PROGRAMMZEITUNG - STAMMTISCH-KULTURPALAVER TEUFLISCHE ABSCHIEDSGALA - KULTUR IMRAUMBASEL
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25 Jahre Kulturvermittlung ProgrammZeitung CHF 8.00 | EUR 6.50 Mai 2012 | Nr. 273 Kultur im Raum Basel Stammtisch-Kulturpalaver Teuflische Abschiedsgala
www.cdn.ch MUSEUM DER KULTUREN BASEL Sonderausstellung 26.4. – 15.7.2012 Von der Leichtigkeit des Steins SC HWE B E N D Kinetische Installationen von Justin Fiske im Dialog mit Objekten aus der Sammlung des Museums der Kulturen Museum der Kulturen Münsterplatz 20, 4051 Basel Offen Di – So, 10:00 – 17.00 Uhr www.mkb.ch MKB002_Prod_Fieske_Ins_Proz_92x139.indd 1 30.3.2012 17:51:37 Uhr INTERNATIONALE KÜNSTLERSTIPENDIEN IAAB JETZT: AUSSCHREIBUNG FÜR 2013! Das internationale Austausch- und Atelierprogramm der Region Basel (iaab) bietet Künstlern der Region Basel, Südbaden (D) und des Kan- tons Solothurn die Möglichkeit eines mehrmonatigen Werkaufenthalts wie auch eines Reisestipendiums im Ausland an. Neu können sich auch Kunstvermittelnde der Region für ein Recherchestipendium im Ausland bewerben! AKTUELLE INFORMATIONEN zur Ausschreibung, den ausgeschriebenen Destinationen weltweit wie auch die BEWERBUNGSUNTERLAGEN zum Download finden sich unter: WWW.IAAB.CH SÄMTLICHE INFORMATIONEN KÖNNEN AUCH DIREKT BEI IAAB BEZOGEN WERDEN: IAAB \\ Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5 \\ Postfach \\ 4002 Basel t: 061-226 33 33 \\ iaab@merianstiftung.ch \\ www.iaab.ch iaab wird von der Christoph Merian Stiftung (Projektleitung), den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, den Gemeinden Riehen, Lörrach und von Freiburg i.Br. getragen.
Kultur-Märchen dagm a r bru n n e r Editorial. Er mutet märchenhaft an, der mittelalterliche Versroman ‹Parzival› von Wolfram von Eschenbach. Das Epos vom ‹reinen Tor› und späteren Gralskönig regte u.a. Richard Wagner zu seiner letzten Oper ‹Parsifal› an, in der die Suche der Lebensessenz sowie Mitleid und Erlösung zentrale Aspekte sind. Dass dieser mystische Stoff und na- türlich die Musik des ‹Bühnenweihfestspiels› noch heute zu faszinieren und zu polarisieren vermögen, zeigt auch der neue Dokfilm von Vadim Jendreyko, ‹Die Singende Stadt›. Dieser nimmt die Stuttgarter ‹Parsifal›-Inszenierung des katalanischen Star-Regisseurs Calixto Bieito zum Anlass, nicht nur in die Welt Wagners, sondern auch in den Kos- mos eines grossen Opernhauses einzutauchen, indem er die Entstehung der Opernproduktion von der Idee bis zur Aufführung begleitet – samt Krisen und Freuden. Über ein Jahr hat die Filmcrew den Prozess verfolgt und doku- mentiert, der den ‹Parsifal› in einer düster-apokalyptischen Umgebung spielen lässt und mit scharfer aktueller Gesell- schaftskritik verknüpft. Nun ist der beeindruckende Film im Stadtkino zu sehen – und Vadim Jendreyko verbindet damit ein weiteres Anlie- gen: er möchte dem umstrittenen Buch ‹Kulturinfarkt› von Pro Helvetia-Direktor Pius Knüsel et al. eine Innensicht ent- gegenhalten, die zu einer differenzierten Meinungsbildung Filmstill aus über Strukturen, Grenzen und Möglichkeiten heutiger Kul- Wie ein Märchen klingen schliesslich auch die ersten ‹Die Singende turbetriebe beiträgt. Auf einem Podium wird er mit Thea- Schweizer Crowdfunding-Plattformen für Kulturprojekte. Stadt› terdirektor Georges Delnon und P. Knüsel über den Wert Seit Februar scheint diese Online-Finanzierungsidee aus von Kultur, ihre Messbarkeit und Finanzierung sprechen, es den USA ebenfalls bei uns zu funktionieren: Viele ermögli- moderiert Peer Teuwsen. chen gemeinsam, dass ein Projekt realisiert werden kann. Auch in unserem Heft finden Sie zwei Beiträge, die sich mit Wie das im Detail funktioniert, lässt sich auf den Websites der gezielten Polemik auseinandersetzen (S. 26/27). So be- nachlesen, die selbst von Künstlerinnen und Kulturvermitt- rechtigt ein kritisches Hinterfragen der bestehenden Me- lern lanciert wurden und u.a. von Pro Helvetia unterstützt chanismen ist: populistische Kultur-Märchen tragen nicht werden. Ob und wie dieses Fördermodell die Kulturland- zu Klärung oder Besserung bei, und das zunehmende Mes- schaft verändern wird, sind spannende Fragen. sen kultureller Werte mit marktwirtschaftlichen Ellen ist ‹Die Singende Stadt›: ab Do 10.5., 18 h, Stadtkino Basel. Ab 19.30 Podium bedenklich und kontraproduktiv. Dass gerade Kulturmana- mit G. Delnon, P. Knüsel, V. Jendreyko, Moderation: Peer Teuwsen. Filmdaten: www.stadtkinobasel.ch ger nicht sorgfältiger argumentieren (und damit just den Kulturfeinden in die Hände spielen), ist zudem bedauerlich. Crowdfunding: www.wemakeit.ch, www.100-days.net Hauskultur Solch belebender Austausch zwischen unseren Magazinen findet immer wieder statt, wenn- übernimmt. Wir wünschen den ehemaligen und den neuen KollegInnen einen frohen Start in db. Es ist nicht so, dass sie nichts von Kultur ver- gleich unsere Betriebe ganz unterschiedlich eine erfolgreiche Zukunft! Und freuen uns auf stehen, die drei Autoren des ‹Kulturinfarkts›, der strukturiert sind und funktionieren. Nun verlas- weitere Kooperationen. die Kulturszene bewegt (s. auch Editorial). Aber sen die beiden Redaktionsleiter ihre Posten und Verabschieden müssen wir uns auch, zumindest man muss ihre Provokationen nicht unwider- brechen zu neuen Ufern auf. Jonas Wydler be- vorübergehend, von unserer Autorin Alexandra sprochen hinnehmen. Diese Meinung teilten die gibt sich nach zweijähriger Mitarbeit bei ‹041› Stäheli, die aus beruflichen Gründen kürzertre- Redaktionskollegen unserer Partnerzeitschriften auf ‹Weltreise›, und Johannes Stieger will sich ten muss. Ihre blitzgescheiten ‹Zeitgeister›- in St. Gallen (Johannes Stieger bei ‹Saiten›) und nach fast sieben Jahren bei ‹Saiten› stärker auf Beiträge werden uns fehlen. Weitere anregende Luzern (Jonas Wydler bei ‹041 – Das Kulturma- seine bisherige Nebenbeschäftigung als Ausstel- Lektüre bieten die folgenden Seiten. gazin›). Und so kommt es, dass unser ‹Stamm- lungsgestalter und -macher konzentrieren. Als Zur Kultur in St. Gallen und Luzern: tisch-Palaver› von Guy Krneta (S. 26) auch in Nachfolgerin in Luzern tritt Martina Kammer- www.saiten.ch, www.kulturmagazin.ch Luzern erscheint. Die St. Galler hatten für Mai mann an, eine junge studierte Kulturpublizistin, Weitere Regionen: Kultursplitter u S. 87 ohnehin einen kulturpolitischen Schwerpunkt während in der Ostschweiz mit Peter Surber ein geplant und konzentrierten sich ganz darauf. ‹alter Hase› vom St. Galler Tagblatt das Zepter Mai 2012 | ProgrammZeitung | 3
