PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of

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PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

        Monday, October 26, 2020
PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW                                                 Monday, October 26, 2020

Junge Welt, PBS
Da stimmt doch etwas nicht! Das Chiaroscuro Quartet durchmisst Mozarts Pandemie-Melancholie

Kultura Extra, DIVAN
Schwelgereien. Die neue CD von Daniel Barenboim, Martha Argerich und West-Eastern Divan Orchestra
bei den Salzburger Festspielen

Der Tagesspiegel
In Bayern protestieren die Intendanten

Berliner Morgenpost
Daniel Barenboim und die Philharmoniker spielen Smetana

Berliner Zeitung
Barenboim dirigiert Smetana lieber ohne Patriotismus

Hamburger Abendblatt
Barenboim und seine Staatskapelle in der Elbphilharmonie

Der Tagesspiegel
Ein Italien-Abend der Akademie für Alte Musik

Rbb Inforadio
Tschaikowski-Oper Mazeppa in Cottbus setzt neue Maßstäbe

DLF Kultur
Daniil Trifonov bei der Tschechischen Philharmonie

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Endlich wieder live in der Oper des Covent Garden

Der Tagesspiegel
„Lost (1,5 m)“ an der Neuköllner Oper
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Der Tagesspiegel
Freie Volksbühne leidet unter Publikumsschwund

Berliner Morgenpost
Entscheidung über Kulturhauptstadt steht an

DLF Kultur
Die Musik des Mittelalters und das „Sollazzo Ensemble“

Der Tagesspiegel
„Features - Zehn Sichten auf Berlin“ Ausstellung im Museum Nikolaikirche
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26.10.2020                                                         24.10.2020: Da stimmt doch etwas nicht! (Tageszeitung junge Welt)

           Gegründet 1947 ▪ Montag, 26. Oktober 2020, Nr. (Nummer) 250

                                            Aus: Ausgabe vom 24.10.2020, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage
                                            JW-WOCHENENDGESCHICHTE

                                            Da stimmt doch etwas nicht!
                                            So ungewohnt wie berückend: Das Chiaroscuro Quartet durchmisst Mozarts
                                            Pandemie-Melancholie
                                            Von Berthold Seliger

                                                                                                                                                 Foto: gemeinfrei

                                                Teurer Sieg: Bei der Belagerung von Belgrad 1789 erkranken Hunderttausende an Ruhr und Malaria

                                            Juni 1789. Im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg, der das
                                            österreichische Heer im Vorjahr Tausende Gefallene und weitere
                                            80.000 an Krankheiten gestorbene oder in türkische Sklaverei
                                            geratene Männer gekostet hat, belagern die habsburgischen Truppen
                                            Belgrad, das sie im Oktober einnehmen werden – doch im Mai 1789
                                            sind dort, in der Sumpfgegend um Semlin, 172.000 Soldaten an Ruhr
                                            und Malaria erkrankt, 33.000 der Seuche erlegen. Joseph II. war mit
                                            Tuberkulose und Malaria vom Schlachtfeld zurückgekehrt (und wird
                                            Anfang 1790 sterben), Ruhr und Malaria wurden von heimkehrenden
                                            Soldaten auch nach Wien gebracht. Der Feldzug des Vorjahres hatte
                                            Unmengen Geldes verschlungen, fast ebensoviel wie der
                                            Siebenjährige Krieg. Die Lage in Wien ist trostlos, politisch wie
                                            wirtscha lich, auf den Straßen verkrüppelte Soldaten und
                                            Deserteure, eine Epidemie ist zu befürchten.

                                            Down and out
                                            Doch die Weltlage ist vermutlich Mozarts kleinstes Problem. Er ist völlig überschuldet, und
                                            weder vom Kaiser noch von den Aristokraten, denen die Kriegssteuer zusetzt, sind
                                            Kompositionsau räge zu erwarten. Von einer kostspieligen Reise nach Prag, Leipzig und dem
                                            eigentlichen Ziel, Berlin, kehrt Mozart desillusioniert und vor allem ohne die erho ten
                                            Einnahmen und Au räge zurück. Der preußische König Friedrich Wilhelm II. hatte angeblich
                                            Interesse signalisiert, Mozart am Berliner Hof zu beschä igen, doch als der in Berlin eintri t und
                                            wünscht, »seine Talente zu Ew. Königlichen Majestät Füßen zu legen«, reagiert der Preußenkönig
                                            sehr kühl und befiehlt, sein Cellolehrer solle sich des Wiener Kapellmeisters annehmen. Der
                                            König will ihn nicht hören, auch ein paar Wochen später nicht, nur die Königin, schreibt Mozart
                                            »im thiergarten in einem Wirthshause«, »da ist aber nicht viel zu machen«, erklärt er seiner Frau,
                                            der er während seiner ganzen Reise heiße (»richte Dein liebes schönes Nest recht sauber her,
                                            denn mein Büberl verdient es in der Tat« ist noch eine der harmloseren Stellen) und mitunter
                                            recht eifersüchtige Briefe schickt. Fazit: Nichts gewesen außer Spesen, »Du musst Dich bei
                                            meiner Rückkun schon mehr auf mich freuen als auf das Geld«.

https://www.jungewelt.de/artikel/389045.da-stimmt-doch-etwas-nicht.html                                                                                             1/5
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26.10.2020                                                                   24.10.2020: Da stimmt doch etwas nicht! (Tageszeitung junge Welt)

                                            Mozart ist pleite und verzweifelt, er schreibt Bettelbriefe, vor allem an seinen
                                            Freimaurerlogenbruder Michael Puchberg: »Gott! Ich bin in einer Lage, die ich meinem ärgsten
                                            Feinde nicht wünsche.« Bei seiner Rückkehr erkrankt seine Frau, Mozart leistet sich einen für ihn
                                            eigentlich nicht bezahlbaren Prominentenarzt, der Constanze eine teure Kur verschreibt, Mozart
                                            macht immer mehr Schulden, und selbst seine Konzerte wollen die Wiener nicht mehr sehen: Er
                                            macht zwei Wochen lang intensiv Werbung, doch es gibt gerade einen einzigen Kartenkäufer in
                                            ganz Wien, während fünf Jahre vorher noch 176 Personen seine Konzerte subskribiert hatten.
                                            Mozart ist broken, down and out. Nur eine einzige Komposition trägt er im Juni 1789 in sein
                                            Werkverzeichnis ein: »Ein Quartett für 2 violin, viola et violoncello. Für Seine Mayestätt dem
                                            könig in Preussen«, das Streichquartett in D-Dur KV 575 also, das er wegen einer sehr vagen
                                            Ho nung auf nachträgliche Entlohnung dem Preußenkönig gewidmet hat.

                                            Unter der Oberfläche
                                            Doch was macht Mozart in seiner verzweifelten Lage? Was ist das für ein Stück, das er da
                                            komponiert? »Mozart hat in seinem Leben nie mehr als zehn Minuten Zeit gehabt, um darüber
                                            nachzudenken, wie schlecht alles ist«, war Hans Werner Henze überzeugt. Das gilt sicher nicht
                                            für Mozarts Geldsorgen, wohl aber für seine Kompositionsweise. Es wäre eine »romantisierende
                                            Vorstellung« (Georg Knepler), wenn man erwartet, dass Mozart inmitten all der Trostlosigkeit
                                            seines Daseins ein trauriges Stück komponieren müsse. Nein, dieses Streichquartett ist, der
                                            persönlichen Lage zum Trotz, gesanglich, lyrisch, positiv gestimmt, ohne allzu starke
                                            Gefühlsausbrüche: drei Sätze »Allegretto«, Kopfsatz und Finale sogar im Alla-breve-Takt, also
                                            praktisch doppelt so schnell. Das Hauptthema des ersten Satzes ist ein leise aufsteigender
                                            Dreiklang, gefolgt von ruhig absinkenden Terzen, und im abschließenden vierten Satz
                                            verwendet Mozart diese Dreiklänge rhythmisch verkleinert erneut. Der langsame Satz ist eine in
                                            den Dreiertakt übertragene Variante seines populären Liedes »Das Veilchen«, das einen
                                            konzertierenden Dialog zwischen erster Violine und Cello einrahmt. Understatement pur.

