PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
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PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? ——————- Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
IMPRESSUM Performance-Check Automobilindustrie: Verantwortungsvoller Rohstoffbezug? Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten Herausgebende Organisationen INKOTA-netzwerk e. V. Chrysanthemenstr. 1–3, 10407 Berlin Tel.: +49 30 42 08 202 – 0 E-Mail: inkota@inkota.de www.inkota.de PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- und Weltwirtschaft e. V. Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin Tel.: +49 30 42 80 54 79 E-Mail: Michael.Reckordt@power-shift.de www.power-shift.de Autorin: Merle Groneweg Redaktion: Michael Reckordt, Lara Louisa Siever, Constantin Bittner, Nico Beckert, Beate Schurath Design: Melanie Schöllhammer / ZCKR Netzwerk Bildredaktion: Emma Jacoby, Constantin Bittner, Lara Louisa Siever Infografiken: Melanie Schöllhammer © INKOTA-netzwerk e. V. , PowerShift e. V. Dezember 2020 (überarbeitete Version) ISBN: 978-3-9818609-2-4 Gefördert durch Brot für die Welt aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, der Landesstelle für Entwicklungszusam- menarbeit des Landes Berlin sowie durch Engagement Global im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung (BMZ). Für den Inhalt dieser Publikation sind allein INKOTA-netzwerk e. V. und PowerShift e. V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Zuwendungsgeber wieder.
INHALT DIE AUTOINDUSTRIE ALS RISIKOBRANCHE FÜR MENSCHENRECHTE UND UMWELT 4 Der regulatorische Kontext: Vom Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und 7 Menschenrechte zum Lieferkettengesetz FÜR ORIENTIERUNG IM ZERTIFIZIERUNGSLABYRINTH 10 Die Aluminium Stewardship Initiative: Nachhaltiges Aluminium für Audi, 12 BMW und Daimler? Copper Mark: Mehr Schein als Sein bei nachhaltigem Kupfer 14 IRMA: Klassenbester Standard 15 Responsible Minerals Initiative – Ein eng gefasstes Verantwortungs- 16 bewusstsein ResponsibleSteel Initiative – Nachhaltigkeit bei der Stahlproduktion, 17 aber nicht beim Eisenerzbezug Geteilte Mängel – kein Vetorecht, unzulängliche Transparenz 18 MEHR NACHHALTIGKEIT DURCH DIE INDUSTRIE? ZWEI INITIATIVEN IM BLICK 20 Global Battery Alliance 20 Drive Sustainability 22 DIE NACHHALTIGKEITSBERICHTE DER AUTOINDUSTRIE: MEHR SCHATTEN 25 ALS LICHT Menschenrechte im Rohstoffsektor: Auf Worte müssen Taten folgen 27 Aluminium und Stahl: Massenhafter Verbrauch für Autos, minimale 27 Erwähnung in der Berichterstattung Verantwortungsvoller Bezug von Konfliktmineralien: Deutsche Auto- 28 konzerne hinken US-amerikanischen Elektronikunternehmen hinterher Kobalt und Lithium – mehr oder weniger im Fokus? 29 Beschwerdemechanismen – bisher kaum umfassend eingerichtet 32 FAZIT: PROBLEMBEWUSSTSEIN VORHANDEN, UMSETZUNG MANGELHAFT 34 Für ein Lieferkettengesetz mit umfassender menschenrechtlicher Verantwortung 37 und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten Für eine Rohstoff- und Mobilitätswende 38 Literaturverzeichnis 39 Abkürzungsverzeichnis 42
Eine schwermetallhaltige Schlammlawine im brasilianischen Brumadinho (2019), ausgelöst durch den Dammbruch einer Eisenerzmine, führte zum Tod von 272 Menschen und zur Zerstörung der Umwelt. Foto: Vinícius Mendonça/Ibama – Brumadinho, Minas Gerais (Wikimedia) DIE AUTOINDUSTRIE ALS RISIKO- BRANCHE FÜR MENSCHENRECHTE UND UMWELT D ie Automobilindustrie ist eine menschen- rechtlich relevante Risikobranche.1 Sie profi- tiert von weit verzweigten Produktionsnetzwerken, Allein der menschenrechtlichen Beschwerdeda- tenbank des Business and Human Rights Resource Centre (BHRRC) wurden insgesamt 600 Beschwer- die die Auslagerung von zahlreichen Bestandteilen den für den Sektor „Bergbau und Mineralien“ ge- der Produktion ermöglichen. Damit einher geht meldet, zu denen Menschenrechtsverletzungen in der viel beschriebene „Wettlauf nach unten“: Die den Bereichen Konflikte und Sicherheit, Landnut- Produktion ist häufig dort am günstigsten, wo die zung und Eigentumsrechte sowie Umweltschutz menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen und Gesundheit zählen. Doch erst in Verbindung Standards am niedrigsten sind. Die in diesem Zu- mit der Mobilitäts- und Antriebswende hat die ent- sammenhang entstehenden Risiken sind seit lan- sprechende Relevanz von verantwortungsvollem gem bekannt. Sie treten insbesondere in den ers- Rohstoffbezug durch Autokonzerne mehr Auf- ten Stufen der Wertschöpfung auf, das heißt, bei merksamkeit erfahren. Denn die mit der Elektro- dem Abbau von Rohstoffen. mobilität massiv steigende Nachfrage nach Metal- len wie Lithium und Kobalt, aber auch Graphit und 1 BMAS (2020), S. 38 4
Idealisierte Wertschöpfungskette von der Mine bis zum Auto Icons: Noun Project/Kiran Shastry (Lore), krishna (Trolley), BomSymbols (Eimer), (Eigene Darstellung) Berkah Icon (Kabelrolle), i cons (Autos) Minen Rohstoffhandel Schmelzen Vorprodukte Zulieferer Automobilhersteller Nickel, hat die menschenrechtlichen, sozialen und doch nicht, erneut auf die menschenrechtlichen, ökologischen Probleme beim Abbau dieser Roh- sozialen und ökologischen Risiken im Bergbau so- stoffe in den Fokus gerückt. Doch nicht nur für die wie ihre Verbindungen zu Autokonzernen zu ver- Akkus von E-Autos, sondern auch für Karosserie, weisen. Dies wurde bereits ausführlich dokumen- Gehäuse, Motor und Bordelektronik eines jeden tiert.3 Autos – also auch jenen mit Verbrennungsmotor – werden zahlreiche metallische Rohstoffe ver- Vielmehr soll überprüft werden, inwiefern die gro- arbeitet. Zwischen 50 und 60 Prozent eines Autos ßen deutschen Autokonzerne – BMW, Daimler und bestehen aus Stahl und Aluminium, die vor allem VW (einschließlich der Konzerntöchter Audi und für die Karosserie benötigt werden. Diese beiden Porsche) – ihrer Verantwortung gerecht werden.4 Metalle machen, vom Volumen her betrachtet, den Die Konzerne haben begonnen, sich mit den ge- mit Abstand größten Anteil des Rohstoffbezugs der nannten Herausforderungen auseinanderzuset- Automobilindustrie aus.2 Der Abbau der für diese zen. In unterschiedlichem Umfang stellen sie sich Metalle notwendigen Erze wird in den Ländern, ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht, versu- aus denen Deutschland am meisten importiert – chen ihre Wertschöpfungsketten nachzuvollzie- Eisenerz aus Brasilien, Bauxit aus Guinea und Kup- hen und zu einer Minimierung der identifizierten fer aus Brasilien, Chile und Peru – unter anderem menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risi- mit Gewalt gegen indigene Gemeinschaften, Land- ken beizutragen. Über diese Aktivitäten berichten raub, prekären Arbeitsbedingungen sowie der sie in ihren Nachhaltigkeitsberichten. Darin ver- Verschmutzung von Luft, Gewässern und Böden weisen sie auch auf Mitgliedschaften in Initiativen, in Verbindung gebracht. Zu den Risiken gehören die ihrerseits Nachhaltigkeitsanforderungen er- aber auch berstende Rückhaltebecken, wie im bra- arbeiten. Dazu gehören die europäische Autobran- silianischen Brumadinho 2019 geschehen, Gewalt cheninitiative Drive Sustainability sowie die Global gegen streikende Arbeitnehmer*innen, wie bei Battery Alliance, die sich mit Batterieproduktion der Ermordung von 34 Bergarbeitern im südafrika- beschäftigt. Zu den Initiativen im Rohstoffsektor nischen Marikana 2012, und repressives Vorgehen gehören die Aluminium Stewardship Initiative (ASI), gegenüber Kritiker*innen von Abbauprojekten, Copper Mark, die Initiative for Responsible Mining von denen mindestens 50 im Jahr 2019 ermordet Assurance (IRMA), die Responsible Minerals Initiative wurden. Ziel der vorliegenden Publikation ist je- (RMI) und die ResponsibleSteel Initiative (RSI). 