UBS Outlook Schweiz Konjunkturanalyse Schweiz - Arbeitsmarkt - wie weiter?
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UBS Outlook Schweiz Chief Investment Office WM April 2014 2. Quartal 2014 Konjunkturanalyse Schweiz Arbeitsmarkt – wie weiter? ab
Ein hoher Mindestlohn würde die Flexibilität des Arbeitsmarktes in der Schweiz einschränken und die strukturelle Arbeitslosigkeit ansteigen lassen. UBS Outlook Schweiz Redaktionsschluss Bestelladresse 2. Quartal 2014 3. April 2014 UBS AG, Help Desk/Operations, Diese Publikation wurde von UBS AG erstellt. F2AL, Postfach, CH-8098 Zürich, Produktmanagement Fax +41 44 238 50 21, Die Kurs-Entwicklung der Vergangenheit Petrina Smyrli E-Mail SH-IZ-UBS-Publikationen@ubs.com ist keine Indikation für die Zukunft. Die ange- gebenen Marktpreise sind Schlusskurse der Desktop Abonnements- und Adressänderungen jeweiligen Hauptbörse. Dies gilt für alle Kurs- CIO digital & print publishing E-Mail: emanuela.abbiati@ubs.com diagramme und Tabellen in dieser Publikation. oder Telefon: +41 44 238 50 15 Titelbild Leiter Economic & Swiss Research schweizfotos.com Aus rechtlichen Gründen erhalten nur Kundinnen Dr. Daniel Kalt und Kunden mit Wohnsitz in der Schweiz die Beilage Druck «Investieren in der Schweiz». Herausgeber galledia ag, Flawil, Schweiz UBS AG, Chief Investment Office WM, UBS-Homepage: www.ubs.com Postfach, CH-8098 Zürich Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch Chefredaktion Pierre Weill Kontakt E-Mail: pierre.weill@ubs.com www.ubs.com/investmentviews Projektleitung Branchenumfrage Sibille Duss SAP-Nr. 80428D-1402 2 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Editorial Daniel Kalt Daniel Kalt Regional CIO Switzerland, UBS AG Liebe Leserin Lieber Leser Eine der unbestrittenen Stärken der hohen Wettbewerbs Unsere Ökonomen gehen dabei Fragen nach, wie der fähigkeit der Schweizer Wirtschaft ist ihr offener und Bedarf an Fachkräften befriedigt und wie der Beschäfti- äusserst flexibler Arbeitsmarkt. Die Annahme der Massen gungsgrad von Frauen erhöht werden kann. Ein weiterer einwanderungsinitiative hat die politische Schweiz kurz Artikel befasst sich mit den Auswirkungen auf die Kan- zeitig in Schockstarre versetzt. Die Umsetzung der Initiative tone, die stark von Grenzgängern abhängig sind. Schliess- wird die Schweiz mit Blick auf die bilateralen Beziehungen lich äussert sich der Arbeitsmarkt-Experte Professor zur EU vor grosse Herausforderungen stellen. Die wirtschaft George Sheldon in einem Interview zu den Folgen einer lichen Folgen sind schwierig abzuschätzen. Kontingentierung der Arbeit. Einen Hinweis auf mögliche Auswirkungen zeigt die UBS- Und schon wirft bereits die nächste Initiative, welche den Unternehmensumfrage, deren Ergebnisse wir in diesem Arbeitsmarkt zum Thema hat, ihre Schatten voraus. Dabei UBS Outlook Schweiz publizieren. Deutlich mehr als die geht es um die gesetzliche Festlegung eines Mindestlohns. Hälfte der Unternehmen gab im Rahmen dieser Umfrage Die Folgen wären insbesondere für wenig qualifizierte an, durch die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative Arbeitnehmende nicht unbedingt im Sinne der Initianten, negativ betroffen zu sein. Darunter sehen sich 11 Prozent wie wir aufzeigen. sogar stark negativ betroffen. Die Unternehmen befürchten vor allem, dass sie unter dem neuen Regime vermehrt Zudem finden Sie an gewohnter Stelle unsere Analysen Schwierigkeiten haben werden, qualifiziertes Personals zu zur Konjunktur, den Wechselkursen, den Zinsen und den finden und Lohnerhöhung hinnehmen müssen. Diese Immobilienmarkt. In der Beilage Investieren in der Schweiz Ergebnisse waren für uns Grund genug, das Spezialthema geben unsere Analysten einen Überblick über den Aktien- dieser Ausgabe dem Arbeitsmarkt nach der Annahme der und Anleihenmarkt. Masseneinwanderungsinitiative zu widmen.
Auf einen Blick Arbeitsmarkt – wie weiter? «Die Pharma könnte durchaus ins Ausland abwandern» Liberaler Arbeitsmarkt Arbeitsmarktexperte Professor George Sheldon kann als Erfolgsfaktor sich vorstellen, dass Unternehmen vermehrt im Ausland Die hohe Nettozuwanderung in die Schweiz in den letz- Arbeitsplätze schaffen, falls die Kosten, ausländische ten fünf Jahren war eine notwendige Voraussetzung des Arbeitskräfte in der Schweiz anzustellen, steigen. soliden Wachstums. Dies ist nicht zuletzt ein Grund, wes- 15 halb die Unternehmen in der Schweiz die möglichen Kon- sequenzen der Masseneinwanderungsinitiative gemäss UBS-Unternehmensumfrage kritisch sehen. Konjunktur 06 Gefragt – pensionierte Fachkräfte Die USA und Europa Der demografische Wandel und die Annahme der auf Wachstumskurs Masseneinwanderungsinitiative dürften den Fachkräfte- Während die USA und Europa sich wirtschaftlich gut mangel in der Schweiz langfristig verschärfen. Erwerbs entwickeln, bereiten die Schwellenländer aus unter- tätige im Pensionierungsalter stellen ein grosses Potenzial schiedlichen Gründen Sorgen. So befindet sich China in für den Schweizer Arbeitsmarkt dar. Auch die Sozial einer heiklen Transitionsphase. systeme würden profitieren. 18 09 Politische Unsicherheit fordert Cherchez les femmes robuste Wirtschaft Der Fachkräftemangel in der Schweiz kann durch die Mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative Erhöhung des Beschäftigungsgrads von Frauen verringert hat sich der Investitionsausblick Schweizer Unternehmen werden. Allerdings ist die Frauen-Erwerbsquote in der eingetrübt. Viele Unternehmer zeigen sich über die Aus- Schweiz bereits hoch. wirkungen der Abstimmung besorgt. Als Reaktion darauf 11 könnten manche Unternehmen auf Investitionen am Standort Schweiz verzichten. Grenzgänger als Herausforderung 20 Die Zahl der Grenzgänger hat mit der Einführung der Personenfreizügigkeit um 70 Prozent zugenommen. Sollten bindende Kontingente oder eine Verschärfung Basel, Zürich und die Zentralschweiz der Regeln für Grenzgänger den Standortvorteil der Grenzkantone aufs Spiel setzen, so droht der Wegzug Zug, Zürich und Basel-Stadt sind die Kantone mit dem von Firmen, was auch zu Verlusten von Arbeitsplätzen höchsten Wachstumspotenzial. Dies zeigt der Kantonale von Schweizern und von Steuererträgen führt. Wettbewerbsindikator. Weniger gut sind die Aussichten 13 für Graubünden, das Wallis, Uri und den Jura. 24 4 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Finanzmärkte und Immobilien Branchen Franken noch immer zu stark Stetige Verbesserung Politische Konflikte über die Zuwanderungsbeschränkun- In der Schweiz hat sich die Lage in der Industrie gen könnten die Handelsbeziehungen mit der EU und stabilisiert, im Dienstleistungsbereich hat sie sich sogar somit die Nachfrage nach Schweizer Franken langfristig verbessert. beeinflussen. 