Phänologischer Kalender - Ein Rhythmus, den die Natur vorgibt und dem der Bien folgt - Bienen&Natur

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Phänologischer Kalender - Ein Rhythmus, den die Natur vorgibt und dem der Bien folgt - Bienen&Natur
Bienen & Umwelt

Phänologischer Kalender
Ein Rhythmus, den die Natur vorgibt und dem der Bien folgt

Der Phänologische Kalender ist einer der interessantesten und ergiebigsten Vorgänge für alle, die
sich für Natur begeistern, einen Garten oder ein Feld bewirtschaften oder Bienen möglichst natur­
gemäß halten wollen. Unser diesjähriger Monatsbetrachter Dr. Wolfgang Ritter wird uns hier in
die Grundzüge dieser faszinierenden, leider oft wenig beachteten alten Wissenschaft einführen.

A
        ls Teilwissenschaft der Meteorolo-       Naturforscher Carl von Linné als Vater der          Zeigerpflanzen markieren den Beginn,
        gie beschäftigt sich die Phänologie      Phänologie. Er baute bereits im 18. Jahrhun-        manche stehen sogar für verschiedene
        mit den jährlich wiederkehrenden Er-     dert in Schweden ein kleines Beobachtungs-          Phasen: So zeigt die Blüte des Schwarzen
scheinungsformen der Natur. Der Begriff ist      netz auf. Dabei stellte er fest, dass die Bildung   Holunders den Beginn des Frühsommers
dem Altgriechischen entlehnt und bedeutet        von Knospen, das Blühen sowie die Reifung           und seine Fruchtreife den Frühherbst an.
„Lehre von den Erscheinungen“. Dazu werden       von Früchten und Samen bei bestimmten                  In Deutschland gilt der Forscher Emil
im Jahresablauf periodisch wiederkehrendes       Pflanzen verschiedene Jahreszeiten anzeigen.        Werth als Begründer der Phänologie. Be-
Verhalten von Tieren sowie charakteristische        Das Auftreten dieser Erscheinungen               reits 1921 erfasste der von ihm gegrün-
Wachstums- und Entwicklungserscheinun-           wird in einem phänologischen Kalender               dete „Phänologische Reichsdienst“ die Da-
gen bei Pflanzen beobachtet. Da die meisten      festgehalten. Während der gregoriani-               ten von über 1000 Beobachtern. Seit über
Tiere extremen Situationen ausweichen kön-       sche Kalender das Jahr nach astronomi-              50 Jahren koordiniert der Deutsche Wet-
nen, aber alle in der Nahrungskette irgendwie    schen Messungen fast auf den Tag genau              terdienst (DWD) in Offenbach fast 1.200
von Pflanzen abhängig sind, werden in der        in die vier Jahreszeiten einteilt, kennt der        ehrenamtliche Helfer und verarbeitet die
Phänologie vorzugsweise Vegetationsperio-        phänologische Kalender insgesamt zehn               auf über 1.850 Stationen deutschlandweit
den charakteristischer Pflanzen festgehalten.    Phasen bzw. Jahreszeiten: Vorfrühling,              erhobenen Daten. Für nicht besetzte Sta-
                                                 Erstfrühling, Vollfrühling, Frühsommer,             tionen werden ständig Freiwillige gesucht
Zeigerpflanzen und Phasen                        Hochsommer, Spätsommer, Frühherbst,                 (E-Mail: phaenologie@dwd.de).
                                                 Vollherbst, Spätherbst und Winter.                     Die phänologischen Daten werden schon
Bereits vor über 2.000 Jahren haben Chine-          Jährlicher Beginn und das Ende können            lange in der landwirtschaftlichen Wetter-
sen und Römer die optimalen Zeiten für die       je nach klimatischen Verhältnissen und              kunde für den richtigen Zeitpunkt der Boden­
Aussaat anhand von phänologischen Beob-          Region auf ein anderes Datum fallen und             bearbeitung und Aussaat sowie für die Bera-
achtungen festgelegt. Für die Neuzeit gilt der   so unterschiedlich lang sein. Bestimmte             tung bei Pflanzenkrankheiten genutzt. In
                                                                                                     der Medizin-Meteorologie verwendet man
                                                                                                     sie zur Information über Pollenflug, um All-
                                                        Im phänologischen Kalender                   ergiker zu warnen. Neuerdings dient sie zu-
                                                           steht die Haselblüte als                  dem in der Wissenschaft für Klimamodelle
                                                       Zeigerpflanze für den Beginn                  und dabei vor allem zur Erforschung des
                                                        des Vorfrühlings. Manchmal                   Klimawandels.
                                                       blüht sie aber zu früh und der
                                                         Winter hält noch weiter an.
                                                          Foto: U. Schneider-Ritter                  Klimaveränderung sichtbar
                                                                                                     Die Klimaveränderung konnte der Deutsche
                                                                                                     Wetterdienst (DWD) am Beispiel der Hasel
                                                                                                     aufzeigen, die bei uns heute etwa 13 Tage frü-
                                                                                                     her blüht als 1951. Während ihr Blühbeginn
                                                                                                     ganz von der Temperatur abhängt, wird er bei
                                                                                                     anderen Pflanzen, wie dem Schneeglöckchen,
                                                                                                     schon mehr von der Tageslänge bestimmt
                                                                                                     und schwankt deshalb nicht so stark. Noch
                                                                                                     mehr von der Tageslänge abhängig sind Er-
                                                                                                     scheinungen wie der Blattaustrieb.
                                                                                                       Auf der Internetseite des Deutschen
                                                                                                     Wetterdienstes (www.dwd.de) kann man
                                                                                                     die aktuelle Entwicklung der Vegeta-
                                                                                                     tion für verschiedene Zeigerpflanzen in
                                                                                                     Deutschland oder nach Bundesländern