2 So gehen 26 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Stahls in die Automobilproduktion. Hinzu kommen 10 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Kupfers (BGR 2019). 3 Die deutsche Zivilgesellschaft warnt seit vielen Jahren vor den negativen Effekten des Rohstoffverbrauchs durch die deutsche Autoindustrie. Brot für die Welt und MISEREOR (2012 und 2013) zeigten dies anhand von Aluminium, Kupfer und Stahl in deutschen Autos; Amnesty International (2016) am Beispiel von Kinderarbeit im Kobalt-Sektor; PowerShift (2016 bis 2019) verwies auf die generellen Gefahren des Rohstoffabbaus sowie auf die spezifischen Risiken beim Ni- ckel- und Bauxitabbau (Aluminium); Brot für die Welt auf die Auswirkungen des Lithium-Abbaus (2018) und INKOTA zeigte mit dem Ökumenischen Netzwerk Zentralafrika (2018) auf, welche Problematiken der Kobaltabbau in der DR Kongo birgt. 4 INKOTA befragte mehrere Autokonzerne 2018 zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfalt und Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette. Die Befragung zeigte, dass eine systematische Analyse, die Durchführung entsprechender Maßnahmen und transparente Berichterstattung darüber bisher aus- bleiben. 5
Initiative Teilnehmende Unternehmen Aluminium Stewardship Initiative Audi, BMW, Daimler Copper Mark Ford Drive Sustainability BMW, Daimler, Ford, VW Global Battery Alliance Audi, BMW, VW Initiative for Responsible Mining Assurance BMW, Daimler Responsible Minerals Initiative Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel (Groupe PSA) ResponsibleSteel Initiative BMW, Daimler Die Tabelle basiert auf der Auswertung der Nachhaltigkeitsberichte 2019 folgender in Deutschland produzierender Auto- konzerne: Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel/Groupe PSA und Porsche. Aufgeführt werden lediglich Initiativen, die in dieser Publikation analysiert werden. Mehrere der Autokonzerne engagieren sich in weiteren Initiativen wie beispielsweise der Global Platform for Sustainable Natural Rubber oder der Responsible Mica Initiative. Die November 2020 erfolgte Mitglied- schaft von Daimler bei IRMA wurde berücksichtigt. Die vorliegende Publikation wirft einen Blick auf richte der Konzerne viele Lücken auf. So hat kei- die von den Autokonzernen in ihren Nachhaltig- ner der Konzerne einen ausführlichen Sorgfalts- keitsberichten genannten Initiativen im Rohstoff- pflichtenbericht, der nicht nur alle festgestellten sektor sowie die beiden Brancheninitiativen. Sie Risiken transparent macht, sondern auch konkre- skizziert die Entstehungsgeschichte sowie Anfor- te Angaben über ihre Wirksamkeit und Abhilfe- derungen dieser Initiativen und beleuchtet einige maßnahmen dokumentiert. Zahlreiche Rohstoffe Stärken und Schwächen. Im zweiten Schritt wer- finden gar keine Erwähnung. Bei jenen, die er- den die Nachhaltigkeitsberichte der drei größten wähnt werden, wird nur vereinzelt über konkrete deutschen Autokonzerne – BMW, Daimler und VW Risiken sowie vorbeugende und lindernde Maß- – in Bezug auf ihre Angaben zur menschenrecht- nahmen gesprochen. Kein Konzern hat einen um- lichen und umweltbezogenen Sorgfalt in Hinblick fassenden Beschwerdemechanismus eingerichtet, auf verantwortungsvollen Rohstoffbezug analy- der den Anforderungen der UN-Leitprinzipien für siert. Diese zweiteilige Analyse und die sich daraus Wirtschaft und Menschenrechte gerecht wird. Da- ergebenden Schlussfolgerungen sind ein Beitrag rüber hinaus macht kein Konzern Angaben dazu, zu den Debatten rund um ein Lieferkettengesetz was die Mitgliedschaft in verschiedenen Initiati- sowie übergeordneten Fragen zur Regulierung des ven – die ihrerseits keine Garantie für ökologisch, verantwortungsbewussten Rohstoffbezugs (sie- sozial und menschenrechtlich vollumfassend ver- he Kasten sowie Fazit). So wird diskutiert, ob be- antwortungsbewusste Rohstoffproduktion dar- stimmte (Branchen-)Standards staatlich anerkannt stellen – tatsächlich bedeutet. Es ist unklar, ob die werden und als sogenannter „Safe Harbor“ (dt.: Mitgliedschaft in einer Initiative im Rohstoffsektor sicherer Hafen) gelten könnten. Die Teilnahme an konkrete Folgen für die Beschaffungspraxis der und Implementierung von (Branchen-)Standards Konzerne und ihre Zulieferer hat. Stattdessen ist könnte gegebenenfalls zur zivilrechtlichen Haf- zu befürchten, dass die Autokonzerne versuchen, tungsfreistellung bei Verstößen gegen die unter- ihre Verantwortung mittels einer Mitgliedschaft in nehmerische Sorgfaltspflicht führen (das heißt, einer Rohstoffinitiative auszulagern. So beschrän- die Haftung würde auf Vorsatz und grobe Fahrläs- ken die Konzerne beispielsweise schon jetzt ihre sigkeit beschränkt werden). Ausführungen zu Aluminium und Stahl auf das Nennen der Mitgliedschaft in den entsprechenden Trotz wachsenden Bewusstseins über die Notwen- Initiativen, statt tatsächlich Transparenz über die digkeit von verantwortungsvollem Rohstoffbezug Risiken in der eigenen Wertschöpfungskette zu und -produktion weisen die Nachhaltigkeitsbe- schaffen. 6
