PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten

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PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
PERFORMANCE-CHECK
   AUTOMOBILINDUSTRIE:
VERANTWORTUNGSVOLLER
       ROHSTOFFBEZUG?
            ——————-
 Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
IMPRESSUM
Performance-Check Automobilindustrie:
Verantwortungsvoller Rohstoffbezug?
Eine Analyse von Industrieinitiativen und
Nachhaltigkeitsberichten

Herausgebende Organisationen
INKOTA-netzwerk e. V.
Chrysanthemenstr. 1–3, 10407 Berlin
Tel.: +49 30 42 08 202 – 0
E-Mail: inkota@inkota.de
www.inkota.de

PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische
Energie- und Weltwirtschaft e. V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Tel.: +49 30 42 80 54 79
E-Mail: Michael.Reckordt@power-shift.de
www.power-shift.de

Autorin: Merle Groneweg
Redaktion: Michael Reckordt, Lara Louisa Siever, Constantin
Bittner, Nico Beckert, Beate Schurath
Design: Melanie Schöllhammer / ZCKR Netzwerk
Bildredaktion: Emma Jacoby, Constantin Bittner,
Lara Louisa Siever
Infografiken: Melanie Schöllhammer

© INKOTA-netzwerk e. V. , PowerShift e. V.
Dezember 2020 (überarbeitete Version)
ISBN: 978-3-9818609-2-4

Gefördert durch Brot für die Welt aus Mitteln des Kirchlichen
Entwicklungsdienstes, der Landesstelle für Entwicklungszusam-
menarbeit des Landes Berlin sowie durch Engagement Global im
Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung (BMZ).

Für den Inhalt dieser Publikation sind allein INKOTA-netzwerk e. V.
und PowerShift e. V. verantwortlich; die hier dargestellten
Positionen geben nicht den Standpunkt der Zuwendungsgeber
wieder.
PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
INHALT
DIE AUTOINDUSTRIE ALS RISIKOBRANCHE FÜR MENSCHENRECHTE UND UMWELT              4
Der regulatorische Kontext: Vom Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und          7
Menschenrechte zum Lieferkettengesetz

FÜR ORIENTIERUNG IM ZERTIFIZIERUNGSLABYRINTH                                   10
Die Aluminium Stewardship Initiative: Nachhaltiges Aluminium für Audi,         12
BMW und Daimler?
Copper Mark: Mehr Schein als Sein bei nachhaltigem Kupfer                      14
IRMA: Klassenbester Standard                                                   15
Responsible Minerals Initiative – Ein eng gefasstes Verantwortungs-            16
bewusstsein
ResponsibleSteel Initiative – Nachhaltigkeit bei der Stahlproduktion,          17
aber nicht beim Eisenerzbezug
Geteilte Mängel – kein Vetorecht, unzulängliche Transparenz                    18

MEHR NACHHALTIGKEIT DURCH DIE INDUSTRIE? ZWEI INITIATIVEN IM BLICK             20
Global Battery Alliance                                                        20
Drive Sustainability                                                           22

DIE NACHHALTIGKEITSBERICHTE DER AUTOINDUSTRIE: MEHR SCHATTEN                   25
ALS LICHT
Menschenrechte im Rohstoffsektor: Auf Worte müssen Taten folgen                27
  Aluminium und Stahl: Massenhafter Verbrauch für Autos, minimale              27
  Erwähnung in der Berichterstattung
  Verantwortungsvoller Bezug von Konfliktmineralien: Deutsche Auto-            28
  konzerne hinken US-amerikanischen Elektronikunternehmen hinterher
  Kobalt und Lithium – mehr oder weniger im Fokus?                             29
Beschwerdemechanismen – bisher kaum umfassend eingerichtet                     32

FAZIT: PROBLEMBEWUSSTSEIN VORHANDEN, UMSETZUNG MANGELHAFT                      34
Für ein Lieferkettengesetz mit umfassender menschenrechtlicher Verantwortung   37
und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten
Für eine Rohstoff- und Mobilitätswende                                         38

Literaturverzeichnis                                                           39
Abkürzungsverzeichnis                                                          42
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Eine schwermetallhaltige Schlammlawine im brasilianischen
Brumadinho (2019), ausgelöst durch den Dammbruch einer
Eisenerzmine, führte zum Tod von 272 Menschen und zur
Zerstörung der Umwelt.

                                                                                                                 Foto: Vinícius Mendonça/Ibama – Brumadinho, Minas Gerais (Wikimedia)
DIE AUTOINDUSTRIE ALS RISIKO-
BRANCHE FÜR MENSCHENRECHTE
UND UMWELT

D     ie Automobilindustrie ist eine menschen-
      rechtlich relevante Risikobranche.1 Sie profi-
tiert von weit verzweigten Produktionsnetzwerken,
                                                            Allein der menschenrechtlichen Beschwerdeda-
                                                            tenbank des Business and Human Rights Resource
                                                            Centre (BHRRC) wurden insgesamt 600 Beschwer-
die die Auslagerung von zahlreichen Bestandteilen           den für den Sektor „Bergbau und Mineralien“ ge-
der Produktion ermöglichen. Damit einher geht               meldet, zu denen Menschenrechtsverletzungen in
der viel beschriebene „Wettlauf nach unten“: Die            den Bereichen Konflikte und Sicherheit, Landnut-
Produktion ist häufig dort am günstigsten, wo die           zung und Eigentumsrechte sowie Umweltschutz
menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen              und Gesundheit zählen. Doch erst in Verbindung
Standards am niedrigsten sind. Die in diesem Zu-            mit der Mobilitäts- und Antriebswende hat die ent-
sammenhang entstehenden Risiken sind seit lan-              sprechende Relevanz von verantwortungsvollem
gem bekannt. Sie treten insbesondere in den ers-            Rohstoffbezug durch Autokonzerne mehr Auf-
ten Stufen der Wertschöpfung auf, das heißt, bei            merksamkeit erfahren. Denn die mit der Elektro-
dem Abbau von Rohstoffen.                                   mobilität massiv steigende Nachfrage nach Metal-
                                                            len wie Lithium und Kobalt, aber auch Graphit und

1 BMAS (2020), S. 38

                                                                                                            4
PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
Idealisierte Wertschöpfungskette von der Mine bis zum Auto                                                           Icons: Noun Project/Kiran Shastry (Lore),
                                                                                                                        krishna (Trolley), BomSymbols (Eimer),
   (Eigene Darstellung)                                                                                                 Berkah Icon (Kabelrolle), i cons (Autos)

        Minen                Rohstoffhandel               Schmelzen               Vorprodukte                Zulieferer              Automobilhersteller

Nickel, hat die menschenrechtlichen, sozialen und                              doch nicht, erneut auf die menschenrechtlichen,
ökologischen Probleme beim Abbau dieser Roh-                                   sozialen und ökologischen Risiken im Bergbau so-
stoffe in den Fokus gerückt. Doch nicht nur für die                            wie ihre Verbindungen zu Autokonzernen zu ver-
Akkus von E-Autos, sondern auch für Karosserie,                                weisen. Dies wurde bereits ausführlich dokumen-
Gehäuse, Motor und Bordelektronik eines jeden                                  tiert.3
Autos – also auch jenen mit Verbrennungsmotor
– werden zahlreiche metallische Rohstoffe ver-                                 Vielmehr soll überprüft werden, inwiefern die gro-
arbeitet. Zwischen 50 und 60 Prozent eines Autos                               ßen deutschen Autokonzerne – BMW, Daimler und
bestehen aus Stahl und Aluminium, die vor allem                                VW (einschließlich der Konzerntöchter Audi und
für die Karosserie benötigt werden. Diese beiden                               Porsche) – ihrer Verantwortung gerecht werden.4
Metalle machen, vom Volumen her betrachtet, den                                Die Konzerne haben begonnen, sich mit den ge-
mit Abstand größten Anteil des Rohstoffbezugs der                              nannten Herausforderungen auseinanderzuset-
Automobilindustrie aus.2 Der Abbau der für diese                               zen. In unterschiedlichem Umfang stellen sie sich
Metalle notwendigen Erze wird in den Ländern,                                  ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht, versu-
aus denen Deutschland am meisten importiert –                                  chen ihre Wertschöpfungsketten nachzuvollzie-
Eisenerz aus Brasilien, Bauxit aus Guinea und Kup-                             hen und zu einer Minimierung der identifizierten
fer aus Brasilien, Chile und Peru – unter anderem                              menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risi-
mit Gewalt gegen indigene Gemeinschaften, Land-                                ken beizutragen. Über diese Aktivitäten berichten
raub, prekären Arbeitsbedingungen sowie der                                    sie in ihren Nachhaltigkeitsberichten. Darin ver-
Verschmutzung von Luft, Gewässern und Böden                                    weisen sie auch auf Mitgliedschaften in Initiativen,
in Verbindung gebracht. Zu den Risiken gehören                                 die ihrerseits Nachhaltigkeitsanforderungen er-
aber auch berstende Rückhaltebecken, wie im bra-                               arbeiten. Dazu gehören die europäische Autobran-
silianischen Brumadinho 2019 geschehen, Gewalt                                 cheninitiative Drive Sustainability sowie die Global
gegen streikende Arbeitnehmer*innen, wie bei                                   Battery Alliance, die sich mit Batterieproduktion
der Ermordung von 34 Bergarbeitern im südafrika-                               beschäftigt. Zu den Initiativen im Rohstoffsektor
nischen Marikana 2012, und repressives Vorgehen                                gehören die Aluminium Stewardship Initiative (ASI),
gegenüber Kritiker*innen von Abbauprojekten,                                   Copper Mark, die Initiative for Responsible Mining
von denen mindestens 50 im Jahr 2019 ermordet                                  Assurance (IRMA), die Responsible Minerals Initiative
wurden. Ziel der vorliegenden Publikation ist je-                              (RMI) und die ResponsibleSteel Initiative (RSI).

