Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG

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Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
INHALT FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
HANDBUCH

Biodiversität und Gesundheit
am Beispiel des Waldes
Bundesforschungszentrum für Wald
Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
IMPRESSUM                                                                                                                                  INHALT
    ISBN 978-3-903258-39-6                                                                                                                     Vorwort
    © Juni 2021                                                                                                                                Österreich ist ein Waldland....................................................................................................................................................4
                                                                                                                                               Ein Waldbad für unsere Gesundheit ...................................................................................................................................4
    Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes
    Handbuch für die Waldpädagogik und Naturvermittlung
                                                                                                                                               Einleitung
    Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in diesem Handbuch trotz sorgfältigster Bearbeitung ohne                                       Wir brauchen die Natur – die Natur braucht uns nicht ..............................................................................................5
    Gewähr erfolgen und eine Haftung des Herausgebers, Autorinnen und Autoren ausgeschlossen ist.

    Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft                                                            Biodiversität im Wald
    Seckendorff-Gudent-Weg 8, 1131 Wien
                                                                                                                                               Biodiversität – Vielfalt des Lebens ....................................................................................................................................8
    Das Handbuch wurde im Zuge des Projekts Biodiversität im Wald tut gut! des                                                                 Fakten und Zahlen zum österreichischen Wald ..........................................................................................................10
    Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in Kooperation mit dem Umweltdachverband (UWD)
    und Unterstützung von Bund, Ländern und Europäischer Union im Rahmen der LE 14-20 entwickelt.                                              Lebensräume im Wald.............................................................................................................................................................12
                                                                                                                                               Strukturen im Wald am Beispiel Totholz ........................................................................................................................14
    Für den Inhalt verantwortlich: Dr. Peter Mayer

    Autor*innen:                                                                                                                               Herausforderungen der Zukunft für die Biodiversität im Wald
    Christian Lackner, Franziska Krainer, Monika Humer (BFW)
    Christian Fraissl, Christian Raffetseder, Judith Drapela-Dhiflaoui, Martin Troger (Umweltdachverband)
                                                                                                                                               Biodiversität und Klimawandel: Nachhaltige Bewirtschaftung und klimafitter Wald ..............................18
    Katharina Bancalari (Wald.Bildung.Management)                                                                                              Biodiversität und Klimawandel: Ressourcen ...............................................................................................................20
                                                                                                                                               Biodiversität und Klimawandel: Die Bedeutung von genetischer Vielfalt im Wald ....................................22
    Layout: Johanna Kohl
    Projektleitung: Monika Humer (BFW)                                                                                                         Invasive Arten im Wald: Einwanderer mit hoher Verbreitung ..............................................................................24
                                                                                                                                               Invasive Arten mit direkter Auswirkung auf den Menschen.................................................................................26
    Bezugsquellen:
    Bibliothek des BFW; Tel.: 01-878 38 1216; Fax: 01-878 38 1250                                                                              Faktor Mensch: Ein Blick über den Waldrand...............................................................................................................28
    E-Mail: bibliothek@bfw.gv.at
    Online-Bestellung: bfw.ac.at/webshop
                                                                                                                                               Biodiversität im Wald tut gut!
                                                                                                                                               Ökosystemleistungen des Waldes....................................................................................................................................32
                                                                                                                                               Gesundheitswirkung von Wald ..........................................................................................................................................34

    IMPRESSUM
    Bundesforschungszentrum für Wald
                                                                                                                                               Vielfalt schafft Wohlbefinden............................................................................................................................................36
                                                                                                                                               Gesundheitswirkung von Wald auf Körper und Geist...............................................................................................38
    Fotos:                                                                                                                                     Anwendungskonzepte............................................................................................................................................................40
    [1] Michi-Nordlicht/Pixabay; [2] baumpflegeportal_de; [5] Ute Friesen/Pixabay; [7] BFW/FAST; [8] Ralf S/Pixabay; [9] Steiermark
    Tourismus Leodolter; [9] Andrea Bohl/Pixabay; [12] burgstaller/Pixabay; [12] BFW; [13] BFW; [13] Friesenbichler Kerstin (38);
    [17] burgstaller2/Pixabay; [20] lignum_799-011; [20] BFW; [22] BFW; [23] BFW; [24] BFW; [25] BFW; [25] Wikipedia; [25] DW-Wissen-
    schaft-Freetown; [26] Thilo Becker/Pixabay; [27] ragweedfinder_at; [27] Harald Matern/Pixabay; [28] Boris Stromar/Pixabay; [31] Marcin
    Zakowicz/Pixabay; [32] Wikipedia; [33] Wikipedia; [33] BFW/Baumartenfächer; [33] Wikipedia; [33] Wikipedia; [34] Pixabay; [35] pe-
                                                                                                                                               Anregungen für die eigene Arbeit im Wald
    xels/pixabay; [36] BFW [36] Kito32/Pixabay; [36] BFW; [36] BFW/Hoch; [36] BFW; [37] Herbert Aust/Pixabay; [37] Jan Mallander/Pi-
    xabay; [40] Maximilian Wittig/Pixabay; [41] AdobeStock_113098854; [41] AdobeStock; [42] A/Pixabay; [44] BFW; [45] BFW; [46] BFW;
                                                                                                                                               Biodiversität im Wald tut gut: Methodenpool..............................................................................................................44
    [46] Yvonne Huijbens/Pixabay; [47] BFW; [ [48] Wolfgang Schnallinger; [48] BFW;
    Grafik Seite 15: [1] Frank Vassen/Flickr.com; [2] Karl Kern; [3] jim gifford/Flickr.com; [4] Zdenek Tunka; [5] Udo Fehringer; [6] Andreas
    Trepte, www.avi-fauna.info; [7] Krzysztof Niewolny/Pixabay; [8] Tigerente/Wikimedia; [9] Mnolf/Wikimedia; [10] Paolo Taranto/Flickr.com;
    [11] Siga/Wikimedia; [12] entomart/Wikimedia; [13] Hans Braxmeier/Pixabay; [14] Mariofan13/Wikipedia; [15] Reinhold Möller/Wikimedia;      Quellenangaben ...............................................................................................................................................................50
    [16] We25-nata/Wikimedia; [17] Michael Linnenbach/Wikipedia; [18] Joel Silva/Flickr.com; [19] James Connell/BFW; [20] Picture Alliance;
    [21] Iric/Wikimedia; [22] Andreas Mrowetz;

