Pflegepolitische Forderungen - des Paritätischen zur Bundestagswahl 2021 - Hintergrundpapier- Der Paritätische
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Pflegepolitische Forderungen des Paritätischen zur Bundestagswahl 2021 – Hintergrundpapier – DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Inhalt Einleitung ......................................................................................................................................................................................... 1 1. Die Finanzierung der Pflege solidarisch, zukunftsfest und gerecht gestalten / Armutsrisiko in der Pflege beenden. ............................................................................................................................ 1 2. Konzertierte Aktion Pflege für eine bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingung und mehr Personal mit Augenmaß weiter voranbringen. ..................................................................................... 3 3. Pflegeausbildungen weiter stärken, Pflegebedürftige nicht belasten. ............................................................ 4 4. Pflegende Angehörige und vergleichbar Nahestehende stärken. ..................................................................... 5 5. Pflege und Betreuung vor Ort in den Kommunen organisieren und gestalten. ........................................... 6 6. Auf Verbesserungen bei Querschnittsthemen zur Umsetzung der Nationalen Demenzstrategie hinwirken – Finanzierung von Strukturen sicherstellen. ........................................................................................ 7 7. Digitalisierung in der Pflege gestalten. ......................................................................................................................... 8 8. Aus der Corona-Pandemie Lehren für die Pflege ziehen. ....................................................................................... 9 Impressum Herausgeber: Autor*in: Der Paritätische Gesamtverband Lisa Marcella Schmidt und Thorsten Mittag, Oranienburger Straße 13-14 Der Paritätische Gesamtverband D-10178 Berlin Gestaltung: Telefon: +49 (0) 30/2 46 36-0 Christine Maier, Der Paritätische Gesamtverband Telefax: +49 (0) 30/2 46 36-110 Titelbild: www.paritaet.org © Zeichnung: Philipp Meinert – Der Paritätische Gesamtverband; info@paritaet.org Hintergrundbild: peacefy – Adobe.Stock Verantwortlich im Sinne des Presserechts: 1. Auflage, Juli 2021 Dr. Ulrich Schneider
Einleitung Trotz der seit 2008 intensiv andauernden Reform- Weiteren Reformbedarf sehen wir auch bei Themen, bemühungen mehrerer Bundesregierungen und die bisher nicht, nicht richtig oder nicht umfassend der damit verbundenen erheblichen Mehrausgaben genug geregelt wurden, so z. B. die Entlastung pfle- der Pflegeversicherung, ist der Reformbedarf in der gender Angehöriger oder auch die Rolle der Kom- Pflege nicht geringer geworden. Dies liegt u.a. da- munen in der Pflege. Schließlich haben sich auch ran, dass die längste Zeit besonders kostenintensive neue Themen ergeben, wie die Digitalisierung oder Schlüsselthemen, wie die Verbesserung der Arbeits- die Lehren aus der Corona-Pandemie. bedingungen von Pflegekräften und die Begren- zung der Eigenanteile pflegebedürftiger Menschen Pflegethemen sind in den letzten Jahren ganz oben ausgespart wurden. Wenn man von der Initiierung auf der politischen Agenda angekommen. Der Pari- des Langzeitprojekts zur Personalbemessung in der tätische fordert, dass dies auch von der kommenden vorangegangenen Legislatur absieht, wurden diese Bundesregierung fortgeführt wird und sich daraus Themen erstmals in der nun auslaufenden Legisla- mutige und nachhaltige Lösungen für eine Verbes- tur ernsthaft bearbeitet. Insoweit liegt in den vor- serung der Pflegesituation ergeben. liegenden Forderungen auch ein Resümee der jün- geren politischen Arbeit an diesen Themen. 