PRESS REVIEW Friday, May 28, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Friday, May 28, 2021
PRESS REVIEW Friday, May 28, 2021 Kronen Zeitung, DB, DIVAN Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler im Gespräch mit Star-Dirigent Daniel Barenboim über ein schweres Jahr - und die große Kraft der Kunst Crescendo, PBS Kulturveranstaltungen mit Corona-Tests akzeptiert Music Heute, PBS Kulturveranstaltungen mit Corona-Tests akzeptiert Tip Berlin, PBS Pilotprojekt geht weiter: „Perspektive Kultur“ mit Theater und Konzerten Süddeutsche Zeitung Der Bund unterstützt die Veranstaltungsbranche mit 2,5 Milliarden Euro. Wie wird das Geld verteilt? Süddeutsche Zeitung René Polleschs neues Stück „Goodyear“ am Deutschen Theater Berlin Berliner Morgenpost Friedrich-Luft-Preis für Gob Squad Süddeutsche Zeitung Im Internet verliert Kultur ihre Aura. Das hat auch Folgen für das Urheberrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Sachsens Musikkultur im Niedergang Berliner Morgenpost Bund fördert Sicherheit von Museen Süddeutsche Zeitung Neues Munch-Museum öffnet im Oktober
Print Quelle: Kronen Zeitung, Wien vom 28.05.2021, S.S92-S95 (Tageszeitung, Wien) Reichweite: 171.056 Auflage: 79.561 Ressort: Krjverlag Quellrubrik: krjverlag Die Musik als Ausdruck der Menschlichkeit hat gelitten Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler im Gespräch mit Star-Dirigent Daniel Barenboim über ein schweres Jahr - und die große Kraft der Kunst. H boim, elga Rabl-Stadler: Daniel Baren- welchen Rückblick geben ist das Publikum: ein Großteil des Publikums hat weniger musikalische live auf der Bühne mit Publikum. So haben wir die Musik genossen, viel Sie uns von Ihrer Seite auf das Jahr Bildung als früher. Arthur Rubinstein gelernt von ihr. Es gibt keinen Ersatz 2020? hat mir in den 1970er-Jahren gesagt, für dieses Gemeinschaftserlebnis. Daniel Barenboim: Ich glaube, es dass sein Publikum Anfang des 20. Streaming ist gut, ist wichtig, aber es war ein besonders schweres Jahr. Es Jahrhunderts am Wochenende selber ist kein Ersatz für Livekonzerte und gab noch nie ein weltweites Problem zu Hause am Klavier Chopin gespielt Live-Opernaufführungen. dieser Dimension. Selbst im 2. Welt- hat. Heute hätten sie bestenfalls Cho- Rabl-Stadler: Wie können wir die krieg gab es Orte, zu denen man flie- pin-Walzer auf Platte. Das ist seither Politik davon überzeugen, dass Musik, hen konnte. Heute sind wir alle Skla- noch dramatischer geworden. dass Kunst und Kultur eine besondere ven dieser Pandemie. Man muss hier Rabl-Stadler: Welche Rolle kann Kraft für die Gesellschaft entwickeln? sehr verschiedene Probleme beden- die Musik spielen, welche spielt sie Barenboim: Ein Großteil der Poli- ken: Selbstverständlich muss der erste heute noch? tik ist nicht interessiert an Musik, das Gedanke der Gesundheit in der gan- Barenboim: Musik als Ausdruck akzeptiere ich auch. Aber ein Politi- zen Welt und für alle Menschen gel- der Menschlichkeit hat gelitten, und ker, der eine Rolle in der Gesellschaft ten. Der zweite Gedanke muss den dagegen müssen wir kämpfen. Der spielt, muss die Musik, die Kunst, be- riesigen wirtschaftlichen Problemen Mensch hat die Möglichkeit, das Beste handeln wie einen Schatz. Ob sie ihn gelten. Es gibt schrecklicherweise so aus einer Situation wie zum Beispiel persönlich interessiert, ist zweitran- viele Menschen, die die Pandemie der Pandemie herauszuholen, aber gig, aber die Musik ist wichtig für die wirtschaftlich in die Armut getrieben auch das Schlechteste. Gesellschaft. hat. Und drittens darf man nicht ver- Rabl-Stadler: Das heißt, dass die Rabl-Stadler: Sie haben eine sehr gessen, dass uns alle diese Pandemie Menschen für sich und für andere politische Tat gesetzt, als sie 1999 das attackiert hat. Wir können nicht ent- Verantwortung übernehmen muss- WEDO, das West-Eastern Divan Or- spannt denken. Es hat eine große Ner- ten? chestra gegründet haben. vosität alle unsere menschlichen und Barenboim: Ja, es geht um die Barenboim: Die Gründung des beruflichen Beziehungen weltweit er- Menschenrechte, aber es geht auch WEDO war kein politischer, sondern griffen. Es gibt Menschen, die ängstli- um die Menschenverantwortung, aber ein humanistischer Akt. Ich wollte zei- cher sind, andere weniger. Aber wir darüber spricht niemand. Die positive gen, dass junge Menschen aus unter- stehen alle unter Druck. Haltung wäre: Ja, Corona attackiert schiedlichen politischen Welten Kon- Helga Rabl-Stadler: Was ist die uns alle, alle gleich, Frauen wie Män- takt haben und gemeinsam musizie- Rolle der Kultur in unserer Welt heu- ner, ältere wie junge Menschen, unab- ren können. Ich bin von ganzem Her- te? Wie konnten Kunst und Kultur hängig von jedem Status. Die Folge zen dankbar, wie sich das Orchester Kraft in dieser so kraftraubenden Zeit daraus wäre: Wir müssen gemeinsam über 20 Jahre musikalisch entwickelt geben? denken und agieren. Aber das ist sehr hat. Aber ich hatte ehrlich gesagt er- Daniel Barenboim: Wir müssen schwierig, weil das Gefühl für die Ver- wartet, dass es in der Region ein grö- einbekennen, dass wir in den letzten antwortung füreinander verloren ßeres Echo finden würde. Das ist lei- Jahren nicht vorwärts denkend mit ging. Vielleicht haben wir die Politiker der nicht der Fall. Andernteils: Wir Kunst und Kultur umgegangen sind. auch gezwungen, einen harten Kurs haben ungefähr gleich viele Men- Die Bildung sowohl der jungen Musi- zu gehen, weil die Menschen von An- schen, die uns bewundern, in Palästi- ker als auch des Publikums hat nach- fang an nicht genug Verantwortungs- na, Israel und in arabischen Ländern gelassen. Das muss man in aller Ehr- bewusstsein gezeigt haben, wie man wie Menschen, die uns nicht akzeptie- lichkeit sagen. Die musikalische Aus- miteinander umgehen soll. Der ren. Das heißt, es muss etwas richtig bildung der jungen Musiker ist da. Sie Mensch ist generell ein Genie im Er- sein an dem, was wir tun. Es ist nicht werden Spezialisten, zum Beispiel finden, aber dann weiß er nicht, was einseitig, es ist ein Projekt, das zeigt, wunderbare Geiger oder Oboisten, auf seine ethische Verantwortung dafür dass Menschen, wenn sie es nur wol- einem Instrument, aber die Ausbil- bedeutet; für das, was er entdeckt hat. len, eine gemeinsame Sprache finden dung ihres Wissens, ihre Gesamtkul- Rabl-Stadler: Sind Sie optimis- können. tur wurde oft vernachlässigt. tisch, dass die Menschen auch nach Rabl-Stadler: Das West-Eastern Wenn man aber Beethoven spielt, dem Lockdown Sehnsucht nach Live- Divan Orchestra ist jedes Jahr bei den der besonders 2020 viel gespielt wur- Erlebnissen haben? Wie kommt die Salzburger Festspielen zu Gast. Dieses de, dann muss man wissen, wer Goe- Kunst wieder auf die Bühne? Jahr wieder mit 2 Konzerten. the war, wer Schiller war, und deren Barenboim: Ich teile Ihre Sorge. Barenboim: Es ist für mich persön- Ideen kennen, denn diese sind auch Man darf aber nicht vergessen, dass lich eine besondere Freude und Ehre, Inhalt seiner Musik. Die andere Seite Musik im Raum entsteht, das heißt dass die Salzburger Festspiele uns so 3
