Die Bundesfinanzen im Spiegel der Geschichte
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Monatsthema Die Bundesfinanzen im Spiegel der Geschichte Die Finanzgeschichte des Bundes ist geprägt durch die historisch starke Stellung der Kantone. Deren Einfluss widerspiegelt sich in der Bundesgesetzgebung, insbesondere in der Finanzie- rung und Verwendung des Bun- deshaushalts. Dabei bezeichnete bereits der deutsche Finanzwis- senschafter Georg Schanz (1890) den schweizerischen Föderalis- mus als «ein Versuchsfeld für die Erprobung mancher Vehikel des künftigen Fortschritts». Gleich- zeitig wird bei der geschicht- lichen Betrachtung der Bundes- finanzpolitik die Bedeutung des Mit der Errichtung des Bundesstaats ging zwar auch die Erstellung eines Bundeshaushalts seit 1849 einher. Eine eigent- Popitz’schen Gesetzes von der liche Finanzpolitik des Bundes entwickelte sich aber erst allmählich. Im Bild: Allegorie auf den neuen Bundesstaat Schweiz von 1848. Bild: Keystone Anziehungskraft des zentralen Etats und damit der dauernden Verschiebung der Kräfteverhält- Die ersten Versuche einer gesamtschwei- rungs-, Stempel-, Luxus-, Getränke- und zerischen Finanzpolitik datieren bereits vor Erbschaftssteuern fussen sollte.3 nisse zwischen Bund und der Gründung des modernen Bundesstaats Die einheitliche Finanzpolitik scheiterte Kantonen deutlich.1 von 1848. Als durch die französische Inter- wie auch die Helvetik. Ein zentraler Etat und vention die Alte Eidgenossenschaft zusam- ein zentralisiertes Steuersystem, das sich an menbrach, berief man Hans Conrad Finsler den Grundsätzen der Allgemeinheit und der 1798/99 zum ersten Finanzminister der neu Verhältnismässigkeit der Belastung der gegründeten Helvetischen Republik. Das Na- Vermögen und Einkünfte mit dem Steuer- tionalvermögen der bisherigen Stände der baren (Leistungsfähigkeitsprinzip) orien- Eidgenossenschaft wurde per Gesetz vom tierte, standen in zu grossem Widerspruch 23. April 1798 auf die Gesamtrepublik über- zur bisherigen Entwicklung. Unter der tragen – wobei nach dem französischen Ein- Mediationsakte wurde die beschränkte Bun- marsch von den lang angesparten Staats- desgewalt daher in die Hände der Tagsatzung schätzen nicht mehr viel übrig war.2 Finsler – und damit wieder an die Kantone – zu- schlug als Ersatz für den Zehnten auch ein rückgegeben. Jeder Kanton hatte seine Abge- modernes helvetisches Steuer- und Abgabe- ordneten selber zu honorieren. Die übrigen system vor, das auf Vermögens-, Handände- eidgenössischen Auslagen wurden aus den Geldkontingenten der Kantone bestritten, während zur Besoldung der Direktoriallei- tung des besorgenden Landammanns und der beiden eidgenössischen Kanzleibeamten der jeweilige Direktorialkanton aufkommen musste. PD Dr. Christoph A. Martin Weder Schaltegger M.A.HSG, wissenschaft- Erste finanzpolitische Ermahnungen Mitglied der Geschäfts licher Mitarbeiter, Finan- des Bundesrates 1 Vgl. Popitz (1927). leitung, economiesuisse, zen & Steuern, economie- 2 Vgl. von Burg (1917). Zürich suisse, Zürich Mit der Errichtung des Bundesstaats ging 3 Vgl. Weber (1969). zwar auch die Erstellung eines Bundeshaus- 27 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2010