1. Die Finanzierung der Pflege solidarisch, zukunftsfest und gerecht gestalten / Armutsrisiko in der Pflege beenden. Mit den über das Gesundheitsversorgungsweiter- kalkulierbaren Kostendeckel. Insbesondere auch im entwicklungsgesetz – GVWG (2021) eingeführten ambulanten Bereich. Aus Sicht des Verbandes muss Änderungen des § 43c SGB XI soll ab dem 1. Janu- der Eigenanteil so deutlich begrenzt werden, dass ar 2022 eine Zuschussregelung für pflegebedingte bei Ermöglichung bedarfsgerechter Pflege, Pflege- Eigenanteile eingeführt werden. Je länger eine pfle- bedürftige wirksam vor Armut geschützt werden – gebedürftige Person in einem Pflegeheim lebt, desto zumal für die Betroffenen ja auch noch zusätzliche geringer soll der pflegebedingte Eigenanteil in der Kosten für Unterkunft und Verpflegung anfallen und stationären Langzeitpflege sein. Bereits vorhandene auch noch die Investitionskosten auf die Pflegebe- Versorgungszeiten werden angerechnet. Der Re- dürftigen umgelegt werden. Im Durchschnitt fallen gelungsvorschlag bleibt in vielfacher Hinsicht weit so insgesamt über 2050 € pro Monat für die Betreu- hinter den Erwartungen zurück. Diese zeitlich und ung und Pflege in einem Heim an, die von den Pfle- prozentual gestufte Begrenzung ist nach Modellrech- gebedürftigen selbst getragen werden müssen. nungen finanziell ungenügend. Schon ab dem Jahre 2023 wird die Quote der Sozialhilfeempfänger wie- Die Rente reicht meist nicht, um die eigene Pfle- der steigen. Im Zuge weiterer Tariforientierung oder ge zu finanzieren. So liegt laut Deutscher Ren- Tarifbindung, der Mehrpersonalisierung und verbes- tenversicherung die durchschnittliche Rente für serter Arbeitsbedingungen sind erhebliche Kosten- Neurentner*innen bei knapp über 900 € und damit steigerungen absehbar, die für die ganz überwie- deutlich unter den durchschnittlich anfallenden Ei- gende Mehrheit der pflegebedürftigen Menschen genanteilen für einen Heimplatz. Über ein Drittel der nicht durch die Zuschussregelung aufgefangen wer- Bewohner*innen in Pflegeheimen ist bereits heute den. Anstatt Zuschüsse brauchen Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen. Sinkende Alterseinkünfte eine echte Entlastung durch einen umfassenden und werden das Risiko erheblich verstärken. 3
Der Paritätische fordert, dass der Eigenanteil bei den Die gesamte Finanzierung der Pflegeversicherung ist pflegebedingten Kosten übergangsweise sofort bei angesichts steigender Ausgaben und insbesondere 15 Prozent gedeckelt wird (und zwar ambulant und durch die Finanzwirkung der letzten „Pflegereform“ stationär). Je nach Einkommensstärke wird ergän- nicht gesichert. Die jetzige Konstruktion der Pflege- zend Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII geleistet. Für versicherung wird den heutigen Herausforderungen den ambulanten Bereich bedeutet dies eine Verän- nicht gerecht. Es ergibt sich daher weitergehender derung des Leistungsprinzips, aber pflegebedingte Handlungsbedarf. Perspektivisch muss der Ausbau Eigenanteile sollen erst anfallen, wenn die Sachlei- der Pflegeversicherung zu einer einheitlichen solida- stungen (auf dem heutigen Niveau) ausgeschöpft rischen Bürgerversicherung als Pflegevollversiche- werden. Dies realisiert nicht nur eine Bestands- rung erfolgen. Dabei muss der Kreis der Versicherten schutzregelung, sondern würde gleichzeitig dafür ausgedehnt werden, die Beitragsbemessungsgrund- sorgen, dass ein befürchteter Sog in vollstationäre lagen erweitert und die Versicherungsbeiträge die Einrichtungen vermieden wird. Die Umsetzung kann tatsächliche Leistungsfähigkeit der Versicherten im bestehenden System erfolgen, ohne weitere Vor- abbilden. Der Pflegevorsorgefonds muss aufgelöst arbeiten. werden und die frei werdenden Mittel (derzeit über 7 Mrd. €) müssen in die Gestaltung des Umbaus der Zur Begrenzung der Kosten gehört auch, dass die Pflegeversicherung und in die Versorgung investiert Krankenkassen nicht nur symbolisch mit einem ver- werden. Steuermittel müssen in Zukunft im stärkeren gleichsweise geringen Betrag von 650 Mio. € für die Maße die Finanzierung der Pflege sinnvoll ergänzen. Kosten der medizinischen Behandlungspflege in sta- tionären Einrichtungen aufkommen, sondern den Umfang von 3 Mrd. € tragen und dass dies auch auf die Eigenanteile der Heimbewohner*innen umge- legt wird. Außerdem müssen alle Länder ihren Ver- pflichtungen bei der Übernahme der Investitionsko- sten nachkommen, die mittlerweile im Durchschnitt monatlich mit 460 € zu Buche schlagen. 4