§ DER REGULATORISCHE KONTEXT: VOM NATIONALEN AKTIONSPLAN WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE ZUM LIEFERKETTENGESETZ In den letzten Jahren wurden mehrere internatio- schiedet, der eine Umsetzung dieser UN-Leitprin- nale Standards, Rahmenwerke und Absichtserklä- zipien vorsieht. Die Bundesregierung erwartet, rungen verabschiedet, die auf freiwillige Selbst- dass Unternehmen den „Prozess der unterneh- verpflichtungen von Unternehmen zur Achtung merischen Sorgfalt mit Bezug auf die Achtung der der Menschenrechte abzielen. Dazu zählen die Menschenrechte in einer ihrer Größe, Branche OECD-Leitsätze für transnationale Unternehmen und Position in der Liefer- und Wertschöpfungs- sowie der OECD-Leitfaden für die Erfüllung der kette angemessenen Weise einführen.“5 Der NAP Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungs- steht jedoch unter dem Prinzip der Freiwilligkeit. voller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- Laut Koalitionsvertrag (2017) soll ein verbindli- und Hochrisikogebieten. Schließlich wurden die ches Gesetz, das nicht auf Freiwilligkeit, sondern UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen- auf Verpflichtung basiert, geprüft werden, wenn rechte (2011) beschlossen. Sie sehen vor, dass Un- bis 2020 weniger als 50 Prozent der Unternehmen ternehmen eine Grundsatzerklärung zur Achtung mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen entsprechen- der Menschenrechte abgeben, ihre gesamte Wert- de Sorgfaltsprozesse eingeführt haben. Dies ist schöpfungskette und Geschäftsbeziehungen auf der Fall: Trotz eines methodisch schwach ausge- menschenrechtliche Risiken untersuchen und ent- stalteten Verfahrens ergaben beide Runden des sprechende Maßnahmen zur Abwendung poten- NAP-Monitorings, dass nicht einmal ein Fünftel der ziell negativer Auswirkungen einleiten. Unternehmen, die auf die Umfrage reagiert haben, ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ausrei- Diese Maßnahmen müssen konsequent beobach- chend nachkommen – in der zweiten Runde waren tet, auf ihre Wirkung überprüft, und für Dritte es sogar nur 12,8 bis 16,5 Prozent.6 Im Frühjahr transparent und nachvollziehbar dokumentiert 2019 wurde ein vertraulicher Gesetzesvorschlag werden. Sofern Unternehmen negative Auswirkun- aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche gen auf Menschenrechte (mit)verursacht haben, Zusammenarbeit und Entwicklung publik. Ende müssen sie den Betroffenen Abhilfe leisten und 2019 schließlich kündigten Bundesarbeitsminister den Schaden wiedergutmachen. Im Falle von indi- Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsmi- rekter Involvierung sollten Unternehmen zumin- nister Gerd Müller (CSU) an, Eckpunkte für ein Lie- dest mit Beschwerdemechanismen adressierbar ferkettengesetz auszuarbeiten.7 Seitdem wird um sein, mit der Justiz kooperieren und ihren Einfluss die genaue Ausgestaltung des Gesetzes gerungen gegenüber direkt verantwortlichen Geschäftspart- (siehe Fazit). nern nutzen, damit diese ihrer Verantwortung zur Abhilfe nachkommen. Auf Grundlage des NAP werden Multi-Stakehol- der-Foren geführt, mithilfe derer branchenspe- 2016 hat die Bundesregierung den Nationalen Akti- zifische Handlungsanleitungen und Best-Practi- onsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verab- ce-Beispiele zu menschenrechtlichen und um‑ 5 Auswärtiges Amt (2017), S. 7. 6 Das Monitoring-Verfahren wurde von zivilgesellschaftlicher Seite aufgrund zahlreicher methodischer Schwächen sowie des zweimaligen Verschiebens der Rückmeldefrist vielfach kritisiert. Wirtschaftsverbände haben die Befragung mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums und des Kanzleramts im Vorfeld stark verwässert, wie eine Studie der Initiative Lieferkettengesetz belegt. Initiative Lieferkettengesetz (2020d). 7 Diese Eckpunkte sind in einer Vorab-Fassung durchgesickert. BMAS, & BMZ (2020). 7
Grundlage und Elemente zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten Zum Schutz von Mensch und Umwelt ist es wichtig, dass neben menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten berücksichtigt werden. 1 2 3 4 5 6 -———— -———— -———— -———— -———— -———— Grundsatz- Ermittlung Maßnahmen Monitoring und Transparente Abhilfe bzw. erklärung zur (potenziell) zur Abwendung Überprüfung der Berichterstat- Kooperation Achtung der negativer Aus- (potenziell) Wirksamkeit der tung über beim Zugang Menschenrechte wirkungen negativer Aus- Maßnahmen Maßnahmen zu Abhilfe wirkungen und Wirkung Darstellung nach OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten weltbezogenen Sorgfaltspflichten für deutsche Ergebnissen die erste Stufe des Dialogs 2021 abge- Risikobranchen erarbeitet werden. Die men- schlossen sein wird. schenrechtlichen Risikobranchen der deutschen Wirtschaft wurden in einer im Auftrag des Bundes- Gleichzeitig findet unter Federführung des Ver- arbeitsministeriums ermittelten Studie identifi- kehrsministeriums die Nationale Plattform Zukunft ziert – dazu zählt auch die Autoindustrie.8 So wurde der Mobilität statt, in der sich eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung zahlreicher Unternehmen, Wirt- mit den Themen „Sicherung des Mobilitäts- und Pro- schaftsverbände, Nichtregierungsorganisationen duktionsstandortes, Batteriezellproduktion, Roh- (NROs), Gewerkschaften und weiterer Initiativen stoffe und Recycling, Bildung und Qualifizie- der „Branchendialog Automobilindustrie: Ach- rung“ beschäftigt. Dort diskutieren Industriever- tung der Menschenrechte entlang der Liefer- und treter*innen unter Beteiligung der Gewerkschaft Wertschöpfungsketten“ ins Leben gerufen.9 Die IG Metall „Potenziale und Risiken für bestehende teilnehmenden NROs erwarten vom Dialogprozess wie neu entstehende Wertschöpfungsnetzwerke, die Entwicklung konkreter Lösungsansätze für mit einem Fokus auf neue Technologien wie dem bekannte Herausforderungen in der Umsetzung ‚Ökosystem Batterie‘.“ Auch „Rohstoffe“ sollen in menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorg- diesem Zusammenhang betrachtet werden. Inwie- faltspflichten.10 Eine längerfristige Beteiligung am weit menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und Branchendialog Automobil machen sie davon ab- Umweltstandards in der Plattform thematisiert hängig, wie der Prozess verläuft und mit welchen werden, bleibt offen.11 8 Zu den Merkmalen der Risikobranchen gehört, dass „vergleichsweise viele Menschenrechtsrisiken mit einem erheblichen Bezug zu fundamentalen Rechts- gütern“ bestehen; viele dieser Risiken „in den ersten Stufen der Wertschöpfungsketten (Rohstoffgewinnung) auf[treten]“; die Risiken „im (direkten) Zusam- menhang mit ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette stehen“ und die Branchen „somit (potenziell) – in Verbindung mit ihrer Markt- macht – eine größere kollektive Hebelwirkung zur Bewältigung der Risiken (vgl. UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte) [haben].“ Strukturell betrachtet haben die Branchen „einen hohen Grad an internationaler Verflechtung (Importquote)“; „sind bezogen auf ihre vorgelagerte Wertschöpfungskette rohstoffintensiv“ und/oder arbeitsintensiv – und der Abbau dieser Rohstoffe bzw. die Arbeit „findet zum Teil in Ländern mit besonderen Governance- oder menschenrechtlichen Herausforderungen statt.“ Die Komplexität der Wertschöpfungsketten würde die Kontrolle über Lieferanten und Handelspartner er- schweren und dadurch die Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen erhöhen. BMAS (2020), S. 61–62 9 Im Branchendialog wurden mehrere Arbeitsgemeinschaften gegründet, die sich mit spezifischen Fragestellungen befassen, darunter 1) Management- ansätze zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht und Wirkungsindikatoren; 2) Achtung der Menschenrechte in Rohstoff-Wertschöpfungsketten und -Liefernetzwerken; 3) Aufbau eines unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus (UBM) in der Automobilindustrie. In den AGs soll auf den Erfahrungen bestehender Initiativen aufgebaut werden, um keine vorhandenen Aktivitäten zu doppeln, zugleich sollen jedoch auch Lücken in den bisherigen Rohstoffinitiativen herausgearbeitet und adressiert werden. 10 S. „Stellungnahme aus der Zivilgesellschaft anlässlich des NAP-Branchendialogs Automobil“. INKOTA-netzwerk, Germanwatch, SÜDWIND, Transparency International, WEED (2020). 11 NPM (n. d.). 8