2 So gehen 26 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Stahls in die Automobilproduktion. Hinzu kommen 10 Prozent des in Deutschland verarbeiteten
Kupfers (BGR 2019).
3 Die deutsche Zivilgesellschaft warnt seit vielen Jahren vor den negativen Effekten des Rohstoffverbrauchs durch die deutsche Autoindustrie. Brot für die
Welt und MISEREOR (2012 und 2013) zeigten dies anhand von Aluminium, Kupfer und Stahl in deutschen Autos; Amnesty International (2016) am Beispiel von
Kinderarbeit im Kobalt-Sektor; PowerShift (2016 bis 2019) verwies auf die generellen Gefahren des Rohstoffabbaus sowie auf die spezifischen Risiken beim Ni-
ckel- und Bauxitabbau (Aluminium); Brot für die Welt auf die Auswirkungen des Lithium-Abbaus (2018) und INKOTA zeigte mit dem Ökumenischen Netzwerk
Zentralafrika (2018) auf, welche Problematiken der Kobaltabbau in der DR Kongo birgt.
4 INKOTA befragte mehrere Autokonzerne 2018 zur Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfalt und Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette. Die
Befragung zeigte, dass eine systematische Analyse, die Durchführung entsprechender Maßnahmen und transparente Berichterstattung darüber bisher aus-
bleiben.

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Initiative                                            Teilnehmende Unternehmen

    Aluminium Stewardship Initiative                      Audi, BMW, Daimler

    Copper Mark                                           Ford

    Drive Sustainability                                  BMW, Daimler, Ford, VW

    Global Battery Alliance                               Audi, BMW, VW

    Initiative for Responsible Mining Assurance           BMW, Daimler

    Responsible Minerals Initiative                       Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel (Groupe PSA)

    ResponsibleSteel Initiative                           BMW, Daimler

    Die Tabelle basiert auf der Auswertung der Nachhaltigkeitsberichte 2019 folgender in Deutschland produzierender Auto-
    konzerne: Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel/Groupe PSA und Porsche. Aufgeführt werden lediglich Initiativen, die in dieser
    Publikation analysiert werden. Mehrere der Autokonzerne engagieren sich in weiteren Initiativen wie beispielsweise der
    Global Platform for Sustainable Natural Rubber oder der Responsible Mica Initiative. Die November 2020 erfolgte Mitglied-
    schaft von Daimler bei IRMA wurde berücksichtigt.

Die vorliegende Publikation wirft einen Blick auf                  richte der Konzerne viele Lücken auf. So hat kei-
die von den Autokonzernen in ihren Nachhaltig-                     ner der Konzerne einen ausführlichen Sorgfalts-
keitsberichten genannten Initiativen im Rohstoff-                  pflichtenbericht, der nicht nur alle festgestellten
sektor sowie die beiden Brancheninitiativen. Sie                   Risiken transparent macht, sondern auch konkre-
skizziert die Entstehungsgeschichte sowie Anfor-                   te Angaben über ihre Wirksamkeit und Abhilfe-
derungen dieser Initiativen und beleuchtet einige                  maßnahmen dokumentiert. Zahlreiche Rohstoffe
Stärken und Schwächen. Im zweiten Schritt wer-                     finden gar keine Erwähnung. Bei jenen, die er-
den die Nachhaltigkeitsberichte der drei größten                   wähnt werden, wird nur vereinzelt über konkrete
deutschen Autokonzerne – BMW, Daimler und VW                       Risiken sowie vorbeugende und lindernde Maß-
– in Bezug auf ihre Angaben zur menschenrecht-                     nahmen gesprochen. Kein Konzern hat einen um-
lichen und umweltbezogenen Sorgfalt in Hinblick                    fassenden Beschwerdemechanismus eingerichtet,
auf verantwortungsvollen Rohstoffbezug analy-                      der den Anforderungen der UN-Leitprinzipien für
siert. Diese zweiteilige Analyse und die sich daraus               Wirtschaft und Menschenrechte gerecht wird. Da-
ergebenden Schlussfolgerungen sind ein Beitrag                     rüber hinaus macht kein Konzern Angaben dazu,
zu den Debatten rund um ein Lieferkettengesetz                     was die Mitgliedschaft in verschiedenen Initiati-
sowie übergeordneten Fragen zur Regulierung des                    ven – die ihrerseits keine Garantie für ökologisch,
verantwortungsbewussten Rohstoffbezugs (sie-                       sozial und menschenrechtlich vollumfassend ver-
he Kasten sowie Fazit). So wird diskutiert, ob be-                 antwortungsbewusste Rohstoffproduktion dar-
stimmte (Branchen-)Standards staatlich anerkannt                   stellen – tatsächlich bedeutet. Es ist unklar, ob die
werden und als sogenannter „Safe Harbor“ (dt.:                     Mitgliedschaft in einer Initiative im Rohstoffsektor
sicherer Hafen) gelten könnten. Die Teilnahme an                   konkrete Folgen für die Beschaffungspraxis der
und Implementierung von (Branchen-)Standards                       Konzerne und ihre Zulieferer hat. Stattdessen ist
könnte gegebenenfalls zur zivilrechtlichen Haf-                    zu befürchten, dass die Autokonzerne versuchen,
tungsfreistellung bei Verstößen gegen die unter-                   ihre Verantwortung mittels einer Mitgliedschaft in
nehmerische Sorgfaltspflicht führen (das heißt,                    einer Rohstoffinitiative auszulagern. So beschrän-
die Haftung würde auf Vorsatz und grobe Fahrläs-                   ken die Konzerne beispielsweise schon jetzt ihre
sigkeit beschränkt werden).                                        Ausführungen zu Aluminium und Stahl auf das
                                                                   Nennen der Mitgliedschaft in den entsprechenden
Trotz wachsenden Bewusstseins über die Notwen-                     Initiativen, statt tatsächlich Transparenz über die
digkeit von verantwortungsvollem Rohstoffbezug                     Risiken in der eigenen Wertschöpfungskette zu
und -produktion weisen die Nachhaltigkeitsbe-                      schaffen.