2. Konzertierte Aktion Pflege für eine bessere Bezahlung, bessere Arbeits- bedingung und mehr Personal mit Augenmaß weiter voranbringen. Die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) zielt mit formu- Weiterhin sind wir der Auffassung, dass eine Road- lierten Maßnahmenpaketen darauf ab, die Arbeits- map (mehrjährig) für die Umsetzung über alle und Entlohnungsbedingungen von beruflich Pfle- Themen hinweg zu erstellen ist. Dabei muss die genden zu verbessern. Die Vereinbarungen der KAP vorhandene Road-Map zur Umsetzung des Perso- werden insgesamt vom Paritätischen begrüßt, weil nalbedarfsbemessungsinstruments und die Im- nicht nur umfassende Zielbeschreibungen für alle plementierungsstrategie zur fachlichen Weiterent- Partner der KAP formuliert wurden, sondern darin wicklung auf Basis des neuen Pflegeverständnisses auch eine echte politische Weiterentwicklung von un- vollständig einbezogen werden. Eine qualitativ und terschiedlichen pflegespezifischen Themenfeldern quantitativ am Bedarf ausgerichtete verbesserte Per- enthalten ist. Die KAP kann in diesem Sinne zusam- sonalausstattung der Pflegeeinrichtungen mit hin- mengefasst auch als Skizze für ein Gesamtkonzept reichend Zeit für Pflegebedürftige und die Anerken- gesehen werden. Aus Sicht des Paritätischen ist es nung der für die gesetzlich vorgesehenen Aufgaben ganz wichtig, dass alle Akteure ein gemeinsames Ver- erforderlichen Personalausstattung in den Landes- ständnis von der Umsetzung der KAP haben, für die rahmenverträgen, aber auch in den Pflegesatz- bzw. es im eigentlichen Sinne bis heute leider keine Road- Vergütungsverhandlungen, muss gesetzlich veran- Map zur Umsetzung der vielfältigen Aufgaben gibt. kert werden und zwar nicht nur stationär, sondern Die Umsetzung muss von einem Klima gegenseitiger auch ambulant. Eine Personalausstattung, mit der Rücksichtnahme insbesondere durch Kostenträger betriebliche Maßnahmen zum gesundheitsförder- und Politik geprägt sein. Zu berücksichtigen ist die lichen Führungsverhalten, gutes Personalmanage- derzeitige Situation der Pflegeeinrichtungen und der ment und Umsetzung des Arbeitsschutzes sowie beschäftigten Mitarbeitenden in der Corona-Pande- betriebliche Gesundheitsförderung besser gelingen mie sowie die Anstrengungen der vergangenen und können, und die sich auch auf Verbesserungen bei aktuellen Reformagenda. Auch bedingt durch den Leitung, Verwaltung und Qualitätsmanagement in Fachkraftmangel haben Einrichtungen kaum noch den Einrichtungen bezieht, ist immanent für einen personelle Reserven für Projektmanagement und erfolgreichen KAP-Prozess. Die Refinanzierung die- Umsetzung. Verhindert werden muss eine Abwehr- ser personellen Ressourcen muss zugesichert sein. reaktion der Pflegeeinrichtungen und insbesondere Dies muss in einer Priorisierung ganz vorne stehen. auch bei den Pflegekräften. Zu berücksichtigen ist Gesetzgebung muss die Verhandlungen dazu in den auch, dass die Einrichtungen Zeit brauchen, um Mit- Ländern unterstützen. arbeitende so zu qualifizieren, dass die Ziele der KAP erreicht werden können. Die Vereinbarungen dürfen nicht als Strafkatalog oder Druckmaßnahmen, son- dern als Ermutigung, Motivation und Unterstützung betrachtet werden. Dies muss im Dialog wieder stär- ker betont werden. Sanktionsforderungen, wenn es nicht schnell genug geht, weisen wir entschieden zurück. Das Tempo muss reduziert werden und zwar bereits über die Kommunikation, aber auch mit Blick auf etwaige weitere Gesetzgebungsverfahren. 5