unterstützen und dass wir jährlich in braucht. Man muss in und mit der dirigiert Lahav Shani zwei Stücke des Salzburg spielen können. Das ist mir Musik denken, es reicht nicht, Hunde- 20. Jahrhunderts, Bartóks "Diverti- sehr wichtig. rte von Konzerten zu spielen. Man mento" und Prokofjews erste Sym- Rabl-Stadler: Was schätzen Sie an muss im Kopf behalten, was in der phonie. Und ich werde das Klavier- Lahav Shani als jungem Dirigenten Vergangenheit war, gleichzeitig in der konzert Nr. 2 von Brahms spielen. besonders, der in diesem Sommer mit Gegenwart bleiben, weil es das ist, Rabl-Stadler: Sie spielen gerne mit dem WEDO sein Debüt in Salzburg was erklingt, und an die Zukunft den- Familie und Freunden. Im Sommer geben wird? ken; was passiert dynamisch, harmo- wird Ihre musikalische Freundin Mar- Barenboim: Er ist außergewöhn- nisch, melodisch in den nächsten Tak- tha Argerich mit Renaud Capuçon in lich begabt und bereits Chef von zwei ten? Salzburg auftreten, die im Juni ihren Orchestern, er macht seinen Weg, hat Rabl-Stadler: Wie entstanden die 80. Geburtstag feiern wird. Woher auch bereits bei der Mozartwoche di- Programme der beiden Konzerte, die kennen sie einander eigentlich? rigiert. am 11. und 12. August in Salzburg zu Barenboim: Ich habe Martha 1949 Rabl-Stadler: Was geben Sie einem hören sein werden? im Haus des Herrn Rosenthal, eines jungen Dirigenten in dieser turbulen- Barenboim: Michael Barenboim österreichischstämmigen Juden, in ten Zeit mit? und Kian Soltani spielen am ersten Buenos Aires kennengelernt, der je- Barenboim: Begabung allein ge- Konzertabend das Doppelkonzert von den Freitag zur Hausmusik geladen nügt nicht: Partitur lesen ist schwieri- Brahms. Sie treten solistisch wie auch hat, und da habe ich mich musikalisch ger als ein Buch lesen. Wenn man ei- als Musiker des WEDO auf. Die Sym- in sie verliebt. Sie repräsentiert nur nen Satz nicht versteht, kann man ihn phonie von César Franck liebe ich, das Beste von allem, was man sich in einem Buch nochmals lesen. Der aber man hört sie selten, beginnen vorstellen kann. Dirigent muss verstehen, dass Bega- werden wir mit Beethovens "Prome- bung wie ein Garten ist, der Wasser theus-Ouvertüre". Am zweiten Abend 4
28.5.2021 Kulturveranstaltungen mit Corona-Tests akzeptiert By MUSIK HEUTE - 26. Mai 2021 Die Rahmenbedingungen für Pilotvorstellungen, mit denen der Berliner Senat im März Öffnungsperspektiven für den Kulturbetrieb testete, haben bei den Besuchern breite Zustimmung gefunden. 98,5 Prozent der Zuschauer würden unter den gleichen Voraussetzungen weitere Veranstaltungen besuchen. Das ergab eine repräsentative Besucherbefragung durch das Berliner Ensemble, das Konzerthaus Berlin, die Berliner Philharmoniker und die Touristen-Information visitBerlin, wie die Senatskulturverwaltung am Mittwoch mitteilte. Berliner Philharmonie 97 Prozent der insgesamt 775 Befragten bewerteten die Umsetzung der Schutzmaßnahmen positiv. Bedingungen für den Einlass waren ein negatives Corona-Testergebnis aus einem der am Projekt beteiligten Testzentren sowie die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln wie das Tragen von Masken. Die drei Kulturinstitutionen und visitBerlin führten in der ersten Phase des Pilotprojekts Testing „Perspektive Kultur“ vom 19. bis 27. März sechs Veranstaltungen mit etwa 2.000 Besuchern durch. Andere geplante Kulturanlässe mussten wegen der Verschärfung des Lockdowns zu Ostern abgesagt werden. Das zwischenzeitlich ausgesetzte Projekt wird ab dem 26. Mai fortgesetzt. Dann beteiligen sich unter anderem der Pierre-Boulez-Saal, das Deutsche Theater Berlin, das Berliner Ensemble und die Schaubühne. © MH – Alle Rechte vorbehalten. https://crescendo.de/kulturveranstaltungen-mit-corona-tests-akzeptiert-1000092466/ 1/2
28.5.2021 Kulturveranstaltungen mit Corona-Tests akzeptiert | MUSIK HEUTE Home » Nachrichten » Kulturveranstaltungen mit Corona-Tests akzeptiert Kulturveranstaltungen mit Corona-Tests akzeptiert 26. Mai 2021 - 18:10 Uhr Berlin (MH) – Die Rahmenbedingungen für Pilotvorstellungen, mit denen der Berliner Senat im März Öffnungsperspektiven für den Kulturbetrieb testete, haben bei den Besuchern breite Zustimmung gefunden. 98,5 Prozent der Zuschauer würden unter den gleichen Voraussetzungen weitere Veranstaltungen besuchen. Das ergab eine repräsentative Besucherbefragung durch das Berliner Ensemble, das Konzerthaus Berlin, die Berliner Philharmoniker und die Touristen-Information visitBerlin, wie die Senatskulturverwaltung am Mittwoch mitteilte. Berliner Philharmonie 97 Prozent der insgesamt 775 Befragten bewerteten die Umsetzung der Schutzmaßnahmen positiv. Bedingungen für den Einlass waren ein negatives Corona- Testergebnis aus einem der am Projekt beteiligten Testzentren sowie die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln wie das Tragen von Masken. Die drei Kulturinstitutionen und visitBerlin führten in der ersten Phase des Pilotprojekts Testing "Perspektive Kultur" vom 19. bis 27. März sechs Veranstaltungen mit etwa 2.000 Besuchern durch. Andere geplante Kulturanlässe mussten wegen der Verschärfung des Lockdowns zu Ostern abgesagt werden. Das zwischenzeitlich ausgesetzte Projekt wird ab dem 26. Mai fortgesetzt. Dann beteiligen sich unter anderem der Pierre-Boulez-Saal, das Deutsche Theater Berlin, das Berliner Ensemble und die Schaubühne. © MUSIK HEUTE. Alle Rechte vorbehalten – Informationen zum Copyright www.musik-heute.de/22422/kulturveranstaltungen-mit-corona-tests-akzeptiert/
28.5.2021 Pilotprojekt geht weiter: "Perspektive Kultur" mit Theater und Konzerten KULTUR ___ Kultur » Pilotprojekt geht weiter: „Perspektive Kultur“ mit Theater und Konzerten 26.05.2021 - 16:34 Uhr Live-Kultur Pilotprojekt geht weiter: „Perspektive Kultur“ mit Theater und Konzerten Wie geht es weiter mit Berlins Kultur? Die Stadt läuft sich mit der Fortsetzung ihres Pilotprojekts „Perspektive Kultur“ jedenfalls warm für einen geregelten Kulturbetrieb unter Hygienebedingungen. An den ersten Veranstaltungen im März nahmen etwa 2000 Gäste teil, die Resonanz war hervorragend. Vom 26. Mai bis 4. Juni geht das Pilotprojekt weiter: mit Theaterstücken, Lesungen und Konzerten in Innenräumen, vor getestetem Publikum. V.l.: Jeremy Mockridge, Astrid Meyerfeldt, Katrin Wichmann und Sophie Rois in „Goodyear“. Die Kostüme passen: Mit der Uraufführung des neuen Stücks von René Pollesch am DT geht das Pilotprojekt weiter. Foto: Arno Declair „Beim Schlussapplaus muss ich kurz weinen, circa drei Sekunden lang. Okay, vielleicht waren es auch fünf“, gesteht tipBerlin-Redakteur Stefan Hochgesand. Er war dabei, als die Berliner Philharmoniker im März ihr erstes Konzert seit einer gefühlten Ewigkeit gegeben haben. Ähnlich überwältigt dürften sich viele Menschen in Berlin gefühlt haben, als sie am Pfingstwochenende zum ersten Mal im Jahr wieder an Restaurranttischen und in Biergärten Platz genommen haben. Die Stadt öffnet wieder, allerdings vor allem die Außenbereiche. Auch Theateraufführungen finden unter freiem Himmel statt. https://www.tip-berlin.de/kultur/pilotprojekt-perspektive-kultur-mai-juni-programm/