Monatsthema Grafik 1 Mit der Verfassungsrevision von 1874 Einnahmen und Ausgaben des Bundes, 1920–2010 wurde die Finanzierungsgrundlage des Bundes mit der Erhebung des Militärpflicht Ausgaben Einnahmen ersatzes etwas breiter. Gleichzeitig stiegen die Zolleinnahmen mit dem steigenden Waren- In % des BIP 20 verkehr bis 1914 kontinuierlich an. Trotzdem 2. Weltkrieg (1939–1945) litt schon der damalige Bundeshaushalt 18 an struktureller Überlastung, sodass sich der 16 Bundesrat in den Budgetberatungen ge- zwungen sah, die eidgenössischen Räte zu 14 ermahnen: «Wir müssen den festen Ent- 1948: Einführung der AHV 1974: Ölkrise 12 schluss fassen, einzuhalten in diesem Jagen Grosse Depression nach neuen Ausgaben, in diesem gegensei- (1929–1933) 10 tigen Sichüberbieten, das sich jeweils bei der 8 Beratung des Budgets kund gibt und sich auch in zahlreichen Postulaten äussert.» 6 Wenn keine neuen Einnahmen beschafft 1990–1997: Rezessionen 4 der 1990er-Jahre werden könnten, müsse «die Axt an den Wald 1944: Einführung Ab 2008: Finanzkrise der Bundesbeiträge gelegt werden».4 2 direkte Bundessteuer 0 Kriegsgefahr und Weltwirtschaftskrise 1920 1923 1926 1929 1932 1935 1938 1941 1944 1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 Finanzpolitisch war der Bund für die Quelle: Statistisches Lexikon der Schweiz, EFV (2009a,b) / Die Volkswirtschaft Kriegsjahre 1914–1918 nicht vorbereitet, ob- wohl die politischen Spannungen bereits Grafik 2 Jahre vorher sichtbar wurden. Die Ausgaben Defizite des Bundes, 1920–2010 des Bundes schwollen gewaltig an: Landes- verteidigung, Rohstoffversorgung und Ar- beitslosigkeit stellten auch finanzpolitisch ei- In % des BIP 4 ne bisher unbekannte Herausforderung dar.5 Die Finanzierung erfolgte grossenteils durch 2 die Schweizerische Nationalbank (SNB), 0 denn die Zolleinnahmen – die Haupteinnah- mequelle des Bundes – schrumpften kriegs- –2 bedingt stark. Die SNB selbst bezeichnete sich als «Kriegsbank», deren wichtigste Auf- –4 gabe «… in der Diskontierung von Schatzan- Finanzkrise weisungen des Bundes sowie von Wechseln –6 Grosse Depression 1948: Einführung 1974: Ölkrise Krise der 1990er-Jahre der Schweizerischen Bundesbahnen beste- (1929–1933) der AHV –8 he».6 Damit entfachte sich eine inflationäre 1944: Einführung Preisentwicklung: Der Landesindex der Kon- direkte Bundessteuer –10 sumentenpreise erhöhte sich von 100 bei Kriegsausbruch auf 204 bei Kriegsende. Erst –12 2. Weltkrieg (1939–1945) 1916/17 flossen neue Einnahmen aus der am –14 6. Juni 1915 per Volksabstimmung einge- führten einmaligen Kriegssteuer, der ersten 1920 1923 1926 1929 1932 1935 1938 1941 1944 1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 direkten Bundessteuer auf Einkommen und Quelle: Statistisches Lexikon der Schweiz, EFV (2009a,b) / Die Volkswirtschaft Vermögen. Später kamen eine Kriegsgewinn- steuer und dauerhaft die Stempelabgaben dazu. Der Bundesrat nahm die daraus resul- tierenden Haushaltsdefizite aber beinahe halts seit 1849 einher. Eine eigentliche Fi- kommentarlos hin, während über die ange- nanzpolitik des Bundes entwickelte sich aber messene Zentralbankpolitik eine heftige und erst allmählich. Die dem Bund aufgetragenen auch öffentliche Debatte entbrannte.7 Kompetenzen betrafen insbesondere das Mi- Nach der überstandenen Kriegsgefahr litärwesen und im zivilen Bereich die grossen hatten sich mit dem Übergang zum Verhält- Gewässerkorrektionen, den Bau von Alpen- niswahlrecht bei den Nationalratswahlen strassen sowie 1854 die Errichtung der Eidg. 1919 nicht nur die politischen Verhältnisse Technischen Hochschulen (ETH). Finanziert auf der Bundesebene gravierend verändert. 4 Vgl. Weber (1969). wurden die Ausgaben über Zölle, die voll- Auch finanzpolitisch fanden nun eingehende 5 Vgl. Weber (1969). 6 Vgl. SNB (2007). ständig in die Bundeshoheit übergingen, so- Diskussionen über neue Steuer- und Sozial- 7 Vgl. SNB (2007). wie das Postregal. versicherungsprojekte statt – allerdings ohne 28 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2010
