- ten ist teilweise allerdings auch Folge strengerer Kontrollen bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit 10 und einer Überführung der entsprechenden Be- Langfristige Zinsen schäftigungsverhältnisse in den regulären Arbeits- 6 Kurzfristige Zinsen markt mit legalisierenden Übergangsregelungen (vorübergehende Strafbefreiungen, Herabsetzung der Anforderungen an die Arbeitsplatzsicherheit Reale Zinsen 2 u. a.). Zinsdifferenz –2 Produktivitäts- und Lohnstückkosten- 1993 1995 1997 1999 2001 2003 entwicklung unbefriedigend Quelle: OECD. DIW Berlin 2004 Spiegelbild der sich abschwächenden Konjunktur bei weiterem Beschäftigungsaufbau in den letzten Jahren war ein Rückgang der gesamtwirtschaft- stieg die Beschäftigung stärker als das Bruttoin- lichen Produktivität. Eine solche Entwicklung ist landsprodukt – ebenfalls ein in den anderen Län- in Abschwächungsperioden nicht ungewöhnlich: dern nur selten beobachtetes Phänomen. Der Rückgang der Neueinstellungen und die Zu- Der Anstieg der Zahl der Beschäftigten wurde viel- 2 Ebenda, S. 312. fach mit der Zunahme von Teilzeit erklärt; rück- 3 Banca d’Italia, Economic Bulletin, Nr. 25, November 2002, S. 26 f. 784 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004
Italien: Beschäftigungsausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährdet Tabelle Entwicklung wirtschaftlicher Indikatoren in Italien, Deutschland und dem Euroraum 1993 bis 2003 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Italien Bruttoinlandsprodukt, real –0,9 2,2 2,9 1,1 2,0 1,8 1,7 3,0 1,8 0,4 0,3 Inlandsnachfrage –5,1 1,7 2,0 0,9 2,7 3,1 3,2 2,3 1,4 1,3 1,2 Privater Konsum –3,7 1,5 1,7 1,3 3,2 3,2 2,6 2,7 0,8 0,5 1,3 Staatskonsum –0,2 –0,9 –2,2 1,0 0,2 0,2 1,3 1,7 3,9 1,9 2,2 Anlageinvestitionen –10,9 0,1 5,9 3,7 2,1 4,0 5,0 6,9 1,9 1,2 –2,1 Exporte 9,0 9,8 12,6 0,6 6,4 3,4 0,1 9,7 1,6 –3,4 –3,9 Importe –10,9 8,1 9,7 –0,3 10,1 8,9 5,5 7,1 0,5 –0,2 –0,6 Erwerbstätige im Inland –2,5 –1,5 –0,1 0,6 0,4 1,0 1,1 1,9 2,0 1,8 1,2 Standardisierte Arbeitslosenquote (in %) 10,1 11,0 11,5 11,5 11,6 11,7 11,3 10,4 9,4 9,0 8,6 Verbraucherpreise1 4,5 4,2 5,4 4,0 1,9 2,0 1,7 2,6 2,3 2,6 2,8 Leistungsbilanzsaldo (in % des nominalen BIP) 0,8 1,2 2,3 3,2 2,9 1,9 0,7 –0,5 –0,1 –0,8 –1,4 Bruttoschuldenstand (in % des nominalen BIP) 118,7 124,8 124,3 123,1 120,5 116,7 115,5 111,2 110,6 107,9 106,2 Finanzierungssaldo (in % des nominalen BIP) –10,3 –9,3 –7,6 –7,1 –2,7 –2,8 –1,7 –0,6 –2,6 –2,3 –2,4 Deutschland Bruttoinlandsprodukt, real –1,1 2,3 1,7 0,8 1,4 2,0 2,0 2,9 0,8 0,1 –0,1 Inlandsnachfrage –1,1 2,3 1,7 0,3 0,6 2,4 2,8 1,9 –0,8 –1,9 0,5 Privater Konsum 0,1 1,1 2,1 1,0 0,6 1,8 3,7 2,0 1,7 –0,7 0,0 Staatskonsum 0,1 2,4 1,5 1,8 0,3 1,9 0,8 1,1 1,0 1,9 0,1 Anlageinvestitionen –4,4 4,0 –0,6 –0,8 0,6 3,0 4,1 2,7 –4,2 –6,4 –2,2 Exporte –5,5 7,6 5,7 5,1 11,2 7,0 5,5 13,5 5,7 4,1 1,8 Importe –5,5 7,4 5,6 3,1 8,3 9,1 8,4 10,6 1,0 –1,6 4,0 Erwerbstätige im Inland –1,4 –0,2 0,2 –0,3 –0,2 1,1 1,2 1,8 0,4 –0,6 –1,0 Standardisierte Arbeitslosenquote (in %) 7,7 8,2 8,0 8,7 9,7 9,1 8,4 7,8 7,8 8,7 9,6 1 Verbraucherpreise . . . 