32 26 Weniger Immigration dürfte sich auf Immobilienpreise auswirken î Industrie-Panorama 34 Welche mittelfristigen Auswirkungen die Masseneinwan- derungsinitiative auf den Immobilienmarkt haben wer- î Dienstleistungs-Panorama 36 den, hängt von der Umsetzung ab. Eine Bruttomigration von deutlich über 100 000 Personen jährlich dürfte aber ab 2017 der Vergangenheit angehören. Zudem dürften ein restriktiver gehandhabter Familiennachzug und die vermehrte Vergabe von Kurzaufenthaltsbewilligungen die Nachfrage nach Eigenheimen abschwächen. 28 Günstige Finanzierungsbedingungen Kreditnehmer dürfen sich über günstige Finanzierungs bedingungen freuen. Eine Zinswende der Schweizerischen Nationalbank liegt in weiter Ferne. «Investieren in der Schweiz» 30 Trotz Währungsverlusten erwarten wir im laufenden Jahr ein einstelliges Gewinnwachstum. Auch robuste Profitabilität und Dividendenrenditen sprechen für Aktienengagements. Wir bevor- zugen dabei mittelgrosse Unternehmen. Ein erfolgversprechendes Anlagethema bleiben auch attraktive Dividendenzahler. Bei den Anleihen haben Unsicherheiten bezüglich der Stabilität in einzel- nen Schwellenländern die Volatilität an den Kapitalmärkten er- höht und die Risikoprämien leicht korrigiert. Dennoch sind wir der Ansicht, dass einzelne Anleihen aus den tieferen Investment- Grade-Segmenten eine attraktivere Bewertung bieten. Beilage*. * Aus rechtlichen Gründen erhalten nur Kundinnen und Kunden mit Wohnsitz in der Schweiz die Beilage «Investieren in der Schweiz». 2. Quartal 2014 UBS Outlook Schweiz 5
Arbeitsmarkt – wie weiter? Initiativen gefährden Erfolgsfaktor Arbeitsmarkt Schweiz S ingapur der weltweit zweit effizienteste der Welt. Im letztjährigen Ranking lag die Schweiz in dieser Kategorie noch vor Singapur auf dem ersten Platz. Ein hoher Min- destlohn wie die in der Mindestlohninitiative geförderten 22 Franken pro Stunde, der bei zwei Drittel des Median- lohns liegt und 10 Prozent der Beschäftigten betreffen würde, würde die Flexibilität des Arbeitsmarktes stark ein- schränken und die strukturelle Arbeitslosigkeit ansteigen Bernd Aumann lassen. Durch diesen hohen Mindestlohn dürften einige Ökonom, UBS AG vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, da nicht alle Unternehmen das gleiche Beschäftigungsniveau bei höhe- ren Löhnen halten können. Arbeit ist wertvoll – je knapper, desto höher Ihr liberaler Arbeitsmarkt beschert der Schweiz eine die Löhne niedrige Arbeitslosigkeit und ist ein international Je mehr Menschen arbeiten, desto schwieriger wird es für anerkannter Erfolgsfaktor für die hohe Schweizer Unternehmen, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Um Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Wettbewerbsvorteil für die Angestellten attraktiv zu bleiben, müssen Betriebe gerät durch die Annahme der Masseneinwande- deshalb höhere Löhne zahlen. Wenn ein Arbeitnehmer bei rungsinitiative und weiterer anstehender Initiativen, einem anderen Unternehmen besser verdienen kann und wie die Mindestlohn-Initiative, aber zunehmend sein bisheriger Arbeitgeber kein besseres Angebot macht, unter Druck. wird er irgendwann die Stelle wechseln. Sein bisheriges Unternehmen kann vielleicht keine höheren Löhne zahlen, Im internationalen Vergleich hat die Schweiz eine der nied- weil es in einer Branche mit vielen Wettbewerbern tätig ist rigsten Arbeitslosenraten. Gemäss der Internationalen und es nicht zu den besten und effizientesten gehört. Arbeitsorganisation (ILO) lag die Schweizer Arbeitslosen- quote im dritten Quartal letzten Jahres mit 4,7 Prozent Das Verschwinden von ineffizienten Unternehmen und der unter allen OECD-Ländern an vierter Stelle; nur Südkorea, Wechsel von Arbeitnehmern zu effizienten Firmen ist wirt- Norwegen und Japan konnten noch niedrigere Arbeits schaftlich sinnvoll. Die Arbeitskraft ist ein knappes Gut losenraten vorweisen. Die tiefe Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist dem sehr flexiblen Arbeitsmarkt zu verdanken. Dieser ist ein wichtiger Standortvorteil der Schweiz und ein bedeutender Grund dafür, dass sie die Wettbewerbsrang- Abb. 1: Effizienter Arbeitsmarkt senkt Arbeitslosigkeit liste des Weltwirtschaftsforums (WEF) von 148 Ländern Effizienz des Arbeitsmarktes (WEF Note) und Arbeitslosenrate in % für 34 OECD Länder nun bereits schon im fünften Jahr in Folge anführt. 30 GRE ESP Effizienz des flexiblen Schweizer Arbeitsmarkts 25 Arbeitslosenrate in % Ein effizienter Arbeitsmarkt ist möglichst flexibel und gibt 20 Arbeitgebern und Arbeitnehmern viel Freiraum, einen PRT 15 Arbeitsvertrag einzugehen. Zuviel Regulierung macht den ITA SLK IRL POL FRA Arbeitsmarkt unflexibel, führt zu struktureller Arbeitslosig- 10 HUR BEL NED FIN EST CAN TUR SLO USA CHE LUX SWE DEN GBR keit und gilt als ineffizient. Zwischen der Effizienz eines 5 CZK ISR AUS AUT NZL CH DEU Arbeitsmarktes und der Arbeitslosigkeit in einem Land MEX KOR JPN NOR 0 besteht ein negativer Zusammenhang: Je effizienter der 3,4 3,9 4,4 4,9 5,4 5,9 Arbeitsmarkt, desto geringer ist die Arbeitslosigkeit (siehe Note Arbeitsmarkt Abb. 1). Der Schweizer Arbeitsmarkt ist laut WEF hinter Quelle: Global Competitiveness Report (WEF), ILO, UBS 6 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Arbeitsmarkt – wie weiter? und sollte dort eingesetzt werden, wo sie für den Arbeit- schnittlich produktiv sein, das pro-Kopf-Wachstum in der nehmer wie den Arbeitgeber den grössten Ertrag erzielt. Schweiz ansteigen lassen und auch höhere Steuern zahlen. Unternehmen sollten jedoch nicht deshalb vom Markt ver- Darüber hinaus wirkt sich die höhere Erwerbstätigkeit drängt werden, weil sie per Gesetz gezwungen werden, unter Einwanderern positiv auf die Vorsorgesysteme aus. Löhne über dem Marktniveau zu bezahlen und dadurch Und sie sind mobil. Letztes Jahr wanderten 155 000 in die wettbewerbsunfähig werden. Schweiz ein, 70 000 verliessen sie aber auch wieder. Das macht den Arbeitsmarkt sehr flexibel. Die Einwanderung Nicht nur Breitenwachstum durch Einwanderung übernimmt die Rolle einer nationalen Zeitarbeitsagentur Die hohe Nettozuwanderung in die Schweiz von durch- und zieht Arbeitskräfte in den Bereichen an, in denen sie schnittlich 1 Prozent in den letzten fünf Jahren war eine am meisten gesucht sind. Inwieweit dieses Modell durch notwendige Voraussetzung des soliden Wachstums. Aber die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative vom profitieren davon auch die Schweizer? Einige Gründe spre- 9. Februar 2014 gefährdet ist, wird auf die genaue Umset- chen dafür. So ist die Erwerbstätigenquote unter Einwan- zung ankommen. Wenn es gelingt, weiterhin die produk- derern höher als unter den bereits in der Schweiz Ansässi- tivsten Beschäftigten ins Land zu holen, ohne ein Büro gen. Zudem weisen Einwanderer, die seit Mitte der 1990er kratiemonster zu erschaffen, dann kann der negative Jahre in die Schweiz kommen, einen höheren Bildungs- Einfluss auf die Wirtschaft gering gehalten werden. stand aus als die ansässige Durchschnittsbevölkerung. Aufgrund dessen dürften Einwanderer auch überdurch- iStockphoto 2. Quartal 2014 UBS Outlook Schweiz 7
