Die deutsch-österreichische Strompreiszone - das europäische Paradebeispiel für die Integration von nationalen Energiemärkten steht vor dem Aus

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ÖGfE Policy Brief 07’2016
Die deutsch-österreichische Strompreiszone –
das europäische Paradebeispiel für die Integration
von nationalen Energiemärkten steht vor dem Aus
Von Martin Graf und Philipp Irschik
Wien, 22. Februar 2016
ISSN 2305-2635

Handlungsempfehlungen
   1. Die Österreichische Politik ist gefordert sich für den Erhalt der deutsch-
      österreichischen Strompreiszone einzusetzen und die Vorteile eines
      gemeinsamen Marktgebietes aufzuzeigen.

   2. Allfällige Netzengpässe sind durch bewährte kosteneffiziente und EU-
      rechtskonforme Lösungen zu lösen – notwendige Netzausbaumaßnahmen,
      insbesondere innerhalb Deutschlands, Polens und der Tschechischen Republik,
      sind zu forcieren.

   3. Die Integrationsbestrebungen im Energiebereich mit dem Ziel der Etablierung
      eines freien, unbeschränkten europäischen Energiebinnenmarktes sind
      fortzuführen und aktiv zu verfolgen.

Zusammenfassung
Seit 2002 steht die deutsch-österreichisch-luxem-                  europäischen Energiebinnenmarktes auf dem Prüf-
burgische Strompreiszone für einen freien, unbe-                   stand. Nationale Interessen spielen dabei genauso
schränkten und grenzüberschreitenden Stromhandel                   eine Rolle wie die Frage, wie europäisch es in Ener-
in der Mitte Europas. Mit der kürzlich veröffentlichten            gieangelegenheiten zukünftig zugehen soll.
ACER-Stellungnahme steht das Erfolgsbeispiel eines

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ÖGfE Policy Brief 07’2016

                                        Die deutsch-österreichische Strompreiszone –
                                        das europäische Paradebeispiel für die Integration
                                        von nationalen Energiemärkten steht vor dem Aus
                                        Bedeutung und Konsequenzen einer Auftrennung in zwei Preiszonen
                                                               Einleitung:                                    Die „Energiewende“ führt zu einer
                                                                                                                Diskussion um den Erhalt der
                                           Ein Paradebeispiel für die Marktintegration von                            Strompreiszone
                                        nationalen Energiemärkten stellt das seit dem
                                        Jahr 2002 etablierte deutsch-österreichisch-lu-                      Im Zuge des Ausbaus von dezentralen, erneuer-
                                        xemburgische Marktgebiet dar. Gekennzeichnet                     baren Energieträgern sind die Anforderungen an die
                                        durch einheitliche Großhandelspreise und gut                     leitungsgebundene Netzinfrastruktur in den letzten
                                        ausgebaute, grenzüberschreitende Übertragungs-                   Jahren kontinuierlich gestiegen. Vor allem das inner-
                                        kapazitäten bildet es die größte zusammenhän-                    deutsche Gefälle zwischen den Erzeugungszentren
                                        gende Strompreiszone1 innerhalb Europas. Damit                   im Norden und Nordosten Deutschlands und den
                                        trägt es, so die deutsche Monopolkommission,                     Lastschwerpunkten mit den Verbrauchszentren in
                                        wesentlich zur Versorgungssicherheit zwischen                    Süddeutschland stellt die Transportkapazitäten ver-
                                        den „elektrischen Nachbarn“ bei2. Zudem er-                      stärkt auf die Probe. Dabei stößt das innerdeutsche
                                        möglicht es einen effektiven Ausgleich bei der                   Stromnetz immer öfter an seine kapazitätsmäßigen
                                        Einspeisung dargebotsabhängiger erneuerbarer                     Grenzen da bestehende Netzverbindungen überlas-
                                        Energieträger und fördert die Entstehung eines                   tet und geplante Transportkapazitäten fehlen bzw.
                                        wettbewerblichen Erzeugermarktes3. Im europäi-                   deren Ausbau stockt. So wurden von jenen im deut-
                                        schen Kontext stellt es jenes Erfolgsbeispiel eines              schen Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG 2009)
                                        freien, unbeschränkten Energiebinnenmarktes                      als vordringlich eingestuften 23 Vorhaben mit einer
                                        dar, wie es die Europäische Kommission mit ihrer                 Gesamtlänge von 1.876 Kilometern bis Ende 2015
                                        Zielsetzung einer gesamteuropäischen, solidari-                  nur 558 Leitungskilometer oder 29 Prozent gebaut5.
                                        schen Energie-Union vorsieht4.                                   Zusätzlich stocken die im deutschen Netzentwick-
                                                                                                         lungsplan Strom auf 3.050 Kilometern vorgesehenen
                                                                                                         Optimierungs- und Verstärkungsmaßnahmen auf Be-
                                                                                                         standstrassen. Zeitgleich verzögern sich die auf 2.750
                                                                                                         Kilometern geplanten Neubaumaßnahmen aufgrund
                                                                                                         eines oftmals noch ungeklärten Trassenverlaufs6,
                                                                                                         dem Widerstand von Bürgerinitiativen und einer ge-
                                                                                                         setzlich vereinbarten Vorrangregelung für Erdkabel7.
                                        1)   In der Fachsprache wird von „Gebotszone“ gesprochen.