bienen&natur   03.2018                                                                                                                         13
Phänologischer Kalender - Ein Rhythmus, den die Natur vorgibt und dem der Bien folgt - Bienen&Natur
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Abb. 1. Der mittlere Blühtermin des Apfels war 2017 in der                      Abb. 2. Die Sommer-Linde begann 2017 meist Anfang Juni zu
Rheinebene mit Anfang April am frühesten. Später blühte er im                   blühen. Nur in Schleswig-Holstein sowie im Thüringisch-Fränki-
Norddeutschen Tiefland und Südwestdeutschen Stufenland. In der                  schen Mittelgebirge und in Teilen Bayerns kam sie erst Anfang
Mittelgebirgsschwelle (u. a. Bayerischer Wald, Erzgebirge,                      Juli, in höheren Lagen sogar erst Mitte Juli zur Blüte.
Hessisches Bergland) zog sich der Blühtermin bis Anfang Mai hin.

aufgeschlüsselt abrufen (siehe QR-Code                Anzeiger für den Hochsommer dargestellt.         Naturräume und phänologische
und Link unten). In den Abbildungen 1                 Die eingezeichneten Grenzlinien sind             Phasen
und 2 sind die Blühtermine frühreifen-                keine politischen Grenzen, sondern zeigen
der Äpfel als Anzeiger für den Vollfrühling           die verschiedenen Naturräume an, die über        Die Naturräume unterscheiden sich von den
und die Blühtermine der Sommerlinde als               die Grenzen Deutschlands hinausreichen.          Nachbarräumen in einzelnen, mehreren oder
                                                                                                       allen Faktoren, wie Relief, Vegetation, Geo-
 Tabelle 1: B
             lühzeiten einiger für Bienen wichtiger Pflanzen in den verschiedenen
                                                                                                       logie und Klima. Sie sind hierarchisch vom
            phänologischen Phasen (Leitpflanzen fett gedruckt).                                        Großraum, über Regionen bis zu kleinen
 Phase            Beginn                                Mitte                   Ende
                                                                                                       Gebieten bzw. in vier Ordnungsstufen un-
                                                                                                       tergliedert (s. a. www.bienenundnatur.de/
 Vorfrühling      Hasel, Schneeglöckchen,               Schwarzerle, Pestwurz   Ackersenf, Krokus,
                  Märzenbecher, Erika (grau)                                    Kornelkirsche,         fachthemen/bienen-umwelt/). In den ein-
                                                                                Salweide               zelnen Naturräumen kann man für die Ord-
 Erstfrühling     Forsythie                             Spitzahorn,             Löwenzahn, Esche,      nungsstufen die Zeitspanne des Auftretens
                  (für Bienen ohne Bedeutung)           Stachelbeere            Rote Johannisbeere,    der verschiedenen phänologischen Phasen
                                                                                Süßkirsche, Birne
                                                                                                       bzw. Jahreszeiten für einen bestimmten Zeit-
 Vollfrühling     Apfel, Birne, Flieder, Goldregen,     Eberesche, Weißdorn     Wiesenfuchs-
                  Rosskastanie                                                  schwanz                raum aufzeigen. Als Beispiel für einen phä-
 Frühsommer       Schwarzer Holunder, Robinie,          Margerite,
                                                                                                       nologischen Kalender möchte ich hier unter
                  Wiesenblumen (Höhepunkt)              Klatschmohn                                    den Naturräumen 3. Ordnung das Südliche
 Hochsommer       Sommer-Linde, Lavendel,               Beifuß, Buchweizen,     Durchwachsene          Oberrheintiefland (Naturraum 20) bringen
                  Johanniskraut                         Sonnenblume             Silphie, Phazelia      (Abb. 3). Zur besseren Übersicht der phäno-
 Spätsommer       Heidekraut                            Goldrute, Rainfarn      Herbstzeitlose         logischen Phasen im Jahresverlauf stellt man
 Frühherbst       –                                     Efeu                    –                      den phänologischen Kalender häufig auch
 Vollherbst       –                                     Senf                    –
                                                                                                       in Form einer phänologischen Uhr dar. Ver-
                                                                                                       änderungen in den phänologischen Phasen
 Spätherbst       –                                     –                       Abschluss Vegetation
                                                                                                       werden in der doppelten phänologischen Uhr
 Winter           –                                     –                       –
                                                                                                       besonders deutlich (Abb. 4).