3. Pflegeausbildungen weiter stärken, Pflegebedürftige nicht belasten. Das Pflegeberufegesetz (PflBG) regelt die seit dem die Träger der praktischen Ausbildung nicht refinan- 01.01.2020 angelaufenen neuen Pflegeausbil- zierten Anteil der Ausbildungskosten. Eine vollstatio- dungen. Trotz der jahrelangen kontroversen Bera- näre Einrichtung mit fünf Auszubildenden im 2. und tungen des Gesetzesentwurfs und trotz der Bera- 3. Lehrjahr wird bspw. pro Jahr über 25.000 € weniger tungen in der konkreten Vorbereitungsphase zur aus dem Ausbildungsfond erhalten. Mangels eindeu- Umsetzung gibt es ungelöste Problembereiche, die tiger Regelungen im PflBG erfolgt im stationären Be- bis heute andauern. Zudem hat sich mittlerweile der reich eine Anrechnung auf Pflegekräfte und teilweise Bedarf an nach Landesrecht organisierten ein- und sogar alleinig auf Pflegefachkräfte. D. h., es kommt zweijährig ausgebildeten Pflegehilfs- bzw. Assistenz- zum Abbau von Pflegepersonal einerseits und ande- kräften drastisch erhöht. rerseits erfolgt im gleichen Umfang der Einsatz der Auszubildenden als normale Pflegekräfte. Dies ist ein Die Kosten der Pflegeausbildungen sind enorm ge- irriger Weg. Im ambulanten Bereich ist diese Form stiegen. Für das Jahr 2021 sind in vielen Ländern der Anrechnung viel schwerer bis gar nicht möglich. Steigerungen von deutlich über 300 Prozent zu In erster Linie wäre eine leistungsgerechte Erhö- verzeichnen. Heimbewohner*innen zahlen in einer hung des in die Ausbildungsfonds einzubringenden vollstationären Einrichtung häufig über 100 €/mtl. – Finanzierungsvolumens der sozialen Pflegeversiche- teilweise sogar bis zu 170 €/mtl. für den Ausbildungs- rung denkbar, um den Wertschöpfungsanteil der zuschlag, teilweise mit und teilweise ohne Umlage Auszubildenden zu refinanzieren. Dies käme einer für die ehem. Altenpflegeausbildung. Die Gründe für Abschaffung des Wertschöpfungsanteils in der Lang- die steigenden Kosten liegen neben den grundsätz- zeitpflege gleich. Entscheidend ist, dass es zu diesem lichen Verbesserungen der Ausbildung darin, dass Punkt eine kurzfristige Lösung gibt. die Auszubildendenvergütungen gestiegen sind, dass im Jahre 2021 zu ersten Mal ein volles Jahr mit Die nicht an Krankenhäuser angeschlossenen Pfle- den neuen Ausbildungen gerechnet werden kann geschulen müssen hinsichtlich der Investitions- und dass es teilweise zwei Umlagen gibt (alt/neu). kosten den an Krankenhäusern angeschlossenen Der Paritätische fordert seit jeher, dass der Anteil Pflegeschulen gleichgestellt werden. Anders als bei der Ausbildungskosten, der von den Pflegeeinrich- Schulen, die dem Schulrecht der Länder unterliegen, tungen an Pflegebedürftige weitergereicht werden ist die Finanzierung in den meisten Bundesländern muss, gänzlich aus Mitteln der Pflegeversicherung nicht gesichert. Die Länder müssen gesetzlich im und ohne Belastung des Eigenanteils der pflegebe- PflBG zur Finanzierung der Investitionskosten – bes- dürftigen Menschen finanziert wird. Dazu muss das ser noch der gesamten Schulkosten – verpflichtet PflBG geändert werden. Eine entsprechende Begren- werden. zung des Eigenanteils könnte ebenfalls Entlastung schaffen, wenn diese Kosten als pflegebedingte Ko- Die Bereitstellung der erforderlichen Praxiseinsätze sten explizit dazu zählen. Diesbezüglich ist das SGB – insbesondere in den Nadelöhrbereichen wie der XI zu ändern. Die nun mit dem GVWG (2021) auf den Pädiatrie etc. – muss gewährleistet werden. Dies Weg gebrachte Zuschussregelung in § 43c SGB XI kann z. B. erreicht werden, indem das PflBG kon- fällt für viele Betroffene deutlich zu gering aus und krete Vorgaben macht. So heißt es in § 7 Absatz 2 ist keine Lösung. PflBG: „Die Pflichteinsätze in den speziellen Bereichen der pädiatrischen Versorgung und der allgemein-, Die Anrechnung eines Anteils an Wertschöpfung von geronto-, kinder- oder jugendpsychiatrischen Versor- Auszubildenden im zweiten und dritten Lehrjahr in gung sowie weitere Einsätze können auch in anderen, stationären oder ambulanten Altenpflegeeinrich- zur Vermittlung der Ausbildungsinhalte geeigneten tungen beeinträchtigt die Ausbildungsbereitschaft Einrichtungen durchgeführt werden.“ Im Weiteren und widerspricht dem Ausbildungscharakter. Der sollte in der Ausbildungs- und PrüfungsVO eine Po- Paritätische hat sich auch hierbei schon immer ge- sitivliste mit alternativen Einrichtungsarten aufge- gen eine Anrechnung ausgesprochen. Bei diesem führt werden, die für die Länder in der Umsetzung Wertschöpfungsanteil handelt es sich um einen für verbindlich sind. 6