Arbeitsmarkt – wie weiter? UBS-Unternehmensumfrage: Einwanderung Abb. 2: Unternehmen nach Annahme der Massen einwanderungsintitiative beunruhigt würde Unternehmen fehlen Ergebnisse der UBS-Unternehmensumfrage vom 26. Februar bis 6. März, Die Unternehmen in der Schweiz sehen die möglichen 385 Antworten Konsequenzen der Masseneinwanderungsinitiative auf den Arbeitsmarkt durchaus kritisch. UBS hat zwischen Wie ist Ihr Unternehmen von der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative betroffen? dem 26. Februar und dem 4. März 385 Unternehmen befragt. 56 Prozent der Unternehmen gaben an, durch 50% die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative negativ 40% betroffen zu sein. Darunter sehen sich 11 Prozent sogar 30% stark negativ betroffen (siehe Abb. 2). Ein Grund, weshalb 20% die Unternehmer die Masseneinwanderungsinitiative kritisch beäugen, ist die Sorge, nicht so leicht qualifiziertes 10% Personals zu finden und Lohnerhöhung hinnehmen zu 0% stark negativ kein positiv stark keine müssen. 53 Prozent der Unternehmen geben an, dass die negativ Einfluss positiv Angabe Beschäftigten aus der EU für ihr Unternehmen wichtig sind; darunter für 27 Prozent sogar sehr wichtig. 51 Pro- Wie wichtig sind Arbeitnehmer mit Herkunft aus der Europäischen Union für Ihr Unternehmen? zent der Unternehmen gehen davon aus, dass es durch die Initiative schwieriger werden wird, qualifizierte Arbeits- 30% kräfte zu finden und 39 Prozent rechnen aufgrund der 25% Initiative mit Lohnsteigerungen in ihrer Branche. 20% 15% Lohnerhöhungen sind für Unternehmer ein Kostenfaktor, 10% Arbeitnehmern würden dies aber sicherlich willkommen heissen. Ob die Einwanderung den Lohnanstieg aber 0% sehr wichtig weniger nicht keine tatsächlich gebremst hat, ist höchst komplex. Abgesehen wichtig wichtig relevant Angabe davon gibt es gute Gründe, dass sich die Einwanderung positiv auf die Schweizer Wirtschaft ausgewirkt hat und Wie wird sich die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative darauf auswirken, qualifizierte Arbeitskräfte für Ihr Unternehmen zu finden? das nicht nur in die Breite. Als weitaus problematischer könnte sich allerdings die Annahme der Mindestlohn 50% initiative erweisen. Ein Mindestlohn in der vorgeschlage- 40% nen Höhe würde die Flexibilität des Schweizer Arbeits- 30% marktes stark einschränken und dürfte zu steigender 20% struktureller Arbeitslosigkeit führen. 10% 0% stark negativ kein positiv stark keine negativ Einfluss positiv Angabe Welchen Einfluss erwarten Sie als Folge der Annahme der Massen- einwanderungsinitiative für die Lohnentwicklung in Ihrer Branche in den nächsten fünf Jahren? 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% starke leichte keinen leichter starker keine Lohn- Lohn- Einfluss Lohn- Lohn- Angabe steigerung steigerung rückgang rückgang Quelle: UBS-Unternehmensumfrage 8 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Arbeitsmarkt – wie weiter? Ältere Arbeitskräfte haben grosses Potenzial entspricht im Durchschnitt 0,7 vollzeitäquivalenten Arbeits- stellen pro Person im Erwerbsalter. Die in der Schweiz geleistete Arbeit stieg im Verlauf des letzten Jahrzehnts um durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr. Schreibt man die- ses Wachstum fort, und geht man weiterhin von 0,7 Voll- zeitäquivalenten an geleisteter Arbeit bei den Personen im Erwerbsalter aus, so entstünde in 10 Jahren eine Lücke von fast einer halben Millionen Vollzeitstellen. In der langen Veronica Weisser Frist würde der Arbeitskräftemangel sogar noch deutlich Ökonomin, UBS AG stärker ausfallen. Geht man davon aus, dass bis im Jahr 2060 der Erwerbsgrad der Personen im Erwerbsalter um mehr als 10 Prozent auf 0,8 Vollzeitäquivalente im Durch- schnitt ansteigt, und der Bedarf an geleisteter Arbeit nur In der Schweiz fehlt es an Arbeitskräften. Dieser um die halbe Rate des vergangenen Jahrzehnts ansteigt, Mangel wird sich durch den demografischen Wandel so entstünde bis 2060 eine Lücke von etwas mehr als und die Annahme der Masseneinwanderungsinitia- 900000 Vollzeitstellen. Demgegenüber läge bei den tive noch verschärfen. Erwerbstätige im Pensionie- 1,3 Millionen 65- bis 75-Jährigen ein Potential diese Lücke rungsalter stellen ein grosses Potential für den teilweise zu schliessen. Eine restriktive Kontingentierung Schweizer Arbeitsmarkt dar. Auch die Sozialsysteme ausländischer Arbeitskräfte würde diese Entwicklung würden profitieren. zusätzlich verschärfen. Clara ist 69 Jahre alt und pflegt mit einem 40 Prozent- Die gute Nachricht: Die heute 60- bis 75-Jährigen sind Pensum schwerstbehinderte Kinder. Aufgrund der Ruhe so gesund wie noch nie zuvor. Die Lebenserwartung mit der sie auch schwierige Situationen angeht, ihrer zeit eines 65-jährigen Mannes in der Schweiz beträgt weitere lichen Flexibilität – ihre zwei Kinder sind erwachsen – und 21,4 Jahre, die einer 65-jährigen Frau gar 23,9 Jahre. ihrer Lebenserfahrung schätzt sie ihr Arbeitgeber als wert- Wir bleiben länger aktiv, selbstbestimmt, und kreativ als volle Arbeitskraft. Gleichzeitig bleiben ihr genug Zeit für je zuvor. Die Leistungen höherer Jahrgänge in der Frei die Enkel und Freunde. Clara gehört zu der weltweit wach- willigenarbeit und im Familienkontext sind schon heute senden Gruppe Erwerbstätiger im Pensionierungsalter. sehr bedeutsam. Das Bundesamt für Statistik schätzt des- Auf die Bereitschaft dieser sich in Zukunft im Arbeitsmarkt sen Einsatz im institutionalisierten Freiwilligenbereich auf einzubringen, sind die Industrienationen zunehmend über 45 Millionen Stunden, in den Haushalten anderer gar angewiesen. über 100 Millionen Stunden pro Jahr. Dies entspricht je 13 Prozent und 28 Prozent des Zeitaufwands für solche Genug Arbeitskräfte für die Schweiz? Aufgaben in der Gesamtbevölkerung. Hinzu kommen rund Auch für die Schweiz stellen ältere Erwerbstätige ein 25 Millionen Stunden unbezahlter Pflegearbeit für andere grosses Potential für den Arbeitsmarkt dar. Die Anzahl Haushaltsmitglieder. Hingegen ist die Beteiligung am orga- Personen im Erwerbsalter in der Schweiz wird in den kom- nisierten Arbeitsmarkt, mit etwa 15 Prozent der 65- bis menden 15 Jahren stagnieren und anschliessend sogar 75-Jährigen, noch eher gering. leicht zurückgehen.1 In Realität verursacht ein Rückgang des Arbeitsangebots über einen Anstieg der