Monatsthema Grafik 3 Bundeshaushalt (siehe Grafik 2). Alleine für Entwicklung der Schulden ausgewählter Länder, 1920–2010 die Landesverteidigung mussten 8,2 Mrd. Franken aufgewendet werden. Die Ausgaben- USA Grossbritannien Schweiz quote erhöhte sich dabei von knapp 10% auf Japan Kanada etwa 19% des damaligen Sozialprodukts. Die finanzpolitischen Fehler der Kriegsjahre In % des BIP 1914–1918 wollte der Bundesrat jedoch ver- 260 meiden. Gestützt auf die besonderen Voll- 240 machten beschloss er am 12. Januar 1940 die 220 Erhebung einer Kriegsgewinnsteuer zur Fi- 200 nanzierung der Sonderlasten. Rasch wurden 180 weitere Steuerquellen erschlossen: zwei 160 Wehropfer, ein Auswandererwehrbeitag, eine 140 Luxussteuer, die Wehrsteuer, die Warenum- satzsteuer und als Begleitmassnahme zur 120 Steueramnestie von 1944 die Verrechnungs- 100 steuer. Die drei letzteren Fiskalinstrumente 80 wurden später zur Grundlage des Wohl- 60 fahrtsstaats.9 40 Die fehlenden Mittel besorgte sich der 20 Bund über Kreditaufnahme, sodass 1946 die öffentliche Schuld des Bundes ein Ausmass 0 von 8,7 Mrd. Franken annahm – gegen 60% 1920 1923 1926 1929 1932 1935 1938 1941 1944 1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 des Sozialprodukts (vgl. Grafik 3). Der dama- Quelle: Chantrill (2009), OECD (2009), Statistics Bureau of Japan (2009), HM Treasury (2009), Maddison (2003), lige Bundesrat und Vorsteher des Eidgenös- Masson und Mussa (1995), Statistisches Lexikon der Schweiz / Die Volkswirtschaft sischen Finanzdepartements, Ernst Wetter, hatte zwar Bedenken gegen die häufigen Kre- ditforderungen der Armeeleitung angemel- det, fügte sich jedoch letztlich dem Druck des umgehende Implementierung. Die Zollein- Faktischen. nahmen stiegen nämlich unerwartet stark an, sodass den Bund spätestens ab 1924 keine Nachkriegszeit: Getrennte Fiskalhohei unmittelbaren Finanznöte mehr plagten ten für Bund und Kantone scheitern (siehe Grafik 1). Ab 1929 veränderte sich die Lage aller- Die Nachkriegszeit ist finanzpolitisch cha- dings wieder: Die Weltwirtschaftskrise stra- rakterisiert durch das Bemühen des Bundes- pazierte auch den Bundeshaushalt. Führende rates, die während der Kriegsjahre über Voll- Kreise des Landes waren der Meinung, dass machten erschlossenen Steuerquellen nun das Budgetgleichgewicht über verschärfte permanent in der Verfassung zu verankern. Einsparungen und Mehreinnahmen und der Die Hoffnung von Wissenschaft, Wirtschaft, Frankenkurs über Einhaltung des Gold Parteien, Presse und Behörden war zunächst, standards einzuhalten seien. Daraufhin ent- eine neue und dauernde Abgrenzung der Fi- spann sich eine Debatte um die «Deflations- nanzhoheit und eine klare Ausscheidung der politik», die am 26. September 1936 mit der Steuerquellen zwischen Bund und Kantonen Abwertung des Schweizer Frankens um 30% zu etablieren. Doch bereits die Botschaft des endete.8 Bundesrates vom 22. Januar 1948 sah nur ei- Mit der aufkommenden Kriegsbedrohung ne Fortführung des Vollmachtenregimes vor: wendete sich die Finanzpolitik: Insbesondere Neben den Stempelsteuern, den Tabak- und zur Verstärkung der Landesverteidigung Umsatzsteuern war auch die Erhebung einer wurden Kredite gesprochen und zu deren Einkommen- und Vermögensteuer vorgese- Deckung eine «Ausgleichssteuer» auf den hen. Da auch dieser Vorschlag mit der