                                            Alles in bester Ordnung also beim verzweifelten Komponisten? Gemach. Wie so häufig bei
                                            Mozart finden sich Anzeichen der Melancholie, des dissonanten Nichteinverstandenseins mit der
                                            Welt unter der Oberfläche der Heiterkeit. Schon im Kopfsatz gibt es erste chromatische
                                            Hinweise, dass möglicherweise etwas nicht stimmen könnte, erst recht in der Durchführung mit
                                            seinen wild durch die Tonarten geführten Harmonien; und immer wieder hören wir die
                                            typischen synkopierten Takte – freilich, die Synkopen und Dissonanzen werden auch rasch
                                            wieder aufgelöst: »Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist
                                            mitten im Streit, und alles Getrennte findet sich wieder«, so endet Hölderlins »Hyperion«.
                                                                                                                                  Foto: imago images/KHARBINE-TAPABOR

                                                Kompositionen aus besseren Tagen: Seiten aus Mozarts Notizbuch von 1784/85

                                            Ein Abgrund
                                            So auch im Mittelteil des Menuetts, das viel eher ein zu einer Sonatenform erweiterter
                                            »Deutscher Tanz«, also eine Vorform des Wiener Walzers ist (Mozart hat im nämlichen Jahr 1789
                                            zahlreiche »Teutsche Tänze« für die Faschingsbälle in den Wiener Redoutensälen geschrieben).
                                            Da sind Stolperer eingebaut, indem unbetonte Taktteile betont und plötzlich zwei Takte lang
                                            quasi ein Zweiertakt herrscht, ehe aufgelöste Septakkorde durch die Stimmen wandern und
                                            zum ursprünglichen Tanz zurückführen. Und im weit über die gebräuchliche Rondoform
                                            hinausgehenden Finale wieder das ungehemmte Modulieren des Themas quer durch
                                            verschiedenste Tonarten mit Moll-Einschüben, Septakkorden und allerlei Trugschlüssen: »Kaum
                                            fühlen wir uns auf sicherem Terrain, tut sich ein Abgrund auf«, charakterisiert Eva Gesine Baur
                                            Mozarts Musik und spricht von »ungestillter Sehnsucht«, der Dirigent Daniel Harding erwähnt

https://www.jungewelt.de/artikel/389045.da-stimmt-doch-etwas-nicht.html                                                                                                 2/5
PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
26.10.2020                                                                24.10.2020: Da stimmt doch etwas nicht! (Tageszeitung junge Welt)

                                            »dieses Ruhelose«, E. T. A. Ho mann konstatiert: »In die Tiefen des Geisterreiches führt uns
                                            Mozart.« Den heiteren Schluss lässt Mozart immer erst zu, wenn er »die Tiefen des Ernstes und
                                            der Tragik durchmessen hat« (Knepler) – und dann ist solch ein Schluss eben nicht mehr wirklich
                                            heiter. Die Hörerinnen und Hörer spüren: Da stimmt doch etwas nicht! Und genau so ist es. Der
                                            heitere Mozart weiß ja um seine prekäre Lage, er weiß um die Pandemie, die sich von Belgrad
                                            nach Wien ausbreitet, und ebenso ahnt er, dass gerade eine überlebte Gesellscha sordnung zu
                                            Grabe getragen wird – Mozart hat sich nachweislich für die Aufklärung eingesetzt: »Bist du ein
                                            armer Dummkopf – so werde K[lerike]r. Bist du ein reicher Dummkopf, so werde ein Pächter. Bist
                                            du ein adeliger, aber armer Dummkopf – so werde, was du kannst, für Brot. Bist du aber ein
                                            reicher, adeliger Dummkopf, so werde, was du willst; nur kein Mann vom Verstande – das bitte
                                            ich mir aus«, lautete der Text auf einem selbstverfassten Flugblatt, das Mozart 1785 auf einem
                                            Maskenball verteilte. Zu der tragischen Ambivalenz, zum tragischen Widerspruch in Mozarts
                                            Persönlichkeit gehört sicher auch, dass er als selbständiger, mit der Französischen Revolution
                                            sympathisierender Musiker gleichzeitig just auf den Adel, für den die Lage gerade
                                            ausgesprochen brenzlig wird, als Au raggeber angewiesen ist.

                                            Es muss sein!
                                            Das Chiaroscuro Quartet musiziert dieses Mozart-Quartett aktuell geradezu vorbildlich. Dass der
                                            Nukleus des Ensembles wohl aus Alina Ibragimova als Primaria und der Cellistin Claire Thirion
                                            bestehen dür e, kommt dem Stück mit seinen Cello-Kantilenen und den Dialogen gerade auch
                                            zwischen diesen beiden Instrumenten ebenso entgegen wie die Tatsache, dass die Musikerinnen
                                            und Musiker mit Darmsaiten und historischen Bögen spielen – so treten die Details deutlicher
                                            hervor, während der Klang fast etwas gedämp , jedenfalls ausgesprochen samtig erscheint und
                                            zu intensiverem Zuhören einlädt. Lebendiger und unmittelbarer kann man Streichquartette
                                            kaum interpretieren, beim Chiaroscuro Quartet erleben wir ganz große, faszinierende
                                            Kammermusikkunst.

                                            Ob sie das Programm ihres Berliner Gastspiels am 11. Oktober bewusst entlang des Motivs der
                                            Melancholie zusammengestellt haben? Zu Beginn gelangten drei der neun »Vierstimmigen
                                            Fantasien für 3 bis 7 Violen da Gamba« von Henry Purcell zur Au ührung, die man nur selten im
                                            Konzertsaal erleben kann, und wenn, dann eher von Gambenconsorts wie dem von Jordi Savall
                                            denn von einem Streichquartett. Das ist äußerst schade, denn mit diesen Fantasien legte das
                                            Chairoscuro Quartet einen Grundton für sein Gastspiel: Jede setzt sich aus mehreren kurzen,
                                            meist zwischen ruhigeren und bewegten Abschnitten wechselnden Teilen zusammen, die
                                            teilweise abrupt enden. Eine Art melancholischer Polyphonie, so ungewohnt wie berückend. In
                                            Beethovens Streichquartett B-Dur op. 18 Nr. 6 mit seinem mozartischen ersten Satz trägt der
                                            letzte Satz gar den Titel »La Malinconia«. Die hatte im 18. Jahrhundert nicht mehr unmittelbar
                                            eine negative oder gar krankha e Bedeutung, sondern wurde ausdrücklich auch als »edel«
                                            begri en wie bei Kant, den Beethoven immer wieder las: »Schwermütige Entfernung von dem
                                            Geräusche der Welt aus einem rechtmäßigen Überdrusse ist edel.« Schon im zweiten Satz,
                                            einem zauberha en Adagio ma non troppo, hören wir in der Interpretation des Chiaroscuro
                                            Quartets zur Melodie des Liedes schro e, scharf punktierte Kontraste, »queste note ben
                                            marcate«, in den beiden tieferen Instrumenten; die Variationen finden in den Nebenstimmen
                                            statt. Auch hier wilde harmonische Verwicklungen: Das Thema steht in Es-Dur, der Mittelteil im
                                            davon denkbar weit entfernten es-moll, in der Coda dann unvermittelt C-Dur, ehe der Satz
                                            wieder in Es-Dur endet. Im letzten Satz dann die Dialektik von Schwermut und Heiterkeit, von
                                            Angewidertsein und Überdruss angesichts der »Geräusche der Welt«, das nur durch abgewandte
                                            Traurigkeit aushaltbar scheint – wer würde derartige Gefühle nicht kennen, zu Beethovens Zeit
                                            wie heute? Und dann wiederum das Weltzugewandte, Heitere, das Sicheinlassen auf die
                                            Weltläufe, erst aushaltbar geworden durch die stille Einkehr in ein melancholisches
                                            Grundgefühl. Doch die Heiterkeit immer wieder unterbrochen durch stilles, nachdenkliches
                                            Innehalten, durch Adagio-Rückbesinnungen – bis wir zuletzt einen »Muss es sein?«-Moment
                                            erleben, der auf Beethovens letztes Werk, das Streichquartett op. 135, hinzuweisen scheint. Das
                                            Chiaroroscuro Quartet und vor allem die voranstürmende Alina Ibragimova beantworten diese
                                            letzte Beethoven-Frage mit einem aberwitzigen Prestissimo-Kehraus: Jajaja, wir haben
                                            verstanden, es muss sein! Keine Frage …