                                        2) BMWi (2015): „Energie der Zukunft: Vierter Monitoring-Be-     5)   Bundesnetzagentur (2015): Dpa-Interview mit dem
                                        richt zur Energiewende“, S. 63.                                  Präsidenten der Bundesnetzagentur Jochen Homann vom
                                                                                                         29.12.2015
                                        3)   BMWi (2015): „Energie der Zukunft: Vierter Monitoring-Be-
                                        richt zur Energiewende“, S. 63.                                  6)   Der Netzentwicklungsplan Strom in Deutschland legt nur An-
                                                                                                         fangs- und Endpunkte aber keinen konkreten Trassenverlauf fest.
                                        4)   Energie Allianz Austria (2015): „Der Kampf um den gemein-
                                        samen Strommarkt“, S. 14.                                        7)   Beschluss des deutschen Bundeskabinetts vom 07.10.2015

2                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 07’2016
   „Ein großer Teil des in Österreich ge-                        zitäten für die „Ringflüsse“, also ungeplante Strom-
kauften und aus Deutschland importierten                         flüsse über Polen und Tschechien nach Österreich,
Stroms gelangt physikalisch nicht mehr über                      verantwortlich sind.
das deutsche Übertragungsnetz nach Öster-
reich, sondern über das polnische und tsche-                         Am 23. September 2015 veröffentlichte ACER
chische Übertragungsnetz.“                                       eine rechtlich unverbindliche Stellungnahme10, in
                                                                 welcher die Existenz von „strukturellen Engpässen“
    Die Konsequenz daraus sind regelmäßig auf-                   an der deutsch-polnischen, deutsch-tschechischen
 tretende Kapazitätsengpässe im deutschen                        und tschechisch-österreichischen Grenze sowie
 Stromnetz und ungewollte Lastflüsse über die                    innerhalb Deutschlands bescheinigt wird. Damit
 Übertragungsnetze von Nachbarstaaten beim                       kommt die Agentur zu dem Schluss, dass die Ver-
 Stromtransport innerhalb der deutsch-österrei-                  bindungen zwischen den nationalen Übertragungs-
 chisch-luxemburgischen Preiszone. Anders gesagt:                netzen dieser Staaten wegen unzureichender Ka-
 Ein großer Teil des in Österreich gekauften und aus             pazitäten der Verbindungsleitungen und/oder der
 Deutschland importierten Stroms gelangt physika-                betroffenen nationalen Übertragungsnetze nicht
 lisch nicht mehr über das deutsche Übertragungs-                alle Stromflüsse im Rahmen des von den Marktteil-
 netz nach Österreich, sondern über das polnische                nehmern gewünschten stattfindenden Stromhan-
 und tschechische Übertragungsnetz. Physikalische                dels bewältigen können.
 und handelsseitige Stromflüsse klaffen – auch auf-
 grund der bedingten Steuerbarkeit von elektrischer                       „Bestehende und bewährte Abhilfemaßnah-
 Energie – auseinander. Diese „Ringflüsse“ (eng-                       men wie der „Redispatch“ von Kraftwerken
 lisch: „loop-flows“), gefährden aus Sicht osteuro-                    sind nach ACER-Ansicht unzureichend und
 päischer Netzbetreiber mittlerweile den sicheren                      durch eine ständige Kapazitätsallokation an der
 Systembetrieb und erfordern eine Beschränkung.                        deutsch-österreichischen Grenze zu ersetzen.“