28.5.2021 Pilotprojekt geht weiter: "Perspektive Kultur" mit Theater und Konzerten KULTUR Pilotprojekt testet, wie Kultur sicher gehen kann Bis Kulturveranstaltungen unter Hygienebedingungen regulär wieder in Innenräumen stattfinden dürfen, könnte noch eine Weile vergehen. Berlin lässt allerdings schon jetzt den zweiten Testballon steigen: Das Pilotprojekt „Perspektive Kultur“ geht in die zweite Runde. Am 19. März startete das Pilotprojekt mit ersten testweisen Öffnungen, geplant waren Veranstaltungen bis 4. April, das Projekt lief jedoch aufgrund des Infektionsgeschehens und des Hin und Her um die sogenannte Osterruhe nur bis zum 27. März. Die Besucher:innen nahmen den Ablauf und die Sicherheitskonzepte fast durchweg positiv auf. Am 26. Mai geht es weiter mit Veranstaltungen bis zum 4. Juni – neben Theateraufführungen auch Kabarettabende, Konzerte und Lesungen. Zum Hygienekonzept gehört erneut das systematische Testen von Publikum und Kulturschaffenden, daneben Abstände, reduzierte Kapazitäten sowie Maskenpflicht. Die Tickets werden personalisiert vergeben, um die Kontaktnachverfolgung gewährleisten zu können. Einlass erhält man mit einem aktuellen negativen Schnelltest, der Bescheinigung über eine Genesung (PCR-Test vor mindestens 28 Tagen, maximal sechs Monaten) oder dem Nachweis, dass die letzte erforderliche Impfdosis vor mindestens 14 Tagen verabreicht worden ist. Perspektive Kultur: Das Programm des Pilotprojekts Deutsches Theater Berlin 26./27./30.Mai: Uraufführung „Goodyear“ von René Pollesch Literaturforum im Brecht-Haus 26. Mai: Lesung, Gespräch: Raphaela Edelbauer „DAVE“; 1. Juni: Vortrag Dietmar Dath „Ästhetische Arbeit bei Georg Lukács“, 3. Juni: Podiumsgespräch: Georg Lukács heute cie. toula limnaios 27.+28. Mai: Premiere „clair obscur“ Pierre Boulez Saal 27. Mai: Danish String Quartet, 29. Mai. Quatuor Diotima TD Berlin 27., 28., 29., 30. Mai: „Care Affair“, von Frauen und Fiktion Die Stachelschweine 28. Mai: Frank Lüdecke: Das Falsche muss nicht immer richtig sein!, 29. Mai + 4. Juni: Ensemble: Drei Lügen zu viel! (Vorpremiere) Komödie am Kurfürstendamm 1., 2., 3. + 4.6.: Familie Flöz – Teatro Delusio Grips Theater 3.+4. Juni: Theatervorstellung für Menschen ab drei Jahren: „Vier bei dir“ (Uraufführung) Berliner Ensemble 3.+4. Juni: Uraufführung: „w̶̶a̶g̶n̶e̶r̶ ̶-̶ ̶d̶e̶r̶ ̶r̶i̶n̶g̶ ̶d̶e̶s̶ ̶n̶i̶b̶e̶l̶u̶n̶g̶e̶n̶ (a piece like fresh chopped eschenwood)“ Schlosspark Theater 4. Juni: Winterrose Schaubühne 4. Juni: „Das Leben des Vernon Subutex 1“ Quatsch Comedy Club 4. Juni: „Die Live Show“ https://www.tip-berlin.de/kultur/pilotprojekt-perspektive-kultur-mai-juni-programm/ 2/4
28.5.2021 Pilotprojekt geht weiter: "Perspektive Kultur" mit Theater und Konzerten Mehr KULTUR Kultur in Berlin Kunst sehen: Diese Museen und Galerien in Berlin sind geöffnet. Ganz Europa im Blick ab 9. Juni: Die Gruppenausstellung „Diversity United“ im Flughafen Tempelhof. Lieber einen Film sehen? Das aktuelle Programm der Freiluftkinos haben wir hier für euch. https://www.tip-berlin.de/kultur/pilotprojekt-perspektive-kultur-mai-juni-programm/
28.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 Plan für das Ende der Einsamkeit Der Bund un ter stützt die Ver an stal tungs bran che mit 2,5 Mil li ar den Eu ro. Wie wird das Geld ver teilt? Nach ei ner lan gen Rei se er in nern wir uns be son ders gut an die letz ten Ta ge, die letz ten Näch te. Von man chen Woh nun gen bleibt der Tag des Aus zugs im Ge dächt nis, und in der ro man ti schen Li te ra tur gibt es ei nen Kult um den Ab schied. Aber wie ge lingt der Ab schied von ei ner Pan de mie? Wie kommt man in das Le ben da nach, oh ne die Schre cken und die Leh ren davor zu ver ges sen? Oh ne zu ver harm - lo sen und zu verdrän gen, was das Le ben von so vie len so lan ge ge prägt hat, aber auch oh ne in Angst und Nie der ge schla gen heit zu ver har ren? Wie fin det man den noch ei nen Aus gang ins Of fe ne, wo man an de rerseits um die Un be re chen bar keit die ses Vi rus weiß? Es ist aus ge rech net die Bun des re gie rung, die oft ge schol te ne gro ße Ko ali tion, die so et was nun ver- sucht. Mit Aus nah me der Luft fahrt ist kei ne Bran che derart hef tig von den Pan de mie be kämp fungs - maß nah men ge trof fen worden wie die per for ma tive Kunst- und Kul tur bran che. Nichts ging mehr, und es geht ja im mer noch fast nichts. Es gab pa the ti sche Kla gen über den Un ter gang „der Kul tur“. Aber die ist kein Schiff und kei ne Ein - heit, man muss schon ge nau hin se hen. Vie le Mit ar bei ter und Mit ar bei te rin nen der öf fent lich fi nan - zier ten Thea ter und Kon zert häu ser, aber auch die Mit wir ken den an Film- und Fern seh pro duk tio nen – auch man che, die sich an der selt sa men „Al les dicht ma chen“-Sa ti re be tei lig ten – wa ren ma te riell bes ser ab ge sichert als frei schaf fen de Künst ler, die ihr Geld mehr oder min der di rekt aus der Abend- kas se verdie nen. Lee re Häu ser, Sä le, Mes sen und Fes tivals wa ren an de rerseits ein Vor teil für di gi tal ver mit tel te Kul tur, es wurde ge streamt und ge bin ged, bis Net flix leer ge schaut war. In teres san ter- wei se – die Pan de mie ist auch ein Lehr meis ter in Fra gen der Kul tur – möch te kaum je mand die sen Zu stand fort schrei ben, viel mehr wird sein En de mit vor weg ge nom me ner Erleich te rung ersehnt. Auch von Men schen, die we der Thea ter noch Kon zer te be suchen – der Ge dan ke, dass man es könn te oder ein mal tun wird, hat an sich schon et was Er fri schen des. Aber wie tritt man nun den Rück weg an? Pri- va te En er gien und Mit tel sind erschöpft, die Bun des re gie rung veran stal tet kei ne Fes tivals, die Kanz- le rin gibt in ih rem Amt kei ne Kon zer te. Schon seit ei ni gen Mo na ten war für solch ei ne Si tua tion, in der die Pan de mie zu rück weicht, die Leu te lang sam hin aus kön nen, ein für die Veran stal tungs kul tur ge dach ter Son der fonds in Vor be rei tung. Ein Pro blem war da bei die sym bo li sche Di men sion des Plans: Wenn der Fi nanz mi nis ter und die Kul- turstaats mi nis te rin zu früh davon re den, ent fal tet die Hil fe für die Kon zert-, Büh nen- und Veran stal- tungs bran che ei ne Si gnalwir kung, die wei ter ver wirrt: Eben noch woll te der Bund die Lo ckerun gen der Län der per Bun des not brem se re gu lie ren, nun aber mischt er sich fröh lich in die fö de ra le Zu stän - dig keit Kul tur, winkt mit Geld bün deln und lädt im gro ßen Stil zu Pre mie ren und Re tro spek tiven. War al so am Mitt woch schon der op ti ma le Au gen blick, die Hoff nung zu be schrei ben und so zu be - schwö ren? In ei ner of fen bar im provi sier ten Pres se kon fe renz hat te Olaf Scholz zu nächst Mü he, die Di men sion der Hil fen in Wor ten aus zu drücken, die dem Au gen blick an ge mes sen wa ren. Er kam erst auf die Kin - der im Ho me schoo ling zu spre chen, dann auf die Stu die ren den, die ih re Se mes ter vor dem Bild schirm ver brin gen, und drit tens erst zum The ma, der Kul tur. Zweiein halb Mil li arden Eu ro werden be reit ge - stellt. Mit den bis her schon zu ge sag ten Hil fen des Pro gramms Neu start Kul tur er gibt sich ei ne Kul- tur hilfs sum me, die welt weit ein ma lig sein dürf te. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 1/2