                                            Zielloses Sichsehnen
                                            Zum Abschluss dieses faszinierenden Konzerts Mendelssohn Bartholdy, das Streichquartett Es-
                                            Dur op. 12, das reife Werk eines Zwanzigjährigen. Es beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die
                                            den Charakter des gesamten Werks vorgibt: Der erste Satz mit seinem kantablen Allegro bleibt
                                            lyrisch wie bei Mozart, und wie dieser führt auch Mendelssohn neues thematisches Material in

https://www.jungewelt.de/artikel/389045.da-stimmt-doch-etwas-nicht.html                                                                       3/5
PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
26.10.2020                                                                24.10.2020: Da stimmt doch etwas nicht! (Tageszeitung junge Welt)

                                            der Durchführung ein. Es folgt eine zauberha e, wehmütig-tänzerische Canzonetta, einer der
                                            schönsten Streichquartettsätze überhaupt. Ein knapper langsamer Satz und ein kunstvoll
                                            gebautes Finale, in dem sich Themen auf jene des ersten Satzes beziehen – es geht Mendelssohn
                                            – wie Mozart, wie Beethoven – um satzübergreifende Einheiten: »die Beziehung aller 4 oder 3
                                            oder 2 oder 1 Stücken einer Sonate auf die anderen und die Theile, so dass man durch das bloße
                                            Anfangen durch die ganze Existenz so eines Stückes schon das Geheimnis weiß …« Alles hängt
                                            mit allem zusammen: die verschiedenen Sätze eines Streichquartetts, die verschiedenen
                                            Streichquartette der Komponisten, die Stimmungsbilder. Nur selten gibt es derart kunstvoll
                                            zusammengestellte und ineinander verwobene Konzertprogramme. Und natürlich ist auch
                                            Mendelssohn ein Meister der Melancholie, das gesamte Werk auch ein Werk der Sehnsucht.

                                            Zur Melancholie gehört eben auch »das ziellose Sichsehnen« (Laszlo F. Földenyi), also »dieser
                                            unglückselige Hang zu allen Orten, wo ich nicht bin, und allen Dingen, die ich nicht habe«
                                            (Walter Benjamin). Vermutlich kann man die Orte und die Dinge auch um persönliche und
                                            gesellscha liche Zustände ergänzen, die wir (noch) nicht haben, nach denen wir uns aber
                                            sehnen: nicht zuletzt auch eine andere, eine bessere, eine gerechtere Welt. Gedanken und
                                            Seelenzustände während einer Pandemie, im Brennglas fokussiert durch das hervorragende
                                            Chiaroscuro Quartet. Ein Erlebnis besonderer Tiefe!

          Mehr aus: Wochenendbeilage

https://www.jungewelt.de/artikel/389045.da-stimmt-doch-etwas-nicht.html                                                                       4/5
PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
Internet
Quelle:    Kultura extra vom 23.10.2020 (Internet-Publikation, Berlin)
                                                                                                                                                              .K. "1...ILT-UR.A
                                                    AÄW:                              3€
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                    Schwelgereien
                                                                                                       Täuscht mich die Wahrnehmung, oder steht Schuberts Un­
                                                                                                       vollendete seltener auf den Konzertprogrammen als noch
                                                                                                       vor einigen Jahren? Falls das zutrifft - könnte es daran lie­
                                                                                                       gen, dass eine Ermüdung eingetreten ist gegenüber einem
                                                                                                       Werk, dessen Hauptthemen jeder im Ohr hatte, dass es
                                                                                                       durch seine ständige Präsenz „ausgeleiert" wurde? Wie
                                                                                                       dem auch sei: Es gibt in der gesamten Kompositionsge­
                                                                                                       schichte kaum eine zweite Symphonie, von der eine solche
                                                                                                       Magie ausgeht, von den musikalischen Einfällen ebenso
                                                                                                       wie von deren Verarbeitung, der zu folgen es keines musik­
                                                                                                       wissenschaftlichen Studiums bedarf. Ob man Schubert der
                                                                                                       Romantik zuordnen soll oder der Klassik, wie Bernd Wladi­
                                                            •,1/, ;_ 1 ·I •. .-.1·,_ .\ 1:1,_ ·l       ka im Beiheft der orliegenden DVD fordert, und zwar aus­
                                                           l"i •. r-� 1 ; t ;, II 1 •1 ,, 1 •1 �.1
                                       ', ] t .', ·, 1 !I �,   1 ', :,, 1 ,   · l: '. 11 t ·, !I ...
                                                                                                       drücklich nicht als „Elitebegriff", sondern als „Epochen- und
                                                                                                       Stilbegriff", ist unter Fachleuten umstritten. Was da oft wer­
                                                           SCHUBERT'                                   tend mit ideologischem Ballast daher kommt, ist letzten En­
                                            TC HAI KOVSKY                                              des doch wohl nur ein Streit um Worte.

                                                            Das West-Eastern Divan Orchestra machte Schlagzeilen
                                                            vor allem wegen der politischen Botschaft, die Daniel Ba­
                    renboim und Edward Said mit seiner Gründung aussenden wollten, dem friedlichen Zusammen­
                    spiel von Arabern und Juden in einer unfriedlichen Welt. Aber es hat sich mittlerweile zu einem
                    erstklassigen Klangkörper entwickelt, der nicht umsonst regelmäßig bei den Salzburger Festspielen
                    auftritt, wo die DVD aufgenommen wurde. Diesen Geist friedlicher Harmonie atmet auch Schuberts
                    h-Moll-Symphonie, deren zwei Sätze mehr Intensität und Bewegung enthalten als die vier Sätze
                    mancher anderer Symphonie. Barenboim betont ihren lyrischen Charakter zum Weinen schön.
                    Auch in Tschaikowskis 1. Klavierkonzert dämpft Barenboim die oft akzentuierten dramatischen As­
                    pekte zugunsten des sanghaft Lyrischen. Mit der Unvollendeten gemeinsam hat dieses Klavierkon­
                    zert außer seiner Popularität den Reichtum an einprägsamen Themen, das Schwelgerische von,
                    wie wir heute sagen mögen, ,,filmischen" Melodien. Am Klavier sitzt Martha Argerich. Wenn ich
                    diese ungemein sympathische Pianistin im Konzertsaal bestaune, bekomme ich immer nur ihren
                    ausladenden Haarschopf zu sehen. Die DVD zeigt ihr Gesicht, dem man ablesen kann, wie sie die
                    Musik nicht nur mit den Fingern beherrscht, sondern in ihr aufgeht, mit konzentriertem Blick und
                    vibrierenden Lippen. Sie macht das hundert Mal gehörte Werk zu einem Erlebnis. Mit den jungen
                    Musikern im Orchester teilt sie die bestechende Ernsthaftigkeit, die wohltuend kontrastiert zu einer
                    penetranten Spaß-Gesellschaft, die zu beweisen gewillt ist, dass man sich selbst immer noch un­
                    terbieten kann.
                    Als Zugabe: ein Gipfeltreffen an den Tasten. Nicht der vergebliche Versuch, die Üppigkeit von
                    Tschaikowskis Klavierkonzert oder auch von Schuberts Unvollendeter zu übertreffen, sondern ein
                    schlichter Dialog wie zwischen Verliebten. Martha Argerich und Daniel Barenboim spielen Schub­
                    erts Rondo in A-Dur für Klavier vierhändig. Standing ovations. Zu Recht. Warum uns die DVD das
                    Konzert für Orchester von Witold Lutostawski vorenthält, das das Konzert in Salzburg abschloss,
                    bleibt ein Geheimnis. Fehlt ihm der Ohrwurm?