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PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
§
            DER REGULATORISCHE KONTEXT:
            VOM NATIONALEN AKTIONSPLAN WIRTSCHAFT UND
            MENSCHENRECHTE ZUM LIEFERKETTENGESETZ

In den letzten Jahren wurden mehrere internatio-                             schiedet, der eine Umsetzung dieser UN-Leitprin-
nale Standards, Rahmenwerke und Absichtserklä-                               zipien vorsieht. Die Bundesregierung erwartet,
rungen verabschiedet, die auf freiwillige Selbst-                            dass Unternehmen den „Prozess der unterneh-
verpflichtungen von Unternehmen zur Achtung                                  merischen Sorgfalt mit Bezug auf die Achtung der
der Menschenrechte abzielen. Dazu zählen die                                 Menschenrechte in einer ihrer Größe, Branche
OECD-Leitsätze für transnationale Unternehmen                                und Position in der Liefer- und Wertschöpfungs-
sowie der OECD-Leitfaden für die Erfüllung der                               kette angemessenen Weise einführen.“5 Der NAP
Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungs-                               steht jedoch unter dem Prinzip der Freiwilligkeit.
voller Lieferketten für Minerale aus Konflikt-                               Laut Koalitionsvertrag (2017) soll ein verbindli-
und Hochrisikogebieten. Schließlich wurden die                               ches Gesetz, das nicht auf Freiwilligkeit, sondern
UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen-                               auf Verpflichtung basiert, geprüft werden, wenn
rechte (2011) beschlossen. Sie sehen vor, dass Un-                           bis 2020 weniger als 50 Prozent der Unternehmen
ternehmen eine Grundsatzerklärung zur Achtung                                mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen entsprechen-
der Menschenrechte abgeben, ihre gesamte Wert-                               de Sorgfaltsprozesse eingeführt haben. Dies ist
schöpfungskette und Geschäftsbeziehungen auf                                 der Fall: Trotz eines methodisch schwach ausge-
menschenrechtliche Risiken untersuchen und ent-                              stalteten Verfahrens ergaben beide Runden des
sprechende Maßnahmen zur Abwendung poten-                                    NAP-Monitorings, dass nicht einmal ein Fünftel der
ziell negativer Auswirkungen einleiten.                                      Unternehmen, die auf die Umfrage reagiert haben,
                                                                             ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ausrei-
Diese Maßnahmen müssen konsequent beobach-                                   chend nachkommen – in der zweiten Runde waren
tet, auf ihre Wirkung überprüft, und für Dritte                              es sogar nur 12,8 bis 16,5 Prozent.6 Im Frühjahr
transparent und nachvollziehbar dokumentiert                                 2019 wurde ein vertraulicher Gesetzesvorschlag
werden. Sofern Unternehmen negative Auswirkun-                               aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche
gen auf Menschenrechte (mit)verursacht haben,                                Zusammenarbeit und Entwicklung publik. Ende
müssen sie den Betroffenen Abhilfe leisten und                               2019 schließlich kündigten Bundesarbeitsminister
den Schaden wiedergutmachen. Im Falle von indi-                              Hubertus Heil (SPD) und Bundesentwicklungsmi-
rekter Involvierung sollten Unternehmen zumin-                               nister Gerd Müller (CSU) an, Eckpunkte für ein Lie-
dest mit Beschwerdemechanismen adressierbar                                  ferkettengesetz auszuarbeiten.7 Seitdem wird um
sein, mit der Justiz kooperieren und ihren Einfluss                          die genaue Ausgestaltung des Gesetzes gerungen
gegenüber direkt verantwortlichen Geschäftspart-                             (siehe Fazit).
nern nutzen, damit diese ihrer Verantwortung zur
Abhilfe nachkommen.                                                          Auf Grundlage des NAP werden Multi-Stakehol-
                                                                             der-Foren geführt, mithilfe derer branchenspe-
2016 hat die Bundesregierung den Nationalen Akti-                            zifische Handlungsanleitungen und Best-Practi-
onsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verab-                           ce-Beispiele zu menschenrechtlichen und um­‑​

5 Auswärtiges Amt (2017), S. 7.
6 Das Monitoring-Verfahren wurde von zivilgesellschaftlicher Seite aufgrund zahlreicher methodischer Schwächen sowie des zweimaligen Verschiebens der
Rückmeldefrist vielfach kritisiert. Wirtschaftsverbände haben die Befragung mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums und des Kanzleramts im
Vorfeld stark verwässert, wie eine Studie der Initiative Lieferkettengesetz belegt. Initiative Lieferkettengesetz (2020d).
7 Diese Eckpunkte sind in einer Vorab-Fassung durchgesickert. BMAS, & BMZ (2020).

                                                                                                                                                     7
PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
Grundlage und Elemente zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten
Zum Schutz von Mensch und Umwelt ist es wichtig, dass neben menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auch
umweltbezogene Sorgfaltspflichten berücksichtigt werden.

           1                                  2                                 3                                4            5                6
    -————                             -————                             -————                             -————           -————            -————
      Grundsatz-                        Ermittlung                       Maßnahmen                       Monitoring und   Transparente      Abhilfe bzw.
    erklärung zur                       (potenziell)                   zur Abwendung                    Überprüfung der   Berichterstat-    Kooperation
     Achtung der                      negativer Aus-                      (potenziell)                  Wirksamkeit der     tung über      beim Zugang
  Menschenrechte                         wirkungen                      negativer Aus-                     Maßnahmen      Maßnahmen          zu Abhilfe
                                                                           wirkungen                                      und Wirkung

Darstellung nach OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten

­​
weltbezogenen      Sorgfaltspflichten für deutsche                                                    Ergebnissen die erste Stufe des Dialogs 2021 abge-
Risikobranchen erarbeitet werden. Die men-                                                            schlossen sein wird.
schenrechtlichen Risikobranchen der deutschen
Wirtschaft wurden in einer im Auftrag des Bundes-                                                     Gleichzeitig findet unter Federführung des Ver-
arbeitsministeriums ermittelten Studie identifi-                                                      kehrsministeriums die Nationale Plattform Zukunft
ziert – dazu zählt auch die Autoindustrie.8 So wurde                                                  der Mobilität statt, in der sich eine Arbeitsgruppe
unter Beteiligung zahlreicher Unternehmen, Wirt-                                                      mit den Themen „Sicherung des Mobilitäts- und Pro-
schaftsverbände, Nichtregierungsorganisationen                                                        duktionsstandortes, Batteriezellproduktion, Roh-
(NROs), Gewerkschaften und weiterer Initiativen                                                       stoffe und Recycling, Bildung und Qualifizie-
der „Branchendialog Automobilindustrie: Ach-                                                          rung“ beschäftigt. Dort diskutieren Industriever-
tung der Menschenrechte entlang der Liefer- und                                                       treter*innen unter Beteiligung der Gewerkschaft
Wertschöpfungsketten“ ins Leben gerufen.9 Die                                                         IG Metall „Potenziale und Risiken für bestehende
teilnehmenden NROs erwarten vom Dialogprozess                                                         wie neu entstehende Wertschöpfungsnetzwerke,
die Entwicklung konkreter Lösungsansätze für                                                          mit einem Fokus auf neue Technologien wie dem
bekannte Herausforderungen in der Umsetzung                                                           ‚Ökosystem Batterie‘.“ Auch „Rohstoffe“ sollen in
menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorg-                                                         diesem Zusammenhang betrachtet werden. Inwie-
faltspflichten.10 Eine längerfristige Beteiligung am                                                  weit menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und
Branchendialog Automobil machen sie davon ab-                                                         Umweltstandards in der Plattform thematisiert
hängig, wie der Prozess verläuft und mit welchen                                                      werden, bleibt offen.11

8 Zu den Merkmalen der Risikobranchen gehört, dass „vergleichsweise viele Menschenrechtsrisiken mit einem erheblichen Bezug zu fundamentalen Rechts-
gütern“ bestehen; viele dieser Risiken „in den ersten Stufen der Wertschöpfungsketten (Rohstoffgewinnung) auf[treten]“; die Risiken „im (direkten) Zusam-
menhang mit ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette stehen“ und die Branchen „somit (potenziell) – in Verbindung mit ihrer Markt-
macht – eine größere kollektive Hebelwirkung zur Bewältigung der Risiken (vgl. UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte) [haben].“ Strukturell
betrachtet haben die Branchen „einen hohen Grad an internationaler Verflechtung (Importquote)“; „sind bezogen auf ihre vorgelagerte Wertschöpfungskette
rohstoffintensiv“ und/oder arbeitsintensiv – und der Abbau dieser Rohstoffe bzw. die Arbeit „findet zum Teil in Ländern mit besonderen Governance- oder
menschenrechtlichen Herausforderungen statt.“ Die Komplexität der Wertschöpfungsketten würde die Kontrolle über Lieferanten und Handelspartner er-
schweren und dadurch die Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen erhöhen. BMAS (2020), S. 61–62
9 Im Branchendialog wurden mehrere Arbeitsgemeinschaften gegründet, die sich mit spezifischen Fragestellungen befassen, darunter 1) Management-
ansätze zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht und Wirkungsindikatoren; 2) Achtung der Menschenrechte in Rohstoff-Wertschöpfungsketten
und -Liefernetzwerken; 3) Aufbau eines unternehmensübergreifenden Beschwerdemechanismus (UBM) in der Automobilindustrie. In den AGs soll auf den
Erfahrungen bestehender Initiativen aufgebaut werden, um keine vorhandenen Aktivitäten zu doppeln, zugleich sollen jedoch auch Lücken in den bisherigen
Rohstoffinitiativen herausgearbeitet und adressiert werden.
10 S. „Stellungnahme aus der Zivilgesellschaft anlässlich des NAP-Branchendialogs Automobil“. INKOTA-netzwerk, Germanwatch, SÜDWIND, Transparency
International, WEED (2020).
11 NPM (n. d.).