2                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   3
Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
VORWORT                                                                                                  EINLEITUNG
    Österreich ist ein Waldland                        Ein Waldbad für unsere Gesundheit                     Wir brauchen die Natur – die Natur braucht uns nicht
    Dementsprechend gibt es viele und unter-           Wälder können magische Orte sein. Sie schenken
    schiedliche Interessen rund um den Wald. Der       Zeit zum Atmen, Freiheit, Erlebnisse und neue
    Wald ist Lebensraum, Wirtschaftsraum, bietet       Energie. In Österreich ist der Wald von beson-        Die Biodiversität steht unter Druck. Diese Tat-       Damit wir als Gesellschaft für diese Aufgaben
    Schutz vor Naturgefahren und vieles mehr. Mit      derer Bedeutung. Zum einen umfasst er nahezu          sache zeigt sich in allen Bereichen unseres           gerüstet sind, braucht es Übersetzer*innen, die
    diesem Handbuch setzen wir den Fokus auf zwei      die Hälfte unserer Landesfläche und stellt damit      Lebens und führt zunehmend zu Problemen, mit          in der Lage sind, den Wald als Lebensraum,
    wichtige Aspekte und Potenziale des Waldes         einen beachtlichen Natur- aber auch Wirtschaft-       denen unsere Gesellschaft konfrontiert wird. Mit      Bereitsteller für Ökosystemleistungen und Quelle
    und zeigen ihr Zusammenspielen auf: Einerseits     sraum dar. Zum anderen pflegen viele Erholungs-       der vorliegenden Unterlage möchten wir am             unseres Wohlbefindens für die breite Bevölkerung
    die Biodiversität des Waldes, die Vielfalt an      suchende, gerade in der aktuellen Situation einer     Beispiel des Waldes aufzeigen, wie sehr wir alle      zu präsentieren. Waldpädagog*innen, Natur-
    Lebensräumen, Arten und genetischer Varianz,       Pandemie, einen engen persönlichen Bezug zu           von einer intakten Biodiversität abhängig sind.       vermittler*innen und Waldbewirtschafter*innen
    die ein Waldökosystem mit sich bringt. Anderer-    diesem vielfältigen Lebensraum.                                                                             sind gefordert, ihre Erfahrungen, Beobachtungen
    seits die Auswirkungen des Waldes auf die men-                                                           Wälder gelten als die vielfältigsten terrestrischen   und ihr Wissen an ihre Mitmenschen weiter-
                                                       Kaum wo lässt sich die Natur mit all ihrer Vielfalt
    schliche Gesundheit, die durch viele unter-                                                              Ökosysteme weltweit. Aufgrund seiner Lang-            zugeben, den Diskurs darüber zu fördern und
                                                       und Schönheit besser erleben als in einem
    schiedliche Aspekte im Wald – Landschaft,                                                                lebigkeit kann der Wald auf schwache oder             damit das Bewusstsein und die Wertschätzung
                                                       natürlichen, gesunden Wald. Denn intakte
    Gerüche, Geräusche, Klima uvm. – entstehen.                                                              mittlere Störungen elastisch reagieren, doch          für unsere heimischen Wälder zu stärken. Dieses
                                                       Wälder sind wahre Hotspots der Biodiversität,
                                                                                                             bringen eine intensive Nutzung, Umweltver-            vorliegende Handbuch dient als Hilfestellung und
    Gemeinsam mit dem Umweltdachverband, er-           mit einer reichen Artenfülle an Organismen, die
                                                                                                             schmutzung und der Klimawandel das natürliche         Anregung, sich mit einem weiteren wichtigen
    fahrenen Naturvermittler*innen und Waldpäda-       in Form der sogenannten Ökosystemleistungen
                                                                                                             Gleichgewicht ins Wanken. Dies hat auch Aus-          Aspekt des Waldes – als Raum für Biodiversität
    gog*innen haben wir geballtes Wissen zur Bio-      dafür sorgen, dass wir Menschen mit sauberem
                                                                                                             wirkungen auf die biologische Vielfalt und somit      und Gesundheit – zu beschäftigen.
    diversität und zu Gesundheitsaspekten rund um      Wasser und gereinigter Luft versorgt oder vor
                                                                                                             auf uns Menschen, bildet sie doch die Basis
    den Wald zusammengetragen. Damit stellen wir       Erosionen geschützt werden.
                                                                                                             wesentlicher Dienstleistungen der Natur (Öko-         Die Vielfalt der Arten, der Lebensräume und der
    Ihnen Grundlagen zur Verfügung, die den Über-
                                                       Die Kenntnis darüber, dass sich der Aufenthalt        systemleistungen) wie Kohlenstoffspeicherung,         Gene, die in einem Wald gegeben sind, tragen
    schneidungsbereich zwischen Waldbiodiversität
                                                       in unseren Wäldern positiv auf unsere Gesund-         Wasseraufbereitung, Bestäubung und Samenver-          allesamt dazu bei, dass wir von gesundheits-
    und den Gesundheitsleistungen des Waldes
                                                       heit auswirkt, ist inzwischen nicht nur in Japan      breitung. Darum ist es wichtig, den Auswirkungen      fördernden Effekten durch einen Waldaufenthalt
    verbinden. Mit dem Ziel, dass Sie Ihr Wissen um
                                                       unter dem Begriff Shinrin Yoku („Waldbaden“)          einer abnehmenden Biodiversität entgegenzu-           profitieren. Allein ein Spaziergang im Wald
    diese Zusammenhänge in weiterer Folge mit
                                                       verbreitet. Allein durch einen Spaziergang im         steuern, um die heimische Artenvielfalt auch          reicht aus und wirkt positiv auf unser Immun-
    möglichst vielen Menschen, Jung und Alt teilen.
                                                       Wald werden das Herzkreislaufsystem entlastet,        zukünftig zu erhalten und einen Schritt in Richtung   system und unsere Psyche. Erhalten und nutzen
    Das Handbuch basiert auf erprobten Ver-            die Immunabwehr gestärkt und psychische               eines harmonischen Miteinanders zwischen              wir diese Eigenschaften des Waldes mit einer
    mittlungskonzepten, die an den Forstlichen Aus-    Belastungen abgeschwächt. Diese positiven             Menschen und Natur zu machen. Denn eines ist          biodiversitätsfreundlichen und nachhaltigen
    bildungsstätten des BFW gemeinsam mit Fach-        Effekte verdanken wir gesunden und vielfältigen       ganz klar: Die Natur in ihrer Gesamtheit braucht      Waldbewirtschaftung und laden wir die
    expert*innen, Praktiker*innen und Anwen-           Wäldern.                                              uns nicht, um weiterhin fortzubestehen. Aller-        Menschen ein, die Geheimnisse unserer Wälder
    der*innen erprobt und verfeinert wurden.                                                                 dings sind wir in allen Lebensbereichen stark von     zu entdecken.
                                                       Weltweit schreiten im Schatten der vor-               ihren Ressourcen und Dienstleistungen abhängig.
    Wir sagen: Biodiversität im Wald tut gut! Und es   herrschenden Pandemie die Biodiversitäts- und
    tut gut, wenn sich unterschiedliche Menschen       Klimakrise weiter voran und bedrohen die              Besonderer Fokus wird dabei auf das Zu-
    mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln und Er-   heimischen Wälder etwa durch Trockenheit,             sammenwirken von Waldbewirtschaftung und
    fahrungen mit dem Thema in Hinblick auf unsere     Schädlingsbefall oder invasive Arten. Schutz          Naturschutz gerichtet, denn dieses ist von
    Gesundheit befassen. Der Austausch zwischen        und Förderung der Walddiversität müssen daher         entscheidender Bedeutung für die Erhaltung
    Forstwirtschaft, Naturschutz und den jeweiligen    durch Waldschutzgebiete und im Wirtschafts-           und Verbesserung der vielen Leistungen des
    Interessensgruppen ist gelungen, war bereich-      wald durch eine nachhaltige Form der Be-              Waldes. In Anbetracht der aktuellen Heraus-
    ernd und ruft nach weiterer Zusammenarbeit in      wirtschaftung gesichert werden. Nur so bleiben        forderungen durch die Klimakrise dürfen Wald-
    anderen waldrelevanten Bereichen. Denn es ist      uns die vielen wichtigen Leistungen der Wälder        bewirtschaftung und Naturschutz nicht ge-
    die Vielfalt, die unser Leben bunter, schöner,     erhalten und wir können uns darauf verlassen,         trennt voneinander betrachtet werden, sondern
    reicher, wertvoller und interessanter macht –      dass sie uns als magische Orte auch in Zukunft        müssen als Kernelemente einer klimafitten und
    und das kann ja nur gesund sein!                   in ihren Bann ziehen.                                 nachhaltigen Waldbewirtschaftung gesehen
                                                                                                             werden. Unsere Gesundheit in der Zukunft
    Dr. Peter Mayer                                    Mag. Franz Maier                                      hängt von den Entscheidungen ab, die im Hier
    Leiter des Bundesforschungszentrums für Wald       Präsident des Umweltdachverbandes                     und Jetzt getroffen werden!

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Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
INHALT

    Biodiversität im Wald
    Der Begriff „Biodiversität“ taucht im Alltag immer öfter auf.
    Doch was verbirgt sich dahinter?

    In wenigen Seiten wird hier ein kleiner Einblick in wichtige Aspekte der
    Biodiversität in Zusammenhang mit dem österreichischen Wald gegeben.

6                                                                              7
Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
BIODIVERSITÄT IM WALD                                                                                       BIODIVERSITÄT IM WALD
                                                                                                                eine Million, vom Aussterben bedroht. Ein kritis-   Die Biodiversität verbessert dabei nicht unbed-
    Biodiversität – Vielfalt des Lebens                                                                         cher Trend auch für uns Menschen, denn die          ingt die erbrachten Leistungen, sondern puffert
                                                                                                                Artenvielfalt eines Ökosystems sichert dessen       den Wegfall einer tragenden Art (im Zuge einer
                                                                                                                Stabilität. Nur ein stabiles Ökosystem ist in der   Katastrophe oder ungünstigen Bedingungen) ab
    Knapp definiert versteht man unter dem Begriff der Biodiversität die biologische                            Lage verlässlich Ökosystemleistungen zu erbrin-     und verhindert den Zusammenbruch des
    Vielfalt auf unserem Planeten. Er beschreibt die Vielfalt des Lebens auf den drei Ebe-                      gen (z.B. CO2-Speicherung und Geländeschutz).       Ökosystems.
    nen: die der Lebensräume, der Arten und der Genetik.