Art43Basel/ArtParcours/Ad_ProgrammZeitung_60x139mm_1/6_4c Müller+Hess_120417 / Printfile 34. Solothurner Literaturtage 13 –17 6 12 Discover the city via art Die staDt Durch Kunst entDecKen … wenn zeichen sich extended opening hours WeD | 10am–12pm | thu–Fri | 11am–10pm verdichten … sat | 11am–10pm | sun | 11am–7pm art Parcours night | WeD | 8pm–12pm 1. Juni 2012, 20.00 Uhr special evening Program | Live Performance H95 Raum für Kunst, Horburgstr. 95, Basel Journées 18. – 20. Mai 2012 Littéraires Kompositionen: de Soleure Giornate Lukas Langlotz «tover» (UA) Letterarie Klaus Lang «die hässliche Blume» (UA) di Soletta Sentupada Beat Furrer «a due» Litterara Christop Herndler «Basel, 01.06.12» (UA) a Soloturn tur.ch Georg F. Haas «Duo» www.litera Interpreten: Petra Ackermann (Bratsche), Basler AutorInnen – Irena Brežná, Philipp Meier (Klavier) Peter Burri, Martin R. Dean, Martin Hennig, Friederike Kretzen, Marcus P. Nester, Hansjörg Schneider – treffen Eintritt Fr. 30.– (ermässigt 20.–), frei für Mitglieder der IGNM, sowie Dozierende sich in Solothurn mit KollegInnen und Studierende der Musikakademie. und LeserInnen aus der ganzen Welt. Vorverkauf bei Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Programm in den Buchhandlungen Telefon 061 206 99 96, Abendkasse. Art|43|Basel|14–17|6|12 und auf www.literatur.ch The International Art Show – Die Internationale Kunstmesse www.artbasel.com/parcours, www.artbasel.com/app Bestellung des detaillierten Saisonprogramms: www.facebook.com/artbasel, www.twitter.com/artbasel ignm_basel@yahoo.de, www.ignm-basel.ch pf_AP_Ad_ProgrammZeitung_60x139mm.indd 1 17.04.12 17:40 Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften School of Management and Law Info-Veranstaltung MAS Arts Management Dienstag, 12. Juni 2012, 18.15 Uhr Stadthausstrasse 14, SC 05.77, 8400 Winterthur Start der 14. Durchführung: 18. Januar 2013 ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 54 www.zkm.zhaw.ch Gare Du Nord, 18. bis 20. Mai Building Competence. Crossing Borders. Eintritt: CHF 45.- / 35.-, begrenzte Platzzahl, Reservation empfohlen Zürcher Fachhochschule www.beatgysin.ch Zürcher Fachhochschule
Inhalt 7–27 Redaktion 28–52 Kulturszene 53–80 Agenda 80 Impressum 81 Kurse 82 Ausstellungen 84 Museen 86 Bars & Cafés 86 Essen & Trinken 87 Kultursplitter Filmstill aus ‹Marley›, Kultkino u S. 50 Cover: Filmstill aus ‹Sister› u S. 9
Basler Filme im Fokus Masterprogramm www.zoom.Balimage.ch Kulturmanagement m il Fil ku Ft Fil m Studiengang 2012 - 2014, Beginn Oktober 2012 ns ra m au urz gFil tF gs m k an Informationsveranstaltung l Montag, 21. Mai 2012, 18.30 bis 20 Uhr Alte Universität, Rheinsprung 9, Hörsaal 118 www.kulturmanagement.org o m Lee RitEnOUR guitars Dave GRUsin piano/keys zo tom KEnnEDy bass sonny Emory drums L e e RitenouR Acoustic Band 6.– 9. juni 2012 stadtkino / schausPielhaus Dienstag, 15.5.12 20.00 Uhr Stadtcasino Basel VORVERKAUF: www.ticketcorner.ch • SBB, Die Post, Manor, Coop City, BaZ, Bivoba, Stadtcasino • VERANSTALTER: AllBlues Konzert AG
Kämpfende Königinnen a l f r e d s c h l i e nge r Pro Regenwald a l f r e d s c h l i e nge r Bruno-Manser-Filmwoche. Immer noch und immer wieder braucht es enga- gierte AktivistInnen gegen die Zerstörung des Regenwalds. Einer, der seinen Einsatz mit dem Leben bezahlt hat, ist der Basler Bruno Manser, der jahrelang mit dem Volk der Penan in den Wäldern Borneos lebte, bis er eines Tages spurlos verschwand. Mit einem Jubiläumsanlass und einer Filmwoche feiert nun der Bruno-Manser- Fonds sein 20-jähriges Bestehen. Eingeladen ist einerseits internationale Prominenz aus der Umweltbewegung, wie der alternative Nobel- preisträger Harrison Ngau, anderseits treten engagierte Kunstschaffende aus der Schweiz Filmstill aus auf, wie der Rapper Greis, die Impronauten oder ‹Kampf der Ein etwas anderer, höchst unterhaltsamer Heimatfilm. Königinnen› der Slampoet Laurin Buser. Nicht ganz zu Unrecht ist schon beklagt worden, der Schweizer Film beuge In der Filmwoche werden in knapp zwei Dutzend sich in letzter Zeit fast schon penetrant über möglichst ländliche, traditio- Vorstellungen 8 Dokumentarfilme gezeigt; 4 da- nelle und weit zurückliegende Stoffe (‹Bödälä›, ‹Der Verdingbub›, ‹Alp von beschäftigen sich direkt mit dem Leben und segen› etc.), statt sich mehr mit der urbanen Gegenwart der Schweiz aus Wirken von Bruno Manser, wie Christoph Kühns einanderzusetzen, und feiere mit diesem Retro-Trend auch noch Erfolge ‹Bruno Manser – Laki Penan› oder die beiden beim Publikum. Zugegeben, auch der hier Schreibende wurde nicht von schwedischen ‹Tong Tana›-Filme, die im Abstand unbändiger Neugier in diese Walliser Ringkuhkampf-Doku hineingezogen, von 12 Jahren entstanden sind; die übrigen Dokus sondern eher von einer Lücke im Festivalprogramm. Aber deshalb kann er konkretisieren die aktuellen Gefährdungen des jetzt umso herzhafter behaupten: Vergessen Sie alles, was Sie über soge- Regenwaldes durch Mammut-Staudammprojek- nannte Heimatfilme zu wissen glaubten, und gönnen Sie sich den ‹Kampf te und riesige Palmöl-Plantagen. Drei der Filme der Königinnen›! Es ist ein wunderbarer Film: kraftvoll und leicht, spritzig sind Schweizer Kino-Premieren, zu einzelnen und liebevoll ironisch erzählt, eine filmästhetische Trouvaille. Vorstellungen sind Podiumsveranstaltungen ge- Der 28-jährige Dokumentarfilmer Nicolas Steiner ist selber Walliser, hat plant. Für Schulen wird ein Spezialprogramm sich aber in seiner Jugend für diese seltsamen Kuhkampfbräuche kein biss- angeboten. Eine attraktive Möglichkeit, Sensibi- chen interessiert. Jetzt kehrt er nach einer Filmausbildung in Deutschland lisierung für Umweltfragen mit der Neugier auf und San Francisco in seine Heimat zurück und erzählt den ‹Combat de fremde Kulturen zu verknüpfen. reines›, der immer im Mai in Aproz stattfindet, mit cooler Raffinesse aus Jubiläum Manser-Fonds: Sa 12.5., Filmwoche: Do 10. bis anteilnehmender Distanz. Mi 16.5., Kultkino Atelier, Programm: www.bmf.ch Tradition und Moderne. Steiner filmt das ganze Geschehen in stilisie- rendem Schwarzweiss, lässt multiperspektivisch mehrere Erzählstränge geschickt ineinanderlaufen und scheut sich nicht, mit Extremzeitlupe und variantenreichem Soundmix emotionalisierend Aug’ und Ohr zu kitzeln. Wir sehen, wie der Bauer Beat Brantschen mit seiner Kuh Dominga, die erst 17-jährige Viehzüchterin Déborah Métraillier mit ihrer Kuh Melan- cholie und Jean-Vincent Lathion mit Shakira in die Kämpfe steigen; wie der Radioreporter Andreas Herzog aus dem Unterland auf die tolle Story hofft; und wie die Töfflibuben aus dem Nachbardorf im Gewusel der 10’000 Zuschauenden ihr Abenteuer suchen. Im Zentrum aber stehen diese kraftstrotzenden Eringerkühe, denen die Natur dieses unbedingte Kämpfen um den Rang mitgegeben hat. Das stäubt und wirbelt in der Arena, hat Wucht und Eleganz und ist im rhythmisieren- den Schnitt ganz schön unterhaltsam. Das liegt zu einem nicht geringen Teil auch an der Tonspur. Da mischen sich im Sounddesign des Baslers Tobias Koch fast schon exemplarisch Tradition und Moderne, Originalton und Soundtüfteleien, das Alphorn von Balthasar Streiff und der Gesang von Erika Stucky. Doku-PuristInnen werden vielleicht auch lästern über diesen Film. Sie vergessen, dass Film immer ein wenig lügt. Dieser hier Filmstill aus ‹Bruno Manser macht es einfach besonders lustvoll und gut. – Laki Penan› Der Film läuft ab Do 10.5. in einem der Kultkinos u S. 50 Mai 2012 | ProgrammZeitung | 7