                                                                                                                                                           8
PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
Bedarf an ausgewählten Rohstoffen für den Automobilbau
Ungefähre Angaben, eigene Darstellung nach der Umweltbilanz des Audi A4 2.0 TSFI (2015)

                                                                                                             Brasilien
                                                                                                             51,7%

                                       Guinea
                                       92,2%
                                                                                                                                                    Südafrika
                                                                                                                                                    14,7%

                                                                      TA       LLE
                                                                                   IN      IUM                           E IS                               Kanada
                                                                   ME           UM                                              EN
                                                                           AL
                                                               T                                                                                            12,5%
                                                            CH                                                                       /S
                                                   LE
                                                        I
                                                               T       /              G
                                                            XI                    K                                       84              T
                                                                               15                                               4K                              Sonstige
                                                                           2

                                                                                                                                          AH
                                                                                                                                                                21,1%
                                                U
                                            BA

        Sonstige                                                                                            Karosserie,

                                                                                                                                              L
                                                                                                                                 G
        7,8%                                                                          Karosserie,           Fahrwerk,
                                            .
                                          V. A

                                                                                       Leichtbau            Motor, Antrieb
                                                                                                                                                                         Südafrika
    Australien                                                                                                                                                           45,8%
    29,4%
                                                                                                  1535 KG
                        Korrosionsschutz,                                                         Leergewicht                                 Katalysator
                               Elektronik

   Schweden

                                                                                                                                                      TIN
   20,7%
                                    ZINK

                                                                                                                                                  PL A
                                                                                                    Motor,                                                               USA
                                                                                                  Elektronik                                                             12,6%
          USA
          16,4%                                                    ‹                                                                 ›
                                                                       BU                                                        G                               Belgien
                                                                               NT                                             6K                                 11,9%
                                                                                     - UN                                :4
                   Burkina
                                                                                            D SOND               LE                                         Groß-
                   Faso
                   12,1%
                                                                                                       E RME TAL                                            britannien
                                                                                                                                                            10,7%
                                                                                                  KUPFE R                                           Sonstige
                            Sonstige
                            21,4%                                                                                                                   19%

                                                 Peru
                                                 28,6%
                                                                                                                          Sonstige
                                                                                          Chile           Brasilien       34,5%
                                                                                          21,8%           15,1%

Ob mit Verbrennungs- oder Elektromotor – für Karosserie, Leichtbauteile, Motor oder Elektronik im Auto werden massenhaft Rohstoffe
verbraucht, bei deren Abbau und Verarbeitung häufig Menschenrechte verletzt und Ökosysteme zerstört werden. Neben den hier dar-
gestellten Rohstoffen werden u. a. auch Magnesium, Gold, Silber, Chrom, Molybdän, Nickel, Kobalt verbraucht. Je nach Fahrzeugmodell
weicht der Bedarf an Rohstoffen ab. Für den Bau von Elektromotoren und Batterien werden u. a. Kupfer, Nickel, Lithium, Kobalt und
Graphit benötigt. (vgl. INKOTA „E-Mail-Aktion an Autohersteller“ und die PowerShift-Studie „Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit“)

        Landvertreibung                                                                   Fehlende Arbeitssicherheit                          %   Deutsche Rohstoffimporte nach
                                                                                                                                                  Lieferländern im Jahr 2018
        Schwermetallbelastung                                                             Missachtung von Arbeitsrechten
                                                                                                                                                  (Anteile > 10 %)
        Luftverschmutzung                                                                 Verletzung kultureller Rechte

        Wasserknappheit                                                                   Energieaufwand

        Abholzung                                                                         Korruption

                                                                                                                                                                                     9
PERFORMANCE-CHECK AUTOMOBILINDUSTRIE: VERANTWORTUNGSVOLLER ROHSTOFFBEZUG? - Eine Analyse von Industrieinitiativen und Nachhaltigkeitsberichten
Für Orientierung
im Zertifizierungslabyrinth

I  n der politischen Diskussion rund um Menschen-
   rechtsverletzungen im Rohstoffsektor sowie der
diesbezüglichen Verantwortung von rohstoffverar-
                                                     zu gewährleisten. Diese Initiativen wurden in ih-
                                                     ren Anforderungen und Limitierungen bereits von
                                                     Germanwatch analysiert.14 Zur Begründung der
beitenden Unternehmen standen die sogenannten        vorgenommenen Analyse heißt es dort:
Konfliktmineralien lange Zeit im Zentrum der Auf-
merksamkeit. 2010 trat der Dodd-Frank Wall Street     Darüber hinaus macht es ein neuer, teilweise
Reform and Consumer Protection Act (DFA) in den       verbindlicher Rahmen der EU-Verordnung über
USA in Kraft, dessen Artikel 1502 alle US-börsen-     verantwortungsvolle Mineralienbeschaffung,
notierten Unternehmen zu Berichtspflichten für        der sich speziell auf die mineralische Lieferkette
den Bezug von Konfliktmineralien verpflichtet.        konzentriert, erforderlich, freiwillige Ansätze
Demnach müssen Unternehmen – beispielsweise           zu bewerten. Diese Richtlinie setzt auf von der
jene in der Elektronikindustrie – offenlegen, ob      Industrie geführte Initiativen als wichtiges Mittel
ihre Produkte Gold, Tantal, Wolfram und Zinn ent-     zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht. Verschiedene
halten. Ist dies der Fall, muss überprüft werden,     europäische NGOs befürchten, dass diese Initiati-
ob die Rohstoffe aus der Demokratischen Repub-        ven eine gründliche menschenrechtliche Due-Di-
lik Kongo oder benachbarten Staaten stammen.          ligence-Prüfung einzelner Unternehmen ersetzen
Wenn auch dies der Fall ist, muss durch ein ex-       werden. Die Bewertung dieser Ansätze erscheint
ternes unabhängiges Audit nachgewiesen werden,        im Übrigen im Moment besonders relevant, da in
dass es sich dabei nicht um Konfliktmineralien        den letzten Jahren viele freiwillige Ansätze ent-
handelt – das heißt, dass Abbau und Verkauf die-      standen sind.15
ser Rohstoffe nicht zur Finanzierung nicht-staat-
licher bewaffneter Gruppen beigetragen haben.        Dies lässt sich sowohl auf die aktuell geführte De-
Der Dodd-Frank Act hat „der weltweiten Debatte       batte um ein Lieferkettengesetz übertragen als
um Konfliktrohstoffe eine neue Dynamik gegeben       auch auf den Umstand, dass in den letzten Jahren
und Diskussionen und neue Gesetzesvorschläge         zahlreiche weitere Initiativen und (Branchen-)
weit über die USA hinaus angestoßen“12 – unter       Standards im Rohstoffsektor entstanden sind oder
anderem die 2021 in Kraft tretende EU-Konfliktmi-    sich im Entstehungsprozess befinden. So gibt es
neralien-Verordnung. In Zusammenhang mit der         inzwischen mehr als 100 Zertifizierungssysteme
breiten Diskussion um sowie der Regulierung von      im Rohstoffsektor.16 Diese beschäftigen sich mit
dem Bezug von Konfliktmineralien sind zahlreiche     unterschiedlichen Rohstoffen, setzen an unter-
Rahmenwerke entstanden, die sich mit menschen-       schiedlichen Punkten der Produktion und Wei-
rechtlichen, sozialen und ökologischen Risiken       terverarbeitung an, und stellen unterschiedliche
befassen. Zu beobachten gewesen ist ein nahezu       Anforderungen in Bezug auf soziale, ökologische
„explosionsartige[s] Anwachsen von Initiativen“,13   und menschenrechtliche Nachhaltigkeit. Zivilge-
deren Ziel es ist, einen möglichst verantwortungs-   sellschaftliche Akteure, staatliche Behörden, aber
vollen Bezug von Tantal, Zinn, Wolfram und Gold      auch die weiterverarbeitenden Unternehmen be-

12 Adelphi (2015a), S. 1
13 Germanwatch (2018), S. 5
14 Germanwatch (2018)
15 Germanwatch (2018), S. 5
16 Certification of Raw Materials (n. d.).