28.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 Be son ders ist auch der Werde gang die ses Pro jekts: Län der ver tre ter, Bran chenver tre ter und die Res - sorts der Bun des re gie rung ha ben es zu sam men kon zi piert. Aus Ham burg, wo sich Kul turse na tor Bros da von An fang an in ten siv um die dor ti ge Bran che und Sze ne ge küm mert hat, kommt die IT-Lö - sung, die Web site, mit der die An trä ge ge stellt werden kön nen. Nord rhein-West fa len wird für das Be - schwerde ma nage ment zu stän dig sein. Die Hil fe nimmt zwei Pro blem be reiche in den Fo kus: Ein mal die ge rin ge Ren ta bi li tät, die sich er gibt, wenn man teu re Auf füh run gen, Kon zer te, Pro gram me auf stellt, aber nur we ni ge Plät ze be set zen darf. Hier kann, wenn die Veran stal tung zuvor re gis triert wurde, aus Mit teln des neuen Son der fonds ei ne Aus gleich zah lung flie ßen. Ih re Hö he rich tet sich nach Preis und Zahl der ver kauf ten Ein tritts kar ten und nach der Aus las tung des Saa les. Es geht um ei ne kol lek tive Ri si komi ni mie rung für Kul tur pro du- zen ten, seien sie kom mer ziell, eh ren amt lich oder auch staat lich: Auch die Bay reu ther Fest spie le, prä - zi sier te Kul turstaats mi nis te rin Mo ni ka Grüt ters, kön nen Hil fe be zie hen, wenn sie auf grund der Dis - tan zie rungs be stim mun gen im Pu bli kum we ni ger Kar ten ver kau fen. Vom 1. Ju li an kön nen An ge bo te bis zu 500 Perso nen an ge mel det werden, ei nen Mo nat spä ter für 2000 Perso nen. Im Herbst kommt dann ein zwei ter As pekt des Son der fonds zum Tra gen, sei ne Versiche rungs wir kung: Bei ei ner grö ße - ren Pro duk tion, et wa ei nem Fes tival oder Me ga kon zert, agiert der Son der fonds als Aus fallversiche - rung, falls un er war tet ei ne neue Wel le, Mu tan te oder Ähn liches die Sa che stoppt. Trotz der gewal ti gen Sum me han delt es sich nicht um ei ne Bewäs se rung der dür ren Veran stal tungs - sze ne wie aus dem Lösch flug zeug, viel mehr werden dort küh le Was ser fla schen ge reicht, wo man chen Un ter neh mern oh ne Hil fe der Mut versagt. Kein priva ter Spen der könn te dies so ziel ge rich tet leis ten und auch kei ner der üb lichen staat lichen Ak teu re al lein: Län der und Kom mu nen wä ren mit Pla nung, Durch füh rung und be nö tig ten Sum men über fordert – sind aber wie der nö tig, um prag ma tisch die Veran stal ter vor Ort zu iden ti fi zie ren und zu be glei ten. Denn es soll ja auch kon trol liert werden, ob die Hil fen gut und rich tig an ka men. Der Witz des Son der fonds liegt in der lan gen, stil len Vor be rei tung und in der gu ten Zu sam men ar beit der verschie de nen po li ti schen, kul tu rel len und ad mi nis tra tiven Ak teu rin nen und Ak teu re. In der Pres se kon fe renz konn ten sich Scholz und Grüt ters gar nicht ge nug ge gen sei tig lo ben und die Häu ser, Bran chen und al le an de ren gleich mit. Schwang ein schlech tes Gewis sen mit, weil die ers ten Hilfs ver- suche so viel er bit ter te Kri tik aus ge löst ha ben? Deutsch land war ei ne Kul tur na tion, lan ge bevor es zum Na tio nal staat wurde. Und der Um stand, Waren und Pro duk te aus ei nem kul tivier ten Land zu kau fen, trägt in den Au gen reicher glo ba li sier ter Kun den noch ein mal zum be son de ren Charme der Din ge ma de in Ger ma ny bei. In so fern wird es für die Bun des re pu blik we sent lich sein, aus der Pan de mie zu kom men, oh ne sich den Vor wurf ge fal len las sen zu müs sen, ge ra de die Kul tur schnell und ge räusch los ge op fert zu ha ben. Nun, wo der Aus gang hof fent lich in Sicht ist, über rascht uns die oft ge schmäh te, arg ge schrumpf te gro ße Ko ali tion mit die sem kul tur po li ti schen Meis terstück. Na türlich steht der Pra xis test noch aus, aber die An sa ge klingt gut. Ei ne be son de re Ele ganz liegt in der Tat sa che, dass der tie fe re, der pa the ti- sche Sinn des po li ti schen Plans nicht ex pli zit be nannt wird: Es ist ein Son der fonds ge gen das der Pan de mie fol gen de, so zia le Elend: die Ein sam keit. Nils Mink marSei te 4 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 2/2
28.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/12 Boxenstopp mit Stöckelschuh René Pol leschs neu es Stück „Goo dye ar“ am Deut schen Thea ter Ber lin Die Fra ge, wie man nach den end lo sen Lockdown-Mo na ten zum ers ten Mal seit lan ger Zeit wie der ei- ne rich ti ge Thea ter büh ne be tritt, oh ne dass es pein lich be deu tungs schwer wird, aber auch oh ne so zu tun, als sei das kei ne gro ße Sa che, be ant wor tet René Pol lesch am Deut schen Thea ter Berlin gewohnt läs sig und min des tens dop pel bö dig. Sei ne Urauf füh rung „Goo dye ar“ be ginnt mit ei ner Be erdi gungs - pro zes sion, al lerdings ei ner auf fäl lig gut ge laun ten Pro zes sion mit schep pern der Brass-Band aus dem Off. Ein ge mal ter Abend him mel leuch tet auf dem schwe re Fal ten wer fen den Vor hang des Rund- ho ri zonts, die Scheinwer fer bat te rie hängt gut sicht bar ins Büh nen bild (Bar ba ra Stei ner). Kla re Sa che: Wir sind hier im Thea ter – mit Schnell test und FF P2-Mas ke auch wirk lich wie der im In ne ren –, da sind auch Trauer zü ge kein Grund zur Trau rig keit, son dern vor al lem thea tra lisch er gie big. Als So phie Rois in ei ner Art Geis ter be schwö rung ei nen gewis sen Hen ry her bei fan ta siert („Hen ry, bist du da?