Löhne einen Eine regelmässige und formale Erwerbstätigkeit für Ältere Rückgang der Beschäftigung und des Wirtschaftswachs- kann aus persönlicher und gesamtwirtschaftlicher Sicht tums. Die «Lücke» des Arbeitskräftemangels wird also sinnvoll sein. Aus individueller Perspektive kann eine durch ein niedrigeres Wirtschaftswachstum geschlossen. Erwerbstätigkeit auch im höheren Alter attraktiv sein, wenn sie die finanzielle Position verbessert, wenn sie sti- Geht man hingegen von einer Zielgrösse beim Wirtschafts- muliert und bereichert, wenn sie sinnstiftend wirkt, die wachstum und bei der Beschäftigung aus, so kann der Arbeitskräftemangel auf der Basis der Demografie geschätzt werden. Im Verlauf des kommenden Jahrzehnts erreichen fast eine Millionen Personen in der Schweiz das Rentenalter. Dies bei einer Bevölkerung im Erwerbsalter 1 Die Rechnungen und Angaben in diesem Text beruhen auf dem von etwa 5 Millionen Personen, die derzeit etwa 3,5 Milli- «mittleren» Szenario (Szenario A-00-2010) der Bevölkerungsvoraus onen an vollzeitäquivalenten Arbeitsstellen leisten. Dies berechnungen des Bundesamts für Statistik (2010). 2. Quartal 2013 UBS Outlook Schweiz 9
Arbeitsmarkt – wie weiter? gesellschaftliche Integration fördert und Vereinsamung markt und die Präferenz der Arbeitnehmer für jüngere entgegenwirkt. Gleichzeitig kann ein Teilzeitpensum den Erwerbstätige. Hier kommt die zu erwartende Verschär- Alltag entlasten und einen gleitenden Übergang in die fung des Arbeitskräftemangels den älteren Erwerbswilligen Rente ermöglichen. Aus ökonomischer und gesellschaft entgegen. Unternehmen werden sich zunehmend der licher Perspektive stellt jede Arbeitskraft ein positives neuen Realität anpassen und ihr Angebot auch für ältere ökonomisches Potential dar, welches den Wohlstand der Erwerbswillige attraktiv halten müssen. Hohe Löhne und Gesellschaft zu sichern hilft. Je besser die spezifischen Sozialabgaben stellen hingegen einen Wettbewerbsnach- Kompetenzen, Erfahrungen und Interessen einer Person teil für die Älteren dar. Denkbar ist durchaus, dass ältere zur Geltung kommen, desto produktiver kann sie sein. Erwerbstätige diesem Nachteil entgegenwirken indem sie Dies bedeutet auch, dass im höheren Alter häufig ein Job- ihre Arbeitskraft zu niedrigeren Löhnen anbieten, die ihre wechsel zielführend ist. Denn Alter und Erfahrung sind potenziell geringere Dynamik und Ausdauer berücksichti- dort besonders wertvoll, wo eine ruhige Hand mit Über- gen – ähnlich wie junge Erwerbstätige aufgrund ihrer sicht gebraucht wird (Coaching, psychologische Beratung), geringen Erfahrung ihre Arbeitskraft zu niedrigeren Löh- wo viel Zeit für Monitoring gebraucht wird (Sicherheits- nen anbieten. Die Stärke eines flexiblen Arbeitsmarktes dienst), wo Beziehungen zu anderen Personen auch höhe- liegt gerade darin, dass Löhne Unterschiede zwischen ren Alters bedeutend sind (Pflege), wo zeitliche Flexibilität Erwerbstätigen widerspiegeln können. Somit bleiben die gefragt ist (Kinderbetreuung, Nachtschichten) oder wo Erwerbswilligen für Unternehmen attraktiv während der eine gediegene Seniorität gefragt ist (Empfang). Wohlstand der Gesellschaft aufgrund einer hohen Beschäf- tigung langfristig erhalten werden kann. Umdenken vonnöten – in Unternehmen und bei den Löhnen Als Gegenargument der Beschäftigung höherer Jahrgänge gelten die häufig fehlenden Chancen auf dem Arbeits- Win-Win-Situation für die Altersvorsorge Der Einbezug Erwerbswilliger im Rentenalter auf dem heute 85-jährige Person (Jahrgang 1929) eine Minderbelas- Schweizer Arbeitsmarkt würde auch den durch die Demo- tung von etwa 680 CHF pro Lebensjahr gegenüber dem grafie belasteten Sozialsystemen etwas Luft verschaffen. Seit heute 65-jährigen Neurentner. dem Scheitern der 11. AHV-Revision im Parlament und der im Jahr 2010 per Volksabstimmung abgelehnten Herabset- Eine bedeutende Frage ist, wie die AHV reformiert werden zung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule ist der Zwie- kann, ohne dass die Kosten einseitig auf den Schultern der spalt zwischen Reformbedarf und Reformfähigkeit weiter jungen Generationen lasten. Im Ausland wurde früh reagiert gestiegen. und auf eine Erhöhung des Rentenalters gesetzt, da so auch rentennahe Generationen zumindest einen Teil der Gemäss unserer kürzlich in Kooperation mit dem Forschungs- Sanierungskosten tragen. In Grossbritannien und Irland wird zentrum Generationenverträge der Universität Freiburg im im Verlauf der kommenden Jahrzehnte das Rentenalter auf Breisgau publizierten Studie2 zur Nachhaltigkeit der Schwei- 68 Jahre, in der Tschechischen Republik gar auf 69 Jahre zer Altersvorsorge, übersteigen die Rentenversprechen in der erhöht. AHV den Barwert zukünftiger Einnahmen der AHV um 173,4 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts. Ausserdem Eine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters in der Schweiz zeigt sich ein starker Anstieg in der Belastung durch die AHV von aktuell 64 für Frauen und 65 für Männer würde eine nach Jahrgängen. Wird angenommen, dass die Finanzie- doppelte Signalwirkung haben – Unternehmen wären ange- rungslücke in der AHV durch eine Mehrwertsteuererhöhung halten, ihren älteren Angestellten länger ein gutes Umfeld zu ab 2025 geschlossen werden soll, so beläuft sich die Mehr- bieten, und die starke Umverteilung zu Lasten der heute jun- belastung (Beiträge gegenüber empfangenen Leistungen) gen Generationen würde zumindest teilweise entschärft. Für für eine Person des Jahrgangs 2010 auf 1590 CHF pro die Schweiz ist ein höheres Rentenalter eine Chance das Lebensjahr und für eine Person des Jahrgangs 1980 auf 860 Potential der älteren Generationen am Arbeitsmarkt zu nut- CHF gegenüber einer Person, die heute das Rentenalter zen und die jüngeren Generationen zu entlasten. erreicht (Jahrgang 1949). Hingegen sind heutige Rentner höheren Alters noch deutlicher bessergestellt. So hat eine 2 Unter www.ubs.com/vorsorgeforum abrufbar. 