14                                                                                                                         03.2018   bienen&natur
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Klima und Bienenstand

Die Naturräume können nur die Situation in
einzelnen Regionen wiedergeben. Daneben
spielen in den einzelnen Gebieten aber auch
andere Faktoren, wie Meereshöhe, Distanz
zu Wasserflächen, offene oder geschützte
Lagen, Windverhältnisse und die Neigung
des Geländes, eine wesentliche Rolle. So ist
nicht nur „ein Jahr nicht wie das andere“, son-
dern auch jede Region, jedes Gebiet, ja jeder
Garten und damit auch jeder Bienenstand-
ort hat sein eigenes Klima. Die vom Wetter-
dienst erhobenen Daten dienen daher mehr
der Orientierung. Jeder sollte das Kleinklima
am eigenen Standort selbst beobachten und
dies mit den Beobachtungen und Eingriffen
am Bien verknüpfen (Vorlage für ein Proto-
koll auf www.bienenundnatur.de).
                                                  Abb. 3. Im phänologischen Kalender für den Naturraum „Südliches Oberrheintiefland“ sind für
                                                  365 bzw. 366 Tage im Jahr die phänologischen Phasen angegeben. Jede wird durch eine
Phänologischer Kalender                           Leitphase eröffnet und endet mit dem Beginn der nächsten Phase. Die jeweiligen dreifarbigen
und Bienenhaltung                                 Balken geben die Spanne für die einzelnen Erscheinungen an. Der gelbe Bereich trat in 60 %
                                                  und der rote bzw. blaue in jeweils 20 % von 25 Untersuchungsjahren ein.
Für die Entwicklung des Biens sind vor allem
die Blühzeiten der verschiedenen Pflanzen in
den einzelnen Phasen wichtig, da neben der
Tageslänge mit dem Angebot von Nektar und
Pollen wichtige Impulse für die Vorgänge im
Bien gesetzt werden. In der Tabelle sind ei-
nige Beispiele für den Blühbeginn für Bienen
wichtiger Pflanzen angegeben. Sie können
auch zur Orientierung dienen, falls die typi-
schen Zeigerpflanzen in der Nähe des Stan-
des fehlen. Die Aufstellung ist bei weitem
nicht vollständig und soll zur Erwei­terung
und Korrektur anregen. Honigtau-Quellen
sind in der Tabelle nicht aufgeführt, da ihre
Produktion von den jeweiligen Lauspopu-
lationen und damit von ganz anderen Fak-
toren abhängt.
   Nicht nur der wilde Bien, sondern auch
die vom Menschen betreuten Bienenvölker
folgen dem Rhythmus der Natur. Nur mit
massiven Eingriffen kann man ihn unter-
brechen und den Bien zu einem anderen             Abb. 4. Im äußeren Ring der phänologischen Doppeluhr ist der langjährige mittlere Verlauf der
Ablauf zwingen. Orientiert man sich am gre-       phänologischen Phasen dargestellt. Im inneren Ring wird im Vergleich dazu wie hier ein
gorianischen Kalender, wird man besonders         anderer Zeitraum abgebildet, um die Verschiebungen zwischen den phänologischen Phasen in
                                                  Deutschland aufzuzeigen. Man kann mit der Doppeluhr auch verschiedene Naturräume oder
in der ersten Jahreshälfte einem anderen
                                                  den über eine größere Zeitspanne gemessenen mit dem aktuellen Verlauf vergleichen. Für den
Rhythmus folgen als der Bien. In dieser für       eigenen Standort ist es einfacher, wenn man zunächst die Daten in einer Tabelle erfasst, die Sie
die Entwicklung des Biens so wichtigen Zeit       unter Fachthemen (Bienen & Umwelt) auf der Homepage finden.
wird man so dessen Ansprüchen nicht ge-
recht werden. So machen konkrete Monats-
anweisungen nur Sinn, wenn man weiß, für          herigen Monatsanweisungen für das Jahr                            QR-Code für die Informatio-
welche Region bzw. für welchen Naturraum          2018 berücksichtigt und werde es selbst-                          nen zur „aktuellen Vegeta­
sie geschrieben wurden oder wenn man sie          verständlich auch weiter tun.                                     tionsentwicklung“ des
vom gregorianischen Kalender unabhängig                                                                             Deutschen Wetterdienstes.
                                                                                                                    Alternativ: www.dwd.de/DE/
macht. In einer naturgemäßen Imkerei wird
                                                                                                                    leistungen/phaeno_akt/
man in jedem Fall dem phänologischen Ka-                     Dr. Wolfgang Ritter                                    phaenoakt.html
lender folgen. Dies habe ich in meinen bis-             ritter@bienengesundheit.de

bienen&natur   03.2018                                                                                                                         15
Phänologischer Kalender - Ein Rhythmus, den die Natur vorgibt und dem der Bien folgt - Bienen&Natur Phänologischer Kalender - Ein Rhythmus, den die Natur vorgibt und dem der Bien folgt - Bienen&Natur
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