Die Kooperationsbildung ist noch gezielter zu fördern. Unabhängig vom PflBG braucht es für die nach Dazu sind mit den Mitteln des Förderprogramms zur Landesrecht geregelte 1- u. 2-jährige Pflegehilfs- finanziellen Unterstützung des Aufbaus von Koope- kraft- bzw. Assistenzausbildung eine weitere Aus- rationsbeziehungen in der Pflegeausbildung gemäß bildungsoffensive, damit für die Agenda zur Mehr- § 54 PflBG, welches mit einem Fördervolumen von bis personalisierung in vollstationären Einrichtungen zu 25 Mio. € bis zum 31. Dezember 2022 angelegt ist, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. flächendeckend Koordinationsstellen einzurichten. Kurz- bis mittelfristig werden 20.000 Pflegehilfskräf- Das darf nicht im Belieben der Länder oder Landkreise te und bis Ende der 2020er-Jahre nochmal deutlich liegen. Über diese Struktur sollte bei Problemen bei mehr dieser Kräfte benötigt. Zwar sollen die Län- der Kooperationspartnersuche entsprechende Hilfe der gem. der Road Map zur Umsetzung des Perso- eingeholt werden können. nalbedarfsbemessungsinstruments den Aufbau von Schulplätzen fördern, aber bisher ist diesbezüglich Ambulante Pflegedienste brauchen für die Ausbildung kaum ein entschiedenes Vorgehen zu erkennen. Ana- mehr Unterstützung. Ob die Ziele der Ausbildungsof- log zur Umsetzung der neuen Pflegeausbildungen fensive Pflege erreicht werden können hängt auch scheint ein Bund-Länderübergreifendes Vorgehen maßgeblich davon ab, dass in ambulanten Pflege- wie im Rahmen der KAP erforderlich zu sein. Zudem diensten mehr ausgebildet wird. Die Praxisanleitung muss es im Sinne der Durchlässigkeit und des lände- und Tourenbegleitung der Auszubildenden durch rübergreifenden Einsatzes dieser Pflegehilfskräfte zu Pflegefachkräfte muss zusätzlich finanziell unterstützt einer echten Harmonisierung dieser Ausbildungen werden – ohne Belastung der Pflegebedürftigen. Dies kommen oder hilfsweise zu umfassenden landesü- ist im PflBG und in der FinanzierungsVO konkret vorzu- bergreifenden Anerkennungsregelungen. geben. Auch reduziert insbesondere die Anrechnung der o. g. Wertschöpfung im besonderen Maße die Be- reitschaft der ambulanten Dienste zur Ausbildung. 4. Pflegende Angehörige und vergleichbar Nahestehende stärken. Als Versorgungssettings, wie bspw. Kurz- und Tages- Die Ergebnisse des „Ersten Berichts des unabhängi- pflege in Folge der Corona-Beschränkungen wegbra- gen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Be- chen, sprangen in der Häuslichkeit Angehörige und/ ruf” müssen umgesetzt werden. Ferner sind die Mit- oder Ehrenamtliche bei Betreuung und Pflege ein tel aus dem Förderprogramm nach § 8 Absatz 7 SGB und das in einer Zeit des hohen Informations- und XI zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf für Beratungsbedarf gepaart mit weiteren Herausforde- in der Pflege tätige Mitarbeiter*innen zu verdoppeln, rungen, wie der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und die wenigen inhaltlichen Verbesserungen durch das Pflege. In der Corona-Krise hat sich abermals gezeigt, GVWG (2021) reichen nicht aus. Das Programm muss dass eine grundsätzliche Reform des Pflegegelds ferner frühzeitig verlängert werden. Die im Koaliti- mehr als überfällig ist. Wir brauchen eine bezahlte onsvertrag vorgesehene Einführung eines Budgets Auszeit für Menschen, die Angehörige, Freund*innen zum flexiblen Einsatz, um Entlastung zu schaffen, ist oder Nachbar*innen pflegen – nach dem Vorbild von aus Kostengründen bisher nicht realisiert worden, Elternzeit und Elterngeld und weitere Unterstützung. was umgehend nachzuholen ist. 7