Wie ein fragiles Mobile im Wind a l f r e d s c h l i e nge r Für Aug’ & Herz dagm a r bru n n e r Schwullesbische Kinokultur. Sie sind längst Tradition und erfreuen sich zahl- reicher Gäste: die schwullesbischen Filmfesti- vals im In- und nahen Ausland. Das schweizweit grösste, Pink Apple, startet mit dem belgischen Spielfilmdebüt ‹Noordzee, Texas› von Bavo Defurne, das eine Coming-out-Geschichte im Belgien der Sechzigerjahre erzählt und in Mont- real als bester Erstling prämiert wurde. An den 12 Festivaltagen in Zürich und Frauenfeld sind rund 70 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus 23 Ländern zu sehen. Zusätzlich stehen Podien und Vorträge auf dem Programm. Filmstill aus Die Schwule Filmwoche in Freiburg zeigt zur Er- Der Locarno-Sieger ‹Abrir puertas y ventanas›. ‹Abrir puertas› öffnung den Teddy-Gewinner der Berlinale 2011, Buenos Aires im Herbst, eine alte Villa und drei Schwestern an der Schwelle ‹Tomboy›. Das Werk der französischen Filmerin zum Erwachsenenalter. Kürzlich ist die Grossmutter gestorben, welche die Céline Sciamma handelt von der zehnjährigen drei Chicas aufgezogen hat. Die Eltern sind schon länger tot; Genaueres Laure, die sich nach einem Umzug als Junge aus- weiss man nicht. Die karge Ausgangssituation ist gleichzeitig die Versuchs- gibt. 20 weitere Filme verschiedener Gattungen anordnung für den ganzen Film. Wie richten sich die drei jungen Frauen und Längen, die schwule Büchernacht und eine ein in einem selbständigen Leben? Wie verändern sich die Beziehungen Filmparty runden den Anlass ab. unter ihnen? Was bleibt, was bricht auf? Regisseurin Milagros Mumenthaler, Die Freiburger Lesbenfilmtage präsentieren ne- in Argentinien geboren und in der Schweiz aufgewachsen, treibt in ihrem ben rund einem Dutzend Filmen aus aller Welt Spielfilmerstling ‹Abrir puertas y ventanas› nicht so sehr eine Handlung eine Lesung und eine Frauenparty. Den Auftakt vorwärts, sondern beobachtet eindringlich und geduldig einen Schwebe macht der romantische schwedische Spielfilm zustand. Das erinnert an ein fragiles Mobile im sanften Wind der Verände- ‹Kyss mig – Küss mich› von Alexandra-Therese rung, wo jede Bewegung eine andere auslöst und doch alles immer auch Keinig. Es folgen u.a. ein Porträt über Afrikane- nach einem ausgleichenden Halt sucht. rinnen, die sich auf vorkoloniale Werte besinnen Marina (Maria Canale) als Älteste übernimmt vorsichtig eine Art mütter und eine Sci-Fi-Komödie über drei lesbische Ali- liche Rolle, die modisch fixierte Sofia (Martina Juncadella) reibt sich ens, die als Herzensbrecherinnen auf die Erde gerne zickig an der neuen Autorität, und die attraktive Violeta als Jüngste verbannt werden. Gewisse Veranstaltungen sind (Ailin Salas) empfängt heimlich einen Liebhaber, von dem die andern nur Frauen zugänglich. nichts wissen, aber selber träumen. Es herrscht diese wohlbekannte und 15. Pink Apple Filmfestival: Mi 2. bis Do 10.5. (Zürich), doch unbeschreibliche Wechselchemie von Sticheleien und inniger Ver- Fr 11. bis So 13.5. (Frauenfeld), www.pinkapple.ch trautheit, von Belauern und Belächeln, von Ängsten und Sehnsüchten, 28. Schwule Filmwoche: Mi 2. bis Mi 9.5., Freiburg (D), Geheimnissen und Lügen. www.schwule-filmwoche.de Melancholische Ereignislosigkeit. Aber eigentlich passiert fast nichts – und 22. Freiburger Lesbenfilmtage: Do 17. bis So 20.5., das ist auf seltsame Art spannend. Die Kamera schweift ruhig durchs Haus, Freiburg (D), www.freiburger-lesbenfilmtage.de Filmstill aus durch leere Gänge, fixiert Mobiliar, Gegenstände und Stimmungen und ‹Kyss mig› macht dadurch auch die Vergangenheit, das Abwesende präsent. Besonders schön, wenn die drei Grazien ganz nah beieinander auf dem Sofa sitzen und das Lied einer alten Platte mitsingen, die sie im Haus gefunden haben. Konsequenterweise verlässt die Kamera nie das Geviert von Haus und Gar- ten. Das gibt dem Setting eine klaustrophobische Intensität, die den Ent- scheidungsdruck der Figuren, die am liebsten nichts entscheiden würden, widerspiegelt. Nicht nur wegen der drei Schwestern und der Ereignislosig- keit, sondern auch wegen der leisen Melancholie, die über allem liegt, erin- nert das an den Altmeister solcher Schwebezustände, Anton Tschechow. Aber am Schluss öffnet Milagros Mumenthaler, wie es der Titel verspricht, die Türen und Fenster doch wesentlich weiter, als es Tschechow-Figuren lieb gewesen wäre, und lässt den Wind des Aufbruchs durchs Haus wehen. In Locarno holte der stille, eindringliche Film den Goldenen Leoparden und einen Silbernen für Maria Canale als beste Darstellerin. Der Film läuft ab Do 17.5. in einem der Kultkinos u S. 50 8 | ProgrammZeitung | Mai 2012
(K)ein Kind – (k)eine Familie a l f r e d s c h l i e nge r Ursula Meiers ‹Sister› gewann den Silbernen Bären. schnürt es einem die Kehle zu. Das Besondere dabei: Ursula Die Filmgeschichten der französisch-schweizerischen Doppel- Meier kommt ohne jeglichen Sentimentalitätsdrücker aus, bürgerin Ursula Meier spielen gern im Abseits des Lebens. ihr Film wirkt sogar eher etwas unterkühlt und spröd, sie In ‹Home› (2009) zeigte sie eine aufgekratzte Familie, die plustert nichts auf, arbeitet mit Aussparungen und lässt sich in ihrem Haus direkt an der neu eröffneten Autobahn so die Verlorenheit und Verlegenheit der Figuren aus den einmauert, gewann mit dem surrealistischen Setting den präzis gewählten Bildern kriechen. Wortlos, mit Blicken, Schweizer Filmpreis und wurde auch für den Oscar nomi- die suchen, mit Blicken, die ausweichen. Das gibt dem Film niert. Ihr neuer Film ‹Sister› kommt wesentlich realistischer eine atmosphärische Dichte, die nicht unbedingt wärmt daher und hat doch eine starke künstlerisch überhöhte Aus- und uns doch ganz nah an die Figuren heranführt. Sehr strahlung; er wurde als erster Schweizer Film seit 13 Jahren bildhaft und manchmal fröstelnd denken wir nach über die in den Berlinale-Wettbewerb eingeladen und gleich mit Werte unseres Zusammenlebens, über Verlässlichkeit und dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Eine mehrfach hoch- Vertrauen, über Armut und Reichtum, innen und aussen. verdiente Ehrung. Subtiler Humor. Grossen Anteil an diesem ungeschön- Schlicht grandios ist die schauspielerische Leistung des ten und doch künstlerisch verdichteten Realismus hat die jungen Kacey Mottet Klein, der den 12-jährigen Selbstver- Kameraarbeit von Agnès Godard. Sie ist so agil wie der sorgerdieb Simon spielt. Täglich fährt er mit der Gondel aus kleine drahtige Gauner Simon, folgt ihm auf Schritt und dem Industriegebiet in der Talsohle hinauf ins glitzernd Tritt, oft in einer Halbdistanz, die das Umfeld einbezieht. weisse Skigebiet und klaut dort routiniert Skiausrüstungen Und diese Umgebung ist nicht nur in der Talsohle trist, auch zusammen, die er unten im Tal weiterverdealt – nicht zum