10 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Arbeitsmarkt – wie weiter? Frauen an die Arbeit Das Alter entscheidet über Erwerbstätigkeit Je nach Alter ist die Erwerbsquote unterschiedlich. Wäh- rend bei den 15 bis 24-jährigen Frauen gut 68 Prozent einer Arbeit nachgehen, sind es bei den 25–39 jährigen bereits 83,9 Prozent und bei den 40 bis 54-jährigen 86 Prozent. Die relativ geringe Beteiligung der jüngsten Gruppe könnte darauf zurückzuführen sein, dass in diesem Alter viele Frauen noch in der Ausbildung stehen. Auch je nach Aus- Sibille Duss bildungsstand unterscheiden sich die Erwerbsquoten der Ökonomin, UBS AG Frauen. Je knapp ein Drittel der beschäftigten Frauen in der Schweiz hat als höchsten Abschluss eine Berufslehre oder einen tertiären Abschluss. Grundsätzlich kann beobachtet werden, dass Frauen mit Aufgrund alternder Gesellschaften und rückläufiger einem überdurchschnittlichen Bildungsniveau eher erwerbs- Geburtenraten wird in naher Zukunft in vielen Indus- tätig sind als Frauen mit einem unterdurchschnittlichen triestaaten die erwerbstätige Bevölkerung sinken. Bildungsniveau. Erstaunlicherweise ist die Erwerbsquote Die Schweiz hat diesem Trend bisher unter anderem der Frauen mit Kindern im Alter von sieben bis 14 Jahren durch die Öffnung der Grenzen und einer höheren mit 83,9 Prozent höher als bei denjenigen Frauen ohne Einwanderung entgegengewirkt. Indem der Beschäf- Kinder unter 15 Jahren mit 77,2 Prozent. Die geringste tigungsgrad der Frauen erhöht wird, kann der Fach- Erwerbstätigkeit von 71,9 Prozent findet man bei Frauen kräftemangel ebenfalls verringert werden. mit Kindern im Alter bis zu sechs Jahren. Im internationalen Vergleich hatte die Schweiz im Jahr Die hohe Erwerbsquote der Frauen in der Schweiz wird 2012 mit 77,2 Prozent die dritthöchste Erwerbsquote von auch in einem Report von PriceWaterhouseCoopers (PwC) Frauen in der OECD, hinter Island mit 83,3 Prozent und honoriert1. Im Report «Women in Work Index» schneidet Schweden mit 77,9 Prozent (Abbildung 1). Sehr viele die Schweiz bei der weiblichen Erwerbsquote bei den Frauen sind zwar in der Schweiz erwerbstätig, jedoch eher untersuchten Ländern auf dem zweiten Platz ab. Insge- mit einem kleinen Pensum. Die Vollzeiterwerbsquote der samt aber war die Schweiz im Report vom Jahr 2013 ledig- Frauen in der Schweiz beträgt nur rund ein Drittel, was lich auf dem Rang 7 platziert. Gründe sind vor allem eine 41 Prozent der beschäftigten Frauen entspricht. Dieser im internationalen Vergleich geringe Vollzeiterwerbsquote Anteil der Vollzeit erwerbstätigen Frauen an den insgesamt und einen relativ hohen Unterschied beim Erwerbseinkom- beschäftigten Frauen ist seit 1992 um 10 Prozent gefallen. men von Frauen relativ zu den Männern. Etwa ein Drittel der teilzeitbeschäftigten Frauen arbeiten je zwischen 20 bis 49 Prozent oder 50 bis 69 Prozent. Ökonomische Gründe der Arbeitsmarktbeteiligung Einen starken negativen Anreiz auf die Erwerbsquote und somit auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat ein mangelndes oder teures Angebot an Krippenplätze. Abb. 1: Sehr hohe Frauen-Erwerbsquote in der Schweiz Zudem fördert ein flexibler und liberaler Arbeitsmarkt eher Erwerbsquote von Frauen, 2012 die Erwerbstätigkeit von Frauen2.In diesem Punkt schneidet 90 die Schweiz (siehe Artikel Seite 6) im internationalen Ver- 80 gleich gut ab. 70 60 50 40 30 20 10 0 Schweden Kanada Niederlande Island Schweiz Norwegen Dänemark Finnland Deutschland Grossbritannien Österreich Portugal Spanien USA Frankreich Japan Luxemburg OECD Länder Irland Italien 1 PriceWaterhouseCoopers (2013): Women in Work Index 2013. 2 Mühleisen, Sibylle und Widmer, Rolf (2004): Vereinbarkeit von Beruf und Familie – die Bedeutung institutioneller Faktoren, Die Volkswirt- Quellen: OECD, UBS schaft – Das Magazin für Wirtschaftspolitik, Vol. 11 2. Quartal 2014 UBS Outlook Schweiz 11
Arbeitsmarkt – wie weiter? Einer der am meist diskutierten negativen Anreize ist die Frauen. Zudem könnte der Erhalt von nicht Arbeitsmarkt- sogenannte Heiratsstrafe. Die Heiratsstrafe impliziert, dass Einkommen wie Sozialhilfe generell einen negativen Ein- verheiratete Frauen aufgrund des Steuersystems gegen- fluss auf die Erwerbstätigkeit einer Person haben2. über Frauen in Konkubinatsbeziehungen einen steuerli- chen Nachteil bei einer Erwerbstätigkeit haben. Die meis- Neben der ganz persönlich individuellen Ebene, die für ten Kantone in der Schweiz haben ein progressives Steuer- oder gegen eine Erwerbstätigkeit entscheidet, und den system, was heisst, das der Steuersatz mit steigendem zahlreichen ökonomischen Aspekten spielt die Branche, Einkommen ebenfalls ansteigt. Ist nun die Ehefrau eben- in der die Frau erwerbstätig wäre, ebenfalls eine erhebliche falls erwerbstätig, könnte dies dazu führen, dass das Paar Rolle 4. Wie erwähnt, sind viele Frauen mit Kindern nicht aufgrund des zusätzlichen Einkommens der Frau ihr vollzeit erwerbstätig, sondern arbeiten in einem Teilpen- gemeinsames Einkommen mit einem höheren Steuersatz sum. versteuern muss. Dadurch bezahlt das Ehepaar auch relativ gesehen mehr Steuern, als wenn die Frau nicht erwerbstä- Um die Erwerbsquote von Frauen zu erhöhen, müssten tig wäre. Bereits im Jahr 1984 wurde vom Bundesgericht Politiker und Unternehmer die Anreize vor allem für Frauen die Ungleichbehandlung von Ehepartnern als verfassungs- verbessern, die aus ökonomischen Gründen nicht unbe- widrig eingestuft und viele Kantone und der Bund haben dingt arbeiten müssen. Gute arbeitsmarktrechtliche und Gegenmassnahmen ergriffen. Das Einkommen des Paares Aspekte wie ein durchgängiges und vielfältiges Krippen- spielt dabei eine entscheidende Rolle, ob es zu dieser und Hortangebot hat auf diejenigen Frauen die grösste Heiratsstrafe kommt oder nicht 3. Generell gilt, je höher Wirkung, die aufgrund der Einkommenssituation des Part- das Einkommen, desto schlechter sind verheiratete Paare ners nicht arbeiten müssten und sich je nach Präferenzen gegenüber Konkubinatsbeziehungen gestellt. Bei einem und Rahmenbedingungen für oder gegen eine Erwerbs- Haushaltseinkommen von 50 000 CHF sind Ehepartner nur tätigkeit entscheiden können5. in den Kantonen Obwalden und der Waadt benachteiligt. Bei einem Einkommen von 250 000 CHF sind Verheiratete nur in sieben Kantonen steuerlich benachteiligt. Dieses Thema ist auch immer wieder auf der politischen Agenda. Beispielsweise ist zur Zeit eine Initiative der CVP im Parla- ment hängig, die die Abschaffung dieser Heiratsstrafe fordert. Lohndiskriminierung hat eine negative Anreizwirkung auf die Partizipation Des Weiteren haben beispielsweise die Lohndiskriminie- rung von Frauen und ein hohes Einkommen des Partners eine negative Anreizwirkung auf die Erwerbstätigkeit von Abb. 2: Vollzeiterwerbstätigkeit der Frauen nimmt ab Beschäigungsrad der Frauen in der Schweiz, in % 60 2 Mühleisen, Sibylle und Widmer, Rolf (2004): Vereinbarkeit von Beruf 50 und Familie – die Bedeutung institutioneller Faktoren, Die Volkswirt- schaft – Das Magazin für Wirtschaftspolitik, Vol. 11 40 3 Peters, Rudi (2014): Steuerliche Ungleichbehandlung von verheirate- 30 ten und unverheirateten Paaren in den Kantonen und beim Bund, Eid- genössisches Finanzdepartement, Eidgenössische Steuerverwaltung 20 ESTV, Bern.. 10 4 20 Minuten (2014): Wo sie Teilzeit arbeiten können – und wo nicht 0 (http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Wo-Sie-Teilzeit-arbeiten- 1991 2013 koennen-und-wo-nicht-29881996). unter 20% 20–49% 50–69% 70–89% 90–100% 5 Steffen, Isabelle (2007): Familienpolitischer Kontext der Frauen erwerbstätigkeit in der Schweiz, Die Volkswirtschaft – Das Magazin Quellen: OECD, UBS für Wirtschaftspolitik, Vol. 5. 