                                                                                                                Die genetische Vielfalt
    Die Vielfalt der Ökosysteme
                                                                                                                Die genetische Variabilität einer Art entscheidet
    Laut der Biodiversitätskonvention ist ein                                                                   nicht selten über deren Fortbestand oder deren
    Ökosystem ein dynamischer Komplex von                                                                       Aussterben. Wie bereits erwähnt, sind Arten
    Gemeinschaften aus Pflanzen, Tieren und                                                                     das Produkt einer sehr langen Entwicklungs-
    Mikroorganismen (Biozönose) sowie deren                                                                     geschichte, in der sie sich immer wieder neuen
    unbelebten Umwelt (Biotop), die als funktionelle                                                            Herausforderungen stellen mussten. Dafür
    Einheiten in Wechselwirkung stehen. Das Biotop                                                              entscheidend waren auch die intraspezifischen
    beschreibt den Ort des Ökosystems und die in                                                                genetischen Abweichungen, die z.B. bei einem
    ihm stattfindenden Stoffflüsse (z.B. Wasser,                                                                Krankheitsbefall einem Teil der Population er-
    Kohlenstoff und Mineralien). Durch seine                                                                    möglichte, zu überleben.
    Eigenschaften beeinflusst es die Biozönose.
                                                                                                                                                                     Am alltäglichsten begegnet uns die genetische
    Die Größe dabei ist nicht entscheidend und
                                                        Biber (Castor fiber) – an der Schnittstelle             Neben dem Tierreich finden sich auch unter un-
                                                                                                                                                                     Vielfalt wohl bei Haustieren. So gehören alle Hunde-
    kann je nach Blickwinkel sowohl einen Wald als      zwischen Art und Lebensraum                             seren Nahrungsmitteln viele Sorten ein und der-
                                                                                                                                                                     rassen genetisch gesehen zu einer Art, nämlich dem
    auch einen Moospolster umfassen. In der                                                                     selben Art. So können in Österreich über 2000
                                                                                                                                                                     Wolf (Canis lupus). Aufgrund der hohen genetischen
                                                        Damit ein Biber sich ansiedeln kann, benötigt er ein                                                         Variabilität innerhalb dieser Art können über 300 ver-
    Biozönose ist die Lebensgemeinschaft eines          Gewässer, Nahrung und Baumaterial für seine Biber-      verschiedene Apfelsorten unterschieden werden,
    Ökosystems enthalten, welche sich aus den                                                                   hauptsächlich genutzt werden gerade einmal
                                                                                                                                                                     schiedene Hunderassen mit anderem Aussehen und
                                                        burg. Durch den Bau seiner Burg und das Fällen von                                                           Verhalten unterschieden werden. Bei genetischen
    verschiedenen Populationen von Tieren, Pflanzen     Bäumen beeinflusst er wiederum die umliegende           zehn, wovon Golden Delicious und Gala allein 51
    und Mikroorganismen zusammensetzt. Neben                                                                    Prozent ausmachen. Eine Vielfalt an Sorten gibt
                                                                                                                                                                     Untersuchungen der Rassen konnten zudem 23
                                                        Landschaft (Heben und Senken des Wasserstandes,                                                              Clades (eine Gruppe von Arten oder Rassen mit einem
    dem Biotop ist eine Population mit sich selbst      Auflichtung), andere Biber (ausgeprägtes Revierver-     nicht nur Sicherheit gegenüber sich verändern-
    (intraspezifisch) sowie auch mit anderen                                                                    den Umweltbedingungen, Krankheiten und
                                                                                                                                                                     gemeinsamen Vorfahren) gefunden werden, welche
                                                        halten) und anwesende Arten (tiefere Gewässer für                                                            auf die Präferenzen der Hundezüchter Aufschluss
    Populationen (interspezifisch) in ständiger         Fische, Licht für die Bodenvegetation).                 Schädlingen, sondern birgt ebenso Kultur in
    Wechselwirkung.                                                                                             Form von landestypischen Spezialitäten.
                                                                                                                                                                     geben können (Hütehunde, Jagdhunde, etc.).

                                                                                                                Die genetische Diversität von Waldbaumarten         Mit der steigenden Anzahl an Allergiker*innen
                                                                                                                und ganzen Beständen stellt sicher, dass Bäume      wird die Suche nach Alternativen zu den
    Die Artenvielfalt                                                                                           flexibel auf natürliche Umweltveränderungen         Standardsorten zudem immer wichtiger. Seit
                                                                                                                reagieren können. Dabei breiten sich die Träger     einem Jahrhundert werden immer weniger
    Die Vielfalt der Arten umfasst alle bekannten                                                               günstiger Erbeigenschaften auf Kosten der           Pflanzensorten in der Landwirtschaft einge-
    und unbekannten Arten auf der Erde.                 Bis heute sind etwa 1,75 Millionen Arten an Pflanzen,   Träger ungünstigerer Eigenschaften aus. Auf         setzt, meist aus Gründen ihrer Anpassungs-
                                                        Tieren und Mikroorganismen weltweit beschrieben         diese Weise passen sich unterschiedliche Arten      fähigkeit an die intensive Nutzung. Bis heute
    In Österreich sind rund 67.000 Tier-, Pflanzen-     worden, Hochrechnungen sprechen von 8,7 Millionen       und Populationen im Laufe der Zeit an die sich      gingen dadurch 75 Prozent der damals
    und Pilzarten beheimatet, darunter 40.000           (+/- 1,3 Millionen), die meisten davon noch unent-      ändernden Bedürfnisse ihrer Standorte an.           präsenten Nutzpflanzensorten verloren.
    Insektenarten. Zirka 4.000 Pflanzen- und Tier-      deckt.
    arten davon sind bedroht.

    Alle Arten sind das Produkt von ständiger An-      jetzt keine allgemeingültige Definition von „Art“
    passung an eine sich stetig wandelnde Umwelt.      aufgestellt werden konnte. Durch das Zutun des
    Wahrscheinlich einer der Gründe, warum bis         Menschen sind immer mehr Arten, derzeit über

8                                                                                                                                                                                                                             9
Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
BIODIVERSITÄT IM WALD                                                                                             BIODIVERSITÄT IM WALD
     Fakten und Zahlen zum österreichischen Wald                                                                         Die forstlichen Wuchsgebiete Österreichs