von der Glitzerwelt des Skitourismus sehen wir vor allem Vergnügen oder für Luxuskonsum, sondern für Lebensmit- die schmucklosen Seiten: den Beton der Abfütterungsstät- tel des täglichen Bedarfs. Denn Simon lebt allein mit seiner ten, die Mülltonnen und Toiletten, die Massenlager der aus- älteren Schwester Louise (ebenso überzeugend: Léa Sey- ländischen Saisonarbeiter. doux), die wieder mal ihre Stelle verloren hat und auch Vielleicht ist es das grösste Wunder dieses feinen Filmes, sonst etwas haltlos durchs Leben trudelt, in einem seelen- dass er trotz allem inneren und äusseren Elend, das er losen Wohnsilo, der wie verloren in der Landschaft steht. zeigt, nie wirklich trostlos wirkt. Das liegt zum einen an Suchende Blicke. Der kleine Simon wirkt sehr selbstän- der Kraft, die Drehbuch, Regie und nicht zuletzt der kindli- dig, er trägt quasi die Verantwortung eines Grossen, auch che Darsteller selbst der Hauptperson Simon verleihen, die für seine Schwester; Fürsorglichkeit und Abhängigkeit zwi- sich bei aller Bedürftigkeit nicht unterkriegen lässt. Und es schen Kind und Erwachsener kehren sich um. Aber immer liegt zum andern an einer Dramaturgie, die durchaus Sinn mehr wird Simons Abgebrühtheit auch erkennbar als eine für subtilen Humor zeigt und die Figuren (und das Publi- Fassade, die sein tiefes Bedürfnis nach Nähe und Verbind- kum) atmen lässt. Es ist kein Happy End, das uns der Film lichkeit verdecken muss. schliesslich serviert, aber ein leises und überraschendes Im Vordergrund dieses Films steht nicht so sehr das soziale Bild menschlicher Bezogenheit. Und in der Schlichtheit Drama, sondern das psychologische dieses Kindes, das und Gefährdung total glaubwürdig. nicht mehr Kind sein kann. Und wenn der Film eine weitere Der Film läuft derzeit in einem der Kultkinos. Wendung nimmt, die hier nicht verraten werden darf, dann Filmstill aus ‹Sister› Mai 2012 | ProgrammZeitung | 9
Musik auf zwei Ebenen a l f r e d z i lt e n e r Physis der Klänge Beat Gysins neues Musiktheater ‹Feigels Mosaik›. Mit ihrer Galerie d’art moderne war die im September 2005 verstorbene a l f r e d z i lt e n e r Suzanne Feigel ein wichtiges Mitglied der Basler Kunstszene. Sie hat auch Neue Basler Kompositionen. selbst gemalt und drei Bände mit eigenen Gedichten herausgegeben. Acht Gleich drei Uraufführungen von zwei Basler ihrer Texte bilden nun den Ausgangspunkt für das Musiktheater ‹Feigels Komponisten spielt das Frankfurter Ensemble Mosaik› des Basler Komponisten Beat Gysin, das im Gare du Nord uraufge- Interface im Rahmen der IGNM-Reihe bei sei- führt wird. Das Projekt ist eine trinationale Kooperation von Schweizer nem Auftritt in Basel. Die Gruppierung um die KünstlerInnen, dem SWR Experimentalstudio Freiburg/Breisgau und dem Basler Flötistin Bettina Danielle Berger gehört Strassburger Lichtdesigner Christian Peuckert. seit ihrer Gründung 2009 zu den vielbeachteten Gysin hat die Galeristin während seiner Studienzeit persönlich kennen Klangkörpern für zeitgenössische Musik. gelernt: eine Frau, erzählt er, die stets distanziert, ja unnahbar gewirkt Von der Sehnsucht nach «einer Welt, die eher im habe. Sie schenkte ihm damals ihren Gedichtband ‹Hinter einer Glaswand›, Träumen als im Wachen angesiedelt ist», so der und die Texte faszinierten ihn dermassen, dass er beschloss, sie eines Tages Komponist, ist der schwebende Beginn von Beat zu vertonen. Die Gedichte gäben den Blick frei auf den Menschen hinter der Gysins ‹Puls und Schlag› durchdrungen. Doch im Fassade der Grande Dame, einen Menschen, der mit sich selbst mehr Pulsieren der Instrumente drängt die Realität Kämpfe auszutragen hat, als es zunächst scheint. Dabei zeigten die Texte ins Bewusstsein: Das Schweben ist an seine phy- eine Entwicklung vom bedrohlichen Chaos zur rettenden Ordnung. sische Grundlage gebunden. Als «Kampf mit Verwirrspiel mit Klang und Raum. Gysins Musik geht den umgekehrten den Widerständen der Physis», als «Hin- und Weg. ‹Feigels Mosaik› ist eine achtteilige Suite für acht Solostimmen, fünf Hergerissensein», als «Zögern an der Schwelle» InstrumentalistInnen, Tonband und Kopfhörer. Alle Konzertgäste erhalten umschreibt Gysin seine Partitur. einen solchen Kopfhörer und setzen ihn an einem bestimmten Punkt der Noch stärker steht die physische Seite der Musik Partitur auf. Schon vorher haben Stimmen aus den Hörmuscheln den akus- in den zwei Stücken von Lars Werdenberg im tischen Raum erweitert. Später überlagern und verbinden sich die beiden Vordergrund. ‹Manoeuvres pour le piano› geht Ebenen der Klangerzeugung im Ohr der Zuhörenden. Aus der überschau- nicht wie gewohnt von Klangvorstellungen oder baren Aufführungssituation zu Beginn entsteht ein verwirrendes Spiel Strukturen, sondern von den Manövern der mit Klang und Raum, das verstärkt wird durch die Live-Elektronik, durch Hände auf den Tasten aus. Sie bewegen sich wie die Interpretierenden (Mitglieder des Ensemble Phoenix und die Basler Wanderer in der schwarz-weissen Klavierland- Madrigalisten), die sich ins Publikum mischen, und durch die zunehmende schaft, gelegentlich aufeinander bezogen, dann Dunkelheit im Saal. wieder unabhängig. Zudem experimentiert Wer- Francesc Prat dirigiert den Abend; Regie führt Gian Manuel Rau. Als wich- denberg mit bestimmten Fingerhaltungen. Die tigstes szenisches Element hat der Bühnenbildner Peter Affentranger acht Klänge und Muster, die so enstehen, werden zum bewegliche Wände aus halbdurchsichtiger Folie mit eingenähten Leucht Material in einem Spiel mit Wiederholungen und dioden geschaffen. Sie leuchten in den Pastellfarben, die Suzanne Feigel in Irritationen. ‹Manouevres pour flûte, piano et ihren eigenen mosaikartigen Bildern verwendet hat, und bilden für jedes percussion› übernimmt im Klavierpart Elemente der acht Stücke der Suite einen eigenen Spielraum – Teile eines neuen, dieser Komposition und fügt melodische Partikel musikszenischen Mosaiks. der Flöte und Interventionen des Schlagzeugs ‹Feigels Mosaik›: Fr 18. bis So 20.5., Gare du Nord. Vier Aufführungen, hinzu, darunter eines Glockenspiels, das die Re- Disco mit The Bianca Story, Podiumsgespräch, Einführung u S. 37 sonanz der ganz hohen Klaviertasten erweitert: Der Gegensatz von hoch und tief beschäftige ihn generell, erzählt Werdenberg. Dazu kommen ältere Kompositionen für Instru- mentalensemble: ‹Arpège› von Franco Donatoni, Enno Poppes ‹Gelöschte Lieder› und ‹La Nuit en tête› von Georges Aperghis. Solistin in diesem schillernden, ganz im Piano gehaltenen Stück für Sopran und Ensemble ist Donatienne Michel- Dansac, eine der führenden Interpretinnen zeit- genössischer Musik. Ensemble Interface, u.a. mit UA von Beat Gysin und Lars Werdenberg: Di 1.5., 20 h, Gare du Nord u S. 37 Ensemble Interface, Foto: Barbara Fahle 10 | ProgrammZeitung | Mai 2012