Bedarf an ausgewählten Rohstoffen für den Automobilbau Ungefähre Angaben, eigene Darstellung nach der Umweltbilanz des Audi A4 2.0 TSFI (2015) Brasilien 51,7% Guinea 92,2% Südafrika 14,7% TA LLE IN IUM E IS Kanada ME UM EN AL T 12,5% CH /S LE I T / G XI K 84 T 15 4K Sonstige 2 AH 21,1% U BA Sonstige Karosserie, L G 7,8% Karosserie, Fahrwerk, . V. A Leichtbau Motor, Antrieb Südafrika Australien 45,8% 29,4% 1535 KG Korrosionsschutz, Leergewicht Katalysator Elektronik Schweden TIN 20,7% ZINK PL A Motor, USA Elektronik 12,6% USA 16,4% ‹ › BU G Belgien NT 6K 11,9% - UN :4 Burkina D SOND LE Groß- Faso 12,1% E RME TAL britannien 10,7% KUPFE R Sonstige Sonstige 21,4% 19% Peru 28,6% Sonstige Chile Brasilien 34,5% 21,8% 15,1% Ob mit Verbrennungs- oder Elektromotor – für Karosserie, Leichtbauteile, Motor oder Elektronik im Auto werden massenhaft Rohstoffe verbraucht, bei deren Abbau und Verarbeitung häufig Menschenrechte verletzt und Ökosysteme zerstört werden. Neben den hier dar- gestellten Rohstoffen werden u. a. auch Magnesium, Gold, Silber, Chrom, Molybdän, Nickel, Kobalt verbraucht. Je nach Fahrzeugmodell weicht der Bedarf an Rohstoffen ab. Für den Bau von Elektromotoren und Batterien werden u. a. Kupfer, Nickel, Lithium, Kobalt und Graphit benötigt. (vgl. INKOTA „E-Mail-Aktion an Autohersteller“ und die PowerShift-Studie „Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit“) Landvertreibung Fehlende Arbeitssicherheit % Deutsche Rohstoffimporte nach Lieferländern im Jahr 2018 Schwermetallbelastung Missachtung von Arbeitsrechten (Anteile > 10 %) Luftverschmutzung Verletzung kultureller Rechte Wasserknappheit Energieaufwand Abholzung Korruption 9
Für Orientierung im Zertifizierungslabyrinth I n der politischen Diskussion rund um Menschen- rechtsverletzungen im Rohstoffsektor sowie der diesbezüglichen Verantwortung von rohstoffverar- zu gewährleisten. Diese Initiativen wurden in ih- ren Anforderungen und Limitierungen bereits von Germanwatch analysiert.14 Zur Begründung der beitenden Unternehmen standen die sogenannten vorgenommenen Analyse heißt es dort: Konfliktmineralien lange Zeit im Zentrum der Auf- merksamkeit. 2010 trat der Dodd-Frank Wall Street Darüber hinaus macht es ein neuer, teilweise Reform and Consumer Protection Act (DFA) in den verbindlicher Rahmen der EU-Verordnung über USA in Kraft, dessen Artikel 1502 alle US-börsen- verantwortungsvolle Mineralienbeschaffung, notierten Unternehmen zu Berichtspflichten für der sich speziell auf die mineralische Lieferkette den Bezug von Konfliktmineralien verpflichtet. konzentriert, erforderlich, freiwillige Ansätze Demnach müssen Unternehmen – beispielsweise zu bewerten. Diese Richtlinie setzt auf von der jene in der Elektronikindustrie – offenlegen, ob Industrie geführte Initiativen als wichtiges Mittel ihre Produkte Gold, Tantal, Wolfram und Zinn ent- zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht. Verschiedene halten. Ist dies der Fall, muss überprüft werden, europäische NGOs befürchten, dass diese Initiati- ob die Rohstoffe aus der Demokratischen Repub- ven eine gründliche menschenrechtliche Due-Di- lik Kongo oder benachbarten Staaten stammen. ligence-Prüfung einzelner Unternehmen ersetzen Wenn auch dies der Fall ist, muss durch ein ex- werden. Die Bewertung dieser Ansätze erscheint ternes unabhängiges Audit nachgewiesen werden, im Übrigen im Moment besonders relevant, da in dass es sich dabei nicht um Konfliktmineralien den letzten Jahren viele freiwillige Ansätze ent- handelt – das heißt, dass Abbau und Verkauf die- standen sind.15 ser Rohstoffe nicht zur Finanzierung nicht-staat- licher bewaffneter Gruppen beigetragen haben. Dies lässt sich sowohl auf die aktuell geführte De- Der Dodd-Frank Act hat „der weltweiten Debatte batte um ein Lieferkettengesetz übertragen als um Konfliktrohstoffe eine neue Dynamik gegeben auch auf den Umstand, dass in den letzten Jahren und Diskussionen und neue Gesetzesvorschläge zahlreiche weitere Initiativen und (Branchen-) weit über die USA hinaus angestoßen“12 – unter Standards im Rohstoffsektor entstanden sind oder anderem die 2021 in Kraft tretende EU-Konfliktmi- sich im Entstehungsprozess befinden. So gibt es neralien-Verordnung. In Zusammenhang mit der inzwischen mehr als 100 Zertifizierungssysteme breiten Diskussion um sowie der Regulierung von im Rohstoffsektor.16 Diese beschäftigen sich mit dem Bezug von Konfliktmineralien sind zahlreiche unterschiedlichen Rohstoffen, setzen an unter- Rahmenwerke entstanden, die sich mit menschen- schiedlichen Punkten der Produktion und Wei- rechtlichen, sozialen und ökologischen Risiken terverarbeitung an, und stellen unterschiedliche befassen. Zu beobachten gewesen ist ein nahezu Anforderungen in Bezug auf soziale, ökologische „explosionsartige[s] Anwachsen von Initiativen“,13 und menschenrechtliche Nachhaltigkeit. Zivilge- deren Ziel es ist, einen möglichst verantwortungs- sellschaftliche Akteure, staatliche Behörden, aber vollen Bezug von Tantal, Zinn, Wolfram und Gold auch die weiterverarbeitenden Unternehmen be- 12 Adelphi (2015a), S. 1 13 Germanwatch (2018), S. 5 14 Germanwatch (2018) 15 Germanwatch (2018), S. 5 16 Certification of Raw Materials (n. d.). 10
finden sich in einem „Zertifizierungslabyrinth.“ und Einhaltung der Anforderungen durch ein un- Orientierung fällt hier schwer. Das gilt nicht nur für abhängiges Auditsystem gewährleistet? Inwiefern die Frage, wie ambitioniert ein Standard auf dem stellt der Standard durch das Zusammenwirken Papier bezüglich seiner Nachhaltigkeitsanforde- dieser Faktoren eine gewisse Glaubwürdigkeit dar? rungen ist, sondern auch für Governance-Aspekte: Im kommenden Kapitel werden fünf Initiativen im In welchem Umfang wurden wirklich alle Stake- Rohstoffsektor, die in den Nachhaltigkeitsberich- holder, darunter potenziell Betroffene und Zivilge- ten der in Deutschland produzierenden Autokon- sellschaft wie Menschenrechts- und Umweltorga- zerne genannt werden, kurz skizziert und einige nisationen, in die Ausarbeitung eines Standards Aspekte kritisch beleuchtet. einbezogen? Ist die Überprüfung der Umsetzung Anteil der Automobilindustrie am Gesamtverbrauch Deutschlands (Ausgewählte Rohstoffe) 75% 40% 37% Blei Platin Zink 26% 10% 9% Stahl Edelstahl Kupfer (Chrom, Nickel, Molybdän, Mangan) 48% DES IN DEUTSCHLAND GENUTZTEN ALUMINIUMS 48% WERDEN IM VERKEHRSSEKTOR VERBRAUCHT. Aluminium 11