1,2 1,5 0,6 0,7 1,4 1,9 1,3 1,1 Leistungsbilanzsaldo (in % des nominalen BIP) –0,5 –1,1 –0,8 –0,3 –0,1 –0,3 –1,1 –1,4 0,1 2,2 2,3 Bruttoschuldenstand (in % des nominalen BIP) 46,9 49,3 57,0 59,8 61,0 60,9 61,2 60,2 59,4 60,9 64,2 Finanzierungssaldo (in % des nominalen BIP) –3,1 –2,4 –3,5 –3,4 –2,7 –2,2 –1,5 –1,2 –2,8 –3,7 –3,8 Euroraum Bruttoinlandsprodukt, real –0,8 2,4 2,2 1,4 2,3 2,9 2,8 3,5 1,6 0,8 0,5 Inlandsnachfrage –2,1 2,1 2,1 1,1 1,7 3,5 3,5 3,0 1,0 0,3 1,2 Privater Konsum –0,9 1,4 1,8 1,6 1,5 3,0 3,5 2,8 1,9 0,6 1,0 Staatskonsum 1,5 1,2 0,8 1,7 1,4 1,4 1,8 2,3 2,4 3,1 1,7 Anlageinvestitionen –6,0 2,4 2,4 1,3 2,4 5,2 6,0 4,9 –0,3 –2,7 –0,6 Exporte 0,6 9,0 7,9 4,5 10,5 7,4 5,2 12,2 3,3 1,7 0,1 Importe –4,3 8,4 7,6 3,3 8,9 10,0 7,4 11,1 1,6 0,3 2,1 Erwerbstätige im Inland –1,7 –0,4 0,8 0,2 0,8 2,0 1,8 2,2 1,4 0,6 0,2 Standardisierte Arbeitslosenquote (in %) 10,2 10,8 10,6 10,8 10,8 10,2 9,4 8,4 8,0 8,4 8,8 Verbraucherpreise1 3,4 2,8 2,6 2,3 1,6 1,2 1,1 2,1 2,3 2,3 2,1 Leistungsbilanzsaldo (in % des nominalen BIP) . . . . 0,9 0,3 –0,5 –1,2 –0,2 0,8 0,4 Bruttoschuldenstand (in % des nominalen BIP) 66,2 68,9 73,6 75,2 74,9 74,2 72,7 70,4 69,5 69,4 70,7 Finanzierungssaldo (in % des nominalen BIP) –5,7 –5,1 –5,0 –4,3 –2,6 –2,2 –1,3 –1,0 –1,7 –2,4 –2,7 1 Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). Quellen: Europäische Kommission; Eurostat; Statistisches Bundesamt; EZB; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004 nahme der Entlassungen folgen dem konjunkturel- den letzten Jahren zunehmend von der italienischen len Abschwung zumeist erst allmählich. Dies gilt Industrie beklagt wurde und seinen Ausdruck auch insbesondere bei relativ hohen Entlassungskosten in der Verschlechterung der außenwirtschaftlichen wie in Italien. Der Rückgang der Produktivität ist Lage findet. Der verteilungsneutrale Lohnerhö- dann auch mit einer ungünstigen Lohnstückkos- hungsspielraum wurde dabei in den letzten zehn tenentwicklung verbunden – ein Aspekt, der in Jahren zumeist überschritten (eine Ausnahme war Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004 785
Italien: Beschäftigungsausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährdet Abbildung 2 Abbildung 3 Verteilungsspielraum in Italien, Deutsch- Inlands- und Auslandsnachfrage in Italien land und der EWU 1993 bis 2003 und Deutschland 1993 bis 2003 Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Italien 8 Italien Arbeitnehmerentgelte 15 je Arbeitnehmer 1 6 12 Verteilungsspiel- Auslandsnachfrage raum 2 4 9 6 2 3 0 0 Inlandsnachfrage –2 –3 1993 1995 1997 1999 2001 2003 –6 Deutschland 1993 1995 1997 1999 2001 2003 6 Deutschland Arbeitnehmerentgelte 15 je Arbeitnehmer 1 Auslandsnachfrage 4 12 3 9 Verteilungsspielraum 6 2 3 0 0 1993 1995 1997 1999 2001 2003 Inlandsnachfrage –3 EWU –6 1993 1995 1997 1999 2001 2003 6 Arbeitnehmerentgelte Quellen: Europäische Kommission; OECD; je Arbeitnehmer 1 Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004 4 2 Verteilungsspielraum 1998) – im Gegensatz etwa zu Deutschland, wo 2 der Spielraum deutlich ungenutzt blieb, aber auch zum Euroraum