“) und von des sen Schau spiel küns ten schwärmt („fürs In halt liche hat er sich eh nie in teres - siert“), ist das na türlich ein klei ner In si derscherz für Vereh rer Hen ry Hüb chens, des Pol lesch- und Rois-Kol le gen aus al ten Volks büh nen-Zei ten. Aber vor al lem ahnt man, was da eben zu Gra be ge tra - gen wurde, um in den fol gen den 75 Mi nu ten ei ne hoch tou rige Auferste hung zu feiern: das Thea ter selbst, al so Pol leschs Lieb lings the ma, an des sen Frag würdig kei ten, Re prä sen ta tions fal len und Jahr- markt squa li tä ten er sich im mer wie der mit Ver gnü gen ab ar bei tet, egal was sei ne Stücke jeweils sonst noch so ver han deln. Dies mal geht es un ter an de rem um ei ne quee re Hom mage an die Tes to ste ron spie le des Au to mo bil- renn sports und die Renn pi lo ten-Gat tin nen, die im mer ein Wit wen kos tüm im Rei se ge päck da bei ha - ben, weil: Falls es ir gendwann mal kracht auf der Fomel-1-Stre cke, will man ja we nigs tens gut aus se - hen vor den Ka me ras. Die quee re Ant wort auf das Ma cker-Ve hi kel ei nes Rennwa gens, als mo to ri sier- te Pe nis-Verlän ge rung so zu sa gen die He te ro nor ma tivi tät auf Rä dern, glänzt an die sem Abend mit ma xi ma lem Glam fak tor: ein fahr ba rer, rie si ger, wei ßer, glit zer be setz ter Stö ckel schuh, an geb lich „mit 1498 Ku bik zen ti me ter-Hub raum“. Kein Wun der, dass As trid Meyer feldt als Renn pi lo tin am Steuer die ses Un ge heuers klagt, dass die „luft ge kühl te 4-Zylin der-Boxer-Renn ma schi ne“ wie ein High heel aus sieht: „Die se Ho mo sexuel len ma chen mich fer tig.“ Lo gisch, was sol len sie auch sonst ma chen mit den Über res ten der archai schen Welt har ter Män ner. Wo bei Pol lesch nichts ge gen das Spek ta kel des Renn sports als sol ches hat, es hat für ihn nur et was an de re Rei ze: Das Dröh nen der Mo - to ren feiert die In sze nie rung als mi nu ten lan ge, präch tig lau te Mu si que con crète, die zuverläs sig al le Schau spie lersät ze über tönt: Wrr rummms! Dass man den Ti tel des Abends, „Goo dye ar“, auch als sar kas ti sche An spie lung auf das über haupt nicht gu te Co ro na-Jahr verste hen kann, bleibt dan kens wer ter wei se die ein zi ge Pan de mie-An spie - lung. An sons ten geht es um die Fort set zung von Pol leschs As so zia tions ket ten zu den Freu den der Pop kul tur, dies mal am Bei spiel ei nes Kin derstars in Cine città, sowie um die Merk würdig kei ten des Sexuel len. Et wa mit der Fra ge, ob ein Sexu a lakt oh ne Zu schauer mög lich ist, oder ob man sich da bei im mer selbst be ob ach tet, wie das klei ne Kind, das den ei ge nen El tern ver blüfft und fas zi niert bei die - sem selt sa men Trei ben zu sieht. Wo mit man na türlich wie der bei der Thea ter theo rie wä re und der Ver mu tung, dass spä tes tens im ei- ge nen Kopf so ziem lich al les zu Thea ter werden kann. Gro ße Fra gen! Pol leschs Ant wort auf das XXL- For mat sei ner The men be steht schon im mer, aber an die sem Abend be son ders auf fäl lig, in ei nem An - ti-The sen-Sprech thea ter, das lie ber mit den Sät zen und Ge dan ken jon gliert, als ir gendwie recht ha - https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/12 1/2
28.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/12 ben zu wol len oder die Zu schauer mit An sprüchen auf Deu tungs ho heit oder Über wäl ti gungs ef fek ten zu be läs ti gen. Chris ti ne Groß, As trid Meyer feldt, Je re my Mock ridge, So phie Rois und die umwer fen de Kat rin Wich - mann sind of fen kun dig oh ne grö ße re Bles su ren der thea terlo sen Lockdown-Lan gewei le ent kom men, aber Ant wor ten auf all die eher an ge spiel ten als sau ber durch de kli nier ten Fra ge stel lun gen soll te man von ih nen bes ser nicht er war ten. Es reicht doch, sich mit den an de ren durch die ses La by rinth der Fra gen zu ka ta pul tie ren.Pe ter Lau den bach https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/12 2/2
28.5.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | FREITAG 28. MAI 2021 Ein umwerfender Theater-Marathon Performance in der Pandemie: Der Friedrich-Luft-Preis für die beste Inszenierung im Corona-Jahr 2020 geht an das zwölfstündige Live-Experiment „Show Me A Good Time“ des deutsch-britischen Theaterkollektivs Gob Squad Das Leben im Konferenzmodus: Berit Stumpf in „Show Me A Good Time“ auf der Bühne des HAU Hebbel am Ufer. Do- rothea Tuch Von Katrin Pauly Berlin Alexanderplatz, mitten in der Nacht: Der Performer Bastian Trost steht alleine an der Weltzeituhr und wartet. Via Livestream hatte er aufgerufen, ir- gendjemand möge ihn hier besuchen. Um 1.41 Uhr sind Linda, Miriam und Jo- sef da. Sean Patten sitzt derweil sehr alleine im komplett leeren Hebbel-Theater (HAU1) und ist ein bisschen neidisch auf Bastian und seine neuen Freunde. Es sind noch andere unterwegs, die Sean ein wenig von dem Leben da draußen ins leere Theater schicken. Die meisten sind in Berlin, andere weit weg. Sarah Thom ist gerade aus Sheffield zugeschaltet. Sharon Smith hat ein Brot gebacken und sendet aus Devon in Südengland. Simon Will passiert Gesundbrunnen auf dem Weg zu einem Flughafen, der nicht mehr gebraucht wird. Sean Patten sam- melt im leeren Theatersaal die Geschichten seiner Mitperformer ein, die sie ihm live und digital zuschicken, voller Sehnsucht nach Verbindung ist er, nach Nähe zur Welt und zu seinem abwesenden Publikum: „I am nothing more than a clown, desperate for attention, desperate to make people laugh.“ https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/939/articles/1359628/9/2 1/4
28.5.2021 Berliner Morgenpost Als das Performance-Kollektiv Gob Squad seinen zwölfstündigen Livestream- Marathon „Show Me A Good Time“, im Auftrag des HAU Hebbel am Ufer und des koproduzierenden La Jolla Playhouse in San Diego, im Juni 2020 erstmals von Kreuzberg aus in die Welt sendete, da hatten die Theater gerade die halbe Spielzeit im Lockdown verbracht, manche streamten Aufzeichnungen von histo- rischen Inszenierungen, alle hofften auf eine bessere nächste Saison. Die Schönheiten im alltäglichen Ausnahmezustand Und dann erscheinen die acht Performerinnen und Performer von Gob Squad auf unseren Monitoren und zeigen uns von sechs Uhr abends bis sechs Uhr mor- gens, wozu Theater fähig ist. Trotz allem. Oder wegen allem. „Show Me A Good Time“ ist ein Stück über Zeit, über Transformation, über die Schönheit des Alltäglichen, selbst wenn es sich gerade im Ausnahmezustand befindet. Es ist auch ein Stück über die Relevanz des Theaters und eine Selbstvergewisserung derer, die dieses Theater bislang gemacht haben. Dafür erhält Gob Squads Performance „Show Me A Good Time“ den Friedrich- Luft-Preis als „beste Berliner und Potsdamer Aufführung des Jahres 2020“. Seit 1992 verleiht die Berliner Morgenpost den mit 7500 Euro dotierten Preis im An- denken an den 1990 verstorbenen Berliner Theaterkritiker und Feuilletonisten Friedrich Luft. Ab diesem Jahr wird er gemeinsam von der Berliner Morgenpost und Deutschlandfunk Kultur gestiftet. „Die Performerinnen und Performer von Gob Squad finden für ihre hybride Kontaktaufnahme bereits sehr früh in diesem besonderen Jahr ein Format, das die Leerstellen, die das pandemiebedingt abwesende Theater hinterlässt, ein- drucksvoll offenlegt und bespielt“, heißt es in der Jurybegründung. „Sie zele- brieren jeden Moment als etwas einzigartig Kostbares, ganz gleich ob er banal, ernst oder pathetisch ist, und entwickeln daraus eine kluge Poesie des Alltags in nicht-alltäglichen Zeiten.“ Dafür gehen sie mit großer Lust das Risiko des Zufalls ein. Sie haben ihm für diese Nacht ein Gefäß gebaut, eine Hülle aus wiederkehrenden, choreografierten Ritualen, eine zyklische Struktur. Jeweils zur Hälfte einer vollen Stunde wird - gemeinschaftlich gelacht. Manchmal lesen alle oder putzen irgendwas. Hauptsa- che gemeinsam. Zwischen den Ritualen: improvisierte Ortserkundungen, Zeit für Unvorhersehbares. Und immer kurz vor der vollen Stunde suchen sie auf der Straße spontan einzelne Zuschauer für die im leeren Theater Zurückgelassenen (die Schichten wechseln im Laufe der Nacht). Ein rührender Akt der Solidarität. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/939/articles/1359628/9/2 2/4
