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Present Continuous Past(s)
             Bremen, 14.–15.05.2004

             Bericht von: Caroline Philipp

Present Continuous Past(s). Videokunst. Präsentationsformen und Vermittlungsstrategien.

"Das was neu in den Neuen Medien ist, liegt an der speziellen Art, in der sie ältere Medien ummo-
deln und der Art in der ältere Medien sich selbst ummodeln als Antwort auf die Herausforderun-
gen der Neuen Medien." (Bolter / Grusin, 1999)

Konservierung und Restaurierung von Medienkunstwerken wie Videobändern, interaktiven Installa-
tionen und Netzkunstarbeiten stellen ein erhebliches Problem dar. Im Anschluss an die Tagungen
"Wie haltbar ist Videokunst/ How durable is Video Art" (Wolfsburg 1995) und "404 Object Not
Found: Was bleibt von der Medienkunst?" (Dortmund 2003), auf denen wesentliche Fragen und
Thesen zum Thema formuliert wurden, haben die verantwortlichen Institutionen entsprechende
Maßnahmen in Angriff genommen. Für die Präsentations- und Vermittlungsformen von Medien-
kunstwerken besteht jedoch noch ein großer Diskussionsbedarf. Während die für die traditionel-
len Kunstgattungen üblichen Reproduktionen (fotografische Abbildungen in Katalogen, Diapositi-
ve für Seminare und Vorträge und Bilddatenbanken) zum kunsthistorischen Arbeitsalltag gehören,
lassen der technische Aufwand und die hohen Kosten, die eine fachgerechte Sicherung erfordert,
die Sichtung und Dokumentation von Medienkunst nur sehr eingeschränkt zu. Die begrenzten
Zugangsmöglichkeiten führen dazu, dass Forschung und Lehre zu diesem Themenbereich noch
immer der Grundlagenforschung verhaftet sind.

Wie aber können Präsentations- und Vermittlungsstrategien der technisch anspruchsvollen und
temporär dargestellten audiovisuellen Kunstwerke aussehen? Schließlich ist es nicht damit getan,
einen Videorecorder einfach durch einen DVD-Player zu ersetzen. In Anknüpfung an ihre beiden
Vorgängerveranstaltungen hatte sich die Konferenz mit dem programmatischen Titel "Present
Continous Past(s)" erneut zur Aufgabe gemacht, diese Fragestellung mit internationalen Teilneh-
mern zu diskutieren. Kunsthistoriker, Medientheoretiker und Kuratoren sowie die Künstlerin Ulrike
Rosenbach wurden vom Projekt iMediathek an der Hochschule für Künste Bremen, der Internatio-
nal University Bremen und dem Filmbüro Bremen dazu aufgerufen, einen wissenschaftlichen Bei-
trag zum Thema zu leisten bzw. Projektvorstellungen, Arbeits- und Erfahrungsberichte vorzutra-
gen.

I. State of the Art: Original - Konzept - Format - Reproduktion

Ausgehend von den insbesondere für Lehr- und Forschungszwecke eingeschränkten Zugangs-
möglichkeiten diskutierte Ursula Frohne die Möglichkeiten der Präsentation, Dokumentation und
Reproduktion von zeitbasierten künstlerischen Arbeiten, insbesondere von einkanaligen Videobän-
dern. Hintergrund ihrer Ausführungen bildete die problematische Reduktion auf einzelne Stills