      Die Rechtmäßigkeit der deutsch-                               Bestehende und bewährte Abhilfemaßnah-
      österreichisch-luxemburgischen                             men wie der „Redispatch“ von Kraftwerken sind
        Preiszone auf dem Prüfstand                              nach ACER-Ansicht unzureichend und durch eine
                                                                 ständige Kapazitätsallokation an der deutsch-
    Vor diesem Hintergrund stellte die polnische                 österreichischen Grenze zu ersetzen. Die Agentur
 Energieregulierungsbehörde URE im Dezember                      unterstützt damit die Ansicht der polnischen Ener-
 2014 einen Antrag bei der europäischen Energie-                 gieregulierungsbehörde, dass die bestehenden
 regulierungsbehörde ACER8 auf Überprüfung der                   Allokationsregeln im deutsch-österreichisch-luxem-
 Konformität der Allokationsregeln an der deutsch-               burgischen Marktgebiet der EU-Verordnung (EG)
 österreichischen Grenze mit der EU-Verordnung                   714/2009 widersprechen.
 (EG) 714/20099. Konkret ging es dabei um die Fra-
 ge ob die fehlende Bewirtschaftung der Netzkapa-

                                                                 10)   Opinion of the Agency for the Cooperation of European
                                                                 Energy Regulators No 09/2015 (23.09.2015), on the compliance
 8)   Agency for the Cooperation of Energy Regulators (ACER)     of national regulatory authorities’ decisions approving the me-
                                                                 thods of allocation of cross-border transmission capacity in the
 9)   Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parla-       central-east Europe region with regulation (EC) No 714/2009
 ments und des Rates vom 13.07.2009 über die Netzzugangs-        and the guidelines on the management and allocation of
 bedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und       available transfer capacity of interconnections between national
 zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003.                systems contained in annex I thereto.

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                                            Die Energieregulierungsbehörden der betrof-                  übung von Marktmacht führen11. Ebenso würde die
                                         fenen Staaten – konkret aus Deutschland, Polen,                 Geschäftsgrundlage von Pumpspeicherkraftwer-
                                         der Tschechischen Republik und Österreich sowie                 ken sowie von getätigten Infrastrukturinvestitionen
                                         deren Übertragungsnetzbetreiber – sind nun auf-                 in Frage gestellt werden. Selbiges gilt für bestehen-
                                         gefordert, binnen vier Monaten einen Umsetzungs-                de Netzdienstleistungsverträge von Deutschland
                                         plan für die Einführung einer Kapazitätsallokation              mit Kraftwerken in Tirol und Vorarlberg, welche bei
                                         auszuarbeiten und ACER vorzulegen.                              Einführung einer Kapazitätsallokation, nicht mehr
                                                                                                         bedient werden könnten. In Folge würde sich die
                                            Welche Auswirkungen sind durch                               bereits angespannte Versorgungssicherheitslage in
                                            eine Teilung des Marktgebietes zu                            Süddeutschland zusätzlich verschärfen.
                                                        erwarten?
                                                                                                            Das Resultat dieser Folgewirkungen wären
                                            Eine erste Konsequenz aus der Feststellung                   unterschiedlich hohe Großhandelspreise für Strom
                                         und Einführung eines technischen Engpasses                      zwischen Deutschland und Österreich und deutlich
                                         wäre, dass die zur Verfügung stehenden, grenz-                  höhere Energiepreise, mit allen damit verbunde-
                                         überschreitenden Netzkapazitäten im Zuge eines                  nen standortpolitischen Nachteilen. „Angesichts
                                         Allokationsverfahren zu vergeben wären. Strom                   der gegenwärtigen Großhandelspreise wären das
                                         könnte nicht wie bisher unbegrenzt im deutsch-                  Mehrkosten von etwa 4,5 Euro je Megawattstun-
                                         österreichisch-luxemburgischen Marktgebiet ge-                  de“, so Verbund-Vorstand Wolfgang Anzengruber12.
                                         handelt und transportiert werden. Der grenzüber-                Dies entspricht einer Verteuerung von 15 Prozent.13
                                         schreitende Stromtransport würde nur bis zu einer               Mehrere internationale Studien gehen von jährli-
                                         vorab festgelegten Handelsobergrenze zwischen                   chen Mehrkosten für österreichische Stromkunden
                                         Deutschland und Österreich möglich sein.                        von bis zu 300 Millionen Euro aus14.