28.5.2021 Berliner Morgenpost Dann folgen zu einem vorab festgelegten Motto jeweils zwei improvisierte Per- formance-Minuten aus dem Theater – und danach die bange Frage nach draußen auf die Straße: „Hat es dich erreicht?“ Das ist diese von allen so schwer ver- misste Resonanz, das schwingende System zwischen Künstlern und Publikum und Menschen überhaupt, dem man nicht nachjagen, sondern das man nur fin- den kann. In diesem Fall sogar via Screen. Auch die Jury des Friedrich-Luft- Preises hat im letzten Jahr sehr viel Theater auf dem Bildschirm gesehen. Man- ches Stück schaffte gerade mal die analoge Premiere, bevor die Theater (wieder) dichtmachen mussten, andere wurden kurzfristig digital angepasst. Insgesamt standen neben dem Gewinnerstück noch sechs weitere Arbeiten auf der Nominierungsliste. Bildmächtige Ideen im neuen Streaming-Format Großer Mitfavorit war bis zum Schluss das Stück „Tornado“, das Tobias Rausch im September am Theaterdiscounter inszenierte. Er montierte verdichtete Inter- views zu einem Parcours durch drei Räume und fand im Klimawandel ergiebi- gen Bühnenstoff. Ebenfalls auf den vorderen Plätzen hielt sich Ulrich Rasches auf vier Laufbändern chorisch rhythmisierte Version von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ am Deutschen Theater. Ganz ohne Worte kommt Rieke Süßkows am Neuen Haus des Berliner Ensem- bles realisierte „Elektra“-Inszenierung aus. Dafür wartet das tragische Familien- album der Atriden mit einem wunderschönen Pop-up-Bühnenbild auf. Außer- dem nominiert waren noch Sebastian Hartmanns live gestreamte, bildmächtige „Zauberberg“-Version aus dem Deutschen Theater, die an den dortigen Kam- merspielen von Regisseur Amir Reza Koohestani realisierte Arbeit „Woyzeck Interrupted“ in der Digital-Version und Sebastian Nüblings Sibylle-Berg-Abend „Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden“ am Gorki. Lauter spannende, sehenswerte Abende. Gob Squads „Show Me A Good Time“ allerdings, so der Tenor der Jury-Schlussdiskussion, offenbart noch eine zusätz- liche Dimension: Sowohl in der Form als auch im Inhalt scheint diese durchper- formte Nacht wie eine Überschrift zu sein für dieses ganze aufreibende Corona- Theater-Jahr. Weil das Kollektiv benennt, was gefehlt hat, und weil ihr Aufbe- gehren gegen den Stillstand so gut tut. Weil auch die Verzweiflung Raum be- kommt und weil ihr Widerstand hartnäckig ist und kreativ. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/939/articles/1359628/9/2 3/4
28.5.2021 Berliner Morgenpost Zwischen dem Abseitigen und dem Banalen, dem Quatsch und dem Tiefgründi- gen offenbaren sich bei ihnen verlässlich intime und poetische Momente. Die großen Fragen der Zeit finden sie an jeder Straßenecke. Und ein Publikum dafür auch. Sogar mitten in der Nacht. Das macht Hoffnung für ein wie auch immer geartetes Theater nach der Pandemie. Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/939/articles/1359628/9/2 4/4
28.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 Fühlt den Vibe Im In ter net ver liert Kul tur ih re Au ra. Das hat auch Fol gen für das Ur he ber recht VON A N DR I A N K R E Y E Es fällt nicht leicht, sich von Kul tur be grif fen zu tren nen, nur weil der Lauf der Zeit in ei ne an de re Rich tung drängt. Ein Großteil des Abend lan des klam mert sich et wa noch an Wal ter Ben ja mins Ide al von der Au ra ei nes Kunst werks, die mit der tech ni schen Re pro du zier bar keit ver küm mert. Nimmt man noch Mar tin Hei deg gers Stim mung da zu, ist man schon mit ten im 20. Jahr hun dert, als Kul tur zur Ka tharsis der welt lichen Mas sen wurde. Wie schnö de erscheint ei nem da die Netz welt der Schlüs - sel rei ze, in der Kul tur als di gi ta ler Klon zum Si gnal im ky ber ne ti schen Raum verödet. Die ser Theo rie bal last wurde bei der Überar bei tung des Ur he ber rechts für das Zeit al ter der end gül tig gren zen lo sen Re pro du zier bar keit nicht dis ku tiert. Aber er stand im Raum. Wenn der Bun des rat al so an die sem Frei tag die ers te grund le gen de Re form des Ur he ber rechts seit zwan zig Jah ren ab seg net (über ra schen de Plot-Twists er war tet nie mand), hat der de mo kra ti sche Pro zess ei nen Kom pro miss ge schaf fen, der nicht nur In teres sen aus gleicht, son dern ei nen Kul tur wan del ze men tiert. Kul tur ge - schicht lich mag das sei ne Rich tig keit ha ben. Aber ist das die Auf ga be des Staa tes in ei nem Land, das sich als Kul tur na tion be greift? Wo bei der Wan del nur schwer greif bar ist. Er hat da mit zu tun, dass sich Kul tur tech nisch nicht nur von der Au ra, son dern auch von der Ge gen ständ lich keit ent fernt hat. Dem Ma the ma ti ker Nor bert Wie ner, der mit der Ky ber ne tik so et was wie die Blau pau se der di gi ta len Kul tur ent wickel te, war das früh klar: „In for ma tion ist In for ma tion, we der Ma te rie noch En er gie. Kein Ma te ria lis mus, der dies nicht be rück sich tigt, kann heu te überle ben.“ Kul tur im Netz be steht aus Da ten, die end los in Si gna le um gewan delt werden kön nen. In sei nem Grund la genwerk „Mensch und Men sch ma schi ne“ wid me te sich Wie ner 1950 der Zu kunft des Ur he ber rechts, auch wenn es noch kei ne Gifs und MP3s gab. „Die Vorstel lung, dass In for ma tio nen in ei ner sich verän dern den Welt oh ne ei nen über wäl ti gen den Wert - verlust ge speichert werden kön nen, ist falsch“, schrieb er. „Das war’s dann mit dem blo ßen physi- schen Be sitz ei nes Kunst wer kes.“ Im sel ben Ka pi tel for mu lier te er aber auch schon ei nen Ab ge sang auf Wal ter Ben ja min: „Es ist zwei- fel los wahr, dass die feins te Blü te der künst le ri schen Wert schät zung nur mit Ori gi na len mög lich ist, aber es ist eben so wahr, dass ein brei ter und kul tivier ter Ge schmack von ei nem Men schen ent wickelt werden kann, der nie ein Ori gi nal ei nes gro ßen Wer kes ge se hen hat, und dass der weit aus grö ße re Teil des äs the ti schen Rei zes ei ner künst le ri schen Schöp fung in kom pe ten ten Re pro duk tio nen über- tra gen wird.