DIE ALUMINIUM STEWARDSHIP INITIATIVE: NACHHALTIGES ALUMINIUM FÜR AUDI, BMW UND DAIMLER? Die Aluminium Stewardship Initiative hat sich zum Luft- und Wasserverschmutzung sowie für den Ziel gesetzt, ein unabhängiges, durch eine drit- Einsatz von Abfall-, Gift- und Reststoffen. Die ASI te Partei geprüftes Zertifizierungsprogramm für zertifiziert zwar keine neu entstehenden Produk- die Aluminium-Wertschöpfungskette zu entwi- tionsanlagen in Weltkulturerbestätten, ist jedoch ckeln. In einem Multistakeholder-Prozess, der ab bereit, schon bestehende Produktionsanlagen in 2012 von der International Union for Conversation Weltkulturerbestätten zu zertifizieren. Problema- of Nature (IUCN) moderiert wurde, wurde die ers- tisch ist auch, dass die ASI keine Vorgaben bezüg- te Version des „ASI Performance Standard“ ver- lich der Notwendigkeit der Verringerung von Lärm öffentlicht. Im selben Jahr – 2015 – wurde die ASI und Vibration macht, was für anwohnende Ge- 2015 von vierzehn multinationalen Unternehmen meinschaften, zusammen mit dem Auftreten von offiziell gegründet (unter anderem von den Auto- massiven Staubwolken, häufig eine erhebliche Be- konzernen Audi, BMW und Jaguar Land Rover so- einträchtigung der Lebensqualität bedeutet. In Be- wie dem Bergbaukonzern Rio Tinto Alcan). Aktuell zug auf menschenrechtliche Anforderungen deckt sind zwölf Organisationen aus der Zivilgesellschaft die ASI formell viele der relevanten Kriterien ab. – darunter Umwelt- und Menschenrechtsorganisa- So fordert die ASI den Ausschluss von Zwangs- tionen sowie Gewerkschaften – an der ASI beteiligt. und Kinderarbeit, Menschenhandel, Gewalt durch Ein Indigenous People Advisory Forum berät in staatliche oder private Sicherheitskräfte und der Fragen der Standardsetzung sowie bei Beschwer- Finanzierung bzw. direkten oder indirekten Unter- den, denn die ASI verfügt über einen Beschwerde- stützung von bewaffneten Gruppen. Die ASI macht mechanismus in Bezug auf den Audit-Prozess. auch Vorgaben bezüglich der Einbeziehung von relevanten Stakeholdern und vom Bergbau poten- 2017 hat die ASI die zweite Version eines Standards ziell negativ betroffener Gruppen, insbesondere veröffentlicht („ASI Performance Standard V2“), der durch die freie vorherige informierte Zustimmung Prinzipien und Kriterien für ökologische und sozi- (engl.: Free Prior and Informed Consent; FPIC) von ale Nachhaltigkeit sowie entsprechende Governan- indigenen Gemeinschaften. Arbeitsrechtlich sind ce-Maßnahmen nennt und sich an Unternehmen unter anderem das Recht auf Versammlung und mit folgenden Aktivitäten richtet: Bauxitabbau, kollektive Tarifverhandlung, faire Löhne, Gesund- Aluminiumoxid-Raffination, Aluminium-Schmel- heit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Vorbereitung zen, Aluminium-Umschmelzung/Raffination, Gie- und Reaktion auf Notfälle, Arbeitszeitbeschrän- ßereien, Halbfertigung und Material-Umwand- kung und Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz lung.17 Der (freiwillige) Chain-of-Custody Standard genannt. Im Kontrast zur IRMA und RSI ließen beschäftigt sich mit der Nachvollziehbarkeit der sich jedoch keine Angaben zur Unterstützung und Wertschöpfungskette und Anforderungen an Entschädigung bei arbeitsbezogenen Verletzungen Sorgfaltspflichten.18 So können die verschiedenen oder Krankheiten finden. Zusätzliche Maßnahmen ASI-zertifizierten Stufen der Wertschöpfungskette zum Wohlergehen von Arbeiter*innen werden miteinander verbunden werden. ebenfalls nicht ergriffen. In einer Analyse der Bun- desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Die Anforderungen der ASI umfassen dabei un- (BGR), in der mehrere Nachhaltigkeitssysteme im terschiedliche Aspekte, sind jedoch stark auf den Rohstoffsektor miteinander verglichen werden, Umweltbereich fokussiert. So sollen negative Aus- wird der ASI zwar zugestanden, relativ viele Aspek- wirkungen auf Biodiversität ebenso wie der Aus- te formell abzudecken. Diese werden jedoch selten stoß von Treibhausgasen reduziert werden. Es gibt spezifiziert, was dazu führt, dass die ASI in einem Angaben für die Vorbeugung und Minderung von Ranking der BGR vergleichsweise wenig Punkte 17 Ein Leitfaden (Guidance document) macht spezifische Angaben zur Interpretation und Implementierung der Vorgaben (Aluminium Stewardship Initiative (2017a)). In einem Handbuch (Assurance Manual) werden die Prinzipien sowie das Verfahren für den Audit-Prozess festgelegt, der schlussendlich zu einem ASI Zertifikat führen kann (Aluminium Stewardship Initiative (2017b)). 18 Aluminium Stewardship Initiative (2017c). 12
für den Umfang ihrer Anforderungen erhält.19 Zu auf Wasser, Biodiversität sowie kulturelle Erbe- einer ähnlichen Einschätzung kommt eine Studie stätten einhalten müssten, die Anforderungen in des International Institute for Sustainable Develop- Bezug auf die Vermeidung oder gerechte Entschä- ment und State of Sustainability Initiatives. Hier digung von Umsiedlungen bisher jedoch nicht für werden der ASI insgesamt 63 von 100 Punkten ge- „zugehörige Versorgungseinheiten“ gelten wür- geben, was vor allem an nicht ausreichenden An- den. Dies ist eine eklatante Schwäche. forderungen im sozialen und menschenrechtli- chen Bereich liegt.20 Bezüglich des Audit-Prozesses In einem anderen Kommentar wird darauf verwie- ist auffällig, dass die tiefergehende Einbeziehung sen, dass es „eine gewisse Diskrepanz zwischen von allen Stakeholdern kein verpflichtendes, um- potenziellem Angebot und Nachfrage“ gäbe.23 Die fängliches Kriterium darstellt. So heißt es, dass ASI hätte viele Mitglieder auf Produktionsseite Interviews mit externen Stakeholdern, darunter (das heißt zum Beispiel Minen und Hütten) und betroffenen und indigenen Gemeinschaften, ge- auch viele Mitglieder auf Seiten der industriellen führt werden „mögen“ (engl.: may), was viel Inter- Verbraucher dieser Materialien (wie beispielswei- pretationsspielraum lässt.21 se die deutschen Autokonzerne). Trotzdem gäbe es nicht genügend Nachfrage nach ASI-zertifiziertem Aktuell befinden sich alle ASI Standard Dokumente Material. Dieser Kommentar wirft die Frage auf, in der Revision (2020–21). Die diesbezüglich einge- was die Mitgliedschaft in einer Initiative etwa für reichten Kommentare können öffentlich eingese- die Autokonzerne bedeutet und ob es mit einem hen werden. So fordert ein Aluminiumproduzent, Bekenntnis zur Nachfrage nach möglichst nach- dass die ASI sich „deutlich mehr“ mit den indus- haltig produziertem Aluminium einhergeht. triespezifischen Umweltherausforderungen wie Schwefeldioxid-Emissionen oder Abfallprodukten Inzwischen sind über 100 Unternehmen Mitglied (Spent Potlining; Bauxitrückstände) befassen sollte. der ASI und 50 Zertifizierungen wurden ausge- Laut desselben Vertreters sei es aktuell möglich, stellt, darunter für acht Bauxit-Bergwerke. Von die- „dass ein neues Wasserkraftwerk für eine Alumi- sen Bergwerken befinden sich fünf in Australien niumhütte gebaut wird, dabei riesige Flächen un- sowie drei in Brasilien. Sie decken 30 Prozent der berührten natürlichen Lebensraums zerstört und globalen Produktion ab.24 Doch in Guinea, einem Gemeinden verdrängt werden, und es einen Monat der wichtigsten Produktionsländer für Bauxit welt- später ASI-zertifiziert wird.