                                                                                                            10
finden sich in einem „Zertifizierungslabyrinth.“         und Einhaltung der Anforderungen durch ein un-
Orientierung fällt hier schwer. Das gilt nicht nur für   abhängiges Auditsystem gewährleistet? Inwiefern
die Frage, wie ambitioniert ein Standard auf dem         stellt der Standard durch das Zusammenwirken
Papier bezüglich seiner Nachhaltigkeitsanforde-          dieser Faktoren eine gewisse Glaubwürdigkeit dar?
rungen ist, sondern auch für Governance-Aspekte:         Im kommenden Kapitel werden fünf Initiativen im
In welchem Umfang wurden wirklich alle Stake-            Rohstoffsektor, die in den Nachhaltigkeitsberich-
holder, darunter potenziell Betroffene und Zivilge-      ten der in Deutschland produzierenden Autokon-
sellschaft wie Menschenrechts- und Umweltorga-           zerne genannt werden, kurz skizziert und einige
nisationen, in die Ausarbeitung eines Standards          Aspekte kritisch beleuchtet.
einbezogen? Ist die Überprüfung der Umsetzung

Anteil der Automobilindustrie am Gesamtverbrauch Deutschlands
(Ausgewählte Rohstoffe)

             75%                                 40%                                 37%

                 Blei                              Platin                               Zink

             26%                                  10%                                  9%

                Stahl                             Edelstahl                            Kupfer
                                            (Chrom, Nickel, Molybdän,
                                                    Mangan)

                                                  48% DES IN DEUTSCHLAND
                                                  GENUTZTEN ALUMINIUMS
                          48%                     WERDEN IM VERKEHRSSEKTOR
                                                  VERBRAUCHT.

                          Aluminium

                                                                                                       11
DIE ALUMINIUM STEWARDSHIP INITIATIVE: NACHHALTIGES
ALUMINIUM FÜR AUDI, BMW UND DAIMLER?
Die Aluminium Stewardship Initiative hat sich zum                             Luft- und Wasserverschmutzung sowie für den
Ziel gesetzt, ein unabhängiges, durch eine drit-                              Einsatz von Abfall-, Gift- und Reststoffen. Die ASI
te Partei geprüftes Zertifizierungsprogramm für                               zertifiziert zwar keine neu entstehenden Produk-
die Aluminium-Wertschöpfungskette zu entwi-                                   tionsanlagen in Weltkulturerbestätten, ist jedoch
ckeln. In einem Multistakeholder-Prozess, der ab                              bereit, schon bestehende Produktionsanlagen in
2012 von der International Union for Conversation                             Weltkulturerbestätten zu zertifizieren. Problema-
of Nature (IUCN) moderiert wurde, wurde die ers-                              tisch ist auch, dass die ASI keine Vorgaben bezüg-
te Version des „ASI Performance Standard“ ver-                                lich der Notwendigkeit der Verringerung von Lärm
öffentlicht. Im selben Jahr – 2015 – wurde die ASI                            und Vibration macht, was für anwohnende Ge-
2015 von vierzehn multinationalen Unternehmen                                 meinschaften, zusammen mit dem Auftreten von
offiziell gegründet (unter anderem von den Auto-                              massiven Staubwolken, häufig eine erhebliche Be-
konzernen Audi, BMW und Jaguar Land Rover so-                                 einträchtigung der Lebensqualität bedeutet. In Be-
wie dem Bergbaukonzern Rio Tinto Alcan). Aktuell                              zug auf menschenrechtliche Anforderungen deckt
sind zwölf Organisationen aus der Zivilgesellschaft                           die ASI formell viele der relevanten Kriterien ab.
– darunter Umwelt- und Menschenrechtsorganisa-                                So fordert die ASI den Ausschluss von Zwangs-
tionen sowie Gewerkschaften – an der ASI beteiligt.                           und Kinderarbeit, Menschenhandel, Gewalt durch
Ein Indigenous People Advisory Forum berät in                                 staatliche oder private Sicherheitskräfte und der
Fragen der Standardsetzung sowie bei Beschwer-                                Finanzierung bzw. direkten oder indirekten Unter-
den, denn die ASI verfügt über einen Beschwerde-                              stützung von bewaffneten Gruppen. Die ASI macht
mechanismus in Bezug auf den Audit-Prozess.                                   auch Vorgaben bezüglich der Einbeziehung von
                                                                              relevanten Stakeholdern und vom Bergbau poten-
2017 hat die ASI die zweite Version eines Standards                           ziell negativ betroffener Gruppen, insbesondere
veröffentlicht („ASI Performance Standard V2“), der                           durch die freie vorherige informierte Zustimmung
Prinzipien und Kriterien für ökologische und sozi-                            (engl.: Free Prior and Informed Consent; FPIC) von
ale Nachhaltigkeit sowie entsprechende Governan-                              indigenen Gemeinschaften. Arbeitsrechtlich sind
ce-Maßnahmen nennt und sich an Unternehmen                                    unter anderem das Recht auf Versammlung und
mit folgenden Aktivitäten richtet: Bauxitabbau,                               kollektive Tarifverhandlung, faire Löhne, Gesund-
Aluminiumoxid-Raffination, Aluminium-Schmel-                                  heit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Vorbereitung
zen, Aluminium-Umschmelzung/Raffination, Gie-                                 und Reaktion auf Notfälle, Arbeitszeitbeschrän-
ßereien, Halbfertigung und Material-Umwand-                                   kung und Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz
lung.17 Der (freiwillige) Chain-of-Custody Standard                           genannt. Im Kontrast zur IRMA und RSI ließen
beschäftigt sich mit der Nachvollziehbarkeit der                              sich jedoch keine Angaben zur Unterstützung und
Wertschöpfungskette und Anforderungen an                                      Entschädigung bei arbeitsbezogenen Verletzungen
Sorgfaltspflichten.18 So können die verschiedenen                             oder Krankheiten finden. Zusätzliche Maßnahmen
ASI-zertifizierten Stufen der Wertschöpfungskette                             zum Wohlergehen von Arbeiter*innen werden
miteinander verbunden werden.                                                 ebenfalls nicht ergriffen. In einer Analyse der Bun-
                                                                              desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
Die Anforderungen der ASI umfassen dabei un-                                  (BGR), in der mehrere Nachhaltigkeitssysteme im
terschiedliche Aspekte, sind jedoch stark auf den                             Rohstoffsektor miteinander verglichen werden,
Umweltbereich fokussiert. So sollen negative Aus-                             wird der ASI zwar zugestanden, relativ viele Aspek-
wirkungen auf Biodiversität ebenso wie der Aus-                               te formell abzudecken. Diese werden jedoch selten
stoß von Treibhausgasen reduziert werden. Es gibt                             spezifiziert, was dazu führt, dass die ASI in einem
Angaben für die Vorbeugung und Minderung von                                  Ranking der BGR vergleichsweise wenig Punkte

17 Ein Leitfaden (Guidance document) macht spezifische Angaben zur Interpretation und Implementierung der Vorgaben (Aluminium Stewardship Initiative
(2017a)). In einem Handbuch (Assurance Manual) werden die Prinzipien sowie das Verfahren für den Audit-Prozess festgelegt, der schlussendlich zu einem ASI
Zertifikat führen kann (Aluminium Stewardship Initiative (2017b)).
18 Aluminium Stewardship Initiative (2017c).