“ Wenn es aber kei ne Au ra mehr gibt, was dann? Es ist ja nicht so, dass ei nen Kul tur kalt las sen würde, nur weil sie im Netz statt fin det. In den USA be schäf tigt sich die Kul tur kri tik schon da mit. Der Kunst - kri ti ker Kyle Chayka veröf fent lich te En de April im New Yor ker ei ne de tail lier te Ana lyse des Be griffs „Vi be“. Die Überset zungs-KI lie fert ei nem da zu das deut sche Wort „Stim mung“, al lerdings hat das nur we nig mit Hei deg ger und viel mit Pop kul tur zu tun. Chayka spannt den Bo gen vom Pop der Beach- Boys -Ära über das „Vi be“-Verständ nis des Hip-Hop und Ger not Böh mes phi lo so phi sche Ab hand lung „At mo sphä re“ bis zur po li ti schen Öko lo gie der Din ge in Ja ne Ben netts „Vi brant Mat ter“. Schluss punkt der kul tur his to ri schen Be ob ach tung ist die Vi deo-App Tik tok. Auf der fin det er die Mi- ni fil me, in de nen ein kur zes Sperr feuer kul tu rel ler Re fe ren zen ei nen stim mi gen „Vi be“ er zeu gen. Chayka be schreibt das so: „Was ein Hai ku für die Spra che ist, ist ein Vi be für die Sin nes wahr neh - https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 1/2
28.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 mung: ei ne prä gnan te As sem bla ge aus Bild, Ton und Bewe gung.“ Exem pla ri sches Bei spiel ist für ihn das Tik tok-Vi deo von Na than Apo da ca, ei nem La gerar bei ter aus Ida ho Falls. Dem blieb an ei nem Mor gen auf dem Weg zur Ar beit das Au to ste hen. Und so fuhr er im ro si gen Mor gen licht mit dem Skate board den Highway ent lang, nahm ei nen Schluck aus ei nem Ka nis ter Him beer-Cran ber ry-Saft und sang ein paar Tak te „Dreams“ von Fleet wood Mac , das im Hin ter grund des Vi de os läuft. 27 Mil lio - nen Men schen sa hen sich das in der ers ten Wo che an, der mehr als 40 Jah re al te Song schaff te es zu- rück in die Charts. Apo da cas 18 Se kun den füh ren vor, aus was sich ein Vi be zu sam men setzt, der Mil lio nen an spre chen kann. Der Bewe gungs fluss, die gu te Lau ne und das Mor gen licht sind nur die ei ne Hälf te der In sze nie - rung, die mit der Ver träum t heit des Songs, der im kol lek tiven Bewusst sein tief in der ka li for ni schen Un be küm mert heit der Sieb zi ger jah re ver wur zelt ist, erst den ei gent lichen Kon text be kommt. Da aber verläuft die ro te Li nie zwi schen dem Wert der Au ra und der Frei heit der Vi bes. Mit der kul tu- rel len All zweck waf fe des Smart pho nes kann so ziem lich je der ei nen Vi be pro du zie ren, der dann als Me me das Po ten zi al hat, zu ei nem Netz hit zu werden. Na than Apo da ca konn te es sich mit sei nen Tik- tok-Um sät zen bald leis ten, aus sei nem Wohnwa gen in ein ei ge nes Haus zu zie hen. Kein Rech te inha - ber wird ei nem Nut zer so ei nen Er folg miss gön nen. Die ei gent lichen Pro fi teu re ei nes sol chen Hits sind aber we der die Nut zer noch (wenn sie das Glück ha ben, wie der in die Charts zu kom men) die Rech te inha ber, son dern die Platt for men. Die ma chen mit sol chen Vi ral hits Um satz. Und das macht den Kom pro miss des neuen Ur he ber rechts so faul. Es gibt vie le In teres sen, die das Ge set zes pa ket be rück sich ti gen muss. Die Selbst ver wirk lichung von In ter net nut zern, für die Me mes und Vi bes zur All tags kom mu ni ka tion ge hö ren. Die Leis tungs schutz- rech te von Fern seh sen dern, ganz egal ob sie ei nen Bil dungs auf trag ha ben, Sport wett kämp fe zei gen oder Er nied ri gungs ri tua le in sze nie ren. Die Frei heit der Wis sen schaf ten, die aus Welt wis sen Impf- stof fe, er neuer ba re En er gien oder di gi ta le Au to ma ti sie rungs pro zes se ent wickeln. Ja und eben den An spruch von Leu ten, die Mu sik, Kunst, Fil me oder Bücher ma chen und ger ne Geld für ih re Ar beit be kä men. Das Ge set zes pa ket ist durch. Jetzt be ginnt die Zeit der Um set zung. Man muss nicht mal den Dün kel der Kul tur kri tik be mü hen, um ro te Li nien zu de fi nie ren. Man kann auch ein fach die Kern kom pe tenz des So zi al staa tes ein fordern, die Schwächs ten zu schüt zen. Und weil Kul tur eben auch ein Wirt schafts feld ist, darf man die mit meist we nig Geld ver gü te te Mü he, die es kos tet, künst le ri sche Au ra zu er zeu gen, durch aus für schüt zens wert er klä ren. Erst recht in ei- nem Land, das sei ne Opern häu ser, Stadt thea ter, staat lichen Mu se en und Sym pho nie orches ter wirk- lich gut be han delt. Wo steht, dass Kul tur förde rung nur im Zie gel stein-und-Mör tel-Kon text pas sie ren soll? Nicht erst, seit die Pan de mie gro ße Tei le der Kul tur ins Netz ge zwun gen hat, ist sie auch dort Teil des Ge meinwohls. Das wiegt schwe rer als Wirt schafts in teres sen. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/807993/11 2/2
28.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467027/12 F.A.Z. - Feuilleton Freitag, 28.05.2021 Sachsens Musikkultur im Niedergang Nicht nur Christian Thielemann in Dresden fehlt die Gunst des Freistaats, auch die Lausitz kämpft um die Zukunft ihrer Bühnen und Orchester. In Not geraten die Sorben Manchmal können alte Statistiken regelrecht nostalgisch machen. Wem etwa während der achtziger Jahre im ostsächsischen Bautzen nach Theater war, der fand dort ein zweisprachig – Deutsch und Sorbisch – bespieltes Vierspartenhaus samt Opernensemble und Ballett vor. Ein paar hundert Meter weiter befand sich der Sitz des „Staatlichen Ensembles für sorbische Volkskultur“, ein zentraler Ort für die Traditions- und Identitätspflege der kleinen nationalen Minderheit: nochmals Orchester, Chor und Tanzcompagnie, hier eher folkloristisch orientiert und mit ihren Tourneeprogrammen seit der Grün- dung 1952 nicht nur im Siedlungsgebiet der Ober- und Niederlausitzer Sorben, sondern in über vierzig Ländern bis hin nach Zentralasien unterwegs. Beide Einrichtungen gibt es noch, und das „Sorbische National-Ensemble“ (SNE) – so nennt es sich seit 1990 – wird, wenn die aktuellen Restriktionen irgendwann gelockert werden sollten, auch wieder auf Tournee gehen. Nur die Größenordnungen haben sich seither geändert – schrittweise, aber niemals zum Besseren. Der Chor, damals über dreißig Vokalisten stark, hat aktuell noch sechzehn Sängerinnen und Sänger, und im Orchester gibt es kein Fagott mehr, was im folkloristisch orientierten Repertoire mindestens so misslich ist wie im klassisch-konzertanten. Es war ein schleichender Abbau parallel zur Deindustrialisierung der Oberlausitz, die einerseits an den nahe gelegenen Braunkohle-Fördergebieten hing, aber in Görlitz, Niesky und Bautzen beispielsweise auch Zentren der DDR-Schienenfahrzeugin- dustrie hatte. Viel ist davon nicht geblieben, und im Gefolge der wirtschaftlichen Schrumpfungsprozesse erodierte auch die Kulturlandschaft. Nicht alles konnte mit Initiative und Ideen – an beiden hat es den Akteuren vor