Schwesternkrieg um einen Mann a l f r e d z i lt e n e r Die Schola Cantorum Basiliensis führt eine Oper der Barockkomponistin Francesca Caccini auf. Sie gilt als erste Frau, die Opern komponierte: Francesca Caccini. Ihr erstes Musikdrama ‹La Stiava› wurde 1607 uraufgeführt, zehn Jahre nach Jacopo Peris ‹Dafne›, die als erste Oper überhaupt gilt, und im gleichen Jahr wie Claudio Monteverdis ‹Orfeo›. Die Florentinerin, Tochter des berühmten Komponisten Giulio Caccini, war gefeierte Sängerin, Instrumentalistin und Hofkomponistin der Gross herzöge von Toskana. Von ihren sechs belegten Opern ist Libretto zur nur die letzte überliefert, ‹La liberazione di Ruggiero dall’ Oper von isola di Alcina› von 1625. Francesca Nun ist das Werk in Basel zu erleben, in einer Aufführung Caccini der Schola Cantorum Basiliensis (SCB). Es beruht auf einer im Barock häufig vertonten Episode aus Ariosts Versroman Der Uraufführung der rund einstündigen Oper folgte ein ‹Orlando Furioso›: Der Held Ruggiero ist den Reizen der Pferdeballett, dessen Musik nicht erhalten ist. Da kann ein bösen Magierin Alcina verfallen und ihr auf ihre Zauber Lehr- und Forschungsinstitut ohne eigenes Gestüt natürlich insel gefolgt; nun soll er aus den Liebesketten befreit und nicht mithalten. Dafür gibt es einen nicht sicht-, aber hör wieder zum ‹Mann›, d.h. zum Krieger, werden. baren Epilog in Zusammenarbeit mit dem Elektronischen Schutzpatronin. Die Oper reduziert den Konflikt auf drei Studio der Musik-Akademie. Die Produktion gastiert nach Hauptfiguren: Ruggiero, Alcina und deren Schwester, die der Basler Aufführungsserie auf der Kleinen Bühne der gute Zauberin Melissa. Dieser gelingt es, Ruggiero zurück- Semperoper in Dresden. zuholen, indem sie ihm als Mann gegenübertritt und ihm Caccini-Oper (ital. mit dt. Übertiteln): Fr 11.5., 19.30 (Premiere), so einen Spiegel vorhält. Die Wahl des Sujets war nicht zu- bis Mo 21.5., Eventraum und Restaurant Blindekuh, Dornacherstr. 192. fällig. Die Oper war ein Auftrag der Grossherzogin Maria Reservation erforderlich: T 061 264 57 92, www.scb-basel.ch Magdalena von Österreich, die nach dem frühen Tod ihres Ausserdem: ‹Ariodante› von G.F. Händel: ab So 13.5. bis So 24.6., Theater Basel u S. 44, Volkshochschulkurs dazu: ab Di 29.5. u S. 52 Mannes anstelle ihres minderjährigen Sohns regierte. In der Figur Melissas liess sie sich selber darstellen, als Herr- 8. Europäisches Jugendchor Festival: Mi 16. bis So 20.5., div. Orte in der Region. Über dreissig Jugendchöre aus dem In- und Ausland bringen ihr scherin, die ihren Sohn (repräsentiert durch Ruggiero) zu Können in mehr als 40 Konzerten zu Gehör, mit Musik von Barock bis heute. schützen weiss und notfalls auch einen Mann ersetzt. www.ejcf.ch u S. 39 Die Schola zeigt das Stück im Gundelinger Feld. Die Solo- partien und der Chor werden von Studierenden gesungen. Manfred Weiss führt Regie; die Choreografie besorgt Barbara Leitherer, Dozentin für Barocktanz. Giorgio Paro- nuzzi leitet – wie damals üblich – vom Cembalo aus das Barockorchester La Cetra. Bewegungslust für zeitgenössischen Tanz bringt Begegnungen mit bekannten und jungen Talenten und schliesst karrierefördernde Preise und Engagements. Als Festivalort dient das Tourneetheater Das Zelt, dagm a r bru n n e r mit einer Produktion, an der sich das Publikum das sein 10-jähriges Bestehen u.a. mit einem Tanz und Artistik beteiligt. Buch samt DVD feiert. Im Mai wird getanzt – und wie! Auf Initiative von Alle Jahre wieder geht die Cinevox Junior Com- 7. Tanzfest Basel: Sa 12./So 13.5., div. Orte, Reso, dem Tanznetzwerk Schweiz, findet landes- pany auf Tournee und kommt dabei auch nach www.dastanzfest.ch weit in Zusammenarbeit mit lokalen Veranstal- Basel. Die jungen Ballettprofis der internatio 2. ‹Dans(e), ein choreografisches Wochenende›: tern ‹Das Tanzfest› für alle statt. 2006 in Zürich nalen Truppe erhalten so die Chance, Bühnen Do 10. bis So 13.5., Mulhouse, www.lafilature.org gegründet, hat sich der Anlass rasch ausgebreitet erfahrungen zu sammeln und sich öffentlich Cinevox Junior Company mit ‹Sehnsucht Schwanensee›: und bietet ein Wochenende lang die Gelegenheit, zu präsentieren. Sie tanzen Choreografien von Fr 11.5., 20 h, Scala Basel, Freie Str. 89, www.artco.ch Tänze aller Art zu geniessen oder selbst auszu- Franz Brodmann, Jacqueline Beck und Félix 4. Circus Festival ‹Young Stage›: Di 22. bis Fr 25.5., Das Zelt, Rosentalanlage Basel, probieren. In Basel kann man einem ‹bewegten Duméril, u.a. eine zeitgenössische ‹Schwanen www.young-stage.com, www.daszelt.ch Spaziergang› durch die Innenstadt folgen, einen see›-Version. Schnupper-Tanzkurs besuchen oder sich am Kein Tanz, aber artistische Spitzenleistungen ‹Street Dance Contest› messen. sind am internationalen Circus Festival ‹Young Auch Mulhouse ist zur selben Zeit in Bewegung Stage› zu erleben. 30 (aus über 180 Bewerbun- und lädt zum ‹choreografischen Wochenende gen) ausgewählte junge Hochbegabte aus 16 Dans(e)› ein. Die zweite Ausgabe des Festivals Ländern zeigen ihr Können und wetteifern um Mai 2012 | ProgrammZeitung | 11
Dialoge mit Afrika b a r b a r a gr a f mous a Marcus Wyatt, Foto: Christian Nitard, Installation: Justin Fiske, Foto: mkb ‹Artists in residence› präsentieren aktuelle Kunst dabei auch die Rheinkiesel von Justin Fiske mits(ch)win- und Musik aus Südafrika. gen. Am internationalen Museumstag (So 20.5.) präsentiert Der Anspruch des Basler Zentrums für Afrika Studien (ZASB) Wyatt mit Kollegen aus der Schweiz sowie der Sängerin ist weit gefasst: «Ein Forschungsschwerpunkt Afrika an der Siya Makuzeni und dem jungen Pianisten Afrika Mkhize Universität muss in die Gesellschaft eingebettet sein», sagt mit ‹Language 12› seinen persönlichen Zugang zu südafri- Veit Arlt, Geschäftsführer des ZASB. «Das Afrika-Bild, das kanischem Jazz. Makuzeni und Mkhize sind zudem als wir vermitteln wollen, ist gegenwartsbezogen.» Duo zu hören. Eine bewährte Möglichkeit dazu bietet der Austausch in- Obwohl das Museum der Kulturen von Beginn weg Teil des und ausländischer Kunstschaffender als ‹artists in resi- ZASB-Netzwerkes war, ist diese Zusammenarbeit im Be- dence›. Seit 2006 organisiert Arlt alle zwei Jahre einen sol- reich aktuellen afrikanischen Kunstschaffens ein Novum – chen längeren Aufenthalt eines südafrikanischen Musikers und bleibt hoffentlich bestehen. und jährlich mehrere Konzerte mit Musik aus Afrika im Sonderausstellung ‹Schwebend›, Kinetische Installationen von Justin Fiske: Jazzclub The Bird’s Eye. Diesmal hat er Marcus Wyatt ein- bis So 15.7., Museum der Kulturen u S. 48 geladen. Der 1971 geborene Trompeter und Flügelhornist Konzerte mit Marcus Wyatt u.a.: ab Di 15.5., The Bird's Eye u S. 38 aus Johannesburg gehört zu einer Generation südafrikani- Mehr zur Afrika-Forschung in der aktuellen Ausgabe 119 von Uni Nova, dem scher KünstlerInnen, die das musikalische Erbe ihrer Hei- Wissenschaftsmagazin der Universität Basel: www.unibas.ch/uninova mat mit Blick in die Zukunft achten und sich dabei nicht scheuen, Grenzen zu verschieben. Wyatt hat mit Grössen wie Abdullah Ibrahim oder John