                                          „In Folge dieser Unsicherheit wären Ener-                         Eine massive Benachteiligung des Wirtschafts-
                                       giehändler gezwungen ein solches Risiko in                        standortes Österreich sowie Wettbewerbsnachteile
                                       ihre Konditionen einzupreisen. Gleichzeitig                       für heimische – aber auch in Österreich ansässige
                                       würde eine Engpassbewirtschaftung zu einer                        ausländische – Unternehmen und Zulieferbetriebe
                                       Vielzahl von beiderseitigen Folgewirkungen                        wäre die Folge.
                                       wie einer reduzierten Marktliquidität, der Ge-
                                       fahr von strategischem Bieterverhalten und
                                       der Ausübung von Marktmacht führen.“

                                            Energiehändler müssten im Zuge von Kapazi-
                                         tätsauktionen Handelskapazitäten ersteigern und
                                         hätten keine Sicherheit, dass sie bei Kapazitätsver-            11) Vgl Consentec, 09/2014; Consentec, 02/2015; Frontier
                                         gaben zum Zuge kommen würden. In Folge dieser                   Economics und Consentec (2014)
                                         Unsicherheit wären Energiehändler gezwungen ein
                                         solches Risiko in ihre Konditionen einzupreisen.                12)   Vgl Die Welt Nr. 224 (25.09.2015): „Wohin bloß mit dem
                                                                                                         vielen Ökostrom“, S. 15.
                                            Gleichzeitig würde eine Engpassbewirtschaftung
                                         zu einer Vielzahl von beiderseitigen Folgewirkungen             13) Vgl Die Welt Nr. 224 (25.09.2015): „Wohin bloß mit dem
                                         wie einer reduzierten Marktliquidität, der Gefahr               vielen Ökostrom“, S. 15.
                                         von strategischem Bieterverhalten und der Aus-
                                                                                                         14)   Vgl Consentec, 09/2014; Consentec, 02/2015; Frontier
                                                                                                         Economics und Consentec (2014)