Ort nie gefehlt – kompensiert werden. Das Bautzner Theater „sparte sich“ 1992 sein Opern- und Ballettensemble. Bis zur Jahrtausendwende behalf man sich noch mit eingekauften Stagione-Serien, dann war auch das vorbei. Seitdem ist, wer in der Mittelstadt am Oberlauf der Spree Musiktheater hören will, auf gelegentliche Gastspiele der in Radebeul ansässigen Sächsischen Landesbühnen oder des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz angewiesen. Weggespartes kommt nicht wieder Doch aus das könnte bald vorbei sein, in Fortschreibung der oben angedeuteten langjährigen Prozesse und gleichzeitig als Vorschein dessen, was der Dirigent Titus Engel in der F.A.Z. am 15. März prognosti- zierte: dass die Kultur beim Stopfen der coronabedingten Haushaltslöcher wohl wieder zum ersten Sparkandidaten würde. In der Tat: Ein über dreihundertseitiges Gutachten der Münchner Kultur- Unternehmensberatung „actori“ entwickelt neben Fusionierungs-Szenarien für die Schauspielsparten in Bautzen und Zittau (dort sitzt die Sprechbühnen-Sektion des Gerhart-Hauptmann-Theaters) und des SNE-Restorchesters mit der in Görlitz ansässigen „Neuen Lausitzer Philharmonie“ auch das einer Abwicklung des Musiktheaters an der Neiße. Und weil einmal Weggespartes erfahrungsgemäß nicht mehr wiederkommt, hieße das: Aus zwei mach null – innerhalb von reichlich zwanzig Jahren. Nun stand ein „actori“-Gutachten beispielsweise auch schon hinter den bizarren Vorgängen um die mehrfache Entlassung und Wiedereinstellung Sewan Latchinians als Intendant des Rostocker Volks- theaters vor reichlich fünf Jahren. Man muss das vielleicht nicht unbedingt als ideale Referenz für die Firma sehen, wenn es um Transformationsprozesse im ostdeutschen Kulturraum geht. Indessen bestä- tigen alle Befragten, dass die Münchner Emissäre in der Oberlausitz und Niederschlesien gründlich recherchiert, sich nicht nur auf zugeliefertes Material verlassen und vor Ort viele direkte Gespräche gesucht haben. Das Ergebnis dieser (natürlich nicht kostenlosen) Bemühungen war dann freilich kein https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467027/12 1/3
28.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467027/12 grundsätzlich anderes als bereits das eines internen Konzepts der Görlitzer Theater-Geschäftsführung von 2019: Es gibt für die Darstellende Kunst im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien allenfalls noch minimale interne Rationalisierungsreserven. Oder wie es Jan Budar, Direktor der Stiftung für das Sorbische Volk, die der Träger des Sorbischen National-Ensembles ist, mit Blick auf die gesamte ostsächsische Bühnen- und Orchesterlandschaft etwas drastischer ausdrückt: „Die Zitrone ist ausge- quetscht.“ Bleiben also, weil „allein durch Kooperationsmaßnahmen der erwartete Effekt nicht eintritt“, doch nur „weitere Stellhebel, die auch strukturelle Folgen haben würden“ – so die vorsichtige Umschreibung durch den Görlitzer Landrat Bernd Lange, dessen Landkreis der größte Gesellschafter des Görlitz- Zittauer Theaterverbandes ist? Und die, wie dessen designierter Intendant Daniel Morgenroth (er soll sein Amt im August antreten) sagt, auch Folgen über die engere Bühnenszene hinaus hätte: „Wir haben ja nicht nur unser künstlerisches Personal, sondern auch Techniker oder die Kostüm- und Maskenbild- nerei und sind in vielen dieser Zweige auch Ausbildungsbetrieb. Außerdem: Wie soll eine wirtschaftli- che und soziologische Transformation der Region gelingen – man spricht über die Ansiedelung von Medizintechnik, Mikroelektronik oder Wasserstofftechnologie –, wenn interessierte Fachkräfte oder Touristen, deren Zahlen ebenfalls weiterwachsen sollen, nur noch ein ausgezehrtes und minimalisiertes Kulturangebot vorfinden?“ Dass Morgenroth in dem Gutachten zudem einige handwerkliche Unschärfen findet – so sind die obli- gatorisch erwartbaren Tarifsteigerungen künftiger Jahre nicht eingepreist –, macht die Sache nicht besser, sondern die Aussichten eher noch düsterer. Auch Budar in Bautzen ist bei vielen Details skep- tisch, zum Beispiel hinsichtlich des potentiell fusionierten Klangkörpers: „Wir hätten dann zwar ein größeres Orchester, mit dem auch neue Literatur erschlossen werden könnte; freilich um den Preis einer Höherstufung zum B-Orchester, was allein schon wieder Mehrausgaben brächte. Außerdem hat die Neue Lausitzer Philharmonie aktuell sieben ständige Spielorte, unser Bautzner Ensemble seinen eigenen Tournee- und Abstecherbetrieb und dazu sein spezielles Repertoire – wie soll das logistisch zusammengehen? Es liefe am Ende wohl doch wieder nur auf zwei Orchester in einem heraus – und das kann ja kaum der Sinn der Sache sein.“ Womit aber wird die Notwendigkeit des aufwendigen Münchner Papiers überhaupt begründet, da die eingelaufenen Strukturen ja bisher, wenn auch unter ständiger Ausdünnung und mit knirschender Knappheit, immer noch notdürftig gehalten haben? Eigentlich hat der Freistaat Sachsen mit seinem – deutschlandweit einmaligen – Kulturraum-Gesetz, das bereits 1994 verabschiedet und seitdem mehr- fach verlängert und modifiziert wurde, ein brauchbares Instrument geschaffen, um mögliche kulturelle Verwerfungen, wie sie im Gefolge der sozialen und demographischen nach dem wirtschaftlichen Abriss seit 1990 erwartbar waren, zumindest einzudämmen. Das Hauptinstrument dafür sind feste jährliche Zuweisungen des Landes an die Kulturräume (fünf ländliche und drei urbane), die im Falle der hier in Rede stehenden ostsächsischen Region aktuell knapp zwei Drittel des Budgets sichern. Die Restsumme müssen die Landkreise und Kommunen tragen. Keiner träumt vom Schlaraffenland Deren Kämmerer sahen allerdings auch schon vor den aktuellen Corona-Kalamitäten fast flächende- ckend regelmäßig Rot, so dass sich nun erwartungsvolle Blicke nach Dresden richten. Von dort gibt es zwar keine Signale, dass das bewährte Gesetz gleich heute oder morgen in seiner Substanz ausgehebelt werden könnte. Doch ein im Sommer 2018 zusätzlich abgeschlossener Kulturpakt, der seinerzeit durch die Bereitstellung weiterer Mittel die Rückkehr der Ensembles in den Flächentarif ermöglichte, wurde zunächst auf vier Jahre befristet, die sich nun ihrem Ende nähern. Und selbst seine einfache Verlänge- rung würde kaum genügen, weil die aktuellen Zuweisungen weder absehbare Tarif- noch Sachkosten- steigerungen antizipieren und eigentlich, um ihre Funktion weiter erfüllen zu können, dynamisiert werden müssten. Ob solche Hoffnungen bei der sächsischen Kulturministerin Barbara Klepsch, die gerade durch den angekündigten De-facto-Rausschmiss Christian Thielemanns bei der Dresdner Staatskapelle (F.A.Z. vom 12.Mai) von sich reden macht, an die richtige Adresse kommen, steht freilich dahin. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467027/12 2/3
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