“22 Die Antwort der ASI weit – und das Land, aus dem am meisten Bauxit auf diesen Kommentar lautet, dass „zugehörige nach Deutschland importiert wird – ist noch keine Versorgungseinheiten“ (z. B. Wasserkraftwerke) Mine zertifiziert. die ASI-Anforderungen bzgl. ihrer Auswirkungen ER AS DIE MITGLI EDSCHAFT IN EIN ES IST FRAGLICH, W D OB ES IE AUTOKONZER NE BEDEUTET UN INITIATIVE FÜR D T NACHFRAGE NACH MÖGLICHS MIT EINEM BEKENNTNIS ZUR TEM ALUMINIU M EINHERGEHT. NACHHA LTIG PRODUZIER 19 BGR (2017), S. 54 20 Potts et. al. (2018), S. 46 21 Individual and group interviews may be conducted. Interviews may be conducted with employees, contractors and external stakeholders, including affected communities and Indigenous Peoples. Aluminium Stewardship Initiative (2017b), S. 62 22 Aluminium Stewardship Initiative. (n. d.). 23 Aluminium Stewardship Initiative. (n. d.). 24 BGR (2020) 13
COPPER MARK: MEHR SCHEIN ALS SEIN BEI NACHHALTIGEM KUPFER Copper Mark wurde vom Industrieverband Inter- könnten. Außerdem fordert Copper Mark zwar, dass national Copper Association gegründet und möchte Unternehmen die Zustimmung der indigenen Be- sich zu einer Multi-Stakeholder-Initiative weiter- völkerung zu Projekten erwirken sollen, der Um- entwickeln. Mithilfe des Assurance-Prozesses (dt.: gang mit einer Verweigerung bleibt jedoch unklar. Zusicherung) soll überprüft werden, ob Kupfer- Unklar ist auch, ob und inwieweit Copper Mark un- minen, -schmelzen und -raffinerien nachhaltig mittelbar sowie potentiell vom Kupferbergbau be- produzieren. Hauptziel des Programms ist es, die troffene Stakeholder konsultiert hat. Anforderungen der Londoner Metallbörse (London Metal Exchange; LME) an verantwortungsvollen Be- Die für Copper Mark relevanten Kriterien für ver- zug zu erfüllen. Perspektivisch will Copper Mark antwortungsvolle Produktion sind jene, die von der auch eine Chain of Custody (dt.: Beweismittel-/Pro- Responsible Minerals Initiative allgemeingültig für duktketten)-Zertifizierung entwickeln. Minen definiert wurden, nämlich das „Risk Rea- diness Assessment“ (RRA).26 Der Grundgedanke Copper Mark hat nicht nur innerhalb von sehr kur- des RRA ist jedoch „Einfachheit“; es soll nur eine zer Zeit ihr Rahmenwerk für den Assurance-Pro- begrenzte Zahl an grundlegenden Umwelt-, Sozial- zess sowie den dazu gehörigen Kriterienkatalog und Governance-Aspekten adressiert werden. Im entwickelt, sondern verspricht den interessierten Kontrast zu den anderen hier untersuchten Initia- Unternehmen an mehreren Stellen, dass etwa die tiven bleiben die von Copper Mark skizzierten An- Unterlagen innerhalb von „zehn Geschäftstagen“ forderungen häufig sehr vage. Besonders proble- überprüft werden und genauso rasch über die Er- matisch ist, dass Copper Mark anscheinend nicht füllung der Anforderungen entschieden wird.25 in allen Fällen einen Besuch der Produktionsstätte Dies erweckt den Eindruck, dass Copper Mark ein erforderlich findet, sondern die Selbsteinschät- größeres Interesse daran hat, möglichst vielen Un- zung der Unternehmen und der Nachweis mit be- ternehmen möglichst schnell etwa die Erfüllung stimmten Referenzdokumenten und Zertifikaten der LME-Anforderungen zuzusichern, statt einen als ausreichend erachtet werden kann. Auch wenn Standard mit hohem Ambitionslevel zu entwickeln. sich Copper Mark um eine stärkere Einbeziehung Erschreckend ist auch, dass die Notwendigkeit ei- von NROs zu bemühen scheint, ist die Initiative nes Beschwerdemechanismus für Arbeiter*innen bisher stark industriegetrieben und weist keine zunächst damit begründet wird, dass ungelöste wesentliche Beteiligung der Zivilgesellschaft auf.27 Probleme die Arbeitsmoral verschlechtern könn- ten und somit Produktivität negativ beeinflussen 25 The Copper Mark Company (2020a). Foto: robas (iStock) 26 Responsible Business Alliance; The Copper Mark Company (2020). 27 The Copper Mark Company (2020b). Kupfertagebau Chuquicamata, Atacama Wüste, im Norden von Chile. Eine Fläche von 13000 km² wird in einer Tiefe von bis zu 1100 m ausgebeutet. 14
IRMA: KLASSENBESTER STANDARD Die 2006 gegründete Initiative for Responsible Mining dabei für alle bergbaulich gewonnen Mineralien Assurance (IRMA) hat den „Standard for Responsi- und Metalle (mit Ausnahme von Energierohstof- ble Mining v.1.0“ (2018) entwickelt.28 Dazwischen fen) anwendbar ist. IRMA selbst bezeichnet sich lagen mehr als zehn Jahre, was sinnbildlich für die entsprechend als die einzige Organisation, die ei- Intensität des Standardsetzungsprozesses steht, nen derart umfassenden Standard entwickelt hat.31 den IRMA vorgenommen hat. IRMA ist eine Mul- Fragwürdig ist jedoch, ob der Standard, der für ti-Stakeholder-Initiative im tatsächlichen Wortsinn Festgesteinsbergbau entwickelt wurde, auch auf – alle Gruppen haben Veto-Recht, darunter auch die Lithium-Gewinnung aus Salzsole anwendbar die Zivilgesellschaft, so dass keine Entscheidung sein wird. Für Klein- und Kleinstbergbau ist der gegen die Stimmen einer Akteursgruppe getroffen Standard – wie auch die anderen in dieser Publi- werden können. Zu den Vorstandsmitgliedern ge- kation betrachteten Standards – nicht anwendbar. hören Vertreter*innen aus der Bergbauindustrie, Insgesamt beinhaltet IRMA die umfangreichsten den Downstream-Unternehmen, NROs, Gewerk- Anforderungen in zahlreichen Bereichen, darun- schaften und – besonders erwähnenswert – auch ter insbesondere die Achtung der Rechte von lokal Vertreter*innen von betroffenen Gemeinschaften. Betroffenen. IRMA hat außerdem einen starken Mit der Veröffentlichung der ersten Standard-Ver- Fokus auf Gesundheit und Sicherheit von Arbei- sion 2018 wurde eine Erprobungsphase eingeleitet, ter*innen sowie umweltbezogene Aspekte wie Ab- deren Ziel jedoch noch nicht die Zertifizierung von fallvermeidung, Luft- und Wasserverschmutzung, Minen war, sondern das schrittweise Testen sowie und stellt auch die Frage nach der Rehabilitation die Weiterentwicklung des Standards