5. Pflege und Betreuung vor Ort in den Kommunen organisieren und gestalten. Die Gesellschaft muss Rahmenbedingungen schaf- Hierzu sind auch die Lehren aus dem Dritten Pfle- fen, damit pflegebedürftige Menschen mitten im gepersonalstärkungsgesetz (PSG III) zu ziehen, ins- Quartier leben können. Die Kommunen müssen für besondere hinsichtlich der Förderungsobjekte nach ihre Aufgaben der Sozialplanung, Koordination, Ver- den §§ 45c und d SGB XI. In vielen Ländern sind die netzung und Steuerung wieder mehr Verantwortung ordnungsrechtlichen Voraussetzungen zur Umset- übernehmen. Dazu müssen sie auch finanziell in die zung nicht oder nicht ausreichend vorhanden. Ak- Lage versetzt werden, ihre Aufgaben der kommu- tivitäten werden somit ausgehebelt. Teilweise wird nalen Altenhilfe erfüllen zu können. Altenhilfe ist die Vergabe der Gelder völlig unterschiedlich ge- gesetzlich wieder als Pflichtaufgabe im § 71 SGB XII handhabt. In einem Land sind Selbsthilfeorganisati- vorzusehen und Pflege muss verbindlich in die So- onen und Kontaktstellen, die sich im Bereich Pflege, zialplanung integriert werden. Wir brauchen keine z. B. für pflegende Angehörige, engagieren wollen, Modellkommunen, sondern wir brauchen jetzt flä- komplett von der Förderung ausgeschlossen, ob- chendeckend eine gezielte Förderung des Miteinan- wohl dies im Leitfaden des GKV-SV zu § 45d SGB XI ders von Jung und Alt in generationenübergreifen- explizit vorgesehen ist. In anderen Ländern sind die den Quartieren. Und wir brauchen mehr Förderung Anforderungen an die Antragsteller zu bürokratisch des ehrenamtlichen Engagements von älteren Men- und hochgesteckt, dass Vorhaben bereits zu Beginn schen und für ältere Menschen. Es muss eine wohn- scheitern. Die gesetzlichen Vorgaben sind auf Praxi- ortnahe verzahnte Beratungs- und Versorgungs- stauglichkeit zu überprüfen und es sind für die Län- struktur sowie eine bedarfsgerechte Infrastruktur der zur Umsetzung verbindliche Fristen vorzusehen. gewährleistet werden. Hierzu wurde die Chance im GVWG (2021) – trotz der guten Ansätze, über flächenbezogene Strukturmerk- Mit vielfältigen Angeboten engagieren sich Träger male Netzwerke anzukurbeln – vertan. der Freien Wohlfahrtspflege in der kommunalen Al- tenhilfe und Senior*innenarbeit und tragen damit Mit einer Stärkung von Besuchsdiensten, präven- zur Verwirklichung von Teilhabe älterer Menschen tiven und gesundheitsförderlichen Angeboten so- und gegen Einsamkeit bei. Um diese Teilhabeange- wie die von Aktivitäten etc. kann die Teilhabe im Al- bote weiter zu Fördern und Auszubauen sind nach- ter gestärkt werden. haltige Finanzierungsstrukturen unerlässlich. Nur so können alte Menschen auch in Krisenzeiten selbst- bestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilhaben. 8
6. Auf Verbesserungen bei Querschnittsthemen zur Umsetzung der Nationalen Demenzstrategie hinwirken – Finanzierung von Strukturen sicherstellen. Derzeit leben in Deutschland rund 1,6 Millionen Men- Menschen mit Demenz benötigen im Verlauf ihrer Er- schen mit Demenz. 2050 könnten es 2,8 Millionen krankung in zunehmendem Maße die Unterstützung Menschen sein, wenn wir von den aktuell bekannten anderer Menschen, wobei neben Angehörigen und Parametern des Alterns ausgehen. Die Maßnahmen beruflichen Akteuren auch das ehrenamtliche Enga- der Nationalen Demenzstrategie sollen einen Bei- gement eine wichtige Rolle spielt. Als Wohlfahrtsver- trag dazu leisten, die Situation von Menschen mit band unterstützen wir diese wertvolle gesellschaft- Demenz und ihren Angehörigen zu verbessern. Dazu liche Ressource seit jeher mit allen Kräften. Eine sollen vor Ort Strukturen unterstützt oder neue ge- hauptamtliche Begleitung ist zentral für eine erfolg- schaffen werden, die eine bessere Prävention, Auf- reiche Ehrenamtsarbeit im Bereich Demenz, denn klärung, gesellschaftliche Teilhabe, pflegerische und gerade auf der Ebene von Nachbarschaft, Quartier medizinische Versorgung und allgemeine Unterstüt- und Kommune kann dadurch die Teilhabe von Men- zung für Demenzkranke und ihre Angehörigen er- schen mit Demenz am sozialen und gesellschaft- möglichen. Ganz wichtig ist es Forschung zu fördern. lichen Leben ermöglicht werden. Der Paritätische Wichtige Rahmenbedingungen für die pflegerische fordert, dass der in Aussicht gestellten zusätzlichen Versorgung sind bspw. die Einführung und weitere Förderung dieser Strukturen in den kommenden Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, Jahren