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oder sequentielle Abbildungen in Katalogen, die meist nur teuer zu erwerbenden Kassetten sowie
die rechtliche Situation bei der Anfertigung von Kopien. Frohne nannte zum einen den einge-
schränkten Zugang als Grund für die verhältnismäßig schlecht dokumentierte und wenig erforsch-
te Medienkunst, zum anderen hob sie die methodischen Herausforderungen für das Fach hervor.
Beide Punkte konnten während der Tagung immer wieder bestätigt werden. Ihre Thesen zur ange-
messen Präsentationsweise von Videobändern veranschaulichte Frohne an der titelgebenden
Installation "Present Continous Past(s)" von Dan Graham aus dem Jahre 1974. Graham stelle mit
der reflektierenden Pavillonsarchitektur aus konvexen und konkaven Spiegelwänden, die er zur
Präsentation von Videobändern im Museum nutze, einen Rahmen und Kontext innerhalb der Aus-
stellungssituation her. In der"zentralen Funktion der Zeugenschaft" sei es dann der Betrachter, so
ihre These, der den Arbeiten durch ein permanentes "Re-framing und Re-viewing" ihre gegenwärti-
ge Präsenz und Aktualität erlangen lasse. Darin sah Frohne eine "Übersetzung von den Autonomie-
forderungen der Kunst geprägten Präsentationsformen in ein kommunikatives System" verwirk-
licht. Geschichtlichkeit wird demnach als ein grundlegendes Erfahrungsmoment für die Kunstre-
zeption aufgefaßt. Während Reproduktionen stets nur als Verweissystem fungieren, lag Frohnes
Augenmerk mit Seitenblick auf die Konzeptkunst auf dem Stellenwert des Kommentars: Kommen-
tare werden immer neu historisch und gehen dem künstlerischen Original als historische Erfah-
rung voraus. Wie die neuen Medien hilfreich zur Präsenz und Reproduktion des Originals als eine
Metaform genutzt werden können, darüber müsse weiterführend nachgedacht werden.

Ulrike Rosenbach schilderte ihre persönliche Perspektive auf den Wandel der künstlerischen, tech-
nischen sowie kulturpolitischen Bedingungen von Produktion, Reproduktion und Distribution von
Videoarbeiten, die sie ergänzend mit der Vorführung eigener Bänder veranschaulichte. So wußte
sie von den Zugangsschwierigkeiten zum technischen Equipment zu berichten. Während in Deut-
schland anfangs weder Präsentationsforen wie Festivals - der Videofilm wurde weder von der
Filmförderung berücksichtigt noch fühlten sich Institutionen der Bildenden Kunst dazu aufgerufen
- noch öffentliche Stiftungen oder unabhängige Produktionsfirmen mit Ausnahme von Gerry Sch-
ums Fernsehgalerie existierten, stellte sich die Situation im Ausland im Verhältnis günstiger dar.
Überzeugend inszenierte Rosenbach die Vorführung ihrer Videos simultan auf einem Fernseh-
monitor vor dem Hintergrund der gebeamten Großbildprojektion. Die Teilnehmer konnten so nach-
vollziehen, wie die für kleine Monitore geschaffenen, früheren Arbeiten durch die Projektion ver-
zerrt werden. Die Künstlerin erläuterte, dass sie die Videobilder eigens für die DVD-Präsentation
des Vortrags nachgeschärft habe. Dabei wurde deutlich, wie sehr die technische Seite die Ästhe-
tik der Videos prägt, wenn nicht sogar verantwortet.

II. New Media Conditions: Intention - Rezeption

Der folgende Themenkomplex war den technologischen und apparativen Bedingungen in Hinblick
auf Intention und Rezeption gewidmet. Inwieweit läßt sich mit den verwendeten Technologien und
Medien ein Wandel der Kunstrezeption erkennen, der sich auch mit der Geschichte der Institutio-
nen, an denen Medienkunst produziert und rezipiert wird, verbindet? Was ändert sich an der Aussa-
ge, wenn beispielsweise ein Videoband von Joan Jonas nicht im Ausstellungsraum auf einem
alten Fernsehmonitor, sondern am eigenen Schreibtisch via Internet oder an einem Computerter-
minal im Museum gesichtet wird?

Dieter Daniels (Leipzig) und Rudolph Frieling (Karlsruhe) stellten ihr seit 2001 am ZKM angesiedel-