insgesamt, wo er grosso modo an- nähernd ausgeschöpft wurde (Abbildung 2). Die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe stie- 0 1993 1995 1997 1999 2001 2003 gen in den letzten Jahren in Italien etwa doppelt so schnell wie im Euroraum und mehr als dreimal stärker als in Deutschland.4 Dabei entwickelte sich 1 Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr. 2 Inflationswert (1,5 %) plus jahresdurch- zwar die Inlandsnachfrage vergleichsweise etwas schnittlicher Produktivitätsfortschritt im Zeit- besser, die Auslandsnachfrage jedoch deutlich raum 1993 bis 2003 (1,2 %). 3 Inflationswert (1,5 %) plus jahresdurch- schlechter als in Deutschland (Abbildung 3); so ist schnittlicher Produktivitätsfortschritt im Zeit- der Ende der 90er Jahre noch beachtliche Leis- raum 1993 bis 2003 (1,1 %). tungsbilanzüberschuss einem zunehmenden und Quellen: Europäische Kommission; Statistisches inzwischen hohen Leistungsbilanzdefizit gewichen. Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004 4 OECD Employment Outlook 2004, S. 236. 786 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004
Italien: Beschäftigungsausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährdet Die Divergenz bei den Lohnstückkosten schlug Arbeitsmarkt schafft damit tendenziell ein höheres sich auch in der Preisentwicklung nieder. Der Wachstumspotential. Insoweit sind die Arbeits- Preisanstieg – gemessen an der Veränderung des marktreformen durchaus als positiv zu beurteilen. Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) – war im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004 mit rund 2½ % etwa einen halben Prozentpunkt höher Geldpolitische Impulse bei restriktiver als im Euroraum und einen Prozentpunkt höher als Finanzpolitik in Deutschland. Dabei hat die Divergenz im Preis- anstieg in den letzten Jahren zugenommen. Zuletzt Dafür, dass das höhere Potential auch genutzt wird, ging der Verbraucherpreisanstieg allerdings auf ist die Wirtschaftspolitik verantwortlich, insbeson- eine Jahresrate von 2 % zurück. Hier beginnen sich dere die Geld- und die Finanzpolitik. Da Italien offensichtlich die Vereinbarungen der Regierung Mitglied des Euroraums ist, wird die Geldpolitik mit dem Einzelhandel über Preissenkungen auszu- durch die Europäische Zentralbank vorgegeben. zahlen. Italien war dabei in den letzten Jahren im Hinblick auf den Realzins in einer vergleichsweise günsti- gen Lage: Gemessen am HVPI lag die Inflations- Arbeitsmarktpolitische Reformen seit 2002 rate merklich höher als im Durchschnitt des Euro- raums und insbesondere als in Deutschland. Neben Die Regierung Berlusconi hat zu Beginn ihrer Re- den rascher steigenden Lohnstückkosten spielte gierungszeit 2001/2002 eine Reihe von Reformen hier eine Rolle, dass die stark importabhängige in Angriff genommen, wobei allerdings die dama- Wirtschaft Italiens vom Anstieg der Rohstoffpreise ligen zunächst sehr anspruchsvollen Ziele des so- besonders getroffen wurde. Zudem hob der Staat genannten „Paktes für Italien“ nur teilweise er- die administrierten Preise mehrmals deutlich an. reicht wurden. Neben