                                                                 (Naturräume) mit weitgehend einheitlichem                           1.1 Innenalpen - kontinentale Kernzone                           6.1 Südliche Randalpen
      Was ist Wald? – drei Definitionen                                                                                              1.2 Subkontinentale Innenalpen - Westteil                        6.2 Klagenfurter Becken
                                                                 Klimacharakter und einheitlichen geomorpholo-
      Folgt man der UNESCO, so ist ein Wald ein Bestand von                                                                          1.3 Subkontinentale Innenalpen - Ostteil                         7.1 Nördl. Alpenvorland - Westteil
                                                                 gischen Grundeinheiten. Sie sind durch eine
      Bäumen mit einer Wuchshöhe größer als fünf Meter,                                                                              2.1 Nördliche Zwischenalpen - Westteil                           7.2 Nördl. Alpenvorland - Ostteil
                                                                 gesetzmäßige Folge von Standorten und einen
      deren Kronendach geschlossen ist.                                                                                              2.2 Nördliche Zwischenalpen - Ostteil                            8.1 Pannonisches Tief- und Hügelland
                                                                 entsprechenden Waldgesellschaftskomplex ge-                         3.1 Östliche Zwischenalpen - Nordteil                            8.2 Subillyrisches Hügel- und Terrassenland
      Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation       kennzeichnet. Gleiche morphologische und                            3.2 Östliche Zwischenalpen - Südteil                             9.1 Mühlviertel
      der Vereinten Nationen) definiert Wald als Land-           edaphische (=bodenbedingt) Bedingungen führen                       3.3 Südliche Zwischenalpen                                       9.2 Waldviertel
      flächen mit einem Mindestanteil der Kronenfläche           in verschiedenen Wuchsgebieten hingegen häufig                      4.1 Nördliche Randalpen - Westteil
      der Bäume von zehn Prozent auf einer Fläche von            zu unterschiedlichen Waldgesellschaften.                            4.2 Nördliche Randalpen - Ostteil
      mindestens 0,5 Hektar. Das Vorkommen von Bäumen                                                                                5.1 Niederösterreichischer Alpenostrand (Thermenalpen)
      mit einer Mindesthöhe von fünf Metern und das Fehlen       Die Abbildung rechts unten liefert einen                            5.2 Bucklige Welt                                                                      9.2
      anderer vorherrschender Landnutzungsformen                 Überblick über die Leitgesellschaften in den                        5.3 Ost- und Mittelsteirisches Bergland
                                                                 einzelnen Höhenstufen. In Österreich über-                          5.4 Weststeirisches Bergland                                                 9.1
      komplettieren die Definition.                                                                                                                                                                                                                 8.1
                                                                 wiegen natürliche Waldgesellschaften, die aus                                                                                              7.2
      Laut österreichischem Forstgesetz versteht man             zwei oder mehr Hauptbaumarten aufgebaut                                                                                      7.1
      unter „Wald“ jene Grundflächen, die mit forstlichem        sind. So ist etwa die flächenmäßig häufigste                                                                                                                            5.1
      Bewuchs bestockt sind, soweit die Bestockung                                                                                                                                                                         4.2
                                                                 natürliche Waldgesellschaft der Fichten-Tan-                                                                                       4.1
      mindestens eine Fläche von 1.000 m2 und durch-             nen-Buchenwald mit 29,6 Prozent Anteil an der                                                                                                                              5.2 8.1
      schnittliche Breite von zehn Metern erreicht.                                                                                                  4.1
                                                                 Waldfläche (ÖWI 2007/09). Noch vielfältiger
                                                                                                                                 4.1                                   2.1                      2.2                        3.1        5.3
                                                                 als die zonalen Leitgesellschaften mittlerer
                                                                 Standorte sind die Sondergesellschaften auf                                   1.2               1.2                                1.3
                                                                                                                                                      1.1                     1.2                                    3.2              8.2
                                                                 noch wenig entwickelten, besonders trockenen                                                                                                              5.4
     Österreichs Wälder in Zahlen                                oder besonders feuchten Spezialstandorten                                                                          3.3
                                                                 (z.B. Schwarzföhrenwälder, Blockfichtenwald).
                                                                                                                       0             20   40    60   80 100 km
                                                                                                                                                                                              6.1              6.2
     Österreich ist nicht nur eines der waldreichsten
     Länder Europas – immerhin sind 47,9 Prozent                 In Österreichs Wäldern wachsen 3,4 Milliarden
     des Landes laut der Zwischenauswertung der                  Bäume, die sich in 65 heimischen Baumarten
     aktuellen Österreichischen Waldinventur (ÖWI                widerspiegeln. Laut letzter Waldinventur-                                     Durchschnittliche Höhenstufenverteilung
     2016/18) mit Wald bedeckt – sondern aufgrund                Zwischenauswertung (ÖWI 2016/18) dominiert
                                                                                                                                                                                                                                         hochsubalpin
     der Mannigfaltigkeit an Geländeformen, Sub-                 die Fichte mit 49,2 Prozent der Fläche den                                                                                                                              tiefsubalpin
                                                                                                                                     2.500
     straten und Klimaten auch eines mit der höch-               österreichischen Ertragswald, gefolgt von Rot-                                                                                                                          hochmontan
     sten Vielfalt an natürlichen Waldgesellschaften.            buche (10,2 Prozent), Lärche (4,4 Prozent),                                                                                                                             mittelmontan
     So kommen in Österreich etwa 118 Waldgesell-                Weißkiefer (4,1 Prozent), Tanne (2,5 Prozent)                       2.000                                                                                               tiefmontan
     schaften in 22 Wuchsgebieten vor, die zu neun               und Eiche (2,1 Prozent). Jedoch geht der Trend                                                                                                                          submontan
     Hauptwuchsgebieten zusammengefasst werden                   hin zu laubholzreicheren Mischbeständen und                                                                                                                             kollin
                                                                                                                                     1.500
                                                                                                                       Seehöhe [m]
     (siehe Abbildung rechts oben).                              einer naturnäheren Waldbewirtschaftung.
                                                                 Während die mit Nadelwald bestockte Fläche
     Wuchsgebiete sind nach forstökologischen                    in den letzten 30 Jahren um 287.000 ha                              1.000
     Gesichtspunkten gefasste Großlandschaften                   abgenommen hat, ist die Laubwaldfläche um
                                                                 130.000 ha gestiegen.
                                                                                                                                       500
      Im Zuge der Österreichischen Waldinventur (ÖWI) werden
      jährlich zahlreiche Daten des österreichischen Waldes
      seit dem Jahr 1961 erhoben – ein unglaublicher Schatz an    Trotz der positiven Entwicklung gibt es zahlreiche                      0
                                                                  gefährdete Biotoptypen im Wald.                                              1.1 1.2 1.3 2.1 2.2 3.1 3.2 3.3 4.1 4.2 5.1 5.2 5.3 5.4 6.1 6.2 7.1 7.2 8.1 8.2 9.1 9.2
      Wissen. Mehr Infos unter www.waldinventur.at.
                                                                                                                                                                                          Wuchsgebiete

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Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
BIODIVERSITÄT IM WALD                                                                                BIODIVERSITÄT IM WALD
     Lebensräume im Wald                                                                                  Trockenlebensräume
                                                                                                          Trockenlebensräume erscheinen auf den ersten
     Wälder beherbergen eine Vielzahl von kleineren Ökosystemen mit eigenen                               Blick als eher ungünstige Standorte für Pflanzen,
     vorherrschenden Bedingungen und unterschiedlichen Artengemeinschaften.                               sind sie doch durch einen dauerhaften oder zu-
                                                                                                          mindest      langanhaltenden     Wassermangel
                                                                                                          geprägt. Dennoch weisen Trockenlebensräume
                                                                                                          wie Kalkmagerrasen eine große Artenvielfalt auf,
     Waldrand                                          Feuchtlebensräume                                  vor allem bei Pflanzen und Insekten. Auch
                                                                                                          kleinere, langsam wachsende Pflanzen, die in
     Waldränder sind durch ihren Grenzcharakter        Feuchtstandorte gehören zu den vielseitigsten      einer Wiese schnell von anderen Arten über-         waren meist extensiv genutzte Viehweiden,
     meist wahre Hotspots der Biodiversität. Verant-   Lebensräumen im Wald. Vom Bach zum Fluss           wuchert werden, haben hier einen klaren Vorteil.    welche durch das ständige Abgrasen vor der
     wortlich dafür ist der stufenförmige Übergang     oder von der Pfütze zum See – sie alle zeichnen    Viele Trockenlebensräume entstanden und             Verbuschung bewahrt wurden. Auch die Ränder
     vom Waldmantel über einen absteigenden            sich durch einen dauerhaften oder periodischen     entstehen als Folge der menschlichen Ein-           von Forststraßen sind oft mit typischen Trocken-
     Strauchgürtel hin zum Saumbereich, wodurch        Wasserüberschuss aus und formen, bedingt durch     wirkung auf die Umwelt. Trockenrasen sind und       zeigern bewachsen.
     eine Brücke für Arten des Waldes und des          geologische oder meteorologische Gegeben-
     Offenlandes geschlagen wird. Solche arten-        heiten, abwechslungsreiche Lebensräume wie
     reichen Grenzbereiche werden auch Ökoton          Feuchtwiesen, Sümpfe und Moore. Feuchtstand-       Veteranen- und Höhlenbäume                           Mikrohabitate
     bezeichnet. Pflanzenarten, wie die Schlehe oder   orte werden von den meisten Baumarten auf-
     Wild-Birne, freuen sich am Waldrand nicht nur     grund der Staunässe gemieden, weshalb sich in      Veteranen-Bäume zeichnen sich durch ihr hohes        In der Fachwelt bezeichnet man kleinste Lebens-
     über den wesentlich höheren Lichteinfall als im   diesen Bereichen Lichtungen bilden können. Da      Alter mit teilweise weit über 150 Jahren aus.        räume an Bäumen wie Mulmkörper, Höhlen oder
     inneren des Waldes, sondern auch über die         Licht im Wald nicht selbstverständlich ist         Durch ihre lange Lebensdauer (Fichten und Tannen     Rindentaschen als Mikrohabitate. Mulm besteht aus
     höheren Temperaturen.                             (limitierender Faktor), sind Lichtungen, ähnlich   werden 600 Jahre und mehr alt) bilden sie ein
                                                                                                                                                               Holz, das durch Pilze und aus Stoffwechselprodukten
                                                       dem Waldrand, wahre Hotspots der Biodiversität.    stabiles Ökosystem und weisen auf die günstigen
                                                                                                                                                               von Insekten zu Pulver zersetzt wurde. Die Habitat-
                                                                                                          Standortbedingungen hin. Baumveteranen bieten
                                                                                                          einer Vielzahl von Tieren Lebensraum: Ein
                                                                                                                                                               oder Biotopbäume weisen ganz besondere Strukturen
                                                                                                          morsches Astloch hat Potenzial als Spechthöhle,      – also Mikrohabitate – auf, auch sogenannte Horste
                                                                                                          Nischen unter abblätternder Rinde dienen als         finden sich darunter. Horstbäume sind spezielle
                                                                                                          Versteck für Fledermäuse und abgestorbene Äste       Bäume, auf denen größere Vogelarten wie Weißstorch,
                                                                                                          oder Mulmkörper werden als Kinderstuben von          Rotmilan oder Wespenbussard ihre Großnester
                                                                                                          Insekten und anderen Gliedertieren (z.B. Asseln      anlegen.
                                                                                                          und Tausendfüßlern) genutzt.

                                                                                                          Totholz
                                                                                                          Abgebrochene Äste, Baumstümpfe, ein vom
                                                                                                          Sturm abgerissener oder abgestorbener Baum,
                                                                                                          das alles wird als Totholz bezeichnet. Stehendes
                                                                                                          wie liegendes Totholz ist ein wichtiger Be-
                                                                                                          standteil im Ökosystem Wald und bietet zahl-
                                                                                                          reichen Arten einen Lebensraum. Durch seine
                                                                                                          Ökosystemleistungen ist Totholz mittlerweile
                                                                                                          fester Bestandteil einer nachhaltigen Wald-
                                                                                                          bewirtschaftung. Auch für viele andere
                                                                                                          Organismen ist Totholz in ihren Lebenszyklen
                                                                                                          essenziel und nimmt damit gerade für die Bio-
                                                                                                          diversität eine wichtige Rolle ein.