12 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Arbeitsmarkt – wie weiter? Grenzgänger fordern Kantone heraus So wurde die tägliche Rückkehr durch eine wöchentliche Heimkehrpflicht ersetzt und seit Juni 2007 müssen Grenz- gänger ihren Wohnsitz nicht mehr in der Grenzzone haben. Zweitens hat der massive Anstieg der Arbeitslosenquote in der Eurozone seit 2007 die Mobilität der Menschen in Europa deutlich erhöht. Und drittens lagen die Durch- schnittslöhne in der Schweiz im Jahr 2010 rund 40 bis 60 Prozent über den Löhnen jenseits der Grenzsteine und Elias Hafner die Frankenaufwertung seit 2010 hat das Arbeiten in der Ökonom, UBS AG Schweiz nochmals deutlich attraktiver gemacht. Kommt hinzu, dass Grenzgänger beispielsweise im Tessin noch steuerlich privilegiert werden. Angesichts dieser Fakten ist es nicht verwunderlich, dass Grenzgänger teilweise als mitverantwortlich für tiefe Löhne und den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes angesehen werden. Insbesondere wenn man bedenkt, dass im Tessin die Zunahme der Grenzgänger seit 2001 fast der Gesamt- Matthias Holzhey zahl der neu geschaffenen Stellen im gleichen Zeitraum Ökonom, UBS AG entsprach. Mehr Langzeitarbeitslose, aber auch mehr Wachstum Mit der Personenfreizügigkeit hat sich das Arbeits- Vom extremen Beispiel Tessin kann aber nicht auf den kräfteangebot stark erhöht, speziell in den Grenz Schweizer Durchschnitt geschlossen werden. So arbeitet regionen. Mit der Umsetzung der Masseneinwande- in Basel und Genf ein Grossteil der Grenzgänger nicht in rungsinitiative rücken diese Regionen in den Fokus. den typischen Tieflohnbranchen Bau oder dem Gastge- Eine zu starke Kontingentierung könnte auch werbe, sondern sie sind hochqualifizierte Arbeitskräfte, sei Arbeitsplätze von Schweizern bedrohen. es in der Pharmaindustrie oder im Bereich der Unterneh- mensdienstleistungen. Die Verfügbarkeit von Fachkräften Gegen eine Million mehr Köpfe, eine halbe Million mehr ermöglicht oder vereinfacht es für viele Firmen zu wachsen Beschäftigte, ein Plus von 120 000 Grenzgängern: Die und hilft Produktionskosten tief zu halten. Das grosse Mitte 2002 eingeführte Personenfreizügigkeit hat die Arbeitskräftepotenzial hat insbesondere die Grenzregionen Schleusen zum Schweizer Arbeitsmarkt schrittweise geöff- net und somit den Firmen in der Schweiz ein deutlich Lohngefälle macht Schweiz für Grenzgänger attraktiv erhöhtes Arbeitsangebot erschlossen. Werden die absolu- Durchschnittlicher Stundenverdienst (Unternehmen mit 10 Angestellten oder mehr) ten Zahlen betrachtet, so konzentrieren sich 45 Prozent der Schweiz = 100, 2012 Einwanderer auf die Kantone Zürich, Genf und Waadt. In 120 Relation zur Beschäftigung und unter Einbezug der Grenz- 100 gänger zeigt sich die stärkste Abhängigkeit von ausländi- 80 schen Arbeitskräften aber in den Grenzkantonen. In den 60 Kantonen Tessin, Jura, Genf, Schaffhausen, Neuenburg 40 und den beiden Basel spielt die Zuwanderung in Relation 20 zur Zahl der Grenzgänger eine untergeordnete Rolle. 0 Gerade in diesen Kantone dürfte die Umsetzung der Zürich Nordwestschweiz Genferseeregion Schweiz Zentralschweiz Espace Mittelland Baden-Württemberg (DE) Centre-Est (FR) Lombardei/Piemont (IT) Ostschweiz Tessin Westösterreich (AT) Est (FR) Masseneinwanderungsinitiative am stärksten spürbar werden, sollte die Zahl der Grenzgänger im Rahmen einer Kontingentierung beschränkt werden. Starker Franken erhöht die Löhne Die Zahl der Grenzgänger hat mit der Einführung der Perso- Lesebeispiel: Der durchschnittliche Stundenverdienst in der Region Westöstereich beträgt nenfreizügigkeit um 70 Prozent zugenommen: Erstens wur- 53% des Schweizer Medianlohns pro Stunde. den die Bestimmungen für Grenzgänger deutlich gelockert. Quellen: OECD, UBS 2. Quartal 2014 UBS Outlook Schweiz 13
Arbeitsmarkt – wie weiter? für Firmenansiedlungen sehr attraktiv gemacht und damit Sollten bindende Kontingente oder eine Verschärfung der zu positiven Auswirkungen auf Wachstum und Beschäfti- Regeln für Grenzgänger die Standortvorteile der Grenz- gung geführt. kantone aufs Spiel setzen, so droht der Wegzug von Fir- men, was auch zu Verlusten von Arbeitsplätze von Schwei- Ein grosses Arbeitskräfteangebot an Grenzgängern muss zern und von Steuererträgen führt. Ob sich damit höhere also nicht zu tieferen Löhnen führen. Die Daten scheinen Löhne und eine bessere Integration von Langzeitarbeits dies zu bestätigen. So stiegen die Löhne in der stark von losen erzielen lässt, ist zumindest zweifelhaft. Grenzgängern abhängigen Baubranche im Tessin in den letzten zehn Jahren stärker als im Landesdurchschnitt – Kantonale Unterschiede erfordern kantonale wenn auch von einem etwas tieferen Niveau ausgehend. Mitsprache Zwar dürfte sich der verstärkte Wettbewerb mit Grenz Unbestritten bestehen grosse Unterschiede zwischen den gängern für Einheimische negativ auf das Lohnwachstum Kantonen bezüglich dem Einfluss der Grenzgänger auf den ausgewirkt haben, Lohndumping im grossen Stil wird aber lokalen Arbeitsmarkt. Für die direktbetroffenen Kantone kaum beobachtet oder zumindest durch die flankierenden dürfte es deshalb wichtig sein, bei der Ausgestaltung der Massnahmen abgeschwächt. Kontingente für die Grenzgänger starke Mitspracherechte zu erhalten. Einerseits sollte eine drohende, von aussen Hingegen ist in den Grenzkantonen die Dauer der Arbeits- diktierte Beschneidung des Arbeiterpools verhindert wer- losigkeit typischerweise länger, was sich in einer höheren den können und anderseits sollte den Kantonen die Mög- Arbeitslosenrate spiegelt. So hat der Kanton Tessin, in dem lichkeit geboten werden, sofern dies lokal für nötig gehal- fast jede dritte Stelle durch einen Grenzgänger besetzt ist, ten wird, die eigene Bevölkerung von negativen Nebener- historisch eine der höchsten Arbeitslosenquoten; ebenso scheinungen zu schützen. Eine dezentrale Lösung bietet die französischsprachigen Kantone Genf, Waadt, Neuen- sich an, da die Folgen von mehr Grenzgängern meist nur burg, Jura oder auch der Kanton Basel. Am unteren Ende lokal, das heisst im entsprechenden Kanton, zu spüren sind. der Skala findet man hingegen die Zentralschweizer Kan- tone, wo geografisch bedingt nur sehr wenige Grenzgän- So will das Tessin die Kontingente für Grenzgänger künftig ger beschäftigt sind. Mehr Grenzgänger führen in der selber festlegen. Das Tessiner Parlament hat eine entspre- Regel nicht zur direkten Entlassung und Verdrängung von chende Standesinitiative verabschiedet, die auch für