                                                                                                                                                     12
für den Umfang ihrer Anforderungen erhält.19 Zu                             auf Wasser, Biodiversität sowie kulturelle Erbe-
einer ähnlichen Einschätzung kommt eine Studie                              stätten einhalten müssten, die Anforderungen in
des International Institute for Sustainable Develop-                        Bezug auf die Vermeidung oder gerechte Entschä-
ment und State of Sustainability Initiatives. Hier                          digung von Umsiedlungen bisher jedoch nicht für
werden der ASI insgesamt 63 von 100 Punkten ge-                             „zugehörige Versorgungseinheiten“ gelten wür-
geben, was vor allem an nicht ausreichenden An-                             den. Dies ist eine eklatante Schwäche.
forderungen im sozialen und menschenrechtli-
chen Bereich liegt.20 Bezüglich des Audit-Prozesses                         In einem anderen Kommentar wird darauf verwie-
ist auffällig, dass die tiefergehende Einbeziehung                          sen, dass es „eine gewisse Diskrepanz zwischen
von allen Stakeholdern kein verpflichtendes, um-                            potenziellem Angebot und Nachfrage“ gäbe.23 Die
fängliches Kriterium darstellt. So heißt es, dass                           ASI hätte viele Mitglieder auf Produktionsseite
Interviews mit externen Stakeholdern, darunter                              (das heißt zum Beispiel Minen und Hütten) und
betroffenen und indigenen Gemeinschaften, ge-                               auch viele Mitglieder auf Seiten der industriellen
führt werden „mögen“ (engl.: may), was viel Inter-                          Verbraucher dieser Materialien (wie beispielswei-
pretationsspielraum lässt.21                                                se die deutschen Autokonzerne). Trotzdem gäbe es
                                                                            nicht genügend Nachfrage nach ASI-zertifiziertem
Aktuell befinden sich alle ASI Standard Dokumente                           Material. Dieser Kommentar wirft die Frage auf,
in der Revision (2020–21). Die diesbezüglich einge-                         was die Mitgliedschaft in einer Initiative etwa für
reichten Kommentare können öffentlich eingese-                              die Autokonzerne bedeutet und ob es mit einem
hen werden. So fordert ein Aluminiumproduzent,                              Bekenntnis zur Nachfrage nach möglichst nach-
dass die ASI sich „deutlich mehr“ mit den indus-                            haltig produziertem Aluminium einhergeht.
triespezifischen Umweltherausforderungen wie
Schwefeldioxid-Emissionen oder Abfallprodukten                              Inzwischen sind über 100 Unternehmen Mitglied
(Spent Potlining; Bauxitrückstände) befassen sollte.                        der ASI und 50 Zertifizierungen wurden ausge-
Laut desselben Vertreters sei es aktuell möglich,                           stellt, darunter für acht Bauxit-Bergwerke. Von die-
„dass ein neues Wasserkraftwerk für eine Alumi-                             sen Bergwerken befinden sich fünf in Australien
niumhütte gebaut wird, dabei riesige Flächen un-                            sowie drei in Brasilien. Sie decken 30 Prozent der
berührten natürlichen Lebensraums zerstört und                              globalen Produktion ab.24 Doch in Guinea, einem
Gemeinden verdrängt werden, und es einen Monat                              der wichtigsten Produktionsländer für Bauxit welt-
später ASI-zertifiziert wird.“22 Die Antwort der ASI                        weit – und das Land, aus dem am meisten Bauxit
auf diesen Kommentar lautet, dass „zugehörige                               nach Deutschland importiert wird – ist noch keine
Versorgungseinheiten“ (z. B. Wasserkraftwerke)                              Mine zertifiziert.
die ASI-Anforderungen bzgl. ihrer Auswirkungen

                                                                                                                                       ER
                                                                                         AS DIE MITGLI                 EDSCHAFT IN EIN
                                                                     ES   IST FRAGLICH, W
                                                                                                                                   D OB ES
                                                                                IE AUTOKONZER                   NE BEDEUTET UN
                                                               INITIATIVE FÜR D
                                                                                                                                          T
                                                                                           NACHFRAGE                        NACH MÖGLICHS
                                                           MIT EINEM        BEKENNTNIS ZUR
                                                                                              TEM ALUMINIU                    M EINHERGEHT.
                                                                  NACHHA       LTIG PRODUZIER

19 BGR (2017), S. 54
20 Potts et. al. (2018), S. 46
21 Individual and group interviews may be conducted. Interviews may be conducted with employees, contractors and external
stakeholders, including affected communities and Indigenous Peoples. Aluminium Stewardship Initiative (2017b), S. 62
22 Aluminium Stewardship Initiative. (n. d.).
23 Aluminium Stewardship Initiative. (n. d.).
24 BGR (2020)

                                                                                                                                         13
COPPER MARK: MEHR SCHEIN ALS SEIN BEI
NACHHALTIGEM KUPFER
Copper Mark wurde vom Industrieverband Inter-                       könnten. Außerdem fordert Copper Mark zwar, dass
national Copper Association gegründet und möchte                    Unternehmen die Zustimmung der indigenen Be-
sich zu einer Multi-Stakeholder-Initiative weiter-                  völkerung zu Projekten erwirken sollen, der Um-
entwickeln. Mithilfe des Assurance-Prozesses (dt.:                  gang mit einer Verweigerung bleibt jedoch unklar.
Zusicherung) soll überprüft werden, ob Kupfer-                      Unklar ist auch, ob und inwieweit Copper Mark un-
minen, -schmelzen und -raffinerien nachhaltig                       mittelbar sowie potentiell vom Kupferbergbau be-
produzieren. Hauptziel des Programms ist es, die                    troffene Stakeholder konsultiert hat.
Anforderungen der Londoner Metallbörse (London
Metal Exchange; LME) an verantwortungsvollen Be-                    Die für Copper Mark relevanten Kriterien für ver-
zug zu erfüllen. Perspektivisch will Copper Mark                    antwortungsvolle Produktion sind jene, die von der
auch eine Chain of Custody (dt.: Beweismittel-/Pro-                 Responsible Minerals Initiative allgemeingültig für
duktketten)-Zertifizierung entwickeln.                              Minen definiert wurden, nämlich das „Risk Rea-
                                                                    diness Assessment“ (RRA).26 Der Grundgedanke
Copper Mark hat nicht nur innerhalb von sehr kur-                   des RRA ist jedoch „Einfachheit“; es soll nur eine
zer Zeit ihr Rahmenwerk für den Assurance-Pro-                      begrenzte Zahl an grundlegenden Umwelt-, Sozial-
zess sowie den dazu gehörigen Kriterienkatalog                      und Governance-Aspekten adressiert werden. Im
entwickelt, sondern verspricht den interessierten                   Kontrast zu den anderen hier untersuchten Initia-
Unternehmen an mehreren Stellen, dass etwa die                      tiven bleiben die von Copper Mark skizzierten An-
Unterlagen innerhalb von „zehn Geschäftstagen“                      forderungen häufig sehr vage. Besonders proble-
überprüft werden und genauso rasch über die Er-                     matisch ist, dass Copper Mark anscheinend nicht
füllung der Anforderungen entschieden wird.25                       in allen Fällen einen Besuch der Produktionsstätte
Dies erweckt den Eindruck, dass Copper Mark ein                     erforderlich findet, sondern die Selbsteinschät-
größeres Interesse daran hat, möglichst vielen Un-                  zung der Unternehmen und der Nachweis mit be-
ternehmen möglichst schnell etwa die Erfüllung                      stimmten Referenzdokumenten und Zertifikaten
der LME-Anforderungen zuzusichern, statt einen                      als ausreichend erachtet werden kann. Auch wenn
Standard mit hohem Ambitionslevel zu entwickeln.                    sich Copper Mark um eine stärkere Einbeziehung
Erschreckend ist auch, dass die Notwendigkeit ei-                   von NROs zu bemühen scheint, ist die Initiative
nes Beschwerdemechanismus für Arbeiter*innen                        bisher stark industriegetrieben und weist keine
zunächst damit begründet wird, dass ungelöste                       wesentliche Beteiligung der Zivilgesellschaft auf.27
Probleme die Arbeitsmoral verschlechtern könn-
ten und somit Produktivität negativ beeinflussen

25 The Copper Mark Company (2020a).                                                                                        Foto: robas (iStock)

26 Responsible Business Alliance; The Copper Mark Company (2020).
27 The Copper Mark Company (2020b).

Kupfertagebau Chuquicamata, Atacama Wüste, im Norden
von Chile. Eine Fläche von 13000 km² wird in einer Tiefe
von bis zu 1100 m ausgebeutet.