Fedchock zusammenge arbeitet. In Basel präsentiert er fünf verschiedene Projekte Afro-Looks dagm a r bru n n e r sowohl mit etablierten Profis wie mit Studierenden der Hochschule für Musik, Abteilung Jazz. Weitere Veranstaltungen zu Afrika. Hörbares mit Visuellem verbinden. Zur gleichen Zeit ‹Helden – Ein neuer Blick auf die Kunst Afrikas› heisst der Titel der weilt auf Einladung des Museums der Kulturen der Kap- gemeinsam mit dem Metropolitan Museum of Art, New York, kon- städter Künstler Justin Fiske in Basel. Als er hier ankam, zipierten, aktuellen Schau im Museum Rietberg in Zürich. Sie enthielt sein Gepäck spezielle Schrauben, Zedernholz und präsentiert Skulpturen von Herrschenden und weiteren prägen- zig Kilometer Fischermannsgarn. Mit diesen Materialien den Persönlichkeiten der vorkolonialen Zeit aus acht Kunstregio- und unzähligen, am Rheinufer gesammelten Kieselsteinen nen in West- und Zentralafrika. Die Mehrzahl der über 100 Expo- kreiert er komplexe, in ihrer Mechanik faszinierende Instal nate ist erstmals in der Schweiz zu sehen, darunter imposante lationen, die vom Publikum in Bewegung gesetzt werden Holzstatuen, Gedenkfiguren und Porträts von Frauen und Män- können. In seiner Ausstellung ‹schwebend – von der Leich- nern aus Terrakotta, Bronze und Elfenbein sowie Fotografien. tigkeit des Steins› treten diese mit der Architektur des Dabei wird die Individualität der Dargestellten betont und mit Dachgeschosses und mit ausgewählten Objekten aus der allerlei Klischees über afrikanische Kunst aufgeräumt. Sammlung des Museums in einen inspirierenden Dialog Begegnungen mit u.a. afrikanischer Kultur bieten zudem zwei über das menschliche Werden, Sein und Vergehen. bereits traditionelle Festivals in Rheinfelden und Winterthur. Dass sich mit Musik und Kunst ein gegenwartsbezogenes ‹Helden – Ein neuer Blick auf die Kunst Afrikas›: bis So 3.6., Afrika-Bild fernab von Klischees förderlich vermitteln lässt, Museum Rietberg, Zürich, www.rietberg.ch darüber sind sich das ZASB und das Museum der Kulturen Katalog bei Scheidegger & Spiess: 307 S., zahlr. Abb., gb., CHF 59 einig. In der gemeinsam konzipierten Veranstaltungsreihe 18. Festival der Kulturen: Sa 19. und So 20.5., Rheinfelden, www.kulturen.ch (u.a. mit Projektion des beeindruckenden Basler ‹Jazz Moves› fordert deshalb jeden Dienstag über Mittag ein Dokfilms ‹Zartbitter› über den Anbau von Bio-Kakao in Ghana) Jazzduo die Ausstellung ‹schwebend› musikalisch heraus. 23. Afro-Pfingsten: Mi 23. bis Mo 28.5., Winterthur, So erkunden etwa Marcus Wyatt und Fabian Gisler mit www.afro-pfingsten.ch (u.a. mit Jimmy Cliff) Trompete und Bass die neuen Räumlichkeiten und lassen 12 | ProgrammZeitung | Mai 2012
Bis zur Milchstrasse s t e fa n f r a nz e n Lisette Spinnler und Christoph Stiefel erproben eine neue Duosprache. Ein einsames Boot rudert durch die stillen Wellen des breiten Flusses, da- Papier-Käfer hinter ein schemenhaftes Ufer und ein Himmel, der mit dem Grau des t u m a s c h c l a lü n a Wassers zu verschmelzen scheint. Der zum CD-Cover gehörige Titel heisst Porträtband der Lovebugs. ‹Bima Sakti› (indonesisch für ‹Milchstrasse›). Kein Zweifel: Lisette Spinnler Sie gehören zum Inventar dieser Stadt, wie keine und Christoph Stiefel wollen mit ihrem Duo Weite schaffen, Platz für Inter- andere Band zuvor, und sind doch weit darüber pretationen lassen, Raum für Träume und Gedankenspiele kreieren. hinaus bekannt geworden: die Lovebugs. Erster Es ist ein gewagtes musikalisches Parkett, nur die menschliche Stimme und und schlagender Beweis des Erfolgs regionaler das Piano. Will man nicht in festgefahrenem, abgedroschenem Standard- Rockförderung, vertritt diese Basler Pop-Forma- jazz landen, öffnet man der Willkür, der Beliebigkeit Tür und Tor. Doch tion alles, was sich Jungmusiker und Rebellin- Spinnler und Stiefel umschiffen diese Klippen clever und mit tiefer Inspira- nen unter Erfolg vorstellen. Doch wie ist es dazu tionsgabe. Wer wäre mehr dazu prädestiniert als die vokale Klangmalerin gekommen? Was steckt hinter dieser Fassade des par excellence, die sich mit ihren Fantasielauten und ihrer Vorliebe für gelebten Rock’n’Roll? andere Kulturen einen unverwechselbaren Ort in der Schweizer Jazzland- Diese und andere Fragen beantwortet das wun- schaft erobert hat, und der durch Kollaborationen mit Andreas Vollen derbare Buch ‹Lovebugs. Coffee and Cigarettes› weider, Max Lässer und Charlie Mariano erprobte Ausnahmepianist? von Marc Krebs, mit Bildern der Bandfotografin Sogwirkung. Der Mut zur Reise ins Ungewisse wird belohnt, denn ‹Bima Tabea Hüberli, das soeben erschienen ist. Die Sakti› ist ein Programm voller überraschender Details: Da covern Spinnler wichtigsten Stationen der letzten rund 20 Jahre und Stiefel doch tatsächlich die Country-Queen Dolly Parton, arbeiten in werden beleuchtet, die Anfänge, der Gewinn deren Klassiker ‹Jolene› aber die Bitterkeit viel schonungsloser heraus als des Nachwuchswettbewerbs ‹Sprungbrett›, die das Original. Bei der Adaption eines Stücks des Tunesiers Anouar Brahem ersten Schritte im Ausland, Diskussionen um vertauschen sie die Rollen, die Stimme wird zum begleitenden Rhythmus- Image, Ausrichtung, die legendären Unplugged- instrument, das Piano zum Melodiegeber. Ein türkisches Traditional wird Konzerte im Theater Basel, das Scheitern am so verlangsamt, dass der Orient in einem völlig anderen Licht aufscheint. In Eurovision Song Contest und die Kooperation ‹Marine› beschwören sie ein Abtauchen in die Tiefe des Ozeans herauf – mit mit dem Sinfonieorchester Basel. Man ist beein- unglaublicher Sogwirkung. druckt und gerührt, mit welcher Offenheit die Dabei ergänzen sie sich mit ihren ureigenen Stärken immer wieder blen- Bandmitglieder in den Einzelinterviews auch dend: Spinnlers Fantasiesprache, ihre lautmalerischen, vollmundigen Sil- schwierige Themen ansprechen, betrachtet fas- ben und freien Farbenmalereien mit der Stimme kommen in dieser nackten ziniert die Fotostrecken und wünscht sich ähn Besetzung vollends zur Entfaltung, Stiefel hingegen findet im Duospiel liche Erlebnisse und Geschichten. eine ideale Projektionsfläche für seine berühmten ‹Isorhythms›, jene rhyth- Dabei erweist sich die Band als äusserst boden- misch sich verschiebenden Muster, die eine raffinierte Basis für die Impro- ständig und realistisch. Drei der fünf Männer visationskunst liefern. Eine wahrhaft galaktische Musik schafft dieses neue sind mittlerweile Väter, Fragen nach der Zukunft Aus: ‹Faces Traumpaar des Schweizer Jazz, mit der man – gerade wegen der äussersten in Jazz› von haben ein grosses Gewicht, und nach Skandalen Reduktion – bis zur Milchstrasse horchen kann. Beatrice sucht man vergeblich. Dafür zeigt sich, wie wich- Steudler: Duo Spinnler/Stiefel am Jazzfestival Basel live: Do 3.5., 20 h, Kaserne Basel u S. 36. tig die Band für den Frontmann Adrian Sieber Lisette CD ‹Bima Sakti›, Traumton/Musikvertrieb AG Spinnler, 2007 ist. Er, der allgemein als Kopf der Lovebugs wahr genommen wird und auch schon solistisch un- terwegs war, wäre heute nicht selbstständiger Profi ohne Thomas Rechberger, Simon Ramseier, Florian Senn und Stefan Wagner. So gibt das Buch einen Einblick in das innere Funktionieren einer Band, die nach aussen immer vom Erfolg verwöhnt schien, ohne klare Aufgabenteilung und ein gemeinsames Ziel aber nie so weit ge- kommen wäre. Und doch steht die Frage im Raum: Wie lange noch? Gerade ist das neue Album erschienen, mit dessen Titel ‹Life is today› die Fragen nach Vergangenheit und Zukunft wohl erstmal beant- wortet sind. Marc Krebs (Text), Tabea Hüberli (Fotos): ‹Lovebugs. Coffee and Cigarettes›, Christoph Merian Verlag, 2012. 156 S., über 220 Abb., gb., Format 27,4 x 27,4 cm, inkl. DVD mit 18 Videoclips, CHF 54 CD Lovebugs, ‹Life ist today›, Gadget Mai 2012 | ProgrammZeitung | 13