auch Taten folgen. der demenzielle Veränderungen stärker berücksich- tigt, sowie die Umsetzung der Konzertierte Aktion Im besonderen Maße sind bei all dem die Stärkung Pflege zur Verbesserung der Ausbildungs-, Arbeits- pflegender Angehöriger sowie vergleichbar Nahe- und Entlohnungsbedingungen von Pflegekräften, stehender (aus Ziffer 4), die Gestaltung der Pflege denn ohne fachlich gut ausgebildete und motivierte und Betreuung vor Ort in den Kommunen und die Mitarbeiter, wird es uns sehr schwer fallen, den näch- deutliche Entwicklung der Förderungsobjekte nach sten Schritt einer besseren Versorgung zu gehen. Es den §§ 45c und d SGB XI (aus Ziffer 5) im Kontext sind aber auch Formen der Selbsthilfe zu aktivieren bzw. im Querschnitt zu sehen. und durch flächendeckende Quartiersarbeit und Quartierskonzepte zu sichern und zu unterstüt- zen. Dabei kann wiederum die Öffnung von Pflege- heimen ins Quartier eine Rolle spielen. Es bedarf auch einer weiteren Stärkung und Entlastung pflegender Angehöriger, der ambulanten und teilstationären Pflege sowie der Kurzzeitpflege, denn drei Viertel der Pflegebedürftigen und damit vermutlich auch der ganz überwiegenden Mehrzahl der an Demenz erkrankten Menschen, werden in der Häuslichkeit versorgt. Elementar sind somit der Aufbau demenz- spezifischer Ansprechstellen und der weitere Aufbau von Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz. Der Paritätische und seine Mitgliedsorganisationen unterstützen diesen Prozess mit Angeboten der Be- ratung und niedrigschwelligen Dienstleitungen, der Schulung, des Erfahrungsaustauschs und der überre- gionalen Vernetzung, auch mit bereits bestehenden Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz, an die wiederum künftig Pflegeeinrichtungen verstärkt als Netzwerkpartner oder in andere lokale Hilfenetz- werke eingebunden werden sollen. Hier ist die Refi- nanzierung dieser Strukturen sicherzustellen. 9
7. Digitalisierung in der Pflege gestalten. Der Paritätische sieht in der effizienten und effek- Wir fordern daher ein umfassendes Digitalisierungs- tiven Nutzung digitaler Technologien ein großes programm Pflege. Dabei sind die Erkenntnisse aus Potential für die Zukunft der Pflege und fordert die der Förderung der Digitalisierung in stationären und Politik deshalb auf, Prozesse der digitalen Transfor- ambulanten Pflegeeinrichtungen nach § 8 Absatz mation in der Pflege zu unterstützen und zu fördern. 8 SGB XI heranzuziehen. Auch hierbei wurde die Dafür fordern wir eine Digitalisierungsstrategie für Chance vertan, mit dem GVWG (2021) eine langfri- die Pflege, mit der die unterschiedlichen Stränge stige und umfassendere Digitalisierungsförderung der Digitalisierung und der Telematikinfrastruktur auf den Weg zu bringen. Das ist angesichts der wie- in einem Gesamtplan zusammen geführt werden. derholten politischen Aussage, dass so viele Effizi- Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Einrich- enzreserven in der Digitalisierung gesehen werden, tungen, Pflegebedürftige und Angehörige umfas- kaum zu verstehen. sende Informationen darüber erhalten. Ein großes Problem ist bis heute, dass die Digitalisierung in Der Ausbau der Digitalen Pflegeanwendungen (Di- Pflegeeinrichtungen unzureichend finanziert wird PAs) und die Versorgung mit digitalen Versorgung- und daher nicht schnell vorangeht. Dies bezieht sich sangeboten muss vorangebracht werden und der eben nicht nur auf Pflegesoftware, sondern auch auf konsequente Anschluss der Pflege an die Telematik- digitale Lösungen im Personalmanagement usw. Infrastruktur und deren Nutzung ist weiter voranzu- Es muss sichergestellt werden, dass nicht nur die treiben. Beschaffungskosten, sondern auch die Instandhal- tungs- und Wartungskosten der digitalen Strukturen sicher finanziert werden können. Ob und wie derar- tige Kosten in den Investitionskosten untergebracht werden können ist flächendeckend unsicher und auf der anderen Seite dürfen Pflegebedürftige nicht mit Mehrkosten belastet werden. 10