Volks- Umsätzen des Grosshandels eingeführt. Eine abstimmung vom 4. Juni 1950 abgelehnt umfassendere Finanzreform, die eine verfas- wurde, konnte man sich nur auf eine Verlän- sungsmässige Grundlage für die durch Not- gerung des bisherigen Fiskalregimes einigen. recht eingeführten Steuern zu schaffen ver- Beflügelt durch die konjunkturelle Erho- suchte, scheiterte allerdings 1938 genauso lung entwickelten sich die Steuereinnahmen wie die vorgeschlagene «Ausgabenbremse». überraschend stark, insbesondere die Wehr- und Warenumsatzsteuer. Damit ergab sich auch kein Druck, auf der Ausgabenseite eine Die Erschliessung neuer Steuerquellen Rückführung auf das Vorkriegsniveau zu er- 8 Vgl. SNB (2007). Die unmittelbaren Kriegsjahre 1939–1945 reichen; es wurden sogar neue Ausgaben zur 9 Vgl. SBG (1963). bedeuteten eine immense Belastung für den Sanierung der SBB wie auch zur Finanzie- 29 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2010
Monatsthema rung der per 1. Januar 1948 eingeführten ne eigentliche Finanzreform mit getrennten AHV beschlossen. Damit bestätigte sich für Fiskalhoheiten von Bund und Kantonen die Schweiz der von Peacock und Wiseman konnte jedoch trotz mehrmaligem Bemühen (1961) beschriebene Niveauverschiebungs- für eine umfassende Finanzordnung nie eine oder Sperrklinkeneffekt der Staatsausgaben, Mehrheit gefunden werden. 10 Vgl. Frey (2007). die sich von Krise zu Krise treppenartig er- 11 Vgl. SBG (1963). höhen. Alles in allem gelang es dem Bund, 12 Für eine Übersicht vgl. Balastèr (2009). Finanzpolitik im Dienste der die Finanzrechnung nach dem Krieg über 13 Vgl. CESifo Forum (2009/2). Konjunkturstabilisierung? 14 Vgl. Schaltegger und Weder (2009). lange Jahre ausgeglichen zu gestalten. Für ei- Im Gegensatz zu den 1930er-Jahren ver- suchte der Bund in der Nachkriegszeit expli- Kasten 1 zit, eine antizyklische Finanzpolitik zur Konjunkturstabilisierung zu betreiben. Man Chronologie der Steuerpolitik des Bundes wollte aus den finanz- und wirtschaftspoli- tischen Fehlern der Weltwirtschaftskrise die 1848 Erhebung von Zöllen bei gleichzeitiger licher Personen wird aufgehoben und die Entschädigung der Kantone durch Beteili- Grundsätze des Finanzausgleichs in die richtigen Lehren ziehen. Die Grundlage da- gung am Bundeszollertrag; Kompetenz Verfassung übernommen. für fusste auf den 1947 und 1978 gelegten zur Erhebung kantonaler Geldkontingente 1974 Bundesgesetz zum Ausgleich der Folgen Wirtschaft- bzw. Konjunkturartikeln in der (werden nur einmal im Jahre 1849 erho- der kalten Progression bei Erreichen einer Bundesverfassung (BV Art. 31quinquies) und der ben). akkumulierten Teuerung von 7% seit der 1874 Erhebung des Militärpflichtersatzes; letzten Anpassung. verfassungsmässigen Neuausrichtung des Aufhebung der Kantonsanteile der 1977 Volk und Stände verwerfen die Neuord- Finanzhaushalts (BV Art. 42bis) von 1958.10 Bundeszolleinnahmen. nung der Umsatzsteuer (Übergang der Bereits in seiner Botschaft zur Staatsrech- 1885 Alkoholmonopol des Bundes mit entspre- Warenumsatzsteuer zur Mehrwertsteuer) nung 1951 berief sich der Bundesrat auf die- chender Kompetenz zur Steuererhebung. und der direkten Bundessteuer (Ablösung 1915 Erhebung einer einmaligen eidgenös- der Wehrsteuer), nehmen aber gleichzeitig se finanzpolitische Maxime: «Auf die ein- sischen Kriegssteuer auf Vermögen und die Grundsätze der formellen Steuer fachste Formel gebracht, geht die Forderung Erwerb natürlicher Personen und vom harmonisierung unter den Kantonen an. dahin, der Staat solle in