«Et l’amour et la mer ...» pe t e r bu r r i Wort-Schätze dagm a r bru n n e r Mundart, Nonsense etc. Laut Unesco verschwinden pro Monat zwei Spra- chen. Selbst ein kleines Land wie die Schweiz ist vor dieser Entwicklung nicht verschont geblie- ben, auch hier sind schon zahlreiche Dialekte ausgestorben oder selten geworden, etwa das Surbtaler Jiddisch oder Mundarten der Roman- die. Eine Ausstellung in der Nationalbibliothek in Bern zeigt aber, dass Sprache nicht nur erhal- tenswert, sondern auch lebendig und deshalb im Wandel ist, nicht zuletzt durch die Migration. Die Schau in den vier Landessprachen demon striert etwa mit Sprachaufnahmen aus fast 100 Jahren, wie in der Schweiz gesprochen wurde und wird. 13 Hörstationen mit rund 40 histori- schen und aktuellen Tondokumenten lassen z.B. seltene Patois aus der Westschweiz, vitale Tessi- Les frères de la ner Dialetti oder Ethnolekte der multikulturel- chimère, Foto: Judicael ‹Les frères de la chimère› in Hégenheim. len Jugendsprachen erklingen. Besuchende kön- Mougin Unter dem Namen ‹Lychen› (abgeleitet vom französischen Wort für Flechte) nen sich am Forschungsprojekt ‹Stimmen der treten sie seit zehn Jahren als Rockgruppe auf. Seit zwei Jahren bedienen Schweiz 2012› beteiligen und in einem Tonstudio sie zusätzlich eine andere Schiene: Als ‹Les frères de la chimère› vertonen ihr eigenes Idiom beisteuern. Thematisiert wird die vier elsässischen Musiker französische Poesie. Texte von Boris Vian, auch die schriftliche Archivierung der Schwei- aber auch von Klassikern wie Lamartine oder Rimbaud. Solche Poeten lie- zer Dialekte, die vor 150 Jahren begann und vier gen insbesondere dem Sänger Julien Lindecker am Herzen. Er ist zugleich grosse Wörterbücher umfasst. Präsident des Vereins ‹L’oreille absolue› in Hagenthal-le-Bas, der im teils Dem ‹Nonsense›, über den es ‹keinen Konsens› noch ländlichen, teils agglomässig versehrten Sundgau kulturelle Initiati- gibt, ist die aktuelle Ausstellung im Museum ven aller Art fördert und dafür auch öffentliche Unterstützung erhält. Strauhof in Zürich auf der Spur. Sie zeigt die Ent- So stellt die Gemeinde Hagenthal den Musikern auf dem Gelände des Fuss- wicklung und Spielarten dieser ‹merkwürdigen ballplatzes einen Probenraum zur Verfügung. Auf solche Hilfe sind sie Literaturgattung› von Edward Lears ‹A Book angewiesen, denn sie sind keine Profis in dem Sinne, dass sie von ihren of Nonsense› (1846) und Lewis Carrolls ‹Alice Auftritten leben könnten. «Wir sind semi-professionell, aber stecken als im Wunderland› über Christian Morgensterns Angefressene unser ganzes Engagement in diese Arbeit, die uns auch ‹Galgenlieder› bis zu Kaspar Fischer und Mit- freundschaftlich verbindet», meint Schlagzeuger Olivier Waldy. wirkenden an den Satiremagazinen Pardon und Immerhin sind sie als musikalische Botschafter Frankreichs schon offiziell Titanic, wie Robert Gernhardt, F.K. Waechter, in Osteuropa aufgetreten. Als Rockband haben sie das Theater der monte- Eckhard Henscheid und andere. negrinischen Hauptstadt Podgorica gefüllt, als ‹Les frères de la chimère› in Die Ausstellung ‹Warum tanzt ihr nicht?› im andern Ländern kleinere Anlässe bestritten. Mit ihrem Poesieprogramm Forum Schlossplatz in Aarau liess sich von einer waren sie zuhause bis jetzt auf Kleinbühnen zwischen Dannemarie und Kurzgeschichte von Raymond Carver inspirieren Kembs unterwegs. Im grenznahen Hegenheimer Théâtre de la Fabrik, das und will mit Rauminstallationen das Publikum vom Basler Freddy Allemann initiiert wurde, hoffen sie nun, erstmals auch anregen, über die Interpretationen der Erzäh- einem Schweizer Publikum zu begegnen. Was wegen der Sprachgrenze lung und deren bewusste Aussparungen nachzu- freilich seine Tücken haben könnte. Denn bekanntlich ist das Deutsch- denken. Als Höhepunkt liest die Autorin Judith schweizer Publikum, was gerade in Basel schade ist, immer weniger emp- Hermann, die in ihrer Arbeit stark von Carver fänglich für Begegnungen mit französischsprachiger Kultur. beeinflusst wurde. Als Rock-Formation, die bewusst französisch singt, hat es die Gruppe zwar ‹Sapperlot! Mundarten der Schweiz›: bis Sa 25.8., schon mehrmals in die Schweiz geschafft, aber nur in die Romandie: von Nationalbibliothek, Hallwylstr. 15, Bern, Delémont bis Genf. Mit Poesie ist das nochmals eine andere, aber lohnende www.nb.admin.ch Sache. Denn wenn Julien Lindecker, diskret begleitet von seiner Band, Zei- ‹Nonsense. Spielarten einer merkwürdigen Literatur- gattung›: bis Sa 3.6., Museum Strauhof, Zürich, len des Barockdichters Pierre de Marboeuf in den Raum schickt wie: «Et la www.strauhof.ch mer et l’amour ont l’amer pour partage ...», klingt das noch lange nach. ‹Warum tanzt ihr nicht?›: bis Sa 3.6., Forum Schloss- ‹Les frères de la chimère›: Sa 5.5., 20 h, Théâtre de la Fabrik, Hégenheim, platz, Aarau, www.forumschlossplatz.ch. www.theatredelafabrik.com, www.loreilleabsolue.com Lesung Judith Hermann: Sa 12.5., 19.15 14 | ProgrammZeitung | Mai 2012
Der Himmel, die Formeln, die Musik v e r e n a s t ö s si nge r Zwei sehr unterschiedliche ‹Matterhorn-Produktionen› Mathematiker aus dem Off auch tun –, und die Darstellen- sind auf Basler Bühnen zu erleben. den setzen sich ihr aus, neugierig, erinnernd, fantasierend; «Als ich auf die Welt kam», sagt Ursle, «war er schon im im Raum hängen Wandtafeln, steht ein Flügel, und es ent- Himmel.» Ihr Bruder Urs. Er hat «das schönste Grab vom stehen Theater-Bilder, denen man die Nähe zur Abstrak ganzen Friedhof» und den grössten Platz im Herzen der tion, aus der sie hervorgingen, auch ansehen darf. Eltern, denn er ist «immer unter uns», sagt die Mutter ernst. Zwei sehr unterschiedliche ‹Matterhorn Produktionen› – Urs starb mit drei Jahren, er fiel aus dem Fenster im zehn- was verbindet sie? «Es ist der musikalische Ansatz», sagt ten Stock. Ursle, die jüngere Schwester – die Protagonistin, Regisseurin Ursina Greuel, die das Label zusammen mit die dem Stück auch den Namen gibt –, ist jetzt sechs: älter, dem Autor Guy Krneta (ihrem Mann) kreiert hat. Mit dem als Urs je war, und steht