8. Aus der Corona-Pandemie Lehren für die Pflege ziehen. Die Corona-Pandemie stellt eine unerwartete Aus- Der Corona-Virus hat auf vielen Ebenen Unsicherheit nahmesituation dar, die altbekannte Problemlagen in und Vorsicht hervorgerufen, Pflegebedürftigen, ihren der Altenhilfe und Pflege, wie Personalnot und (Re-) An- und Zugehörigen, Pflege(fach)kräften und Ein- Finanzierungslücken, noch stärker als zuvor zum Vor- richtungen der ambulanten und stationären Pflege schein treten lassen. Daneben bringt die Pandemie ist ein schnelles Umdenken und kreative Lösungen auch neue Fragen hervor. Dies betrifft z. B. Fragen abverlangt worden. Die positiven und negativen Er- nach der Angemessenheit, Umsetzbarkeit und den fahrungen in dieser Ausnahmesituation sollten zum Auswirkungen von Maßnahmen zum Schutz älterer Anlass für einen strukturierten sozialen Lernprozess und pflegebedürftiger Menschen vor einer Infektion genommen werden, um aus den Entscheidungen mit dem Corona-Virus. Viele der Maßnahmen stehen der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Not- im Gegensatz zu wichtigen Zielen der Pflege und Be- wendig ist daher die Initiierung und Organisation treuung dieser Menschen, z. B. Erhalt und Förderung eines breiten Konsultationsprozesses im Hinblick auf von Selbstständigkeit und Teilhabe. Die Krisensitua- die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf statio- tion hat die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von näre und ambulante Pflege. Unter Einbeziehung aller gut ausgebildeten, engagierten Pflegekräften und Akteure soll hinsichtlich der Selbstbestimmung und von flächendeckenden Pflege- und Betreuungsan- Teilhabe auch unter Krisenbedingungen eine Fol- geboten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen genabschätzung vorgenommen und gemeinsame einmal mehr überdeutlich aufgezeigt. Es muss daher Bewältigungsstrategien entwickelt werden. bei zukünftigen Anstrengungen für krisenfeste Ver- sorgungssituationen auch darum gehen, den Wert Darüber hinaus benötigen wir belastbare pflegewis- der Ressource Pflege nicht aus dem Blick zu verlieren senschaftlich begründete Empfehlungen für zukünf- und die Langzeitpflege weiterhin mit hoher Priorität tiges Handeln. Es muss daher auch Ziel vorausschau- zu behandeln. ender Pflegepolitik sein, pflegewissenschaftliche Studien zur Sicherstellung von krisenfesten Versor- Die im Zuge der Corona-Pandemie getroffenen gungsangeboten und Präventionsmöglichkeiten auf Schutzmaßnahmen hatten weitreichende Folgen für den Weg zu bringen. den Alltag von alten und pflegebedürftigen Men- schen und ihre Angehörigen. Ziel der Gestaltung ei- ner zukunftsfesten Pflege muss es sein, personelle, materielle, räumliche und organisatorische Rahmen- bedingungen dafür zu schaffen, dass auch in Krisen- zeiten kontinuierliche, verlässliche und kompetente Angebote der Pflege und Betreuung für alte und pflegebedürftige Menschen gewährleistet sind. In einem Alltag mit Corona benötigen wir eine gesunde Balance zwischen Infektionsschutz und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Hierbei spielen viele Bau- steine eine Rolle, wie bspw. die Unterstützung der Pflegeeinrichtungen bei der Umsetzung dieser Maß- nahmen durch die Einbindung in regionale Krisenstä- be, die Beförderung des Austausches der regionalen Träger von ambulanten und stationären Pflegeein- richtungen, eine verlässliche und kontinuierliche Be- gleitung und Beratung durch den örtlichen Gesund- heitsdienst und die Verfügbarkeit von Schutzgütern. 11
Informationen zur Paritätischen Wahlkampfkampagne finden Sie unter: www.der-paritaetische.de/wahl Die Paritätische Forderungen zur Bundestagswahl 2021 finden Sie hier: https://www.der-paritaetische.de/presse-und-kampagnen/geh-waehlen-weil-alle-zaehlen/forderungen-zur- bundestagswahl/ Die Forderungen stehen in verschiedenen Versionen auch als pdf-Datei zur Verfügung. https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/paritaetische-forderungen-zur-bundestagswahl-2021/ Langversion: Kurz & Knapp: Leichte Sprache: Alle Wahlforderungen 21 Forderungen Alle Wahlforderungen zur Bundestagswahl 12
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