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PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
26.10.2020                                        https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471837/26-27

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        In Bayern protestieren die Intendanten
        Ab einem Wert von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben
        Tagen springt die Corona-Ampel in Bayern neuerdings auf „dunkelrot“. Dann sind
        Veranstaltungen aller Art auf maximal 50 Teilnehmer begrenzt. Ausnahmen gelten
        lediglich für Gottesdienste und Demonstrationen, nicht aber für Theater. Dagegen
        wehren sich jetzt Intendanten bayerischer Bühnen und fordern eine Differenzierung
        bei den Corona-Maßnahmen. Sie verlangen von Ministerpräsident Markus Söder in
        einem offenen Brief, verschärfte Auflagen für Theater zurückzunehmen. „Bisher hat es
        keine nachweisliche Infektion durch einen Theaterbesuch gegeben“, heißt es in dem
        Brief vom Freitag, den unter anderen der Intendant der Bayerischen Staatsoper,
        Nikolaus Bachler, Kammerspiel- Chefin Barbara Mundel und die Intendanten der
        Staatstheater in Nürnberg und Augsburg, Jens Daniel Herzog und André Bücker,
        unterschrieben haben. „Darum insistieren wir, auch bei einem hohen Inzidenzwert
        unseren Spielbetrieb aufrecht erhalten zu dürfen.“ In Bayer sind je nach Saal-Größe
        ohnehin nur 200 beziehungsweise 500 Zuschauern erlaubt. dpa

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PRESS REVIEW Monday, October 26, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
26.10.2020                                                                 Berliner Morgenpost

             KULTUR                                                                                   SEITE 24 | SONNTAG 25. OKTOBER 2020

             Konzert-Kritik

             Dichter Klang von beträchtlicher Sogwirkung
             Daniel Barenboim und die Philharmoniker spielen Smetana

             Felix Stephan
             Es tut sich was bei den Philharmonikern: nur noch ein Meter Corona-
             Abstand zwischen den Streichern, anderthalb zwischen den Bläsern.
             Unter Daniel Barenboim rücken die Musiker erstmals seit Saisonbeginn
             wieder dichter zusammen. Aber hört man das auch? Eindeutig ja – nicht
             nur am präziseren Zusammenspiel, nicht nur an der ausgewogeneren
             Balance. Es ist auch jener Klang möglich, den Barenboim so sehr
             schätzt und jetzt für Bedřich Smetanas „Mein Vaterland“ von den
             Philharmonikern fordert: einen dichten, geschlossenen Klang von
             beträchtlicher Sogwirkung.
             Wobei diese Sogwirkung zunächst auf sich warten lässt. Denn weder
             Barenboim noch die Philharmoniker sind Smetana-Spezialisten. Sie
             brauchen etwa 20 Minuten, um sich warmzuspielen. Doch der
             schwerfällige Beginn hat auch seine Vorteile: Der Zuhörer kann sich
             zurücklehnen und seine Gedanken kreisen lassen. Um den
             tschechischen Komponisten Smetana und dessen sechs sinfonische
             „Vaterland“-Dichtungen, um Barenboim und die Philharmoniker. Erst
             vor vier Jahren hat Barenboim „Mein Vaterland“ von Smetana in sein
             aktives Repertoire aufgenommen.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/734/articles/1233877/24/1                                         1/2
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             Das Werk gilt in Tschechien als Nationalheiligtum. Weil es dem
             böhmischen Volk ein patriotisches Denkmal setzt, prall gefüllt mit
             seiner Geschichte und seinen Mythen, seinen Menschen und
             Landschaften. Da ist natürlich die „Moldau“ an zweiter Stelle, jenes
             berühmte Porträt des tschechischen Flusses. Und da ist „Aus Böhmens
             Hain und Flur“ an vierter Stelle, eine majestätische, zuweilen
             geheimnisvolle Huldigung an Volk und Heimat. Barenboim setzt in
             beiden Fällen auf Kraft und Energie, auf langen Atem und prachtvolle
             Schönheiten. Was dagegen fehlt, ist Ruhe und Gelassenheit. Und vor
             allem das Tänzerische – immerhin ein zentraler Aspekt in Smetanas
             „Vaterland“-Zyklus. Sobald eine Polka kommt, werden die Waden der
             Philharmoniker dick, ihre Gesäße breit. Doch dort, wo es um Spannung
             und Dramatik geht, laufen die Musiker zu Hochform auf: sehr
             überzeugend der blutige Rachefeldzug der Amazone Šárka im dritten
             Satz. Eine Musik, die Barenboim bis zur Hysterie steigert.
             Glaubwürdigkeitsprobleme haben die Philharmoniker wiederum in den
             beiden Schlusssätzen „Tábor“ und „Blaník“. Denn Barenboim bleibt
             hier stets im Angriffsmodus – egal ob bei Friedensglück oder Hussiten-
             Kampf, ob bei Schäfer-Idylle oder triumphalem Siegesgesang.

             Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2020 - Alle Rechte vorbehalten.

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                      Berliner Philharmoniker

                      Barenboim dirigiert Smetana lieber ohne
                      Patriotismus

                      Die Berliner Philharmoniker führen Smetanas „Má vlast“
                      (Mein Vaterland), das Nationalstück der Tschechen, unter der
                      Leitung von Daniel Barenboim auf.

                      23.10.2020 - 13:50, Clemens Haustein

Daniel Barenboim, hier im November 2019

Foto: Tantussi/AFP

                       Berlin - Die Berliner Philharmoniker rücken näher zusammen. Die

                       Streicher spielen wieder zu zweien von einem Pult, die Bläser kommen

                       sich ebenfalls einen halben Meter näher. Die Belüftungsanlage des

                       großen Saales habe sich als so leistungsstark erwiesen, heißt es, dass

                       Betriebsarzt und Berufsunfallversicherung die Neuerung für vertretbar

                       halten. Im August waren sie von Wissenschaftlern der Charité

                       vorgeschlagen worden. Zwei Corona-Tests pro Woche für die

                       Orchestermitglieder kommen hinzu, bislang war es ein Test pro Woche.
Der Zeitpunkt für die Neuerung mag überraschen, wenn rundherum die
Infektionszahlen steigen. Man begreift die Maßnahme wohl besser als
bewusste Übung in Gelassenheit. Und als Korrektur eines eher
übervorsichtigen Hygienekonzepts. Ab 1. November soll in der
Philharmonie auch das Publikum weiter zusammenrücken, dann wird zur
Sitzordnung im Schachbrettmuster übergegangen, samt Maskenpflicht
auch während des Konzertes.

Dass sich für das Zusammenspiel der Musiker eklatant etwas geändert
hätte durch die 50 Zentimeter, lässt sich kaum sagen. Die
Philharmoniker schlugen sich davor schon exzellent, dass man die
aufgefächerte Sitzordnung kaum verdammen wollte. Ganz im Gegenteil:
Unter Daniel Barenboim, der am Donnerstagabend als erster Dirigent
auf die neue Nähe zurückgreifen durfte, spielt das Orchester so ungenau
zusammen wie lange nicht.

Weniger flexible Philharmoniker

Zumindest in den beiden ersten Teilen von Bedřich Smetanas großer
Tondichtung „Má vlast“, die mit allen sechs Teilen zur Aufführung kam.
Die Ungenauigkeiten haben viel zu tun mit künstlerischen Freiheiten, die
sich Barenboim nimmt, und mit seiner Erwartung, ein flexibles, im
Handumdrehen reagierendes Orchester vor sich zu haben. Bei seinem
eigenen Ensemble, der im Operndienst auf Gelenkigkeit getrimmten
Staatskapelle, mag Barenboim auf extreme Reaktionsschnelligkeit
vertrauen können. Bei den Philharmonikern nicht so ganz.