unter Einbe- von Land nach dem Schließen einer Mine. Krite- ziehung aller Stakeholder. Seit 2019 liegt eine An- rien zu Lärm und Vibration kommen ebenfalls leitung vor, die die Anforderungen konkretisiert.29 vor. Sowohl die Analyse der BGR als auch jene von Inzwischen finden die ersten Audit-Prozesse für dem International Institute for Sustainable Develop- eine Blei-, Zink-, Kupfer- und Silbermine in Mexi- ment und State of Sustainability Initiatives bewerten ko, eine Platin-, Palladium-, Gold-, Ruthenium- und IRMA als den mit Abstand weitreichendsten Stan- Iridiummine in Simbabwe sowie eine Nickelmine dard.32 So käme IRMA dem Ziel am nächsten, „alle in Brasilien statt.30 für den Bergbau relevanten gesellschaftlichen In- dikatoren abzudecken“.33 Mehr als 50 NROs haben Auf Basis des – noch nicht veröffentlichten – „Stan- in einem Brief an die Weltbank, in dem sie unter dard for Responsible Mining v.2.0“ – soll schließ- anderem verantwortungsvollen Rohstoffbezug for- lich eine Zertifizierung möglich sein, die sich an dern, auf IRMA als Best-Practice verwiesen.34 alle industriellen, großflächigen Minen richtet und HALTET IRMA DIE INSGESAMT BEIN TEN ANFO RDERUNGEN IN UMFANGREICHS R EICHEN, DARUNTE ZAHLREICHEN BER IE ACH TUNG DER RECHTE INSBESONDERE D OFFENEN. 28 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) (2018). VON LOK AL BETR 29 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) (2019). 30 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) (n. d.(b)). 31 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA). (n. d.(a)). 32 BGR (2017), S. 172 33 Potts et. al. (2018), S. 34 34 Earthworks et. al. (2019). 15
RESPONSIBLE MINERALS INITIATIVE – EIN ENG GEFASSTES VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN Das Programm Responsible Minerals Assurance Pro- triebsleistung anzudeuten, die über den strengen cess (RMAP; früher Conflict Free Smelter Program; Rahmen des RMAP hinausgeht. Darüber hinaus CFSP) der Responsible Minerals Initiative (RMI) soll würde der Audit-Prozess weder zu einer Material- feststellen, ob Schmelzen und Raffinerien über zertifizierung führen, noch feststellen, dass das Management-Systeme zum verantwortungsvollen Material der geprüften Stelle „konfliktfrei“ sei.38 Bezug von Mineralien verfügen – und nachweisen Vielmehr bietet das RMAP-Programm Schmelzen können, dass sämtliche verarbeitete Materialien und Raffinerien die Möglichkeit, sich über ein ex- aus Quellen kommen, die nicht zur Konfliktfinan- ternes unabhängiges Audit bestätigen zu lassen, zierung beitragen. Die RMI wurde 2008 von Mit- dass sie in Übereinstimmung mit den OECD-Leit- gliedern der Responsible Business Alliance und der sätzen stehende Sorgfaltspflichten-Management- Global e-Sustainability Initiative in Folge des Dodd- systeme zum verantwortungsvollen Rohstoffbezug Frank-Act gegründet und ist auch heute keine Mul- aus Konflikt- und Hochrisikogebieten eingeführt tistakeholder-Initiative, sondern wird von der In- und umgesetzt haben. So bietet das RMAP einen dustrie geführt. Das CFSP wurde in Anlehnung an strikten Leitfaden für einen eng abgesteckten Be- die OECD-Leitsätze für die Erfüllung der Sorgfalts- reich und gibt nicht vor, ein allumfassendes Zer- pflicht zur Förderung verantwortungsvoller Liefer- tifikat für Materialien oder eine bestimmte Mine, ketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikoge- Schmelze oder Raffinerie zu sein. bieten entwickelt. Inzwischen heißt das Programm Responsible Minerals Assurance Process (RMAP). Es Doch auch der Abbau von Zinn, Tantal, Wolfram und „setzt an einer Stelle in der Lieferkette an, an der Gold birgt ökologische Risiken. Ein Verweis auf die die Rückverfolgung der Minerale bis zum Berg- Mitgliedschaft in der RMI bzw. der Bezug von mit werk noch einfach realisierbar ist“35 – nämlich den der RMAP zertifizierten Schmelzen und Raffinerien Schmelzen und Raffinerien. Deren Anzahl ist im ist also kein Beitrag zur Erfüllung der ökologischen Vergleich zu den Bergwerken relativ überschaubar. Sorgfaltspflichten der Unternehmen. So stellt der Die Liste der Schmelzen und Raffinerien, die an RMAP keine Anforderungen an die Reduktion von dem RMAP teilnehmen, ist öffentlich zugänglich.36 Treibhausgas-Emissionen, Luft-, Boden- und Wasser- So können Downstream-Unternehmen eine infor- verschmutzung, Lärm und Vibration sowie Abfall, mierte Entscheidung darüber treffen, woher sie Gift- und Reststoffen. Auch der Schutz von Arbei- Gold, Tantal, Wolfram und Zinn beziehen wollen. ter*innenrechten sowie Maßnahmen zum Wohlerge- Darüber hinaus bietet die RMI ein „Conflict Mine- hen von Arbeiter*innen werden im RMAP nicht ab- rals Reporting Template“ an, das Unternehmen bei gefragt. Dazu gehören das Recht auf Versammlung der Offenlegung und Kommunikation über Hütten und kollektive Tarifverhandlung, faire Löhne, Ge- in ihren Wertschöpfungsketten unterstützt. sundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Vorberei- tung und Reaktion auf Notfälle, Unterstützung und Die RMI weist selbst darauf hin, dass der RMAP Entschädigung bei arbeitsbezogenen Verletzungen nicht alle Menschenrechts-, Sozial- und Umweltri- oder Krankheiten, ein Beschwerdemechanismus für siken abdeckt, mit denen Schmelzen und Raffine- Arbeiter*innen, Arbeitszeitbeschränkung, Nicht-Dis- rien konfrontiert sein können.37 Eine erfolgreiche kriminierung am Arbeitsplatz und die Sozialverträg- Prüfung solle nicht dazu benutzt werden, eine Be- lichkeit bei betriebsbedingter Kündigung. 35 Adelphi (2015b), S. 1. 36 Responsible Minerals Initiative (n. d.) 37 „The standard does not cover all human rights, social, and environmental risks that smelters may be faced with as part of their responsible sourcing prac- tices, and a successful audit should not be used to imply operating performance beyond the strict scope of the Responsible Minerals Assurance Process. The process reviews an auditee’s supply-chain due diligence activities of all applicable material inputs and assesses their alignment with the five-step framework of the OECD Guidance.“ RMI Tin and Tungsten. Responsible Minerals Initiative (2017), S. 4. 38 The audit assesses whether the auditee has implemented company level management processes and due diligence to support responsible mineral procurement per the OECD Guidance. This assurance process does not result in a material certification nor does it determine that material at the auditee is conflict-free. Responsible Minerals Initiative (2017), S. 5–6. 16