Zeiten der Voll Kapital juristischer Personen für die Jahre 1978 Aufnahme des Konjunkturartikels in der 1916/1917. beschäftigung Überschüsse erzielen und sich Bundesverfassung und damit Befugnis, 1916 Erhebung einer Kriegsgewinnsteuer auf fiskalpolitische Instrumente zur Konjunk- in Krisenzeiten eher verschulden.»11 Insbe- dem Mehrertrag, den Handel, Gewerbe und turstabilisierung einzusetzen. sondere der drastische Konjunktureinbruch Industrie in den Jahren 1915–1920 gegen- 1979 Ablehnung der Neuordnung der Umsatz- nach der Ölkrise mit einem schrumpfenden über den Jahren 1912–1913 erzielen. steuer und der direkten Bundessteuer von 1919 Erhebung einer neuen ausserordentlichen Volk und Ständen. Sozialprodukt von über 7% in den Jahren Kriegssteuer auf Vermögen, Erwerb, 1984 Volk und Stände stimmen einer Schwer 1974–1976 wurde vom Bund mit drei Ar- Kapital und Ertrag für die Jahre 1921/24, verkehrsabgabe und einer Autobahn beitsbeschaffungsprogrammen zur Krisen- 1925/28 und 1929/32. vignette zu. bekämpfung begleitet. Weitere Stabilisie- 1921 Erhebung einer Stempelabgabe auf 1990 Die Bundesgesetze über die direkte Bun- Coupons. dessteuer (DBG) und über die Harmonisie- rungsprogramme folgten in den Rezessionen 1925 Tabakbesteuerungskompetenz für Alters- rung der direkten Steuern der Kantone und 1978, 1982, 1991, 1993, 2003 und 2008/09.12 und Hinterlassenenversicherung (AHV). Gemeinden (StHG) werden angenommen. Die Umsetzung einer auf den Gedanken 1934 Erhebung der eidgenössischen Krisen 1993 Volk und Stände stimmen dem Wechsel von von Keynes (1936) basierenden, koordi- abgabe auf dem Erwerb natürlicher der Warenumsatzsteuer zu einer Mehrwert- Personen und dem Reingewinn von Aktien- steuer zu. nierten und antizyklischen Finanzpolitik war gesellschaften, Genossenschaften; 1994 Volk und Stände stimmen der Erhebung in der Schweiz mit der ausgeprägten Autono- Erhebung einer allgemeinen Getränke einer leistungs- und verbrauchsabhän- mie der Kantone, dem spezifischen Verhält- steuer ohne Belastung des einheimischen gigen Schwerverkehrsabgabe zu. nis der Bürger zu ihren Institutionen der Weins und Mosts. 1996 Einführung des MWST-Sondersatzes für die 1940 Gestützt auf Vollmachtenbeschluss von Hotellerie. direkten Demokratie und der daraus resul- 1939: Erhebung eines einmaligen Wehr 1997 Unternehmenssteuerreform 1997 wird von tierenden zweckgerichteten und zweckge- opfers auf das Vermögen der natürlichen den eidgenössischen Räten gutgeheissen: bundenen Finanzierung öffentlicher Leis Personen begleitet durch eine allgemeine Übergang zum Proportionaltarif von tungen freilich immer nur beschränkt Steueramnestie, einer Wehrsteuer auf Ein- 8,5% für juristische Personen; Abschaf- kommen, Vermögen, Reingewinn, Kapital fung Kapitalsteuer; Beteiligungsabzug realisierbar. Dies war mit den entsprechenden und Reserven sowie einer Warenumsatz- für Holdinggesellschaften. Vor- und Nachteilen verbunden, die später in steuer (sogenannte «Ausgleichssteuer»). 2000 Gestützt auf die Aufhebung des Spiel- der wissenschaftlichen Literatur eingehend 1941 Erhebung eines Auswanderer-Wehrbeitrags bankenverbots wird eine Spielbanken auf das Vermögen von Auswanderern abgabe auf dem Bruttoertrag eingeführt. diskutiert wurden.13 Trotzdem schneidet die schweizerischer Nationalität. 