4                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 07’2016
            Engpass oder nicht? - ein                                        Auch bei einer ausgeweiteten technischen Be-
                 Faktencheck                                              trachtung des Netzverbundes im deutsch-österrei-
                                                                          chisch-luxemburgischen Markgebiet zeigt sich, dass
    Die EU-Energieagentur ACER begründet ihre                             engpassbehaftete Netzelemente allenfalls innerhalb
Empfehlung zur Engpassbewirtschaftung der                                 Deutschlands und/oder an der deutsch-polnischen
deutsch-österreichischen Grenze mit der Existenz                          Grenze existieren. In Folge steht die Empfehlung der
eines strukturellen Engpasses. Im Sinne der EU-                           Agentur nicht im Einklang mit der bereits erwähnten
Verordnung (EU) 2015/122215 liegt ein struktureller                       EU-Verordnung (EU) 714/2009, welche die Verlage-
Engpass vor wenn dieser eindeutig feststellbar, vor-                      rung eines innerstaatlichen Kapazitätsengpasses an
hersehbar, über einen längeren Zeitraum geogra-                           die Regelzonengrenze untersagt.
fisch stabil und häufig wiederholt auftritt. Im Fall der
deutsch-österreichischen Verbindungsleitungen ist                            Engpasssituationen an den technischen Lei-
diese Feststellung in mehrfacher Hinsicht proble-                         tungskapazitäten an der deutsch-österreichischen
matisch und die ACER-Empfehlung zu hinterfragen.                          Grenze treten – so urteilt die Analyse deutscher
                                                                          und österreichischer Übertragungsnetzbetreiber
   So stützt sich die Agentur bei ihrer Entschei-                         – nachweislich nur in etwa 700 Stunden, dies ent-
dung auf historisches Datenmaterial aus dem Jahr                          spricht rund 8 Prozent des Jahres, auf16. Entgegen
2012; unterlässt aber gleichzeitig eine Analyse und                       den Ausführungen von ACER handelt es sich daher
Berechnung zukünftiger grenzüberschreitender                              nicht um einen Engpass, der vorhersehbar, über
Lastflüsse, die eine Vorhersehbarkeit ermöglichen                         einen längeren Zeitraum geografisch stabil und
würden. Detaillierte Simulationsrechnungen wie sie                        häufig wiederholend auftritt.
gemeinsam von den betroffenen deutschen und
österreichischen Übertragungsnetzbetreibern für                              Von der Diskussion weitestgehend unbeachtet
den Zeitraum bis 2019/20 durchgeführt wurden,                             bleiben zahlreiche Stellungnahmen und Studien von
fehlen und wurden nicht durchgeführt.                                     Wirtschaftsinstituten, Think-Tanks, Fachexperten, So-
                                                                          zialpartnern sowie von Industrie- und Energieunter-
   Entgegen der ACER-Empfehlung kommen die                                nehmen, die in einer Aufspaltung der gemeinsamen
Übertragungsnetzbetreiber aus Deutschland und                             Strompreiszone mehrheitlich keinen wesentlichen
Österreich in ihrer Analyse zu dem Ergebnis, dass                         Beitrag zur Verbesserung der aktuellen Netzsituation
physische Netzengpässe auch zukünftig vorwiegend                          sehen und von einer Auftrennung abraten.
innerhalb von Deutschland auftreten werden und
eine „Redispatch-Lösung“ technisch ausreichend ist,                           So urteilt die Beratungsgesellschaft Consentec,
um die Netze stabil zu halten. Letzteres ist insofern                     dass „Preiszonen zu verkleinern nicht wirtschaftlich
interessant, da ACER eine Überprüfung von mögli-                          sinnvoll ist, weil es dadurch zu einem Eingriff in den
cherweise kostengünstigeren und weniger binnen-                           freien Strommarkt kommt“17. Das Deutsche Institut
marktschädlicheren Alternativlösungen unterlassen                         für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu dem
hat und von der in der EU-Verordnung (EU) 714/2009                        Schluss, dass getrennte Preiszonen grundsätz-
festgelegten Maßnahmen-rangfolge im Falle eines                           lich abzulehnen sind, da sie keinen „wesentlichen
festgestellten Netzengpasses, aus sachlich nicht                          Beitrag zur Verbesserung der Netznutzung“ leisten
nachvollziehbaren Gründen, abgewichen ist.

                                                                          16)   Energie-Control Austria (23.10.2015): „Analyse DE-AT zum
                                                                          Engpassmanagement“
15)   Verordnung (EU) 2015/1222 der Kommission vom 24.07.2015 zur
Festlegung einer Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassma-   17)   vgl. Dr. Ing, Christian Zimmer, Senior Consultant, Consen-
nagement (Capacity Allocation and Congestion Management, CACM)            tec, in Energie Allianz Austria (11/2015), S. 14.