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tes gemeinsam konzipiertes Netzportal und dreiteiliges Buchprojekt "Medien Kunst Aktion" -
"Medien Kunst Interaktion" - "Medien Kunst Netz" (jeweils mit CD-Rom) vor. Zur Dokumentation
und wissenschaftlichen Bearbeitung von Medienkunst haben sie eine im Internet abrufbare Daten-
bank entwickelt, die neben Kurztexten zu Künstlern, Werken und übergreifenden Themen, Medien-
arbeiten anhand von Fotos, einzelnen Stills sowie in Form von kurzen Sequenzausschnitten zeigt.
Anliegen des Projektes ist es, einen Beitrag zur Verfügbarkeit und Vermittlung von Medienkunst
zu leisten, die "im traditionellen Buchmedium nicht darstellbar und im Netz bislang unterrepräsen-
tiert ist, und insbesondere auf die exemplarische Kontextualisierung durch einzelne Autoren wert
lege" (Frieling). Neben den zentralen Begriffen "Videokunst" und "Intermedialität" war die Proble-
matik einer Kanonisierung von Medienkunst in Abhängigkeit von den eingeschränkten Dokumenta-
tions- und Zugangsmöglichkeiten ein weiterer Gegenstand der Diskussion.

Gregor Stemmrich (Dresden), der für "Medien Kunst Netz" ein Modul zum Thema "Kunst und Kine-
mathographie" entwickelt hat, regte in seinem Vortrag "Zwischen Ereignis und Struktur. Die Daten-
bank als Kristallisationsform" eine Vermittlung zwischen der Erfahrung von analogen und digita-
len Medien anhand der Begriffe "Ereignis" und"Struktur" an. In Bezug auf die Online-Präsentatio-
nen von Medienkunstwerken stehen sich euphorische und skeptische Aussagen gegenüber: So
vielversprechend zum einen eine allgemeine Verfügbarkeit und Verbreitung von Medienkunst im
Netz sei, bleibe zum anderen eine Verkürzung, Beliebigkeit und Verkennung intendierter Präsentati-
onsformen sowie eine Steuerung durch den kommerziellen Kunstbetrieb zu bedenken. In Anbe-
tracht der Frage, ob die Rezeption von analogen Videoarbeiten, die visuelle Erfahrung der im Netz
abrufbaren digitalisierten Sequenzausschnitte korrumpiere, betonte Stemmrich die Unterschiede
in der grammatischen Struktur der jeweiligen Medien. Diese müsse stets sichtbar und bewußt
gemacht werden, um solchen Effekten entgegen zu steuern. Dabei ist das Internet durch seine auf
Verknüpfungen basierende Struktur als Werkzeug brauchbar einzusetzen. Im Gegensatz zur "Ereig-
nishaftigkeit von Internet und Museum", unterscheiden sich diese in ihrer strukturellen Beschaffen-
heit. "Struktur" stehe dabei nicht im Widerspruch zu "Ereignis" und ebenso seien analog und digital
nicht als Gegensatz anzusehen.

Sabine Flach (Berlin) stellte den Video- und Performance-Künstler Bruce Nauman ins Zentrum
ihres Vortags "Withdrawal as an Artform. Zwischen Entzug und Darstellung - Der Körper in der
Medienkunst". Mit Fokus auf die reduktionistischen Strategien und Verweigerungspraktiken der
Minimal- und Konzeptkunst sah sie ein begrenzt offenes Verhältnis von Konzept und Ausführung
sowie gattungsüberschreitende und -entgrenzende Ausdrucksformen insbesondere in der Medien-
kunst realisiert. Anhand der Analyse der Arbeiten von Bruce Nauman in Bezug auf Intention und
Rezeption entwickelte Flach ihre These zu möglichen Re- Installationsformen von Medienkunst.
Das nicht abgeschlossene Werk definierte sie als ein Erkenntnisprozeß, der direkt an den Körper,
die Gebärde und das Verhältnis von Körper und Raum, Zeit und Wahrnehmung gebunden sei,
wobei sich der performative Moment innerhalb der konkreten Interaktion von Betrachter und Werk
vollziehe. Künstlerische Arbeiten, die handlungsorientiert und prozeßhaft sind und "damit ein ephe-
meres, partizipatorisches, performatives und konzeptorientiertes Ereignis" darstellen, verlangen
bei einer weiteren Präsentation "nach einer Transformation in eine Variante der Medialität", wofür
ihr die Arbeiten"Walk with Contrapposto" (1968) und der "Performance Corridor" (1969) von Nau-
man als Folie dienten. Für eine Dokumentation sei es notwendig, die Seite der Rezeption zu
berücksichtigen, wobei Begriffe wie mediale Flüchtigkeit, (Un-)Möglichkeit der Fixierung, Reproduk-
tion, Wiederholung und Differenz aufgerufen und stets neu zur Diskussion gestellt werden müs-
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Elke Bippus (Bremen) und Dirck Möllmann (Hamburg) untersuchten in ihrem Vortrag die künstleri-
schen Verfahren der Collage und Montage von Text und Video sowie narrative und medienreflexi-
ve Strategien anhand von drei jüngeren Arbeiten der Medienkunst: die Videotrilogie "Damnation of
Faust" (1983-1987) von Dara Birnbaum, das Musikvideo der Goldenen Zitronen "Weil wir einver-
standen sind" (1998) von Smoczek Policzek sowie die Video- Installation "Atlantic" (1997) von
Sam Taylor Wood. Das Verfahren der"elektronischen Montage" (Yvonne Spielmann) einer einkana-
ligen Monitorarbeit erfahre in einer mehrkanaligen Video-Installation eine räumliche Ausdehnung,
die jedoch weder dem vermeintlich postmodernen Bilderfluss noch der Narrativität entsage. Im
Anschluß an den Vortrag wurde diskutiert, ob Montage- und Collagetechniken zwangsläufig eine
Form von Narrativität nahelegen. Kritisch wurde in Bezug auf die Interpretation der Arbeit von
Sam Taylor-Wood die Fokussierung der Analyse auf die narrative Ebene angemerkt. Vielmehr
müssten die technische Ausführung und räumliche Inszenierung der Installation für das Verständ-
nis der Installation stärker berücksichtigt werden.