Foto: © Erdenebayar Bayansan auf Pixabay Stahl ist der mengenmäßig wichtigste Rohstoff in der Automobilindustrie. RESPONSIBLE STEEL INITIATIVE – NACHHALTIGKEIT BEI DER STAHLPRODUKTION, ABER NICHT BEIM EISENERZBEZUG Die ResponsibleSteel Initiative (RSI) ist eine Multi rung sowie den Audit-Prozess. Die RSI hat Krite- stakeholder-Initiative, an der neben verschiede- rien in 12 Bereichen entwickelt, die ökologische, nen Unternehmen auch NROs und Gewerkschaf- soziale, menschenrechtliche Aspekte umfassen ten beteiligt sind. Die RSI hat im November 2019 sowie Governance-Vorgaben machen. Diese bein- die „Standard Version 1-0“ veröffentlicht, die An- halten wiederum spezifische Anforderungen etwa forderungen an eine nachhaltige Stahlproduk- in Bezug auf die Minderung von negativen Auswir- tion definiert. Der Zertifizierungsstandard richtet kungen auf Biodiversität, den Umgang mit Abfall- sich an betriebliche Standorte, die Stahlprodukte stoffen und Wasserverbrauch, oder aber Anti-Kor- produzieren, oder solche, die Rohstoffe für die ruption und Transparenz sowie Anforderungen Stahlfertigung verarbeiten. Der Begriff „Standort“ bezüglich des Schutzes von Arbeiter*innenrechten bezieht sich auf den physischen Standort unter und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Verwaltung oder Kontrolle eines Unternehmens Mitunter sind die Angaben jedoch etwas vage. So und kann mehrere Einrichtungen und zugehörige heißt es in Bezug auf das „Engagement für lokale Anlagen für die integrierte Produktion von Stahl Gemeinschaften“, dass ein Plan entwickelt – und beinhalten. Dazu gehören Koksöfen, Sinter- oder seine Einhaltung überprüft – werden soll, der das Pelletwerken, Öfen, Walzwerken und Beschich- Wohlergehen von lokalen Gemeinschaften sicher- tungsanlagen, oder kann aus freistehenden Ein- stellt. Auch soll gezeigt werden, dass marginali- richtungen für die Produktion von spezifischen sierte Betroffene „berücksichtigt werden“.41 Wie Rohstoffen für die Stahlerzeugung, wie Koks oder diese Berücksichtigung aussieht, wird jedoch nur Roheisen, oder einem freistehenden Walzwerk, für indigene Gemeinschaften mit Verweis auf FPIC bestehen. Aktuell befinden sich unter anderem konkretisiert sowie in Bezug auf Fragen der Um- eine Kokerei und eine Stahlhütte von ArcelorMittal siedlung und Kompensation mit Verweis auf den in Bottrop und Bremen im Audit-Prozess. „Performance Standard 5“ der International Finan- ce Corporation. Der „ResponsibleSteel Standard“39 und das dazu- gehörige „ResponsibleSteel Assurance Manual“40 Ebenfalls vage waren die Vorgaben bzgl. der Re- beschreiben die Anforderungen an die Zertifizie- duktion der Treibhausgas-Emissionen. So sieht 39 ResponsibleSteel (2019a). 40 ResponsibleSteel (2019b). 41 ResponsibleSteel (2019a), S. 58 17
die RSI vor, dass die Produktionsstätten ihre Emis- hat deshalb „zusätzliche Anforderungen“ an einen sionen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkom- verantwortungsvollen Rohstoffbezug entwickelt men reduzieren und darüber berichten sollen. Es und lädt diesbezüglich zur Kommentierung ein. werden „jedoch keine Schwellenwerte festgelegt.“ Die RSI sieht nicht vor, für den Abbau von Eisen- 42 Aus diesem Grund überarbeitet die RSI derzeit erz einen weiteren Zertifizierungsprozess zu ent- ihre Anforderungen in diesem Bereich. Von Au- wickeln, sondern verweist darauf, dass Minen sich gust bis Oktober 2020 gab es diesbezüglich einen beispielsweise nach dem IRMA-Standard zertifizie- Konsultationsprozess. Im Rahmen dieser Über- ren können. Problematisch ist jedoch, dass die RSI arbeitung und Erweiterung des Standards werden schreibt: „Stahlstandorte, die an ResponsibleSteel auch Kriterien für den verantwortungsvollen Roh- teilnehmen, könnten wählen, ob sie sich anhand stoffbezug erarbeitet – denn bisher ist dieser As- der zusätzlichen Anforderungen auditieren las- pekt außen vor. Das heißt, dass sich Unternehmen sen wollen, wären aber nicht dazu verpflichtet.“43 in der Stahlproduktion zertifizieren lassen kön- Anreize für die Erfüllung der zusätzlichen Anfor- nen, ohne sich tiefergehend mit den menschen- derungen sollten von den industriellen Unterneh- rechtlichen, ökologischen und sozialen Bedingun- men, die Stahl verwenden, durch Gesetzgebung, gen des Abbaus von Eisenerz, das sie schließlich Banken mit Nachhaltigkeitsanforderungen oder weiterverarbeiten, beschäftigt zu haben. Die RSI von der Zivilgesellschaft kommen. GETEILTE MÄNGEL – KEIN VETORECHT, UNZULÄNGLICHE TRANSPARENZ Die kurze Skizzierung der verschiedenen Initiati- haben, damit diese sich gemäß der RMI auditieren ven zeigt, dass sie alle Lücken in unterschiedlichen lassen. Dies geschah unabhängig davon, ob diese Bereichen aufweisen. Als rein Industrie geführte Raffinerien und Schmelzen sich tatsächlich in den Initiative sind die Anforderungen von Copper Mark jeweiligen Wertschöpfungsketten eines Unterneh- sehr schwach und unpräzise ausgestaltet. Die RMI mens befanden. Diese Methodik könnten Downs- hingegen hat spezifische Anforderungen, die sich tream-Unternehmen wie die Autokonzerne nut- jedoch nur auf einen von zahlreichen relevanten zen, um Minen dazu zu bewegen, sich zum Beispiel Bereichen des verantwortungsvollen Rohstoffbe- nach dem IRMA-Standard zertifizieren zu lassen. zugs fokussieren, nämlich jenen der Konfliktfi- nanzierung. Die ASI und die RSI bieten vergleichs- Neben den Anforderungen, die die verschiede- weise umfangreiche Zertifizierungsstandards, die nen Initiativen in Bezug auf menschenrechtliche, aktuell beide überarbeitet bzw. erweitert werden. soziale und ökologische Aspekte stellen, gilt es zu Beide sollten dabei die Einbeziehung von betrof- berücksichtigen, inwiefern sie strenge Überwa- fenen Gemeinden deutlich stärken – und die RSI chungsmechanismen für den Audit-Prozess bieten sollte die Einhaltung von menschenrechtlichen und diesen transparent gestalten. Mit Ausnahme und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für die von IRMA stellt keine der Initiativen ausreichend Beschaffung von für die Stahlproduktion notwen- Transparenz her, indem der gesamte Audit-Report digen Rohstoffen wie Eisenerz und Koks (Kohle) veröffentlicht wird. Stattdessen werden lediglich verpflichtend machen. Sowohl bei der ASI als auch Zusammenfassungen der Audit-Reports veröffent- bei der RSI und IRMA – sollten die weiterverarbei- licht. Ohne eine vollständige Veröffentlichung kön- tenden Unternehmen ihre Mitgliedschaft sowie nen externe Anspruchsgruppen jedoch die Audi- Marktmacht nutzen, um auf Zertifizierung von tergebnisse nicht selbständig nachvollziehen bzw. Unternehmen hinzuwirken. In den letzten Jahren überprüfen. Darüber hinaus weisen die Initiativen hat es sich als erfolgreich gezeigt, dass Downstre- Mängel bzgl. der Unabhängigkeit der Audits auf, am-Unternehmen gemeinsam Druck auf Schmel- die nur durch eine unabhängige Finanzierung, zen und Raffinerien für Konfliktrohstoffe ausgeübt ein Audit-Rotationssystem sowie unangekündigte 42 ResponsibleSteel (2020). 43 ResponsibleSteel (2020), S. 3 18
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