Wenn er im ersten Stück „Vyšehrad“ nach der rhapsodisch verweilenden
Einleitung plötzlich das Tempo anzieht, als die ersten Geigen die
Melodieführung übernehmen, da braucht es hier ein paar Takte, bis sich
das Chaos geklärt hat. Andere Unschärfen lassen sich auf eine betont
passive Haltung des Dirigenten zurückführen. In der „Moldau“ etwa,
dem bekanntesten Stück des Zyklus, vertraut Barenboim auf das, was die
Musiker selbst anzubieten haben. Die wiederum lassen sich eher von der
distanzierten Haltung des Dirigenten anstecken.
Ein Patriotismus, der sich öffnet

Ungeklärt bleibt, was mit einem Stück anzufangen sei, das in
Tschechien den Rang eines nationalen Heiligtums einnimmt, das ohne
den Versuch, sich in den Patriotismus einzufühlen, aber blass bleibt.
Dabei ist Smetanas Musik auch im Triangel- und Becken-Triumph noch
so unverfänglich, dass man sich ihr bequem hingeben kann, ohne den
Vorwurf politischer Unkorrektheit zu riskieren.

Die Musik von „Má vlast“ („Mein Vaterland“) jedenfalls zeigt einen
Nationalismus, dem die Liebe nicht abhandengekommen ist; der anders
als bei Wagner im dritten Akt der „Meistersinger“ keine Panzerung nach
außen vorführt, sondern sich in der melancholischen Grundhaltung
seiner Musik nach außen hin öffnet. Das ließe sich als Beispiel
aufführen für einen Patriotismus, der niemanden ausgrenzt.
Barenboim hingegen konzentriert sich auf die musikalische Sprache. Mit
dünnem Ergebnis in den ersten Teilen, zunehmend stärker, wenn das
opernhaft theatralische Moment zunimmt: in der Düsterkeit, mit der in
„Tábor“ die Geschichte der Hussiten behandelt wird, schließlich in
„Blaník“ mit seinem Wechsel zwischen Tanz und choralhaftem Ernst.
Es bleibt aber bei einer Aufführung, die verdeutlicht, dass Smetana ein
Fall für Spezialisten ist. Meist kommen sie aus Tschechien.
Hamburger Abendblatt vom 24.10.2020

Seite:                 25                                         Jahrgang:       2020
Ressort:               Kultur                                     Nummer:         0
Ausgabe:               Hauptausgabe                               Auflage:        81.552 (gedruckt) ¹ 80.146 (verkauft) ¹
                                                                                  81.274 (verbreitet) ¹
Mediengattung: Tageszeitung                                       Reichweite:     0,249 (in Mio.) ²
¹ von PMG gewichtet 07/2020
² von PMG gewichtet 07/2020

Barenboim und seine Staatskapelle in der Elbphilharmonie
 Hamburg Eigentlich wollte die Staats-          mit den Philharmonikern und deren        philharmonie Beethovens „Leonore“-
kapelle Berlin mit ihrem Generalmusik-          Chef Kirill Petrenko teilt. Die können   Ouvertüre Nr. 3 und dessen „Pastorale“.
direktor Daniel Barenboim im Novem-             nicht in die USA auf Tournee, dafür      Der Vorverkauf für die Barenboim-Kon-
ber mit einem Beethoven-Zyklus drei             aber am 11. November nach Hamburg        zerte – um 17.30 und 20 Uhr – beginnt
Wochen lang unterwegs und in Paris,             kommen. Für die Staatskapelle wird es    am 27. Oktober, 11 Uhr. Infos:
Athen und Wien sein. Diese Pläne sind           nun ein einziges Auswärts-Spiel in       www.elbphilharmonie.de jomi
nun coronabedingt Makulatur; ein                Hamburg geben: Am 22. November
Schicksal, das dieses Berliner Orchester        dirigiert Daniel Barenboim in der Elb-

Wörter:                               116
Ort:                                  Hamburg

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26.10.2020                                        https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471837/28-29

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        Jetzt hilft nur noch Heiterkeit
        Ein Italien-Abend der Akademie für Alte Musik

        Noch sind sie da, trotz der Krise. Die Akademie für Alte Musik hat im Sommer
        Frischluftkonzerte gegeben und ist in der Kirche und der Villa Elisabeth aufgetreten,
        mithilfe von Fördergeldern des Bundes. Nun stehen 20 Ensemble-Mitglieder erstmals
        wieder in einem großen Saal auf der Bühne, im Berliner Konzerthaus. Konzertmeister
        Bernhard Forck freut sich über die im Schachbrettmuster platzierten, zahlreich
        erschienenen Besucher. Über 90 Prozent ihres Etats muss die Akademie selber
        erwirtschaften, bei empfindlichen Einbußen wird es wegen der pandemiebedingt
        reduzierten Ticketverkäufe wohl weiterhin bleiben.

        Vielleicht hilft Heiterkeit da wirklich am besten. Der junge Mozart in Italien, frühe
        Symphonien und ein Divertimento aus dieser Zeit, außerdem Werke seiner
        italienischen Bekanntschaften, des Mailänder Kapellmeisters Sammartini und seines
        Bologneser Kontrapunktlehrers Martini: Bei seiner ersten Reise gen Süden in
        Begleitung des Vaters war Mozart gerade mal 14.

        Der Abend versammelt Unterhaltungsmusik vom Feinsten, beschwingte Werke,
        Aufmunterungen zum Tanz - und so mancher Besucherfuß wippt dabei verstohlen im
        Takt.

        Der größere Abstand zwischen den Musikern erhöht noch den Eindruck des Luftigen
        und einer Lockerheit, die wie immer bei der auf historische Aufführungspraxis
        spezialisierten Akademie aus verblüffender Präzision resultiert. Wie sie gleich in
        Mozarts G-Dur-Symphonie KV 74 Spannungsbögen auf- und wieder abbauen oder
        Schlusswendungen abfedern - so einmütig ist Heiterkeit selten.

        Gemälde aus den 1770er Jahren zeigen den pubertierenden Mozart mit steifem
        Lächeln, in Perücke und Rüschen. Auf der Reise mit seinem Vater hat er gewiss
        allerorten die Etikette befolgen, hofknicksen und liebedienern müssen. Die
        Leichtfüßigkeit der Orchesterstücke ist da ein schönes Paradox. Sie findet sich in der
        Kantabilität der Themen genauso wie in der freudig pochenden Ungeduld des D-Dur-
        Divertimentos oder in dessen verspielt fugierten Passagen. Selbst die ungleich
        expressivere, mit Jagdhörnern auftrumpfende F-Dur-Sinfonia von Padre Martini gehen

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        die Musikerinnen und Musiker mit sanfter Manier an, setzen elegante Affekte und
        seufzende Synkopen vor markige Unisono-Schlüsse.

        Als Mozart dann in Salzburg die A-Dur-Symphonie KV 201 zu Ende schrieb, war er
        schon 18. Die Heiterkeit wird raffinierter, ist mit koketten Vorhalten, Ausfallschritten,
        virtuosen Läufen und gewittrigen Tremoli versetzt. Und mit Klangfarben. Das Werk
        hebt ja schon im Piano an, der duftig-gedämpfte Streicherklang im Andante betört
        noch mehr. Bogenstriche wie Luftstreichler, man fühlt sich umarmt. Christiane Peitz

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26.10.2020                                                  "Mazeppa" am Staatstheater Cottbus | Inforadio

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Mo 26.10.2020 | 07:55 | Kultur
"Mazeppa" am Staatstheater Cottbus
Das Staatstheater Cottbus zeigt die Oper "Mazeppa" von Piotr Tschaikowski nach einem Gedicht von
Alexander Puschkin. Ein ukrainischer Oberbefehlshaber plant darin eine Verschwörung gegen den Zaren. Sylvia
Belka-Lorenz berichtet von der Premiere.