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ÖGfE Policy Brief 07’2016

                                         und letztlich zu einer „geringeren Marktliquidität“                         „Aus deutscher Sicht geht es vor allem um
                                         führen18. So sind von einer Aufspaltung der Strom-                        das Gelingen und um die Wahrung der öffentli-
                                         preiszone nur geringfügige Entlastungseffekte für                         chen Akzeptanz für die nationale Energiewende.“
                                         die betroffenen Übertragungsnetze zu erwarten,
                                         die nicht über das grundlegende Problem von                             Aus deutscher Sicht geht es vor allem um das
                                         fehlenden innerdeutschen Übertragungsnetzen                          Gelingen und um die Wahrung der öffentlichen
                                         hinwegtäuschen können.                                               Akzeptanz für die nationale Energiewende. Um
                                                                                                              den stetigen Kostenanstieg für systemstabilisieren-
                                         „Vor allem aufgrund des standortpoliti-                              de Leistungen wie Redispatch-Maßnahmen und
                                       schen und volkswirtschaftlichen Nachteils für                          Reservekraftwerke sowie für Freileitungen und Erd-
                                       Österreich sowie den signifikanten wohlfahrt-                          verkabelungen in den Griff zu bekommen und den
                                       sökonomischen Verlusten für Deutschland                                wiederkehrenden Vorwurf aus der Öffentlichkeit zu
                                       und Österreich wird von einer Kontingentie-                            entkräften, dass Nachbarstaaten von stark subven-
                                       rung der grenzüberschreitenden Handelska-                              tioniertem Ökostrom profitieren, wird eine Trennung
                                       pazitäten abgeraten.“                                                  des Marktgebietes in Kauf genommen. So würde
                                                                                                              eine innerdeutsche Aufteilung des Strommarktes,
                                            Vor allem aufgrund des standortpolitischen und                    Norddeutschland mit seiner Überproduktion an
                                         volkswirtschaftlichen Nachteils für Österreich sowie                 Strom aus on- und offshore Windkraftanlagen auf
                                         den signifikanten wohlfahrtsökonomischen Verlus-                     einen Schlag zu einer Billig-Energiezone machen;
                                         ten für Deutschland und Österreich wird von einer                    Bayern und Baden-Württemberg wären hingegen
                                         Kontingentierung der grenzüberschreitenden Han-                      zukünftige Hochpreis-Energiezonen. Für Politik
                                         delskapazitäten abgeraten19.                                         und Wirtschaft gilt diese sachgemäße Alternative
                                                                                                              als nicht durchsetzbar – eine Trennung entlang der
                                               Welche Interessen verfolgen die                                deutsch-österreichischen Staatsgrenze stellt hier
                                                beteiligten Mitgliedstaaten?                                  das kleinere Übel und die präferierte Lösung dar20.

                                            Während auf Basis rein technischer Grundlagen                        Gänzlich außer Acht gelassen wird, dass eine
                                         eine Teilung der deutsch-österreichisch-luxemburgi-                  Aufspaltung entlang der deutsch-österreichischen
                                         schen Strompreiszone allenfalls innerhalb Deutsch-                   Grenze sachlich nicht zu begründen ist und eine
                                         lands diskutiert werden müsste, zeigen bisherige                     Lösung der eigentlichen Ursache, nämlich einer
                                         Äußerungen, dass die Einführung einer Kapazitätsal-                  im nationalen Alleingang beschlossenen – oftmals
                                         lokation an der deutsch-österreichischen Staats-                     unkoordinierten – Energiewende, nicht zuträglich ist.
                                         grenze von der deutschen Politik klar bevorzugt wird.
                                                                                                                      „Für Polen geht es in der Diskussion vor al-
                                            Abseits der dafür vordergründig angeführten                            lem um den Schutz und Fortbestand der na-
                                         energiewirtschaftlichen Argumente, spielen vor al-                        tionalen Kohleindustrie an der knapp 100.000
                                         lem grundlegende energiepolitische Interessen der                         Arbeitsplätze hängen und die mit rund 10
                                         Mitgliedstaaten eine nicht zu unterschätzende Rolle.                      Milliarden US-Dollar knapp 10 Prozent des
                                                                                                                   polnischen Staatshaushaltes erwirtschaftet.“

                                         18)   Vgl. Prof. Dr. Christian von Hirschhausen, Deutsches
                                         Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Energie Allianz Austria
                                         (11/2015), S. 15.

                                         19) Vgl Consentec, 09/2014; Consentec, 02/2015; Frontier             20) Vgl Die Welt Nr. 224 (25.09.2015): „Wohin bloß mit dem
                                         Economics und Consentec (2014)                                       vielen Ökostrom“, S. 15.