die einheimischen Arbeitskräften. Aber die erhöhte internatio- anderen Kantone gelten soll. Ob eine besondere Behand- nale Konkurrenz scheint den schnellen Wiedereintritt von lung der Frontalieri vereinbar ist mit gesamtschweizeri- Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu erschweren. schen Interessen und den rechtlichen Rahmenbindungen der Masseneinwanderungsinitiative, bleibt zu prüfen und wird Teil des politischen Verteilungskampfes sein. Grosse kantonale Unterschiede der Nachfrage nach Grenzgängern Zunahme der Grenzgänger relativ zur Zunahme der Vollzeitstellen (2001–2011), in % Tessin Jura 90 80 Neuenburg 70 Genf Appenzell Ausserrhoden 60 Schafausen 50 Basel-Stadt Appenzell Innerrhoden 40 Graubünden Basel-Land Waadt 30 Aargau St. Gallen Thurgau Nidwalden Obwalden Solothurn 20 Glarus Freiburg Zürich Schwyz Wallis Luzern Bern 10 Zug Uri 0 Quellen: BfS, UBS 14 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Arbeitsmarkt – wie weiter? «Die Pharma könnte durchaus ins Ausland abwandern» Mit Professor George Sheldon von der Universität Basel sprach Pierre Weill. In welchen Bereichen würden die Löhne steigen? Das wäre sicher bei den gut qualifizierten Fachkräften der Fall, nicht aber bei den weniger ausgebildeten, da es bereits ein Überangebot an Niedrigqualifizierten hierzulande gibt. Dies würde die Lohnschere öffnen. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Löhne nach Bildungsstand nicht verändert. Welche Kriterien sollten für die Zuteilung von Kontingenten massgebend sein? Die Produktivität der Zuwanderer sollte aus volkswirtschaft- licher Sicht ein Kriterium sein. In den Bereichen mit der höchsten Wertschöpfung sollten keine Kontingente erlas- sen werden. Werden diese Kriterien angewendet, würden die Kontingente insbesondere die Landwirtschaft und den Bau treffen, typische Bereiche mit tiefer Wertschöpfung. Insbesondere die Landwirtschaft würde also jene Gegen- den treffen, die vorwiegend für eine Kontingentierung gestimmt haben. Die Annahme der Initiative war gar nicht im Interesse der landwirtschaftlich dominierten Gebiete. Professor Sheldon, wird die Annahme der Massen- Sie haben aufgezeigt, dass in den 1990er Jahren bei einwanderungsinitiative zu höheren Löhnen führen, der Einwanderung ein Wandel stattfand. Anstatt tief da weniger Arbeitskräfte für offene Stellen zur Ver- qualifizierter Arbeitskräfte kamen zunehmend gut fügung stehen werden? ausgebildete Fachkräfte in die Schweiz und zwar Dies hängt davon ab, ob die Kontingente so eingeführt noch vor Abschluss der bilateralen Verträge mit der werden, dass sie wirklich greifen. Da sprechen zwei Dinge EU. War dies ein bewusster Entscheid? dagegen. Erstens hat Christoph Blocher selber gesagt, dass Ja, aber es war ein Entscheid der Wirtschaft und nicht der die Unternehmen weiterhin ihre Fachkräfte erhalten wer- Politik. Da die Unternehmen damals Fachkräfte mit der den. Wenn die Firmen also die nötigen Fachkräfte erhalten, erforderlichen Qualifikation nicht in ausreichendem Aus- heisst dies, dass der Staat keine reale Einschränkung ein- mass in der Schweiz fanden, rekrutierten sie diese im Aus- führt. Zweitens sind historisch gesehen die Kontingente land. Während Jahrzehnten lag der Anteil an Akademikern immer den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst worden. bei den Arbeitskräften aus dem Ausland unter 20% und Sowohl in den 1980er als auch in den 1990er Jahren, als jener an Ungelernten bei über 50%. Dieses Verhältnis die Einwanderung jeweils stark zunahm, geschah dies drehte sich in den 1990er Jahren und zwar ohne bewuss- immer unter einem Kontingent-System. Und Blocher sagt ten politischen Entscheid. jetzt, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Wenn also das Arbeitskräfteangebot nicht oder nicht stark ein- Könnte es auf Grund der Initiative vermehrt geschränkt wird, wird es zu keinen Lohnerhöhungen kom- zu Auslagerungen von Unternehmen ins Ausland men. Bei einer sehr rigiden Einschränkung wird es aber kommen? zu einem verstärkten Wettbewerb zwischen den Arbeit- Ein wichtiger Standortfaktor ist der leichte Zugang zu gebern um Fachkräfte kommen. Dies würde zu einer Erhö- Fachkräften. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die hung des Lohnniveaus führen. Pharmaindustrie, falls sie in der Schweiz keine Forscher 2. Quartal 2013 UBS Outlook Schweiz 15
Arbeitsmarkt – wie weiter? mehr anstellen kann, ins Ausland geht, wo es genügend Könnte als Folge der Kontingentierung – falls sie Wissenschaftler gibt. denn kommt – die Nachfrage nach Arbeitnehmerin- nen und Rentnern zunehmen? Und wenn ein Unternehmen niedrig qualifiziertes Man muss sich bewusst sein, dass zwischen 50% und Personal benötigt? 60% der aus dem Ausland kommenden Arbeitskräfte Ich denke, exportorientierte Unternehmen der verarbeiten- hochqualifiziert sind. Sie kommen direkt von der Universi- den Industrie sind schon weg, weil sie in Osteuropa oder tät, sind also extrem nahe an der jüngsten Forschung. Sol- Asien billiger Personal gefunden haben. Betroffen sein könn- che Leute kann man nicht durch Rentner und Hausfrauen ten aber vielmehr Google oder IBM, die in der Schweiz ersetzen. Das zu glauben, ist sehr naiv. In der Schweiz liegt grosse Niederlassungen und Forschungsstätten betreiben. Erwerbspotenzial brach – die älteren Menschen, obwohl Hochqualifiziertes Personal findet immer wieder Stellen und die Erwerbsquote unter den 60- bis 65jährigen in der ist normalerweise auch in den meisten Ländern willkommen, Schweiz die zweithöchste innerhalb der OECD ist. Das für niedrig Qualifizierte ist es da schon viel schwieriger. grösste Erwerbspotenzial liegt bei Schweizerinnen. Ein viel grösserer Teil als vor einigen Jahren ist heute erwerbstätig, Wie hoch werden die Kosten der Annahme der vor allem Teilzeit. Wenn Frauen vermehrt Vollzeit arbeiten Masseneinwanderungsinitiative für die Wirtschaft würden, wäre dies ein grosses Potenzial, aber dies ist meis- sein? tens nicht hochqualifiziert. In Top-Positionen hat man sehr Kosten werden anfallen, aber wie hoch diese sein werden, schnell den Anschluss verloren. Deshalb können Frauen kann man nicht sagen. Doch wenn man aufzeigen muss, nicht ersetzen, was die Pharma oder IBM suchen. dass es keinen geeigneten Schweizer Arbeitnehmer gibt, bevor man einen Arbeitnehmer aus dem Ausland holen Nach der Masseneinwanderungsinitiative steht kann, werden Kosten anfallen. Bei einem solchen Prozedere bereits die nächste wirtschaftspolitische Weichen- verliert man Zeit, unter Umständen mehrere Monate. Falls stellung bevor. Welche Folgen würde die Annahme die Kosten nicht steigen, heisst dies, dass die Kontingentie- der Mindestlohn-Initiative haben? rung nicht greift. Dies würde den Zustand vor 