Stand vom 26.10.2020

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https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/202010/26/cottbus-mazeppa-premiere-tschaikowski-puschkin-russisch.html   1/1
KONZERT | Beitrag vom 25.10.2020

Daniil Trifonov bei der Tschechischen Philharmonie

Jubiläum mit Dvořák und
Schostakowitsch
Moderation: Volker Michael

 Beitrag hören

Daniil Trifonov spielt, Semyon Bychkov dirigiert die Tschechische Philharmonie am 23.9.20 im
Prager Rudolfinum (Petra Hajská/EBU/CR)

Der 100. Geburtstag des Dirigenten Václav Neumann und Saisonauftakt –
Chefdirigent Semyon Bychkov hat zu diesem Anlass Antonín Dvořáks 8. Sinfonie
programmiert, Daniil Trifonov und Selina Ott spielten Schostakowitschs
Doppelkonzert.

Am 23. September war in Prag die Welt noch in Ordnung – es gab Konzerte und die
Menschen durften Musik hören. Schon Tage später sieht es in der tschechischen
Hauptstadt ganz anders aus. Hoffen wir, dass es dort schnell wieder besser wird.

Die offizielle Saisoneröffnung der Tschechischen Philharmonie fand unter Leitung
ihres Chefdirigenten Semyon Bychkov statt. Und sie sollte an jenem Tag an einen
großen tschechischen Dirigenten erinnern, der am 29. September 100 Jahre alt
geworden wäre - Václav Neumann sein Name, auch deutschen Musikfreundinnen und
-freunden vielleicht noch ein Begriff. Wir erinnern an ihn mit Ausschnitten aus einem
langen Interview, das Klaus Geitel 1984 im Sender RIAS Berlin mit Václav Neumann
geführt hat.

Daniil Trifonov und Selina Ott spielen, Semyon Bychkov dirigiert die Tschechische Philharmonie am
23.9.20 im Prager Rudolfinum (Petra Hajská/EBU/CR)

Ursprünglich stand für dieses festliche Konzert die fünfte Sinfonie Gustav Mahlers auf
dem Programm – denn Neumann galt auch als großer Mahler-Interpret. Doch
Chefdirigent Semyon Bychkov und das Orchester waren übereingekommen, die Zahl
der Mitwirkenden zu reduzieren, um die Abstandsvorschriften einhalten zu können.
Deshalb gab es im Dvořák-Saal des Prager Rudolfinums die achte Sinfonie des
Namensgebers statt der fünften Mahlers.

Neobarockes Doppelkonzert

Die Sinfonie ist auch nicht klein besetzt, unter Berliner Pandemieregeln zum Beispiel
wäre sie jetzt im Oktober nicht aufführbar. Aber in Prag war das Ende September
noch möglich. Vor der großartigen Sinfonie Antonín Dvořáks stand aber noch ein eher
bescheiden bestücktes Solokonzert, nämlich das für Klavier, Trompete und Streicher
von Dmitrij Schostakowitsch – mit zwei hervorragenden Solisten – dem russischen
Pianisten Daniil Trifonov und der österreichischen Trompeterin Selina Ott. Sie hat als
erste Frau in ihrem Fach vor zwei Jahren den ARD-Musikwettbewerb gewonnen. Da
war sie 20 Jahre alt. Nicht viel älter war Schostakowitsch, als er dieses Werk
komponierte, 27 Jahre nämlich, und 1933 war auch für ihn die Welt noch halbwegs in
Ordnung, oder noch nicht so bedrohlich eingefärbt wie nach den Angriffen des
Stalin-Systems auf ihn drei Jahre später.

Zirkus und Beethoven

Schostakowitsch liebte den Zirkus, den Sarkasmus und die alten Formen. All das wird
in diesem Doppelkonzert spürbar. Neobarock könnte man dieses Konzert nennen, von
der Form her und von der Art des Zusammenspiels von Soli und Tutti. Der Komponist
imitiert nicht nur die überlieferten Form-Modelle von Sonatenhauptsatz, Lied, kurzem
Intermezzo und vereinfachter Sonatenform. Er zitiert auch ausführlich sich selbst,
was nicht so leicht zu erkennen ist, und große Vorbilder wie Beethoven, Grieg und
Mahler, was ebensowenig zu erkennen ist. Schostakowitsch arbeitet dabei nie
plakativ, sondern durchläuft einen stark subjektiven Katalysator.

Semyon Bychkov dirigiert die Tschechische Philharmonie am 23.9.20 im Prager Rudolfinum (Petra
Hajská/EBU/CR)

Die achte Sinfonie Antonín Dvořáks ist ein wundervolles Werk, das in schwerer Zeit
viel Trost spenden kann. Sie hat den Ruf, besonders leicht und optimistisch zu sein,
nach seiner schwierigen Siebten Sinfonie und vor der gewichtigen und allseits
gespielten Neunten „Aus der Neuen Welt“. Aber so leicht ist sie dann doch nicht – die
achte Sinfonie. Sie ist fast wie eine Tanzsuite gestaltet – und imponiert dennoch
durch Kontraste und Variationen von eindrücklichen Themen. Sie steckt so voller
Fantasie, dass jeder noch so routinierte Dirigent immer wieder neue Facetten
entdecken und herausarbeiten wird. In ihr scheinen klare Linien auf, die von Dvořák
direkt zu Janácek, Prokofjew und Strawinsky führen.
Dvořák-Saal des Rudolfinums, Prag
Aufzeichnung vom 23. September 2020

Dmitrij Schostakowitsch
Konzert für Klavier, Trompete und Streicher c-Moll op. 35

Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88

Daniil Trifonov, Klavier
Selina Ott, Trompete
Tschechische Philharmonie
Leitung: Semyon Bychkov

                                                            ungen

                                                            takt
                                                            Mauer
26.10.2020                                               https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465747/13

        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                           Montag, 26.10.2020

                                                   Gewagte Mischungen
        Endlich wieder live in der Oper des Covent Garden: Zwei Abende bündeln Altes und
        Neues unter dem Titel „New Dark Age“. Von Gina Thomas, London

        Im Jahr 2020 ist es plötzlich schwerer geworden, Oper zu machen.“ Synchron mit den ersten Noten
        der ersten von zwei Vorstellungen vor leibhaftigem Publikum, seitdem das Haus Mitte März den
        Betrieb einstellen musste, wurde das Understatement an der Londoner Covent-Garden-Oper unter
        raunendem Gelächter aus dem zu rund vierzig Prozent der Kapazität gefüllten Saal als Übertitel auf
        die Leinwand projiziert. Der Bedarf für Musikdrama sei jedoch größer denn je, fuhr die Erläuterung
        des Versuchs fort, an den vergangenen Wochenenden Werke aufzuführen, die verkörperten, „wer wir
        sind und wo wir uns jetzt befinden“. Den Äußerungen von Oliver Mears, dem seit 2017 amtierenden
        Operndirektor, ließe sich allerdings entnehmen, dass die zwei gewagten Mischprogramme, die er an
        aufeinanderfolgenden Samstagen zusammengestellt hat, eher dafür stehen, wer und wo das Haus
        sein wolle, wenn es sich von der Last der Tradition befreien könne und sich nicht, nach den Worten
        seines Geschäftsführers Alex Beard, „in der größten Krise unserer Geschichte“ befände.

        Die Notlage hat das königliche Opernhaus sogar veranlasst, durch den umstrittenen Verkauf eines
        Porträts, das David Hockney Anfang der siebziger Jahre von David Webster, einem von Beards
        Vorgängern, gemalt hat, Löcher zu stopfen. Bei der Versteigerung in der vergangenen Woche blieb
        der Erlös des seinerzeit durch Spenden der Mitarbeiter finanzierten Auftragswerkes mit 12,8 Millio-
        nen Pfund einschließlich des Aufgeldes allerdings hinter den erhofften achtzehn Millionen Pfund
        zurück. Ein Grund mehr, weshalb es mühsamer sein wird, die Maschinerie wieder vollständig in
        Gang zu bringen.