                                                                                                                     14
IRMA: KLASSENBESTER STANDARD
Die 2006 gegründete Initiative for Responsible Mining                dabei für alle bergbaulich gewonnen Mineralien
Assurance (IRMA) hat den „Standard for Responsi-                     und Metalle (mit Ausnahme von Energierohstof-
ble Mining v.1.0“ (2018) entwickelt.28 Dazwischen                    fen) anwendbar ist. IRMA selbst bezeichnet sich
lagen mehr als zehn Jahre, was sinnbildlich für die                  entsprechend als die einzige Organisation, die ei-
Intensität des Standardsetzungsprozesses steht,                      nen derart umfassenden Standard entwickelt hat.31
den IRMA vorgenommen hat. IRMA ist eine Mul-                         Fragwürdig ist jedoch, ob der Standard, der für
ti-Stakeholder-Initiative im tatsächlichen Wortsinn                  Festgesteinsbergbau entwickelt wurde, auch auf
– alle Gruppen haben Veto-Recht, darunter auch                       die Lithium-Gewinnung aus Salzsole anwendbar
die Zivilgesellschaft, so dass keine Entscheidung                    sein wird. Für Klein- und Kleinstbergbau ist der
gegen die Stimmen einer Akteursgruppe getroffen                      Standard – wie auch die anderen in dieser Publi-
werden können. Zu den Vorstandsmitgliedern ge-                       kation betrachteten Standards – nicht anwendbar.
hören Vertreter*innen aus der Bergbauindustrie,                      Insgesamt beinhaltet IRMA die umfangreichsten
den Downstream-Unternehmen, NROs, Gewerk-                            Anforderungen in zahlreichen Bereichen, darun-
schaften und – besonders erwähnenswert – auch                        ter insbesondere die Achtung der Rechte von lokal
Vertreter*innen von betroffenen Gemeinschaften.                      Betroffenen. IRMA hat außerdem einen starken
Mit der Veröffentlichung der ersten Standard-Ver-                    Fokus auf Gesundheit und Sicherheit von Arbei-
sion 2018 wurde eine Erprobungsphase eingeleitet,                    ter*innen sowie umweltbezogene Aspekte wie Ab-
deren Ziel jedoch noch nicht die Zertifizierung von                  fallvermeidung, Luft- und Wasserverschmutzung,
Minen war, sondern das schrittweise Testen sowie                     und stellt auch die Frage nach der Rehabilitation
die Weiterentwicklung des Standards unter Einbe-                     von Land nach dem Schließen einer Mine. Krite-
ziehung aller Stakeholder. Seit 2019 liegt eine An-                  rien zu Lärm und Vibration kommen ebenfalls
leitung vor, die die Anforderungen konkretisiert.29                  vor. Sowohl die Analyse der BGR als auch jene von
Inzwischen finden die ersten Audit-Prozesse für                      dem International Institute for Sustainable Develop-
eine Blei-, Zink-, Kupfer- und Silbermine in Mexi-                   ment und State of Sustainability Initiatives bewerten
ko, eine Platin-, Palladium-, Gold-, Ruthenium- und                  IRMA als den mit Abstand weitreichendsten Stan-
Iridiummine in Simbabwe sowie eine Nickelmine                        dard.32 So käme IRMA dem Ziel am nächsten, „alle
in Brasilien statt.30                                                für den Bergbau relevanten gesellschaftlichen In-
                                                                     dikatoren abzudecken“.33 Mehr als 50 NROs haben
Auf Basis des – noch nicht veröffentlichten – „Stan-                 in einem Brief an die Weltbank, in dem sie unter
dard for Responsible Mining v.2.0“ – soll schließ-                   anderem verantwortungsvollen Rohstoffbezug for-
lich eine Zertifizierung möglich sein, die sich an                   dern, auf IRMA als Best-Practice verwiesen.34
alle industriellen, großflächigen Minen richtet und

                                                                                                       HALTET IRMA DIE
                                                                                     INSGESAMT BEIN

                                                                                          TEN ANFO       RDERUNGEN IN
                                                                             UMFANGREICHS
                                                                                                                         R
                                                                                                      EICHEN, DARUNTE
                                                                                 ZAHLREICHEN BER
                                                                                            IE ACH     TUNG DER RECHTE
                                                                             INSBESONDERE D
                                                                                                                 OFFENEN.
28 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) (2018).                                  VON LOK AL BETR
29 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) (2019).
30 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) (n. d.(b)).
31 Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA). (n. d.(a)).
32 BGR (2017), S. 172
33 Potts et. al. (2018), S. 34
34 Earthworks et. al. (2019).

                                                                                                                       15
RESPONSIBLE MINERALS INITIATIVE – EIN ENG GEFASSTES
VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN
Das Programm Responsible Minerals Assurance Pro-                                triebsleistung anzudeuten, die über den strengen
cess (RMAP; früher Conflict Free Smelter Program;                               Rahmen des RMAP hinausgeht. Darüber hinaus
CFSP) der Responsible Minerals Initiative (RMI) soll                            würde der Audit-Prozess weder zu einer Material-
feststellen, ob Schmelzen und Raffinerien über                                  zertifizierung führen, noch feststellen, dass das
Management-Systeme zum verantwortungsvollen                                     Material der geprüften Stelle „konfliktfrei“ sei.38
Bezug von Mineralien verfügen – und nachweisen                                  Vielmehr bietet das RMAP-Programm Schmelzen
können, dass sämtliche verarbeitete Materialien                                 und Raffinerien die Möglichkeit, sich über ein ex-
aus Quellen kommen, die nicht zur Konfliktfinan-                                ternes unabhängiges Audit bestätigen zu lassen,
zierung beitragen. Die RMI wurde 2008 von Mit-                                  dass sie in Übereinstimmung mit den OECD-Leit-
gliedern der Responsible Business Alliance und der                              sätzen stehende Sorgfaltspflichten-Management-
Global e-Sustainability Initiative in Folge des Dodd-                           systeme zum verantwortungsvollen Rohstoffbezug
Frank-Act gegründet und ist auch heute keine Mul-                               aus Konflikt- und Hochrisikogebieten eingeführt
tistakeholder-Initiative, sondern wird von der In-                              und umgesetzt haben. So bietet das RMAP einen
dustrie geführt. Das CFSP wurde in Anlehnung an                                 strikten Leitfaden für einen eng abgesteckten Be-
die OECD-Leitsätze für die Erfüllung der Sorgfalts-                             reich und gibt nicht vor, ein allumfassendes Zer-
pflicht zur Förderung verantwortungsvoller Liefer-                              tifikat für Materialien oder eine bestimmte Mine,
ketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikoge-                             Schmelze oder Raffinerie zu sein.
bieten entwickelt. Inzwischen heißt das Programm
Responsible Minerals Assurance Process (RMAP). Es                               Doch auch der Abbau von Zinn, Tantal, Wolfram und
„setzt an einer Stelle in der Lieferkette an, an der                            Gold birgt ökologische Risiken. Ein Verweis auf die
die Rückverfolgung der Minerale bis zum Berg-                                   Mitgliedschaft in der RMI bzw. der Bezug von mit
werk noch einfach realisierbar ist“35 – nämlich den                             der RMAP zertifizierten Schmelzen und Raffinerien
Schmelzen und Raffinerien. Deren Anzahl ist im                                  ist also kein Beitrag zur Erfüllung der ökologischen
Vergleich zu den Bergwerken relativ überschaubar.                               Sorgfaltspflichten der Unternehmen. So stellt der
Die Liste der Schmelzen und Raffinerien, die an                                 RMAP keine Anforderungen an die Reduktion von
dem RMAP teilnehmen, ist öffentlich zugänglich.36                               Treibhausgas-Emissionen, Luft-, Boden- und Wasser-
So können Downstream-Unternehmen eine infor-                                    verschmutzung, Lärm und Vibration sowie Abfall,
mierte Entscheidung darüber treffen, woher sie                                  Gift- und Reststoffen. Auch der Schutz von Arbei-
Gold, Tantal, Wolfram und Zinn beziehen wollen.                                 ter*innenrechten sowie Maßnahmen zum Wohlerge-
Darüber hinaus bietet die RMI ein „Conflict Mine-                               hen von Arbeiter*innen werden im RMAP nicht ab-
rals Reporting Template“ an, das Unternehmen bei                                gefragt. Dazu gehören das Recht auf Versammlung
der Offenlegung und Kommunikation über Hütten                                   und kollektive Tarifverhandlung, faire Löhne, Ge-
in ihren Wertschöpfungsketten unterstützt.                                      sundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Vorberei-
                                                                                tung und Reaktion auf Notfälle, Unterstützung und
Die RMI weist selbst darauf hin, dass der RMAP                                  Entschädigung bei arbeitsbezogenen Verletzungen
nicht alle Menschenrechts-, Sozial- und Umweltri-                               oder Krankheiten, ein Beschwerdemechanismus für
siken abdeckt, mit denen Schmelzen und Raffine-                                 Arbeiter*innen, Arbeitszeitbeschränkung, Nicht-Dis-
rien konfrontiert sein können.37 Eine erfolgreiche                              kriminierung am Arbeitsplatz und die Sozialverträg-
Prüfung solle nicht dazu benutzt werden, eine Be-                               lichkeit bei betriebsbedingter Kündigung.

35 Adelphi (2015b), S. 1.
36 Responsible Minerals Initiative (n. d.)
37 „The standard does not cover all human rights, social, and environmental risks that smelters may be faced with as part of their responsible sourcing prac-
tices, and a successful audit should not be used to imply operating performance beyond the strict scope of the Responsible Minerals Assurance Process. The
process reviews an auditee’s supply-chain due diligence activities of all applicable material inputs and assesses their alignment with the five-step framework
of the OECD Guidance.“ RMI Tin and Tungsten. Responsible Minerals Initiative (2017), S. 4.
38 The audit assesses whether the auditee has implemented company level management processes and due diligence to support responsible mineral
procurement per the OECD Guidance. This assurance process does not result in a material certification nor does it determine that material at the auditee is
conflict-free. Responsible Minerals Initiative (2017), S. 5–6.