Solche Aspekte führten Iris Dressler und Hans D. Chris (beide hartware medien kunst verein, Dort-
mund) am Beispiel der Video-Installationen von Stan Douglas auf der Grundlage eigener kuratori-
scher Praxis anschaulich vor. Programmatisch läuteten die Begründer von hartware im Vortragsti-
tels"das Zeitalter des nicht reproduzierbaren Kunstwerks" ein, um die der Medienkunst "inhärente
Instabilität" hervorzuheben. Die Präsentation im Raum, die inhärenten Bestandteil von installativer
Medienkunst darstellt, läßt sich oft nicht historisch originär reproduzieren. In dem Zusammen-
hang wurde betont, daß 'Reproduzieren' keinesfalls 'Klonen', sondern allenfalls die Wiederauffüh-
rung einer künstlerischen Arbeit, bedeuten könne. Eine Video-Installation ist keine Flachware, son-
dern stellt eine meist sehr komplexe Organisation ihrer Bestandteile im Raum dar. Die Frage, wel-
che Komponenten einer interaktiven Installation möglicherweise ersetzbar sind, ohne daß die äst-
hetische Wirkung und die Originalität verloren geht, müsse im Einzelfall entschieden werden. In
Bezug auf die anzuwendenden Methoden der Analyse von multimedialen Arbeiten betonten Chris
und Dressler die Notwendigkeit einer gesonderten Untersuchung des "Orts", der Präsentation, der
Installation sowie ihrer technischen Realisierung im Ausstellungsraum. Diese müsse zusätzlich
zur Sequenzanalyse angestellt werden, da installative Medienkunst die Beziehungen zwischen
dem konkreten Werk, dem Konzept der Präsentation und dem Raum, in dem es präsentiert wird,
thematisiert. Folglich sollte auch eine ausführliche Werk-Dokumentation zusätzliches Material wie
Entwürfe der Installationsarchitektur, Raumperspektiven, Notationen des Künstlers, der Ausstel-
lungstechniker und Restauratoren sowie Dokumentationsfotos berücksichtigen. Angeregt wurde,
solch heterogenes Material in den entsprechenden Publikationen und Datenbanken zusätzlich
zum Videomaterial zu Verfügung zu stellen.

III. Closed Circuit: Distribution - Dissemination - Fluktuation

In der dritten und vierten Sektion waren wissenschaftliche Mitarbeiter und Kuratoren der im
Bereich der Medienkunst spezialisierten Sammlungen und Projekte vertreten, die ihre Institutionen
in ihrer spezifischen Ausrichtung und eingebettet in die historischen und gegenwärtigen Bedingen
von Medienkunst sowie praktische Erfahrungen, vorstellten.