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    Für Polen geht es in der Diskussion vor allem                gen Energieerzeugungspreisen, einer hohen Ver-
 um den Schutz und Fortbestand der nationalen                    sorgungs- und Netzbetriebssicherheit sowie man-
 Kohleindustrie an der knapp 100.000 Arbeitsplätze               nigfaltigen Markt- und Absatzmöglichkeiten für
 hängen und die mit rund 10 Milliarden US-Dollar                 Energieunternehmen stellt ein Erfolgsbeispiel für
 knapp 10 Prozent des polnischen Staatshaushal-                  das Zusammenwachsen nationaler Energiemärkte
 tes erwirtschaftet21. So bremst Polen seit Jahren               dar. Die Einführung künstlicher Handelsbeschrän-
 ehrgeizigere Klima- und Energieziele in der Europä-             kungen steht dabei im klaren Widerspruch zu den
 ischen Union aus und versucht durch eine Unter-                 politischen Zielen eines EU-Energiebinnenmark-
 lassung von Investitionen in Stromleitungen eine                tes und einer gemeinschaftlichen, europäischen
 Abschottung des heimischen Stromsektors und                     Energie-Union. Die ACER-Stellungnahme stellt
 einen Erhalt der Geschäftsgrundlage für heimi-                  insofern einen bedauernswerten Rückschritt dar,
 sche (Kohle)kraftwerke zu erreichen. Im Gegensatz               da nationalen Interessen der Vorzug vor gesamt-
 zu den westlichen Nachbarstaaten Deutschland                    europäischen Zielsetzungen gegeben wird. Dabei
 sowie Österreich, die auf die Veränderungen in                  stützt sich die Agentur auf technisch fragliche und
 der Energieerzeugung zeitgerecht reagierten und                 wenig stichhaltige Daten, die einer genauen inhalt-
 viel in Wartung, Modernisierung und Ausbau von                  lichen Prüfung nicht standhalten. Neben sachli-
 Stromnetzen investierten, wurden in den östlichen               cher und prozeduraler Mängel wie einem intrans-
 Nachbarstaaten Investitionen unterlassen.                       parenten Entscheidungsprozess, einer fehlenden
                                                                 Berücksichtigung zukünftiger Lastflüsse und einer
  „Aus Sicht der Tschechischen Republik                          mangelhaften Prüfung alternativer Lösungsoptio-
wiederum stehen der Schutz und die Wah-                          nen widerspricht die Agentur in ihrer Stellungnah-
rung der Geschäftsgrundlage für tschechi-                        me geltender europäischer Rechtsprechung. So
sche Atomkraftwerke im Vordergrund.“                             steht die Stellungnahme weder im Einklang mit
                                                                 der EU-Verordnung zur Feststellung eines struktu-
    Aus Sicht der Tschechischen Republik wiederum                rellen Engpasses (EU VO 2015/1222) noch mit der
 stehen der Schutz und die Wahrung der Geschäfts-                EU-Verordnung zur Rangfolge für Engpassma-
 grundlage für tschechische Atomkraftwerke im                    nagementmaßnahmen (EU VO 714/2009). Durch
 Vordergrund. Durch die Auftrennung der deutsch-                 die Verlagerung eines allenfalls innerstaatlich exis-
 österreichisch-luxemburgischen Preiszone und den                tierenden Netzengpasses widerspricht die Stel-
 daraus resultierenden höheren Strompreisen in Ös-               lungnahme zudem geltender EU-Rechtsprechung
 terreich sollen tschechischen Atomkraftwerken neue              (EU VO 714/2009) und möglicherweise auch EU-
 Markt- und Absatzmöglichkeiten eröffnet werden.                 Wettbewerbsrecht.

         Beibehaltung der deutsch-                                  Entgegen der ACER-Empfehlung erscheinen
       österreichischen Preiszone im                             bewährte kosteneffiziente und EU-rechtskonforme
        Interesse von Verbrauchern                               Lösungen wie die gezielte Steuerung von Kraft-
                                                                 werken zur Entschärfung von Engpasssituationen
    Aus Sicht der E-Control ist der Erhalt der eng-              zielführender, weniger marktinvasiv und effektiver.
 passfreien Preiszone zwischen Deutschland und                   Aus Sicht der E-Control gilt es, an den europäi-
 Österreich klar im Interesse deutscher und öster-               schen Integrationsbestrebungen im Energiebereich
 reichischer Verbraucher. Ein großflächiges, liquides            festzuhalten und durch Forcierung notwendiger
 Marktgebiet mit, im europäischen Vergleich, niedri-             Netzausbaumaßnahmen etwaige auftretende Net-
                                                                 zengpässe zu mitigieren.

 21) Die Zeit Nr. 45 (05-11-2015): „Wir armen Länder..“, S 32.