                                                                                                                                                         16
Foto: © Erdenebayar Bayansan auf Pixabay
Stahl ist der mengenmäßig wichtigste
Rohstoff in der Automobilindustrie.

RESPONSIBLE STEEL INITIATIVE –
NACHHALTIGKEIT BEI DER
STAHLPRODUKTION, ABER NICHT
BEIM EISENERZBEZUG
Die ResponsibleSteel Initiative (RSI) ist eine Multi­   rung sowie den Audit-Prozess. Die RSI hat Krite-
stakeholder-Initiative, an der neben verschiede-        rien in 12 Bereichen entwickelt, die ökologische,
nen Unternehmen auch NROs und Gewerkschaf-              soziale, menschenrechtliche Aspekte umfassen
ten beteiligt sind. Die RSI hat im November 2019        sowie Governance-Vorgaben machen. Diese bein-
die „Standard Version 1-0“ veröffentlicht, die An-      halten wiederum spezifische Anforderungen etwa
forderungen an eine nachhaltige Stahlproduk-            in Bezug auf die Minderung von negativen Auswir-
tion definiert. Der Zertifizierungsstandard richtet     kungen auf Biodiversität, den Umgang mit Abfall-
sich an betriebliche Standorte, die Stahlprodukte       stoffen und Wasserverbrauch, oder aber Anti-Kor-
produzieren, oder solche, die Rohstoffe für die         ruption und Transparenz sowie Anforderungen
Stahlfertigung verarbeiten. Der Begriff „Standort“      bezüglich des Schutzes von Arbeiter*innenrechten
bezieht sich auf den physischen Standort unter          und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.
Verwaltung oder Kontrolle eines Unternehmens            Mitunter sind die Angaben jedoch etwas vage. So
und kann mehrere Einrichtungen und zugehörige           heißt es in Bezug auf das „Engagement für lokale
Anlagen für die integrierte Produktion von Stahl        Gemeinschaften“, dass ein Plan entwickelt – und
beinhalten. Dazu gehören Koksöfen, Sinter- oder         seine Einhaltung überprüft – werden soll, der das
Pelletwerken, Öfen, Walzwerken und Beschich-            Wohlergehen von lokalen Gemeinschaften sicher-
tungsanlagen, oder kann aus freistehenden Ein-          stellt. Auch soll gezeigt werden, dass marginali-
richtungen für die Produktion von spezifischen          sierte Betroffene „berücksichtigt werden“.41 Wie
Rohstoffen für die Stahlerzeugung, wie Koks oder        diese Berücksichtigung aussieht, wird jedoch nur
Roheisen, oder einem freistehenden Walzwerk,            für indigene Gemeinschaften mit Verweis auf FPIC
bestehen. Aktuell befinden sich unter anderem           konkretisiert sowie in Bezug auf Fragen der Um-
eine Kokerei und eine Stahlhütte von ArcelorMittal      siedlung und Kompensation mit Verweis auf den
in Bottrop und Bremen im Audit-Prozess.                 „Performance Standard 5“ der International Finan-
                                                        ce Corporation.
Der „ResponsibleSteel Standard“39 und das dazu-
gehörige „ResponsibleSteel Assurance Manual“40          Ebenfalls vage waren die Vorgaben bzgl. der Re-
beschreiben die Anforderungen an die Zertifizie-        duktion der Treibhausgas-Emissionen. So sieht

39 ResponsibleSteel (2019a).
40 ResponsibleSteel (2019b).
41 ResponsibleSteel (2019a), S. 58

                                                                                                      17
die RSI vor, dass die Produktionsstätten ihre Emis-    hat deshalb „zusätzliche Anforderungen“ an einen
sionen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkom-         verantwortungsvollen Rohstoffbezug entwickelt
men reduzieren und darüber berichten sollen. Es        und lädt diesbezüglich zur Kommentierung ein.
werden „jedoch keine Schwellenwerte festgelegt.“       Die RSI sieht nicht vor, für den Abbau von Eisen-
42
   Aus diesem Grund überarbeitet die RSI derzeit       erz einen weiteren Zertifizierungsprozess zu ent-
ihre Anforderungen in diesem Bereich. Von Au-          wickeln, sondern verweist darauf, dass Minen sich
gust bis Oktober 2020 gab es diesbezüglich einen       beispielsweise nach dem IRMA-Standard zertifizie-
Konsultationsprozess. Im Rahmen dieser Über-           ren können. Problematisch ist jedoch, dass die RSI
arbeitung und Erweiterung des Standards werden         schreibt: „Stahlstandorte, die an ResponsibleSteel
auch Kriterien für den verantwortungsvollen Roh-       teilnehmen, könnten wählen, ob sie sich anhand
stoffbezug erarbeitet – denn bisher ist dieser As-     der zusätzlichen Anforderungen auditieren las-
pekt außen vor. Das heißt, dass sich Unternehmen       sen wollen, wären aber nicht dazu verpflichtet.“43
in der Stahlproduktion zertifizieren lassen kön-       Anreize für die Erfüllung der zusätzlichen Anfor-
nen, ohne sich tiefergehend mit den menschen-          derungen sollten von den industriellen Unterneh-
rechtlichen, ökologischen und sozialen Bedingun-       men, die Stahl verwenden, durch Gesetzgebung,
gen des Abbaus von Eisenerz, das sie schließlich       Banken mit Nachhaltigkeitsanforderungen oder
weiterverarbeiten, beschäftigt zu haben. Die RSI       von der Zivilgesellschaft kommen.

GETEILTE MÄNGEL – KEIN VETORECHT, UNZULÄNGLICHE
TRANSPARENZ
Die kurze Skizzierung der verschiedenen Initiati-      haben, damit diese sich gemäß der RMI auditieren
ven zeigt, dass sie alle Lücken in unterschiedlichen   lassen. Dies geschah unabhängig davon, ob diese
Bereichen aufweisen. Als rein Industrie geführte       Raffinerien und Schmelzen sich tatsächlich in den
Initiative sind die Anforderungen von Copper Mark      jeweiligen Wertschöpfungsketten eines Unterneh-
sehr schwach und unpräzise ausgestaltet. Die RMI       mens befanden. Diese Methodik könnten Downs-
hingegen hat spezifische Anforderungen, die sich       tream-Unternehmen wie die Autokonzerne nut-
jedoch nur auf einen von zahlreichen relevanten        zen, um Minen dazu zu bewegen, sich zum Beispiel
Bereichen des verantwortungsvollen Rohstoffbe-         nach dem IRMA-Standard zertifizieren zu lassen.
zugs fokussieren, nämlich jenen der Konfliktfi-
nanzierung. Die ASI und die RSI bieten vergleichs-     Neben den Anforderungen, die die verschiede-
weise umfangreiche Zertifizierungsstandards, die       nen Initiativen in Bezug auf menschenrechtliche,
aktuell beide überarbeitet bzw. erweitert werden.      soziale und ökologische Aspekte stellen, gilt es zu
Beide sollten dabei die Einbeziehung von betrof-       berücksichtigen, inwiefern sie strenge Überwa-
fenen Gemeinden deutlich stärken – und die RSI         chungsmechanismen für den Audit-Prozess bieten
sollte die Einhaltung von menschenrechtlichen          und diesen transparent gestalten. Mit Ausnahme
und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für die         von IRMA stellt keine der Initiativen ausreichend
Beschaffung von für die Stahlproduktion notwen-        Transparenz her, indem der gesamte Audit-Report
digen Rohstoffen wie Eisenerz und Koks (Kohle)         veröffentlicht wird. Stattdessen werden lediglich
verpflichtend machen. Sowohl bei der ASI als auch      Zusammenfassungen der Audit-Reports veröffent-
bei der RSI und IRMA – sollten die weiterverarbei-     licht. Ohne eine vollständige Veröffentlichung kön-
tenden Unternehmen ihre Mitgliedschaft sowie           nen externe Anspruchsgruppen jedoch die Audi-
Marktmacht nutzen, um auf Zertifizierung von           tergebnisse nicht selbständig nachvollziehen bzw.
Unternehmen hinzuwirken. In den letzten Jahren         überprüfen. Darüber hinaus weisen die Initiativen
hat es sich als erfolgreich gezeigt, dass Downstre-    Mängel bzgl. der Unabhängigkeit der Audits auf,
am-Unternehmen gemeinsam Druck auf Schmel-             die nur durch eine unabhängige Finanzierung,
zen und Raffinerien für Konfliktrohstoffe ausgeübt     ein Audit-Rotationssystem sowie unangekündigte

42 ResponsibleSteel (2020).
43 ResponsibleSteel (2020), S. 3

                                                                                                       18
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