der Reform der Alterssiche- rungs- und Gesundheitsfürsorgesysteme sowie der Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stand Privatisierungs- und Industriepolitik hat die Re- in den letzten Jahren allerdings die Finanzpolitik. gierung vor allem versucht, im Rahmen einer kon- Lag die Defizitquote der öffentlichen Haushalte zu zertierten Aktion Arbeitsmarktreformen voranzu- Beginn der 90er Jahre noch bei fast 12 %, so gelang treiben. Ziel ist es, den Arbeitsmarkt flexibler zu es Italien bis 1997, das Konvergenzkriterium für gestalten und den Produktivitätsanstieg zu erhöhen. die Defizitquote mit 2,7 % zu erfüllen; es schnitt dabei sogar besser ab als Frankreich oder Spanien. Zunächst wurde der bis dahin sehr rigide Kündi- Die Defizitquote erreichte im Jahre 2000 mit 0,6 % gungsschutz gelockert. So sind Kündigungen nun- ihren niedrigsten Stand (Abbildung 4). Wegen der mehr auch möglich, wenn der Personalbestand in- weiterhin hohen Staatsschuld war bis 2003 ein folge von Neueinstellungen die Zahl von fünfzehn Budgetausgleich angestrebt worden. Tatsächlich Arbeitnehmern überschreitet. Damit wurde der Anreiz zu Neueinstellungen bei kleineren Unter- nehmen verstärkt. Gleichzeitig wurden die Dauer Abbildung 4 des Bezuges von Leistungen aus der Arbeitslosen- Entwicklung des Finanzierungssaldos der versicherung auf zwölf Monate verdoppelt und die öffentlichen Haushalte in Italien, Deutsch- Leistungen erhöht; damit verbunden ist aber auch land und der EWU 1993 bis 2003 eine Ausbildungs- und Umschulungspflicht des In % des nominalen Bruttoinlandsprodukts Arbeitslosen. Private Arbeitsvermittlung auch für zeitlich begrenzte Arbeit wurde zugelassen, und –12 die öffentliche Arbeitsverwaltung wurde mit dem Italien Ziel einer effizienteren Vermittlung der Arbeits- losen reformiert – ähnlich wie es in Deutschland angestrebt wird. –8 EWU Reformen am Arbeitsmarkt schaffen – für sich ge- nommen – kaum neue Arbeitsplätze, zumindest –4 nicht in Zeiten durchgängig hoher Arbeitslosigkeit und schwachen Wirtschaftswachstums. Eher schaf- Deutschland fen sie die Voraussetzung dafür, dass es in einem anhaltend kräftigen Aufschwung nicht zu Engpäs- –0 sen kommt. Solche Engpässe könnten inflationäre 1993 1995 1997 1999 2001 2003 Tendenzen und als Reaktion darauf eine restrikti- vere Wirtschaftspolitik auslösen, die das Andauern Quellen: Europäische Kommission; des Aufschwungs beeinträchtigt. Ein flexiblerer Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004 787
Italien: Beschäftigungsausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährdet hat sich die Situation bei den öffentlichen Haushal- wachstum bis 2005 wird zwar etwas schwächer als ten aber vor allem wegen des geringen Wirtschafts- in Frankreich ausfallen, aber stärker als in Deutsch- wachstums verschlechtert: In diesem Jahr wird land. Seit langem diskutierte Reformen wurden rea- auch Italien wieder die 3 %-Grenze überschreiten, lisiert, wenn auch nicht in dem Maße wie ursprüng- und ohne zusätzliche Maßnahmen wäre für das Jahr lich angekündigt. 