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Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
BIODIVERSITÄT IM WALD                                                                                            BIODIVERSITÄT IM WALD
     Strukturen im Wald am Beispiel Totholz                                                                           Sehr lebendig, das Totholz
                                                                                                                                                                                              1

     Totholz ist eines der besten Beispiele, wie Strukturen im Wald die Biodiversität beeinflussen,                   Von den vielen Organismen, welche auf
     denn entgegen seinem Namen ist Totholz Lebensraum einer Vielzahl an Arten. Diese                                 Totholz angewiesen sind, ist hier eine                                          3
     Lebewesen, die im oder am Holz leben, werden als „Xylobionten“ (von „xylos“, Holz und                            Auswahl dargestellt:                                     2
     „bios“, Leben) bezeichnet. Die meisten Xylobionten finden sich unter den Insekten, denn im
     weichen Holz finden unzählige Insektenlarven idealen Unterschlupf und ernähren sich, indem                       1     Sperlingskauz
     sie das Holz zersetzen. Vögel suchen am Totholz nach Nahrung oder nutzen es als Brutplatz,                       2     Mittelspecht
     Igel finden unter Totholzhaufen einen Schlafplatz für den Winter. Pilze durchziehen mit ihren                    3     Hohltaube
     „Wurzeln“ (Myzel) das Holz, Flechten wachsen auf holzigen Unterlagen und helfen ebenso                           4     Buntspecht                                5
     bei der Zersetzung wie die vielen wirbellosen Arten (z.B. Asseln, Tausendfüßer etc.) und                         5     Hirschkäfer
     Bakterien.                                                                                                       6     Zaunkönig                                                             4
                                                                                                                      7     Eichhörnchen
                                                                                                                      8     Strauchflechte                                                    8
     Käfer im Totholz                                       Wirbeltiere                                               9     Großer Abendsegler
                                                                                                                      10    Siebenschläfer
     Etwa ein Viertel der heimischen Käferarten be-         Zu den wichtigsten Xylobionten zählen wohl die            11    Großer Weidenprachtkäfer
     siedeln absterbende oder tote Bäume.                   Spechte. Während Spechte eher die Nutzung                 12    Scharlachroter Feuerkäfer
                                                            von stehendem Totholz bevorzugen, ist für an-
                                                                                                                                                                  6
                                                                                                                      13    Blattflechte
      Zwei österreichische Vertreter                        dere Wirbeltiergruppen liegendes Totholz                  14    Rotrandiger Baumschwamm
                                                            besonders attraktiv. Blindschleichen und Molche           15    Zunderschwamm                     7
      Der Große Eichenbock benötigt dicke, absterbende      finden einen geschützten Lebensraum und auch                                                                                      9
                                                                                                                      16    Moos
      und sonnenexponierte Eichen. Im Spätsommer findet     der Feuersalamander zieht sich gerne unter                17    Feuersalamander
      die Verpuppung im Holz statt, wo ausgewachsene        totes Holz zurück, wo er sich von wirbellosen             18    Igel
      Tiere auch überwintern.                               Organismen wie Asseln, Schnecken und                      19    Schrotbock (Larve)
      Der Hirschkäfer, die größte Käferart Mitteleuropas,   Würmern ernährt.                                          20    Blindschleiche                                         10
      benötigt Wurzelstöcke oder abgestorbene Stümpfe                                                                 21    Erdkröte
      von Eichen für seine mindestens fünfjährige Larven-                                                             22    Waldeidechse                                  11
                                                             Der Specht und sein großer Einfluss
      entwicklung.
                                                             auf das Ökosystem
                                                             An geschwächten Stellen im Baum (z.B. ein faules                                                                       13
                                                             Astloch) oder in stehendes Totholz zimmern Spechte                                    12
     Pilze im Totholz                                        ihre Höhlen. Diese werden von ihnen selbst aber nur
                                                             in sehr seltenen Fällen mehrjährig genutzt, bieten
     Ungefähr die Hälfte der im Wald vorkommenden            dadurch anderen Arten geschützte Unterschlüpfe. So
     5.000 Pilzarten lebt am Holz und ist in der Lage,       wird eine ehemalige Spechthöhle gerne von kleineren                                                                         14
     mit dem sogenannten Pilzmyzel in das Holz               Vögeln, z.B. von Meisen, Kleibern, Hohltauben, Tannen-
     hineinzuwachsen und dort Lignin, Zellulose und          meisen oder Sperlingskäuzen, dankend angenommen.                                                             16
     Hemizellulose zu zersetzen.                             Ebenfalls häufige Nachmieter sind Fledermäuse,
                                                             beispielsweise die Wasser- und Bechsteinfledermaus                                     15
      Unterschieden werden…
                                                             oder der Große Abendsegler, welche sie als Schlaf-
      Weißfäulepilze (z.B. Zunderschwamm), die das Lignin
                                                             und sogar Winterquartiere nutzen. Wird es den ersten
      abbauen und ein faseriges weißlich gefärbtes Holz
                                                             Nachmieter dann doch mal zu eng oder zu dreckig,          17                18              19                    20                     22
      zurück lassen
                                                             stehen schon die nächsten Interessenten bereit, allen
      Braunfäulepilze (z.B. Rotrandiger Baumschwamm),
                                                             voran Wildbienen und Totholzkäfer (z.B. der Alpenbock
      die das rotbraune Lignin übrig lassen und nur die                                                                                                                                 21
                                                             und der Hirschkäfer).
      Zellulose abbauen.

14                                                                                                                                                                                                         15
Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
Herausforderungen der Zukunft für die
     Biodiversität im Wald
     Nicht nur der Klimawandel stellt eine Bedrohung für die Biodiversität dar. Weitere
     derartige Treiber sind Habitatverluste und -zerstörungen, Ausbeutung der
     tierischen und pflanzlichen Ressourcen, nicht nachhaltige Waldbewirtschaftung
     und -nutzung, die Einführung von invasiven Neobiota sowie Umwelt- und
     Lichtverschmutzung.