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ÖGfE Policy Brief 07’2016

                                            Gleichzeitig gilt es, nicht zweckdienliche und               Beschwerde beim ACER-Beschwerdeausschuss
                                         rechtlich fragwürdige monetäre Mehrbelastung für                gemäß Art 19 ACER-VO vorzugehen. Mit einer
                                         Stromverbraucher abzuwenden. Die E-Control hat                  Stellungnahme seitens des ACER-Beschwerdeaus-
                                         sich daher im November 2015 entschlossen, gegen                 schuss ist binnen zwei Monaten, also bis Anfang
                                         die ACER-Stellungnahme durch Einbringung einer                  2016, zu rechnen. Eine Entscheidung des EuG wird
                                         Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen                 voraussichtlich nicht vor 2017 vorliegen.
                                         Union (EuG) gemäß Art. 263 AEUV sowie einer

                                                                                        Literaturverzeichnis

                                         Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), 11/2015: „Energie der Zukunft: Vierter
                                           Monitoring-Bericht zur Energiewende“.

                                         Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), 2014: „Ein Strommarkt für die Energiewen-
                                           de – Diskussionspapier des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Grünbuch)“.

                                         Consentec GmbH, 02/2015: „An Economic Efficiency Analysis of Introducing Smaller Bidding Zones“ (im
                                           Auftrag der European Energy Exchange AG und der European Power Exchange Spot).

                                         Consentec GmbH, 09/2014: „Untersuchung verschiedener Szenarien der Marktkopplung zwischen Ös-
                                           terreich, Deutschland“ (im Auftrag der Energie-Control Austria, E-Control).

                                         Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Wochenbericht 09/2015: „Energiewende
                                           und Strommarktdesign: Zwei Preiszonen für Deutschland sind keine Lösung“.

                                         Energie-Allianz Austria, 11/2015: „Der Kampf um den gemeinsamen Strommarkt“.

                                         Frontier Economics Ltd. & Consentec GmbH, 10/2012: „Bedeutung von etablierten nationalen Ge-
                                           botszonen für die Integration des europäischen Stromhandels – ein Ansatz zur wohlfahrtsorientierten
                                           Beurteilung“ (im Auftrag der Bundesnetzagentur, Bundesnetzagentur, BNetzA).

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Über die Autoren
DI (FH) Mag. (FH) Martin Graf, MBA ist Vorstand der österreichischen Regulierungsbe-
hörde für die Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft, Energie-Control Austria (E-Control). Vor
seiner Bestellung zum Vorstand im Jahr 2011 war er in verschiedenen Führungsfunktionen
bei der Energie-Control Austria, der Mobilkom Austria AG & Co KG und der VERBUND
AG tätig. Auf nationaler und internationaler Ebene vertritt er die E-Control in verschiedenen
Organisationen und Gremien.

Kontakt: Martin.Graf@e-control.at

Mag. Philipp Irschik, MIM ist Assistent des Vorstandes der österreichischen Regulie-
rungsbehörde für die Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft, Energie-Control Austria (E-Con-
trol). Auf Ebene der europäischen Energieregulierungsbehörden steht er verschiedenen
Arbeitsgruppen vor und berät die Europäische Kommission zu energiepolitischen Inhal-
ten. Im Jahr 2015 wurde er vom Weltenergierat als Future Energy Leader identifiziert.

Kontakt: philipp.irschik@e-control.at

Über die ÖGfE
Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unab-
hängiger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische
Integration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und
deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die
Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von
europapolitischen Informationen.

ISSN 2305-2635                                                          Impressum

Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck                   Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE                      Rotenhausgasse 6/8-9
oder jenen, der Organisation, für die die Autoren arbei-                A-1090 Wien, Österreich
ten, überein.
                                                                        Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt
Zitation                                                                Verantwortlich: Christoph Breinschmid, M.A.
Graf, M., Irschik, P. (2016). Die deutsch-österreichische
Strompreiszone – das europäische Paradebeispiel für die                 Tel.: +43 1 533 4999
grenzüberschreitende Integration von nationalen Ener-                   Fax: +43 1 533 4999 – 40
giemärkten steht vor dem Aus. Wien. ÖGfE Policy Brief,                  E-Mail: policybriefs@oegfe.at
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