Vor dem Hintergrund der Geschichte von MonteVideo/Netherlands Media Art Institute erläuterte
Bart Rutten (Amsterdam) in seinem Beitrag mit dem Titel "Wie man bietet, was gefragt ist" die Ver-
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änderungen der Aufgabenfelder und Verantwortungsbereiche, die sich in Abhängigkeit von den
technologischen Entwicklungen und der zunehmenden Popularität von Medienkunst vollzogen.
Seine Themenschwerpunkte waren das "wachsende Publikum, die bessere Präsentation, Video-
kunst und der Markt, von der Kassette zum digitalen Signal, veranstaltungsbasiert neben daten-
bankbasiert" sowie die Entwicklungsfelder und Zielrichtungen seines Instituts. Der Vortrag bot
zudem die hervorragende Gelegenheit, einige unbekanntere Beispiel der niederländischen Video-
kunst aus der Sammlung zu sehen, wie zum Beispiel Pieter Engels "Smoking his signature, signing
the universe" von 1972. Das Institut, das sich seit 1978 um die Distribution und Reflexion von
Video- und Medienkunst bemüht, organisiert eigene Ausstellungen und verwaltet vor allem eine
große Video-Sammlung, die auch in Umlauf gebracht wird. Zusätzlich existiert seit jüngerer Zeit
das sogenannte "Artlab", das sich die Bereitstellung und Verfügbarkeit von Videos im Netz zur Auf-
gabe gemacht hat. Diesbezüglich ist es auch mit der Verbesserung der verfügbaren Technologien,
den Umformatierungs- und Speichermöglichkeiten sowie der Entwicklung von Datenbank-Pro-
grammen in Kooperation mit Softwarefirmen, betraut. Insbesondere ist man bemüht, die Künstler
an den neuesten Entwicklungen und Projekten für und mit dem Netz zu beteiligen. Videokünstlern
werden die verschiedenen Optionen, ihre Arbeit im Internet zu präsentieren und zugänglich zu
machen, angeboten. Die Entscheidung, ein Video-Fragment in Form eines Stills oder einer Sequ-
enz oder aber die gesamte Arbeit im kleinen Format oder als Full Screen zu zeigen, wird damit in
die Verantwortung des Künstlers gelegt. Dies stellt den Versuch dar, auf die wachsenden
Ansprüche, Medienkunst für Video-Künstler, Kunsthistoriker und Kritiker verfügbar zu machen, zu
reagieren und zwischen den unterschiedlichen Anforderungen von Publikum und Anbieter zu ver-
mitteln. Rutten regte an, die Vorteile des Netzes zu nutzen: Es sei möglich, Arbeiten mit nur gerin-
ger Bild- und Tonqualität freizugeben, so daß der dokumentarische Charakter offensichtlich ist,
und die Wiedergabe nur als Referenz fungiert. Nachdem die Videokunst mittlerweile Eingang in
die großen Museen, Sammlungen und Galerien gefunden hat, ist ihr wirtschaftlicher Wert enorm
gestiegen und auch die Gewohnheiten der Zuschauer haben sich maßgeblich verändert. Die Anhe-
bung des wirtschaftlichen Wertes von Medienkunst hatte auch Konsequenzen auf die Art und Wei-
se, wie man die Künstler an der Präsentation ihrer Arbeiten involvieren konnte. Die erhöhte Nach-
frage trug sowohl zur Differenzierung der Präsentationsformen bei, als auch zur Anfertigung von
künstlich limitierten Editionen seitens der Galerien. Bei den Zugangsmöglichkeiten wurde dabei
nur selten zwischen dem Kunstmarkt und den Ausstellungs-, Archivierungs-, Lehr- und For-
schungszwecken unterschieden. In Bezug auf die Präsentation von Videoarbeiten bemerkte Rut-
ten, daß die differenzierten Video-Installationen im Museum sich insofern von der Fernseherfah-
rung unterscheiden, da sie einerseits die Aura des Kunstwerks verbessere, anderseits die Rezepti-
on der Arbeit zum einmaligen Erlebnis werden läßt. Probleme hinsichtlich der Besitz- und Vorführ-
rechte eröffneten sich spätestens mit Beginn der Restaurierungsmaßnahmen der Bänder von vor
1985. So erwähnte Rutten die heutigen Schwierigkeiten zwischen Vorschau-Bändern und den von
Künstlern vergessenen Leihgaben zu unterscheiden. Auch sei bis in die späten Achtziger den
wenigsten Künstlern bewußt gewesen, welche Probleme der unerlaubte Gebrauch von Raubkopi-
en hervorbringen könnte. Heute befinden sich in den älteren Sammlungen, die mit den Anfängen
der Videokunst unmittelbar verbunden sind, wie beispielsweise MonteVideo, Videobänder,"die
eigentlich nicht in ihrem Besitz sein dürften." Beispielswiese sind Kompilationsbänder im Umlauf,
die zur Dokumentation aber nicht zum Gebrauch für Ausstellungen geeignet sind. Dies zeigt, so
Rutten, "daß der Umgang mit Video mehr und mehr formalisiert, die Nutzung sehr limitiert wurde
und das eigentliche Anfangsproblem nicht das des Besitzens war, sondern das der Rechte."