        Während ein kleiner Saal wie die Wigmore Hall sich mit vorbildlichem Elan durchbeißt, erschwert
        der Aufwand großen Institutionen, wie Covent Garden oder der Royal Albert Hall, die ohnedies
        unter den jetzigen Beschränkungen nicht mögliche Rückkehr ins Normalleben. In Britannien ist das
        Musikleben derart drastisch eingeschränkt worden, dass mehr als ein Drittel der Musiker, von denen
        viele als Freischaffende keine Pandemie-Unterstützung bekommen haben, erwägen, ihren Beruf an
        den Nagel zu hängen. Umso heftiger die Empörung über eine jüngst verbreitete und schnell wieder
        zurückgezogene Anzeige der Regierung, die nahelegte, dass junge Baletttänzerinnen – und dem
        Sinne nach alle darstellenden Künstler – ihre Träume aufgeben und auf Informationstechnik
        umschulen sollten. Von den zwei Comeback-Spektakeln und einigen Ballett-Potpourris abgesehen,
        wird sich Covent Garden vorerst mit konzertanten Opern und bezahlten Streams alter Aufführungen
        behelfen müssen.

        Die mit der Oper verbundene Kombination aus „Exzess und Dekadenz“ denn auch als unzeitgemäß
        bezeichnend, sieht Mears die „Destillation auf die Essenz dessen, was Oper ist“, als aufregende
        Chance. Gewiss wären die ausgewählten Werke in normalen Zeiten allenfalls auf der kleineren
        Studiobühne im Keller zur Aufführung gelangt. Außerdem bot die Beschränkung auf britische oder
        in Britannien lebende Darsteller Nachwuchstalenten des hausinternen Jette-Parker-Förderpro-
        gramms die Gelegenheit, unter der Regie namhafter Regisseure wie Deborah Warner und Katie
        Mitchell mit Sängern wie Christine Rice und Allan Clayton im Rampenlicht zu stehen. Eine Gelegen-

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        heit freilich auch, ein neues Publikum zu erschließen. Das Durchschnittsalter lag vor allem am zwei-
        ten Abend mit neuen Werken deutlich unter dem des üblichen Auditoriums.

        Für den ersten der Austeritäts-Abende hat Mears vier usprünglich nicht für die Oper bestimmte
        Werke etablierter Komponisten von vier britischen Regisseuren inszenieren lassen. Daher der Titel,
        4/4. Am zweiten Abend kamen vier zeitgenössische Komponistinnen zum Zuge, deren den Zeitgeist
        treffende Arbeiten unter dem Begriff „New Dark Age“ gebündelt wurden. Den Auftakt machte
        Händels frühe und aus gutem Grunde nicht allzu oft dargebotene Kantate „Apollo und Daphne“ für
        Sopran, Bass (in diesem Fall Bariton) und Orchester, deren von Christian Curnyn lebendig dirigierte
        Barockklänge Adele Thomas mit übereifrigen Regieinterventionen szenisch zu animieren suchte. Mit
        einer gewaltigen roten Schamkapsel ausgestattet und als Dämon aufgemacht, versuchte Jonathan
        McCoverns Apoll wie ein Berserker der jungen Daphne Alexandra Lowes habhaft zu werden, die sich
        jedoch lieber in einen Lorbeerbaum verwandelte, als seinen Avancen stattzugeben. Nur am Schluss,
        als McGovern mit sanftem Bariton vor einem Blätterhaufen gelobte, den Baum mit seinen Tränen zu
        begießen, ließ sich die emotionale Wirkungskraft ahnen, die Händel später entfalten sollte.

        Auch die beiden darauffolgenden Werke waren mit Gefühl durchtränkt. Mit wunderbar warmen
        Tönen brachte die Sopranistin Masabane Cecilia Rangwanasha die zwischen Wehmut und banger
        Ahnung schwankenden Stimmungen von Samuel Barbers tonmalerischem Orchesterlied „Knoxville:
        Summer of 1915“ nach einem Prosagedicht von James Agee zum Klingen. Die Regie von Antony
        McDonald verlieh den lyrisch-rhapsodischen Reflexionen über die verlorene Kindheit etwas
        Unheimliches, als seien sie Wahnvorstellungen. Grandios, als eine durch die verbotene Liebe zu
        ihrem in der adonishaften Gestalt des Baletttänzers Matthew Ball auf der Bühne liegenden Stiefsohn
        Hippolyt in den Wahnsinn Getriebene, verkörperte Christine Rice unter Deborah Warners Bühnen-
        anleitung die furiose Kantate „Phaedra“, eine der letzten Kompositionen Benjamin Brittens. Mit
        ihrer Anlehnung an Händel bot sie ein treffendes Pendant zu „Apollo e Dafne“. Als Gegengewicht zur
        ergreifenden Zerstörungswut Phaedras diente „Frankenstein!!“, HK Grubers kabarettistisches
        Pandemonium für Chansonnier und Orchester, von Richard Jones mit der ihm üblichen Ironie
        inszeniert. Wie eine Bartdame im Kuriositätenkabinett aufgemacht, persiflierte Allan Clayton mit
        todernster Miene die Helden der anarchistisch verfremdeten Kinderreime H. C. Artmanns.

        Wenn das Bindeglied zwischen den disparaten Stücken von „4/4“ der Wahn war, wirkten die
        Kompositionen von „New Dark Age“, als seien sie auf die Aktualität der Kolonialismusdebatte und
        der Corona-Pandemie gemünzt. Der erste Beitrag, „Knife at Dawn“ der britischen Komponistin
        Hannah Kendall, handelt von dem guyanischen Dichter und Aktivisten Martin Carter, der sich der
        britischen Kolonialherrschaft widersetzt hat. Im Gefängnis ringt der Hungerstreikende mit der
        Frage, ob er sich pflichtgemäß politisch für sein Land und sein Volk engagieren oder seiner eigentli-
        chen Berufung als Dichter folgen solle. So eindringlich der Bariton Peter Braithwaite das Dilemma
        des in seinen Hungerhalluzinationen von sirenenartigen Stimmen verfolgten Gefangenen erfasst,
        entbehrt Hannah Kendalls monotone Partitur jeglicher Differenziertheit. Für das zweite, in der
        Regie von Katie Mitchell deutlich dynamischere und überzeugendere Stück „A New Dark Age“
        wurden Auszüge aus den Kompositionen der Amerikanerin Missy Mazzoli, der Isländerin Anna
        Thorwaldsdottir und der Schottin Anna Meredith zusammengestrickt zu einer Suite, die, untermalt
        von filmischen Zeitlupenaufnahmen Grant Gees, Gefühle der Isolation und des Verlorenseins in
        einer fremd gewordenen Welt beschwören.

        Sowohl die ätherisch in hohem Register schwebenden Frauenstimmen in Missy Mazzolis von der
        zweiten Kantate aus Dieterich Buxtehudes Oratorium „Membra Jesu nostri“ inspirierten „Vespers
        for a New Dark Age“ als auch die psalmischen Klänge von Anna Thorwaldsdottirs „Ad Genua“ brach-
        ten das Bedürfnis nach Spiritualität in einer kranken Welt zum Ausdruck. Dazwischen die freneti-

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        schen, Vivaldi mit Electronica vermengenden Beiträge aus Anna Merediths „Anno“, deren an Vival-
        dis Winter anspielendes „Low Light“ einen trotz des Textes eher hilfesuchenden als heilenden
        Schlusspunkt setzte.