16                                                                                        17
Biodiversität und Gesundheit am Beispiel des Waldes - HANDBUCH FÜR DIE WALDPÄDAGOGIK UND NATURVERMITTLUNG
HERAUSFORDERUNGEN                                                                                                          HERAUSFORDERUNGEN
     Biodiversität und Klimawandel:                                                                                             Diversität als Waldschutzmaßnahme
     Nachhaltige Bewirtschaftung und klimafitter Wald                                                                           Für die Baumartenwahl sind Kenntnisse über die         Mit den klimatischen Veränderungen in Österreich
                                                                                                                                Standortbedingungen hinsichtlich klimatischer          steht die Waldbewirtschaftung vor großen Heraus-
                                                                                                                                Veränderungen von Bedeutung. In der klassischen        forderungen. Um die Wälder klimafit zu machen, sind
     Abiotische Faktoren, wie Klima, Wasser, Licht,                wirtschafter*innen sind gefordert, sich über ver-            Standortskunde zählte das Klima neben Geologie         folgende Faktoren zu beachten:
     Temperatur oder Nährsalzgehalt fördern unter-                 schiedene Anpassungsmaßnahmen Gedanken zu                    und Relief zu einem stabilen Faktor. Diese ge-
                                                                                                                                                                                       • eine verstärkte Orientierung an den künftigen
     schiedliche Strukturen im Wald (Totholz,                      machen. Gerade im Osten Österreichs sollen                   wohnte Stabilität ist durch die aktuellen Verän-
                                                                                                                                                                                         klimastabilen, natürlichen Waldgesellschaften
     Feuchtlebensräume wie Tümpel, Felswände,                      in Zukunft Laubmischwälder die derzeit vor-                  derungen des Klimawandels in Gefahr. Ein Wald
     Extremstandorte), die sich positiv auf die Bio-               herrschenden Fichtenwälder ersetzen, da Laub-                mit hoher Biodiversität kann hier eine erfolgreiche    • eine dynamische Betrachtung des Standorts bei
     diversität auswirken. Aber auch die Art der (nach-            bäume besser längere Trockenperioden überstehen              Waldschutzstrategie sein. Zum einen wird die             fortschreitender Klimaänderung
     haltigen) Bewirtschaftung kann zu einer höheren               können. Generell wird der Umbau von Nadel-                   Ausbreitung von spezialisierten Schädlingen ein-       • naturnahe Waldbewirtschaftung (Verfeinerung der
     Biodiversität führen. Ein aktuelles Beispiel aus              wäldern hin zu naturnahen Laub- und Misch-                   gedämmt, da Wirtsbäume nicht übermäßig                   Waldstruktur, Förderung von Naturverjüngung, Ge-
     der Waldwirtschaft für die Wichtigkeit von                    wäldern forciert. In Beständen, in denen neben               vorkommen wie bei Monokulturen und somit das             staltung der Waldränder etc.)
     Artenvielfalt sind die Überlegungen zum klimafit-             Nadelbäumen auch Laubbäume, eine durchmischte                Risiko gestreut wird. Zum anderen finden               • Schaffung von Wasserflächen
     ten Wald. Denn derzeit sind viele Waldflächen                 Altersklassenzusammensetzung und Struktur-                   Nützlinge als natürliche Gegenspieler in viel-         • Förderung der Vielfalt gilt bei der Baumartenwahl
     durch höhere Temperaturen, Wassermangel und                   reichtum vorhanden sind, wird das Risiko von                 fältigen Beständen oft bessere Bedingungen vor.          als auch bei Genetik, den Strukturen und den
     Sturmereignisse gefährdet, woraufhin Forst-                   Ausfällen durch den Klimawandel minimiert, da                                                                         Lebensräumen
     schädlinge leichtes Spiel haben. Waldbe-                      Störungen besser ausgleichen werden können.                  Es lohnt sich auch, bereits bei der Dickungspflege
                                                                                                                                                                                       • angepasstes Schalenwildmanagement, um die
                                                                                                                                darauf zu achten, dass eine stufige Bestan-
                                                                                                                                                                                         Naturverjüngung von Mischbaumarten sicherzu-
                                                                                                                                desstruktur vor allem aus Naturverjüngung ent-
                                                                                                                                                                                         stellen
                                                                                                                                steht. Denn auch die im Schatten von Altbäumen
           Aspe          Bergahorn       Bergulme        Birke            Birne                    Douglasie      Drehkiefe
                                                                                                                           r
                                                                                                                                und Überhältern aufwachsenden Zwischen- und
                                                                                      Buche
                                                                                                                                Unterständer erfüllen im Schadensfall eine Ver-       Wildverbiss oder der Ausbreitung von Neo-
                                                                                                                                sicherungsfunktion. Bei der Aufforstung und           phyten entgegenzutreten. Waldeigentümer*innen
                                                                                                                                Nachbesserung sollten Baumarten gewählt wer-          und Forstleute stehen hier vor besonderen Her-
                                                                                                                                den, die an die erwartete Entwicklung des             ausforderungen. Es bedarf hier an Hilfestellun-
                                                                            Hybrid-
           Engelmann-
             fichte        Gemeine
                            Fichte       Grauerle
                                                         Hybrid-
                                                         Aspe 1
                                                                            Aspe 2    Hybrid-
                                                                                      Aspe 3
                                                                                                        Hybrid-
                                                                                                        Lärche
                                                                                                                    Kamm-
                                                                                                                     fichte     Standortes angepasst sind und die Vielfalt er-        gen, angefangen von einschlägiger Beratung und
                                                                                                                                höhen. Nichtsdestotrotz geht die naturnahe            Betreuung bis hin zu finanzieller Unterstützung
                                                                                                                                Waldbewirtschaftung oft auch mit vermehrten           von Leistungen, die über gesetzlich vorge-
                                                                                                                                Pflegemaßnahmen einher, z. B. um auftretenden         schriebene Maßnahmen hinausgehen.

            Küsten-      Gemeine                      Schwarz-                        Stieleiche        Tanne
                                          Mehlbeere     kiefer
                                                                        Schwedische                                Vogelbeere
             tanne        Lärche

                                                                                                                                Naturraummanagement und der Ausbau von Schutzgebieten
                                                                         Mehlbeere

                                                                                                                                Um Biodiversitätsziele zu erreichen, ist – nach-      einheitlichen Empfehlungen. Die Schutzgebiete
              Vogel-
                                                                                                                                haltige Waldwirtschaft vorausgesetzt – weniger        dienen als Refugien für hochgradig gefährdete
                               W eide     Weiß-          Winter-              Zirbe
              kirsche                     kiefer          linde                                                                 die Menge des genutzten Holzes relevant, son-         Arten und als Forschungsstätten. Sie sollen auf
                                                                                                                                dern die Qualität eines regional angepassten          jeden Fall (mit Interessenausgleich) für künftige
      Die Klimaveränderung bringt die Hauptbaumart Fichte an manchen Standorten im Wechselgebiet sichtbar an ihre               Naturraummanagements (z.B. Altholzinseln,             Generationen erhalten werden.
      Grenzen. Der Ruf nach alternativen Baumarten wird immer lauter. 29 verschiedene Baumarten wurden im Projekt               Totholz, Förderung gefährdeter Biotoptypen und
      „Nachhaltige Waldverjüngung in Hochlagen“ angepflanzt. Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit bilden die Grundlage            Arten) und der Ausbau des Naturwaldreser-              Weitere Infos zu den Naturwaldreservaten in Öster-
      für Empfehlungen von Hochlagenaufforstungen für das ost- und mittelsteirische Bergland und vergleichbare                  vateprogramms.                                         reich finden sich unter www.naturwaldreservate.at.
      Bergregionen der Ost- und Zentralalpen. Der Versuch zeigt, wie Baumartenwahl, Baumartenvielfalt und die Wahl                                                                     Eine genaue Übersicht der verschiedenen Schutz-
      des geeigneten Vermehrungsgutes die wichtigsten Leistungen beeinflussen und damit die Anpassung an den Klima-             In zahlreichen Biodiversitätsstrategien ist der
                                                                                                                                Schutz alter Wälder (z. B. Nationalparks und           gebietskategorien kann hier eingesehen werden
      wandel unterstützen können.                                                                                                                                                      www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/naturschutz
                                                                                                                                Naturwaldreservate) ein wichtiges Ziel. Für das
      Weitere Infos unter www.netgen.or.at.                                                                                     Flächenausmaß dieser Gebiete gibt es keine             /schutzgebiete.

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HERAUSFORDERUNGEN                                 HERAUSFORDERUNGEN
     Biodiversität und Klimawandel: Ressourcen
     Durch den Klimawandel wird auch bei uns eine
                                                       Bedeutung des österreichischen                                                                         Drei Kernaussagen der Studie:
     Temperaturerhöhung erwartet. Diese führt z.B.
     dazu, dass (unter der Annahme gleichbleibender    Waldes und der Bewirtschaftung                                                                         • Jährlich werden durch die Holznutzung (stofflich und
     Feuchtigkeit) organische Substanzen vermehrt      im Klimawandel                                                                                           energetisch) in Österreich 12,5 Mio. Tonnen CO2
     mineralisiert werden und Humus abgebaut wird.     Bei der neuen Studie des Projekts CareforParis                                                           vermieden.
     Infolgedessen wird Kohlendioxid (CO2) frei-       wurde der mögliche Beitrag österreichischer Wälder                                                     • Die Reduktion der Holznutzung erhöht Treibhausgas-
     gegeben. In den Alpen gingen von 1987 bis 2011    und der Forst- und Holzwirtschaft gegen die Kli-                                                         emissionen, da mehr fossile Rohstoffe wie Erdöl,
     auf Bodendauerbeobachtungsflächen 14 Prozent      makrise in sechs Szenarien untersucht. Hauptergebnis                                                     Kohle und Erdgas und mit hohem fossilem Einsatz
     der Humusmasse verloren. Diese schwerwiegen-      ist, dass der Ersatz fossiler Rohstoffe durch Holzpro-                                                   erzeugte Produkte (Metalle, Beton oder Kunststoffe)
     den Veränderungen sind im Gelände kaum            dukte und die damit vermiedenen Emissionen der                                                           eingesetzt werden.
     wahrzunehmen. Der Schwund kann nur minimiert      größte Hebel des Forstsektors für den Klimaschutz
     werden, wenn Freiflächen (Kahlschlag, Verlich-    sind. Der Wald allein liefert einen wichtigen Beitrag                                                  • Die reine Senkenwirkung des Waldes ist je nach Be-
     tung) und instabile und einschichtige Bestände    zur CO2-Speicherung, kann jedoch keine dauerhafte                                                        wirtschaftungsszenario zeitlich auf 30 bis 100 Jahre
     vermieden werden. Eine möglichst rasche Auf-      Senke sein.                                                                                              begrenzt.
     forstung mit standortsgerechten Baumarten un-
     terstützt die Entstehung einer vielfältigen Be-   Durchgeführt wurde die Studie vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW), dem Umweltbundesamt, der
     standsstruktur.                                   Universität für Bodenkultur (BOKU) und dem Holzkompetenzzentrum Wood K Plus.