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Im Anschluß an die anschaulich dargelegten historischen Hintergründe und gegenwärtigen Her-
ausforderungen lenkte Rens Frommé (V2, Rotterdam) den Blick auf die Schwierigkeiten in Bezug
auf den Erhalt und die Dokumentation von zeitgenössischen interaktiven Video-Installationen sowie
netzbasierten Arbeiten. Das Zentrum für Medientechnologie und Institut für instabile Medien V2,
das inzwischen u.a. mit der Mondriaan Foundation (NL) und der Daniel Langlois Foundation (CA)
kooperiert, wurde 1981 von einer Gruppe von Medienkünstlern gegründet und ist seit den neunzi-
ger Jahren auch um den Aufbau eines Archives bemüht. Zusätzlich existiert das Forschungspro-
jekt "Capturing unstable media". Die interaktive Video-Installation "Body movies" von Rafael Loza-
no Hammer stand im Mittelpunkt von Frommé's Vorstellung und regte an, im Kontext der Veran-
staltung weiter über die "instabilen Medien" und "open systems" nachzudenken.

Lori Zippay (New York) erläuterte in ihrem Vortrag "The Digital Mystique: Video Art, Aura and
Access" den theoretischen und historischen Kontext von Videokunst, den Wandel des künstleri-
schen Status und wirtschaftlichen Wertes sowie die Veränderungen bezüglich der Anforderungen
von Seiten des Kunstbetriebs. Ihre Ausführungen konzentrierten sich auf die Bereiche Reproduzier-
barkeit, Distribution, Handel und Verfügbarkeit von Medienarbeiten. Rückblickend auf die Anfangs-
jahre der Videokunst, als diese noch eine Art "enfant terrible" darstellte und eine Außenseiterrolle
in der Kunstwelt einnahm, wurde dementsprechend auch die Produktion, Verbreitung und Ausstel-
lung von Video im wesentlichen von den alternativen Initiativen und Projekten, wie zum Beispiel
der bis heute bestehenden "Nonprofit-Organisation" Electronic Arts Intermix (EAI) von 1971, getra-
gen. Im Zuge ihrer wachsenden Popularität ist die Medienkunst heute mit den unvereinbaren histo-
rischen Gegebenheiten und Entwicklungen, Modellen und Märkten konfrontiert, wobei einerseits
zwischen den Bedürfnissen der Ausbildungs-, Forschungs- und Ausstellungsinstitutionen und
andererseits einer finanziell rentablen Lösung für die Künstler vermittelt werden müsse. Die EAI,
die eine der weltweit wichtigsten Videosammlungen betreut, ist seit ihres Bestehens um alternati-
ve Modelle der Distribution und Sicherung von Video- und interaktiver Medienkunst bemüht. Zip-
pays Anliegen war es, einer Mystifizierung der Medienkunst, die auf ihrer eingeschränkten Verfüg-
barkeit, den Utopien der digitalen und technologischen Möglichkeiten und den Fragen um Originali-
tät und Aura des Kunstwerks basiert, entgegenzuwirken und zu dekonstruieren. Dazu stellte sie
"The Making of Super Mario Clouds" von Cory Arcangel, einen Neuankauf der Sammlung vor. Mit
der Arbeit, die aus den verschiedenen kopierten Versionen für den Verkauf und für die Distribution
besteht sowie einer Version, die im Besitz des Künstlers (für die Rente) verbleibt, reagiert der
Künstler unmittelbar auf die oben aufgeführten Bedingungen und Anforderungen an die Medien-
künstler - auf die"Bedürfnisse von Aura und Access".