2005 gar eine Defizitquote von 3,9 % zu erwarten.5 Dieses zunächst nicht ungünstige Bild wird aller- Um unter der 3 %-Grenze zu bleiben, hatte die Re- dings durch eine Reihe von Problemen getrübt, die gierung im Jahre 2001 begonnen, eine Reihe von – die zukünftige Entwicklung belasten. Der Fortgang im Hinblick auf die Defizitberechnung allerdings der Reformen ist politisch immer unsicherer gewor- umstrittenen – Maßnahmen zu beschließen. So gab den. Angesichts der besonders starken und zu- es einen erheblichen Rückfluss von Geldern6 auf- nehmenden Überalterung der italienischen Gesell- grund einer mehrmals verlängerten bzw. erweiter- schaft sind vor allem die Rentenreformen bisher ten Steueramnestie, wobei eine Sonderabgabe auf unzureichend. Die budgetäre Entwicklung wird die Kapitalrückflüsse zusätzliches Geld in das öf- aber auch aus anderen Gründen mittelfristig vor fentliche Budget brachte. Daneben wurden Erlöse Problemen stehen. Die Erfolge in den vergangenen aus dem Verkauf staatlicher Immobilien und aus der Jahren wurden zu einem erheblichen Teil über Ein- Verbriefung künftiger Einnahmen der staatlichen malmaßnahmen erzielt. Es ist unklar, wie die Er- Glücksspielgesellschaften erzielt. träge aus diesen Maßnahmen in Zukunft substitu- iert werden sollen, wozu sich die italienische Re- Neben den Einmalmaßnahmen haben während der gierung gegenüber der Europäischen Kommission letzten Jahre vor allem zwei Dinge geholfen, das verpflichtet hat. Eine Verringerung des strukturel- Defizit einzugrenzen und die Maastricht-Kriterien len Budgetdefizits um – wie gefordert – mindestens einzuhalten: Zum einen entwickelten sich die Steu- einen halben Prozentpunkt würde eine deutlich ereinnahmen aufgrund von Verbreiterungen der restriktivere Finanzpolitik bedeuten. Bemessungsbasis (Abschaffung von zahlreichen Ausnahmetatbeständen) und der verschärften Er- Italien kann allerdings hoffen, dass es aufgrund fassung trotz der wirtschaftlichen Schwäche ver- der schlechten Haushaltssituation in Deutschland hältnismäßig günstig; zum anderen nahmen die und Frankreich und der damit verbundenen Dis- Zinszahlungen auf die Staatsschuld bei laufender kussionen um eine Neuinterpretation des Stabili- Umschuldung wegen im Durchschnitt niedrigerer täts- und Wachstumspaktes mittelfristig mit einer Zinsen ab. Diese Faktoren werden in den nächsten toleranteren Beurteilung durch die Europäische Jahren nicht mehr so wirksam sein können. Im- Kommission rechnen kann. Als alternatives Signal merhin sollen durch eine Neubewertung und den für Haushaltsstabilität brachte der neue italienische teilweisen Verkauf des – nach Einschätzung der Finanzministers Sinicalco kürzlich ins Spiel, sich OECD deutlich unterbewerteten – staatlichen künftig an der britischen Strategie der „golden rule“ Grundbesitzes die Staatsschuld wie auch die Zins- auszurichten, nach der eine Neuverschuldung nur last zur Bedienung der Staatsschuld erheblich ge- im Umfang öffentlicher Investitionen stattfinden senkt werden. Zudem sind bis 2007 weitere Priva- soll. Allerdings dürfte dies auf absehbare Zeit nicht tisierungen in Höhe von rund 25 Mrd. Euro jähr- zu