2004 Volk und Stände nehmen die Neuordnung verfolgte Finanzpolitik über die letzen 60 1941 Erhebung einer Luxussteuer auf Umsätzen der Aufgabenteilung und des Finanzaus- Jahre bezüglich Stabilisierungswirkung nicht im Detailhandel. gleichs zwischen Bund und Kantonen an. schlecht ab. Die Bundesfinanzpolitik verhielt 1944 Erhebung einer rückerstattbaren Verrech- 2004 Einführung eines Steuerrückbehalts für nungssteuer auf der Quellenwehrsteuer alle Zinszahlungen aus der Schweiz an eine sich in allen Rezessionen antizyklisch – die zum Zwecke der Erhöhung der Steuer natürliche Person mit EU-Wohnsitz (Zins- Kantone in etwas mehr als der Hälfte der Re- ehrlichkeit bei gleichzeitiger allgemeiner besteuerungsabkommen). zessionsjahre mit steigender Tendenz.14 Steueramnestie. 2008 Volk und Stände nehmen die Unterneh- 1958 Volk und Stände stimmen einer neuen menssteuerreform II zur Dividendenent Finanzordnung zu. Die durch den Voll- lastung an. NFA und Übergang zur regelgebundenen machtenbeschluss erschlossenen Wehr- und Warenumsatzsteuern werden in die Finanzpolitik Verfassung aufgenommen und sind ab Quelle: Daten aus der Geschichte der Bundessteuern, Die aktuelle Finanzpolitik des Bundes ist 1959 in Kraft. Die Vermögensteuer natür- ESTV (2004). durch zwei grosse Reformprojekte gekenn- 30 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2010
Monatsthema zeichnet: die Neugestaltung des Finanzaus- worfen. Die 1995 angenommene Ausgaben- gleichs und der Aufgabenteilung (NFA) sowie bremse zeigte wenig Wirkung, sodass es eines die Schuldenbremse. Seit dem 1. Januar 2008 ausgereifteren Vorschlags bedurfte, der am ist die NFA in Kraft. Das bis Ende 2007 gel- 2. Dezember 2001 mit über 85%-Ja-Stim- tende Transfersystem zwischen Bund und men-Anteil angenommen wurde.17 Konzep- Kantonen war historisch gewachsen und tionell konnte man auf kantonale Erfah- schon oft Gegenstand bundesrätlichen Re- rungen zurückgreifen. So kannte der Kanton formwillens: Bereits 1938 unterbreitete eine St.Gallen bereits seit 1929 eine regelgebun- Expertenkommission ihre Vorstellungen zur dene Finanzpolitik mit entsprechend posi- Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund tiven Auswirkungen auf die Verschuldung. und Kantonen. Da keine klare Trennlinie ge- Der Schuldenabbau der vergangenen Jahre funden werden konnte, unterblieb jedoch ist neben der guten Konjunktur vor allem eine grössere Reform.15 1958 fand dann der auch auf die Schuldenbremse und ihre Um- Artikel zur «Förderung des Finanzausgleichs» setzung über zwei Entlastungsprogramme schliesslich Aufnahme in der Verfassung (BV (EP03 und EP04) zurückzuführen. Die Kasten 2 Art. 42ter). Über die Jahre bildete sich damit Schulden des Bundes konnten seit 2004 um eine zunehmende Zentralisierung der staat 13 Mrd. Franken reduziert werden. Die Er- Literatur lichen Aufgabenerfüllung heraus. Der Voll- gänzungsregel zur Regelbindung der Ausga- zugsföderalismus über Verbundaufgaben ben im ausserordentlichen Haushalt ist seit − Balastèr, P. (2009), Die konjunkturpoli- und Verbundfinanzierungen zwischen Bund Anfang 2010 in Kraft und verhindert auch tisch motivierte Finanzpolitik des Bundes seit 1975, in: Die Volkswirtschaft 82(3), und Kantonen verwischte mehr und mehr hier eine unkontrollierte Schuldenentwick- S. 26–30. die Aufgaben- und Einnahmenverantwor- lung. − Burg, W. von (1916), Die Entwicklung tung und etablierte adverse Anreize mit ent- Inwiefern die Schuldenbremse langfristig der schweizerischen Bundesfinanzen sprechend ineffizienter Mittelverwendung. den Finanzhaushalt des Bund ausgeglichen 1848–1912, Tanner, Bern. − CESifo Forum 10/2 (2009), Fiscal Policy Mit der NFA konnten Aufgaben und halten kann, bleibt abzuwarten. Nach der in Recession, CESifo, München. Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen Überwindung der Finanz- und Wirtschafts- − Feld, L.P. (2009), Braucht die Schweiz eine im Sinne der fiskalisch äquivalenten Finan- krise wird der Fokus von der Stabilisierungs- materielle Steuerharmonisierung?, econo- miesuisse, Zürich. zierung wieder entflochten und somit die politik wieder auf die langfristige Tragfähig- − Frey (2007), Die Finanzpolitik des Bundes Grundlage für eine effizientere Aufgabener- keit der Staatsverschuldung zu lenken sein. seit 1960. Bericht im Auftrag der Kommis- füllung gelegt werden. Durch das neu konzi- Die kommenden Jahre werden damit eine sion für Konjunkturfragen. Basel: CREMA. pierte Ausgleichssystem wurden ausserdem Bewährungsprobe für den Erfolg der schwei- − Keynes, J.M. (1936), The General Theory of Employment, Interest and Money. London: zentrale Fehlanreize des alten Finanzaus- zerischen regelgebundenen Finanzpolitik MacMillan. gleichs beseitigt. Im Vordergrund stand dabei darstellen.18 m − Peacock, A.T., und J. Wiseman (1961), der Ersatz der zweckgebundenen Finanz- The Growth of Public Expenditures in the kraftzuschläge durch zweckfreie Beiträge. Für United Kingdom, Princeton University Press, Princeton. die Effizienzwirkungen des neuen Systems − Popitz, J. (1927), Der Finanzausgleich, in: wird es aber letztlich entscheidend sein, wel- W. Gerloff und F. Meisel (Hrsg.), Handbuch chen marginalen Abschöpfungsraten sich die der Finanzwissenschaft, Bd. 2, Tübingen, Kantone aufgrund des horizontalen Ressour- 338–375. − Schaltegger, C.A., und M. Weder (2009), cenausgleichs gegenüberstehen. Steigt durch Fiskalpolitik als antizyklisches Instrument? eine Neuansiedlung von Unternehmen die Eine Betrachtung der Schweiz, Crema- Wirtschaftskraft eines Kantons marginal an Working Paper Nr. 2009/24. und schlägt sich positiv im Ressourcenindex − Schanz, G. (1890), Die Steuern der Schweiz in ihrer Entwicklung seit Beginn des nieder, muss dieser Kanton einen marginal 19. Jahrhunderts (1890, 5 Bände). höheren Betrag in den horizontalen Ressour- − Schweizerische Bankgesellschaft (1963), cenausgleich zahlen bzw. erhält geringere Be- Ein Vierteljahrhundert Bundesfinanzen, SBG, Zürich. träge ausbezahlt. Dadurch sinkt der Anreiz, − Schweizerische Nationalbank (2007), Die die eigene Steuerbasis zu pflegen.16 Das Prin- Schweizerische Nationalbank 1907–2007, zip der fiskalischen Äquivalenz wurde seit Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich. der Volksabstimmung zur NFA vom 28. No- − Wagner, A. (1892), Grundlegung der politischen Ökonomie, C.F. Winter’sche vember 2004 wieder mehrfach durchbro- Verlagshandlung, Leipzig. chen, beispielsweise in der Bildungs- und − Weber, M. (1969), Geschichte der schwei- Familienpolitik. Weiterhin dominiert also zerischen Bundesfinanzen, Bern, Paul das Prinzip des Ausgleichs und der Umver- Haupt. − Weder, M., und C.A. Schaltegger (2009), teilung vor der Frage der adäquaten Zutei- Verschuldungsprobleme als Herausforde- lung der Ausgaben- und Einnahmenkompe- rung nach der Krise, economiesuisse, Zü- tenzen. rich. Auch die 2003 auf Bundesebene einge- führte Schuldenbremse zur Regelbindung 15 Vgl. Weber (1969). der Finanzpolitik hatte ihre Vorläufer. Ausga- 16 Vgl. Feld (2009). 17 Vgl. Frey (2007). benbremsen wurden bereits 1953, 1956 und 18 Vgl. Weder und Schaltegger (2009). 1974 dem Volk vorgelegt, jedoch jeweils ver- 31 Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 1/2-2010
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