IV. Open Source: Vermittlungsperspektive

Zum Abschluß der Tagung stellten Thierry Destriez (Exquise, Lille), Prof. Jean-Francois Guiton und
Mona Schieren (Hochschule für Künste, Bremen), Arne Jacobs (TZI, Bremen) und Christian Katti
(Bremen) die aktuellen Ergebnisse des Forschungsprojekts iMediathek vor, das die "Möglichkeiten
und Voraussetzungen der Reproduktion von Medienarbeiten - speziell der Videokunst - im Internet
untersucht" und die Erstellung eines "virtuellen Videokunstarchivs" zum Ziel hat. Für Recherche-
zwecke und als Werkzeug für Forschung und Lehre, sollen Videoarbeiten online im Netz zu Verfü-
gung gestellt werden. Die Präsentation wurde anhand des jüngst entwickelten Prototyps vorge-
nommen. Der Informatiker Arne Jacobs erläuterte das Videoanalysetool "Advisor", das zur auto-
matischen Shot- und Schnitterkennung und zur Erstellung von Farbhistorgrammen entwickelt wur-

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de und bei der formalen Analyse angewendet werden könne. Des weiteren wurden Überlegungen
zur Verschlagwortung vorgestellt sowie das Konzept einer möglichen Kommentierung der Werke.
Christian Katti, "Testperson" und erster User des Prototyps, trug seine Ergebnisse vor, welche an
theoretische und methodische Fragen, die während der Veranstaltung aufgeworfen wurden,
anknüpften. Neben technischen Problemen und der inhaltlichen Kritik überwog in der Diskussion
die Auffassung, daß vor allem die Bemühungen, um die Verfügbarkeit von Medienkunst zu unter-
stützen seien und vor übermäßigen didaktischen Ambitionen Vorrang habe. Die Frage, wie der
Zugang ermöglicht und wer in das Versuchsprojekt eingebunden werden könne, wurde mit der
Regelung (und Einschränkung) über die Vergabe von Passwörtern, mit dem Seminarteilnehmer
Zugang zur Datenbank erhalten können, beantwortet.

Im Verlauf der Tagung entfachte die Diskussion vor allem dann, wenn es um die Interpretation kon-
kreter Arbeiten ging. Dabei wurde offensichtlich, daß wesentliche Entscheidungen nur anhand von
Einzelfällen getroffen werden können. Es bestätigte sich der Diskussionsbedarf in Bezug auf die
anzuwendenden Analysemethoden der Medienkunst. Die Methodendiskussion durchzog daher
den gesamten Tagungsverlauf. Die Bremer Konferenz konnte in den verschiedenen sehr anregen-
den Beiträgen und Diskussionen, wichtige Thesen und Fragen zusammentragen und hat zentrale
Institutionen, Sammlungen und Forschungsprojekte, existierende sowie noch in der Konzeption
befindliche Datenbanken in ihren unterschiedlichen Ausrichtungen vorgestellt und teils beiläufig
auf nützliche Internetadressen aufmerksam gemacht. So ist zu bedauern, daß die Tagungüberwie-
gend von einem internen Kreis von Fachleuten besucht wurde, Studierende waren kaum vertreten
und auch wäre in manchen Fragen eine stärkere Einbeziehung der KünstlerInnen wünschenswert
gewesen. Zu hoffen ist, daß die Veranstaltung zum Austausch, zur Vernetzung und Zusammenar-
beit der Mitarbeiter der Institutionen, Ausstellungshäuser und Sammlungen, der Lehrenden, Kura-
toren und Restauratoren beigetragen hat, so beispielsweise auch, wenn es um einen sinnvollen
Einsatz von finanziellen Fördermitteln für Projekte geht. Die Konferenz hat dazu angeregt, die Dis-
kussionen um die Fragen der Methodik, Dokumentation und Präsentation von Medienarbeiten, fort-
zuführen, womöglich auch mit stärkerer Berücksichtigung von künstlerischer Strategien, die inähn-
licher Weise die Grenzen der Kunst und Kunstgeschichte berühren (Happening, die Performance,
allgemein ephemerer, ortsspezifischer und kontextbezogener Arbeiten). Zu den Fragen der Ver-
schlagwortung im Bereich von Datenbanken könnte der Austausch mit Initiatoren und Mitarbei-
tern bestehender Bilddatenbankprojekte in manchen Punkten weiterführen. Zusammenfassend ist
vor allem die Erkennung der Notwendigkeit sowie das Interesse und das Engagement an der Ver-
besserung der Zugangsmöglichkeiten von Medienkunst zu begrüßen und nicht genügend zu
bestärken.