realisieren sein. lich geplant, und im staatlichen Rentensystem soll es deutliche Ersparnisse geben.7 Um bis zum nächs- Aus der Perspektive der italienischen Regierung ten Jahr unter die 3 %-Grenze zu kommen, müsste verständlich ist das starke Drängen auf europäi- Italien allerdings kurzfristig 24 Mrd. Euro einspa- sche Infrastrukturprojekte, wobei man auf europäi- ren oder die Steuereinnahmen erhöhen – Letzteres sche Finanzierungen hofft, die das nationale Bud- stünde indes in deutlichem Widerspruch zu der get im Hinblick auf die Maastricht-Kriterien entlas- versprochenen, aber bis zuletzt immer wieder ver- ten würden. Ein weiteres Motiv der Regierung schobenen Senkung der Einkommensteuersätze. dürfte sein, dass der Anteil der öffentlichen Inves- titionen in Italien im europäischen Vergleich der- Zunehmende wirtschaftliche Probleme 5 Vgl.: Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Auf den ersten Blick scheint die wirtschaftliche Herbst 2004. In: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 43/2004, S. 641. 6 Bis zum Ende der ersten Steueramnestie im Mai 2002 insgesamt 56 Situation in Italien insgesamt nicht schlechter, Mrd. Euro, auf die eine Sonderabgabe von 2,5 % zu entrichten war. sondern in Teilbereichen – insbesondere bei der 7 Insbesondere wird in den Jahren 2008 bis 2013 das Renteneintritts- alter für Männer von heute 57 auf 63 Jahre angehoben. Dies soll nach Beschäftigungsentwicklung, aber auch beim Haus- Angaben der Regierung zu Einsparungen in Höhe von 0,7 % des BIP haltsdefizit – sogar besser zu sein als in den ande- führen; von unabhängigen Experten wird der Effekt jedoch zumeist etwas geringer (auf 0,2 bis 0,4 %) angesetzt. Vgl.: Berlusconi setzt ren beiden großen kontinentaleuropäischen Volks- Rentenreform mit Vertrauensfrage durch. In: Handelsblatt vom 30. Juli wirtschaften. Das voraussichtliche Wirtschafts- 2004. 788 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004
Italien: Beschäftigungsausweitung bei abnehmender internationaler Wettbewerbsfähigkeit gefährdet zeit gering und die öffentliche Infrastruktur immer gegenüber dem Durchschnitt des Euroraums etwa noch unzureichend ist. Auch dies schadet der in- doppelt so schnell. Der Preisanstieg im verarbei- ternationalen Wettbewerbsfähigkeit. Nach Unter- tenden Gewerbe liegt dauerhaft über dem europäi- suchungen der OECD ist die Wettbewerbsfähig- schen Durchschnitt und über dem der Hauptkon- keit ohnehin gerade in dem wichtigen Bereich der kurrenten. Dies könnte eine spürbar restriktivere Hochtechnologie sehr schwach.8 Insgesamt war Ausrichtung sowohl der Lohnpolitik als auch der die Entwicklung der Unternehmensinvestitionen Finanzpolitik erforderlich machen. Zwar inves- außerhalb des Baubereichs in Italien nach dem tierten die Unternehmen – wohl auch aufgrund des Boomjahr 2000 schwächer als in fast allen anderen über viele Jahre aufgestauten Bedarfs – zuletzt wie- europäischen Ländern. Zu diesem Bild gehört der etwas stärker, und ein Produktivitätsanstieg ist ebenfalls, dass immer wieder über ein ineffizien- zu verzeichnen. Nimmt jedoch das