2007 wieder Im Bereich der niedrig Qualifizierten ist die Arbeitslosigkeit herstellen. Damals hatten wir Kontingente, aber sie wirkten höher als bei den gut Qualifizierten. Die negativen Folgen sich kaum aus. Dies könnte eine Lösung des Dilemmas sein eines Mindestlohns werden genau diese niedrig Qualifi- – Initiative umsetzen und EU zufriedenstellen. zierten treffen, sinken doch ihre Beschäftigungschancen zusätzlich. Dadurch wird die Arbeitslosigkeit in diesem Die Schweiz ist seit Ende der 1990er Jahre verhältnis- Segment zunehmen. Ein Mindestlohn ist nicht das Instru- mässig stark gewachsen. Befürworter der Bilateralen ment, um die Armut abzubauen. Um Armut zu bekämp- und offener Grenzen weisen darauf hin, dass dies fen, wäre es viel wirksamer, eine Steuergutschrift zu auf die verstärkte Einwanderung von gut Qualifizier- gewähren. Damit kann man auf individuelle Situationen ten zurückzuführen ist. Gegner führen ins Feld, dass einfacher eingehen als mit einem Mindestlohn, der nicht das Wachstum insgesamt zugenommen hat, aber zwischen einer allein lebenden Person und einem Familien- dass das Pro-Kopf-Einkommen in diesem Zeitraum, vater mit mehreren Kindern unterscheiden kann. Die wenn überhaupt, nur minimal zugelegt hat. Was ist Steuergutschrift, die in den USA und England besteht der Grund? (Earned Income Tax Credit) wird nur Erwerbstätigen Die heutige Erwerbsbevölkerung setzt sich mehrheitlich gewährt. Diese Steuergutschrift ist auch der Grund, wieso nicht aus neu eingewanderten Arbeitnehmenden zusam- es in diesen Ländern einen Mindestlohn geben muss. men. Deren Anteil beträgt bloss etwa 6%. Man kann also Sonst könnten Arbeitgeber wenig zahlen im Wissen, dass nicht erwarten, dass die aus dem Ausland kommenden der Arbeitnehmer durch den Staat sowieso ein zusätzliches Arbeitnehmer das Pro-Kopf-Einkommen der gesamten Einkommen erhält. Bevölkerung merklich steigern. Zudem sollte man nicht vergessen, dass wir soeben aus einer Finanzkrise heraus gekommen sind und dass das nahe Ausland zudem noch Professor George Sheldon forscht im Bereich des Arbeitsmarktes, des eine Schuldenkrise überwinden musste. In unseren Studien Bildungsmarktes und der Absatzmärkte. Er hat einen vorausschauenden haben wir die Produktivität der Arbeitnehmenden unter- Indikator für den Arbeitsmarkt geschaffen. Professor Sheldon beschäftigt sucht und festgestellt, dass die Zugewanderten definitiv sich mit der Funktionsweise dieser Märkte und der Auswirkung staatli- etwas zur Produktivitätssteigerung beigetragen haben. cher Markteingriffe. Seine Untersuchungen erfolgen vielfach im Auftrag Allerdings verschwindet dieser Effekt angesichts des ins öffentlicher und privater Institutionen und zielen auf eine Verbesserung gesamt geringen Teils der zugewanderten Arbeitskräfte der wirtschaftspolitischen Entscheidungsgrundlagen ab. Er hat sich dabei gemessen an der Gesamtbevölkerung. eingehend auch mit Fragen des Fachkräftemangels befasst. 16 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
Konjunktur Daniel Kalt Regional CIO Schweiz Bernd Aumann Ökonom Sibille Duss Ökonomin Elias Hafner Ökonom Zug, Zürich und Basel sind die Kantone mit dem höchsten Wachstums potenzial. 2. Quartal 2014 UBS Outlook Schweiz 17
Konjunktur global Unsicherheiten gefährden Konjunkturerholung Zudem erwarten wir, dass die solide finanzierten US- Unternehmen dieses Jahr auch bei den Investitionen wei- ter zulegen w erden. Die Arbeitslosenquote hat sich dank anhaltendem Beschäftigungswachstum inzwischen auf 6,6 Prozent zurück gebildet. Die US-Notenbank hat unter ihrer neuen Vorsitzenden Janet Yellen daher, wie im Dezember angekündigt, den Daniel Kalt Regional CIO Switzerland, schrittweisen Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik UBS AG (der dritten Welle quantitativer Lockerung) fortgesetzt. Sofern die Wirtschaft sich weiter robust entwickelt, gehen wir davon aus, dass die monatlichen Stützungskäufe an den Anleihenmärkten bis Ende dieses Jahres vollständig reduziert sein werden. Dies ist allerdings nicht unser Von den grossen entwickelten Volkswirtschaften Hauptszenario. hat sich die US-Wirtschaft bisher am weitesten von der tiefen Rezession im Jahr 2009 erholt. Inzwischen Von Seiten der Inflationsentwicklung hat die US-Fed der- zeigen auch in Europa die Konjunkturindikatoren zeit wenig Druck, die Zinsen schnell und stark anzuheben, nach oben, während in verschiedenen Schwellen denn 2013 lag die Teuerung bei lediglich 1,5 Prozent, ländern die Unsicherheiten zugenommen haben. deutlich unter der langfristig angepeilten Obergrenze von 2,5 Prozent. In unserem Basisszenario rechnen wir damit, Die US-Wirtschaft verzeichnete im Schlussquartal 2013 dass Janet Yellen erste Zinsschritte erst Mitte 2015 vor- ein annualisiertes Realwachstum von 2,4 Prozent. Nach nehmen wird. Sollte sich die US-Konjunktur unerwartet 1,9 Prozent im Gesamtjahr 2013 erwarten wir für 2014 ein stark abkühlen oder die Inflation weiter sinken, dürfte die reales Wachstum von rund 3,0 Prozent. Haupttreiber die- US-Notenbank gar eine weitere Reduktion der Anleihen- ses anhaltenden Aufschwungs sind die Erholung am zuvor käufe auf die lange Bank schieben oder bei einer sehr stark eingebrochenen Häusermarkt, ein sich laufend ver- negativen Entwicklung gar wieder verstärkt Liquidität in bessernder Arbeitsmarkt, der Beschäftigung und damit die Märkte pumpen. Einkommen generiert und so wiederum der US-Wirtschaft zu einem recht robusten Konsumwachstum verhilft. Globale Wachstums- und Inflationstrends Reales BIP-Wachstum in % Inflation in % 2011 2012 2013 2014P 2015P 2011 2012 2013 2014P 2015P Schweiz 1,8 1,0 2,0 2,1 2,4 0,2 –0,7 –0,2 0,2 0,7 EWU 1,6 –0,6 –0,4 1,1 1,5 2,7 2,5 1,4 1,1 1,5 Deutschland 3,4 0,9 0,5 1,8 1,9 2,5 2,1 1,6 1,2 1,5 Frankreich 2,0 0,0 0,3 0,9 1,5 2,3 2,2 1,0 1,0 1,3 Italien 0,6 –2,6 –1,9 0,3 0,7 2,9 3,3 1,3 1,0 1,6 Spanien 0,1 –1,6 –1,2 0,8 1,3 3,1 2,4 1,5 0,4 1,5 Grossbritannien 1,1 0,3 1,8 2,8 2,7 4,5 2,8 2,6 1,9 2,0 USA 1,8 2,8 1,9 3,0 3,2 3,1 2,1 1,5 1,9 2,4 Japan –0,6 2,0 1,6 1,5 1,2 –0,3 0,0 0,3 2,7 1,8 China 9,3 7,7 7,7 7,5 7,0 5,4 2,6 2,6 2,7 3,0 Asien1 6,8 5,6 5,6 5,9 5,5 5,5 4,1 4,0 3,8 3,6 Lateinamerika 4,4 2,8 2,5 2,9 2,9 7,0 6,0 8,5 9,4 9,3 Welt 3,2 2,7 2,5 3,3 3,4 3,8 3,0 2,9 3,1 3,2 1 ohne Japan Quelle: Reuters EcoWin; Prognosen UBS (Stand 17.3. 2014) Bei der Erstellung der UBS CIO WM-Konjunkturprognosen haben die Ökonomen von UBS CIO WM mit bei UBS Investment Research beschäftigten Ökonomen zusammengearbeitet. Die Prognosen und Einschätzungen sind nur zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Publikation aktuell und können sich jederzeit ändern. 18 UBS Outlook Schweiz 2. Quartal 2014
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