     Der österreichische Wald nimmt CO2 aus der
     Luft auf und speichert den Kohlenstoff im Holz,
     dieser Kohlenstoff-Vorrat nimmt derzeit und in
     naher Zukunft zu und hilft beim Klimaschutz.
     Wird die globale Erderwärmung nicht, wie im
     Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen, auf                                                                                              Atmosphäre
     unter 2 °Celsius begrenzt, ist dieser Beitrag
     gefährdet. Höhere Temperaturen und dadurch
                                                                                                                             Freisetzung am Ende                            Biomassezuwachs
     erforderliche Anpassungsmaßnahmen im Wald
                                                                                                                             der Nutzungsdauer
     können die Senkenwirkung des Waldes und des

                                                                  Freisetzung durch mikrobielle Zersetzung

                                                                                                                                                                                                                Herstellung von Holz- und Ersatzprodukten
     Holzsektors deutlich beeinflussen. Durch lang-

                                                                                                                                                                                                                    Nutzung fossiler Rohstoffe bei der
                                                                                                                                              Holznutzung
     lebige Holzprodukte (insbesondere im Bereich
                                                                                                                    Holzprodukte

                                                                                                                                                                                              „CO 2-Rucksack“
     des Holzbaus) gelingt es, möglichst viel CO2 in
     gebundener Form zu belassen.                                                                                                                                  Lebende
                                                                                                                                                                 Waldbiomasse
                                                                                                                                                 Mortalität
                                                                                                                       Totholz

                                                                                                                             Streufall                                      Streufall

                                                                                                                                                                                            Fossiler
                                                                                                                     Waldboden mit Streuschicht                                         Kohlenstoffvorrat
                                                                                                             CO2-Aufnahme                C-Transfer                CO2-Freisetzung

20                                                                                                                                                                                                                                                          21
HERAUSFORDERUNGEN                                                                                             HERAUSFORDERUNGEN
     Biodiversität und Klimawandel:
     Die Bedeutung von genetischer Vielfalt im Wald
     Genetische Varianz ist besonders im Kontext
     der Klimaveränderungen von Bedeutung, so
     kann etwa durch die Auswahl von Saatgut
     (Herkunft, Beerntungsmodus, Anzuchtbedingun-
     gen) die Anpassungsfähigkeit von Wäldern bee-
     influsst werden. Ist es möglich die zukünftigen
     Standortbedingungen vorherzusagen, können
     geeignete Ableger der Art ausgewählt und
     angepflanzt werden. Diese Methode setzt um-
     fangreiche Feldversuche, wie sie beispielsweise
     in Schweden durchgeführt wurden, und eine
     ausreichende genetische Varianz des Saatgutes
     voraus. Autochthone Individuen, die sich an
     Grenz- oder Extremstandorten (Hochlagen)
                                                            Die Besten der Besten für unseren Wald:
     etabliert haben, sind dabei von besonderer
     Bedeutung. Bei unsicheren Prognosen spielt             Die Plusbäume
     die genetische Anpassungsfähigkeit eine ge-            Der Klimawandel macht dem Wald ganz schön schwer
     wichtige Rolle. Bäume sind ortsgebunden und            zu schaffen, denn nicht alle Bäume können sich den
     können, anders als Tiere, ihren Standort nicht         rasant wandelnden Temperaturen und damit ver-
     verlassen, wenn sich die Bedingungen ver-              bundenen Niederschlagsverhältnissen anpassen.
     schlechtern. Dazu haben sie eine lange Lebenss-        Waldbesitzer*innen und Förster*innen müssen ver-
     panne, wodurch eine rasche genetische Anpas-           mehrt einen Fokus auf die Stabilität ihrer Wälder
     sung (wie z.B. bei Bakterien) unmöglich ist.           legen. Eine Maßnahme hier ist die Nutzung von an die
     Allerdings verfügen sie über eine hohe Akklima-        zukünftigen Verhältnisse angepassten Samenher-
     tisationsfähigkeit, sodass sie sich physiologisch      künften oder solchen, die ein höheres Potential zur
     an die veränderten Bedingungen anpassen kön-           Anpassung besitzen. Bei dem Konzept der Plusbäume
     nen. Finden die Veränderungen allerdings in zu         wählt man nur Bäume mit besten Qualitätsmerkmalen
     kurzer Zeit statt, kann keine natürliche Verjün-       wie Stammform, Holzdichte, Trockenheits- und
     gung mehr erfolgen.                                    Schädlingsresistenz aus, um mit ihnen noch bessere
                                                                                                                   Ulmensterben in Österreich                               Eschentriebsterben
                                                            Nachkommen zu züchten. Das BFW hat hier                Die Ulmen leiden an einer Krankheit, der Holländischen   Der eingeschleppte Pilz Falsches Weißes Stengel-
      Autochthon bedeutet, dass diese Arten am jeweiligen   spannende Projekte, zum Beispiel mit der Fichte:       Ulmenwelke, ausgelöst durch wahrscheinlich aus           becherchen (Hymenoscyphus fraxineus) verursacht
      Standort natürlich vorkommen und heimisch sind.       www.fichteplus.at                                      Asien stammende Schlauchpilze. Die Infektion mit         aktuell das Eschentriebsterben. Bestände starben
                                                                                                                   dem Pilz führt zur Verstopfung der wasserleitenden       großflächig ab. Es fanden sich aber in Altbeständen
                                                                                                                   Gefäße der Bäume und wird vom Kleinen wie Großen         und in fünf Prozent der Klone in den Staatgutplantagen
                                                                                                                   Ulmensplintkäfer übertragen. Die drei in Österreich      Individuen, die nur einen geringen Schaden aufweisen.
                                                                                                                   heimischen Ulmenarten, Feld-, Berg- und Flatterulme,     Laut internationalen Studien weist diese Resistenz
                                                                                                                   sind alle anfällig für den Pilz, der befürchtete voll-   eine hohe erbliche Komponente auf, daher ist die
                                                                                                                   ständige Exodus blieb jedoch aus. Stark abgenommen       Zucht von resistenten Bäumen sehr erfolgsver-
                                                                                                                   hat die Zahl an Altbäumen, jüngere Altersklassen         sprechend, wird vom Bundesforschungszentrum für
                                                                                                                   hingegen sind noch in vielen Teilen Österreich zu        Wald (BFW) im Versuchsgarten Tulln durchgeführt und
                                                                                                                   finden.                                                  soll künftige Aufforstungen und Renaturierungs-
                                                                                                                                                                            projekte ermöglichen.