binnenwirt- tes Bankensystem und einen hohen Grad an Büro- schaftliche Wachstum nicht rasch entsprechend kratie geklagt wird. kräftiger zu, könnte es mit der über mehrere Jahre realisierten kräftigen Beschäftigungsausweitung rasch zu Ende sein. Helfen könnte dann nur eine Fazit stärkere ökonomische Expansion im Euroraum ins- gesamt. Die außenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Italiens hat sich in den letzten zwei Jahren deut- lich verschlechtert. Die Lohnstückkosten stiegen 8 OECD Economic Survey Italy 2003, S. 40 und S. 198. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004 789
DIW Berlin Wochenbericht Nr. 50/2004 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Aus den Veröffentlichungen des DIW Berlin Impressum Diskussionspapiere Herausgeber Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann (Präsident) Erscheinen seit 1989 Prof. Dr. Georg Meran (Vizepräsident) Dr. Tilman Brück Dörte Höppner PD Dr. Gustav A. Horn Dr. Kurt Hornschild Nr. 454 Prof. Dr. Claudia Kemfert A Computable General Equilibrium Assessment of a Developing Country Dr. Bernhard Seidel Prof. Dr. Viktor Steiner Joining an Annex B Emission Permit Market Prof. Dr. Gert G. Wagner Von Claudia Kemfert und Hans Kremers Prof. Axel Werwatz, Ph. D. Prof. Dr. Christian Wey November 2004 Dr. Hans-Joachim Ziesing Redaktion Nr. 455 Dr. habil. Björn Frank Self-Employment Dynamics Across the Business Cycle: Migrants Versus Dr. Elke Holst Jochen Schmidt Natives Dr. Mechthild Schrooten Von Amelie Constant und Klaus F. Zimmermann Pressestelle November 2004 Renate Bogdanovic Tel. +49-30-897 89-249 presse@diw.de Nr. 456 An Economic Analysis of Security Policies Verlag Verlag Duncker & Humblot GmbH Von Tilman Brück Carl-Heinrich-Becker-Weg 9 November 2004 12165 Berlin Tel. +49-30-790 00 60 Nr. 457 Bezugspreis (unverbindliche Preisempfehlungen) What Causes Cross-Industry Differences of Technical Efficiency? Jahrgang Euro 120,– An Empirical Investigation Einzelheft Euro 11,– Zuzüglich Versandspesen Von Michael Fritsch und Andreas Stephan Abbestellungen von Abonnements November 2004 spätestens 6 Wochen vor Jahresende ISSN 0012-1304 Nr. 458 Bestellung unter www.diw.de Are Migrants More Skilled than Non-Migrants? Repeat, Return and Same-Employer Migrants Konzept und Gestaltung kognito, Berlin Von Jennifer Hunt November 2004 Druck Druckerei Conrad GmbH Oranienburger Str. 172 Nr. 459 13437 Berlin Gewinnen arbeitgeberseitige Entlassungen an Bedeutung? Von Marcel Erlinghagen November 2004 Nr. 460 European Labour Mobility: Challenges and Potentials Von Klaus F. Zimmermann November 2004 Die Volltextversionen der Diskussionspapiere liegen von 1998 an komplett als pdf-Dateien vor und können von der entsprechenden Website des DIW Berlin heruntergeladen werden (www.diw.de/deutsch/produkte/publikationen/ Nachdruck und sonstige Verbreitung – auch auszugsweise – nur mit Quellen- diskussionspapiere). angabe und unter Zusendung eines Belegexemplars an die Abteilung Information und Organisation zulässig. 790 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2004
Sie können auch lesen