doch nur in seinem Schatten. Im Techniker und Lichtdesigner Jens Seiler und einer Gruppe Monolog von Guy Krneta erzählt sie (in der Neufassung experimentierfreudiger Bühnenschaffender haben sie seit begleitet von 13 Musizierenden), wie ungerecht das ist und 2001 neun Produktionen erarbeitet, u.a. Beat Sterchis was sie schliesslich getan hat, um von den Eltern wahr Sprachkaskade ‹Nach Addis Abeba› oder die ‹Fondueoper› genommen zu werden als das, was sie ist; denn «mich von Guy Krneta und Till Löffler. Kluge, lustvolle Darbietun- gibt es noch!» gen, die ohne coole Ironie auskommen und in denen auch Musikalischer Ansatz. Die ‹Mannigfalte› dagegen ist die Sprache zum Rhythmus wird – selbst die einer Sechs- nicht von dieser Welt. Sie ist ein ‹algebraisches Varieté›, jährigen. in eine Rauminstallation hinein konzipiert und inszeniert ‹Ursle›: Mi 9. bis Mo 14.5., Vorstadttheater Basel u S. 44 von Ursina Greuel. Der Abend ging aus der Freude an Mit Franziska von Fischer (Spiel) und Till Löffler (Musik) Mathematik hervor und aus der Vermutung, mathematische Die hochdeutsche Fassung ‹Ursel – eine musikalische Geschichte› gibt es als Hörbuch beim Christoph Merian-Verlag. Formeln liessen sich szenisch nicht nur zitieren, sondern ‹Die Mannigfalte›: Do 10. bis Mi 16.5., Kaserne Basel u S. 41 in Szenen verwandeln, in choreografische Abläufe und in Mit Lou Bihler, Franziska von Fischer, Newa Grawit, Simone Keller, Krishan Musik. Denn «Mathematik muss man nicht verstehen, um sie Krone, Oliver Meier (Spiel); Bettina Ginsberg (Raum) schön zu finden»; die Euler-Charakteristik etwa, die besagt, www.matterhorn.li dass bei einer mit einem Gitternetz überzogenen Kugel die Ausserdem: 30. zeitgenössisches Theatertreffen ‹auawirleben›: Anzahl der Ecken minus die Anzahl der Kanten plus die Mi 2. bis So 13.5., Bern, www.auawirleben.ch ‹Die Mannig- Anzahl der Flächen immer Zwei ergibt. Man darf mit ihr falte›, Foto: Alexander spielen und sich von ihr erzählen lassen – was wirkliche Jaquemet Mai 2012 | ProgrammZeitung | 15
Teuflischer Theatertrieb c h r i s t oph e r z i m m e r Szenen einer Ehe. Vorhang? Nein, nicht ganz. Zu die- ser 37-jährigen Theatergeschichte gehören nämlich zwei Hauptfiguren. Denn ohne seine Frau Monica Kneschaurek hätte es für Dominique Thommy diese Art von Vorhang wohl kaum gegeben. Kennengelernt hatten sie sich nach seinen Lehr- und Wanderjahren – u.a. in Paris als Assistent von Dimitri und in der Truppe von Jean-Louis Barrault –, als er mit Albert le Vice zusammen ‹Das schiefe Theater›, eine ausklappbare, beheizte und schallisolierte 12-Tonnen- Bühne auf Rädern, ersonnen und erbaut hatte. Da liess die Tochter einer seit fünf Generationen tätigen Hoteliers- Familie alle Sicherheiten sausen und schloss sich den ver- rückten Fahrenden an, als Managerin, Technikerin, Köchin. Bis daraus eine Ehe wurde, dauerte es noch seine Zeit, doch von da an gingen sie gemeinsame Wege. Durch alle Höhen und Tiefen – und von beidem gab es reichlich. Vor allem die 2361-tägige Bewilligungsschlacht um den Teufelhof, deren Akten die Wände des Theaters tapezieren. Dabei hatten sie doch die besten Absichten: Das ‹Kultur- und Gasthaus Der Teufelhof› sollte das weiterentwickeln, was im ‹Theater-Café zum Teufel› erprobt worden war – das Selbstsubventionierungsmodell, in dem die Kultur von der Gastronomie querfinanziert wurde. Aber selbsternannte Sittenwächter und Konkurrenten stemmten sich dagegen. Nun, auch das ist Geschichte. 1989 konnte das Haus eröff- net werden, mit Fredy Heller war bereits zu Beginn der Dominique Schlacht ein Theaterleiter gefunden, und der Kulturhotel- Thommy, Im Theater im Teufelhof endet die Ära Thommy. Alltag begann. Foto: Benno Hunziker Bald ist es soweit: Zum letzten Mal werden die Gäste des Nach 9/11. Doch auch der hatte seine Tücken. Besonders Kleintheaters vom vertrauten Gastgeber empfangen wer- für Dominique Thommy, den gelernten Dekorateur und den. Zum letzten Mal werden sie sein Gesicht über dem ehemaligen Ballett- und Schauspielschüler. Unbeirrt enga- schwachen Licht des Mischpults sehen. Und damit noch gierte er sich kultur- und sozialpolitisch, betrieb eine Texte- einmal erleben, worauf Dominique Thommy besonderen rei, zog sich für drei Monate in den Jura zurück, um einen Wert legt als Leiter einer Bühne, die sich dem Kabarett und Roman zu schreiben, gestaltete dreimal selber die Kunst- der Satire verschrieben hat: stets für die Sache einzustehen zimmer des Hotels und übernahm schliesslich die Theater- und immer persönlich anwesend zu sein. leitung, als Fredy Heller nach dem Finanzknick nach 9/11 Da zu sein für das Publikum und insbesondere für die Auf- aufhörte. Da ging es dann auch für Monica Kneschaurek, tretenden, ist sein Credo. Sie in Empfang nehmen, beglei- die bisher alles mitgetragen hatte, nicht mehr. Und nur ein ten, betreuen, Plakate eigenhändig aufhängen und an je- Verein und die Subvention beider Basel konnten das The- dem Abend mitfiebern, zu ihnen stehen, auch wenn ein ater noch retten. Der Traum war zwar nicht ausgeträumt, Programm mal nicht so gelungen ist, Erfolg und Misserfolg aber seine Machart hatte sich verändert. mit ihnen teilen, eine Plattform bieten für Neues, für Expe- Mit «permanent» beantwortet Thommy zu Beginn unseres rimente und erste Bühnenversuche. Dafür reiste Thommy Gespräches die Frage nach den Höhepunkten. Später be- nicht nur an Künstlerbörsen mit Kurzauftritten, sondern sinnt er sich und windet seiner Frau ein Kränzlein: Dass sie sah sich stets die ganzen Programme an. Und für all das all die Jahre durchgehalten hat, sei der eigentliche Höhe- sind ihm etliche KünstlerInnen treu geblieben, selbst wenn punkt. Und er erzählt mit Freude, dass sie seit der Weiter sie reüssiert hatten. gabe des Hotels an ein jüngeres Gastgeberpaar endlich Die Nachfolge ist geregelt, Roland Suter von ‹touche ma das tun kann, wofür ihr Herz schlägt: Singen und Sprachen bouche› und seine Lebensgefährtin Katharina Martens wer- lernen. Auch er selber hat schon neue Pläne geschmiedet: den die nächste Saison gestalten. Eine glückliche Nachfolge circensische! Doch mehr soll noch nicht verraten werden. nennt es Thommy, seriös, aber trotzdem künstlerisch leben Denn das ist eine andere Geschichte. dig. Leicht werden sie es nicht haben, die Comedy ver- Saison-Abschluss mit ‹Perlen und Säue›, einem Musik-Kabarett drängt das Kabarett, und das Publikum des Theaters im von Nessi Tausendschön und William Mackenzie: Do 17. bis Sa 26.5., Teufelhof ist mit seinem Leiter ergraut. Junge Menschen Theater im Teufelhof u S. 43 für das Genre zu gewinnen, ist die Aufgabe der neuen Lei- Ausserdem: 25. Oltner Kabarett Tage: Mi 2. bis Sa 13.5., div. Orte, Olten, www.kabarett.ch (grösstes Satire-Festival der Schweiz) tung. Doch Thommy ist zuversichtlich und wird Ende Mai das Haus mit einem guten Gefühl verlassen. Vorhang! 16 | ProgrammZeitung | Mai 2012
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