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        Montag, 26.10.2020, Tagesspiegel / Kultur

        Auf den Schultern der Geschichte
        „Lost (1,5 m)“ an der Neuköllner Oper

        Harte Zeiten: Im Harz verdorren die Bäume und werden Beute des Borkenkäfers, ganze
        Landschaften entwalden, und wer wochenlangen blauen Himmel noch als „schönes
        Wetter“ empfindet, hat nichts verstanden. Demokratien wählen ihre Verächter an die
        Macht, autoritäre Regime sind bald der Normalfall, soziale Medien eigentlich asoziale -
        und über das Virus brauchen wir erst gar nicht reden, oder? Die Welt, sie ist aus den
        Fugen. Eine Untergangsstimmung, die das Trio Tobias Schwencke (musikalische
        Leitung), Cordula Däuper (Regie) und Johannes Müller (Text) jetzt an der Neuköllner
        Oper mit „Lost (1,5 m)“ für die Bühne fruchtbar machen will - auch, um das
        coronabedingt schüttere Publikum wachzurütteln.

        Es darf sich mutmaßlich in den fünf Damen wiedererkennen, die da auf dem Podium
        hantieren, das Sektglas noch in der Hand, ihr größtes Problem: kein Netz. Sie sind
        weitgehend im Reinen mit sich, klar: Fliegen ist nicht so cool, „aber ich liebe doch
        Mauritius!“ Erst viel später, da ist der Abend schon fast vorbei, wird eine entsetzt
        resümieren: „Warum hat uns niemand gesagt, wie ernst es ist?“

        Es sind Schlaglichter, Short Cuts, immer wieder unterbrochen von Dunkelheit und
        einem seltsamen, elektrostatischen Wummern, bedrohlich. Der Boden, auf dem Karla
        Sengteller, Fernanda Farah, Nadja Petri, Olivia Stahn und Cathrin Romeis
        herumstapfen, ist knöchelhoch mit etwas Undefinierbarem bestreut: schwankender
        Grund. Als sechste Hauptfigur gesellt sich die Musik hinzu, Warnerin Erda etwa aus
        „Rheingold“, vor allem aber Lieder aus Schuberts letztem Zyklus „Schwanengesang“,
        arrangiert und teilweise kunstvoll verfremdet von Tobias Schwencke, der selbst am
        Flügel sitzt. Die Rolle, die diese Lieder spielen, ist nicht ganz klar: Sollen sie das
        unbeschädigte Gegenbild zu den Dystopien sein, die sich auf dem Podium immer mehr
        breitmachen? Wenn ja, dann wäre es nicht fair, dann würde Schuberts Musik eine
        Naivität unterstellt, die diese gar nicht hat.

        Trotzdem: Der Abend funktioniert, weil er eine Ästhetik entwickelt und diese recht
        konsequent beibehält, weil er es schafft, mit minimalen Mitteln eine apokalyptische
        Atmosphäre zu evozieren. Bei der er übrigens nicht stehenbleibt. Das Programmheft
        will auch Optimismus injizieren, konkrete Auswege aus der Klimakatastrophe weisen.
        Am meisten CO2 spart man, steht da, mit einem Kind weniger (58,6 Tonnen jährlich),

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        an zweiter Stelle: autofrei leben (2,4 Tonnen), gefolgt von Flugreisen vermeiden (1,6
        Tonnen pro Flug) und sich pflanzlich ernähren. Corona spielt, vom Titel abgesehen,
        eine erstaunlich kleine Rolle.

        Vor dem Abrutschen ins Plakative ist „Lost“ nicht gefeit, wenn eine Darstellerin mit
        wasserstoffblonder Perücke von „our beautiful crystal clear water“ säuselt und eine
        andere die Greta mit den Zöpfen gibt. Doch dann erklingt Musik, letzte Takte aus
        „Götterdämmerung“, und der Abend ruckelt sich wieder ins Stimmige zurecht. Auch
        mit Sätzen wie diesen: „Wir standen wie Götter auf den Schultern der Geschichte und
        starrten auf die Bildschirme in unseren Händen.“ Udo Badelt

        Wieder am 29.-31. 10.

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        Montag, 26.10.2020, Tagesspiegel / Kultur

        NACHRICHTEN

        Freie Volksbühne Bühne leidet

        unter Publikumsschwund

        Die Freie Volksbühne Berlin (FVB) stellt sich wegen Corona auf einen tiefgreifenden
        Wandel im Publikumsverhalten von Theatern und Oper ein. Unter den rund 6400
        Volksbühnen-Mitgliedern, die über die FVB Karten von 250 Kulturveranstaltern
        beziehen, werde die Verunsicherung immer stärker, sagte Geschäftsführerin Alice
        Ströver. In den letzten Monaten musste der Verein Tickets für mehr als 200 000 Euro
        rückabwickeln. 2019 hatte der Verein 1,6 Millionen Euro Umsatz gemacht. Die FVB war
        1890 gegründet worden, um Arbeitern den Zugang zu Bildung und Kultur zu
        ermöglichen. An diesem Montag und Dienstag erinnert eine Revue in der Volksbühne
        am Rosa-Luxemburg-Platz zu Ehren von Erwin Piscator an die Gründung vor 130
        Jahren. dpa

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             KULTUR                                                                                   SEITE 17 | MONTAG 26. OKTOBER 2020

             Europa

             Entscheidung über Kulturhauptstadt steht an
             Mit Spannung sieht man in Chemnitz, Hannover, Hildesheim,
             Magdeburg und Nürnberg dem kommenden Mittwoch (28.10.)
             entgegen: Dann fällt die Entscheidung, welche der fünf Städte im Jahr
             2025 den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ tragen wird. In einer
             Pressekonferenz, die wegen der Corona-Pandemie ausschließlich als
             Livestream stattfindet, gibt die europäische Jury ihre Empfehlung ab.
             dpa

             Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2020 - Alle Rechte vorbehalten.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/735/articles/1234006/17/5                                        1/1
EINSTAND | Beitrag vom 26.10.2020

Die Musik des Mittelalters und das „Sollazzo Ensemble“

Mutige Spezialisierung
Von Rainer Baumgärtner

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Das „Sollazzo Ensemble“ hat sich 2014 in Basel zusammen gefunden und gewann schon nach
einem gemeinsamen Jahr wichtige Preise. (Sollazzo / Martin Chiang)

Das späte Mittelalter ist in der klassischen Musik ein nahezu exotischer Randbereich.
Für dieses Repertoire hat die Fidelspielerin Anna Danilevskaia ihr Ensemble
gegründet, bei dem immer mehr junge Nachwuchsmusiker anklopfen.

Die Fidelspielerin Anna Danilevskaia konnte sich nie etwas anderes vorstellen als ein
Studium der Alten Musik. Die Klänge des späten Mittelalters und der frühen
Renaissance haben sie schon als Kind fasziniert. Es sei „die unglaubliche Komplexität,
die man manchmal findet“, sagt sie, es sei etwas, was ihr „persönlich sehr gefällt“.

Mit eigenem Feuer andere angesteckt

Anna Danilevskaia studierte an der Musikhochschule in Barcelona bei dem
Spezialisten und Blockflötisten Pedro Memelsdorff. Danach führte ihr Weg sie in die
Schweiz an die renommierte Schola Cantorum Basiliensis. Als sie 27 Jahre alt war,
gründete sie ihr eignes "Sollazzo Ensemble„, das heute ein international angesehenes
Ensemble ist.

In der Alten Musik sind die Möglichkeiten für junge Musiker überschaubar, da die
Szene recht klein ist. So versuchen sie noch als Studierende, sich über Einzelprojekte
in verschiedenen Ensembles bekannt zu machen.

„Es braucht ein bisschen Zeit“

Es gibt die namhaften Institute für Alte Musik, Ensembles, Barockorchester und
umtriebige Professoren und doch sind es auch internationale etablierte Musiker wie
Anna Danilevskaia, die mit ihrem Ensemble in Kursen ihre künstlerischen Erfahrungen
weitergibt und ermutigt, den Kosmos der Alten Musik immer wieder neu zu
erkunden.
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