22                                                                                                                                                                                                                                   23
HERAUSFORDERUNGEN                                                                                           HERAUSFORDERUNGEN
                                                                                                                                                                               Leuchtend Gelb -
     Invasive Arten im Wald:                                                                                                                                                   Kanadische/Riesen-Goldrute
     Einwanderer mit hoher Verbreitung                                                                                                                                         (Solidago canadensis und S. gigantea)
                                                                                                                                                                               Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet beider
                                                                                                                                                                               Goldrutenarten liegt in Nordamerikas Steppen. Die
     Invasive Neobiota können in nahezu allen                                                                                                                                  Arten wurden im 17. Jahrhundert als Gartenpflanze
     Lebensräumen Österreichs angetroffen werden.
                                                        Neobiota in Österreich                                                                                                 nach England gebracht. Sie sind recht anspruchslos
     Das gefährliche Potenzial ihrer Ausbreitung        In Österreich sind derzeit über 2.000 gebietsfremde                                                                    und können daher überall mit genügend Licht
     schadet vor allem heimischen Tieren und            Arten (Neobiota) bekannt. Das sind 3 Prozent der                                                                       vorkommen. Beide werden leicht durch den Wind ver-
     Pflanzen, die durch diese Neuankömmlinge ver-      Gesamtartenanzahl in Österreich. Davon sind 1.300                                                                      triebene Samen oder als Rhizome in Gartenabfällen
     drängt werden. Nicht alle Neobiota sind jedoch     Neophyten (Pflanzen), 100 Neomyzeten (Pilze) und 650                                                                   oder Bauschutt (Forststraßen) verbreitet. Einmal
     invasiv. Der Begriff der Neobiota hat ihren        Neozoen (Tiere). Als naturschutzfachlich problema-                                                                     aufgekommen, bilden sie rasch Dominanzbestände
     Ursprung in der Entdeckung der Neuen Welt, als     tisch gelten bei den Neophyten gerade mal 36 Arten,                                                                    und verhindern so z.B. in gestörten Waldbeständen
     Christoph Columbus im Jahr 1492 am                 bei den Neozoen 47 Arten. Unter den Neomyzeten                                                                         (z.B. Windwurffläche) die natürliche Verjüngung.
     amerikanischen Kontinent anlandete. Seit dieser    befinden sich einige sehr problematische Krankheit-
     Zeit wurden Arten vermehrt durch die weltweite     serreger (siehe dazu Ulmen- und Eschensterben
     Vernetzung des Handels in neue Lebensräume         Seite 23).                                                                                                             Mink (Neovison vison) –
     eingeschleppt, wo einige von ihnen erheblichen
     Schaden anrichten. Allerdings gibt es auch        Im Folgenden sind beispielhaft Arten der
                                                                                                                                                                               aus Pelzfarmen entkommen
     Beispiele von Nutzpflanzen, die heute einen       invasiven Neobiota für Österreich angeführt, die                                                                        Der Mink oder amerikanische Nerz stammt ur-
     wesentlichen Beitrag zur Ernährung der            vor allem für den Wald eine Rolle spielen. Sie                                                                          sprünglich aus Nordamerika und kam wie seine Ver-
     Bevölkerung leisten, wie die Kartoffel, die ur-   zeigen exemplarisch die Gefahr und das Potenzial                                                                        wandtschaft für die Zucht in Pelzfarmen nach Europa.
     sprünglich aus Südamerika stammt.                 solcher Arten auf.                                                                                                      Von dort entflohen oder befreit, breitete er sich in den
                                                                                                                                                                               kälteren Regionen Europas aus. Dort bewohnt er
                                                                                                                                                                               gewässernahe Wälder, nahe seiner Hauptnahrungs-
                                                        Götterbaum (Ailanthus altissima) –                                                                                     quelle, bestehend aus Kleinsäuger, Amphibien, Vögel
                                                                                                                                                                               und deren Eier. Bei seiner Ausbreitung verdrängte der
                                                        ein Stadtbewohner
                                                                                                                                                                               Mink den etwas kleineren europäischen Nerz fast
                                                        Ursprünglich stammt die Pionierbaumart aus Asien,                                                                      vollständig.
                                                        wo sie wirtschaftlich vor allem als Nahrung für
                                                        Seidenraupen dient. Für den gleichen Zweck wurde
                                                        der Götterbaum im 18. Jahrhundert auch zu uns ge-                                                                      dadurch die Wasser- und Sauerstoffaufnahme. Durch
                                                        bracht. Heute kommt er hauptsächlich als Stadt-                                                                        den Export von südafrikanischen „Apothekerfröschen“
                                                        begrünung zum Einsatz aufgrund seiner Widerstands-                                                                     (der Frosch wurde als lebender Schwangerschafts-
                                                        fähigkeit gegenüber Abgasen, Streusalz und Trock-                                                                      test gehandelt) gelangte der Pilz vermutlich nach
                                                        enheit.                                                                                                                Europa und verbreitete sich. In Spanien verursachte
                                                                                                                                                                               er beispielsweise ein lokales Massenaussterben der
                                                        Weiteren Nutzen findet er in der Forstwirtschaft, noch
                                                                                                                                                                               Amphibienpopulationen. Den Grund, warum der
                                                        mehr aber zur Honiggewinnung. Wegen seiner
                                                                                                                                                                               Chytrid-Pilz gerade jetzt erst derartige Auswirkungen
                                                        Konkurrenzstärke wird der Götterbaum gerade in
                                                                                                                 Krallenfrosch (Xenopus laevis) auch Apothekerfrosch genannt   auf die weltweiten Froschpopulationen aufweist,
                                                        warmen Trockengebieten zum Problem, wo er andere
                                                                                                                                                                               sehen Forscher auch in der fortscheitenden
                                                        Arten verdrängt.                                         Batrachochytrium dendrobatidis –                              Umweltverschmutzung und dem Klimawandel. Der
                                                        Rinde und Früchte sind giftig (können Allergien aus-     gefährlicher Pilz für Frösche                                 Pilz selbst existiert bereits seit Tausenden von Jahren.
                                                        lösen) und seine Wurzeln schädigen in Städten die        Der Pilz Batrachochytrium dendrobatidis, auch                 Hinweis: Um der Verbreitung von Pilzen wie dem
                                                        Bausubstanz. Da er sich sowohl durch Stockaus-           Chytrid-Pilz genannt, wirkt sich fatal auf die                Chytridpilz keinen Vorschub zu leisten, sollten
                                                        schlag als auch durch seine Wurzel vermehren kann,       weltweite Amphibienpopulationen aus. Der Pilz nistet          Gummistiefel vor dem Betreten eines Gewässers
                                                        gestaltet sich die Eindämmung als äußerst schwierig.     sich auf der Haut der Amphibien ein und verhindert            stets gründlich gereinigt werden!

24                                                                                                                                                                                                                                        25
HERAUSFORDERUNGEN                                                                                        HERAUSFORDERUNGEN
     Invasive Arten mit direkter Auswirkung
     auf den Menschen
                                                                                                                              Ragweed (Ambrosia artemisiifolia) –
     Von den meisten gebietsfremden Arten, die sich   dieser Neobiota haben jedoch neben der
                                                                                                                              löst Allergien aus
     bei uns ansiedeln, gehen keine Gefahren für      Auswirkung auf die Biodiversität auch direkte
     unsere Natur oder uns Menschen aus. Manche       Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.                            Das Ragweed oder Beifußblättrige Traubenkraut
                                                                                                                              stammt ursprünglich aus Nordamerika und kam als
                                                                                                                              Bestandteil eines Vogelfutters nach Europa.
                                                                                                                              Zusammen mit dem Riesenbärenklau zählt es wohl
                                                                                                                              zu den berüchtigtsten Neophyten in Österreich. In
                                                       Riesenbärenklau                                                        Weizenfeldern verdrängt das Ragweed den Weizen
                                                       (Heracleum mantegazzianum) –                                           und kann zu größeren Verlusten führen.
                                                       Gefahr für Pflanzen, Tiere und Menschen                                Besonders gefürchtet ist es wegen seiner hoch aller-
                                                       Wohl einer der prominentesten invasiven Neophyten                      genen Pollen. Meistens betrifft eine solche Allergie
                                                       ist der Riesenbärenklau. Ursprünglich aus dem West-                    die Augen oder Atemwege, und kann, wenn es unbe-
                                                       kaukasus stammend, wurde der bis zu 5 Meter hohe                       handelt bleibt, in wenigen Fällen auch zu Asthma
                                                       Riesenbärenklau als Zierpflanze nach Europa ge-                        führen.
                                                       bracht. Bald wurde er auch in Bienenweiden und als                     Verbreitungsorte sind vor allem Orte mit einer hohen
                                                       Deckungspflanze für Wildtiere eingesetzt.                              Störungsfrequenz, wie regelmäßig gemähte Bahn-
                                                       Die unabsichtliche Verbreitung erfolgte mit                            gleise oder Straßenränder. Um erfolgreich gegen die
                                                       Bauschutt und Gartenabfällen. Bevorzugt sind kühle,                    Verbreitung vorzugehen, muss vor allem der richtige
                                                       niederschlagsreiche Standorte, wie z.B. entlang von                    Schnittzeitpunkt eingehalten werden (ein erster im
                                                       Flüssen oder Waldrändern. Problematisch für die                        August, gefolgt von einem zweiten zwei bis drei
                                                       dortige Pflanzenwelt ist die von ihm großflächige                      Wochen später), sonst begünstigt man die Verbreitung
                                                       Beschattung, die es anderen Pflanzen sehr schwer                       der einjährigen Pflanze. Nach einer Übersichtsstudie
                                                       macht aufzukommen. Dadurch verlieren auch viele                        sind es leider aber diese Bekämpfungsmaßnahmen,
                                                       Tiere (vor allem Insekten und Vögel) ihre Nahrungs-                    gegen Ragweed die indirekt am meisten negativen
                                                       grundlagen, der Riesenbärenklau selbst ist für viele                   Einfluss auf die ihm umliegende Biodiversität nimmt.
                                                       zudem giftig.
                                                       Auch für den Menschen stellt der Pflanzensaft eine
                                                       nicht mindere Bedrohung dar. Die in ihm enthaltenen                    Marderhund (Nyctereutes procyonoides) –
                                                       phototoxischen Inhaltsstoffe (Furocumarin) verur-                      entflohen und eingewandert
                                                       sachen schon bei der Berührung Rötungen und                            Der Marderhund stammt ursprünglich aus Ostasien
                                                       Blasenbildung auf der Haut. In Kombination mit                         und wurde in Osteuropa für die Pelzproduktion ge-
                                                       Sonnenlicht folgen etwas verzögert schwere Haut-                       halten. Von dort breitete er sich nach Westen hin aus
                                                       entzündungen und Verbrennungen, teils mit bleiben-                     und erreichte 1963 Österreich. Er besiedelt vor allem
                                                       den Schäden (Narben, Pigmentstörungen).                                Laub- und Mischwälder mit dichtem Unterholz. Auf
                                                       Bei der Entfernung von Beständen muss nicht nur ein                    seinem Speiseplan steht so gut wie alles, z.B.
                                                       Schutzanzug getragen, sondern vor allem der                            gefährdete Amphibien- und Reptilienarten, aber auch
                                                       Schnittzeitpunkt beachtet werden, so dass es nicht                     Mais- und Erdbeerfelder werden von ihm gerne
                                                       zu einer unbeabsichtigten Verbreitung der Samen                        aufgesucht. Marderhunde sind potenzielle Überträger
                                                       kommt.                                                                 von Tollwut und dem Parasiten Echinococcus
                                                                                                                              multilocularis (dem Fuchsbandwurm).

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