Literatur- /Linkliste: (nach Reihenfolge im Text)

Bolter, Jay David/ Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media, Cambridge u.a. 1999.

Wie haltbar ist Videokunst? Beiträge zur Konservierung und Restaurierung audiovisueller Kunst-
werke, anlässl. des Symposiums im Kunstmuseum Wolfsburg, Konzept: Bärbel Otterbeck, Christi-
an Schiedemann, Wolfsburg 1997.

Mißelbeck, Reinhold (Hg.): Video im Museum. Restaurierung und Erhaltung, neue Methoden der
Präsentation, der Originalbegriff. Internationales Symposium, Museum Ludwig Köln, 2000.

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"404 Object Not Found: Was bleibt von der Medienkunst?"; Dortmund 2003:
http://www.404project.net/

Daniels, Dieter/ Frieling, Rudolph: Medien Kunst Aktion: Die 60er und 70er Jahre in Deutschland,
Wien 1997. Dies.: Medien Kunst Interaktion: Die 80er und 90er Jahre in Deutschland, Wien 2000.
Dies.: Medien Kunst Netz 1: Medienkunst im Überblick, Wien 2004

Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), Karlsruhe: http://www.zkm.de

Ausst.-Kat. "Reservate der Sehnsucht. 35 Künstlerinnen auf 4 Etagen Industrieruine", Ehemalige
Union Brauerei, Dortmund, Redaktion: Iris Dressler, Essen 1998.

hartware medien kunst verein dortmund: http://www.hartware-projekte.de

Boomgaard, Jeroen/ Rutten, Bart: Video art in the Netherlands 1970-1985, Rotterdam 2003. Mon-
tevideo/TBA, Amsterdam: http://www.montevideo.nl

V2_, Rotterdam: http://www.v2.nl

Daniel Langlois Foundation, Montréal: http://www.fondation-langlois.org Electronic Arts Intermix,
New York: http://www.eai.org

Zippay, Lori (Hg.): Artists´ Video. An International Guide, New York/ London/ Paris 1991.

Dies. (Hg.): Electronic Arts Intermix: Video, New York 1991.

Imediathek, Bremen: http://www.imediathek.org

Heure Exquise, Lille: http://www.exquise.org

235Media, Köln: http://www.art.235.media.de

Video-Forum des NBK, Bestandskatalog, Redaktion: Gisela Jo Eckhardt, Neuer Berliner Kunstver-
ein 2001. NBK-Videoforum, Berlin: http://www.nbk.org

Assche van, Christine (Berab.): vidéo et après. La collection vidéo du Musée national d´art
moderne, Centre Georges Pompidou, Paris 1992.

Redaktion: Godehard Janzing

              Empfohlene Zitation:

              Caroline Philipp: [Tagungsbericht zu:] Present Continuous Past(s) (Bremen, 14.–15.05.2004). In:

              ArtHist.net, 07.07.2004. Letzter Zugriff 24.10.2021. .

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